Die Isolationshaft und die Geschichte der Repression in Spanien | Teil 1

Von der Soligruppe für Gefangene

Veröffentlich am 20. November 2016 in der Ausgabe Nummer 403 der Gefangenen Info

Die Isolationshaft und die Geschichte der Repression in Spanien | Teil 1

Dieser Text wurde vor vielen Jahren in einer Broschüre der FIJL (Federación Íberica de Juventudes Libertarias/ Iberische Föderation Libertärer Jugend) in Spanien veröffentlicht. Es ist eine Zusammenfassung der damaligen Kämpfe gegen das FIES-Regime (Isolationshaft) in den spanischen Gefängnissen, sowie die wichtigsten Repressionsfälle gegen die anarchistische und libertäre Bewegung von dem Ende der Diktatur 1975 bis 2003.
Es ist der Erste einer Reihe von Texten zu Repression und Knästen in Spanien. Quelle: Abschnitt „Warum“ und „im Detail“ übersetzt aus  Juventudes Libertarias: Dossier contra las carceles, S. 41-44

Ende der 1960er Jahre und Anfang der 1970er Jahre flammte der soziale und revolutionäre Kampf in ganz Europa und in Spanien wieder auf. Streiks, Fabrikbesetzungen und die Gründung unabhängiger autonomer Arbeiterräte („asambleas“) waren im vollen Gange. Parallel dazu, oder besser gesagt in Ergänzung dazu mit dem sich verbreiten bewaffneten Kampf, wie z.B. dem der MIL1, dem der Autonomen Gruppen sowie einige weitere. Die Verwandlung des faschistischen in einen demokratischen Staat, ab 1975 nach Francos Tod, machte keinen Unterschied. Zumindest nicht in folgendem Punkt: Repression gab es ganz massiv und die Gefängnisse waren überfüllt. Menschen wurden auch weiterhin auf Demonstrationen erschossen, wie 1976 in Vitoria/Gasteiz. Der Kampf für die Befreiung politischer Gefangener veränderte sich schnell in einen Kampf für die Befreiung aller Gefangenen und der Abschaffung des Gefängnissystems.
Mit dem Manifest der Gefangenen von Carabanchel (Madrid) aus dem Jahre 1977 schlossen sich auch nicht explizit politische Gefangene den Kämpfen an. Eine Rebellion in den Gefängnissen des ganzen Landes, mit 35 Meutereien und einer Vielzahl von Protestaktionen, brach aus. Die Gefangenen organisierten den Kampf in Generalversammlungen in den Gefängnissen und im Februar 1977 wurde die COPEL (Coordinadora de Presos Españoles en Lucha, Koordinierung der spanischen Gefangenen im Kampf) gegründet. Nachdem hunderte junger Männer in einer Besserungsanstalt verprügelt und 3 Häftlinge niedergestochen wurden, begann ein blutiger Aufstand. 26 Gefangene schnitten sich ihre Bäuche auf. In dem Moment als die Polizei kam, schluckten andere verschiedene Gegenstände (einem Gefangenen gelang während des Transports zum Krankenhaus die Flucht). Ein Verwundeter schrieb mit Blut das Wort COPEL an die Wand des Gefängniskorridors… Am Tag danach werden 98 Häftlinge in verschiedene Gefängnisse verlegt und 40 Verletzte verschwinden in Zellen. Von diesem Moment an, bis 1979, gab es im ganzen Land unzählige Aufstände, Hungerstreiks, Arbeitsniederlegungen etc… Die Forderungen der COPEL beinhalten die Verbesserungen der Bedingungen in den Gefängnissen, Amnestie für alle sozialen Gefangenen und das Ende aller Gesetze und Strukturen, die noch aus der Franco-Ära stammen.
Die Antwort des Staates hatte, wie immer, zwei Gesichter. Zwar gab es Verhandlungen, aber gleichzeitig auch brutale Repression. Die COPEL wurde unterwandert und die aktivsten Mitglieder unschädlich gemacht. Viele von ihnen steckte man in das neue Spezialgefängnis von Herrera de la Mancha. Herrera de la Mancha war eines der ersten Gefängnisse einer Serie, die speziell dafür entwickelt wurden, um die Gefangenen bestmöglich zu überwachen, sie von einander fern zu halten, sie zu isolieren. Physischer und psychologischer Terror wurde in diesen Gefängnissen systematisch ausgeübt und man findet bei dieser Art von Gefängnis schon Charakteristika der FIES2, vom Gefängnis im Gefängnis. Nach den Worten des Generaldirektors3 Carlos Garcia Valdès werden in diese Gefängnissen, die unangepassten bzw. die gefährlichsten Häftlinge eingesperrt. Dafür waren dann auch in diesen Gefängnissen Kräfte der Guardia Civil4 und nicht normale Wärter angestellt. Gefangene, die nach Herrera de la Mancha gebracht wurden, erfuhren dort eine Überwachung ersten Grades (totale Isolation). Beging er/sie dort keine Verstöße gegen die Gefängnisordnungen, erfolgte die Verlegung zum zweiten Grad, was aber auch keinen großen Unterschied machte (besserer Hofgang und das Zusammensein mit ein paar anderen Gefangenen). Hat der/die Gefangene es durch alle Grade geschafft und dabei noch keine Verstöße begangen, erfolgt die Verlegung in ein anderes Gefängnis.
Trotz der extrem repressiven Verhältnisse in diesen Gefängnissen, kam es auch da zu Aufständen. So z.B. in Meco (Madrid) am Anfang der 1980er, als die Gefangenen die APRE (Asociacion de Presos en Regimen Especial/Vereinigung der Gefangenen in Isolation) ins Leben riefen. Diese Gefangenen führten einen extrem harschen Kampf. Sie lehnten jeden Dialog ab und eine kleine radikale Minderheit von ihnen wollte sogar die Wärter + Polizisten töten und mit deren Waffen bis zum Tod kämpfen. Die Repression, die darauf folgte, und das Abebben des revolutionären Élan in den 1980ern sorgte dafür, dass es nahezu ein Jahrzehnt lang keinen Knastkampf mehr gab.
Anfang der 1990er kam es dann wieder zu einem Aufleben des kollektiven Knastkampfes. In Puerto de Santa Maria kam es im Juni 1989 zu einer Rebellion. Die Aufständigen wurden nach Herrera de la Mancha gebracht und in Isolation gesteckt. Noch im selben Jahr begannen die politischen Gefangenen der GRAPO5 mit einem Hungerstreik, der 435 Tage andauerte und für viel Aufregung sorgte. Am 14. Februar 1990 nahmen die Gefangenen von Alcala-Meco die Wärter als Geiseln und fordern die Entlassung von Juan Redondo Fernandez und aller Gefangener von Herrera de la Mancha. Aufstände in Daroca, Nanclares de la Oca, Caceres Il, Alcala-Meco und Fontcalent folgten im März des selben Jahres. Im Oktober gründeten Javier Avila Navas, Laudelino Iglesias, Luis Riva Dávila, Vicente Sánchez und Antonio Losa López in den Verliesen von Herrera de la Mancha die APRE neu. Das Manifest der APRE verbreitete sich darauf in den Gefängnissen Spaniens. Am 18. März 1991 gingen dann die Gefangenen von Herrera de la Mancha zur Tat über. Geiseln wurden genommen und eine Liste mit 18 Forderungen herausgegeben. Die Revolte wurde niedergeschlagen, aber der Geist der APRE war längst auf andere Gefangene übergegangen und es kam zu weiteren Revolten, Geiselnahmen und Ausbrüchen in Gefängnissen des ganzen Landes (in Zamora, wo ein kleiner Teil der Gefangenen von Herrera hingebracht wurde; wieder in Herrera selbst, am 11. Juli 1991; in Teneriffa, wo Juan Redondo und Xosé Tarrio Geiseln nahmen und es schafften ihre Forderungen in der breiten Öffentlichkeit publik zu machen;…).
Als Reaktion auf diese Revolten führte der Staat die FIES ein. Die aktivsten Mitglieder der APRE wurden unter dem FIES-Regime eingeknastet. Viele von denen, die damals den Kampf wieder aufgenommen haben, sind jetzt schon in ihrem 10., 15. oder 20. Jahr in den dunkelsten Verliesen des spanischen Gefängnissystems6.

F.I.E.S.
FIES wurde durch ein simples Rundschreiben unter der Verwaltung des Generaldirektors des Gefängnisses, Antonio Asuncion, der jetzt Vorsitzender der Sozialistischen Partei in Alicante ist, eingeführt. Obwohl das Verfassungsgericht dem FIES-Regiime im Jahre 1994 für kurze Zeit ein Ende bereitete (aufgrund von Beschwerden zweier Häftlinge), existiert es bis zum heutigen Tage. Die neuen Gefängnisverordnungen, unter Artikel 93, garantieren ein Regime, das aus folgendem besteht:
-ISOLATION: Hofgang in einem Einzelkäfig für maximal 3 Stunden in der Woche zusammen mit höchstens einer weiteren Person.
-ZEITLICH UNBEGRENZT: Normalerweise wird die Begründung für FIES alle 3 Monate überprüft; in der Realität sieht es aber so aus, dass die Zeit sowieso verlängert wird und die Isolation so Jahre, sogar Jahrzehnte dauern kann.
-LEBENSBEDINGUNGEN: Komplett den Launen der Gefängnisanstalt ausgeliefert. Sie kann Zensur und Kontaktbeschränkungen einführen, BesucherInnen ablehnen, körperliche Bewegung auf die Zelle beschränken, persönliche Kleidung ablehnen, Durchsuchung mit Röntgenstrahlen anordnen, physische und psychologische Folter anordnen…

F.I.E.S. en lucha
Vom ersten Tag an hat es den Kampf gegen FIES gegeben. Sei es von Einzelpersonen oder in kleinen Gruppen; mit legalen oder illegalen Mitteln (Direkte Aktion). Am Ende der 1990er realisierten eine Vielzahl der FIES-Gefangenen, dass Koordination von Nöten ist und begannen mit Hilfe von Briefen an andere Gefangene und UnterstützerInnen-Gruppen den Kampf zu organisieren.
Zu einem größeren Bewusstsein und Willen zum Kampf gegen FIES trug auch die Veröffentlichung des Buches „Huye hombre huye. Diario de un preso FIES“/Hau ab, Mensch. Tagebuch eines FIES-Gefangenen von Xosé Tarrio aus dem Jahre 1996 bei. Des weiteren sorgte die Verhaftung und Verwahrung einiger italienischer Anarchisten in FIES-Teilen für öffentliches Aufsehen (der Fall „Cordoba 4“).
Die erste koordinierte Aktion der Gefangenen bestand darin, sich zu weigern, ihre Zellen zu verlassen („txapeos“). Sie mussten aber schnell einsehen, dass, greift ihr Kampf nicht auf die anderen Gefangenen über und bleibt die nötige Unterstützung von draußen aus, nur noch verstärk-te Repression die Folge wäre. Eine Erweiterung des Kampfes innerhalb des Gefängnisses und außerhalb der Gefängnismauern wurde dann auch durch Aktionen, Briefe und Kommuniqués erreicht. Unter den Unterstützern befanden sich die AFAPP (Asociación de Familiares y Amigos de los Presos Políticos/Vereinigung der Familien und Freunde der politischen Gefangenen, verbunden mit der GRAPO), die Gruppe Mütter gegen Drogen, Vereinigung gegen Folter, etc.. Nach einer Weile einigten sie sich auf 3 Hauptforderungen:
1) Abschaffung des FIES-Regimes und jeder Form der Isolation.
2) Aufhebung der „Dispersion“7 der Gefangenen (keine Verwahrung in Gefängnissen weit weg von den Wohnorten, Freunden und Familien der Gefangenen; kein Aufteilen der Gefangenen in verschiedene Gefängnisse und innerhalb des Gefängnisses selbst).
3) Sofortige Entlassung aller unheilbar kranken Gefangenen.
Zusammen mit diesen Forderungen fand ein Hungerstreik vom 16. bis 19. März 2000 statt. Und trotz aller Schwierigkeiten nahmen etwa 400 Gefangene in 21 verschiedenen Gefängnissen an dieser symbolischen Aktion (4 Tage = 4 Mauern einer Zelle) teil. Ein Ausloten des Gleichgewichtes der Macht, nachdem die Bewegung in den vorhergehenden Wochen so unerwartet stark angewachsen war (sowohl in den Gefängnissen, als auch in Spanien und über die Grenzen hinweg).
Die Gründung der AAPPEL (Asamblea de Apoyo a las Personas Presas en Lucha/Vereinigung für die Unterstützung inhaftierter Personen im Kampf) trug einen großen Teil dazu bei. Sie verbreitete Informationen auf Konferenzen, im Radio und organisierte Demonstrationen  und diverse andere Aktionen.
Auch im Baskenland und Galizien machte die Nachricht ihre Runde und Aktionen wurden durchgeführt. In Madrid wurde ein FIES-Dossier zusammengestellt und, trotz diverser Spannungen8 innerhalb der UnterstützerInnengruppen, kam es zu Demonstrationen und Aktionen. Des weiteren bildeten sich UnterstützerInnengruppen in Frankreich und Italien. Zusammen mit dem Verbreiten von Informationen fanden auch da Aktionen statt. Auch die Gefangenen in diesen Ländern schlossen sich durch Solidaritätsbekundungen, und besonders in Italien, durch Aktionen, dem Kampf an.
Während der nächsten Monate dauerten die Aktionen inner- und außerhalb der Mauern an. Reaktionen von Seiten des Staates bleiben dabei natürlich nicht aus. Auf der einen Seite gab es die extreme Repression: Massive Verlegungen, Zensur, physische Gewalt, Folter,… die Kommuniqués der Gefangenen diesbezüglich waren alarmierend (es gab sogar einige Tote). Auf der anderen Seite betrieben die Medien eine Lügenkampagne, welche die sich im Kampf befindenden Gefangenen als gefährliche Verbrecher hinstellte und behauptete, sie stünden unter Führung der ETA…
Am 24. April 2000 erhielt der an der Verbreitung der verlogenen Artikel über den Kampf maßgeblich beteiligte ‚Journalist‘ J.M. Zuoaga der Zeitung ‚La Razon‘ eine Briefbombe. Zu dieser Tat bekannten sich später die Gruppe ‚Los Anarquistas‘. Nachdem das Bekenntnis publik gemacht wurde, engagierten sich mehrere Gefangene in Villanun in einem Bewegungsstreik – ein Akt der Solidarität mit den Absendern der Bombe. Im Zeitraum von Mai bis Juli folgten weitere Briefbomben an faschistische Tageszeitungen. Keine dieser Bomben explodierte so dass sie Schaden anrichten konnte. Am 9. November kam es dann zur Verhaftung zweier Anarchisten, Eduardo Garcia Macias und Estefania Maurete Diaz. Beide sollten an der Briefbomben-Kampagne beteiligt gewesen sein. Hausdurchsuchungen fanden daraufhin in mehreren Städten statt. Außerdem taten die Medien ihr Bestes, der Polizei Geschichten zu liefern. So sollen Eduardo und Estefania eine bewaffnete Gruppe mit Gefangenen formiert und Anschläge geplant haben. Estefania wurde entlassen und alle Anschuldigungen gegen sie fallen gelassen. Sie ist die Freundin von Santiago Cobos, einem der aktivsten Gefangenen, und es scheint, als hätten sie versucht ihn zu brechen, indem sie sie brechen. Eduardo wurde unter Auflagen entlassen, jedoch nach massivem Druck der Regierung am 17. November wieder verhaftet nach „Soto del Real“ verfrachtet. Für eine Polizei, die eifrigst nach nicht existierenden internationalen Verschwörungen oder einer internationalen kriminellen Organisation suchte, um damit Verhaftungen und Verurteilungen zu rechtfertigen (eine ganz normale Praxis) kam ihnen Eduardos Mitgliedschaft bei Anarchist Black Cross gerade richtig.
Der Ruf nach einem unbeschränkten Hungerstreik wurde in den Gefängnissen in der Zwischenzeit immer lauter. Einige  Gefangene, unter ihnen Laudelino Iglesias und Gabriel Bea Sampedro, hatten diesen bereits begonnen. Am 1. Dezember 2000 begann der kollektive Hungerstreik. Dieser Streik dauerte ein Monat, 50 Gefangene nahmen daran teil, während sie von 150 Gefangenen unterstützt wurden. Es scheint, als habe die Repression und das Fehlen jedweder Berichte in den Medien zu Demoralisierungen geführt. Die Auswertung war aber nicht nur negativ, eine nüchterne und realistischere Auswertung der Lage fand statt. Ein Kommuniqué der Widerstandskämpfer des „La Moraleja“ Gefängnisses vom Januar 2001, beinhaltet folgendes:
„Grüße GefährtInnen,
Unsere Einschätzung des Hungerstreiks letzten Dezember ist in Bezug auf die Bewegung „Presos en Lucha“ (Gefangene im Kampf) und die Solidarität in den Straßen ist durchaus positiv. Dass wir die Sache positiv einschätzen, heißt nicht, wir wären uns nicht der begrenzten Möglichkeiten unserer Mobilisierungskraft im Gefängnis und dem Druck, der durch die Straße ausgeübt werden kann, bewusst… Lasst uns objektiv sein. Denkt aber daran, dies ist eine Reflektion zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Entwicklung unserer Bewegung des Kampfes. Wir haben gerade die ersten Schritte gemacht, ein Fundament geschaffen, um uns sinnvoll und effektiv weiter zu entwickeln. Schaffen wir es dieser Linie des organisierten Widerstandes zu folgen, so können wir unseren Aktionsradius Stück für Stück erweitern und eine größere Stärke, drinnen und draußen, erreichen. Es gibt keinen anderen Weg, wenn wir uns in die richtige Richtung bewegen wollen; wir müssen aus der Perspektive agieren und unseren Kampf zu einer konstanten Aktivität gegen das kapitalistische System werden zu lassen. Der Kampf gegen das Gefängnissystem soll dabei unser Ausgangspunkt sein.
Zum ersten Mal, seit der Zeit der COPEL haben wir klar Stellung gegen die kriminellen Machenschaften des Staates in den Gefängnissen bezogen. Wir taten dies in einer kollektiven und organisierten Art und Weise, mit einem klaren Blick für das Kurz-, Mittel- und Langfristige. Diese Bewegung wird bestehen und sich die nötigen Vorgehensweisen aneignen, um diesen Kampf zu gewinnen. Es ist unserer Meinung nach sehr wichtig, Kontinuität in unseren Kampf zu bringen und eine Basis zu schaffen, die es ermöglicht, für die Ziele, welche wir uns gesetzt haben, zu kämpfen.
Des weiteren ist es ein Fakt, dass aus unserem Kampf eine Dynamik entstand, die eine sich ständig vergrößerte Solidaritätsbewegung hervorbrachte. Aufgrund der großen Unterschiede gibt es viele Widersprüche in der Bewegung. Besonders stark zeichneten sich diese während der Wochen des Hungerstreiks ab. Unsere Mobilisierung bewies jedoch, dass diese Streitigkeiten auszuhalten sind und Zusammenhalt im Kampf die Oberhand behielt.
Diese Solidaritätsbewegung setzt sich aus vielen verschiedenen Bereichen der Widerstandsbewegung zusammen; anarchistische Gruppen, Vereinigungen der Familienmitglieder und Freunde politischer Gefangener (AFAPP), Arbeitslosenkomitees, Anti-Imperialistische Komitees, Nachbarschaftskomitees (wie z.B. Amaitu), etc. haben unseren Kampf bisher unterstützt. Dazu kommt noch die Unterstützung aus dem Ausland. Stärken wir die Verbindungen mit ihnen und schließen uns ihrem Kampf an, dann werden unsere Schreie auf noch mehr Gehör stoßen und es wird noch schwerer uns mundtot zu machen, zu isolieren, zu unterdrücken…
Die Kombination von Innerhalb und Außerhalb des Gefängnisses hat unserem Streik einen noch stärkeren Wert verliehen. Wir sind uns sicher, dass nicht nur unsere GefährtInnen dies zu würdigen wissen und viele andere Leute unseren Kampf verfolgen. Der Staat kann dies natürlich nicht alles einfach so geschehen lassen und tut alles, was ihm zur Verfügung steht, um die Bewegung zu schädigen. Dies ist der Grund für das abgekarterte politische Spiel gegen die anarchistischen GefährtInnen in Madrid, die Hausdurchsuchungen in Barcelona und anderen Orten. Der Staat will uns Angst machen und vom Kampf abhalten, mit seiner massiven Kriminalisierung und dem Informationsstop während der Streiks, etc.. Von der Repression in den Gefängnissen gar nicht erst zu sprechen. Natürlich gibt es noch ganz andere Hähne, die jetzt krähen, die Humanisten, Christen und all die anderen Reformisten, die für kurze Zeit den Kampf in den Gefängnissen monopolisiert und damit jene benutzten, welche den Stall führten und kontrollierten. Die Zeit, wo sie noch etwas gegen uns tun oder mit ihren Mitteln beeinflussen konnten, ist vorbei. Wir müssen auch sie bekämpfen. Es kam dies bereits in einem früheren Kommuniqué zur Sprache, auch sie sind ein Teil des sozialen Apparates von Staat und Kapital, und mit unserem Kampf sind wir in direkte Konfrontation mit ihnen getreten.
Wenn unser Feind beginnt, sich wegen unserer kleinen Welt schon Gedanken zu machen, dann liegt das daran, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Natürlich ist es betrüblich, für harte Arbeit nicht belohnt zu werden, so wie dies der Fall war, bei unserem Hungerstreik im Dezember, aber wir denken gar nicht daran, opportunistisch unsere nächsten ultimativen Ziele zu stellen. Wir sind uns nämlich bewusst, dass unser schwerer Kampf sich in eine inspirierende und bindende Kraft für eine Vielzahl von Anliegen verwandelt hat, welche den Anfang dafür machen, sich im Kampf gegen das Joch der Unterdrückung und kapitalistischer Ausbeutung zu vereinigen. Dieser Impuls entstand irgendwo zwischen diesen verdammten Mauern… und wird mit der Zeit zu einer materiellen Kraft (material force) anwachsen. Der Funke entzündet die Flamme. Zusammenhalt und Kampf gibt uns Kraft! Widerstand drinnen und draußen!“
Folglich ist es klar, dass der Kampf ein langer und harscher sein würde. Außerdem fordert ein solcher verlängerter Kampf Bestimmtheit und ein weites Repertoire an Widerstandsformen, welche den Individuen und lokalen Initiativen, den ihren Umständen angepassten nötigen Raum lassen (so können z.B. viele Gefangene nicht an längeren Hungerstreiks teilnehmen, da sie ernsthaft krank sind). Alle Gefangenen können Aktionen machen, über ihre eigene Situation sprechen und ihre Forderungen einbringen. Doch sie treffen sich alle wieder bei den Forderungen, die sie vereinen: Abschaffung von FIES, Ende der Dispersion, Entlassung aller unheilbar kranken Gefangenen. Zu Beginn des Jahres 2001 wird sich auf eine 4. Forderung geeinigt: Die Entlassung aller Gefangener, die 20 Jahre abgesessen haben (was nach Angaben des spanischen Staates auch die maximale Haftzeit sein soll).
Des weiteren wurde die Forderung aufgestellt, jeden Monat zu fasten (monatlicher Hungerstreik für ein paar Tage um die 4 Forderungen zu unterstützen, Gefängnis- und Länderübergreifend). Außerhalb des Gefängnisses wurde aus der AAPPEL die ACOP‘S (Assembleas Contra les Prisons/Vereinigung gegen Gefängnisse), welche ein Netzwerk zur Unterstützung der Gefangenen aufbaut. Ferner wollten sie „das Schweigen + die Isolation brechen, und noch weiter als die konkreten Forderungen (welche wir für sehr wichtig erachten) gehen und das Gefängnissystem als ein Werkzeug der Gruppen denunzieren, die die Macht innehaben und das Knastsystem nutzen, um ihre Hegemonie und die existierende Situation sozialer Ungerechtigkeit zu erhalten“.
Die Einheit und Kontinuität der Bewegung ist derweil durch die 4 Hauptforderungen, reguläre kollektive Aktionen (wie dem monatlichen „txapeos“ (Hofgangverweigerung) und den Hungerstreiks), dem Erweitern und Stärken der Koordination Drinnen und Draussen, sowie Debatten über den Knastkampf und seinem Platz in den sozialen und politischen Kämpfen, gesichert. Schon das ganze Jahr über gab es einen ständigen Fluss an Briefen, Kommuniqués, Zeugenberichten,… von Gefangenen im Kampf, welche von der Repression erzählen, die sie ertragen müssen, aber auch von dem Widerstand und dem Kampf, der drinnen vor sich geht (Chapeo‘s, Hungerstreiks, Arbeitsstreiks, Briefkampagnen, Sabotage,…). Auch in den Straßen Spaniens gab es eine Vielzahl von Aktionen – Demonstrationen, Informationsveranstaltungen, Konferenzen, Direkte Aktionen,…
Auf internationaler Ebene verbündeten sich die Gefangenen mit anderen Gefangenen und UnterstützerInnengruppen aus Frankreich, Italien, Griechenland, Portugal, Belgien, Großbritannien und der USA, wo die Insassen Solidaritätsbekundungen ausarbeiten und/oder an den monatlichen Hungerstreiks teilnehmen. Viele von ihnen nahmen auch an Solidaritätsaktionen gegen die Einführung von F-Typ Gefängnissen in der Türkei teil. Der Kampf in der Türkei (mit den andauernden Todesfasten, der brutalen militärischen Angriffe auf die Gefangenen am 19. Dezember 1999, dem Kampf der Familien), genauso wie die Kämpfe der Gefangenen in den USA, z.B. die kollektiven Hungerstreiks in den Isolationseinheiten im September 2001 in Texas, machen klar, dass der Kampf gegen Isolationshaft weltweit ist.
Ein weiterer Hungerstreik fand im März 2002 in 38 Gefängnissen und mit fast 500 teilnehmenden Gefangenen statt. Neben dem schon zahlenmäßig großen Erfolg, ist auch die Mobilisierung von weiblichen Gefangenen von Bedeutung (z.B. Alcala- Meco). Das vom Innenministerium auferlegte Schweigen der Presse wirkt betäubend… Am 28. Mai 2002 fand im „Quatre Camines“ Gefängnis in Katalonien ein Aufstand statt. Nachdem einmal wieder grundlos 2 junge Insassen von Wärtern zusammengeschlagen wurden, traten mehr als 250 Gefangene in einen Arbeitsstreik. Das bald darauf ins Leben gerufene Streikkomitee stellte 12 Forderungen auf, verlangte mit dem Gefängnisdirektor sprechen zu können und bat um die Anwesenheit des Beraters des Justizdepartements und des Roten Kreuzes. Die Verhandlungen begannen, aber es zeichnete sich recht schnell ab, dass die Direktion keinen Fußbreit nachgeben will. Bereits am nächsten Tag wurde das Gefängnis von der „Mossos“ (Katalanische Anti-Riot-Cops) gestürmt und der Aufstand mit Gewalt niedergeschlagen. Nach diesen Vorkommnissen konnten die Medien die Probleme in den Gefängnissen nicht mehr ignorieren, berichteten jedoch wieder nur die staatlich sanktionierten Verdrehungen der Fakten. Kein Wort darüber, was die Gefangenen seit fast 3 Jahren erzählen. Eine Gruppe von gefährlichen Gefangenen sei es gewesen, die sich weigerte zu Arbeiten – die Polizei und Gefängnisdirektion habe die Lage jedoch beruhigt. Den Gefangenen wird einfach kein Gehör geschenkt und man glaubt das, was man glauben will: Es gibt keine Gewalt und Folter im Gefängnis, keine Isolation, Ausbeutung der Arbeitskraft, Verlegungen weit weg von Freunden und Familien, keine unmenschliche Einkerkerung von todkranken Menschen, kein Festhalten von Gefangenen für Jahrzente…
Repression und Radikalisierung
Mit Ausnahme weniger bewaffneter Angriffe außerhalb der Gefängnisse (wie die, welche von der Gruppe Internationalen Solidarität und den „Los Anarquistas“ ausgeführt wurden), waren alle Aktionen gewaltlos. Trotzdem war die Antwort des Staates nichts als Gewalt. Im Mai 2003 führte die Aznar-Regierung auf dem legalen Feld – inmitten der Antiterror-Hysterie, dem Beginn des Irakkrieges,… – eine Justizreform ein, die neben anderen Dingen, eine Verlängerung der maximalen Gefängnisstrafe von 20 auf 40 Jahre festlegte. Dies bedeutet für viele Gefangene, dass sie das Gefängnis nicht mehr lebend verlassen werden: „Stille Todesstrafe“… In den Knästen ging die Repression ohne Unterlass weiter, ständige Verlegungen, Zensur, Besuchsverweigerung, Menschenrechtsverletzungen, Missbrauch, Folter, Tod. Antonio Falces Casas starb am 14. Februar 2002 im Krankenhaus von Terrassa, nachdem er vom Gefängnis „Quatre Camins“ dorthin verlegt worden war. Seine Krebserkrankunge wurde nicht richtig behandelt. Am 4. Januar 2003 beging Ruben Gonzales Carrio im Gefängnis von Pontevedra Selbstmord. Paco Ortiz schrieb in seinem letzten Brief am 17. Januar 2003 aus dem Gefängnis von Badajoz, dass auch er Selbstmord begeht. Um ihre Trauer und Wut über den Verlust eines lieben Gefährten und dem Protest gegen die zahlreichen forcierten Selbstmorde Ausdruck zu verleihen, traten mehrere Gefangene in Streik – ‚im Gefängnis ist jeder Selbstmord ein Mord durch den Staat‘. Seit 1991 sind 14 GefährtInnen in Gefängnissen Spaniens gestorben.
Und auch wenn Eduardo nach 11 Monaten im Knast im November 2001 auf Kaution raus kam, wächst die Repression gegen die Bewegung draußen.
Am 15. Oktober 2002 wurden 4 Anarchisten in Valencia (Ivan, Isaac, Jordi und Pasky), die in der BesetzterInnen-Bewegung aktiv sind, verhaftet. Ihnen wurde vorgeworfen, die öffentliche Ordnung gestört und Eigentum beschädigt zu haben (in Verbindung mit einer antifaschistischen Aktion einer Woche davor), und später, nach dem sich der Chef der Informationsbrigade der spanischen Polizei einmischte, kam auch noch der Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung dazu… Sie liefen Gefahr, für 10 bis 15 Jahre eingesperrt zu werden. Die Anhaltspunkte schienen dafür wieder einmal auf den Kontakten, die die 4 zu einigen Gefangenen hatten, zu basieren. Ende November wurde einer von ihnen, Isaak, auf Kaution raus gelassen. Am 11. März 2003 entschied dann die Audiencia Nacional, dass die Terrorismusvorwürfe nicht aufrecht erhalten werden könnten. Die anderen Vorwürfe blieben jedoch bestehen. Nachdem sie eine Kautionsgebühr bezahlt haben, kamen auch Ivan, Jordi und Pasky frei.
5 Anarchisten wurden am 28. Februar 2003, 4 in Barcelona und einer in Almeria, mit dem Vorwurf der Bildung einer Terroristischen Zelle, so meint zumindest Richter Garzòn, verhaftet. 3 von ihnen wurden recht bald wieder auf Kaution entlassen. Fernando, der 4. am 10. März 2003 und Emilio am 29. März, nachdem er 8 Gefängnisse in einem Monat kennengelernt hatte. Einem späteren Prozess müssen sie trotzdem ins Auge blicken.
Außerdem erließ das höchste Gericht unter Vorsitz von Garzòn im März 2003 ein Urteil, dass die Cruz Negra Anarquista/Anarchist Black Cross Iberien als „Rekrutierungsmaschinerie der GRAPO“ bezeichnet. Dies bedeutet, Anarchist Black Cross der iberischen Halbinsel kann unter das „Gesetz der Parteien und Organisationen“ fallen und damit als illegal erklärt werden. Seit Franco ist dies das erste Mal, dass eine anarchistische Organisation effektiv verboten werden kann. Davor wurde entdeckt, dass die CNA/ABC-Madrid von einem Polizeiagenten infiltriert wurde, einem Undercover, der auch in der UnterstützerInnengruppe für die GRAPO-PCE(R) Gefangenen mitgearbeitet hatte.
Anfang Juni 2003 wurden in Valencia wieder 4 AnarchistInnen, Amanda, Eduardo, Jordi und Miguel, verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, Briefbomben an die faschistische Vereinigung Espana 2000 geschickt zu haben. Jedoch explodierte die Vorrichtung am 24. April zu früh im Postbüro und verletzte 2 Postangestellte leicht. Des weiteren stehen sie in Verdacht 5 weitere Anschläge auf Immobilienbüros und Banken verübt zu haben. Ohne weitere Anschuldigungen werden Jordi und Miguel einige Tage später wieder entlassen. In der Zwischenzeit hat Amanda die Verantwortung für einige Anschläge übernommen. Vor dem Richter erklärt sie, dies seinen „Antworten auf den Kapitalismus gewesen, der die El Cabany Nachbarschaft zerstört“. Zusammen mit ihrem 20-jährigen Freund Eduardo, der als ihr Komplize angesehen wird, bleibt sie in Haft.
Am frühen Dienstag-Morgen des 16. Septembers 2003 wurden bei einer großangelegten Polizeiaktion in Barcelona 6 Menschen verhaftet. Auch sie sind AnarchistInnen und wurden unter den Antiterrorismus-Gesetzen verhaftet. Sie stehen unter dem Verdacht Mitglieder einer geheimen anarchistischen Vereinigung zu sein, welche eine Stadtguerilla gegründet haben soll. Aus Solidarität mit den Gefangenen aus Thessaloniki sollen sie am 8. September 2003 eine Briefbombe an die griechische Botschaft in Madrid geschickt haben. Außerdem sollen sie mehrere Anschläge auf Banken und andere Institutionen verübt haben. Die 6 AnarchistInnen sind: Carolina Forné Roig und Rafael Tomas Gaspar (beide 25 Jahre alt und aus Tarragona), Joaquin Garcés Villacampa (43 Jahre, anarchistischer Gefangener, dem es einige Monate zuvor gelang zu fliehen), Igor Quevedo Aragay (25 Jahre, aus Guipuzcoa), Teodoro Hernández Martínez (26 Jahre, aus der Region La Rioja) und Roger (21 Jahre, aus Barcelona). Nach 5 Tagen „incommunicados“9 wurden die Verhafteten der Audiencia Nacional, unter Vorsitz des Richter Garzón, vorgeführt. Nur Teodoro wird entlassen und es stellt sich heraus, dass noch nach einer 7. Person gesucht wird, für die auch ein internationaler Haftbefehl ausgestellt wird.
Anfang Oktober wurde Xosé Tarrio wieder verhaftet und in das Gefängnis von Teixeira gesteckt. Xosé war erst 5 Monate davor entlassen wurden; am 16. Mai 2003 konnte er nach mehr als 15 Jahren Gefängnis des Kampfes, der Solidarität und Hoffnung auf Anarchie befreit werden. Nach seiner Entlassung setzte er seinen Kampf unter anderen in der CNA/ABC fort. Ihm werden einige Raubüberfalle zur Last gelegt.
Am 17. November 2003, mehr als 3 Jahre, nachdem der Prozess gegen Eduardo Garcia Macias begann, wird er immer noch des zweifachen Mordversuches (2 Paketbomben), und des Besitzes von Sprengstoff beschuldigt. Der Staatsanwalt forderte 22 Jahre. Endlich wird Eduardo nach einem Prozess, der besonders wegen Mangel an Beweisen und der „Amnesie“ und widersprüchlichen Erklärungen der Zeugen der Polizei für Aufsehen sorgte, von dem Vorwurf des Mordversuches freigesprochen. Jedoch wird er wegen des Besitzes von Sprengstoff verurteilt und bekommt 4 Jahre. Eduardo, der immer seine Unschuld beteuerte wird sicherlich in Revision gehen.
Die Verhaftung von Eduardo (und Fani) Ende 2000 stellte sowas wie den Beginn der Kriminalisierungs-Kampagne und Repression der anarchistischen Bewegung in Spanien dar, besonders der Solidaritätsbewegung mit den Gefangenen. Diese Bewegung wuchs sehr schnell, radikalisierte sich, riss der spanischen Regierung die demokratische Maske vom Gesicht und wurde allmählich zu einer ernsthaften Bedrohung für die etablierte Ordnung. Des weiteren hatte sich der Kampf von der bloßen Unterstützung der Gefangenen im Kampf zu einem Kampf gegen das Gefängnis als solches und gegen die ganze Kontroll- und Repressionsgesellschaft ausgewachsen.
Diese Repression und die Radikalisierung sind natürlich nicht von einem größeren Kontext und anderen Ereignissen in Spanien und der ganzen Welt zu trennen.
Mit dem Erscheinen der Antiglobalisierungsbewegung (Prag, Göteborg, Genua, Brüssel, Barcelona, Thessaloniki,…) auf dem europäischen Kontinent, der 2. Intifada und den brutalen militärischen Übergriffen der israelischen Armee (was auch die arabischen und muslimischen Gemeinschaften in Europa mobilisiert hat), die bekannten Revolten in Lateinamerika, dem 11. September in den USA, dem Krieg im Irak,…, scheint es, als sei die Zeit der herrschenden Klassen der Welt vorbei. Es scheint, als würden sie beginnen, sich Sorgen zu machen und auf den nächsten reaktionären Anschlag vorzubereiten. Die neuen Antiterrorismusgesetze stellen ganz klar eine Faschisierung des Staates und der ganzen Gesellschaft dar. Es ist kein Zufall, dass es Spanien, Italien und die Türkei waren, die den USA eifrig folgten und die Europäische Union ermutigten diese Gesetze zu akzeptieren – womit sie jetzt eine Legitimation für die Intensivierung eines „schmutzigen Krieges“ haben, der jedoch schon seit Jahren stattfindet. Während der letzten Jahre sind wir Zeugen massiver Verhaftungen geworden; dutzende MitgliederInnen, Ex-MitgliederInenn oder Verbündete der alten bewaffneten Gruppen (GRAPO/PCE(R), ETA, Rote Brigaden, 17 November, DHKP-C,…) sind verhaftet worden. Im letzten Jahr haben wir beobachten können, dass immer mehr auch die UnterstützerInnengruppen Ziel der Repressionsmaschinerie werden. Alle Gruppen, die in irgendeiner Verbindung mit der ETA stehen werden natürlich geächtet, aber auch Mitglieder der AFAPP, der Socorro Rojo Internacional10 und der Cruz Negra Anarquista sind Ziele der Überwachung und Verhaftung, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu Terroristischen Vereinigungen… Letztendlich zielt der Krieg gegen den Terrorismus und die neuen Sicherheitsgesetze auf all diejenigen, die gegen den Kapitalismus und die neue Weltordnung opponieren ab. Vollkommene Akzeptanz und Unterwerfung der herrschenden Klasse gegenüber wird erwartet.
In diesem Kontext kam es innerhalb der Bewegung immer wieder zu heftigen Diskussionen über die Bedeutung von Solidarität, über Gefangene und Kriminalität, über Knäste und der Knastgesellschaft, über Repression und Illegalität, über Gewalt, Frieden, Rebellion und Revolution…
Aufgrund der massiven Gewalt von Seiten des Staates, der schleichenden Faschisierung der Köpfe und der Gesellschaft, sowie der wachsenden Widersprüche und Spannungen weltweit, kam in Teilen der Bewegung eine gewisse Lähmung, während wieder andere kleine Gruppen von AnarchistInnen den Weg in den Untergrund und dem bewaffneten Widerstand wählten.
Gegen diese Lähmung (welche sich auf verschiedene Weise ausdrückt:
Dem ewigen Warten auf die richtigen ‚objektiven und/oder subjektiven Bedingungen‘, den kläglichen Selbststilisierungen als das unschuldige Lamm und ewige Opfer, die Selbstbeschränkung auf das alternative Ghetto, der Flucht in Drogen und Alkohol,…) haben sie sich für die individuelle Revolte, Mittäterschaft und revolutionäre Solidarität entschieden. Gegen die schleichende Befriedung und Entwaffnung, haben sie sich entschlossen sich, zu bewaffnen, mit Steinen, Molotovcocktails, (kleinen) Bomben, Waffen, aber auch mit kritischer Reflektion und Theorie.
Auf ihrer Suche nach Wegen, der täglich erlebten Machtlosigkeit und der erstickenden Herrschaft des Staates über die Gesellschaft, zu entkommen, versuchten sie die Erfahrungen vergangener Kämpfe gegen die Knäste mit dem aktuellen Anarchismus, der von vielen vergessen oder verneint wird, jedoch immer ein integraler Bestandteil des Kampfes war, zu verknüpfen. Deshalb auch das wieder verstärkte Interesse an der COPEL, der MIL-GARI, der Gruppe 1. Mai, der anarchistischen Guerilla nach 1945 (Sabate, Facerias, Massana,…) Durutti, und der FAI, etc..
Daneben gibt es sicher auch den Einfluss der InsurrektionalistInnen/ aufständischen AnarchistInnen. Insurrektionalismus/ Aufständischer Anarchismus bezieht seine heutige Bekanntheit aus den Schreiben Alfredo Bonanos und anderer. Er erfreut sich jedoch vermehrter Bekanntheit, besonders seit dem Marini-Fall in Italien. Und zusammen mit den Verhaftungen von Claudio Rodriguez, Claudio Lavazza, Michele Pontollilo und Giovanni Barcia in Cordoba 1996 haben sich die Verbindungen mit Italien und Griechenland verfestigt und gestärkt.
Als ein Akt der Solidarität mit den FIES-Gefangenen wurden unter dem Namen „Cinque C“ (fünf C‘s): „Contro il Capitale, il Carcere, iI Carcerieri e le lore Celle“/ gegen Kapital, Gefängnisse, Aufseher und Zellen verschiedene Angriffe auf spanische Ziele im Dezember 2002 und Juni 2003 verübt. Eine fehlgeschlagene Attacke fand im Oktober 2003 in Rom gegen die Iberia aus Solidarität mit den Gefangenen von Barcelona und Valencia und als Erinnerung an Paco Ortiz statt. In der Zeit von Oktober bis November 2003 fanden dutzende Attacken in Athen statt. Die Motive des Protestes sind zum einen die Olympia-Gegnerschaft, aber auch die Solidarität mit den 7 Gefangenen von Thessaloniki (darunter 2 Spanier, Carlos und Fernando), mit den 6 aus Barcelona, sowie den Inhaftierten Verbündeten der Bewegung des 17. Novembers und der ‚Revolutionary Peoples Struggle‘ (ELA). 2 Brandbomben explodierten am 23. Dezember in Müllbehältern, nahe der Wohnung des Präsidenten der Europäischen Kommission, Prodi. Die Informelle Anarchistische Föderation (FAI), welche mehrere Gruppen in sich vereint, übernahm später die Verantwortung dafür. Dies scheint der Beginn einer ganzen Anti-Europa-Kampagne zu sein: Anfang Januar 2004 erhielten diverse Europapolitiker (wieder Prodi und einige rechte Mitglieder des Parlaments) und Institutionen (Eurojust, Europol, die Europäische Zentralbank) Bombenpakete. Auch wenn diese Bomben eher harmlos, ein symbolischer Akt sind, wurde in den Nachrichten der Welt darüber berichtet. Laut den Autoritäten selbst sind seit 1999 etwa 70 Attacken auf Banken, politische Parteien, Security Agenturen,… von dem, wie Europol es nennt, „anarchistischen Mediterranen Dreieck“ verübt worden.
Bis zu welchem Maße die „InsurrektionalistInnen/aufständische AnarchistInnen“ eine Chance haben, auf die Bewegung Einfluss zu nehmen und eine Chance + Perspektive für den Anarchismus und die Revolution, die wir alle wollen, zu liefern, hängt von ihrer Fähigkeit ab, aus der Vergangenheit des revolutionären Kampfes zu lernen. Außerdem müssen sie Fehler, wie z.B. die, welche in den 1960ern und 1970ern begangen wurden, vermeiden. Dazu kommt noch die nötige Solidarität der weitgefassteren anarchistischen Bewegung mit denen, welche sich dazu entschieden haben, einen Schritt nach Vorn zu machen und sich nicht mehr gegen die Wand pressen zu lassen. Beginnen muss die Solidarität damit, dass wir uns bewusst werden, wer diese Menschen sind, was sie schreiben, denken, erleben, kritisieren und was die Motive für ihre Tätigkeiten und Aktionen sind. Nur auf diese Weise ist es möglich, eine offene und ehrliche Debatte, die die Bewegung als ganzes voran bringt, zu führen. Nur so kann es vermieden werden, mit den Wölfen zu heulen, sich aber als Schaf zu verkleiden, Angst zu verbreiten, die Trennung aufrecht zu erhalten und der Reaktion in die Hände zu spielen.
Wir müssen alle für uns selbst entscheiden.
Dies ist unser Schicksal und unsere Freiheit.

Fußnoten:
[1] Movimiento Iberico de Liberacion, war eine Gruppe die „bewaffnete Agitation“ Anfang der 70er im Großraum Barcelona betrieb.
[2] Ficheros Internos de Especial Seguimiento, Kartei für Insassen mit Sonderbehandlung (Isolationshaft in Spanien)
[3] Damaliger Generaldirektor aller Gefängnisse in Spanien
[4] Spanische paramilitärische Polizeieinheit, spezialisiert gegen Terrorismus, Revolten, Streiks und sehr berühmt für ihre faschistische Einstellung
[5] Grupos Revolucionarios Antifascistas Primero de Octubre, ist eine marxistisch-leninistische bewaffnete Gruppe in Spanien, die 1975 das erste Mal in Erscheinung getreten ist.
[6] Als dieser Text geschrieben wurde, waren die ganzen ProtagonistInnen der Kämpfe im Knast (also die Gefangenen) noch am Leben. Im Laufe der Jahre sind die meisten gestorben, ermordet worden oder haben Selbstmord begangen.
[7] Als Dispersion wird die Verletzung der Rechte der Gefangene gemeint, wenn diese soweit wie möglich von zu Hause inhaftiert werden, damit die Familie und FreundInnen es so schwer wie möglich haben diese besuchen zu gehen.
[8] Aufgrund der sehr unterschiedlichen politischen Meinungen, Strömungen und Orientierungen der Gruppen und Individuen, war es nicht immer leicht zusammen zu arbeiten.
[9] Bei der Verhaftung unter Terrorismus, ist es in Spanien den Behörden erlaubt die „Verdächtigen“ bis hin zu fünf Tage oder 120 Stunden lang zu verhören. In diesem Zeitraum ist es nicht möglich irgendwelche Anwälte zu sehen. In dem meisten Fällen werden die Beschuldigten zusätzlich von den Bullen gefoltert, abgesehen davon das fünf Tagen der Polizei ausgeliefert zu sein schon Folter ist.
[9] Socorro Rojo Internacional ist die Rote Hilfe International. In Spanien als terroristische Organisation eingestuft weil sie die Gefangene der GRAPO/PCE(R) unterstützten.

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