Gefunden auf Panfletos Subersivos, die Übersetzung ist von uns
Freitag, 28. August 2020
[Chile] REAKTIONÄRE MOBILISIERUNGEN UND DEMOKRATISCHE ERPRESSUNG: STRATEGIEN DER KAPITALISTISCHE ORDNUNG
Proletarixs en revuelta
28. August
Während die politischen Gefangenen der Mapuche ihren fast 120-tägigen Hungerstreik fortsetzen und vom chilenischen Staat Mindestgarantien in den Gerichtsverfahren gegen sie fordern, führen die Gewerkschaften der Lkw-Fahrer – loyale Vertreter der Arbeitgeberinteressen und historische Akteure der politischen Rechten – Mobilisierungen durch, die als Hauptforderung die Verschärfung der staatlichen Repression in Wallmapu haben.
Mehrere Elemente dieser reaktionären Mobilisierung können kommentiert werden:
-Der gepriesene Streikaufruf vom 27. August fand nur sehr wenig Unterstützung, da er von zwei der drei größten Gewerkschaften der Lkw-Fahrer (die alle von der Rechten geführt werden) nicht befolgt wurde, und hat in der gesamten Bevölkerung breite Ablehnung hervorgerufen.
-Es ist Teil einer para-institutionellen Strategie der Regierung, die versucht, einer ranzigen, konservativen und philofaschistischen Rechte eine Basis um sich herum zu geben. Dies drückt sich in der Toleranz und dem Schutz von Demonstrationen dieser Art aus. Einer ihrer wichtigsten Meilensteine war die Räumung der Beschlagnahme der Gemeinde Curacautín (und zwei weiterer) durch rassistische Banden, die die offene Komplizenschaft von Polizei und Militär hatten, sowie die Zustimmung von Innenminister Víctor Pérez, der sich Stunden zuvor mit den faschistischen und antimapuistischen Führern traf, die zu diesen Angriffen aufgerufen hatten.
Die Risse innerhalb des regierenden Bündnisses, das zwischen der harten Rechten und der Bewältigung der Krise durch die Integration der allgemeinen Unzufriedenheit in die institutionellen Kanäle, durch das Plebiszit- und Verfassungsgebungsverfahren, schwankt, sind ebenfalls wieder deutlich zu erkennen. Nicht umsonst behaupten einige ihrer am meisten publizierten Gesichter, dass sie für die Option „Zustimmung“ stimmen und sich sogar Sozialdemokraten nennen werden.
-Aus diesem Sektor der bourgeoisen Politik heraus setzen sie sich offen mit der Bedrohung durch eine „soziale Revolution“ auseinander, und ihr erklärtes Ziel ist es, sie mit allen Mitteln zu bekämpfen. Zu diesem Zweck setzen sie, nicht ohne interne Widersprüche und Friktionen, auf die Verhärtung der repressiven Gesetzgebung (alle Punkte in der Petition der Gewerkschaft der Lkw-Fahrer wiesen in diese Richtung), die Stärkung der Polizei- und Geheimdienstapparate (idem), die institutionelle Kanalisierung der populären Forderungen und die Förderung von zivilen Organisationen neofaschistischer Prägung. In Erwartung eines Szenarios intensiver sozialer Konflikte testen sie das Terrain militarisierter Unterdrückung und fördern die Konfrontation zwischen Zivilisten, während andere Fraktionen, die sich vor der totalen Isolation fürchten, versuchen, sich Positionen der „Mitte“ oder des „Dialogs“ anzunähern. Es ist klar, dass die letztgenannte Politik in keiner Weise den gleichzeitigen Rückgriff auf blutrünstige Repressionen ausschließt, sondern nur versucht, sie zu begrenzen.
-Die allgemeine Reaktion der Linken, sowohl der parlamentarischen als auch der vermeintlich revolutionären, beschränkt sich ihrerseits darauf, auf die Identifikation der Gewerkschaft der Lkw-Fahrer mit der faschistischen Rechten hinzuweisen und für sie die gleiche repressive Behandlung zu fordern, an die uns der Staat gewöhnt hat, wenn wir diejenigen sind, die auf die Straße gehen. So wird dem Lkw-Fahrerstreik vorgeworfen, „die Rechtsstaatlichkeit anzugreifen“ und „gegen die Demokratie zu verstoßen“. Daher fordert sie die Anwendung des Gesetzes über die innere Sicherheit des Staates oder sogar des Antiterrorgesetzes, alles in der Sprache der herrschenden Klasse. Es ist eine Sache, die offensichtliche Ungleichheit anzuprangern, mit der Straßendemonstrationen je nach ihrer politischen Identifikation behandelt werden, aber es ist etwas ganz anderes, die Logik und den Diskurs der Machthaber zu akzeptieren und zu behaupten, dass sie mit „Gerechtigkeit“ durchgeführt werden. Auf diese Weise wird es nicht anders möglich sein, als Inszienierungen in den radikalen Aktionen gegen die kapitalistische Infrastruktur und ihre Agenten zu sehen, die dem Kampf außerhalb der von der bourgeoisen Legalität gesetzten Grenzen die Legitimität entziehen, um jeden Versuch des Protests präzise zur Ohnmacht zu verurteilen. Die Konsequenz dieser Logik ist gerade die Untätigkeit angesichts der verschiedenen Formen, in denen die Macht uns angreift, indem sie sie auf die Straße setzt und gleichzeitig die offensichtliche ideologische Voreingenommenheit der Regierung und des Repressionsapparats anprangert, als ob man etwas anderes erwarten könnte. Diese Tatsachen müssen als Ausdruck des Klassencharakters des Staates und der Unmöglichkeit seiner Reform anerkannt und aufgezeigt werden. Sie müssen dazu dienen, jede Illusion einer Änderung ihrer Politik der Verteidigung kapitalistischer Interessen zu durchbrechen.
-Unter Hinweis auf ihr streng sozialdemokratisches Erbe versucht diese Linke, Slogans wie „mehr Züge weniger Lkw´s“ durchzuschleichen, als ob dies eine lauwarme Lösung für die wachsenden Konflikte wäre. Als ob diese Züge und die dafür notwendige Infrastruktur kein anderes Ziel hätten, als Güter und Rohstoffe zu transportieren, die aus unserer Umwelt geplündert wurden. Sie wird niemals die kapitalistischen Beziehungen selbst in Frage stellen, denn das wäre ihre Verurteilung als linke Variante der Partei der Ordnung.
-Die Demonstrationen des Neofaschismus werden von unserer Klasse aus und mit unseren eigenen Methoden bekämpft, wobei wir nicht auf staatliche Repression zurückgreifen, da wir durch letztere den grundlegend geschaffenen Mechanismen, die gegen unsere Kämpfe angewandt werden sollen, Legitimität verleihen.
-Ein anderer Diskurs dieser Linken ist, dass hinter diesen Demonstrationen die Absicht stehe, die gegenwärtige demokratische Ordnung zu destabilisieren (als ob sie heute sehr stabil wäre), mit dem Ziel, das Plebiszit im Oktober nicht durchzuführen. Von dieser Argumentation auszugehen bedeutet, nicht zu verstehen, dass das Plebiszit genau die Art und Weise ist, wie die Partei der Ordnung ihre Stabilität wiederherstellen will (Stabilität, die nichts anderes ist als kapitalistische Ausbeutung ohne größere Erschütterungen), und infolgedessen einen Vorwand zu haben, um jede autonome Äußerung zu verurteilen, die nicht in das demokratische Delirium passt: das klassische und ruchlose „Wir dürfen nicht das Spiel der Rechten spielen“.
-Die Ausgebeuteten müssen die Welt nicht nach den Kategorien der bourgeoisen Politik („rechts“, „links“) verstehen, sondern nach dem, was uns als eine beherrschte und ausgebeutete Klasse konditioniert. Wir müssen das Kapital selbst kritisieren und gegen diesen selbst handeln, und das bedeutet eine radikale Opposition gegen den Staat, gegen sexuelle Hierarchisierung, gegen die Produktion und Zirkulation von Waren; die Kommerzialisierung1 jedes Aspekts unseres Lebens.
-Die rechten reaktionären Sektionen bereiten bereits die brutale Unterdrückung einer möglichen und wahrscheinlichen proletarischen Erweckung vor, sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer eigenen Legalität. In der Zwischenzeit versucht ein guter Teil der Linken, uns zu beruhigen und uns zu den Wahlurnen zu führen, Wahlurnen, die, wenn wir diesem Abdriften folgen, mehr als eine traurige Allegorie des Schicksals unserer Bemühungen und unseres eigenen Lebens sein werden. Oder aber sie wird versuchen, die gesamte auf der Straße eingesetzte Energie, deren Ausmaß wir erst vor wenigen Monaten gesehen haben, nach Wahlinteressen zu kanalisieren. Jede autonome Aktivität außerhalb dieser Rahmen wird als unverantwortlich eingestuft und mit einer Form von „guerrillerismo“ oder „lucharmadismo“2 in Verbindung gebracht, die nichts anderes als die bewaffnete Variante des historischen Reformismus war. Unser Kampf wird nicht mit Stimmen oder bewaffneten Apparaten entschieden, die im Namen der gesamten ausgebeuteten Klasse handeln. Jenseits der Dichotomie der Sozialdemokratie baut das Proletariat seine autonomen Organismen in Übereinstimmung mit seinen vitalen Interessen auf und greift auf die für es kohärenten und nützlichen Kampfformen zurück. Und diese Mittel sind weder demokratisch noch militaristisch.
-Angesichts der politischen Begleitumstände3, der in diesen Wochen angesichts der neofaschistischen Bewegungen von Gruppen, die unter dem Schutz der Macht stehen, mit größerem Aufbrodeln eingesetzt werden wird, sollten wir uns an das Potenzial erinnern, das wir in den Monaten der Revolte und des Vertrauens in uns selbst erblicken. Schließlich haben wir nichts und niemanden sonst. Aber wir brauchen sie nicht und wollen sie auch nicht.
Solidarität mit den Mapuche-Gemeinschaften, die dem Staat und rassistischen paramilitärischen Banden gegenüberstehen!
Solidarität in allen Bevölkerungen gegen die mörderische Politik irgendwelcher Regierung und ihrer falsche Opposition!
1A.d.Ü., im Originaltext wird der Begriff mercantilización verwendet, welches je nach Kontext nicht nur als Kommerzialisierung verstanden werden, was wir hier auch verwenden, sondern auch als ein Zustand in dem man zur Ware verkommt, was auch Verdinglichung wäre.
2A.d.Ü., als guerrillerismo und lucharmadismo (etwa Guerillaismus und Bewaffneterkampfismus) wird die Ideologie des bewaffneten Kampfes gemeint und kritisiert. Die Kritik richtet sich an die unvermeidbare einer Avantgarde, eines Sprachrohrs eines Kollektivs (Klasse, Nation, usw.), sprich die Kritik an eine getrennte Praxis. Der aufständische Anarchismus speist sich in seinen Ursprüngen sehr von dieser Kritik, aber auch bewaffnete Gruppen wie MIL, bei denen dies auch zu ihrer Auflösung führte.
3A.d.Ü., im Originaltext wird der Begriff parafernalia verwendet, was in diesem Fall auch Schnickschnack, Krimskrams und ähnliches wäre, als ein entleerter Moment in diesem Falle.