Kronstadt Journal V

Kronstadt Journal V

5. März

Trotzki, der in der Nacht vom 04. auf den 05. März in Petrograd ankommt, erlässt Befehle, die gewaltsame Niederschlagung des Aufstandes vorzubereiten und sendet das folgende Ultimatum an Kronstadt:

Die Arbeiter- und Bauernregierung hat verfügt, dass Kronstadt und die Rebellenschiffe sich sofort der Autorität der Sowjetrepublik unterwerfen müssen. Ich befehle daher allen, welche ihre Hand gegen das Sozialistische Vaterland erhoben haben, sofort ihre Waffen niederzulegen. Die Halsstarrigen sind zu entwaffnen und den Sowjetbehörden zu übergeben. Die verhafteten Kommissäre und anderen Regierungsvertreter sind sofort freizulassen. Nur diejenigen, welche sich ohne Bedingung ergeben, können auf die Gnade der Sowjetrepublik rechnen.

Ich erlasse gleichzeitig Befehle, die Bezwingung der Meuterei und die Überwältigung der Meuterer durch Waffengewalt vorzubereiten. Die Verantwortlichkeit für den Schaden, den die friedliche Bevölkerung erleiden mag, wird ganz auf die Häupter der gegenrevolutionären Meuterer fallen.

Diese Warnung ist endgültig.

Trotzki, Vorsitzender des Revolutionären Militärsowjets der Republik. Kamenew, Oberster Kommandant.

Auf das Ultimatum folgt ein Prikas1 mit folgender Drohung: „Ich werde euch wie Fasanen niederschießen.“

„Dennoch gab es einige Menschen in Petrograd, die nicht schweigen wollten. Sie sandten dem Sowjet der Verteidigung folgenden Brief:

An den Petrograder Sowjet der Arbeit und Verteidigung, Vorsitzender Sinowjew:

Es ist unmöglich, ja sogar kriminell, jetzt zu schweigen. Die jüngsten Ereignisse veranlassen uns Anarchist*innen dazu, zu sprechen und unsere Haltung gegenüber der aktuellen Situation zu erklären.

Der Geist der Unruhe und Unzufriedenheit, der sich unter den Arbeitern und Matrosen breit gemacht hat, ist das Ergebnis von Ursachen, die unserer vollsten Aufmerksamkeit bedürfen. Kälte und Hunger haben Unzufriedenheit geschaffen und die Ermangelung jeder Möglichkeit der Diskussion und Kritik zwingt die Arbeiter und Matrosen dazu, ihrem Unmut offen Luft zu machen.

Gruppen weißer Gardisten wünschen und könnten versuchen, diese Unzufriedenheit für die Interessen ihrer eigenen Klasse auszunutzen. Indem sie sich hinter den Arbeitern und Matrosen verstecken, verwenden sie Formeln der Konstituierenden Versammlung, die Forderung nach freiem Handel und Ähnliches. Wir Anarchisten haben seit jeher die Lügen dieser Forderungen enttarnt und wir erklären vor der ganzen Welt, dass wir mit Waffengewalt gegen jeden Versuch des konterrevolutionären Umsturzes zusammen mit allen Freunden der sozialen Revolution und Hand in Hand mit den Bolschewiki kämpfen werden.

Was den Konflikt zwischen der sowjetischen Regierung und den Arbeitern und Matrosen betrifft, sind wir der Meinung, dass er nicht durch Waffengewalt geklärt werden darf, sondern durch Kameradschaft, eine geschwisterliche revolutionäre Vereinbarung. Die Zuflucht zum Blutvergießen auf Seiten der sowjetischen Regierung wird – in der gegebenen Situation – die Arbeiter weder einschüchtern noch zum Schweigen bringen. Im Gegenteil, es wird Zustände nur noch verschlimmern und die Bande zwischen Entente und der internen Konterrevolution stärken.

Schlimmer noch, der Einsatz von Gewalt gegen Arbeiter und Matrosen durch die Arbeiter- und Bauern-Regierung wird einen rückschrittlichen Effekt auf die internationale revolutionäre Bewegung haben und wird der Sozialen Revolution überall unberechenbaren Schaden zufügen.

Genossen Bolschewiki, besinnt euch, bevor es zu spät ist. Spielt nicht mit dem Feuer: Ihr seid dabei, einen äußerst schwerwiegenden und folgenreichen Schritt zu machen.

Wir schlagen euch hiermit folgendes vor: Lasst eine Kommission aus fünf Personen, darunter zwei Anarchisten, bilden. Die Kommission soll nach Kronstadt gehen, um den Konflikt auf friedlichem Weg zu klären. In der gegebenen Situation ist das die radikalste Methode. Sie wäre von internationaler revolutionärer Bedeutung.

Petrograd,

den 5. März 1921.

Alexander Berkman.

Emma Goldman.

Perkus.

Petrowski.“

Emma Goldman, Meine zwei Jahre in Russland

 

1Prikas, russisch приказ, heißt zu deutsch Befehl, Auftrag oder anbefohlenes Amt und war in der Sowjetunion die Bezeichnung für einen Befehl der obersten Führung an die Rote Armee.

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