Gefunden auf Inferno Urbano, die Übersetzung ist von uns
Wir erhalten und veröffentlichen den Leitartikel der Ausgabe 4 des Magazins BEZMOTIVNY, „Den Krieg sabotieren – die Internationale entfachten“, der der Ukraine-Krise gewidmet ist
Wenn die Leser diese Zeilen in den Händen halten, hat die Krise in der Ukraine vielleicht schon paroxysmale Ausmaße erreicht und ihren dramatischen Niederschlag entfaltet. Oder vielleicht auch nicht. Einige Passagen sind möglicherweise durch die Fakten überholt oder widerlegt worden oder müssen noch überprüft werden. Wir machen uns keine Sorgen darüber, dass das, was wir schreiben, möglicherweise veraltet ist, denn diese Worte können nur veraltet sein. Angesichts des Krieges hat der Anarchismus immer dieselbe Position vertreten, die Bakunin seit dem französisch-preußischen Konflikt und der Kommune vertrat. Wir müssen also mit dem Offensichtlichen beginnen.
Unser Internationalismus drückt sich in einem ganz einfachen Gefühl aus: die Ausgebeuteten, in Russland wie in den Vereinigten Staaten, in der Ukraine wie in Italien, sind unsere Schwestern und Brüder, ihr Blut ist unser Blut; die Industriellen und die Finanzbosse, die Generäle und die Dienstherren, die Regierungen, alle sind unsere ewigen Feinde. Von den ewigen Gefühlen des Hasses und der Liebe bewegt, können unsere Leidenschaften nur vor den aktuellen Ereignissen zurückschrecken, vor ihrem Opportunismus, vor einer parakritischen Bewertung der Bedingungen und der Propaganda des Augenblicks.
Um jedoch zu verhindern, dass diese erhabenen Gefühle zu abstrakten, harmlosen Absichten werden, die gut sind, um das eigene Gewissen zu beruhigen und schließlich auf einem etwas verschlungeneren, aber gerade deshalb noch heuchlerischeren Weg die eigene Unterkunft, die eigene opportunistische Position zu finden, muss zu diesen Absichten noch eine weitere hinzukommen: Die einzige Praxis, die mit dem internationalistischen Diskurs vereinbar ist, ist die, die die eigene Regierung, den eigenen Staat, den eigenen imperialistischen Block zum Hauptfeind macht.
Wir sollten daher jeder frontalen Versuchung widerstehen und sowohl die Positionen derjenigen zurückweisen, die im Namen des Pluralismus und der Menschenrechte versucht sind, sich unter das liberale westliche Banner zu stellen, als auch derjenigen, die im Namen des Antiamerikanismus und des nostalgischen Sowjetismus zu einer pro-russischen Parteinahme verleitet werden.
Der Preis des Krieges wird, wie immer, vom Proletariat bezahlt, und wir zahlen ihn bereits seit Monaten im Voraus mit dem Anstieg der Kosten für Strom, Treibstoff und, als Kaskade, mit der inflationären Dynamik, die sich auf alle Waren auswirkt. Ein Prozess, der mit der spekulativen Dynamik zusammenhängt, die durch den ökonomischen Neustart nach der durch die Pandemie verursachten Krise in Gang gesetzt wurde. Das ist der Preis der Spekulation, das ist der Preis von Putins Repressalien, das ist der Preis von Bidens Abenteurertum, das ist der Preis von Draghis Unterwürfigkeit. Diese Herren sind unsere Blutsauger, keiner von ihnen ist unser Freund.
Unter der Annahme, dass die gegenwärtige Krise nicht in einem nuklearen Holocaust endet (eine höchst unwahrscheinliche Hypothese, aber auf jeden Fall nicht unmöglich), wird der Preis, den wir in unseren „privilegierten“ Breitengraden mit dem Krieg in der Ukraine zahlen werden, der einer Verarmung sein, die bis vor einigen Jahren in der europäischen Verblödung, an die wir gewöhnt waren, unvorstellbar war: die gegenwärtigen Steigerungen bei Treibstoff und Energie und damit bei allen Waren, könnten einen Hinweis darstellen, der nicht einmal mit dem vergleichbar ist, womit wir es zu tun haben werden. Die Kontinuität der Energieversorgung selbst mit den Komfortbedingungen, die die Menschen in dieser Region des Planeten seit einem halben Jahrhundert als selbstverständlich ansehen, kann nicht gewährleistet werden, umso mehr, als die vorhandene Energie für die höheren Zwecke der Kriegsindustrie verwendet werden muss.
Die vielleicht größte, allgemein übersehene Lehre aus der Pandemieaffäre ist der Niedergang der so genannten „Konsumgesellschaft“. In jenen Tagen im Frühjahr 2020, als die Supermärkte teilweise geschlossen waren und der Verkauf ganzer Produkte verboten war, ereignete sich ein noch nie dagewesenes Phänomen für diejenigen, die wie der Autor schon immer in einer Gesellschaft gelebt haben, in der das Konsumverhalten fast eine Religion war. Die Regierung wollte eine Botschaft senden, die eindeutig nichts mit der öffentlichen Gesundheit zu tun hatte: eine Botschaft der moralischen Austerität. Es ist eine schwierige Zeit, das müssen die Staatsbürger auch durch ein Fastenopfer verstehen. Andererseits sagten sie uns bereits: „Wir befinden uns im Krieg“, in Erwartung der neuen Opfer, die uns bevorstehen.
Ein Jahr später hat der Präsident der Confindustria eine sehr interessante Analyse vorgelegt. In seiner Rede auf der nationalen Vollversammlung des Arbeitgeberverbands am 23. September stellte Carlo Bonomi klarer als viele Unternehmer, die die dystopische „Rückkehr in die Welt von früher“ beschwören, dass „es leider noch lange dauern wird, bis die inländische Konsumnachfrage wieder ein starker Wachstumsmotor werden kann“. Das Großkapital weiß, dass das Wachstum in dieser historischen Periode nicht auf dem Binnenkonsum basieren wird. Kürzlich, am 12. Februar, erklärte der Direktor der italienischen Zentralbank, Ignazio Visco, dass eine Preis-Lohn-Spirale um jeden Preis vermieden werden müsse: „Man kann die Inflation nicht durch Lohnerhöhungen bekämpfen“, wenn die Preise steigen, müssen die Ausgebeuteten verarmen, wo ist sonst der Haken? Die Herrschenden wissen, dass die Proletarisierung, ob mit oder ohne Krieg, der Schlüssel zu den sozialen Phänomenen der kommenden Jahre ist.
Wenn wir also auf den Krieg zurückkommen, scheint es am wahrscheinlichsten, dass der Preis, den die Ausgebeuteten in diesem Teil des Planeten zahlen werden, eine weitere Drehung der Schraube in Richtung Austerität und Autorität sein wird, wenn man von der dramatischsten Hypothese einer wirklichen nuklearen Eskalation zwischen den Mächten absieht (die auf jeden Fall nicht auszuschließen ist). All dies geschieht, während die giftige Hypothese der Kernenergie, das Allheilmittel für alle Beschwerden unserer Industrie, wie eine Schlange auf der Lauer liegt. Eine nicht zu unterschätzende Sirene, die der Atomkraft: vor allem, wenn es wirklich schlimm wird, weil Russland den Methanhahn endgültig zudreht (oder die USA Europa zwingen, darauf zu verzichten), angesichts der militärischen und industriellen Bedürfnisse und der gleichen Unannehmlichkeiten für die Bevölkerung, die inzwischen von dem Zwang besessen ist, den reaktionären Traum von der „Rückkehr zu den alten Zeiten“ zu wiederholen (man stelle sich vor, wie stark dieser Druck sein wird, wenn die Menschen ohne Strom und Gas dastehen), dann wird die nukleare Hypothese noch unwiderstehlicher.
Ein gegenläufiger Trend zu dem, was in den letzten Jahren geschehen ist, besteht in der Rückkehr der „Politik“ gegenüber der unangefochtenen Dominanz der Technologie, die uns die Ereignisse in der Ukraine vor Augen führen. Der Krieg in der Ukraine sieht ausnahmsweise nicht wie ein ökonomischer Krieg aus, sondern wie ein Krieg um politische und militärische Vorherrschaft. Das Methanproblem selbst ist nicht das Phänomen, sondern eine Folgeerscheinung, eine Vergeltung für die Entscheidungen des politisch-militärischen Risikos. Provoziert durch die ständige und aggressive Osterweiterung der NATO, zielt Russlands Reaktion nicht so sehr auf die Eroberung von Vorkommen und Ressourcen ab, sondern ist motiviert durch den rein militärischen Anspruch, die Präsenz amerikanischer Militärstützpunkte an seiner Grenze nicht dulden zu müssen, sowie durch einen rein ideologischen Stolz und die Nostalgie nach der guten alten imperialen Zeit. Wenn überhaupt, dann sind die Energieressourcen ein Knüppel, mit dem man sich gegenseitig bedroht.
Deshalb überlassen wir es den russischen, ukrainischen und weißrussischen Anarchisten, zu berichten und zu analysieren, was auf ihrer Seite der Front passiert, ihre Kämpfe gegen den Autoritarismus ihrer jeweiligen Regierungen, gegen die sie um den Preis von Verhaftungen, Folter und Tod kämpfen, mit jenem internationalistischen Geist, für den der Hauptfeind für mich immer meine Regierung und ihre Verbündeten sind, möchten wir kurz darauf eingehen, was auf „unserer“ Seite der Kriegsfront passiert.
Bidens Sieg bedeutete eine deutliche Beschleunigung der militaristischen Gefahren. Trumps geopolitische Wette basierte auf der Möglichkeit, wenn schon kein Bündnis, so doch zumindest gute Beziehungen zu Putin in einer antichinesischen Perspektive zu unterhalten. In diesem Sinne ist der furchterregende Trump der erste US-Präsident seit vielen Jahrzehnten, der keine neuen Kriegsfronten eröffnet. Unglaublich in diesem Sinne ist der politische Fehler, den die nordamerikanische extreme Linke fast einhellig begeht. Wenn eine historische Kommunistin, Feministin und schwarze Aktivistin wie Angela Davis Biden und Harris unterstützt, dann ist das nicht nur der individuelle Verrat eines Bürokraten in der Bewegung, sondern ein kollektives Schlingern eines ganzen Politikbereichs (was sich zum Beispiel daran zeigt, dass Davis nicht aus militanten Zusammenhängen herausgeworfen wird). Es ist nicht nur ein Verrat an der anarchistischen Ablehnung von Wahlen (das und mehr erwartet man von kommunistischen Politikern), sondern die spezifische Analyse ist einfach falsch, da Biden und Harris für den Weltfrieden eindeutig das „größere Übel“ waren.
Einer der Fehler, der Biden sogar von einem Teil der Mainstream-Linken angelastet wird (in diesem Sinne haben wir kürzlich Beiträge im Manifest und auf der Fanpage gelesen), ist die „Übergabe“ Russlands an China. Indem sie Putins Regime aggressiv unter Druck setzen, drängen die Nordamerikaner es zu einem Bündnis mit dem von Xi. Das Bündnis der zweitgrößten Militärmacht der Welt mit dem Land, das die erste technologische Macht und – für einige weitere Jahre – die zweite ökonomische Macht darstellt, kann in der Tat zum Auslöser für eine militärische Weltkatastrophe werden. Angesichts der Möglichkeit, dass russische Waffen mit chinesischer Technologie ausgestattet werden könnten, könnte die Idee, dass ein präventiver nuklearer Angriff eine bessere Hypothese sein könnte als die Möglichkeit einer langjährigen militärischen Integration ihrer ärgsten Widersacher, einigen Henkern im Pentagon ernsthaft in den Sinn kommen.
Was Italien betrifft, das schon immer eine Avantgarde bei der Erprobung neuer politischer Systeme war, so scheint es, dass die Regierung der Nationalen Einheit Bestand haben wird und mittelfristig als Aushängeschild der politischen Intrigen im bel paese (A.d.Ü., Italien) bestätigt wird, das vielleicht in anderen europäischen Ländern nachgeahmt wird, wenn sich die Krise verschärft. Nationale Einheit ist ein Konzept, das gut verstanden werden muss. Diese Regierungsform ähnelt zwar der klassischen technischen Regierung, unterscheidet sich aber wesentlich von dieser, die von der Einstimmigkeit der politischen Kräfte getragen wird. Die Nationale Einheit ist eine eminent politische Regierung, eine Regierung der politischen und sozialen Fronten: in diesem Sinne schließt sich auch die Gewerkschaft/Syndikat der Nationalen Einheit an, da sie sich für eine möglichst umfassende Zusammenarbeit und innere Befriedung einsetzt; in diesem Sinne schließen sich auch die Techniker ihr an, da die Technik heute eine sozialpolitische Kraft ist. Mit einem Wort, die Regierung der Nationalen Einheit ist eine Regierung des Krieges.
Als Internationalisten, die dazu verdammt oder privilegiert sind – je nach Sichtweise – in diesen Breitengraden zu leben, stellt sich uns die Aufgabe, die nationale Einheit und das tödliche Klima des sozialen Friedens, das sie schafft, mit allen Mitteln zu sabotieren, zu entgleisen und zu zerstören. Dies ist die für uns unverzichtbare Verabredung in den kommenden Monaten. Mit anderen Worten, die nationale Einheit bereitet den inneren Frieden zwischen den Klassen und den äußeren Krieg zwischen den Nationen vor. Unser Internationalismus hat immer das Gegenteil gefordert: kein Krieg zwischen Nationen und kein Frieden zwischen Klassen. Mit Galleani wiederholen wir, dass wir gegen Krieg und gegen Frieden, aber für die soziale Revolution sind.
Der Internationalismus ist jedoch nach wie vor nur ein Gefühl. Doch korrigiert durch den Grundsatz, dass meine Regierung mein Hauptfeind ist, enthält der Internationalismus wie jedes Gefühl auch etwas Unbeschreibliches. Der mutige Schritt, den wir tun sollten, besteht darin, vom Internationalismus zur Internationale überzugehen. Das heißt, eine informelle, aber reale historische Verschwörung von Revolutionären in der ganzen Welt zu begründen und konkret zu propagieren. Eine „Organisation“, so sehr uns dieser Begriff auch ängstigt und die Augen der Repression auf sich zieht. Aber was sind die Alternativen? Hunger, Krieg und Tod. Die Organisation des assoziierten menschlichen Lebens auf der Grundlage von Hierarchie und Profit hat nun gezeigt, dass sie die von ihr erzeugte Komplexität nicht beherrschen kann und uns alle in die Katastrophe treibt – gesundheitlich, ökologisch und militärisch. Nur eine Weltrevolution kann uns retten. Lasst uns an die Arbeit gehen.