Vom revolutionären Kampf zur antifaschistischen Union sacrée, Dominique Attruia, Januar und Februar 1938.

Hier eine weitere Übersetzung von einem historischen Text aus dem Jahr 1938 in dem einiges kritisiert und angeprangert wird, was wie wir sehen, werden überholt, noch abgelaufen, oder nicht zeitgenössisch wäre.


Vom revolutionären Kampf zur antifaschistischen Union sacrée, Dominique Attruia, Januar und Februar 1938.

Übersetzung, Erläuterung und Anmerkungen von Agustín Guillamón, Oktober 2021

Der Artikel

Gelegentlich gelingt es einem gewöhnlichen Journalisten in einer kleinen Provinzzeitung mit sehr geringer Auflage, in der Kürze eines Artikels das Wesentliche einer historischen Epoche zum Ausdruck zu bringen. Weder tausend Bücher noch alle Archive der Welt zu diesem Thema können das Wesentliche eines historischen Augenblicks mit der erstaunlichen Leichtigkeit erfassen, die diesem Artikelschreiber vor 85 Jahren gelang. Dieser Gelegenheitsjournalist, ein Unbekannter, war der revolutionäre anarchistische Militante Dominique Attruia. In der Kopfzeile der Zeitung stand Terre Libre. Sie war auf Januar und Februar 1938 datiert. Das Thema war die antifaschistische Entartung des revolutionären Anarchismus.

Die Schrift ist durchsetzt mit Sätzen, die es verdienen, in Stein gemeißelt zu werden, wie die Tafeln des Moses. Sie sind die Tafeln der sozialen Revolution.

Der Autor

ATTRUIA, Dominique (1904-1986). Franzose italienischer Herkunft, aufgewachsen in Algerien, kam er 1926 nach Frankreich. Er verkehrte mit radikalen Anarchisten wie Prudhommeaux, Volin usw. und schrieb für verschiedene Zeitungen. Ab 1931 im Spartacus, eine Zeitung für die er als die presserechtliche Verantwortlichkeit trug und als Herausgeber tätig war. Ab 1934 war er auch Herausgeber von Terre Libre. Während des Bürgerkriegs schrieb er sporadisch in der Rubrik „Nuestros Problemas (Unsere Probleme)…“ von Terre Libre, in der jeder seine Position verteidigte. Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte er vergeblich, in verschiedenen Zeitschriften zu veröffentlichen. Er korrespondierte mit Camus, Bataille und Merleau-Ponty. In der letzten Phase seines Lebens konvertierte er zum Katholizismus. Er starb im Elsass, der Heimatregion seiner Frau.

Vom revolutionären Kampf zur antifaschistischen Union sacrée“ von Attruia, veröffentlicht in den Ausgaben 45 (28. Januar 1938) und 46 (11. Februar 1938) von Terre Libre

Seit das kapitalistische Regime in die Krise eingetreten ist, die es seit 1929 erstickt, wird jedem immer klarer, dass es nur zwei Auswege gibt: Krieg1 für die Bourgeoisie, Revolution für das Proletariat.

Leider ist das Proletariat, entgegen den Erwartungen mancher, das von seinen „Führern“ getäuscht wurde, weit davon entfernt, den revolutionären Weg einzuschlagen, und hat bereits den Weg zum Krieg eingeschlagen.

In der Tat steht in den Medien der Arbeiter seit einiger Zeit nur noch der antifaschistische Kampf auf der Tagesordnung. Wenn man also weiß, dass der Faschismus durch die Entwicklung des kapitalistischen Regimes selbst bestimmt wird, erkennt man, dass der antifaschistische Kampf nur der Vorwand ist, der es der republikanischen und demokratischen Bourgeoisie ermöglicht, ihr sterbendes Regime zu retten und mit Hilfe der Parteien und Organisationen, die behaupten, der Arbeiterklasse anzugehören, den antifaschistischen Krieg vorzubereiten.

Aber einige, sogar Anarchisten, werden denken, dass sie nicht auf diesem Weg sind. Nun, sie können ihre Illusionen verlieren, denn abgesehen von der antifaschistischen Union Sacrée, die in Spanien von den anarchistischen Führern akzeptiert und verteidigt wird, gibt es bereits jetzt in Frankreich eine Organisation namens SIA, „die alle Hoffnungen umfasst…“. Und die erste Kundgebung, die sie gerade organisiert hat, ist der Beweis dafür: mehr als zehntausend Menschen nahmen daran teil. Eine Beteiligung, die es sozusagen noch nie bei einer von Anarchisten organisierten Kundgebung gegeben hat.

Aber man muss wissen, dass „es jenseits der Tendenzen ist“, und das erklärt alles. Dies gilt umso mehr, als die SIA nicht das Ziel verfolgt, die Revolution zu organisieren, sondern lediglich eine wirksame Hilfe für das antifaschistische Spanien zu leisten. Es gibt also keinen Grund, überrascht zu sein, wenn sie so erfolgreich ist: Wenn der revolutionäre Kampf gegen den kapitalistischen Staat aufgegeben wird, ist der Erfolg sicher.

Es wird jedoch argumentiert werden, dass kein Revolutionär die Solidarität mit dem antifaschistischen Spanien ablehnen sollte. In diesem Zusammenhang müssen wir diejenigen daran erinnern, die scheinbar völlig vergessen haben, dass es für einen Revolutionär, insbesondere wenn er Anarchist ist, nicht darum geht, für die Verteidigung der bourgeoisen Demokratie gegen den Faschismus zu kämpfen, sondern gegen den kapitalistischen Staat, sei er demokratisch oder faschistisch. Nur unter diesem Gesichtspunkt kann der Marsch in den antifaschistischen Krieg, der von den demokratischen Staaten gegen die faschistischen Staaten vorbereitet wird, abgelehnt werden. Es scheint uns, dass die Bourgeoisie, auch wenn sie sich unter dem Etikett der Demokratie tarnt, derselbe Klassenfeind des Proletariats bleiben wird, das sie mit ihrem „demokratischen“ Staat ausbeutet und aushungert, genau wie die Bourgeoisien der faschistischen Länder. Um genau zu sein, muss man sogar sagen, dass er es freier tut, denn es ist bekannt, dass der Staat in faschistischen Ländern ein Recht auf Kontrolle der Ökonomie hat, das es in einem demokratischen Regime nicht gibt. In diesem Sinne werden wir verstehen, dass wir uns nicht wie eine gemeine Herde in das imperialistische Gemetzel treiben lassen dürfen, das unser Klassenfeind mit Hilfe der „verteidigenden Führer“ der Arbeiterklasse immer fieberhafter vorbereitet.

In dem Moment, in dem die Meinung auf den antifaschistischen Krieg vorbereitet wird, sollten sich die Revolutionäre nicht daran erinnern lassen, dass, sobald der Krieg ausbricht, die „demokratischen Freiheiten“, die wir genießen, abgeschafft werden, und dass das Proletariat somit für die Verteidigung der Demokratie unter der Ägide des Staates kämpfen wird, der nicht mehr demokratisch, sondern… diktatorisch, d.h. faschistisch sein wird… Dies beweist, dass der antifaschistische Krieg nichts als eine LÜGE ist, die nur die Naiven täuschen kann.

Leider wird es für uns immer schwieriger zu argumentieren, da selbst die Union Anarchiste2 in dieser Frage eine widersprüchliche Position vertritt: Einerseits bekräftigt sie: „Nein zur nationalen Verteidigung in einem kapitalistischen Regime“, andererseits ruft sie: „Helft dem antifaschistischen Spanien“. Sie vergisst einfach, uns zu sagen, nicht umsonst, dass der antifaschistische Krieg in Spanien vom kapitalistischen Staat geführt wird, der aufrecht bleibt, und dass die Proletarier in den Tod geschickt werden, um ihn zu verteidigen. Natürlich werden diejenigen, die sich nicht für eine Sache umbringen lassen, die nicht ihre eigene ist, erschossen; und die Militanten, die das Pech haben, nicht damit einverstanden zu sein, werden ins Gefängnis gesteckt. Diejenigen, die es wagen, von einem sozialen Wandel zu sprechen, werden heimlich ermordet. So einfach ist das.

Man muss wissen, dass in diesem so genannten „antifaschistischen“ Spanien der konterrevolutionäre Terror regiert. So erfahren wir dank Alerta3, dass es bereits Hunderte von „Menschen gibt, die nicht mehr zu Hause schlafen können“, weil sie „offizielle Papiere“ haben… „die Nachtstunden nutzen, um die Häuser unserer Gefährten aufzusuchen und diejenigen mitzunehmen, die sie in ihren Häusern finden und von denen sie nie wieder etwas hören werden“. Das Stärkste ist, dass „diese mörderischen Bewaffneten sich Antifaschisten nennen“. Man erfährt auch, dass „die Frauen und Kinder derjenigen, die in den Schützengräben kämpfen und fallen, betteln und sich aus Not prostituieren, während die Minister und ihre Trabanten, die Schergen der Nachhut, alles genießen und missbrauchen“.

Es sollte auch bekannt sein, dass „allein in den Gefängnissen von Katalonien mehr als dreitausend Arbeiter inhaftiert sind“ und dass in nur einer Woche „48 faschistische Elemente das Gefängnis von Barcelona verlassen haben, um Platz für 60 Antifaschisten zu schaffen“. Wir wollen nicht weiter darauf bestehen; diese kurzen Zitate zeigen deutlich, dass es für diejenigen, die ihr Klassenbewusstsein bewahrt haben, keine andere Freiheit gibt, als sich ohne zu zögern für die Verteidigung des Kapitals, das im „antifaschistischen“ Spanien weiterhin existiert, töten zu lassen.

Dann kann es sein, dass man uns zuruft: „Hört auf zu kritisieren!“ Aber es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um zu schweigen! Wir glauben, dass es an der Zeit ist, den Verrat des Proletariats durch seine Führer, sowohl in Spanien als auch in Frankreich, anzuprangern. Vor allem, wenn man sieht, wie ein Sebastian Faure öffentlich erklärt, dass „der Feind Nummer eins der Faschismus ist, der die Freiheit brechen will“, und damit den Vorwand liefert, der es dem französischen Kapitalismus damals wie heute erlaubt, mit der Zustimmung und Unterstützung der Führer der Arbeiterklasse einen Krieg vorzubereiten.

Niemand ignoriert in der Tat, dass der nächste Krieg ein antifaschistischer Krieg sein wird. Mit anderen Worten, ein Krieg zur Verteidigung der Freiheit, die der Faschismus „brechen“ will. Welche Art von Freiheit ist das?

Zweifelsohne das, womit der Kapitalismus das Proletariat so großzügig belohnt, nämlich die Freiheit unter der Lohnsklaverei! Denn im kapitalistischen Regime gibt es keine andere mögliche Freiheit: Nur die Freiheit, im Dienste des Kapitals zu sterben, ist erlaubt. Diejenigen, die sich dieser Freiheit nicht unterwerfen, wissen, was mit ihnen geschieht. Und um diese Freiheit zu verteidigen, sind die „Anarchisten“ bereit, hier die Union sacrée zu formalisieren, die die CNT-FAI bereits in Spanien vollzogen hat, indem sie den revolutionären Kampf gegen den Staat aufgeben und sich an der so genannten republikanischen Regierung beteiligen, wenn die Bourgeoisie ihnen dies erlaubt.

Besonders erstaunlich ist, dass die Union anarchiste, die die Haltung der CNT-FAI vorbehaltlos gutheißt und verteidigt, vor allem durch die Feder von Leshortes weiterhin die Parole „Nein zur nationalen Verteidigung unter kapitalistischer Herrschaft“ predigt. Dies ist eine inakzeptable Haltung, die wir anprangern müssen. Man muss uns sagen, ob es Umstände gibt, oder nicht, die das Proletariat dazu zwingen, einen antifaschistischen Krieg unter der Ägide des bourgeoisen Staates zu führen, d.h. den antistaatlichen Kampf aufzugeben und die antifaschistische Union sacrée zu vollziehen, wie es die CNT-FAI getan hat.

Seit jeher ist der revolutionäre Kampf für einen Anarchisten ein Kampf gegen den Staat, insofern der Staat das Mittel der herrschenden Klasse darstellt, um die Arbeit dem Kapital zu unterwerfen, d.h. das Proletariat auszubeuten. Das ist gleichbedeutend mit der Aussage, dass der Staat für einen Anarchisten „der Feind Nr. 1“ bleibt, solange er nicht zerstört wird.


AKRONYME:

CNT: Confederación Nacional del Trabajo – Nationale Konföderation der Arbeit FAI: Federación Anarquista Ibérica – Iberische Anarchistische Föderation SIA: Solidaridad Internacional Antifascista – Internationale Antifaschistische Solidarität


1In diesem Text sind alle geschwärzten Wörter vom Autoren selbst: Attruia.

2A.d.Ü., die Union Anarchiste war eine anarchistische Organisation in Frankreich die unter verschiedenen Namen ab 1920 existierte, bis sie sich 1944 auflöste. Einige Mitglieder würden dann kurz darauf die Federation Anarchiste gründen.

3Klandestine Zeitung der comités de defensa (Verteidigungskomitees) der CNT, welches von Oktober bis Dezember 1937 veröffentlicht wurde.

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