(Spanischer Staat) Die Pandemie der Repression und des Alarmzustandes

Dieser Artikel erschien in der Nr. 9, der anarchistischen Straßenzeitung Aquí Y Ahora Nr. 9, aus Madrid, von uns übersetzt.

Die Pandemie der Repression und des Alarmzustandes

Für die große Mehrheit von uns ist dies unsere erste Pandemie. Wir sind Neulinge in Quarantäne- und Alarmzuständen, und dieses neue Szenario, das sich mit schwindelerregender Geschwindigkeit entwickelt, hat praktisch jeden Tag neue Maßnahmen umgesetzt, mit der Begründung, dass mehr oder weniger, die Menschheit von einem Virus verwüstet werden würde.

Alarmzustand

Der Alarmzustand wird von der Regierung durch einen königlichen Erlass erklärt, der vom Ministerrat beschlossen und dem Abgeordnetenkongress gemeldet wird. Diese Situation kann bei Katastrophen, Erdbeben, Überschwemmungen, schweren Unfällen, Wald- oder Stadtbränden, Gesundheitskrisen, der Lähmung wesentlicher öffentlicher Dienste für die Gemeinschaft oder einem Versorgungsengpass mit lebensnotwendigen Gütern eintreten.

Der Präzedenzfall, den wir in diesem Land hatten, war der Fluglotsenstreik im Jahr 2010, als zum ersten Mal seit 35 Jahren der Alarmzustand ausgerufen wurde und die Armee den Dienst übernahm, als der Flugverkehr durch den Streik gelähmt war und die Arbeiter gezwungen wurden, auf ihre Posten zurückzukehren, mit Gefängnisstrafen wegen des Verbrechens der Rebellion.

Heute stehen wir wieder einmal vor der Anwendung des Alarmzustandes, aber mit globalen Folgen und Rückwirkungen auf absolut die gesamte Bevölkerung. Wir hatten kaum Zeit, eine neue Regierungsmaßnahme zu assimilieren, als sie beschlossen, uns die nächste mitzuteilen, aber gleichzeitig war es nicht schwierig, diese Verbote mit der unvermeidlichen Folge zu verbinden, dass unsere grundlegendsten Freiheiten erheblich eingeschränkt würden. Und wir haben uns nicht geirrt, denn viele verschiedene Bereiche der Gesellschaft hatten bereits darauf hingewiesen, dass der Einsatz von sozialer Panik, Isolation und Bestrafung für diejenigen, die sich nicht daran halten, unzählige soziale, persönliche, körperliche und geistige Konsequenzen mit sich bringen würde.

 

Die Armee auf der Straße

Kann wirklich gegen einen Virus mit dem Militär auf der Straße gekämpft werden? Wird eine Krankheit mit Waffen, Panzern, Jeeps, Hubschraubern, Lastwagen und allen möglichen militärischen Utensilien bekämpft? Welchen Sinn hat die Präsenz des Militärs in einer Situation wie der, die wir gerade erleben?

Wie wir bereits erwähnt haben, kann die Armee, wenn ein wesentlicher öffentlicher Dienst streikt und die gesamte Bevölkerung betrifft, als Streikbrecher fungieren und die Macht übernehmen. In diesem Fall ist es nicht einmal eine ähnliche Situation, denn die wesentlichen Dienstleistungen sind genau diejenigen, die in Betrieb geblieben sind, während wir praktisch auf die gesamte Produktion und den gesamten Verbrauch in diesem Land verzichtet haben (andererseits haben wir erkannt, wie nutzlos praktisch alles ist, was wir produzieren und konsumieren). Daher kommen uns in einem Kontext wie dem, in dem wir uns befinden, wo nichts die militärische Präsenz rechtfertigt, um irgendetwas zu übernehmen, Informationen in den Sinn, die perfekt passen. Die Vereinigten Staaten haben 20.000 Militärangehörige nach Europa entsandt, um weitere 10.000 im Rahmen einer Operation mit der Bezeichnung „Europe Defender 2020“ zu entsenden, mit der die Strategien getestet werden sollen, die in den Vereinigten Staaten und Europa im Falle von Bedrohungen, die zu einem hypothetischen Krieg, Aufständen, Revolten usw. führen könnten, anzuwenden sind. Genauso wie 7.000 Soldaten in Süditalien mit der Absicht eingesetzt wurden, „mögliche Aufstände einzudämmen und abzuwehren, die aufgrund der Wirtschaftskrise stattfinden werden“, oder in Spanien, wo bereits verschiedene soziale Mobilisierungen, Streiks usw. angekündigt sind (die sich seit Beginn dieser Pandemie ereignet haben). Politiker und „Experten“ verschiedener Art haben bereits davor gewarnt, dass es mehr als möglich ist, dass sich ein Szenario von Konfrontationen auf den Straßen abzeichnet, und dieses Mal könnten diejenigen, die uns eindämmen wollen, neben der Polizei auch das Militär sein.

 

Polizei- und Militärstaat

Wenn es eine Sache gibt, die uns von diesen zwei Monaten der Quarantäne nicht loslässt, dann ist es der Polizeistaat, dem wir täglich unterworfen sind. Es ist, dass „der Brief mit dem Blut hereinkommt1“, und in Bezug auf verschärfte Bestrafung und Autorität, wurden uns Verhaltensregeln und Gefangenschaft/Ausgangssperre auferlegt, wie wir sie noch nie zuvor erlebt haben.

Die Polizeipräsenz in Form von Sanktionen und Festnahmen ist (vorläufig) mit diesen Zahlen festgelegt: mehr als 740.000 Geldstrafen und mehr als 5.500 Festnahmen, und diese Zahl der Anzeigen liegt nahe an der Gesamtzahl der zwischen 2015 und 2018 durch das Maulkorbgesetz (Ley Mordaza) verhängten Sanktionen, die sich laut dem Statistikportal der inneren Kriminalität (Innenministerium) auf 765.416 summierten.

Die Autonome Gemeinschaft Madrid2 hat bei mehreren Gelegenheiten den Einsatz des Militärs in der Cañada Real gefordert, um die Gefangenschaft/Ausgangssperre durchzusetzen, so wie in einem Stadtteil Málagas die Armee mit Panzern vor Wochen mit derselben Absicht als Polizei agierte, um nur zwei Beispiele zu nennen. Beide Stadtviertel gelten als „konfliktiv“ gemäß der normativen Katalogisierung, die üblicherweise verwendet wird, oder, wie wir lieber sagen würden, mit einem hohen Index von Armut, Marginalität und dem Fehlen von Maßnahmen aller Art, sogar, um der auferlegten Gefangenschaft/Ausgangssperre folge zu leisten, da sie zur Einhaltung gezwungen wurde.

 

Technologie: ein großer Verbündeter der Repression

Die Regierung hat „DaraCovid-19“ lanciert, einen Plan zur Verfolgung von Bevölkerungsbewegungen über eine kostenlos herunterladbare Anwendung auf Mobiltelefonen. Die Ausrede ist, dass die Daten nur während des gesundheitlichen Notfalls verwendet werden, danach gelöscht werden und während des gesamten Prozesses anonym bleiben. Es ist beabsichtigt, eine territoriale Karte zu erstellen, in der differenzierte Gebiete mit ihren jeweiligen Verhaltensmustern in Bezug auf die Quarantäne eingezeichnet werden können, um herauszufinden, welche Viertel oder Stadtteile unerwünschte „Modellverhaltensweisen“ aufweisen und daher Ausnahmemaßnahmen angewandt werden könnten. Die Absicht dieses Plans ist nicht hygienisch: Er zielt darauf ab, die Bewegungen der Bevölkerung nach Zeit und Gebiet zu kennen, um vorhersehen zu können, welche Gebiete im Falle einer weiteren Verschärfung der Maßnahmen oder bei Beginn sozialer Proteste zu irgendeinem Zeitpunkt am „kompliziertesten“ sein werden.

Zur gleichen Zeit und mit einer gewissen Verzögerung erschien „Covid Monitor“, eine von Minsait, der IT-Tochter von Indra, entwickelte App, die es den Benutzern ermöglicht, den Grad ihrer Exposition gegenüber dem Virus je nach ihrem Standort jederzeit zu erfahren und gleichzeitig den Gesundheitsbehörden Informationen über das individuelle Verhalten der Bürger zu liefern, um „die Pandemie zu bekämpfen“. Die Anwendung ermöglicht die Geolokalisierung des Benutzers, um zu überprüfen, ob er sich in der autonomen Gemeinschaft3 befindet, in der er vorgibt sich befinden, neben Dutzenden von anderen Funktionen, die es ermöglichen, den Benutzer auf nicht-anonyme Weise zu kennen, und somit einen vollständigen Datensatz mit allen Arten von Informationen, Verhaltensmustern, Gewohnheiten usw. zu erstellen.

Die europäische Datenschutzverordnung schützt und gibt grünes Licht für all diese Maßnahmen, weil sie auf eine „Ausnahmesituation“ zurückzuführen ist, die „die lebenswichtigen Interessen der Betroffenen und Dritter“ zu gewährleisten sucht. Tatsächlich genehmigt die Verordnung diese Datenverarbeitung „für humanitäre Zwecke, einschließlich Epidemien oder Notfallsituationen im Falle von Naturkatastrophen oder von Menschen verursachten Katastrophen“.

Wir beziehen uns auch auf Drohnen, QR-Codes, die uns sagen, wo und wie wir Bereiche der Stadt erreichen können, Chips, Gesichtserkennungssysteme usw. Wir müssen noch viele neue Maßnahmen ergreifen, die Teil der „neuen Normalität“ sein werden, vor der wir bereits gewarnt werden, und fast alle von ihnen werden ausgefeiltere und perfektioniertere technologische Implementierungen zur Kontrolle von Bevölkerungsbewegungen und die konsequente Anwendung von mehr technologischer und effektiver Repression durchlaufen.

 

Angst als Rechtfertigung für Repression

Keine Angst, alles wird gut, es gibt nichts, wovor man sich fürchten muss, aber wir werden alle sterben“. Das ist so ziemlich die Botschaft, die uns die ganze Zeit über erreicht hat. Falsche Absichten, um die Menschen zu beruhigen, alarmierende Nachrichten, Todesanzeigen, Polizeistaat, Hinweis und Bestrafung derjenigen, die sich nicht an die Quarantäne halten, keine wirkliche Information, Sensationalismus… Aber all dies ist Teil einer sozialen Panikkampagne, die darauf abzielt, Selbstbeherrschung und Selbstisolierung zu erzeugen und unter dem Vorwand der Ansteckung auf den Tod, die Ausbreitung der Pandemie und die persönliche Verantwortung als fast einzige Möglichkeit hinzuweisen, um das Virus zu stoppen; persönliche Verantwortung, die durch Desinformation und Furcht gedeckt wird, als eine Möglichkeit, Politik zu machen. Es gibt keine bessere Möglichkeit, Menschen zu kontrollieren, als ihnen das Gefühl zu geben, dass jede Bewegung außerhalb der Quarantäne ihre Gesundheit und die ihrer Angehörigen direkt bedroht. Auf dieser Grundlage, wird der sozialen Kontrolle und Selbstbeschränkung auf einen selbst gedient.

 

Mehr Autoritarismus

Diese Situation verdeutlicht eine Realität, die viel unmittelbarer ist, als wir dachten. Mehr oder weniger allen war bewusst, dass die Technologie sprunghaft voranschritt und in vielen unserer Tätigkeitsbereiche bleiben und uns ersetzen würde. Wir wussten, dass die Einschränkungen der Freiheit und der Aktionen, die wir in den letzten Jahren erlebt hatten, aufgrund einer möglichen neuen Immobilienkrise weiter zunehmen würden. Wir wussten, dass wir immer mehr Polizei auf den Straßen sahen, mehr Strafen, mehr Verbrechen, die in der Vergangenheit nicht strafbar waren, mehr Feindseligkeit und Sparmaßnahmen, mehr Verurteilungen. Wir wussten, dass die Verarmung der Bevölkerung, auch in bestimmten Teilen, die von dieser Situation weiter entfernt waren, im Laufe der Zeit zu einer realen Tatsache werden konnte, und wir wussten, dass diese und viele andere Folgen des Kapitalismus auf die eine oder andere Weise von denselben Menschen aufgefressen werden mussten, wie immer. Worüber wir uns nicht so sicher waren, war, dass alles so schnell, über Nacht geschehen würde, weil wir in unserer etapistischen Mentalität dachten, dass all diese Veränderungen schrittweise stattfinden würden. Ein Virus ist gekommen, um die Wirtschaft auszulöschen, um die unproduktivsten Menschen, die am meisten Geld kosten, auszulöschen, um den Kapitalismus wieder einmal neu zu justieren, um Arbeitsmaßnahmen einzuführen, die versklavter sind als die vorherigen, um uns wieder einmal aus unseren Häusern zu vertreiben, um die Städte in noch feindseligere Räume zu verwandeln, um noch mehr Dinge zu verbieten, die mit Freiheit, Bewegung, Meinungsäußerung, politischer Uneinigkeit zu tun haben.Um die Gesetze noch mehr zu verhärten und sie gegen diejenigen anzuwenden, die rebellieren, um auf viele der sozialen Eroberungen zu verzichten, die durch Streiks, Angriffe, Sabotage, Selbstorganisation, direkte Aktionen, Gefangene und Tote erreicht wurden.

Es gibt eine klare Tendenz, die Systeme, in denen wir leben, autoritärer und näher an faschistischen Haltungen, zensierender, restriktiver und repressiver zu machen.

Aber nicht alles ist verloren, wie uns einige Sektoren glauben machen, und nicht gerade Sektoren der Macht. Der Unterschied zwischen uns und denen, die nur das Ende der Welt sehen, besteht darin, dass wir Kampfszenarien entwerfen und Schlussfolgerungen aus dieser Situation ziehen. Die Verschwörung verbündet sich mit der Macht um die Leute zu demobilisieren.

Lassen wir uns nicht darin verwickeln. Harte Zeiten kommen, aber auch Kämpfe und Widerstand. Wir werden uns auf den Straßen sehen.

1A.d.Ü., spanische Version von „Ohne Fleiß, kein Preis“

2A.d.Ü., die Länder haben in Spanien einen Autonomiestatut und sind nicht wie in Deutschland Bundesländer

3A.d.Ü., siehe Fußnote 2

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