(Alfredo Maria Bonanno) Anarchismus und Aufstand

Quelle: Alfredo M. Bonanno: „Anarchismus und Aufstand“, Edition Irreversibel in Zusammenarbeit mit Konterband Editionen, ohne Ort, August 2014.

Alfredo M. Bonanno

Anarchismus und Aufstand

Einleitung

Mit der Herausgabe von dieser Zusammenstellung von Texten, in einer Übersetzung, so hoffen wir, die ihrer ursprünglichen Konsistenz einigermassen gerecht wird (oder zumindest ihr korrektes Verständnis ermöglicht, im Gegensatz, leider, zu einigen bisher zirkulierenden Übersetzungen), möchten wir der deutschsprachigen anarchistischen Bewegung ein Buch zur Verfügung stellen, das dazu beitragen kann, unsere Horizonte zu erweitern. Die Probleme, die hier behandelt werden, können uns ein Bild von der Potenzialität einer anarchistischen Bewegung verschaffen, die sich manchmal dagegen zu sträuben scheint, sie in ihrem ganzen Umfang zu erfassen. Eine Potenzialität, sicher, die auch beängstigen kann, angesichts der immensen Verantwortung, vor die sie uns stellt. Verantwortung vor unserem eigenen Gewissen, versteht sich, vor niemandem sonst, vor unserem Gewissen als Anarchisten, bewusst über das Elend dieser Welt und über die unaufschiebbare Notwendigkeit von einer gewaltsamen Revolution, um der Ausbeutung und der Unterdrückung ein Ende zu setzen. Je mehr wir uns dieser Dringlichkeit und gleichzeitig unserer Potenzialität gewahr werden, desto mehr verlangt dieses Gewissen, uns zu involvieren, uns einzusetzen, uns aufs Spiel zu setzen, und zwar mit unserem ganzen Selbst. Und das Gewissen, wie man weiss, kann oft der erbarmungsloseste Richter sein. Viel beruhigender ist es, die Widrigkeit und die Mängel der Umstände festzustellen, und in einer selbstgerechtfertigten Marginalisierung unser Dasein zu fristen.

Aber dieses Buch ist nichts für die Gemüter, die sich beruhigen wollen. Auch nichts für jene, die diese Beruhigung in irgendwelchen Modellen und Rezepten suchen. Das sei hier unterstrichen. Dieses Buch richtet sich an jene, die auf der Suche nach Wegen, das revolutionäre Projekt der Anarchisten voranzutreiben, vor keiner Frage zurückschrecken, und sich von der beunruhigenden Potenzialität, die sich hierin birgt, vielmehr dazu ermutigen lassen, die dringend nötige Arbeit von theoretischer Vertiefung und von praktischer Realisierung in Angriff zu nehmen. Denn, ab dem Moment, wo wir uns dazu bereit machen, an der Vertiefung und der Realisierung von unserem eigenen revolutionären Projekt zu bauen, und uns in erster Person, als agierende Kraft, in die Realität der laufenden sozialen Konfrontation einfügen, egal wo und in welchem Grad sie sich gerade ausdrücken mag, kann sich diese Potenzialität, in all ihren Einzelheiten und scheinbar entlegenen Implikationen, als konkrete Perspektive vor uns öffnen.

Diese Zusammenstellung hat aber auch einen essenziellen Mangel, jenen Mangel, den im Grunde jede Zusammenstellung hat. Texte zu versammeln, die aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgerissen sind, um sie, ausselektiert und aneinandergereiht, in einem anderen Kontext neu zu publizieren, bringt immer seine Gefahren mit sich. Die Gefahr, beispielsweise, als abgeschlossenes theoretisches Modell, als eine Art Handbuch betrachtet zu werden, anstatt als eine in Entwicklung befindliche Vertiefung von Fragen, als Frucht von einem Parcours von Kämpfen und Reflexionen. Aber auch die Gefahr, selbstverständlich, aufgrund der mangelnden kontextuellen Bezüge stellenweise schwer verständlich zu erscheinen.

Was die erste Gefahr betrifft, so können wir nur auf die Intelligenz des Lesers vertrauen. Was die zweite betrifft, so will diese Einleitung wenigstens ansatzweise versuchen, etwas abzuhelfen.

Die meisten der hier publizierten Texte wurden in der ersten Hälfte der 80er Jahre verfasst, und fügen sich in den Kontext des Defätismus ein, der auf den Niedergang des revolutionären Elans folgte, der um 1977 seinen Höhepunkt erreichte, mit massenhaften Konfrontationen, Schul- und Fabrikbesetzungen und bewaffneten Angriffen in ganz Italien. Anstatt die Gründe für diesen Niedergang kritisch zu evaluieren, um sich danach auszurichten, den Himmel ein weiteres Mal in Ansturm zu nehmen, liessen sich damals viele Gefährten dazu herab, in allgemeinem Namen zu deklarieren, dass „der Krieg vorbei sei“, dass die Bedingungen es nicht mehr erlauben, weiterzukämpfen, um sich stattdessen danach auszurichten, vom Staat Amnestie zu erlangen [siehe: E noi saremo sempre pronti a impadronirci un altra volta del cielo. Contro l‘amnistia. Alfredo M. Bonanno, Catania, 1984]. Während einerseits, in den Gefängnissen, wo sich ein grosser Teil der Bewegung wiederfand, das Phänomen der “Dissoziation”, des Bereuens vor Gericht oder sogar der offenen Denunziation grassierte, verbreiteten sich andererseits immer mehr Positionen, um das eigene Ablassen vom Kampf in geschickte theoretische Rechtfertigungen zu packen [siehe den Artikel “Das Ideal in Trümmern”]. Die Gefährten rund um die Zeitschrift “Anarchismo” stattdessen nahmen sich der dringenden Aufgabe einer kritischen Vertiefung an, indem sie unter anderem zwei der Fragen untersuchten, die den revolutionären Kampf in Italien, aber auch in vielen anderen Ländern in diesen Jahren prägten: einerseits die angebliche Zentralität des Fabrikarbeiters, und die daran gebundenen syndikalistischen und operaistischen Konzepte; andererseits das Modell der bewaffneten Gruppen, von jenem von marxistisch-leninistischer Prägung, wie den Brigate Rosse, bis zu libertären Vorschlägen wie Azione Rivoluzionaria.

Was die Kritik an der Zentralität der Fabrikarbeiterklasse betrifft, so müssen wir uns die umfassenden Umstrukturierungen bewusst halten, die in den 70er- und 80er-Jahren die Bedingungen der kapitalistischen Ausbeutung, und somit auch der Klassenkonfrontation fundamental umgestalteten. Den grossen Widersprüchen, vor denen die industrielle Produktionsordnung in diesen Jahren stand, und somit auch dem revolutionären Elan, den sie Ende der 70er Jahre provozierten, konnte mit einer massiven Aufstückelung und Flexibilisierung der Produktion abgeholfen werden, die nur durch die Einführung der aufkommenden telematischen und informatischen Technologien möglich wurde. Diese Dezentralisierung der Ausbeutungsrealitäten, und somit Zerstückelung der Arbeiterklasse, benachteiligte die alten assoziationistischen Modelle von gewerkschaftlicher und parteilicher Natur, auch in ihren anarchistischen Abwandlungen, was, im Vergleich zu früher, die Angemessenheit von einer informellen Auffassung der Organisation an die Bedingungen der Klassenkonfrontation bestärkte. Diese Auffassung, schon immer präsent in der anarchistischen Bewegung, wurde von den italienischen Gefährten rund um die Zeitschrift „Anarchismo“ ausgearbeitet, während sie das anarchistische aufständische Projekt, das in Italien seit der Zeit der Ersten Internationale seine Entwicklungen fand, mit den veränderten Bedingungen konfrontierten, weiterentwickelten, und immer wieder erneut vorschlugen.

Ausgehend von einer artikulierten Kritik am Syndikalismus [siehe: Critica del sindacalismo, in “Anarchismo”, Nr. 2, 1975], nicht nur aufgrund von seiner historischen Rückentwicklung, die heute offensichtlicher ist denn je, sondern auch aufgrund der ihm intrinsischen Grenzen, auch in seinen anarchistischen und revolutionären Versionen, was die Möglichkeiten zur Entwicklung der Selbstorganisation der Kämpfe der Ausgebeuteten betrifft, wurden Vorschläge für autonome Basisstrukturen entwickelt, die auf den Charakteristiken der aufständischen Methode beruhen: Angriff, Selbstorganisation, permanente Konflikthaltung. Realisierungen von solchen Strukturen wurden beispielsweise im Verlaufe der autonomen Bahnarbeiterbewegung von Turin 1977, oder im Verlaufe der Intervention gegen den Bau eines Raketenstützpunktes in Comiso, Sizilien, 1982-1983 realisiert [auf Deutsch siehe: Organisationsdokument der selbstverwalteten Ligen, in dem Buch “Reise ins Auge des Sturms”, Pierleone M. Porcu, Konterband Editionen, S. 143-157]. Bei dieser letzteren Erfahrung, die in dem Buch “Teoria e pratica dell‘insurrezione” ausführlich Dokumentiert ist, handelt es sich gewiss um den artikuliertesten Versuch, diesen organisatorischen Ansatz zu realisieren. Während gut zwei Jahren begab sich eine Gruppe von Gefährten nach Comiso, in Sizilien, um in dem Konflikt rund um den Bau einer amerikanischen Militärbasis für Atomraketen ihre aufständische Intervention zu entwickeln. Nach einer intensiven Arbeit zur Verbreitung ihrer Analyse von der Situation, vom Kontext dieses repressiven Projekts und von seinen Konsequenzen spezifisch für die umliegende Bevölkerung, und schliesslich von ihren Kampfvorschlägen als Anarchisten, durch dutzende Redekundgebungen in den Dörfern und Städten, zehntausende Flugblätter (unter anderem an die betroffenen Arbeitersektoren), Gespräche, Diskussionen, Treffen, etc., wurde die Kreierung von “selbstverwalteten Ligen” und von einer “Koordination” initiiert, um gemeinsam mit den Leuten den Kampf, und schliesslich einen aufständischen Massenangriff organisieren zu können, mit dem Ziel, den Stützpunkt zu zerstören. Es kann sicher hilfreich sein, sich bei manchen Konzepten in diesem Buch diese gemachte Erfahrung präsent zu halten.

Mit der Frage der autonomen Basisstrukturen befinden wir uns, im Grunde genommen, beim Kernpunkt der aufständischen Methode. Und dennoch ist es gerade dieser Punkt, der oft aussen vor gelassen wird. Die Gründe dafür können viele sein. Zunächst einmal scheint es nicht einfach, ihn auf korrekte Weise zu verstehen, und der Missverständnisse lauern viele. Dann vielleicht die Tatsache, dass man, um solche Strukturen auf angemessene Weise realisieren zu können, präzise Analysen der uns umgebenden sozialen Realität benötigt, der Bedingungen der Klassenkonfrontation im Allgemeinen, sowie spezifisch und lokal um das jeweilige Projekt der Macht, gegen das man intervenieren will, Analysen, die heute unter Anarchisten oft Mangelware sind und deren Aneignung, auf fatale Weise, als zweitrangig abgetan wird. Eine Tendenz, vielleicht, die auch auf den Einfluss der modernen Kommunikationstechnologien zurückzuführen ist, die dazu verleiten, die eigene Kenntnis mehr auf die oberflächliche Flut von Fakten, anstatt auf ein eigentliches Verständnis der Bewegungen und Prozesse innerhalb der Realität zu basieren, und die eigene Tätigkeit mehr anhand von ihrer künstlichen medialen Repräsentation (Zeitungen, Internet, etc.), als anhand von ihrem effektiven Einwirken in eine spezifische Realität des sozialen Konflikts zu orientieren. Wie dem auch sei, wenn die Fragen der spezifischen Organisation, also der Affinitätsgruppe und der informellen anarchistischen Organisation, die in diesem Buch ausführlich behandelt werden, irgendeinen Sinn haben, dann insofern, wie sie dazu beizutragen, besser in die Realität intervenieren zu können. Darin werden wir uns einig sein. Aber diese Intervention, worin besteht sie? In der Propagierung unserer Ideen? In der Realisierung von spezifischen Angriffen? Zweifellos. Das sind fundamentale Aspekte. Aber es sind auch sehr begrenzte Aspekte, wenn sie nicht mit einem weitergehenden aufständischen Projekt verbunden sind, dem es gelingt, die Leute mit einzubeziehen.

Wenn unser Ziel, an sich, nicht das Anwachsen als spezifische Organisation ist, was in einer Perspektive, die nicht auf die Macht ausgerichtet ist, nicht das Ziel, sondern allenfalls eine an die effektive Entwicklung der Kämpfe gekoppelte Tatsache sein kann, so ist es hingegen das Anwachsen der Selbstorganisation der Kämpfe der Ausgebeuteten. Und jeder soziale Kampf, der konkrete Ziele realisieren will, der Beeinträchtigungen erleichtern oder beseitigen will, denen die Leute vonseiten der Macht unterzogen werden, und der aufständische, geschweige denn irgendwann revolutionäre Dimensionen annehmen soll, stellt organisatorische Probleme, denen wir nicht einfach im Namen von irgendeinem “Spontaneismus” oder irgendeiner “Reinheit” aus dem Weg gehen können. Eben hier stellt sich das Problem der Notwendigkeit von autonomen Basisstrukturen, die keine anarchistischen Strukturen sind, sondern Strukturen der Leute sein müssen, zu deren Entstehen wir aber beitragen können, falls es uns gelingt, unsere Ghettos zu verlassen, die soziale Realität um uns zu verstehen, und ihr entsprechende Vorschläge zu machen. Die oben genannten Charakteristiken der aufständischen Methode: der Angriff (das Ergreifen der Initiative zur direkten Aktion), die Selbstorganisation (die Autonomie von jeglichen politischen Organisationen) und die permanente Konflikthaltung (die Positionierung in einem sozialen Konflikt, der nicht auf Termine wartet und über das vorgenommene Teilziel hinaus besteht), sind jedoch fundamental und müssen von Anfang an klargestellt sein, damit sich diese Strukturen nicht in para-gewerkschaftliche, assistenzialistische oder politische Organismen verwandeln. Ausserdem müssen sie stets und einzig auf ein klar definiertes Ziel ausgerichtet sein, nach dessen Erreichung oder Verschwinden sie, da sie nicht auf ein endloses quantitatives Wachstum ausgerichtet sind, als Struktur keinen Daseinsgrund mehr haben und sich auflösen.

Doch auf diese Probleme wird in diesem Buch, insbesondere in dem Text “insurrektionalistischer Anarchismus”, genauer eingegangen werden.

Um auf den zweiten der obengenannten Punkte, auf die Frage des bewaffneten Kampfes zurückzukommen, so wurde die Möglichkeit und die Notwendigkeit des bewaffneten Angriffs gegen den Klassenfeind stets verteidigt, ohne ihn deswegen auf eine höhere Stufe zu stellen als andere Interventionsmethoden, die allesamt auf eine Erhöhung des Levels der Konfrontation abzielen sollten. Und eben im Sinne dieses letzteren Aspekts wurden die mehr oder weniger parteilichen Modelle von bewaffneten Gruppen kritisiert, die sich als Avantgarde, als Sprachrohr des revolutionären Kampfes verstanden, und die ihren Aktionen, oft in der leninistischen Perspektive einer Erstürmung des Winterpalastes, durch Scheinwerfer, Kommuniqués und Akronyme Gültigkeit zu verschaffen suchten, während sie eine Trennung zwischen sich und der sozialen Konfrontation in ihrer Gesamtheit kreierten. Gegenüber der Idee von spektakulären, spezialisierten und militärischen Angriffen, die versuchen, ein angebliches “Herz” der Macht zu treffen, wurde die Notwendigkeit von verstreuten, kleinen, und leicht zu reproduzierenden Angriffen, von Sabotagen verteidigt, die eben durch die weiter oben genannte Dezentralisierung und Aufstückelung überall möglich wurden. Mit dem Verschwinden der Zentralität in den Produktionsstrukturen, nämlich, hat sich auch die Macht über das gesamte Territorium ausgeweitet, und die heute notwendige Flexibilität ihrer Strukturen wird durch die Verbindungen garantiert, die sich überall unter den Gehsteigen, auf den Häuserdächern, und quer übers Land verstreut finden. In diesem Kontext müssen, zum Beispiel, die mehr als tausend Strommasten gesehen werden, die in diesen Jahren in ganz Italien zu Fall kamen.

Tatsächlich war die Entwicklung des insurrektionalistischen Anarchismus in seinen methodologischen Aspekten, unter den veränderten ökonomischen und sozialen Bedingungen, mit denen sich die italienischen Anarchisten in den 70ern und 80ern konfrontiert sahen, und mit denen wir uns, grösstenteils, wenn auch in einer weiterentwickelten Form, auch heute noch konfrontiert sehen, fundamental mit einer analytischen Vertiefung von eben diesen Bedingungen verbunden. Die Texte, die hier publiziert werden, praktisch ausschliesslich Behandlungen von, eben, methodologischen Fragen, müssen unbedingt im Kontext von diesen Analysen gesehen werden. Der Wichtigkeit dieser analytischen Vertiefungen, von der auch in den Beiträgen von Rovereto [Individuum, Affinitätsgruppe, informelle Organisation] die Rede ist, wird in diesem Buch, durch die Selektion der Texte, leider nicht zu Genüge gekommen. Das ist ein grosser Mangel. Dem ist es unmöglich, an dieser Stelle abzuhelfen, und das bleibt vielmehr Aufgabe von künftigen Publikationen.

Wir machen uns keine Illusionen darüber, dass dieses Buch genügen wird, um die darin enthaltenen Konzepte verständlich zu machen. Die Worte sind verständlich in Abhängigkeit von der Situation, in der man sich befindet, von den Erfahrungen, die man erlebt hat, und von den Kenntnissen, die man erworben hat. Wir müssen also auch gewillt sein, die Situation zu verändern, Erfahrungen zu machen und Kenntnisse zu erwerben. Doch für jene, die sich zum Verständnis disponieren wollen – sei es schliesslich mehr zustimmend oder weniger – kann dieses Buch, davon sind wir überzeugt, ein fundamentaler Beitrag zu einer Vertiefung von einigen Fragen sein, mit denen sich ein jeder Revolutionär, der sich nicht selbst etwas vormachen will, konfrontiert sieht. Und wir hoffen, dass es dem einen oder der anderen bei der Ausarbeitung ihres revolutionären Projekts behilflich sein kann.

August 2014

Was ist der Aufstand?

Erste grundlegende Annäherung

Der Aufstand ist eine eingegrenzte Massenbewegung, die gewaltsam eine Struktur der Macht angreift.

Diese Definition ist sehr ungefähr und es ist daher hilfreich, zu versuchen, sie zu vertiefen.

In ihr unterscheiden sich drei Elemente:

  1. Die Begrenztheit der Massenbewegung;
  2. Die Gewalt des Angriffs;
  3. Die Partialität der Struktur der Macht.

Eine Kritik des Aufstands ist daher sehr leicht. Eine eingegrenzte Massenbewegung bedeutet: minoritär, schwach, ineffizient. Sie wird mit Leichtigkeit zerstört, kriminalisiert, und ist ein Widerspruch in sich selbst, da sie, wenn sie eine Massenbewegung ist, danach streben muss, sich auszuweiten. Zu Anfang mag sie klein sein, aber dann, unter solchen Bedingungen, ist es nicht angebracht, sich zu bewegen. Und abgesehen davon muss eine Bewegung, die tatsächlich am anwachsen ist, die in den Anfängen ist, oder die, aus verschiedenen Gründen, begrenzt bleibt, eben weil sie keinen Raum findet, eine Entscheidung treffen, um sich zu bewegen, bei einer grossen Massenbewegung hingegen sind es eben diese enormen Ausmasse von ihr, die sie auf natürliche Weise, ohne sie zu Entscheidungen zu zwingen, veranlassen, als spontane Konsequenz des inneren Antriebs zu handeln. Daraus schlussfolgert sich, dass die Entscheidung des Angriffs, in sehr bescheidenen Massenrealitäten, immer minoritär ist. Und da die Einstimmigkeit in solchen Sachen ein Ding aus den Märchen ist, wird diese Entscheidung das Werk von kleinen spezifischen Gruppen sein, die innerhalb der eingegrenzten Bewegung agieren. Aber worauf werden sich diese Gruppen stützen? Werden sie nicht die Tendenz haben, eine Avantgarde zu bilden? Werden sie nicht darin enden, den Willen der anderen zu missbrauchen? Werden sie nicht die Wachstumsmöglichkeiten selbst der Bewegung zerstören?

Soviel dazu, was den ersten Punkt betrifft. Was den Zweiten betrifft, so kann die Kritik ebenso leicht anmerken, dass der Angriff mit minoritären Kräften praktisch immer zum Scheitern verurteilt ist. Daher die tragischen, an das Ansteigen der Repression gebundenen Konsequenzen. Ferner ist der Gebrauch der Gewalt im Verlaufe des Angriffs keine normale politische Massenaktion, denn er entspricht einer Wahl von Mitteln, die nicht alle teilen, einer Wahl, die von einer Minderheit getroffen wird, welche eben über die Zeiten, Arten und Orte des Angriffs entscheidet. In dem Falle der Gewalt, die von den grossen Massen entfesselt wird, besteht das Problem nicht, es verändert sich die Situation in ihrer Gesamtheit und die Gewalt wird zu einer spontanen Manifestierung der Befreiungskräfte.

Was schliesslich den dritten Punkt betrifft, so kann die Kritik die Bedeutungslosigkeit davon ausmachen, eine begrenzte Struktur der Macht zu treffen, während die anderen Strukturen unangegriffen und imstande bleiben, dem getroffenen Punkt zu Hilfe zu eilen, indem sie sich unverzüglich darum kümmern, die Gefahr zu meiden. Die Unmöglichkeit, einen Punkt zu wählen, der bedeutsamer ist als ein anderer. Heute besitzt die Macht nicht mehr ein “Herz” und folglich wird man sich nicht gut dabei zurechtfinden, die neuralgischen Punkte des Feindes zu ermitteln. Die Gefahr, schliesslich nicht in der Lage zu sein, darauf zu warten, breitere Strukturen oder verschiedene Strukturen in einer einzigen Aktion zu treffen.

Die Gesamtheit dieser Kritiken ist sehr begründet und verdient es, zum Nachdenken anzuregen. Es sei ausserdem angemerkt, dass sie auf diverse Details ausgeweitet werden könnte, die ebenso vernünftig und beachtenswert sind.

Es muss jedoch gesagt werden, dass in diesen besorgten Überlegungen auf die positiven Aspekte und die konkreten Grenzen des aufständischen Aktes nicht eingegangen wird.

Untersuchen wir sie, indem wir sie mit den obengenannten Kritiken vergleichen

a) Die aufständische Entscheidung vergeudet nicht die Energien, die im Laufe der revolutionären Spannung angesammelt wurden, denn sie schliesst die Reihe von Anstrengungen, die auf Dauer Gefahr laufen, sich in der Leere zu verlieren, mit einem präzisen Ziel ab;

b) die Gewalt des Angriffs überrascht den Feind fast immer, der die Orte und Zeiten der sozialen Verhandlung auf dem demokratischen Terrain festgelegt hat und das Zurückgreifen auf andere Waffen nicht erwartet;

c) das Ziel an sich, betrachtet als eine mit dem immensen institutionellen Komplex verbundene Struktur, ist etwas ziemlich Geringfügiges, aber man darf nicht den Reproduktionseffekt vergessen, den der aufständische Akt hat (wenn er einmal auf gewisse Weisen realisiert wird und sich, eben, als reproduzierbare Tatsache vorschlägt).

Soviel dazu, was die positiven Aspekte betrifft, kommen wir nun zu den konkreten Grenzen:

a) die Beteiligung an der aufständischen Tat ist an die Übereinstimmung der Organisationen gebunden, die sich daran beteiligt haben, sie vorzubereiten, das heisst daran, wie diese gegenüber der Wahl des Zieles, dem Einsatz von bestimmten Methoden, den möglichen repressiven Konsequenzen, usw., reagieren;

b) die Anwendung der Gewalt selektiert die Antwort der Bewegung in ihrer Gesamtheit stark, auch infolge der um sich greifenden ideologischen Unsitte, die die befreiende Gewalt der Ausgebeuteten in ein schlechtes Licht zu stellen neigt, ausgehend von einem philosophischen Betrug, der von Grund auf der bürgerlichen Ethik entnommen wurde.

c) die Reproduzierbarkeit des aufständischen Aktes, wie sehr sie auch in den kleinsten Einzelheiten studiert und objektiv möglich gemacht werden mag, wird von der Intervention der grossen Informationsmittel stets auf beträchtliche Weise gestört, die eine volkstümliche Antwort zu jedem Zeitpunkt konditionieren können.

Die Begrenztheit der Massenbewegung

Denken wir einen Augenblick über die Massenbewegung nach. Sie besteht in einer mehr oder weniger schlagartigen Veränderung des Bewusstseinslevels einer beachtlichen Personengruppe, die von objektiven Elementen, im Allgemeinen von der Zugehörigkeit zur selben Klasse verbunden wird.

Zum Beispiel eine Gruppe von Proletariern, die auch Elemente aus benachbarten Klassen (Lumpenproletarier, Bauern, Arbeitslose, Marginalisierte) oder aus den herrschenden Klassen stammende Elemente, die ihre Herkunftsideologie zurückgewiesen haben, versammeln kann, diese Gruppe bewegt sich, das heisst, richtet sich nach bestimmten Zielen aus, infolge der sozialen oder kulturellen Veränderungen, die sich in den Produktionskräften, in der Klassenzusammensetzung, in der Bedingung der sozialen Schichten, in den Ideologien usw. am ereignen sind.

Das Bewusstseinslevel, das von der Bewegung in ihrer Gesamtheit erreicht wird, bestimmt auch ihre Selbstorganisationsfähigkeit. Aber unter Berücksichtigung, dass das Bewusstseinslevel seinerseits eine Folge der Veränderungen ist, wovon wir vorhin sprachen, leitet sich daraus ab, dass auch der selbstorganisatorische Antrieb an diese Veränderungen gebunden ist. Wenn sie bescheiden sind, wenn sie langfristig sind, wenn die Macht das Geschick hat, sie zeitlich abzustufen, wenn sich der soziale Frieden realisiert, dann werden auch die selbstorganisatorischen Kräfte weniger offenkundig und verfügbar sein.

Es ist jedoch nicht gesagt, dass diese spezifische Fähigkeit, wodurch das aufständische Projekt gefördert wird, in der ganzen Masse, die sich bewegt, unentbehrlich ist. Eine Generalisierung ist nicht nur undenkbar, sondern auch unüberlegt, denn ein jedes Individuum hat andere Bewusstseinslevels, Motivationen, die nicht gleich sind, und überhaupt einen anderen Charakter und eine eigene andere Geschichte.

Leichter kann es sich ergeben, dass eine kleine Minderheit, innerhalb der sich in Bewegung befindlichen Masse, diese selbstorganisatorischen Charakteristiken hat, von denen wir sprechen, und es ist auch möglich, dass sie diese in die Tat umsetzen will, sie aus schlichter Potenz in “konkreten Akt”, das heisst in den Aufbau von einer präzisen Organisationsstruktur umwandelnd, eine Struktur, um die herum es die Massenbewegung zu polarisieren gilt, die sich am formieren ist, wenn auch in bescheidenen Ausmassen, aber stets in der Lage, die wesentlichen Grundbegriffe des libertären und antagonistischen Diskurses zu empfangen.

Wir haben also eine präzise Begrenzung, die sich, bei genauer Überlegung, in jeder Massenarbeit mit auch längerfristigen politischen Absichten finden lässt. Nur, dass in diesem letzteren Fall, wenn ein Schema von endlosem quantitativen Wachstum in Aussicht steht, eben das ständige und vage Aufschieben nach hinten die reale Begrenztheit der Bewegung selbst verbirgt, indem es die Illusion erweckt, dass man, auch wenn man heute mit wenigen ist, morgen mit vielen sein wird, in ausreichend grosser Zahl, um das Kräfteverhältnis mit dem Feind zu kippen. Wenn man die quantitative Illusion hingegen ablehnt und sofort handeln will, oder zumindest innerhalb von vernünftig kurzen Zeiten, dann muss man die unausweichliche Begrenztheit der Massenbewegung anerkennen.

Die aufständische Struktur

Es ist nicht denkbar, dass die mit einem hohen revolutionären Bewusstsein ausgestattete, agierende Minderheit, zuerst darauf wartet, dass die Gruppe, worauf man Bezug nimmt, die sogenannte Massenbewegung, dasselbe Bewusstseinslevel erreicht, oder schlimmer noch, dass ein immer generalisierterer Prozess von Erweiterung der Bewusstseinslevels sichtbar wird, bevor sie sich bewegt. Das würde heissen, das organisatorische Projekt auf ewig hinauszuschieben, das jedoch Bedarf an unmittelbarem Charakter hat.

Sich den Leuten als Träger eines politischen Programms zu präsentieren, das (wenn auch minimale und spezifische) Details über das Ziel und die Methoden enthält: dies ist ein nicht zu vernachlässigender Aspekt der revolutionären Aufgabe. In der Praxis präsentieren sich die reformistischen und pseudo-revolutionären Organisationen mit Programmen, die sehr detailliert, und manchmal auch aggressiver und faszinierender sind.

Neben dem Programm und den Methoden, braucht es einen organisatorischen Referenzpunkt.

Dies kann jedoch nicht die Gruppe selbst sein, welche die Initiative fördert, das Programm vorschlägt und die Güte der vorgebrachten Methoden sicherstellt. Diese Gruppe wird, eben infolge des erreichten Bewusstseinslevels, eine gewisse Homogenität haben, die sich, fast immer, in einer organisatorischen Struktur ausdrückt, aber es ist nicht eine solche Art von Struktur, wovon wir hier sprechen. Wir können nicht gedenken, der Massenbewegung (und somit einer mehr oder weniger grossen Anzahl von Proletariern und Ausgebeuteten) vorzuschlagen, in unsere anarchistischen Gruppen einzutreten.

Dadurch würde die Gruppe sich in eine Mini-Partei verwandeln und die Leute wären dazu veranlasst, Anordnungen zu erwarten und zu akzeptieren. Die Selbstorganisation wird nicht übertragen, indem man dafür sorgt, dass die Leute ins Innere von spezifischen Strukturen wandern, wo sie sich stotternd ausdrücken, sondern indem man zum Aufbau von Strukturen beiträgt, die mit besonderen Charakteristiken versehen sind, imstande, wenn nicht eine vollständige Entwicklung der Selbstorganisation zu gestatten, so zumindest ihre keimenden Impulse nicht zu zerstören.

Die Charakteristiken dieser Strukturen sind recht deutlich:

a) Sie sind um ein einzelnes Problem ausgerichtet, sie präsentieren sich also nicht als Mini-Gewerkschaften, die fähig sind, Produzenten zu verteidigen, oder sich um die Bedürfnisse von dieser oder jenen Personengruppe zu kümmern. In der Aktion sind sie deshalb ausschliesslich auf ein genau festgelegtes Ziel ausgerichtet, welches im Angriff gegen die Machtstruktur besteht, die man gewählt hat;

b) Sie sind auf permanente Weise konfliktbereit, das heisst, sie warten nicht auf Signale von irgendwem oder irgendwas, um das Ziel anzugreifen, sondern beginnen von Anfang an Aktionen auszuüben, die ihren Möglichkeiten angemessen sind. Diese Aktionen enden erst mit der Versiegung der zugrundeliegenden Massenbewegung, sei es aufgrund eines Erreichens des Ziels, sei es aufgrund eines Verschiebens von diesem letzteren infolge von Staatsentscheiden, sei es aufgrund von einem repressiven Hindernis, das so gross ist, das es sich als unüberwindlich herausstellt.

c) Sie sind autonom, das heisst, sie sind weder abhängig von der Gruppe, die zu ihrer Bildung beigetragen hat, noch von anderen, mehr oder weniger konsistenten politischen Kräften, mit denen sie im Verlaufe ihres Bestehens in Kontakt treten.

Das Ziel

Das Ziel muss eine gewisse Konkretheit haben und darf nicht nur symbolisch sein. Eine aufständische Aktion gegen ein einzelnes Individuum (zum Beispiel gegen einen Richter oder einen Polizisten) ist nicht möglich. Die Unschlüssigkeit ist offensichtlich.

Genauso ist sie nicht möglich gegen eine ganze Klasse von Feinden (die herrschende Klasse, die Bürokratie, die politischen Führer, usw.), dabei handelt es sich um Ziele, die im physischen Raum nicht lokalisiert werden können, auch wenn sie im sozialen Raum identifizierbar sind.

Die aufständischen Ziele sind die laufenden Realisierungen der Ausbeutung und der sozialen Kontrolle, und sie sind, offensichtlicherweise, Strukturen.

Dabei handelt es sich um aufgegliederte Prozesse, in denen, mit präzisen Systemen, Pläne realisiert werden, die auf zentraler Ebene festgelegt wurden, eine Aufteilung der Arbeit zwischen verschiedenen Komponenten durchgeführt wird und unabdingbare Verhaltensnormen festgelegt werden. In den Strukturen zeigt sich, im Konkreten, die Aktion der Herrschaft.

Ein Polizist, ein Richter, ein Kapitalist, ein Gefängnis, ein Gericht, eine Irrenanstalt, ein Rathaus, das Parlament, ein Steuerbüro, und viele andere Individuen und Orte, durch welche der obengenannte Prozess in Bewegung gesetzt und realisiert wird, sind alles mögliche Kampfziele, aber können, alleine, nicht ein aufständisches Ziel darstellen.

Einen einzelnen Kapitalisten anzugreifen, hat – in der Praxis – eine symbolische Bedeutung. Nicht so sehr gegenüber den anderen Kapitalisten, die, wie wir alle wissen, ihren Beruf nicht aus Angst hinlegen, sondern gegenüber den anderen Proletariern, welche die Möglichkeit eines derartigen Angriffs verstehen sollen. Nun, eine solche Aktion ist nur in zwei Perspektiven gültig: in der Annahme, dass derjenige, der sie begeht, beabsichtigt, einen konkreten Ausdruck des Feindes, einen wenn auch winzig kleinen Teil des enormen Hindernisses, das uns unterdrückt, zu zerstören, zweitens, in der Annahme, dass sich der Angriff selbst in eine breitere aufständische Strategie einfügt und dass sich somit der Einzelne als ein Element herausstellt, das Teil der Institution ist, die man angreifen will.

Die erste von diesen beiden Annahmen betrifft uns hier nicht. Die zweite muss auf die Untersuchung über das aufständische Ziel selbst zurückgeführt werden, das, wie sich von selbst versteht, nicht nur von einem laufenden Prozess, sondern auch von Menschen und Dingen dargestellt wird.

Um auf unseren Diskurs zurückkommen, so können wir nun präzisieren, dass der aufständische Kampf – stets bei der Konzeption von laufenden Realisierungen bleibend – gegen die Repression, gegen die parlamentarische Demokratie, gegen das Bildungssystem, gegen die Arbeit, gegen den Militarismus, gegen den Bürokratismus, etc., geführt werden kann.

Was Angriff gegen jedes einzelne Element bedeutet, das dazu beiträgt, die Repression, die parlamentarische Demokratie, das Bildungssystem, die Arbeit, den Militarismus, etc., zu ermöglichen.

Das Projekt

Auch wenn es nicht möglich ist, von detaillierten Projekten zu sprechen, so ist es erforderlich, dass man einen Rohentwurf hat, sowohl, um die Aktionen in Abhängigkeit vom Level der Konfrontation angemessen einzuschätzen, als auch, um die Intervention der verschiedenen aufständischen Strukturen zu koordinieren.

Dieses Projekt, auch wenn es embryonal ist, muss alle Kräfte berücksichtigen, die im Spiel sind. An erster Stelle die politischen Kräfte, die scheinbar dieselbe Art von Kampf unterstützen. Zum Beispiel die Linksparteien und auch die revolutionären Formationen von autoritärem Ansatz, für den Fall, dass diese ausreichend Signifikanz haben und nicht blosse ideologische Hypothesen sind. Nicht wegen dem, was sie, als organisierte Systeme, repräsentieren, sondern wegen den Proletariern, die es ihnen gelingt, zu erreichen, zu desinformieren und, somit, zu konditionieren. Im Grunde sind unsere Referenzpersonen dieselben, wir können also ihre Positionen nicht ignorieren oder es vermeiden, uns zu konfrontieren, wenn wir in einer aufständischen Perspektive kämpfen.

Sie werden systematisch gegen diese Perspektive sein, aber sie werden es vor den Ausgebeuteten und den Proletariern, die ihnen folgen, nie offiziell zugeben können. Sie werden deshalb Schleichwege verfolgen, Kompromisse machen und alle politischen Künste einsetzen müssen, über die sie verfügen. In diesen Umständen kann es unsere Aktion schaffen, jene Massenbewegung auszuweiten, auf die wir uns stützen, indem wir eben auf die Elemente, die mit diesen Parteien und diesen Organisationen in Verbindung stehen, eine Anziehungskraft ausüben.

Gleichzeitig muss das Projekt die allgemeinen Bedingungen der Konfrontation, die produktive und soziale Situation des Landes, sowie die internationale Situation in Betracht ziehen.

In einer anderen Hinsicht muss das Projekt eine präzise Konkretisierung des Kampfes, eine Verkörperung des Zieles aufzeigen, die nicht bloss symbolisch ist, sondern eine präzise Interventionsgrundlage darstellt, die leicht zu verstehen ist.

Wenn man gegen die Repression kämpft, kann es ein grosses Gefängnis sein, das sich in Bau befindet, wenn man gegen den Militarismus kämpft, kann es eine Racketenbasis sein, wenn man gegen das Bildungssystem kämpft, kann es eine grosse Universität sein, wenn man gegen die Arbeit kämpft, kann es eine Fabrik oder ein Stellenvermittlungsbüro sein, wenn man gegen den Bürokratismus kämpft, kann es das Rathaus, der Sitz einer Partei oder einer Gewerkschaft, oder auch das Häuserverwaltungsbüro sein.

Die Dekodierung des Ziels

Wie sich im Verlaufe von diesem ganzen Buch [Teoria e pratica dell’insurrezione] deutlich zeigen wird, kann sich das Ziel, manchmal, dem ungeschulten Auge des Proletariers, der sich bewegt und sich zum Kampf bereit erklärt, als abstrakt erweisen. Das Konzept selbst von Aufstand erweist sich als voller Missverständnisse, auch unter denjenigen, die einen Instinkt für solche Probleme haben müssten. Es ist deshalb erforderlich, zwischen das Ziel und seine Verkörperung, einen Dekodierungsprozess, das heisst, in der Praxis, Erklärungen zu stellen.

Zum Beispiel kann sich der Kampf gegen die Repression als zu abstrakt erweisen, während er verständlicher wird, wenn man ein präzises Gefängnis als Verkörperung des Ziels angibt. Aber auch diese Phase kann sich als von den unmittelbaren Interessen der einzelnen Proletarier getrennt erweisen, und hier ist es, wo die Dekodierungsarbeit zur Entfaltung kommt: die Gefahr des Gefängnisses, der Mangel an Freiheit, seine abschreckende Bedeutung gegenüber den sozialen Kämpfen, die falsche Ideologie der Guten und der Bösen, wie der Verbrecher konstruiert wird, die Funktion der Polizei, des Richterwesens, usw. Es handelt sich dabei um eine breite Palette von Informationen, die ausgearbeitet und in dem Territorialgebiet verbreitet werden müssen. Die Verbreitung kann äusserst intensiv sein, eben weil die Referenzpersonen sehr begrenzt sind. Im Allgemeinen handelt es sich um ein Viertel, ein Städtchen, eine mehrere Dörfer oder kleine Städte umfassende Zone.

Es ist selbstverständlich, dass die territoriale Realität mit den anderen Situationen, im ganzen Land und auch im Ausland, verbunden werden muss, aber dabei handelt es sich um normale Arbeit für anarchistische revolutionäre Gruppen, die auf vielen Wegen miteinander in Verbindung stehen.

Die Gewalt des Angriffs

Viele stellen sich den Aufstand als den schlichten Kampf auf den Barrikaden vor. Das ist kindisch.

Oft kommt es gelegen, die kritische Bewertung auf dieses Bild zu beschränken und zu bekräftigen, dass es sich dabei um Träume aus dem 19. Jahrhundert handelt, die heute antiquiert sind.

Dieses ganze Buch ist dem gewidmet, eine solche illusorische Hypothese zu demontieren. Der aufständische Kampf ist ein Projekt von mittelfristiger revolutionärer Aktion, das sich nicht darauf beschränkt, auf eine hypothetische Revolte der Massen zu warten.

Die vorgeschlagenen Kampfmethoden sind also, demnach, von gewaltsamer Natur. Das heisst, sie gestatten keinen Gebrauch von pazifistischen oder rein symbolischen Techniken. Aber die Gewalt besteht nicht in einer unmittelbaren und wunschtraumhaften Radikalisierung der Konfrontation. Sie stützt sich hingegen auf einen ständigen Bezug zum realen Level des Konflikts, um Fluchten nach vorne zu vermeiden, die, als unmittelbare Konsequenz, eine unnötige Erhöhung der Repression auslösen würden.

Die Gesamtheit von diesen Interventionen, Methoden und kritischen Betrachtungen hat zum Ziel, einen möglichst grossen Teil der Massenbewegung, der mit der vorangehenden Gegeninformationsarbeit sensibilisiert worden ist und der mit den aufständischen Strukturen in Kontakt getreten ist, in Richtung des Ziels zu verlagern.

Die Verlagerung hat zum Zweck, die Leute physisch in das feindliche Territorium, in die institutionelle Struktur zu bringen, die man angreifen will. Daher die zentrale Bedeutung, die der Besetzung in der aufständischen Perspektive zukommt.

Die Besetzung

Jede stattfindende Realisierung der Ausbeutung und der sozialen Kontrolle hat eine Ausdehnung auf dem Territorium. Eine solche Tätigkeit wäre nicht möglich ohne die Errichtung von Gebäuden, Büros, Umfassungsmauern, Alarmsignalen, Polizeiwachen, Zutrittsverboten, Karteien, Computern, Maschinerien, Waffendepots, Schulzimmern, Beratungssälen, Depotlagern, Montageketten, Gerichtssälen, usw.

Innerhalb von diesem physischen Raum ist die Anwesenheit der Ausgebeuteten und der Kontrollierten nur infolge der Akzeptanz von einigen Vorbedingungen möglich: beschnüffelt, erzogen, durchsucht, bemessen, beschaut, bewertet, gewogen, sortiert und robotisiert zu werden. Die Regeln, nach denen es sich zu verhalten gilt, werden von den Gesetzen, von den Gewohnheiten und von der herrschenden Moral festgelegt. Jedes Verhalten, das “abweichend” ist, wird mit einer gesetzlichen Sanktion und mit der Missbilligung der Gruppe bestraft, die uns umgibt.

Die vom Gesetz bezeichnete Grenze, sei sie nun vom Eigentum oder von der staatlichen Autorität geweiht, kann nur durch eine gewaltsame Aktion überwunden werden, die jene, die diesseits bleiben müssen, auf einen Schlag und ohne jede Autorisierung, jenseits von dem führt, was das Gesetz vorschreibt.

Diese tatsächliche Überwindung darf nicht mit der blossen symbolischen Überwindung der Pazifisten verwechselt werden. Die gewaltsame Aktion nimmt nur aufständische Charakteristiken an, wenn sich die Beteiligten jenseits der obengenannten Grenzen begeben, um die feindliche Struktur anzugreifen und wenn möglich zu zerstören, und nicht, um schlicht ihren Dissens zu bekunden.

Von Mal zu Mal, im Verlauf der einzelnen Kämpfe, wird dieser Unterschied klar zum Vorschein kommen, sowohl durch die eingesetzten Methoden, als auch durch die Entscheidungen und die organisatorischen Vorschläge.

Leider ist der tiefe Sinn vom Begriff “Besetzung” durch die grosse sozialdemokratische Verschmutzung dieser letzten Jahre abgewertet worden. Oftmals hat man darin geendet, diesen aufständischen Akt mit der schlichten symbolischen Demonstration, mit der Forderung nach besseren Arbeits-, Lohn- und Lebensbedingungen, mit der reformistischen und spiessbürgerlichen Praxis in Entsprechung zu bringen.

Dabei ist die Besetzung eben der Brennpunkt des Angriffs auf das Tabu, der Moment der Überwindung der Schwelle, die ins Territorium eingelassen ist, das uns per Gesetzesbestimmung entzogen worden ist und das wir uns wieder zurückerobern. Nur, dass wir es nur unter der Bedingung zurückerobern können, es zu zerstören, anderenfalls verschwindet unsere Aktion im Symbol.

Die Partialität der Struktur der Macht

Ein letzter klassischer Einwand ist jener, eine aufständische Aktion für zu eingegrenzt und unbedeutend zu halten. In einer Welt, die immer mehr zur Generalisierung der Kontrolle neigt, – fragt man sich – welchen Sinn hat es da, einen der unzähligen peripheren Punkte von dieser Kontrolle (und der damit zusammenhängenden Ausbeutung) anzugreifen und zu zerstören?

Wir müssen anerkennen, dass die Antwort auf diesen Einwand nicht leicht fällt und somit eine bessere Vertiefung verdient.

Um zu verstehen, müssen wir auf das Konzept von “Reproduzierbarkeit” zurückkommen. Die Aktion muss auf eine solche Weise studiert werden, dass das revolutionäre Ziel, die eingesetzte Methode und das ideale Fundament von Freiheit, das die Bewegung in ihrer Gesamtheit inspiriert, klar sind. Sie muss ausserdem eine Bewegungsaktion sein, das heisst, eine Überwindung der vom Gesetz festgelegten Grenze, welche nicht Werk einer beschränkten Gruppe von revolutionären Militanten ist, sondern eine möglichst grosse Anzahl von Proletariern und Ausgebeuteten miteinbezieht.

Sicher, man wird einen repressiven Preis bezahlen müssen, der oft auch beträchtlich hoch ist. Aber für jene, die sich auf den revolutionären Weg begeben, gibt es keine andere Alternative.

Der Staat hat sich mittlerweile an den Symbolismus der pazifistischen Kämpfe gewöhnt. Es ist ihm jedoch noch nicht gelungen (und es wird ihm auch nie gelingen), die aufständischen Kämpfe, auf schmerzlose Weise, zu neutralisieren. Aber auch der repressive Gegenschlag hat eine gewisse Wirkung auf die Leute.

Zunächst, scheinbar, verbreitet sich die Angst. Dann entwickelt sich die Unterstützung und die Sympathie. Zuletzt könnte sich auch die Phase der Bewusstwerdung öffnen.

Wie klein auch die Aktion sein mag und wie ineffizient sich auch unsere Anstrengungen darin erweisen mögen, sie auf andere Situationen auszuweiten und sie mit der Aussenwelt in Kontakt zu halten – angesichts auch der endemischen Inkonsistenz und Faktiosität der revolutionären Bewegung – so ist der Aufstand stets eine revolutionäre Tatsache von grosser Bedeutung, welche die wirkliche Natur der Macht, ihren falschen Demokratismus, die Grausamkeit der Repression (aber auch ihre Grenzen), die Nutzlosigkeit der Verhandlungen, den Kollaborationismus der Reformisten, den Jesuitismus der neuen Machtanwärter blosslegt.

In solcherlei Unterfangen ist keine quantitative Einschätzung möglich. Das wissen die Gefährten, die verstehen, was aufständischer Kampf heisst, gut. Ein Kampf, der oft im Dunkeln bleibt, der sich nicht sofort als verständlich erweist, der auf den Argwohn der Superkritiker und die Untätigkeit der grossen Massen stösst. Aber es ist eben ein kleiner Kern von Gefährten, der das aufständische Projekt immer wieder erneut vorschlägt, während er es je nach der Realität und den Konfliktbedingungen verändert, der sich über die Grenzen und die Möglichkeiten seines Wirkens im Klaren sein muss. Und diese Handvoll Männer und Frauen ist es, an die sich meine Arbeit an erster Stelle richtet.

Revolutionärer Kampf und Aufstand

Die Notwendigkeit der aufständischen Perspektive

Unsere Aufgabe als Anarchisten, unsere grösste Sorge, unser stärkstes Verlangen ist es, die soziale Revolution verwirklicht zu sehen: eine fürchterliche Umwälzung von Menschen und Institutionen, der es endlich gelingt, der Ausbeutung ein Ende zu setzen und das Reich der Gerechtigkeit einzuleiten.

Für uns Anarchisten ist die Revolution unser Leitfaden, unser ständiger Referenzpunkt, was auch immer wir tun, mit welchem Problem auch immer wir uns beschäftigen. Ohne den schmerzhaften revolutionären Übergang wird die Anarchie, die wir alle wollen, nicht möglich sein. Wenn wir die Anarchie nicht in einen unnützen Traum verwandeln wollen, müssen wir dafür kämpfen, den Staat und die Ausbeuter durch die Revolution zu zerstören.

Aber die Revolution ist kein idealer Mythos, den es als blossen Referenzpunkt herbeizuziehen gilt. Eben weil sie eine konkrete Tatsache ist, muss Tag für Tag an ihr gebaut werden, auch mit bescheideneren Versuchen, die nicht all die befreienden Charakteristiken der wirklichen sozialen Revolution haben. Diese bescheideneren Versuche sind die Aufstände. In ihnen öffnet die aufständische Bewegung der am stärksten ausgebeuteten Minderheiten
 und der politisch sensibilisiertesten Minderheiten den Weg für eine mögliche Erhebung von immer breiteren Schichten der Ausgebeuteten, in einem Fluss der Rebellion, der auch in der Revolution münden kann, der aber auch in der Einrichtung einer neuen Macht oder in einem blutigen Wiedererstarken der alten enden kann. In diesem Fall hat der Aufstand, obwohl er als befreiende Erhebung auftrat, bitter mit einer Wiedereinrichtung der Herrschaft des Staates und der Bosse geendet. Darin gibt es keinen Widerspruch. Es handelt sich um den normalen Lauf der Dinge. Der Aufstand ist der unwegdenkbare Bestandteil der Revolution, ohne ihn, ohne eine lange und schmerzhafte Reihe von Aufständen, wird es keine Revolution geben und wird die Macht ungestört und in vollem Besitz ihrer Kräfte herrschen. Aber die Entmutigung ist nichts für uns. Stur bereiten wir uns ein weiteres Mal vor und kämpfen wir für den Aufstand, der kommen wird, als ein kleines Stück des künftigen grossen Mosaiks der Revolution.

Sicher, der Kapitalismus hat tiefgreifende Widersprüche, die ihn zu Anpassungs- und Entwicklungsprozessen antreiben, eben um die periodischen Krisen zu meiden, die ihn heimsuchen, aber wir dürfen uns nicht im Warten auf diese Krisen wiegen. Wenn sie eintreten, werden sie willkommen sein, falls sie den Anforderungen von Elementen entsprechen, die den aufständischen Prozess beschleunigen. Wir unsererseits, in der Zwischenzeit, bereiten uns und bereiten die ausgebeuteten Massen auf den Aufstand vor.

In diesem Sinne denken wir, dass die Zeiten immer reif sind für den nächsten Aufstand. Lieber ein gescheiterter Aufstand, als hundert Zögerungen, die hundert Gelegenheiten scheitern lassen, woraus die endgültige Revolution hätte hervorbrechen können. Wir sind also gegen diejenigen, die sagen, dass die jüngsten Rückschläge der revolutionären Bewegung [1982] uns nachdenklich stimmen sollten und uns schlussfolgern lassen sollten, grössere Vorsicht zu üben. Wir denken, dass die Zeit der Aufstände gekommen ist, eben weil es immer Zeit ist, zu kämpfen, während das Warten nur dem Kapital zu Nutzen kommt.

Den Aufstand vorzubereiten, bedeutet, die (persönlichen und materiellen) subjektiven Bedingungen vorzubereiten, die es einer spezifischen anarchistischen Minderheit erlauben, die unerlässlichen Bedingungen für die Entwicklung des aufständischen Prozesses zu kreieren. Wenn der Aufstand ein Massenphänomen ist, weshalb er, anderenfalls, Gefahr läuft, unverzüglich zu scheitern, so ist sein Anfang stets das Resultat der Aktion einer entschlossenen Minderheit, einer Handvoll mutiger Personen, welche die bedeutsameren Punkte des zu erreichenden Teilziels angreifen.

Wir müssen sehr deutlich sein. Die Aufgaben des anarchistischen Kampfes gegen die Macht können sehr unterschiedlich sein, aber alle müssen – unserer Meinung nach – konsequent darauf ausgerichtet sein, den Aufstand vorzubereiten. Manche Gefährten mögen sich der theoretischen Klärung, der ökonomischen und philosophischen Analyse oder der historischen Nachforschung widmen, aber alles muss unmittelbar der Vorbereitung von jener Minderheit dienlich sein, die fähig ist, den Aufstand zu realisieren, dafür sorgend, dass die Massen sich möglichst breit an ihm beteiligen oder ihm zumindest nicht im Wege stehen. Manche Gefährten mögen den Aufstand zu einem späteren Zeitpunkt (nicht ewig auf später hinausgeschoben) für realisierbar halten, andere halten ihn unmittelbar für realisierbar: dies kann zu einer Aufgabenteilung führen, in dem Sinne, dass erstere mehr darum bestrebt sein werden, sich um die Probleme der revolutionären Kultur zu kümmern, aber ihr Zweck muss auf dasselbe Ziel hinauslaufen. Andernfalls würde man jene rebellischen Kräfte einschläfern, die tatsächlich Klarheit benötigen, um die Aktion zu organisieren, und nicht Geschwätz, um sie hinauszuschieben.

Die Rolle der spezifischen Minderheit

Die Vorbereitungsaufgabe der Minderheit ist doppelt: einerseits ihre Sensibilisierung auf die Probleme des Konfrontationslevels, was nicht nur militärische und politische Probleme, sondern auch und hauptsächlich soziale und ökonomische Probleme sind. Dann die konkrete Vorbereitung, in spezifischen und detaillierten Begriffen, in Hinblick auf den Aufstand.

Wir insistieren noch einmal: die Vorbereitung der Massen wird auf keinen Fall eine der Bedingungen der Revolution sein können. Wenn wir darauf warten würden, die Massen erst auf eine derart grosse Aufgabe vorzubereiten, würden wir nie etwas tun. Vor allem sind wir davon überzeugt, dass die Vorbereitung der grossen Massen eine Konsequenz der Revolution sein wird, und vielleicht nicht eine der Unmittelbarsten. Die revolutionäre anarchistische Minderheit hingegen muss auf die historische Aufgabe, die sie erwartet, vorbereitet sein können.

Beseitigen wir auch das Problem der “Reinheit”. Wir werden uns nicht nur an den Aufständen beteiligen, die von den Anarchisten geleitet werden, sondern auch an allen anderen Aufständen, die sich mit den Charakteristiken des revoltierenden Volkes ausdrücken, auch wenn es aus bestimmten Umständen die Stalinisten sind, die sie leiten, unsere zukünftigen Feinde. Das heisst, dass wir versuchen werden, uns im Kampf selber, im Verlauf der Ereignisse einen besseren Platz zu erobern, während wir unser Programm der totalen Befreiung, das wir dem rein ökonomischen und politischen Programm der Autoritären gegenüberstellen werden, so weit wie möglich verbreiten. Der Rest wird sich durch den Aufstand selber zeigen.

Es ist eine unverzüglich zu realisierende Aufgabe, jene des Aufstands. Aber mit welchen konkreten Mitteln? Wir haben gesehen, dass sich die spezifische Minderheit um den ersten Anstoss kümmern muss, indem sie die Macht überrascht, indem sie eine chaotische Situation auslöst, die die Kräfte der Repression in Schwierigkeiten bringen und die Massen der Ausgebeuteten darüber zum Nachdenken bringen kann, zu intervenieren oder nicht. Aber was verstehen wir unter einer spezifischen Minderheit? Etwa die anarchistische Bewegung in ihrer Gesamtheit? Etwa die revolutionäre Bewegung im weitesten Sinne? Diese Fragen erfordern eine klare Antwort.

Beginnen wir mit der breiteren Hypothese. Die revolutionäre Bewegung in ihrer Gesamtheit kann, unter dem Gesichtspunkt, der uns interessiert, nicht als eine spezifische Minderheit betrachtet werden, die fähig ist, den Aufstand einheitlich zu realisieren. Sie weist eine ganze Reihe von Widersprüchen auf, die ihrerseits die Widersprüche der Gesellschaft widerspiegeln, in der wir leben. Den ideologischen Modellen entsprechen organisatorische Gruppierungen, die darin enden, die theoretische präjudizielle Frage den unmittelbaren Interessen der Befreiung überzuordnen. Zudem sind die analytischen Formulierungen selbst eines guten Teils der revolutionären Bewegung von autoritärem Charakter, demnach sehen sie die Eroberung der Macht, und nicht ihre unmittelbare Zerstörung, ihren angeblichen Gebrauch im anti-bürgerlichen Sinne, und nicht ihr Verschwinden vor. Es ist daher klar, dass dieser Teil der revolutionären Kräfte kein Interesse daran hat, jetzt und sofort den Aufstand vorzubereiten, da er sich die Illusion macht, die langen Zeiten würden für sie arbeiten, indem sie das Fundament zersetzen, auf dem der Kapitalismus beruht, und – ohne das gefährliche Vorzimmer des Aufstands – die revolutionäre Situation vorbereiten. Es wird sich also ergeben, dass diese Gruppen der revolutionären Bewegung konter-aufständische Positionen ergreifen, während sie (wie wir vor Kurzem in vielen Fällen gesehen haben) soweit gehen, die anarchistischen Gefährten, die die entgegengesetzte These verfechten, anzugreifen und zu denunzieren. Unsere Schlussfolgerung ist es also, zu sagen, dass es nicht möglich ist, das Konzept von spezifischer Minderheit bis zu diesem Punkt auszuweiten. Wenn wir hypothetisch annehmen würden, dass es die Stalinisten sind, die den aufständischen Prozess auslösen, entweder weil sie der Überzeugung sind, vor revolutionären Bedingungen zu stehen, oder weil sie von den Forderungen der Basis mitgerissen werden, die keine ideologischen Finessen zulassen, dann bestünde unsere Aufgabe darin, uns mit allen Kräften am Aufstand zu beteiligen, um uns auf dem konkreten Feld der Kämpfe zu schlagen und dort den nötigen Raum für unsere Ideen zu finden. Im entgegengesetzten Falle, wenn wir die Initiatoren und Verfechter des Aufstands sind, geschieht es recht schnell, diesen Teil der revolutionären Bewegung auf Gegenpositionen oder, im besten Falle, auf Wartepositionen zu finden.

Betrachten wir nun, ob die anarchistische Bewegung in ihrer Gesamtheit als spezifische Minderheit in Betracht gezogen werden kann, die fähig ist, den Aufstand einheitlich zu realisieren. Ein weiteres Mal ist die Schlussfolgerung negativ. Die Widersprüche in ihrem Innern sind riesig und meistens den Ängsten und Bedenken verschuldet, die eine beschränkte Gruppe von Talmifiguren sorgfältig in ihrem Innern ausgesät hat. Sie wirkt heute wie ein alter Mantel, zerrissen und voller Flicken, dem es nur mit Mühe gelingt, an den alten Glanz zu erinnern. Die Fluchten nach vorne, in Richtung von hypothetischen Formen von elitärer Intervention, wie, als man von Ausserhalb versuchte, vorgefertigte und bereits abgepackte Analysen oder gebrauchsbereite Katechismen zu liefern, oder wie, als man beanspruchte, der ganzen Bewegung die abschliessende Analyse zu liefern, die es unmittelbar in die Praxis umzusetzen gilt, waren ein Fehlschlag. Dasselbe gilt für die Fluchten nach hinten, in Richtung von jenen Wiedereinführungen des Anarchosyndikalismus, die unmöglich nicht sowohl die Arbeiter in ihrer Gesamtheit, als auch die revolutionären Gefährten selbst unzufrieden lassen konnten. Und dann der grösste und feststehendste Fehlschlag der Vogel-Strauss-Politik. Sich hinter der Angst vor Provokationen zu verstecken, um nichts zu tun, um erst zu intervenieren, wenn alles vorbei ist, um ständig die Waage in der Hand zu halten und jene wenigen Gefährten, die etwas tun, sei es auch beschränkt und limitiert, abzuwägen, zu beurteilen und zu verurteilen. Von der Spezifität dieser Bewegung bleiben nur noch der Name, das Symbol, die Fahne, ein paar alte Gefährten, ein paar frühzeitig gealterte junge Gefährten, ein paar Enthusiasten, die noch immer Hoffnung haben, und ein paar runzlige Mumien in ihren kleinen Läden. Die grosse Anzahl der aktiven Gefährten, die den revolutionären Geist der anarchistischen Bewegung bildet und die bereit ist, den Kampf wiederaufzunehmen, darf sich nicht entmutigen lassen von Kassandren und Schwarzmalern. Die Aktion ist der Massstab, um jenseits der Symbole und der Prinzipienerklärungen zu unterscheiden.

Eben jene zur Aktion bereiten Gefährten sind es, die die spezifische Minderheit bilden, von der wir vorhin sprachen. Sie werden es sein, die den Aufstand vorbereiten und realisieren, auf den Wegen und in den Formen, die die Kampferfahrung der revolutionären Bewegung in ihrer Gesamtheit uns überliefert hat, und unter Berücksichtigung der jüngsten Veränderungen des Staates und der Bosse. Diese Wege werden nicht von jenen minimalen organisatorischen Basisstrukturen absehen können, die sich darum kümmern müssen, die verschiedenen Probleme zu lösen, die im Verlaufe der aufständischen Vorbereitung aufkommen. In diesen Strukturen muss die Verantwortung für die zu verrichtende Arbeit selbstverständlich auf die anarchistischen revolutionären Gefährten zurückfallen und darf nicht dem guten Willen oder der Improvisation überlassen werden. Die Regeln des Überlebens selbst zwingen, an diesem Punkt, unabdingbare Sicherheits- und Schutzvorkehrungen auf. Die Zeit des unnötigen Geredes endet im Angesicht der Dringlichkeit der Aktion.

Über die Gesamtheit der Aktivität, die von dieser, somit ermittelten, spezifischen Minderheit entwickelt wird, und die sich in den minimalen Interventionsstrukturen artikuliert, gibt es noch etwas zu sagen. Diese Aktivität kann nicht allein unter dem Gesichtspunkt der “Propaganda der Tat” betrachtet werden. Ihr Ziel besteht nämlich nicht darin, ein Beispiel zu geben oder einen breiten Umkreis von möglichen Sympathisanten zu beeinflussen. Sicher, es gibt auch den empirischen Aspekt, während man sich bewusst halten muss, dass die maximale Allianz, die für das Gelingen der künftigen Pläne garantiert, jene mit den revoltierenden Massen ist, aber es handelt sich um einen Aspekt, der stillschweigend vom Mechanismus der kapitalistischen Information aufgegriffen wird, der ihn in eine Ware verwandelt und über die Zeitungen, das Fernsehen, das Kino, die Bücher, etc. im Detailhandel verkauft. Die Wahrheit ist, dass die spezifische Minderheit selbst, indem sie ihre Aktionen realisiert, die Möglichkeit hat, den anderen etwas zu verstehen zu geben, wenn sie auch selbst im selbigen Moment der Aktion etwas versteht. Die Aktion bedeutet also Belehrung durch die Aktion, und Belehrung von sich selbst und von den anderen. Wenn wir glauben, alles verstanden zu haben, und wir uns ausschliesslich unserer Wissenschaft anvertrauen, überreichen wir dem Kapital zum Zeitpunkt der Aktion einen repetitiven Mechanismus, der sich bestens in den generalisierten Komplex der kapitalistischen Produktion einfügt, die, in erster Linie, eine endlose Repetierung von sich selbst ist.

Die Aktion der spezifischen Minderheit muss also nicht auf einem Unterbrechen davon, auf eigene Kosten zu lernen, was die Realität des Konflikts ist, sondern auf einer allmählichen und kompletten Veränderung des eigenen Lernens beruhen, eine Veränderung, die realisiert wird, indem man den anderen aufzeigt, wie man lernt, die Realität des Konfliktes zu verstehen. Wenn die Aktion der spezifischen Minderheit ein Beispiel von irgendwas gibt, dann gibt sie ein Beispiel davon, wie man lernt, den Feind zu ermitteln und zu treffen, und nicht davon, wie man die jeweilige Methode lehrt. Die richtige Aktion im richtigen Moment wird Substanz des einzelnen und spezifischen Angriffs, Symbol aller möglichen künftigen Angriffe, Entfaltung eines noch nicht zur Reife gekommenen Moments, höchstes Interventionslevel, das in der Realität des Konflikts operierend erreichbar ist. Der Klassenkampf charakterisiert den bestehenden Konflikt. Dieser Faktor erlaubt die konkrete Aktion der spezifischen Minderheit. In ihrem Innern verwandelt sich die Aktion ständig von Versuch, zu verstehen, in Versuch, beizubringen. Wenn man den ersten Moment wegstreicht, versinkt alles in der Repetitivität, wenn man den zweiten Moment wegstreicht, versinkt alles in der Unentschlossenheit.

Im stetigen Fluss des Klassenkonfliktes befinden sich alle: Belehrende und Lernende, in ihm erhält alles seine richtige Stellung innerhalb der Kräfteverhältnisse. Wer aus den eigenen Fehlern nicht gelernt hat, der kann den anderen auch nichts zeigen, und eine hervorragende Weise, nicht zu lernen, besteht eben darin, damit aufzuhören, zu lernen, zu denken, dass der Moment gekommen ist, um beizubringen und damit basta. Durch den Filter des Klassenkonfliktes entfaltet sich langsam die Erinnerung der Revolution, und wird überlieferbar. In den Aktionen überliefert sich die Erinnerung auf konkrete Weise und wird von Seiten der anderen wahrnehmbar, in demselben Augenblick, wo sie Reflexion und Kritik für jene ist, die die Aktion selbst ausführen.

Jede einzelne minimale Interventionsstruktur, die innerhalb von der spezifischen Minderheit agiert, läuft Gefahr, sich als einen Teil hinzustellen, der mit der revolutionären Bewegung in ihrer Gesamtheit und, manchmal, mit der ganzen Masse der Ausgebeuteten Dialog führt, wenn sie den Sinn ihrer Aktion nicht auf korrekte Weise aufgleist. Sich als einen isolierten Teil hinstellend, gegenüber so vielen Referenzpunkten, macht man sich die Illusion, dass die ganze Bewegung und die Ausgebeuteten, ihr Schicksal und das Schicksal der Revolution von uns abhängen, erwartet man sich von dem, was man tut, wer weiss was alles, und bleibt man frustriert ab der Oberflächlichkeit der Antworten und ab dem allgemeinen Unverständnis. Der revolutionäre Kampf ist wie ein wogendes Meer, gegen das es vergeblicher Wahnsinn wäre, anzukämpfen, man muss sich der Richtung der Wellen anpassen, mal mit Kraft und mal mit Leichtigkeit schwimmen, die Lebenswucht ergreifen, die das Meer in sich birgt, um zum gewünschten Ziel zu gelangen. Die schwierige Kunst des Schwimmers birgt den politischen Sinn der minoritären Aktion in sich. Diese letztere hebt ihre Klassenbedeutung hervor, indem sie plötzlich als Frucht der revolutionären Erinnerung und als Hinweis für den gegenwärtigen Konflikt hervorbricht.

Wir denken deshalb, dass die Aktion dieser minimalen Strukturen – wenn sie korrekt aufgegleist wird – für die Vorbereitung von jenem aufständischen Prozess, den wir für die unmittelbare und unaufschiebbare Aufgabe aller Anarchisten halten, ein weiteres Mal unentbehrlich ist. Fern davon, zwischen den beiden Dingen einen Widerspruch zu sehen – wie uns jemand darauf hinzuweisen versuchte – glauben wir, dass sie einander ergänzend und voneinander nicht trennbar sind. Die grundlegende Arbeit der minimalen Interventionsstrukturen summiert sich in der gesamten Arbeit, von organisatorischer und allgemeiner Natur, der spezifischen Minderheit in ihrer Gesamtheit.

Der Aufstand wird, ein weiteres Mal, der Prüfstand von dem sein, was getan worden ist, Ursache und Wirkung, zur selben Zeit, von jener Veränderung der Kräfteverhältnisse, die das Öffnen der Türen der Revolution gestattet.

Die Logik des Aufstands

Wenn wir von Aufstand sprechen, halten wir uns selbstverständlich eine “Logik” bewusst, worauf sich das aufständische Verhalten stützt, das heisst, wir sprechen von einer Methode zur Intervention in die Realität der Kämpfe. Damit ist klar, dass wir uns nicht auf dieses oder jenes Modell aus der Vergangenheit beziehen.

Aufstände sind nicht die Barrikaden auf den Strassen und das Volk in Waffen. Oder zumindest sind sie nicht nur das.

Wenn sich das Volk spontan auflehnt, weil es die Grenze der Unerträglichkeit der Ausbeutungssituation erreicht hat, ereignen sich sichtbare Tatsachen: Konfrontationen auf den Strassen, Angriffe gegen die Polizei, Zerstörung von Symbolen des Kapitals (Banken, Juweliere, Läden, usw.). Aber in der Regel treffen diese spontanen Ausdrücke von volkstümlicher Gewalt die Anarchisten unvorbereitet, welche von der Tatsache überrascht bleiben, dass sich die Apathie von Gestern plötzlich in die Wut von heute verwandelt.

Wir beabsichtigen nicht, von dieser überraschenden Situation oder von der eventuellen Beteiligung der Anarchisten an einem solchen Ereignis zu sprechen.

Darum machen wir zwischen Krawall und Aufstand eine klare Unterscheidung.

Nehmen wir den Krawall von Brixton, in London, vor ein paar Jahren [1981]: die Anarchisten waren da, aber sie waren nicht, konnten nicht Protagonisten des Krawalls sein, geschweige denn davon, ihn in einen Aufstand in dem Sinne zu entwickeln, wie er in diesem Buch dargelegt wird. Die Ereignisse hatten sie überrumpelt. Die Schwarzen haben aus scheinbar simplen Gründen aufgelehnt, die jedoch schon seit langem unter der Oberfläche schwelten. Die Beteiligung der Anarchisten wurde daher zu einer schlichten Anpassung, sie waren “Gäste” einer potenziell aufständischen Situation, die keine Mündung in Richtung von konkreteren Entwicklungen fand. In anderen Worten: die Anarchisten fanden sich dabei, zu handeln, ohne in der Lage zu sein, einer aufständischen Logik zu folgen.

Bei Gelegenheit einen Stein gegen die Polizei zu werfen ist für einen bewussten Revolutionär sicher nicht die beste Art, sich an einem Aufstand zu beteiligen. In Praxis bedeutet dieser Stein sein Akzeptieren einer gegebenen Situation, die zu bestimmen er nicht beigetragen hat, und die es erfordert, ja auferlegt, dass Steine gegen die Polizei geworfen werden.

Die aufständische Logik kehrt die Intervention um. Die Gefährten, die sie anwenden, beschränken sich nicht darauf, die Situationen von sozialer Spannung zu ermitteln, und beschränken sich nicht darauf, die Leute generisch dazu anzutreiben, zu rebellieren, sie gehen weiter, sie schlagen eine Organisierung der Revolte vor.

Nun, was diesen Punkt betrifft, müssen wir uns gut verstehen.

Die vorgeschlagene Organisation muss von aggregativer Natur sein (Unterstützungs- und Anprangerungsgruppe, Bündnis gegen die Repression, Vereinigung für das Wohnrecht, Anti-Atomkraft-Gruppe, abstentionistisches Bündnis gegen die Wahlen, usw.), sie kann nicht eine spezifische anarchistische Gruppe sein. Aus welchem Grund, nämlich, sollten die Leute einer anarchistischen Gruppe beitreten, um einen Kampf zu organisieren und sich daran zu beteiligen?

Die Beteiligung der Ausgebeuteten an dieser Art von Struktur kann auch beachtlich sein und dies hängt von der Arbeit ab, die es den innerhalb der Strukturen präsenten anarchistischen Gefährten zu entwickeln gelingt: Flugblätter, Zeitungen, Plakate, Broschüren, Diskussionen, Vorträge, Treffen, usw.

Die Aktionen, welche eine so gebildete Organisation zu unternehmen beschliessen wird, werden nach und nach bedeutsamer sein, in Bezug auf sowohl den Verlauf des Kampfes, als auch auf das organisatorische Gewicht, das von der Struktur erreicht wird, sowohl auf die Anzahl der Beteiligten, als auch auf die Art von repressiver Reaktion, die sich in Gang setzen wird.

Die Wahl der verschiedenen Aktionen: Demonstration, autorisierter Umzug, nicht autorisierter Umzug, Sit-in, Besetzung eines öffentlichen Gebäudes, Blockierung einer Strasse oder eines Viertels, Besetzung einer Fabrik, Verteidigung des besetzten Territoriums, Angriff gegen die repressiven Interventionen, usw., diese Wahl hängt von den Entscheidungen ab, die in Versammlung – innerhalb der Organisation selbst – aber mit der aktiven Präsenz der Anarchisten, getroffen werden. So wird die Entwicklung des Kampfes in seinem Innern stets die Aktion einer aktiven spezifischen Minderheit sehen.

Natürlich ist man sich über nichts sicher. Es handelt sich nicht um eine politische Kontrolle, sondern um eine schlichte praktische Stimulierung. Die anarchistischen Gefährten werden in gleicher Weise wie die anderen im Kampf präsent sein und sie werden in den Entscheidungen, die es zu treffen gilt, kein besonderes Gewicht haben. Aber sie werden die praktischen Aspekte ihrer Ratschläge geltend machen können, die jedoch an die Realität der Konfrontation angemessen sein müssen.

Um eine Arbeit zu erhalten, die sich in die aufständische Logik einfügt, ist es erforderlich, dass der Antrieb zur Revolte präzise, und nicht abstrakt generisch ist, und muss sie auch möglich, das heisst, von den Leuten realisierbar sein.

Es ist also erforderlich, dass der Kampf gespürt wird und dass die Vorschläge der Gefährten, innerhalb der organisierten Struktur, an die Kampfbereitschaft der Leute angemessen und in der Lage sind, von Mal zu Mal, immer fortgeschrittenere Indikationen zu geben.

Eine Indikation, die aus Mangel unangemessen ist, da sie zu ängstlich oder zu rückständig ist, wird von den Leuten verworfen und als ein Hindernis für die Entwicklung des Kampfes und als Verrat an ihren Rebellionsgefühlen und an den eigenen Bedrängnissen betrachtet. Eine Indikation, die zu fortgeschritten, wunschtraumhaft und von der Realität der Konfrontation losgelöst ist, wird als unmöglich, gefährlich und kontraproduktiv betrachtet, woraufhin sich die Leute zurückziehen, aus Angst, in wer weiss was für Ränke hineingezogen zu werden.

So haben die anarchistischen Gefährten, die innerhalb der Struktur wirken, Gelegenheit, ihre Aktion selbst abmessen zu können, da sie gezwungen sind, den Indikationen zu folgen, die von den Leuten auskommen, während sie nur Aktionen wählen, die sich als möglich und verständlich erweisen.

Der Antrieb in Richtung des Aufstands geschieht also innerhalb der Grenzen der Rebellion, die sich am verbreiten ist, und ist nicht eine abstrakte Konstruktion von einer minoritären Gruppe.

Wenn wir von aufständischer Methode und Logik sprechen, meinen wir genau das. Wir meinen die Zurückweisung einer syndikalistischen Logik, einer Logik von Verteidigung von erlangten Rechten, von Suche nach einem quantitativen Wachstum, um dann etwas zu tun, später, in einem zweiten Moment.

Die Organisationssrukturen, die wir vorschlagen, entstehen nicht in der Widerstandslogik, typisch für den Syndikalismus von jeglicher Art. Sie sind keine korporativen Gruppen zur Verteidigung von Kategorieinteressen.

Es handelt sich um minimale Aggregationsstrukturen, um die Ausgebeuteten zu einem bestimmten Kampfziel hin zu geleiten. Kohäsionselemente, durch die man sich darüber einigen kann, was man tun will, um den Kampf besser zu organisieren, um den Rebellionsinstinkt der Leute besser zu stimulieren und ihn in einen möglichst bewussten Aufstand zu verwandeln.

Aus all diesen Gründen kann sich die Gruppe von anarchistischen Gefährten innerhalb der organisierten Struktur nicht in eine minoritäre Führungsgruppe oder in eine machthabende Minderheit verwandeln. Denn sie ist gezwungen, den Bedingungen der Konfrontation zu folgen, sie kann sich nicht auf das endlose quantitative Wachstum der Gruppe selbst basieren, sie hat nicht die Möglichkeit, schlicht defensivistische Aktionen vorzuschlagen, sie ist gezwungen, in Richtung von einer Reihe immer fortgeschrittenerer Aktionen zu treiben, die, wenn sie einerseits zum Aufstand und somit zu immer höheren Konfrontationslevels und nicht einfach vorhersehbaren Resultaten führen kann, auf der anderen Seite auch zur unvermeidlichen Zerstörung der organisatorischen Basisstruktur und deshalb zur Auflösung der Funktion führt, die von der Gruppe von Gefährten ausgeübt wurde, die somit zu ihrer vorherigen Tätigkeit zurückkehren.

Diese Vorschläge sind nicht leicht zu verstehen und können Raum für Missverständnisse geben. Deshalb halten wir die grösstmögliche theoretische Vertiefung für von grosser Wichtigkeit.

Die Rebellion

Der Skeptiker

Einer der vielen Phrasenspucker, angewidert von der Welt und von sich selber, ein altes Wrack von so vielen imaginären Schlachten, desillusioniert und skeptisch im Elend des eigenen alltäglichen Problems, zu leben, sagte einmal zu mir, dass die Rebellion heute nicht mehr existiert, dass es anachronistisch wird, von ihr zu sprechen, ein Ding aus dem letzten Jahrhundert.

Mein Freund, sich an seine vergangene Militanz erinnernd und mit offenen Augen träumend, zwischen dem einen Glas und dem anderen, bestätigte mir die Absicht, es schlicht dabei zu belassen, nichts zu tun. Weder wartend, noch hoffend. Einfach nichts zu tun. Arbeitend, um zu leben, während er zuschaut, wie das Leben vergeht.

Die Traurigkeit dieser Bekräftigungen ist für mich etwas Tangibles. Vor nicht sehr langer Zeit – im Glauben, eine harte Kritik zu üben – sagte mir einmal jemand: – was wirst du schon Grosses tun? Nun, gerade diese meine angebliche Unreife ist das, was vielleicht den Schatz darstellt, woran mir am meisten liegt, das Schönste in meinem Leben.

Ich weiss nicht, was ich Grosses tun werde, gerade weil ich weiterhin mit dem Enthusiasmus des Kindes bleiben will, das die Welt entdeckt, und ich will nicht in ausgefeilten Rechtfertigungen des “Nicht-Handelns” verknöchern.

Die Aktion hat im Grunde immer etwas überstürztes. Der Skeptizismus ist eine der tiefgründigsten Philosophien, doch wie alles, was scharfsinnig und hochstehend ist, verliert er allzu schnell den Kontakt mit der Realität, mit jenen bescheidenen und konkreten Dingen, die keine grossen Denk- und Gefühlshöhen erreichen, die aber dennoch wichtig und fundamental sind, da sie den Grossteil vom Leben aller ausmachen. Der Skeptiker zieht sie nicht in Betracht. In der Kühnheit der eigenen Hypothese über die Welt schreitet er ohne Zweifel, ohne Widersprüche voran. Die Anderen mühen sich damit ab, Schlussfolgerungen zusammenzufügen, er schaut mit Überlegenheit auf sie herab und betrachtet sich selbst in der absoluten Kälte der eigenen Identität. So endet er darin, sich immer perfekt, in Sicherheit und fern von jedem unangenehmen Vergleich zu fühlen. Aber er merkt nicht, dass er schlicht feige und müde ist. Ein bissiger Bewahrer des eigenen Avvenirismus.

Die Anpassung

Im Grunde passt sich mein skeptischer Freund an, das heisst, er folgt der Verhaltensweise, die der Situation, worin er sich befindet, am angepasstesten (und somit, ihm zufolge, am richtigsten) ist. Er rebelliert nicht.

Eben darin liegt seine Tragödie. Er negiert die Realität der Rebellion infolge der Tatsache, dass er nicht rebelliert, und, wie es immer geschieht, tendiert er dazu, diese “normale” Tatsache philosophisch zu rechtfertigen, indem er ihr generalisierte Konnotationen gibt.

Im Grunde ist eine der fundamentalen sozialen Normen jene, die will, dass das Verhalten des Individuums rational ist. Und der Skeptiker ist zutiefst rational. So rational, dass es einem den Magen umdreht.

Die Rationalität ist eines der essenziellsten Instrumente, um den Fortbestand der Werteskala sicherzustellen, die von der Kollektivität angenommen wurde. Jede Änderung in der Kodifizierung der Normen (oder der Werte, was schliesslich dasselbe ist) muss erst durch die Diskriminante der Vernunft betrachtet werden. Wenn wir gegen einen ungerechten Repressionsakt rebellieren müssen, so soll dies nur geschehen, wenn es auch genügend wahrscheinlich ist, dass das Resultat positiv ist, und wenn wir uns über den Umgestaltungsprozess und auch darüber, was es danach zu tun gilt, gut im Klaren sind. Jede andere Aktion wird zurückgewiesen, zu den irrationalen und daher absolut negativen Verhaltensweisen.

Die Instrumente der Rationalität sind sehr viele und unterschiedlich, und alle realisieren die Kontrolle des Individuums, indem sie dazu beitragen, seinen Charakter zu formen. Es geschieht also, dass sich der Einzelne auf scheinbar freiwillige Weise verhält, aber im Wesentlichen quasi exakt die Befehle ausführt, die er erhält. Die Verlangen des Individuums sind folglich in den meisten Fällen genau die, die es haben soll, und seine Handlungen die, die es tun soll.

Der Bruch

Manchmal funktioniert der Mechanismus nicht. Das instabile Gleichgewicht, das der Repressionsprozess anstrebt, indem er intrapsychische Elemente, biologische Strukturen, soziale Zwänge und kulturelle Elaborationen ausbalanciert, bricht zusammen. Das Bewusstsein der eigenen Situation, so, wie es vom sozialen System konstruiert wurde, zerbricht. Dies ist der Moment, in dem wir uns “anders” verhalten.

Es ist der Bruch. Wir rücken vom Verhalten ab, das vom Rest der Mitglieder der Kollektivität verfolgt und für “richtig” gehalten wird.

Man sollte nicht denken, dass der Skeptiker, eben wegen seiner Position, ein Anderer ist. Im Grunde verhält er sich im Einklang mit den Normen (darunter die Rationalität), welche die Kollektivität regulieren, zu der er einmal gehörte, gegen die er sich stellte, und zu der er mit dem eigenen Verzichtsverhalten neigt, zurückzukehren.

Der Bruch erfolgt in der Regel als Negierung der Verhaltensnormen der Kollektivität, der man angehört. Es kann mehr oder weniger gewaltsame oder mehr oder weniger radikale Negierungen geben. Niemand kann die Verhaltensnormen gänzlich negieren. Niemand kann sie gänzlich akzeptieren. Zwischen diesen beiden unmöglichen Extremen verortet sich das angepasste Verhalten. In Richtung der Negierung verorten sich eine Reihe von Verhaltensweisen, die als “anders” bezeichnet werden.

Aber weshalb verhalten wir uns “anders”? Es gibt zwei Komponenten, die zur Andersheit verleiten: den rationalen Grund und die Gründe des Herzens. Beide spielen eine Rolle in der Situation des Einzelnen, die aus einer enormen Gesamtheit von Handlungen, Tatsachen und Beziehungen besteht, die aber auch das Bewusstsein selbst von dieser organischen Gesamtheit ist. Es ist nicht einfach, festzustellen, ob im angepassten Verhalten die Rationalität überwiegt und im anderen die Gründe des Herzens überwiegen. Sagen wir, dass diese letzteren grundsätzlich schwer auf die sozialen Normen zurückzuführen sind, die gewisse Verhaltensweisen vorschreiben und als angepasst betrachten. Dies schliesst nicht aus, dass beträchtliche Kristallisierungen der Gefühle festzustellen sind, die oft dem Modell gemäss gelebt werden, das von aussen vorkonstruiert wurde, und nicht so, wie es die persönlichen Triebe vorschlagen. Umgekehrt haben wir, dass die Vernunft ordnendes Element eines anderen Verhaltens sein kann, sosehr es sich auch im Allgemeinen um Abstufungen innerhalb von einem Projekt der Zurückweisung der Realität handelt, das von Mal zu Mal “normalisiert” wird, wenn es keine operative Mündung findet.

Da es hier nicht darum geht, auf dieses Problem einzugehen, wollen wir es hierbei belassen, uns aber bewusst haltend, dass der Bruch mindestens auf drei Weisen auftreten kann. Schematisierend, um das Verständnis zu erleichtern, sprechen wir von einer objektiven Weise, einer ungeordneten Weise und einer bewussten Weise.

Die Marginalisierung

Der Produktionsprozess selbst drängt eine Reihe von sozialen Schichten, die eine irreguläre Beschäftigung, gelegenheitliche und illegale Tätigkeiten, unsichere und in der Regel sehr bescheidene Einnahmen finden, an den Rand.

Die “Andersheit” ist hier zum grössten Teil Auswirkung des objektiven Prozesses des an den Rand gedrängt Werdens, der Absonderung von den besser organisierten und folglich stärker mit dem Produktionssystem verbundenen sozialen Schichten.

Daraus folgt, dass sich der Komplex aus Bräuchen, Sitten, Werten und Normen, der das Verhalten reguliert, notgedrungen als anders erweist und dazu neigt, sich in einer regelrechten Ghettokultur zu vereinheitlichen, mit dem Gefühl von Abschottung und Besonderheit, das sich daraus ableitet.

Die Andersheit gegenüber den wesentlichsten Verhaltensnormen der privilegierten Gruppen ist hier eine “normale” Tatsache, die sich, durch die eigene selbe Homogenität, in eine neue Art Verhaltensnorm verwandelt, die darin endet, sich, mit genauso starren Regeln, dem vorigen Typ gegenüberzustellen. Es gibt dennoch einige Faktoren, die zusammenwirken, um diese sozialen Schichten für plötzliche und auch tiefgreifende Veränderungen des Bewusstseinslevels offener zu behalten.

An erster Stelle eine gewisse Unfähigkeit, sich als soziale Gruppe, als mit einem Klassenbewusstsein ausgestattete Gesamtheit zu erkennen. Dies schliesst einen handgreiflichen und spontanen Zusammenhalt im Falle von Rebellionen nicht aus, die unerwartet ausbrechen und in kurzer Zeit enden, die klassischen Ziele zerstörend, worin sich die Macht manifestiert: Rathäuser, Steuerämter, Parteisitze, Kirchen, Läden, usw. Die ausschliesslich zerstörerische Charakteristik dieser Gewalt ist einer der Faktoren der “Andersheit”, über die wir diskutieren, und darf nicht unterschätzt werden, sosehr sie auch nicht als von erstrangiger Wichtigkeit betrachtet werden sollte.

An zweiter Stelle ist die Importierung der Werteskala der oberen Klassen, insbesondere der Mittelklasse, mit einer Anwendung dieser Skala verbunden, aber auch mit einer gewissen Vorläufigkeit davon. Einige fundamentale Punkte sind sehr schwach. Zum Beispiel ist die Familienstruktur sehr ungefähr, aufgrund der Irregularität der Arbeit, die keine geordnete Gewohnheit der Mahlzeiten, des Schlafs, der Beziehung zu den Kindern, ihrer Erziehung, der sexuellen Beziehungen, der Vergnügungen, usw., gestattet.

Schliesslich die Tendenz zur Selbstreproduzierung des Ghettos, sowohl im physischen wie im kulturellen Sinne verstanden. Dies bringt eine Bewegungslosigkeit der Gesamtheit mit sich, die sich einerseits den reformistischen Versuchen entgegenstellt, die Lebensbedingungen zu verbessern, aber andererseits keine Lösung revolutionären Typs findet, ausser durch vorübergehende und kurz andauernde Explosionen.

Die ungeordnete Rebellion

In allen sozialen Klassen gibt es Rebellen. Der Charakter mancher Individuen erweist sich in einem bestimmten Moment als unfähig, einen gewissen Grad an Konditionierung zu ertragen, und folglich weigert er sich, reagiert er, durchbricht er die Umklammerung, die ihn bedroht.

Sicher, wer an der Herrschaft teilhat, sich seiner privilegierten Situation bewusst werdend und (durch die Bildung und die sozialen Beziehungen im Allgemeinen) ein Bewusstsein der höheren Klasse erlangend, wird schwerlich darauf verzichten. Auf der entgegengesetzten Seite wird sich, wer die Herrschaft erleidet, und sich dessen allmählich bewusst wird, nach und nach, durch die Ausbeutung selbst und durch das eigene Leiden, der Klassensituation bewusst, worin er sich befindet, und ist leichter dazu verleitet, zu rebellieren. Dies stimmt zweifellos und stellt die Sicht auf den Klassenkonflikt dar, so, wie wir ihn kontinuierlich zu analysieren versuchen. Doch hier beschäftigen wir uns mit einer besonderen Frage. Hier beschäftigen wir uns mit dem Rebellen.

Wenn sich der Charakter des Individuums als von sozialen Faktoren und, auf viel bescheidenere Weise, von biologischen Faktoren konditioniert erweist, so sind es die ersteren, wogegen sich ein Prozess der Verweigerung der Konditionierung selbst entfesseln wird, während diese sich in all ihren Details verwirklicht. Die Herausbildung des Charakters ist ein langer und widersprüchlicher Prozess. Darum bekunden die Rebellen eine Tendenz, die Widersprüchlichkeiten von sehr jung an hervorzuheben, indem sie das Drängen und die Triebe, die aus dem bereits gefestigten Teil der eigenen Persönlichkeit stammen, zurückweisen und Alternativen aufbauen, die im Gegensatz zu den Anforderungen und Drücken von aussen stehen.

Der Charakter eines Individuums ist in der Regel ein Element seiner Persönlichkeit, ein Element, das es dazu zwingt, gemäss dem zu handeln, wie die Gesellschaft (die kräftig dazu beigetragen hat, diesen Charakter zu konstruieren) will, dass es handelt. Doch manchmal funktioniert dieser Mechanismus nicht. Das ist der Moment, in dem der Rebell entsteht.

Doch diese Rebellion ist ungeordnet. Das heisst, sie ist ohne Orientierungskriterium. Sie macht sich auf die Suche nach ihrem Feind, bleibt aber beim ersten Schatten stehen, fällt in die erste ideologische Falle. Der faschistische Schläger entsteht auf diese Weise. Dasselbe passiert beim Streitsuchenden an der Kreuzung. Die Stadtteilbanden formieren sich, indem sie solche Elemente rekrutieren, während die Stadien sich mit ihren Anfeuerungs- und Selbstverherrlichungsschreien füllen.

Im Grunde ist der ungeordnete Rebell auf der Suche nach einem Bezugspunkt, nach einem Ideal, wofür es zu kämpfen gilt, und an diesem Punkt fragt er nach Hinweisen bezüglich dem Ziel, wogegen es zu kämpfen gilt. Die Unwissenheit und die aristokratische Überbewertung von sich selber bringt viele Rebellen dazu, sich nicht alleine orientieren zu können und in Gewalt vieler Illusionen zu geraten. Einmal im Fehler oder im Missverständnis, verhindern ihr Charakter selbst und die Überbewertung des eigenen Ichs jede Änderung in den eigenen Ideen. So erklärt sich, weshalb viele Subproletarier, zuwider jeder sozialen Logik, die Rangiermasse der reaktionärsten Rechten bilden.

Der Jugendliche ist oft in einer Situation, die wir als unentschlossen definieren könnten. Er verspürt einen Ansporn zur Revolte, auch weil seine sozialen Perspektiven noch nicht ausreichend klar sind, weil die Konditionierungen noch nicht stark sind, doch er weiss nicht, wie er sich orientieren soll, er findet keine gültigen Elemente, um das eigene Verlangen, sich “gegen” eine erstickende Situation zu stellen, zu rechtfertigen. Die grossen Worte, die grossen ideologischen Diskurse sagen für seine zersetzte Situation nichts klares aus. Die revolutionäre Aktion und eine angemessene anarchistische Klarstellung können leicht auf diesen fruchtbaren Boden fallen und unter dem Gesichtspunkt der Aktion beträchtliche Resultate erzielen. Doch wir müssen unsere alten Diskurse an die veränderten Lebensbedingungen anpassen, ohne deswegen jene Informationsmittel zu akzeptieren, die, eben in der Gesuchtheit der Form als Zweck an sich, auf triste Weise den Mangel an Inhalten verbergen. Wir müssen, schliesslich, zuerst kommen, bevor die leichten Konditionierungen der wahllosen Gewalt zugegriffen haben. Jene, die der Täuschung sofort zum Opfer fallen, sind oft die besten Elemente, die Arglosesten, diejenigen, die am meisten zur Aktion bereit sind. Sie bezahlen auf diese Weise ihren blinden Willen, “etwas zu tun”, und werden, aufgrund ihres hartnäckigen Willens, weiterzumachen, zu den gefährlichsten Werkzeugen in den Händen des Feindes.

Die bewusste Rebellion

Sie entsteht aus der glücklichen Vereinigung des Charakters und der Bewusstwerdung. Im Absoluten wäre die zweitere unmöglich ohne eine Bereitschaft des ersteren zur Aktion, und, umgekehrt, wäre der erstere verstümmelt ohne den Beitrag der zweiteren. Man muss jedoch präzisieren, dass die Bewusstwerdung zum grössten Teil eine Auswirkung der Klassensituation und des Klassenkonfliktes ist, und somit eng verbunden mit den sozialen Verhältnissen voranschreitet und von diesen ihre Prägungen erhält. Der Charakter hingegen ist immer ein der Persönlichkeit inhärenter Faktor (an deren Zusammensetzung auch das Klassenbewusstsein teilnimmt) und erweist sich somit als stark subjektiver Ausdruck.

Aus einer Verschmelzung dieser beiden Realitäten, die verschieden, aber nicht gegensätzlich sind, durch tausend untereinander interagierende Verbindungen miteinander verbunden, kommt die bewusste Rebellion hervor.

Differenzierungselemente

Es gibt einige Parameter, die es erlauben, die ungeordnete von der bewussten Rebellion zu differenzieren. Das Kriterium der Unduldsamkeit ohne Ziel, des Bruchs ohne Motiv, genügt nicht, um deutlich zu unterscheiden.

Die ungeordnete Rebellion ist im Allgemeinen pessimistisch, sie betrachtet das Leben als etwas von geringem Wert und ist daher bereit, es aufs Spiel zu setzen. Das eigene Leben und das der anderen. Der Pessimismus ist immer ein Element, das dazu tendiert, die Aktion zu entwerten, der er jedenfalls geringe konstruktive Möglichkeiten beimisst. Daraus folgt, dass man zu allem möglichen bereit ist, solange man sich nur bewegt oder das Gefühl hat, sich zu bewegen. Der Optimismus hingegen ist tendenziell bewertend, er betrachtet das Leben als eine Erfahrung, die es wert ist, gemacht zu werden, bis auf den Grund. Er weicht nicht zurück vor der Möglichkeit, es aufs Spiel zu setzen, aber er tut es nicht blind. Er schätzt Möglichkeiten und Perspektiven ab. Bei alledem ist der Optimismus keine Philosophie von Spiessbürgern. Im Gegenteil, eben jene Klasse ist es, die oft – aus dem Innern der eigenen mikroskopischen Interessenswelt – gerne alles mit Feuer und Schwert verheeren würde, und eben sie ist das grausamste Werkzeug in den Händen der Repression.

Eine andere Charakteristik der ungeordneten Rebellion ist ihr Mangel an Liebe. Keine bestimmte Art von Liebe, sondern der Sinn selbst der Liebe, der ein gesamtheitliches Fundament hat. Die Unordnung ist immer Partialität, der Mangel an Zielen ist nicht nur ein Aspekt der moralischen Vernichtung des Individuums, sondern ist auch die Wiederbestätigung seiner Unfähigkeiten, und somit seiner Begrenzungen. Der Rebell, der ungeordnet bricht, hat einen Groll gegen alles und alle, er zieht sich in sich selbst zurück, weil er Angst hat. Sein Egoismus ist nicht eine neue Menschheit hervorbringend. Er versiegelt schlicht die verdorbensten Aspekte des Konservativismus derjenigen, die die Macht besitzen. Sicher lehnt der Rebell seine soziale Bedingung ab, oder akzeptiert er die aufgezwungenen Verhaltensweisen nicht, doch die seine ist immer eine Suche nach einem Herr, nach einem Übergeordneten. So sieht man, wie er nach einer Uniform, einem Motto, einem Symbol, einer Mode sucht. Ohne diese Uniformitäten ist er verloren. Er muss sich in den Dienst von etwas stellen. Der Rebell hingegen, der sich der eigenen Situation des Bruchs bewusst ist und die Beweggründe dazu ermittelt hat, ist auf der Suche nach einem gesamtheitlichen Verhältnis, nach einer vollständigen Miteinbeziehung mit der Realität und den Anderen. Sein Anders-Sein ist stets zur selben Zeit eine Zurückweisung der aufgezwungenen sowie der gesuchten Uniformität. Sein Egoismus ist eine Liebe zu sich als Individuum, als Pol einer Beziehung, welche die anderen miteinschliesst, ohne zu einem Prostituierungsprozess gegenüber dieser äusseren Entität gezwungen zu sein, die Gefahr läuft, uns zu konditionieren, auch nachdem wir sie zurückgewiesen haben. Diese Rebellion hat keine Grenzen. Sie nimmt sich präzise Ziele vor, doch nur, um sie erreichen und überwinden zu können. Man darf nicht den Fehler machen, solche Ziele als eine Begrenzung der Rebellion selbst zu betrachten. Oft verhüllt die scheinbare Unbegrenztheit einen Mangel an Inhalten, der sich in einem leeren äusseren Rebellismus und in einer realen Konformität ausdrückt.

Ein weiteres Präzisierungselement ist das Verhältnis zur Methode. Der Rebell bricht mit der Welt, negiert sie aber nicht. Wenn seine Rebellion ohne einen Sinn ist, so breitet sie sich überall aus, aber ohne eine eigene Überzeugung und eigene Inhalte, ohne das Konzept selbst von Beziehung mit einzubeziehen. Der ungeordnete Rebell negiert sich selbst in dem Moment, in dem er die Möglichkeit negiert, Beziehungen mit den anderen zu haben. Die seine ist nicht eine Kritik, sondern ist die Abplattung der Negierung. Das Modell, das von der geläufigen Verhaltensweise aufgezwungen wird, ist ihm unangenehm oder unzugänglich, und nun weist er die Gesamtheit der Verhaltensweisen zurück, während er ihren Wert abplattet. Die Freiheit ist eines der Ziele der wahren Rebellion, während sie in der generalisierten Abwesenheit von Werten, wie dies beim ungeordneten Rebell der Fall ist, in der Negierung der Freiheit der anderen oder im völligen Desinteresse gegenüber der Knechtschaft der anderen dahinschwindet. Ein Kämpfer für die Freiheit ist immer, notwendigerweise, ein Rebell, aber ein Rebell ist nicht immer ein Kämpfer für die Freiheit.

Ein letztes Element ist die Sensibilität für die Schönheit. Eine andere Qualität der Beziehungen bildet die grundlegende Charakteristik der bewussten Rebellion. Der Bruch mit der Konditionierung, die von den Spielregeln auferlegt wird, schlägt eine andere Perspektive, eine andere Schönheit des Lebens vor. Dies existiert leider nicht in der ausschliesslich negativen Unordnung, welche die Abstufungen abflacht und eine monotone Wiederholung des eigenen Abbilds produziert. Der Sinn des Anderen löst sich somit im Besonderen auf und dieses letztere, seinerseits, versinkt im Gleichförmigen. Sicher, in diesen letzten Jahren haben sich die kulturellen Inhalte verringert, die früher einen anderen Zugang zur rebellischen Schönheit gestatteten, dafür gab es eine quantitative Verbreiterung, die, auf die eine oder andere Weise, die Mündung in Richtung neuer Qualitätsperspektiven finden wird. Alles mit seinen Grenzen und seinen Möglichkeiten.

Aufständische Strategien und Methoden

Die Ausbeutung

Die Ausbeutung liegt dem kapitalistischen System zugrunde. Die Akkumulation und somit die Fortführung selbst der Klassenherrschaft wäre nicht möglich, wenn nicht gegenüber den Vielen die terroristische Diktatur der Wenigen ausgeübt würde, eine Diktatur, die auf dem Elend, der Angst und dem Tod basiert.

Dies bestimmt die Klassenkonfrontation. Sosehr man auch oft Phänomenen von Schlichtung und Kompromiss beiwohnen mag, die Ausgebeuteten sind ständig in der Defensive, umsichtig und aufmerksam, beobachten alle Schwierigkeiten des Feindes, betrachten mit Argwohn die Manöver der Verräter – die sich in Worten zu ihren Verteidigern erklären – und warten auf den geeigneten Moment, um den Kopf zu heben und in Aufstand zu treten.

Die soziale Konfrontation präsentiert sich also als eine abwechselnde Bewegung, die mal heftiger, mal sanfter ist. In ihr entwickeln sich Theorien, Praktiken, Einstellungen und Erwartungen, die nie Wiederholungen von dem sind, was vorgekommen ist. Jeder historische Moment weist neue Gegenüberstellungen auf: neue Bosse, neue Verräter, neue Ausgebeutete, neue Angriffsstrategien gegen die Ausbeutung und neue Repressionsversuche.

In groben Linien können wir sagen, dass sich die Strategie des Kapitals von einer grösseren Einwirkung des ökonomischen Instruments zu einer grösseren Einwirkung des politischen Instruments verlagert. In Zeiten, die für die Ausbeutung günstiger waren, fand das Kapital breite soziale Schichten, die bereit waren, sich selbst im Tausch gegen einen Lohn zu veräussern, und somit vertraute es sich den regulierenden Illusionen des Marktes an. Gleichzeitig, wie sich diese Schichten allmählich reduzieren und sich somit die Arbeitskosten zwangsläufig erhöhen, beziehungsweise, gleichzeitig, wie der soziale Druck allmählich dazu verpflichtet, die Beschäftigung übermässig zu vergrössern, reduzieren sich die automatischen Gleichgewichtsspielräume des ökonomischen Systems und bewegt man sich auf deutlichere politische und repressive Strategien zu. Der Staat greift massiv ein und reguliert sowohl den ökonomischen wie auch den sozialen Prozess. Die Schwierigkeiten verschärfen sich, die Polizei wird zum Angelelement, um das die soziale Ordnung sich dreht, die Armee zum äussersten Stützpunkt.

Auch die Strategie der Ausgebeuteten wendet sich von einem organisatorischen Prozess von gewerkschaftlicher und forderungsorientierter Art, entsprechend der Marktphase des Kapitals, einem Prozess zu, der zergliederter, scheinbar ungewisser und widersprüchlicher, aber lebendiger und kreativer, offener für die Selbstorganisation der Kämpfe ist [1983], ein Prozess, der die Kampfebenen um vieles ansteigen lässt und den Einsatz der Methode des bewaffneten Kampfes erlauben kann.

Die Tatsache, dass einer Strategie des Kapitals und des Staates mit ordnerischen Ansprüchen, eine Strategie der Bewegung der Ausgebeuteten mit kreativen und selbstorganisatorischen Ansprüchen zu entsprechen kommt, darf nicht widersprüchlich scheinen. Die Repression löst gleichzeitig, wie sie allmählich ansteigt, viele Mechanismen aus, darunter eben jener einer Erhöhung der Ebene der sozialen Konfrontation. Ausserdem ist die Erhöhung der Repression eine Konsequenz der Verschlechterung der vorherigen Produktionsbedingungen, worunter breite, von der Salarisierung entfremdete soziale Schichten geduldig darauf warteten, in die Produktionswelt einzutreten, und sich, in ihrer Geduld, sogar zu Hungersbedingungen bereit erklärten. Die Hoffnungen auf bessere Zeiten, auf bessere Konsummöglichkeiten und bessere Löhne, sind viel stärkere Zügel als das Maschinengewehr der Polizei.

Repressive Strategien und Methoden

Wir betrachten als Strategie den Einsatz von einigen Methoden innerhalb der Bedingungen der sozialen Konfrontation. Die Methoden hingegen sind Interventionsprozesse, die sich als stabil und klar definiert zeigen, solcherart, dass es, zumindest innerhalb des gegenwärtigen historischen Rahmens der Ausbeutung, nicht möglich ist, sie zu verändern.

Während die Strategien an die kurzfristigen Bedingungen gebunden sind und somit stetig aktualisiert, verändert, diskutiert und eventuell als für das Ziel ungeeignet erklärt werden müssen, erhalten sich die Methoden fix und garantieren sie jene Interventionskontinuität, die den Kampf an beiden Fronten charakterisiert: die Klassenkonfrontation ändert sich fortwährend (was die Strategien betrifft), bleibt aber, in der Praxis, dieselbe (was die Methoden betrifft).

Das Kapital wendet – wie wir gesehen haben – unterschiedliche Strategien an, je nach Situation der sozialen Konfrontation: es wechselt von der Marktlogik im konkurrenziellen Sinne zur Produktion mit Charakteristiken von Verstaatlichung, vermischt grössere Produktivität mit geringerer militärischer Repression, grössere militärische Repression mit geringerer Produktivität. Manchmal intensiviert es die Konsummöglichkeiten, andere Male zieht es sie zusammen, es benutzt den Währungsmechanismus in Alternative zum Steuermechanismus und umgekehrt. In wiederum anderen Fällen macht es offeneren Gebrauch von der Repression und errichtet es ein geschlosseneres Regime, während es Politiker-Handpuppen mit dem Aufsagen von nationalistischen Kinderreimen und die uniformierten Folterern mit der Aufgabe betraut, jeglichen Dissens im Blut zu ersticken.

Aber all diese Strategien stützen sich auf vier methodologische Richtungen:

1) Von der Macht kontrollierte Information. Es geht nicht um die blosse Arbeit der grossen Informationsmittel, sondern auch um all jene Akte, die scheinbar auf der Konsultation der Leute beruhen: Abstimmungen, Wahl seiner Arbeit, Wahl seiner Bildung, Einsatz der Freizeit, Erwerb von Produkten, Bildung von politischen Meinungen, Entwicklung der ethischen Werteskala, usw.

2) Differenzierte Erziehung der unterschiedlichen sozialen Klassen. Es geht nicht um den blossen schulischen Moment, sondern um einen dauerhaften Prozess. In der Praxis ist es die Methode, die die kontrollierte Information bekräftigt und einschärft, welche, anderenfalls, darin enden würde, sich in der Leere aufzulösen. Es geht um koordinierte Prozesse, die ethische Werte zutage fördern und bestärken, die oft vermasst, aber auch für eine recht beschränkte Minderheit ausgearbeitet werden. Zum Beispiel wohnen wir heute einer Überarbeitung des Wertes “Nationalismus” mit jenem von “Demokratie” bei, aber das ist nur ein Fall unter den vielen.

3) Reform der Ausbeutungsbedingungen, nicht nur auf politischer, sondern auch auf sozialer Ebene. Kein Machtprojekt ist denkbar, wenn es nicht als ein Ganzes in Bewegung betrachtet wird. Auch die tyrannischsten Regime der Vergangenheit hatten eine Tendenz zur Beilegung und zum Kompromiss mit den unterdrückten Klassen. Die absolute Repression ist ein Grenzmythos, ein Ideal, das es keiner konstituierten Macht wichtig ist lange aufrechtzuerhalten. Es wird stets bevorzugt, Elemente von reiner Repression und reformistische Kompromisse miteinander zu kombinieren. In diese Richtung ist der Weg, der von den modernen Demokratien zurückgelegt wurde, wahrlich bemerkenswert.

4) Terroristische Repression von jedem Verhalten entgegen der kodifizierten Norm. Sie reicht von der verbreiteten sozialen Missbilligung gegenüber gewissen Werten, die für das gute Funktionieren der Gesellschaft als schädlich erklärt werden, bis zum organisierten Terrorismus der Polizei, der Armee, der Richterschaft, der Gefängnisse, etc., ein Terrorismus, der sich gegen jene richtet, die sich das zurückholen wollen, was die Ausbeutung entrissen hat, während es ihm gelingt, gegenüber allen eine Mahnung darzustellen. In einer solchen repressiven Methodologie kann der Staat spezifische Organisationen einsetzen (Polizei, Geheimdienste, Spezialeinheiten, Armee, usw.), Organisationen, die normalerweise zu anderen Tätigkeiten bestimmt sind, aber im Bedarfsfall fähig sind, terroristische Aufgaben auszuüben (Gewerkschaften, Parteien, politische Bewegungen, Schulen, Spitäler, kulturelle Strukturen, Zeitungen, Fernsehen, usw.), oder auch terroristische Organisationen, die direkt vom Staat durch den Einsatz von Elementen der Armee, der Polizei, der Richterschaft, von politischen Bewegungen der extremen Rechten, von Berufsmördern, von Mafiosi kreiert werden.

Über diesen ganzen Diskurs gibt es zu sagen, dass die verschiedenen Methoden einander nicht ausschliessen, sondern, in der Praxis, gleichzeitig eingesetzt werden und gegenseitige Verbindungen von grossem Interesse haben. Denken wir beispielsweise nur an die Konsequenzen der Entwicklung der Informationsinstrumente auf die von der Macht realisierten Erziehungsprozesse. Der Fall der Informatik bleibt noch gänzlich zu bestimmen [geschrieben 1982]. Grundsätzlich, wie wir gesagt haben, tritt die Intensivierung der Repression dann ein, wenn die anderen beiden Methoden beginnen, Anzeichen von Nachlassen und von Unwirksamkeit zu geben. Der umgekehrte Prozess ist, im Wesentlichen, charakterisiert von einer gewissen Zähflüssigkeit in der Reduzierung der terroristischen Prozesse des Staates, dies aufgrund der Tatsache, dass sich Organisationen und Mentalitäten, die als alltägliche Gepflogenheit von der Gewalt und von der Folter, vom Mord und von der Denunziation Gebrauch gemacht haben, nicht sehr leicht wieder abzubauen sind.

Revolutionäre Strategien und Methoden

Der Unterschied zwischen Strategie und Methode ist praktisch derselbe. Es handelt sich um Aktionsformen, die der Mensch besitzt. Ob Bulle oder Revolutionär, er kommt nicht darum herum, zu handeln, indem er strategisch unterschiedliche Anwendungen von einigen grundlegenden Methoden studiert.

Die revolutionären Strategien stehen in einem direkten Zusammenhang mit den Bedingungen der sozialen Konfrontation. Sie sind nicht deren passive Konsequenz, und dies, weil der Revolutionär ständig versucht, auf die Realität einzuwirken, sie zu beeinflussen, sie mit seiner Aktion zu verändern, aber sie müssen das Level der Konfrontation berücksichtigen, wenn sie nicht im Bereich der Illusionen bleiben wollen. Bei einem niedrigen Level der Konfrontation, wenn breite Schichten des Proletariats von der Salarisierung fern bleiben, wenn das Kapital so viel Kapazität hat, dass es sich selbst den irrationalen Gesetzen des Marktes anvertraut, wird die revolutionäre Strategie sicher in der Stärkung der Organisationen der Bewegung, in dem Eindringen in die unterschiedlichen Sektoren der Welt der Arbeit und der Arbeitslosigkeit, unter die Arbeiter und die Tagelöhner, die Studenten und die Hausfrauen bestehen. Bei einem höheren Level der sozialen Konfrontation gibt die Strategie des Kapitals Anzeichen von Instabilität: der Staat greift schwerwiegend ein, um die intolerablen Bedingungen von Inkapazität in der kapitalistischen Verwaltung der Wirtschaft zu korrigieren, bei einem Level, wo die terroristische Repression des Staates zunimmt und die Möglichkeiten von Arbeit und Wohlstand (wie künstlich dieser auch sein mag) sich verringern, wird sich die revolutionäre Strategie auf eine Intensivierung des bewaffneten Angriffs, und somit auf ein Anwachsen und eine fortlaufende Qualifizierung der bewaffneten Organisationen ausrichten, die in der Klandestinität agieren.

Innerhalb von diesen beiden Richtungen – die einander nicht ausschliessen, sondern sich im Gegenteil gegenseitig stützen – entwickeln sich unterschiedliche strategische Entscheidungen, welche, ihrerseits, die tiefgreifende und entscheidende Differenzierung verdeutlichen, die sich innerhalb des revolutionären Lagers birgt: die anarchistische Tendenz zur Qualität des Kampfes und zu seiner Selbstorganisation und die autoritäre Tendenz zur Quantität des Kampfes und zu seiner Zentralisierung.

Die Methoden, die den unterschiedlichen revolutionären Strategien zugrunde liegen, können in vier Ausrichtungen unterteilt werden:

1) Freie Information, möglichst getreu der Realität der Tatsachen, vom Ereignis direkt an den Nutzniesser übermittelt, ohne verzerrende Eingriffe von politischer oder ideologischer Art. Gewiss, diese Bekräftigung stellt ein Ideal dar, das oft nicht realisierbar ist, aber die Methode der Information muss nach dieser maximalen Perfektion streben, indem sie, so gut wie möglich, Inhalte von wirklichen Tatsachen übermittelt und die verschiedenen Realitäten bekannt macht, um zu vermeiden, dass sie von der Information, die von der Macht kontrolliert wird, hoffnungslos verdreht werden.

2) Theorie über die Bedingungen der sozialen Konfrontation. Eine Analyse, die Überlegungen über die Tatsachen liefert, ist unerlässlich, um sie deutlicher zu umreissen und innerhalb von einem breiteren Kontext einzuordnen. Dieser zweite methodologische Moment dient dazu, die Informationen besser verständlich zu machen, sie sprechen zu lassen, sie ihrem stummen Kontext zu entreissen, der sie den verbrecherisch falschen Informationen, die von der Macht in Umlauf gebracht werden, gefährlich ähnlich sehen lässt.

3) Der intermediäre Kampf, der die Revolutionäre auch in partielle Aspekte des sozialen Konflikts intervenieren lässt: in die Schulen, in die Fabriken, in die Kasernen, in die Viertel, in die ländlichen Gefilde. Einzeln betrachtet hat jeder Kampf von dieser Art alles Zeugs dazu, um von der Gegenseite wieder einverleibt zu werden, und häufig trägt er dazu bei, die Grundlagen selbst der Ausbeutung zu festigen, indem er ihre irrationalen Aspekte ausbessert. Dennoch kann man nicht sagen, dass es nachzüglerische, oder verliererische Kämpfe sind, oder Kämpfe, die es als reformistisch zu betrachtend gilt. Es ist im Kampf, und sei er auch partiell und eingegrenzt, wo die Informationen und die Theorien als Erstes ihr mögliches und korrektes Verständnis vonseiten der Proletarier finden. Auf der rein theoretischen Ebene würden sie auf ewig bedeutungslos bleiben. Es ist im Kampf, und sei er auch partiell, wo das Klassenbewusstsein gebildet wird und anwächst. Es ist im Kampf, auch im Nachhutskampf, zur Verteidigung einiger Rechte oder bereits erfolgter Errungenschaften, wo wir uns auf eine potenzielle Erhöhung des Levels der Konfrontation vorbereiten.

4) Der bewaffnete Kampf, der die gewaltsame Angriffsmethodologie gegen den Staat, seine Organisationen, seine Strukturen, seine Menschen, seine Reichtümer und seine Projekte zusammenfasst. Die Tatsache, dass diese Methode oft den Strategien Gestalt verleiht, die einem höheren Level der sozialen Konfrontation entsprechen, bedeutet nicht, dass sie als eine “erhabenere”, oder effizientere, oder revolutionärere Kampfmethode betrachtet werden kann. Es ist schlicht eine andere Methode, die ihre Charakteristiken, ihre Grenzen und ihre Vorzüge hat, die sich aber nicht auf einer hypothetischen und nie definierten revolutionären Werteskala auf einem höheren Platz verorten kann. Gewisse Bewusstseinsebenen treiben einen Proletarier dazu an, vor einer Fabrik ein Flugblatt zu verteilen, andere Ebenen treiben ihn dazu an, eine Pistole in die Hand zu nehmen, um sich das zurückzuholen, was ihm entrissen wurde, um auf einen Polizisten oder einen Richter zu schiessen, um einen Schuldigen, einen Vollstrecker des terroristischen Projektes des Staates, einen Spitzel zu bestrafen, oder, noch einmal andere Ebenen treiben ihn dazu an, eine Fabrik anzugreifen, ihre Produktion zu sabotieren, ihre Produkte zu beschädigen, und wiederum andere, schliesslich, treiben ihn dazu an, sich mit Proletariern zusammenzuschliessen, die in derselben Situation sind, mit Männern und Frauen, die sich über die Notwendigkeit bewusst sind, gemeinsam und mit einem Minimum an Koordination einen Angriff gegen den Klassenfeind zu entwickeln.

Jede von diesen Methoden schliesst die andere nicht aus, ja, im Gegenteil, durchdringen sie sich und stützen sie sich gegenseitig. Daraus geht deutlich hervor, dass es nie möglich ist, mit Klarheit einen genauen Zeitpunkt auszumachen, wo zur Anwendung einer gewissen Methode zurückgegriffen werden muss; sondern, alle gemeinsam, müssen eingesetzt werden und können ihre Früchte tragen, innerhalb der Grenzen und der Perspektiven, in denen die verschiedenen Strategien die Realisierung dieser Früchte erlauben.

Das Problem der Strategie

Im Bereich der revolutionären Träume ist der Wert der Angriffsstrategie klar sekundär. Man bildet sich ein, dass die Wahrheit zwangsläufig über die Lüge triumphieren muss. Wie die christlichen Märtyrer weicht man vor der Gefahr nicht zurück. Man schreitet kopfunter voran, sein Gewissen zur Ruhe stellend, die Fackel der ideologischen Reinheit hochhaltend, aber oft fernab von der Realität der Konfrontation bleibend.

Die Proletarier, die Ausgebeuteten im Allgemeinen, die subproletarischen Schichten, die äusserst akuten Aspekten der Unterdrückung unterzogen werden, haben keine klaren Ideen. Die Gleichung Ausbeutung=Klarheit stimmt keinesfalls. Man kann das ganze Leben mit Ketten am Hals verbringen, sich mit Müh und Not dahinschleppend, ohne sich darüber bewusst zu werden, wer das Vorhängeschloss geschlossen hat. Diesen Punkt genügend hervorzuheben, ist nicht einfach. Die Worte reichen nicht. Die Informationen auch nicht. Zumindest reichen sie nicht alleine. Es ist erforderlich, Kämpfe zu entwickeln, auch intermediäre und langzeitige Kämpfe. Es ist erforderlich, recht klare strategische Projekte zu haben, fähig, die Anwendung der verschiedenen zur Verfügung stehenden Methoden, auf koordinierte und fruchttragende Weise, zu erlauben.

Als Anarchisten verfolgen wir das Ziel des qualitativen Wachstums der Bewegung und unterstützen wir deren Selbstorganisation. Darin stellen wir uns den Autoritären und den Stalinisten entgegen, die ein massenhaft quantitatives Wachstum unterstützen, basierend auf der Kontrolle und der (sogenannten demokratischen) Zentralisierung. Aber diese Position von uns kann sich nicht in die Arme von einer leeren Wartestrategie legen. Das heisst, wir können nicht ewig darauf warten, dass sich, im Proletariat und in den ausgebeuteten Massen, die Tendenz zur Selbstorganisation entwickelt, mit all ihren notwendigen qualitativen und kreativen Voraussetzungen. Wir müssen auf direktere Weise, und auch auf schwerwiegendere Weise einwirken. Wir müssen uns auch als spezifische Minderheit bewegen, selbst die Aufgabe auf uns nehmen, Aktionen zu einem guten Abschluss zu bringen, die die Ausgebeuteten alleine, bei einem bestimmten Level der Klassenkonfrontation, nicht entwickeln können. Anderenfalls würden wir uns, und gemeinsam mit uns das Proletariat selbst, in die Hände der Stalinisten übergeben.

Machen wir ein paar Beispiele:

1) In der Ausarbeitung der Information müssen wir das Projekt einer möglichst realitätsgetreuen Übermittlung verfolgen, um eine ideologische Überarbeitung zu vermeiden, und sei es auch unsere ideologische Überarbeitung. Aber wir können uns deshalb nicht der Initiative der Ausgebeuteten anvertrauen, indem wir, zum Beispiel, die Informationsinstrumente, die wir kreieren, ihrer spontanen Benutzung öffnen. Das wäre ein kolossales Fiasko. Wir würden ein schreckliches Sammelsurium von Gemeinplätzen, Geschwätz, Maximalismen ohne Hand noch Fuss und Kaffediskussionen in Umlauf bringen. Wir müssen uns selber darum kümmern, unsere Informationsinstrumente zu verfassen, wir müssen die Beiträge, die von aussen kommen, unbedingt durch das Sieb einer revolutionären Kritik lassen, um ihnen in dem, was unsere Strategie ist, eine entsprechendere Stellung zu geben, während wir es – so gut wie möglich – vermeiden, dass diese Intervention sich in eine radikale Verzerrung der Information selbst verwandelt. In einem Wort: unsere Arbeit wird immer eine “parteiische” Arbeit sein und wird nie beanspruchen können, reine “Objektivität” zu erreichen, ohne sich als Information zu negieren.

2) In der theoretischen Entwicklung unserer Analysen müssen wir uns anstrengen, darüber Rechenschaft abzulegen, wie die Dinge liegen, und nicht darüber, wie sie sein sollten. Dieser letztere Aspekt, bei dem wir aufgrund von einer angeborenen Liebe zur Utopie oft verweilen, muss sich gegenüber der Analyse, die dringender und primärer ist, die auf der Einschätzung der Realität basiert, gezwungenermassen als sekundär erweisen, so löblich und von grosser sentimentaler Bedeutung unser Drang nach einer bloss vorgestellten Zukunft auch sein mag. Es ist klar, dass wir uns, um eine solche Arbeit zu entwickeln, und auch nur, um sie zu verstehen, wenn sie von anderen Gefährten entwickelt wird, mit einigen Instrumenten versorgen müssen, die vom Kapital ausgearbeitet wurden und die in den Kreisen der Macht freie Zirkulation finden. Wir wären genötigt, bloss Kaffeegeschwätz zu betreiben, wenn wir heute nicht über einige Grundkenntnisse in Ökonomie verfügen (und vielleicht auch über etwas mehr als ein paar Kenntnisse). Die apriorische Weigerung, das Studium von einigen Instrumenten zu vertiefen: Ökonomie, Geschichte, Philosophie, Administration des Staates, öffentliche Finanz, Technik der Unternehmen, usw., hat kein revolutionäres Fundament, sondern besteht in einer fehlerhaften Interpretation des zerstörerischen Moments, der vom Anarchismus verfochten wird.

3) In den intermediären Kämpfen präsentieren sich die Anarchisten oft mit tausend Widerspenstigkeiten. Ihre grundlegende Reinheit bringt sie dazu, schlecht zu träumen. Sie bilden sich ein, in nicht immer sauberen Beziehungen mit anderen politischen Kräften kompromittiert zu werden, mit diesen Kräften auf dem Niveau der partiellen Motivationen, auf Forderungsebene, nicht konkurrieren zu können, während sie in der Gewalt von politischen Sophismen enden. Das alles blockiert viele Initiativen bei der blossen Phase des informativen Anstosses. Dies getan, bleibt man stehen, vertrauend in die Klarheit des anarchistischen Diskurses, in die Offensichtlichkeit der Notwendigkeit der Ablehnung der Delegation, in die Unmöglichkeit, dass man sich, nach so vielen negativen Erfahrungen, weiterhin falsche Hoffnungen über die Rolle macht, die die politischen Kräfte als Stütze des Kapitals und des Staates ausüben. Dann bleibt man überrascht und quasi entrüstet ab der Tatsache, dass die Proletarier keine klaren Ideen haben, nicht leicht verstehen, weshalb man denn auf die Delegation verzichten sollte, und damit fortfahren, sich, wie immer, von den Stümpern der Politik betrügen zu lassen. Diese tragikomischen Situationen sind sehr offensichtlich in den öffentlichen Debatten, an den Treffen und bei den Demonstrationen, die gemeinsam mit den sogenannten politischen Kräften der, mehr oder weniger revolutionären, Linken organisiert werden. Die Anarchisten starten mit einem grossen Gutwillen, reissen sich Arme und Beine aus, um die Demonstration zu organisieren (für Gewöhnlich ruhen sich diese Kräfte eigens auf dem Rücken der Anarchisten auf ihren Lorbeeren aus), entwickeln mit Präzision und Klarheit ihre informative Aufgabe (Flugblätter, Plakate, Redebeiträge, Kundgebungen, Vorträge, usw.), und dann blockieren sie. Sie überlassen den anderen Kräften die politische Verwendung der Demonstration. Für Gewöhnlich sind es diese Kräfte, die hinterlistig den propagandistischen Antrieb der Arbeit der Anarchisten ausnutzen, indem sie Anträge einfügen, Presseorgane instrumentalisieren, und zu verstehen geben, dass sie die einzige Präsenz sind, die fähig ist, etwas gegen die Macht zu unternehmen. Die Anarchisten sind inzwischen in ihre Räume zurückgekehrt, um sich zu fragen, wieso es bloss auch diesmal nicht gelungen ist, einen politischen Missbrauch von ihrer Initiative zu verhindern, doch im Grunde halten sie sich bereit und verfügbar für jede künftige Anfrage zur Zusammenarbeit. Es ist offensichtlich, dass wir bei solchen Dingen nicht in der Hälfte stehen bleiben können. Einmal begonnen, müssen sie vorangetragen werden, während man, auch mit politischen Mitteln, die Missbrauchsversuche verhindert. Schliesslich können auch wir beizeiten einen Antrag abfassen, bevor die Stalinisten Hand daran legen, und auch wir, besonders wenn wir einmal selbst unter den Organisatoren der Demonstration sind, können durchsetzen, dass dieser Antrag als Schlussfolgerung des Treffens oder der Versammlung durchkommt, ohne uns deswegen schmutziger oder kompromittierter zu fühlen, denn als wir die Arbeit gemeinsam mit anderen linken politischen Lagern begonnen haben. Indem wir bei diesen Problemen, die fälschlicherweise als nebensächlich betrachtet werden, den Vortritt gewähren, da wir, in gutem Glauben, meinen, dass es sich um Kompromittierungen ohne Nutzen handeln würde, laufen wir Gefahr, die Frucht der intermediären Arbeit zu verlieren, in den Augen der Proletarier als die zufälligen Weggefährten von politischen Formationen zu erscheinen, die besser organisiert sind als wir. So bestärkt man unter den Ausgebeuteten die Idee der unentbehrlichen Führung der Partei, hilft man den Stalinisten in ihrer quantitativen Aufgabe, und zerstört man von der einen Seite, was man auf der anderen Seite aufzubauen versuchte. Wir brauchen keine Angst davor zu haben, unsere Hände zu beschmutzen, indem wir zur Methode des intermediären Kampfes greifen, insofern wir, in der Anwendung der verschiedenen Strategien, eine Klarheit über die Ziele der Anarchisten bewahren, die den Betrügereien der Berufspolitiker und den Risiken des autoritären Projektes gegenübergestellt sind. Und die anarchistischen Ziele können auch erreicht werden, indem man im Disput mit den politischen Schlitzohren der autoritären Lager nicht zurückweicht.

4) Im bewaffneten klandestinen Kampf kann man nicht beanspruchen, dass alles der Improvisation und der Spontaneität des Einzelnen oder der kleinsten Gruppen anvertraut wird. Die Methode ist äusserst artikuliert und eignet sich zu Anwendungen von grosser Wichtigkeit innerhalb von strategischen Perspektiven, in die auch die anderen Methoden eingreifen. Von der Sabotage und der individuellen Aktion, oder jener einer winzigen Gruppe, die in jeglicher Hinsicht autonom und von operativen Kontakten mit anderen Gefährten oder Gruppen losgelöst ist, gelangt man zu einem organisatorischen Übereinkommen auf ziemlich breiter Ebene, das fähig ist, dutzende Gruppen und hunderte Gefährten miteinzubeziehen. Was hier wichtig ist, anzumerken, ist, dass die qualitative Entwicklung der bewaffneten revolutionären Aktion zweifellos mit gewissen unentbehrlichen quantitativen Notwendigkeiten in Widerspruch gerät. Es wird einem sicher nicht gelingen, viel hinzukriegen, wenn man mit äusserst wenigen ist. Aber man darf nicht denken, dass nur das zahlenmässige Wachstum eine strategisch korrekte Anwendung der Methode des bewaffneten Kampfes gestattet. Im Allgemeinen ist das, was im organisatorischen Moment gesucht werden muss, die kreative Entwicklung der Ideen, der Theorien, der Analysen, der zwischenmenschlichen Beziehungen, der Aktionen, der Kontakte nach aussen, der Verbreitung des strategischen Projekts. Nur in einer untergeordneten und parallelen Form kann eine quantitative Entwicklung ins Leben gerufen werden, welche ihrerseits qualitative Konsequenzen von beträchtlicher Tragweite mit sich bringen wird. Man darf in keine der beiden Richtungen übertreiben: weder in die quantitative, indem wir uns einbilden, dass man erst später kreative und qualitative Prozesse ins Leben rufen kann, noch in die qualitative, indem wir uns einbilden, dass die Quantität eine Tatsache ist, die notwendigerweise auf die guten qualitativen Vorschläge folgt. Der sichtliche Widerspruch wird erst dann wesentlich, wenn die Methode nicht in ihrer globalen Konzeption betrachtet wird. Auch in der Anwendung der Methode der Information, auch in der Analyse, auch im intermediären Kampf werden oft Aspekte der Methode des bewaffneten Kampfes vorgeschlagen und realisiert, aber es wird gewiss nicht das zahlenmässige Ziel sein, das man verfolgen will. Den “Ton”, den man wählt beim Liefern einer Information, der Rückgriff auf gewisse Interventionen, die als “härter” definiert werden können, in den intermediären Kämpfen, die Klarheit mancher Analysen, das sind qualitative Anreize zu einer Bewusstwerdung, kreative Beiträge zu einem quantitativen Wachstum, das Zukunft in Aussicht hat, aber das sicher nicht als völlig überflüssig betrachtet werden kann.

Die beiden Dinge müssen also weise miteinander verflochten werden. Aus dem gegenseitigen Zusammenhang entstehen jene essenziellen Entwicklungen, die nicht ausschliesslich in quantitativen oder qualitativen Begriffen interpretiert werden können.

Das Verhältnis zum Level der Konfrontation

Wir stehen nicht alleine vor dem Level der Konfrontation. Als Anarchisten können wir uns alle Illusionen machen, die wir wollen, Illusionen von Reinheit und von einer Stimme in der Wüste, aber früher oder später müssen wir eingestehen, dass wir in Begleitung sind, in schlechter Begleitung.

Und die Beziehungen zu dieser schlechten Begleitung sind es, worüber wir nachdenken müssen, umso mehr sie uns abgedroschen und allbekannt scheinen, desto mehr erweisen sie sich als problematisch, und eben darum liefern sie den Punkt, wovon es auszugehen gilt.

Wir stehen nicht alleine da, weder an der Front der Information, noch an jener der Theorie, weder im Bereich der intermediären Kämpfe und auch nicht in jenem des bewaffneten Kampfes.

Die autoritäre Auffassung des revolutionären Kampfes verschmutzt weiterhin überall die korrekte Beziehung, die die proletarischen Kräfte zur Klassenkonfrontation haben sollten. Sie verschmutzt sie weiterhin, aber sie repräsentiert, zur gleichen Zeit, einen direkten Ausdruck von ihr.

Tatsächlich besteht kein Zweifel daran, dass die Entwicklung der Revolution nur unter der Bedingung möglich ist, dass sich die selbstorganisierten Kampfformen stärken. Aber es besteht auch kein Zweifel daran, dass das gegenwärtige Level der Klassenkonfrontation eine niedrige Entwicklung der Selbstorganisation hat, und dass dieser niedrigen Entwicklung im Bereich der revolutionären Aktion ein Überwiegen der Aktion der Autoritären entspricht. Wenn das Level ansteigt, werden diese Organisationen vom stürmischen Wind der Revolution hinfortgefegt, um dann wieder in Erscheinung zu treten, um die Fäden der Partei wieder zu verknoten und die Früchte der Unfähigkeiten anderer zu ernten. Wir dürfen uns keine Illusionen machen. Die Niederlage eines gewissen revolutionären Interventionsmodells hat Lehren geliefert, aber es ist nicht gesagt, dass eine Wiederaufnahme der Interventionen den Fehlern von einstmals nicht wieder Raum geben wird, und seien sie auch revidiert und korrigiert.

Die Anarchisten, hingegen, entwickeln sich, auch als Organisation, parallel zur Entwicklung der Selbstorganisation der Kämpfe. Für sie, da es das quantitative Missverständnis nicht gibt, bedeutet das Anwachsen der Bewegung in ihrer Gesamtheit auch ein Anwachsen im spezifischen Sinne und entspricht das Herannahen des revolutionären Windes nie der Panik und der Besorgtheit, sondern der Freude und dem Ausbrechen der regenerierenden Zerstörung.

Bei einem niedrigen Level der Klassenkonfrontation sind es also die Stalinisten, die sich der sozialen Realität in Bewegung als angepasster erweisen und sich als die einzige Kraft präsentieren, die fähig ist, der revolutionären Aktion Leben zu verleihen. Sie sind der sichtbare Punkt eines unterirdischen Kontinents, der Punkt, worauf sich oft die Aufmerksamkeiten richten, aber sie repräsentieren sehr wenig, verglichen mit den Kapazitäten von jenem versunkenen Kontinent, der untätig bleibt. Während die Autoritären allmählich ihre Aktion entwickeln, hat diese negative Konsequenzen auf das Level der Konfrontation, negativ, da sie, per Definition, indem sie eine Zentralisierung der organisatorischen Kampfstrukturen vorschlägt, darin endet, das Level selbst weiter herabzusenken. Nur, dass dieses Herabsenken praktisch gesehen winzig ist, eben aufgrund des niedrigen Levels, auf dem sich die Konfrontation befindet. Bei einem hohen Level strebt ihre Aktion stets nach demselben Ziel (abgesehen von verschiedenen Tarnungen à la: “Alle Macht den Sowjets”), aber in Anbetracht der euphorischen Stimmung ist sie auch diesmal vernachlässigbar. Man könnte, paradoxerweise, schlussfolgern, dass es gerade die Autoritären sind, die jenen Mülleimer der Geschichte darstellen, in den der Massakrierer Trotzki die Anarchisten werfen wollte. Egal was sie tun, sie haben keine Hoffnung ausser als Totengräber der Revolution. Zum Zeitpunkt einer bescheidenen Entwicklung der Kämpfe können sie sie gewiss nicht verschlimmern, zum Zeitpunkt eines grossen Aufschwungs werden sie völlig ausgehebelt.

Und doch haben auch sie eine nicht vernachlässigbare Funktion. Sie dienen als Prüfstand des Negativen. Sie dienen den Proletariern, um, in den Tatsachen, vor Augen zu führen, was nicht getan werden darf, sie dienen den wahren Revolutionären dazu, mit Klarheit eine Grenze zu kontrollieren, die nicht überschritten werden darf.

Aus diesem Grund haben wir es vermieden, diese Organisationen auf der Ebene von einer abstrakten und leeren Kritik zu bekämpfen, begründet auf den starken Punkten der anarchistischen Theorie, eine Kritik, die, wenn sie theoretische Breschen öffnen konnte, sicherlich nichts jenseits der banalen Konfrontation über die verschiedenen Interpretationsweisen der Geschichte und der Realität vor Augen führen konnte. Aus diesem Grund haben wir die Prüfung der Tatsachen vorgezogen. Das Mass der autoritären Fehler wird anhand von ihren Grenzen erfasst, ausgehend eben von der Unfähigkeit, die Abwicklung des Klassenkonflikts und die Modifizierungen des Levels der Konfrontation zu verstehen.

Halb gemachte Sachen

Die menschliche Aktion muss präzise Bedingungen erfüllen, um als solche definiert zu werden: sie muss Merkmale von Vollendetheit haben, das heisst, den Absichten entsprechen, oder, zumindest, in einem Zusammenhang mit den nachfolgenden Zwischenfällen stehen, die das Abrücken von den Absichten auslösen. Eine Aktion, die in der Hälfte stehen bleibt, die zögert und unentschlossen bleibt, eine Aktion, die sich mit unüberwundenen Zwiespälten herumschlägt, die widersprüchlich und partiell bleibt, ist keine leibhaftige menschliche Aktion, ist ein Versuch, ein Entwurf, ein unrealisiertes Projekt, ein Verlangen.

In der sozialen Konfrontation stehen die Aktionen, die darauf abzielen, die bestehenden Bedingungen des Klassenverhältnisses zu verändern, besonders stark unter dem Einfluss von diesem Grundgesetz der Aktion. Hier sind die Konsequenzen einer Unentschlossenheit oder eines Zögerns viel gravierender und übersetzen sie sich in negative Aspekte, die den Absichten, die die Aktion inspiriert haben, und den Zielen, die man sich vornahm, oft entgegengestellt sind.

Dieses Prinzip der “halb gemachten Sachen” gilt für alle vier methodologischen Richtungen der sozialen Aktion. Eine unvollständige, partielle oder unsichere Information hat den gleichen Wert wie eine manipulierte Information, als ein typisches Instrument der Macht. Eine Theorie, die sich an der Oberfläche der Probleme hält, die nicht den Mut hat, in die Tiefe vorzudringen, die Angst vor den Konsequenzen hat, die beabsichtigt, das Fell mit dem Strich zu streicheln, endet darin, sich als eine Art Erziehung zum Konformismus und zur Knechtschaft zu erweisen. Ein intermediärer Kampf, der das revolutionäre Ziel aus dem Blick verliert, wie fern es auch sein mag, ist ein von Anfang an verlorener Kampf, eine ungeheure Vergeudung von lebendigen sozialen Kräften, ein negatives Experiment, einzig dazu fähig, das Bewusstsein des Proletariats einzuschläfern. Ein Projekt von bewaffnetem Kampf, das unfähig ist, in all seinen Aspekten zu entwickeln, was die strategischen Bedingungen des Konfrontationslevels erlauben, ist ein nutzloses, oft kontraproduktives Bemühen, eine dreiste Schüchternheit, eine Bereinigung mit dem eigenen individuellen Gewissen und ein Verschliessen der Augen vor der Realität des Problems.

Im Namen von einer missverstandenen Reinheit in der Hälfte stehen zu bleiben, ist verbrecherisch. Dann lieber gar nicht erst beginnen. Wenn man nicht sicher ist, bis zum Ende gehen zu können, wenn man uneingestandene Bedenken hat, dann widmet man sich lieber anderem: das verursacht weniger Schäden und tut auch der Gesundheit gut.

Es stimmt nicht, dass dieses Prinzip für den bewaffneten Kampf gilt und nur zweitrangig auch für die anderen methodologischen Richtungen. Die Schäden, die aus einer Information hervorgehen können, die, aus Ineffizienz oder Oberflächlichkeit, unpassend ist, können ebenso gravierend sein wie die politischen und physischen Schäden, die aus einer schlechten klandestinen Organisation oder aus strategischen Fehlern beim Anwenden der Methode des bewaffneten Kampfes hervorgehen können.

Gut gemachte Sachen

Die revolutionäre Aktion, die ihre operativen Potenzialitäten ausschöpft und die Ziele erreicht, kann als eine gut gemachte Sache definiert werden. Oft sind die Potenzialitäten nicht im Voraus erkennbar und zeigen sie sich im Verlauf der Aktion selbst. Dasselbe gilt für die Ziele. Die kreative Fähigkeit der Aktion bestürzt die Revolutionäre und provoziert so manches Verderben, sie ist nicht zuletzt ein Grund für die halb gemachten Sachen. Viele Zauberlehrlinge geraten in Angst ab der grossen operativen und zerstörerischen Fähigkeit des Besens, den sie nicht mehr aufzuhalten wissen. Wieso sie ihn denn aufhalten sollten, bleibt eines der Mysterien der Psyche des Revolutionärs.

Das Individuum ist die erste Quelle der revolutionären Potenzialität. Nicht alle Individuen sind gleich, sowie nicht alle Gefährten Revolutionäre sind. Die Suche nach Affinität ist eines der grossen Probleme der revolutionären Aktivität. Die Diskurse und die Theorien sind sehr wertvoll, oft überaus wertvoll, aber manchmal kommen, gegenüber Problemen dieser Art, andere Verständnisebenen ins Spiel. Die Affinität kann einem Gefühl, einer Zuneigung, einer Geste, einem Blick, einer Art, zu schweigen oder zuzuhören, entspringen. Dieser grosse Reichtum kann in wenigen Augenblicken verschüttet werden. Ein Wort zuviel, ein suggeriertes Symbol, das fehl am Platz ist, ein Kennzeichen, und schon endet man darin, sich fremd zu fühlen: ein Anwerbungsversuch, der unmöglich nicht verabscheuungswürdig und sektiererisch klingen kann. Die verschüttete Potenzialität kann nicht mehr wiedererlangt werden, die Sensibilität eines Moments verfällt leicht, die Wache erhebt sich.

In einer anderen Dimension kann auch eine Gruppe von Gefährten, zu einem gewissen Zeitpunkt, eine besondere Potenzialität entwickeln. Was sie zu einer Bewusstwerdung antreibt, kann eine Tatsache sein, und sei es auch eine simple und äusserliche, eine Diskussion, das Studieren von einem Buch, die Vertiefung von einem Problem. In der Gruppe wird ein Moment des besonderen Scharfsinns zur Lösung des Problems kreiert. Wenn die Affinität unter den verschiedenen Mitgliedern hoch ist, kann dieser Scharfsinn die Potenzialität in Operativität übersetzen. Aber es kann ihr auch etwas gegen den Strich gehen. Im Hintergrund kann sich der Schatten einer Organisation, eines Kennzeichens, eines abgepackten und gebrauchsbereiten Projekts abzeichnen. Der Keim des Verdachts, des Misstrauens kann sich leicht entwickeln. Niemandem gefällt es, instrumentalisiert zu werden. Insbesondere, wenn die Erfahrung aus einer unfernen Vergangenheit lehrt, dass es nicht eine Verteidigung oder eine Gewähr ist, was die grosse Organisation anbietet, sondern schlicht ein Etikett und eine Fahne.

Die Ziele sind offensichtlich. Das revolutionäre Wahrnehmungsvermögen erfasst sie stillschweigend, quasi ohne zu diskutieren. Oftmals dienen die Diskussion und die Vertiefung dazu, sie fern zu halten, um es zu erlauben, der plötzlichen Versuchung, die uns ergreift, sofort, hier, an eben dieser Stelle, an dieser Strassenecke anzugreifen, ohne lange darüber nachzudenken, zu widerstehen. Aber die Analyse ist richtig und wichtig. Wenn die Gelegenheit versäumt wird, sofort anzugreifen, so kann die Alternative eines überlegten, geplanten, strategisch wertvolleren und bedeutungsvolleren Angriffs gewonnen werden. Und gegenüber dieser Perspektive muss der kritischen Argumentation, der analytischen Vertiefung Raum gegeben werden.

Aber damit die Sache eine gut gemachte Sache ist, muss das Ziel erreicht werden, nicht nur das Ausgangsziel, sondern dasjenige, das sich im Verlaufe der Aktion abgezeichnet hat. Auch wenn dieses Ziel interveniert, um die Ausgangszielsetzung – indem es sie ausweitet oder mässigt – zu korrigieren. Nur unter dieser Bedingungen stehen wir vor einer gut gemachten Aktion, einer revolutionären Aktion.

Die Selbstorganisation des Kampfes

Das hauptsächliche Ziel, das die Anarchisten zu erreichen gedenken, in der strategischen Ausrichtung, die sie ihren methodologischen Richtungen geben, ist die Selbstorganisation der Kämpfe der Ausgebeuteten.

Deswegen sind ihre Aktionen nicht unorganisiert, bar von einer inneren Logik oder ohne einen klar definierten minoritären Aspekt. Das Gegenteil zu behaupten, würde heissen, die Realität zu verneinen. Heute, zu einem Zeitpunkt von einer Herabsenkung des Levels der Konfrontation, ist die Tendenz zur Selbstorganisation unter den Ausgebeuteten sehr bescheiden. Sie offenbart sich hie und da, sporadisch, aber sie stellt gewiss nicht eine der vordergründigeren Bedingungen der ganzen Bewegung dar. Deswegen passen die Anarchisten sich nicht an die Situation an und führen Diskurse über ein passives Akzeptieren der laufenden Bedingungen der Konfrontation. Sie stellen sich oft der Strömung entgegen und versuchen, sie hinaufzusteigen. Sie stellen die Proletarier und die Ausgebeuteten vor ihre eigenen Verantwortungen, führen ihre Fehler vor Augen, weisen auf den laufenden Verrat hin, und setzen Aktionen um, sich an Stelle von jenen Proletariern und jenen Ausgebeuteten setzend, die von den Schlichen der Macht eingelullt wurden.

Der bewaffnete Kampf ist eine der Methoden, welche die Anarchisten anwenden können, auch als minoritäre spezifische Organisation, sich an Stelle der selbstorganisierten Aktion der Ausgebeuteten setzend, wenn diese nicht existiert oder sich als mangelhaft erweist. Das Ziel von dieser Ersetzung ist offensichtlich: als Ansporn, als Zündstoff zu dienen, aufzuzeigen, dass der Kampf auch unter minoritären Bedingungen möglich ist, vor Augen zu führen, dass der Übergang vom Kleinen zum Grossen plötzlich geschehen kann, wenn man es am wenigsten erwartet. Zu schweigen und zu warten, oder zu kritisieren und mit einer zynischen und skeptischen Haltung Abratungsarbeit zu leisten, ist gewiss nicht das, was die Anarchisten sich vornehmen sollten. Die Kritik ist recht. Die Grenzen von einer Methode vor Augen zu führen, ist recht. Doch dies negiert nicht den Antrieb zum Enthusiasmus, den Anreiz zur Konfrontation, und sei sie auch ungleich. Die Naivität und die Sturheit von Don Quijotte sind dem kritischen Geist und dem Messbecher des Krämers vorzuziehen.

Diese besorgten Diskurse, die dabei verweilen, Präsenzen und Beiträge zu messen und zu bewerten, ähneln der These von jenen, die stets bereit sind, die ganze Welt zu zerstören, vorausgesetzt, dass man mit vielen, fest entschlossen und gut bewaffnet ist. Im Erwarten von diesen drei idealen Bedingungen endet man darin, nichts zu tun, abzuwarten, sich krank zu ärgern und vielleicht gar zur Schlussfolgerung zu gelangen, dass man sich damit abfinden muss. Wie viele revolutionäre Potenzialitäten sind auf diese Weise vergeudet worden, wie viele Gefährten zu künstlichen Organisationen getrieben worden, die scheinbare Sicherheiten von Projekten und Mitteln boten! Anstatt die Aspekte von einer möglichen Aktion zu vertiefen, so eingegrenzt sie auch sein mag, hat man es bevorzugt, von der Aktion abzuraten, indem man zum Warten einlud, weil „das nicht der Moment sei“, und die Lust an der Unmittelbarkeit des Tuns austrieb.

Im Grunde ist der Moment des Angriffs immer gegeben. Der Terrorismus des Staates und der Bosse ist immer im Gange. Keine krämerhafte Spitzfindigkeit wird mich jemals davon überzeugen können, dass es Zeiten für die Anwendung von gewissen Methoden gibt, und Zeiten für die Anwendung von anderen. Die strategischen Entscheidungen werden an den Bedingungen der Konfrontation bemessen, aber sie können eine bestimmte Methode nicht barsch ausschliessen. Sie können, höchstens, eine andere Mischung der Methoden, einen nuancierteren Ton in den verschiedenen Interventionen anraten. Nie die apriorische Verurteilung einer Methode im Namen von vorausgesetzten Prinzipien.

Wir sind für die Selbstorganisation der Kämpfe der Ausgebeuteten, aber dies hält uns nicht davon ab, damit zu beginnen, jetzt und sofort, unsere Strukturen zur Intervention in die soziale Konfrontation zu organisieren. Ob die künftige Selbstorganisation der Ausgebeuteten sich mit diesen anwesenden Strukturen von uns zu koordinieren wissen wird oder nicht, ist ein Problem, das, auch wenn es nicht sekundär ist, niemals die jetzige revolutionäre Aktivität blockieren darf. Andernfalls würden wir darin enden, alles ewig aufzuschieben, auf jene günstige Situation, in der unsere Aktion letzten Endes so einfach werden würde, dass sie Gefahr läuft, unnötig zu sein. Das aufständische Volk hat gewiss keinen Bedarf an Anarchisten, die aufzeigen, wie man einen Aufstand macht. Aber die Ausgebeuteten, in einem Zustand von Unterworfenheit und Apathie, haben einen grossen Bedarf an Anregungen zum Kampf, an Klarstellungen und Informationen. Einen Teil von diesen Beiträgen a priori zu blockieren – zum Beispiel den bewaffneten Kampf – ist eine gefährliche Verstümmelung des revolutionären Gesamtprozesses.

Ein mögliches Organisationsprojekt

Die revolutionäre anarchistische Aktivität ist kein Scherz, sie kann nicht als etwas Vergnügliches betrachtet werden, das man hin und wieder macht, um die Leeren des Alltags zu füllen. In Bezug auf die Gesamtheit der anarchistischen Ideologie, als das, wie sie sich im Verlaufe der Zeit von den verschiedenen theoretischen Beiträgen als konstruiert erweist, ist das möglich. Eine grosse Zahl von anständigen Leuten widmet sich der Unterhaltungslektüre der anarchistischen Texte, und, vielleicht, tief in ihrem Herzen von Bürgerlichen-Liebhabern der Zerstörung und der Gewalt (ausserhalb von ihrem Haus), versuchen sie dadurch, eine mehr oder weniger entlegene Kompensation ihrer Frustrationen zu finden. Die Theorien von Bakunin, von Kropotkin und von Malatesta zu lesen, dieser Lektüre jene der abenteuerlichen Taten von Di Giovanni, Durruti, Ascaso, Mackno, Sabaté, usw. anzufügen, tröstet und hilft, den Hürden des Alltags entgegenzutreten.

Aber kaum setzt man sich im Konkreten der Realität der sozialen Konfrontation ein, kommt man nicht darum herum, eine Entscheidung zu treffen. Der Zeitvertreib genügt nicht mehr. Wir müssen uns einsetzen. Die Polizei scherzt nicht. Die Richterschaft genauso wenig. Für jene, die eine Stelle bei der Stadt oder eine kleine Geschäftstätigkeit haben, sind das lästige Fragen. Man macht schliesslich die Rechnungen mit Prozessen, Verurteilungen, Beschlagnahmungen, kurzen oder langen Aufenthalten im Gefängnis, sozialer Diskriminierung, Ausgrenzung, Schwierigkeiten aller Art. Und es stimmt nicht, dass all das nur denjenigen geschieht, die sich dem Einsatz von Methoden zuwenden, die näher beim bewaffneten Kampf sind. Gefährten, die sich der Information widmen, die theoretische Bücher und Broschüren herausgeben, die in intermediären Kämpfen engagiert sind, werden der repressiven Ferse unterzogen und müssen jeden Tag die Rechnung damit machen.

Korrekterweise erfasst die Macht den tiefen Sinn der anarchistischen und revolutionären Aktivität weniger in der angewandten Methode, als vielmehr in den Konsequenzen der Aktion. Die Gefährlichkeit einer Information, passend gewählt und in Umlauf gebracht, kann grösser sein als eine Vergeltungs- oder eine Sabotageaktion, die sich, zu einem bestimmten Zeitpunkt, auch als unverständlich und fremd erweisen kann.

Aber gerade die Revolutionäre sind es, die über ein so wichtiges Problem keine klaren Ideen haben. Für sie gilt ein schematisches Grundgesetz, das die Kampfmethoden deutlich trennt. Besonders gegenüber dem bewaffneten Kampf haben sie sehr klare und in zwei Kategorien unterteilte Ideen: a) Jene, die diese Methode bedingungslos verherrlichen und als die einzig revolutionäre und zur Besiegung der Macht geeignete definieren. b) Jene, die sie verleumden und als eine terroristische Methode betrachten, einzig der Macht und ihrer Handlanger würdig, eine Methode, die es nicht zu verfolgen gilt, verseucht von Spitzeln und Denunzianten, einzig dazu fähig, die ganze Bewegung in den Ruin zu führen.

Diese beiden Positionen prallen in der grössten Verwirrung aufeinander, mit manchmal komischen und manchmal pathetischen Resultaten.

Wir sagen gleich, dass wir die Methode des bewaffneten Kampfes nicht unter einem privilegierten Blickwinkel betrachten. Wir ziehen sie als eine Methode unter den anderen in Betracht, fähig, ihren Beitrag an das revolutionäre Projekt zu liefern, sofern es innerhalb von einer Strategie ist, die imstande ist, unterschiedliche Methoden in verschiedenen Kombinationen anzuwenden.

Aber wir sagen auch, und mit derselben Bestimmtheit, dass es, genauso wie es – für die anarchistische Bewegung in ihrer Gesamtheit – erforderlich ist, sich die besten Strukturen zur Information, zur Analyse und zum intermediären Kampf zu geben, erforderlich ist, sich eine Struktur zum bewaffneten Kampf zu geben.

Daraus folgert, dass, wenn die Informationsstrukturen Druckereien, Zeitungen, Verlagshäuser, etc. erfordern, wenn die theoretischen Strukturen Bücher, Verlagsreihen, Studien und Studiumszentren erfordern, wenn die intermediären Kämpfe Interventionsgruppen, organisierte Präsenzen in den Fabriken, soziale Zentren in den Quartieren, Kampfstrukturen in den Schulen, etc. erfordern, der bewaffnete Kampf gleichermassen Mittel und eine eigene Organisation erfordert.

Aus einem objektiven Blickwinkel kann man, wenn man diese letztere Organisation betrachtet, nicht erkennen, worin ihr wirklicher Unterschied zu den anderen ähnlichen Organisationen besteht, die von den Autoritären aufgebaut werden. Aber dasselbe kann auch über eine Druckerei oder eine Interventionsstruktur gesagt werden. Wenn man vor der Tür einer Stadtteilgruppe vorbeigeht, versteht man nicht gross, ob man beim Kennzeichen oder bei der Fahne stehen bleibt.

Was ein derartiges Problem betrifft, so können die Fehler, die in der Vergangenheit begangen wurden, in Zukunft vermieden werden, wie es hingegen zahlreiche Vögel und Rabenvögel, die auf den höchsten Zweigen des Baumes niedergehockt zwitschern, weiterhin bestreiten. Genauso weisen die mehr oder weniger fundierten Kritiken vieler Aasgeier gewiss nicht auf die Anwesenheit eines Kadavers hin. Eine Kritik ist eine Kritik. Es genügt, sie in Betracht zu ziehen, ohne stehen zu bleiben und der moralischen Herausputzereien zuzuhören, die das gute Kritikerherz gerne hier und dort verteilt.

Sicher, die spezifische Organisation ist ein Instrument, das verschiedene gefährliche Punkte aufweist, aber dasselbe gilt auch für viele andere Instrumente. Die schlecht benutzte Information bewirkt den gegenteiligen Effekt und verursacht mehr Schaden als Anderes. Die Theorie, wenn sie unfähig ist, den abstrakten Moment der Analyse zu überwinden, erstickt sich selbst mit den akademischen Gewändern und wird zu einer Stütze und Lackierung der Repression. Die intermediären Kämpfe, wenn sie nicht in Richtung eines allmählichen Anwachsens des revolutionären Bewusstseins geleitet werden, übersetzen sich in leichte Happen für die Demokraten und Transformisten. Das Dynamit kann in den Händen von dem, der es nicht zu benutzen weiss, explodieren. Nicht das nötige Verständnis für gewisse Techniken zu haben, oberflächlich, ohne eine angemessene Vorbereitung, dem Gebrauch von irgendwelchen Werkzeugen zuzustimmen, leichtsinnig zu denken, dass man so sehr Überbringer der revolutionären Wahrheit ist, dass alles, was man tut, gezwungenermassen verstanden werden muss, all dies führt zur Blindheit der Aktion, zum approximativen Dilettantismus, zu schmerzhaften Enttäuschungen, zur Entmutigung, zur Niederlage.

Es soll hier nicht eine Hymne auf die Spezialisierung gesungen werden, im Gegenteil, die Makel der manischen Verschliessung der Techniken stehen an oberster Stelle unter den negativen Seiten der spezifischen Organisationen. Es soll aber bekräftigt werden, dass alles gemäss bestimmten Regeln, gemäss bestimmten Techniken getan werden muss. Diese mit Absicht, oder auch aus unbewusster Oberflächlichkeit zu ignorieren, ist nicht eine Antwort auf die Makel der Spezialisierung, sondern schlichte Tölpelhaftigkeit

Ein intelligenter und feinfühliger Gefährte muss über ausreichende Qualitäten verfügen, die ihn in die Lage versetzen, alle Methoden, auf best mögliche Weise, zu gebrauchen, die ihm die lange und schmerzhafte Geschichte der revolutionären Bewegung zur Verfügung stellt. Falls er ein tüchtiger Journalist ist, und sich diese Tüchtigkeit von ihm in der Ausarbeitung der Informationen, in der Redaktion von Zeitungen, Radios, Flugblättern, usw. spezialisiert, so muss er alles tun, um sich auch mit den anderen Methoden zu befassen, sie in den Rahmen des strategischen Projekts einfügend, das ihn engagiert sieht. Er muss dies auch auf das Risiko hin tun, die Spezialisierung, die er sich letztendlich in dem Sektor erworben hat, der ihn als aller Probleme und aller Instrumente Herr sah, abfallen zu sehen. Die Spezialisierung wird mit einer Erweiterung des revolutionären Interessensbereichs bekämpft, und nicht mit dem Einladen zum Dilettantismus und zur Approximation. Sicher, jener Gefährte wird stets grundlegend ein Journalist bleiben, denn dies werden seine individuellen Charakteristiken sein, aber seine neuen Interessen werden ihn den anderen Sektoren der methodologischen Intervention näherbringen, wo er seinen Beitrag erbringen kann, der vielleicht weniger bedeutend, aber gewiss nicht weniger wichtig ist. Mehr noch: Es wird eben diese Überwindung der Sektortätigkeit sein, was jenes Zusammenwirken zwischen verschiedenen Methoden gewährleistet, das eine Reihe von Interaktionen erlaubt, die in einer starr verkalkten Sichtweise völlig unmöglich sind.

Ein organisatorisches Projekt bedeutet, folglich, gleichzeitige Anwesenheit von vielfältigen Interessen, Zusammentreffen von individuellen und kollektiven Affinitäten, Materialisation in Programmen und Analysen von Ideen und Intuitionen, Enthusiasmen und Kenntnissen. Sich die Organisation als eine hermetisch geschlossene Hülle zu denken, umso hermetischer, je mehr sie Programme und Ideen bezüglich dem bewaffneten Kampf enthält, ist eine demütige und nachzüglerische Angewöhnung an die traditionellen Gemeinplätze der bewaffneten Partei, eine Wiederholung von Verschwörungsmodellen, die längst antiquiert sind. Aber das Gegenteil von all dem bedeutet nicht Verwirrung, Wunschvorstellung, Spontaneismus oder Zurückweisung von jeglicher Struktur und jeglicher Selbstdisziplin. Es wiederholt sich hier das Missverständnis, welches das anarchistische Denken für viele besitzt. Die Anarchie, vorgestellt als absolute Herrschaft der Sorglosigkeit, ist, im Lichte der Tatsachen, etwas ganz Anderes. Die Freude ist nicht Synonym für Dummheit, sowie die Erschaffung nicht Zurückweisung von jeglichem vorhergehenden Wissen heisst. Die Selbstdisziplin ist eine Anerkennung der Notwendigkeit, sich einer Anstrengung zu unterziehen, um ein Resultat zu erlangen, das man für wichtig hält. Nur mit unserem Willen können wir dieses Resultat erlangen, indem wir die Hindernisse bezwingen, die uns von ihm trennen. Und diese Hindernisse sind nicht nur Mauern, die es niederzureissen gilt, oder Bullen, die es unschädlich zu machen gilt, sondern können auch Probleme von persönlicher Natur sein, wie, zum Beispiel, eine Unfähigkeit, Ordnung in unsere Programme, in unsere Ideen, in unsere Gesten zu bringen: eine zerstreuende Neigung zur Improvisation, zum unmittelbar Gefälligen, zum Oberflächlichen, eine Angst vor dem Engagement, vor der Vertiefung, vor der Strenge der Aufgabe, vor der wir stehen. All das ist Teil vom Problem der spezifischen Organisation, sowie es Teil vom Leben des Menschen ist. Es kann nicht einfach weggestrichen werden, nur weil wir es für einfacher halten, damit fortzufahren, Geschwätz über die Schönheit und die Spontaneität der Anarchie zu betreiben.

Je nachdem, wie sie erlebt wird, kann die Beziehung zur Organisation eine bittere Erfahrung oder ein kreatives Projekt sein. Dieselbe Organisation kann, bei zwei verschiedenen Gefährten, zwei verschiedene Beziehungen hervorrufen, aber diese beiden Beziehungen, wenn es wirklich solche sind, werden die Organisation nicht am vorigen Punkt belassen. In einer anderen Hinsicht verursacht ein Fehler im Ansatz der Beziehungen negative Konsequenzen auf die ganze Organisation und somit auf alle Gefährten, die ihr angehören.

Eine grosse kritische Arbeit ist über die formellen Aspekte der spezifischen Organisationen gemacht worden. Wenn es sich um anarchistische Erfahrungen handelte, so wurden in ihnen die verschwörerischen und jakobinischen Überreste, die autoritären Deformierungen kritisiert: Elemente, die der Handlungsweise und den Ideen der Anarchisten völlig fremd sind. Doch wie viele von diesen Kritiken sind vor der Türe stehen geblieben? Wie viele haben die Fähigkeit gehabt, die Bedeutung der begangenen Fehler zu erfassen, und sei es nur der offensichtlichsten?

Andere Male fand die kritische Vertiefung ausgehend von Dokumenten statt, die als grundlegend betrachtet wurden, um dann zu den organisatorischen Strukturen zu gelangen. Die Frage, ob man aus dem Abmessen des Grabens, der zwischen dem Sagen und dem Tun verläuft, die effektive Dimension der begangenen Fehler berechnen kann, scheint uns legitim.

In wiederum anderen Fällen hat man von Vergleichen zwischen verschiedenen historischen Situationen Gebrauch gemacht (Russland, Spanien, Mexiko, usw.), um Kritiken zu entwickeln, die zwar objektiv korrekt waren, sich aber gegenüber der Notwendigkeit, Fehler und Deformierungen der organisatorischen Struktur aufzuzeigen, nicht als konstruktiv erwiesen.

Von einigen offenen Türen

Offene Türen einzutreten, macht viel Lärm, aber ergibt spärliche Resultate. Für jemanden, der mehr am Lärm interessiert ist, mag das Unterfangen positive Aspekte haben.

Nehmen wir die Debatte über die “Klandestinität”. Wer sich in einer solchen Situation befindet, ist oft dazu verleitet, sich theoretische Rechtfertigungen auszudenken, die in den Erfordernissen der Klassenkonfrontation ihren Ursprung finden. Es scheint ihm etwas vereinfacht, schlichtwegs anzuerkennen, dass die Klandestinität eine umstandsbedingte, an präzise individuelle und Gruppenbedingungen gebundene Tatsache ist, und nicht eine Tatsache, die auf eine höhere Stufe einer hypothetischen revolutionären Werteskala gestellt werden kann. Andererseits ist, wer diese Entscheidung als theoretische Tatsache zu Recht kritisiert, dann nicht fähig, sie als unweigerliche Konsequenz mancher Situationen anzuerkennen. Er bevorzugt es, mit der Kritik an der Theorie fortzufahren und die Grenzen mancher objektiven Notwendigkeiten nicht zu akzeptieren. Auf diese Weise entwickelt sich eine Polemik zwischen Tauben. Die Klandestinität ist nicht einer der wesentlichen Vorzüge des bewaffneten Kampfes, sondern stellt einen seiner negativen Aspekte dar, der oft von den Bedingungen der Konfrontation bedingt wird. Sie kann nie als eine privilegierte Situation betrachtet werden. Wenn dann wäre die privilegierte Bedingungen jene von einer aktiven Alltäglichkeit, von einem vollständigen revolutionären Engagement in einer Situation, die von offenem sozialen “Status” charakterisiert ist.

Das ändert nichts an der Tatsache, dass die bewaffnete Organisation klandestin sein muss, und dass einer strikten Klandestinität der Organisation eine aktive Alltäglichkeit von allen Beteiligten entsprechen sollte. Das sind offene Türen, die es nicht nötig wäre, einzutreten, die wir aber, angesichts der grossen Anzahl von Personen, die darauf beharren, mit dem Kopf dagegenzuschlagen, lieber ein für alle Male öffnen.

Derselbe Diskurs voller Missverständnisse entwickelt sich oft in Bezug auf die aktive, und somit auch bewaffnete Alltäglichkeit. Wir mögen die Gemeinplätze des jakobinischen Verschwörertums ablehnen – und mit Recht – aber wir können uns nicht dem Okkasionalismus des Alltags anvertrauen, besonders, wenn dieser mit viel gutem Willen beginnt und dann im privatistischen Labyrinth, in den kleinen Zugeständnissen an ein Lebensideal versumpft, an dem vielleicht, wenn es durch und durch epikureisch wäre, wenigstens die Anerkennung der Vorrangigkeit der Bedürfnisse des Einzelnen real wäre, und aber nichts anderes ist, als eine Neuauslegung der üblichen Geschichte. Einem reaktionären Spiessbürgertum stellt sich ein fortschrittliches Spiessbürgertum gegenüber. Es ändern sich die Farben, die Sprachen, die Stereotypen. Die Unbeweglichkeit der Logik der Anpassung bleibt intakt. Wir können uns einbilden, die Welt zu verändern, indem wir ein Maschinengewehr umarmen, und in einer Zelle enden, über die begangenen Fehler nachgrübelnd, ohne sie zu bewältigen, und wir können uns einbilden, die Welt zu verändern, indem wir die Probleme von unserem Alltag umarmen, und bis zum Hals im Überleben enden. Sich weiter gegenseitig darüber die Haare auszurupfen, wer Recht hat, während sich die Fehler auf beiden Seiten anhäufen, führt zu keinen positiven Schlüssen.

Niemand will, per Definition, die Revolution an Stelle des Proletariats machen. Trotz all dem gibt es nicht wenige, die es satthaben, darauf zu warten, dass die Welt sich erhebt, um sich ebenfalls aufzulehnen. Es gibt nicht wenige, die meinen, dass man doch irgendwo anfangen muss, und dass man, auch alleine, stets imstande ist, etwas zu tun, um den Feind anzugreifen. Diese Logik ist nicht verliererisch. Auch wenn sie auf der quantitativen Ebene nicht gewinnt, auch wenn sie auf der militärischen Ebene nicht “siegt”, heisst das nicht, dass sie auf der revolutionären Ebene verliererisch ist. Ansonsten würden die Kritiker und die Attentisten eine Gleichwertigkeit zwischen militärischer Effizienz und revolutionären Resultaten bekräftigen, die sie selbst (zu Recht) prinzipiell negieren. Wenn dann ist die umgekehrte Logik verliererisch, jene, die das Warten, das Hinauszögern, den Kompromiss, die Mimese lehrt. Das politische Katheder, von woher diese Predigt kommt, ist viel zu kompromittiert, um glaubwürdige Angaben zu liefern.

Niemand bildet sich ein, dass sich das Proletariat innerhalb von einer verschwörerischen Dimension mitreissen lässt. Die Versuche von bewaffnetem Kampf müssen sich vor dieser Perspektive hüten. Die Selbstorganisation der Kämpfe ist ungestüme aktive Alltäglichkeit, Kreativität der umwälzenden Aktion, unwiederholbare Konfrontation, die keine Modelle findet, auf die es sich zu betten gilt, oder Richtlinien, die es zu respektieren gilt. Die revolutionäre Aktion von einer Minderheit, angesichts von diesem Grassieren in Aussicht, muss die Rechnungen mit einem Warten machen, das Gefahr läuft, sich allzu lange hinzuziehen. Sie kann nicht in einer langfristigen Akkumulationsarbeit versinken, auf die Gefahr hin, ihren Diskurs selbst unverständlich zu machen, auf die Gefahr hin, mit dem zahlreichen Geschwafel gleichgestellt zu werden, das die metaphysischen Kauze der militanten Politik in tiefster Nacht aussenden. Sie muss sich der Strömung entgegenstellen. Zur Quelle von einer antagonistischen Bewegung hinaufsteigen, die Gefahr läuft, sich auf die eigenen Möglichkeiten zu betten. Das alles bedeutet nicht – auch wenn es fälschlicherweise behauptet wurde – eine leninistische Sicht auf den revolutionären Kampf. Es bedeutet auch nicht einen leeren Edukationismus, der mittels der Methode des bewaffneten Kampfes auf das Proletariat in seiner Gesamtheit angewandt wird. Es bedeutet, viel einfacher, die anarchistische spezifische Organisation aufzubauen, zwischen tausend Widersprüchen, um die Ausgebeuteten zur Revolte anzutreiben. Dies kann auf viele Weisen realisiert werden, und somit auch mittels der Anwendung des bewaffneten Kampfes. Wenn es einen Grund gäbe, der derart fundiert ist, dass er die Nicht-Praktizierbarkeit von dieser Methode beweist, dann würde derselbe Grund über dem revolutionären Kampf in seiner Gesamtheit für immer den Grabstein versiegeln, denn es würde, zur selben Zeit, die Nicht-Praktizierbarkeit von jeglicher anderen Methode beweisen.

Es ist eine schwere Beschränkung, die bewaffnete Konfrontation auf den Kampf zwischen rivalisierenden Banden zu reduzieren. Und nicht nur für jene, die sich innerhalb von einem Kennzeichen verschliessen und aus diesem Kokon heraus beanspruchen, dem Staat Angst einzuflössen. Auch diejenigen, die diese partielle Anschauung kritisieren, bemühen sich nicht, die Gründe zu ermitteln, die den Fehler erzeugt haben, weshalb sie, die Hände hochhebend, glücklich schlussfolgern, dass das Scheitern der Methode nunmehr unvermeidlich ist. Die ersten verteidigen die eigene Praxis und oft sind sie geradezu pathetisch in ihrem Sinnieren rund um Theorien, die sehr wenig mit der revolutionären Selbstorganisation zu tun haben, die zweiten sind unredlich, da sie nicht beabsichtigen, dazu beizutragen, die Fehler der revolutionären Aktion zu reduzieren, sondern bloss eine Verhaltensweise isolieren wollen, die sie für ihre persönlichen Gemächlichkeiten und für ihre theoretischen Gleichförmigkeiten als gefährlich und miteinbeziehend ausmachen. Die praktischen Fehler der anderen können die Gewässer der eigenen Art und Weise, die Realität zu interpretieren, viel ernsthafter aufwühlen, als die eigene kritische Analyse es tut.

Die Aufteilung zwischen Schein und Realität, zwischen Spektakel und Klassenkampf, zwischen wirkliche revolutionäre Aktion und künstliche bewaffnete Gegenüberstellung, kann zu Schlussfolgerungen von grossem Interesse führen, aber kann auch in sinnlosen Alternativen verkümmern. Nichts ist gänzlich Weiss oder gänzlich Schwarz. Es geht um Probleme von Tendenzen, von Ausrichtungen, von auf ein Ziel ausgerichteten Aktionen. Die statische Betrachtung der Wahrheit ist keinesfalls eine positive Haltung, sie endet darin, die Wahrheit selbst zu zerstören, indem sie sie in ein Symbol, in ein ideales Modell, in einen Friedhof der Aktion verwandelt. Es ist nicht die “Realität”, was die Substanz von einer Bewegung qualifiziert, sondern ihre Disponierung in Richtung der Realität. Aber dieses Sich-Bewegen ist laufende Veränderung, revolutionäre Aktion, die die Bewegung im spezifischen Sinne und die Realität, welche die von der Bewegung produzierte Aktion empfängt, verändert. Sich eine von diesen beiden Dingen als unbeweglich oder als vollendet, in allen Einzelheiten perfekt vorzustellen, mag zu analytischen Zwecken nützlich sein, aber hat mit der effektiven Abwicklung der sozialen Phänomene wenig zu tun. Wenn man von “Schein” des bewaffneten Kampfes, von künstlicher und spektakulärer Konfrontation spricht, wenn die bewaffneten Organisationen – zu Recht – anschuldigt werden, sich das Recht angemasst zu haben, das kämpfende Proletariat zu repräsentieren und im Namen von etwas zu handeln, das tausend Meilen weit entfernt ist, sagt man Wahrheiten. Aber auch die wahren Dinge können falsch sein, ja, oft sind sie teilweise nicht wahr, und es ist eben dieser Aspekt von partieller Wahrheit, der sie für den Menschen interessant und nützlich macht. Die absolut wahren Dinge sind banale Tautologien, Wiederholungen, die den Mitteln, die man besitzt, um die Realität zu verstehen und zu verändern, nichts hinzufügen. Aber eine teilweise wahre Sache kann nicht nur für den wahren Teil in Betracht gezogen werden, sie muss für das gelten, was ihre Gesamtheit bedeutet: wahrer Teil und nicht wahrer Teil. So kann man, wenn man sagt, dass der bewaffnete Kampf eine künstliche Gegenüberstellung zum Kapital ist, nicht leugnen, dass das eine Bekräftigung ist, die einen Teil Wahrheit enthält, aber nicht vollkommen wahr ist. Sie ist wahr, insofern die spezifische Organisation die Grenze der freien Entwicklung der Selbstorganisation der Kämpfe anzeigt, sie ist nicht wahr, insofern sie sich angesichts von einer bescheidenen Entwicklung dieser Selbstorganisation an ihre Stelle setzt und, ohne dass es ihr tatsächlich gelingt, sie abzulösen, einen bescheidenen Kern nährt, woraus sich unvermutete Entwicklungen ergeben können. Dies selbstverständlich nur unter der Bedingung, dass man nicht in die Missverständnisse der bewaffneten Partei und der Erstürmung des Winterpalasts fällt. Jenseits von diesen Grenzen und diesen Verirrungen repräsentiert die spezifische bewaffnete Organisation, im Konkreten, das, was die Selbstorganisation der proletarischen Kämpfe niemals werden wird, und das ist auch gut so. Die Revolutionäre sind ein kleines Licht, das vor der grellen Sonne der proletarischen Kämpfe in ihrer vollen Entwicklung verschwindet. Aber, beim Mangel an Kampf, oder wenn des Aufgehen der Sonne auf sich warten lässt, ist das kleine Licht stets besser als nichts.

Als Konsequenz der Unterscheidung zwischen Schein und Realität ist der bewaffnete Kampf angeschuldigt worden, eine ausschliesslich politische, also künstliche Methode zu sein. Auch hier stehen wir vor einer Anschuldigung, die leicht auf jedwelche Methode, auf jede Art von menschlicher Handlung generalisiert werden kann. Ich beharre darauf, zu sagen, dass man nicht eine gewisse Methode für Mangel an Realität anschuldigen kann, sondern dass man einzig Kritiken bezüglich ihrer strategischen Anwendungen entwickeln kann. Diese strategischen Entscheidungen können auf politischen Elementen begründet sein, die so diskriminierend sind, dass sie die sozialen und revolutionären Bedeutungen der Methode disqualifizieren. Es besteht, zum Beispiel, kein Zweifel daran, dass die Reformen das starke Element bilden, worauf sich die sozialdemokratische Verwaltung der Macht stützt. Aus demselben Grund besteht kein Zweifel daran, dass sich die intermediären Kämpfe für eine politische Instrumentalisierung eignen können. Und dennoch sind es Kämpfe, die von vielen Gefährten realisiert und unterstützt werden, und alle Kritiken, die sie betreffen, gehen nur die Gefahren von ihrer Instrumentalisierung an, und gehen nicht so weit, sie als Methode zu negieren, da sie politisch verseucht sei. Bei den Problemen bezüglich dem bewaffneten Kampf wirken leider oft Motivationen, die nicht sehr klar, manchmal von persönlicher Natur sind, welche eine, wenn nicht gerade distanzierte, so zumindest ausreichend objektive Evaluierung des Problems verhindern.

Es gab eine gewisse kindische Komponente in einigen Bekräftigungen, die der organisierten Gewalt das revolutionäre Primat zuschrieben, aber dabei handelte es sich um eine Oberflächlichkeit, die vertieft werden musste, indem man den Rückgriff auf gegenseitige giftige und jeglichen praktischen Sinn entbehrende Sticheleien vermeidet. Auf der einen Seite hat sich eine willkürliche Ausweitung der Notwendigkeit der befreienden Gewalt entwickelt, die letzten Endes die Methode des bewaffneten Kampfes zentral werden liess. Auf der anderen Seite ist man, in dem Versuch, die paradoxen Aspekte von dieser Zentralität zu kritisieren, so weit gegangen, das gesamte Erbe an gewaltsamen Kämpfen der revolutionären Bewegung über Bord zu werfen, indem man die Reise auf den Sandbänken des Pazifismus oder in den existenziellen Widersprüchen einer ungewissen Alltäglichkeit beendete. Wenn kein Zweifel daran besteht, dass man den Klassenfeind nur mit einem Rückgriff auf die revolutionäre Gewalt angreifen und in Schwierigkeiten bringen können wird, bis dahin, ihn im Verlaufe des revolutionären Ereignisses zu besiegen, so besteht genauso kein Zweifel daran, dass dieser Rückgriff auf die Gewalt nicht die Ausschliessung der anderen Methoden impliziert, indem man eine einzige davon privilegiert. Und das auch, weil es nicht stimmt, dass die Gewalt ein ausschliesslicher Vorzug der Methode des bewaffneten Kampfes ist. Auch die Information, die Theorie, die intermediären Kämpfe können einen gewaltsamen Ansatz haben (das heisst, nicht bloss symbolisch sein) und sich deshalb als Anregung für eine revolutionäre Bewusstwerdung von Seiten der Ausgebeuteten vorschlagen.

Der Versuch, einen von ihnen zu töten, um tausend von ihnen zu belehren, ist als wunschtraumhaft bezeichnet worden. Diese These scheint uns sehr richtig. Doch der Inhalt der Aktion, die sich vornimmt, einen Klassenfeind zu eliminieren, endet nicht einfach in dieser Perspektive. Man kann gewiss nicht beanspruchen, die Struktur des Staates zu “belehren”. Auch indem man den Eliminierungsprozess von einigen Funktionären des Repressions- und Konsensbeschaffungsapparates beschleunigt, verschiebt man die jeweilige Funktion um keinen Millimeter. Das negiert jedoch nicht zwei Tatsachen von grosser Wichtigkeit: erstens, es handelt sich noch immer um einen Klassenfeind weniger, zweitens, man trägt zu einem anderen Belehrungsprozess bei, der ganz anders und viel reichhaltiger ist, jener, der an die Ausgebeuteten gerichtet ist, die die allmähliche Eliminierung ihrer Klassenfeinde als möglich sehen. Man hat oftmals die Begrenztheit des ersten von diesen beiden Motiven betont. Man hat gesagt, dass, wenn ein Feind tod ist, ein Anderer seinen Platz einnimmt. Man hat behauptet, dass man nicht die Person anzugreifen braucht, die eine Funktion bekleidet, sondern die Funktion selbst in Anklage stellen muss. All diese Argumente überzeugen nicht. Es wären durchaus gültige Argumente, aber ich glaube stur, dass die Eliminierung von einem Klassenfeind stets einer blossen abstrakten Kritik der Funktion, die derselbe ausübt, zu bevorzugen ist. Und ausserdem ist nicht gesagt, dass die beiden Dinge gezwungenermassen getrennt gehen müssen. Bezüglich dem zweiten Motiv ist gesagt worden, dass wir uns nicht damit beschäftigen dürfen, an die Ausgebeuteten gerichtete “belehrende” Botschaften zu entwickeln. Auch was diesen Punkt betrifft, bin ich nicht einverstanden. Die gesamte revolutionäre Aktion ist ein Belehrungsprojekt von grosser Komplexität. Die Widersprüche kommen aus der Tatsache hervor, dass man oft gezwungen ist, die partiellen Aspekte der Aktion selbst in Betracht zu ziehen, und diese Aspekte, meist voneinander getrennt, tragen zu den Missverständnissen und zu den unnützen Polemiken bei.

Keine Illusion

Ich mache mir keine Illusionen. Die Worte sind abhängig von der faktischen Situation verständlich. Wir geben ihnen nur Raum und Glaubwürdigkeit, wenn sie unter unsere Schemen und unsere Gewissheiten fallen. Die Verteidigungsmechanismen automatisieren sich und verhindern den Empfang selbst der Mitteilung. Wenn dem nicht so wäre, hätten die Aufklärer die Welt bereits seit zweihundert Jahren endgültig verändert.

Es geschieht, zum Beispiel, dass, wenn einer sagt, dass die spezifische Organisation Mittel benötigt, und dass sie sich folglich darum kümmern muss, diese zu beschaffen, der Taube, der nicht hören will, unverzüglich in seine Sprache übersetzt: geheime Finanzierungen, Anwesenheit von fremden Geheimdiensten, Sammelsurium von Dieben und Strassenräubern, Trubel und Champagner. Wenn einer sagt, dass es ein Minimum an Selbstdisziplin braucht, und dass nicht alles der Improvisation überlassen werden kann, übersetzt derselbe Taube unverzüglich: jakobinischer Asketismus, staatsanwaltsmässige Strenge, Entwertung des menschlichen Lebens, Mangel an ethischem Fundament, Instrumentalisierung der Anderen, Entmenschlichung. Wenn einer sagt, dass die, auch physische Eliminierung des Klassenfeindes, aus dem revolutionären Blickwinkel, eine korrekte Sache ist, übersetzt der Taube unverzüglich: blutrünstiger Wahn, Unterstützung der militärtribunalmässigen Verhaltensweisen, Anwendung der Todesstrafe in den Tatsachen, Abwesenheit von ethischen Prinzipien, Unverständnis des Mechanismus, der die Funktion über den Funktionär hinaus reproduziert.

Keine Illusion also über die Tatsache, dass diese Vertiefungen an der Taubheit von jenen, die nicht hören wollen, tatsächlich etwas ändern können.

Das Ideal in Trümmern

Die Bedingungen, die eine quantitative Beziehung zu den Massen vertretbar machten, sind in den letzten Jahren definitiv verschwunden. Die alte Illusion des „Stellen wir eine grosse Organisation auf die Beine und dann schauen wir weiter“ ist untergegangen, mit all ihren leninistischen Voraussetzungen. Die Aggregation hat sich als das gezeigt, was sie schon immer gewesen ist: ein Produkt des Bedürfnisses, eine Herde zusammenzustellen und sie zu zählen. Die Stärke, die vom Zählen herkommt, erschien endlich im Licht der Politik, fern von jeder revolutionären Wirksamkeit.

Seit Jahren haben wir uns gegen diese Illusion des Quantitativen ausgesprochen, aber mit spärlichen Resultaten. Der grundlegende Widerspruch (wenn man mit sehr wenigen ist, kann man nichts machen) endete darin, das, was wir sagten, oft unverständlich zu machen.

Das Kapital seinerseits, mit den strukturellen Evolutionen, die es charakterisieren, hat ständige Evolutionen durchgemacht, die für Krisen gehalten wurden, und Krisen, die nach Umstrukturierungen ausgesehen haben. Die Antwort der Ausgebeuteten liess auf sich warten, lässt noch immer auf sich warten. Die Skandale beeindrucken nicht. Die Naturkatastrophen treiben die Leute dazu an, den Kopf in den Sand zu stecken. Die Kernkraftwerke und die Atomraketenstützpunkte lassen Spielräume zum Überleben und oft zur Spekulation. Der Mangel an Arbeit lässt Dunkelzonen, wo das Sich-Arrangieren zur Kunst wird.

Ein beträchtlicher Teil der revolutionären Bewegung, der in der Vergangenheit Lebenszeichen gab, befindet sich [1983, in Italien] im Knast und kämpft, um zu überleben. Ein anderer, ebenso beträchtlicher Teil dieser Bewegung hat ihre intime denunziatorische Tendenz entdeckt und sich mit tausend verschiedenen Ausdrücken des Unterscheidens und des Anschuldigens, des Bereuens und des Sich-Ergebens aus ihm hinausgezogen. Draussen korrespondiert der Unterschied auf anderen Ebenen: ein beträchtlicher Teil von jenen, die dabei geblieben sind, sich die Finger an den Händen abzuzählen, wartet noch immer darauf, dass alles zur Normalität zurückkehrt, um sich weiterhin die Finger an den Händen abzuzählen. Ein anderer, nicht weniger bedeutender Teil hat bereits alles bereut, und hat sich wieder in sich zusammengerollt: überleben, wenig atmend, um keinen Sauerstoff zu verbrauchen. Dieser letztere Teil ist gar nicht erst vor das Tribunal der grossen Entscheidungen geführt worden: er hat schlicht, mit Vornehmheit, die Hosen runtergelassen, während er eine gute Dosis Skeptizismus vorheuchelte, den er nicht schon immer besitzen konnte (eine revolutionäre Gabe ist das sicherlich nicht), und der nun eine eigens für diesen Moment erworbene Gabe scheint.

Wenn die Anarchisten eine konstante Charakteristik haben, dann ist es eben jene, sich von den Widrigkeiten der Klassenkonfrontation nicht entmutigen zu lassen, sich von den Versprechungen der Macht nicht verlocken zu lassen. Es wird immer schwierig (oft unmöglich) sein, einen anarchistischen Gefährten zu finden, der von der Macht in die Knie gezwungen wurde. Vielleicht von den Foltern, vom physischen Schmerz, nie von der langen Repression, nie von der Niedergeschlagenheit, die von den Enttäuschungen herkommt. Es gibt etwas in den Anarchisten, das sie daran hindert, den Mut zu verlieren, etwas, das sie auch in den schlechtesten Momenten ihrer Geschichte optimistisch macht, das sie nach vorne blicken lässt, auf die möglichen zukünftigen Mündungen des Kampfes, und nicht zurück, auf die begangenen Fehler und auf eine mögliche Rückkehr.

Die revolutionäre Arbeit eines anarchistischen Gefährten, folglich, ist nie ausschliesslich auf die Aggregation der Massen ausgerichtet, wozu die Anwendung von bestimmten Instrumenten den Entwicklungen von dieser Beziehung folgt. Die agierende Minderheit ist nicht eine stumpfe Dienerin der Zahl, sonder auferlegt sich dieser mit ihren Ideen und ihrer Aktion. Die Gesetze der Wachstumsverhältnisse der Organisationen sind gewiss auch an diese Aktionen und an diese Ideen gebunden, aber nicht in einem deterministischen Sinne.

Gegenüber den leblosen Lektionen des Buchhalters schüttelt der revolutionäre Enthusiasmus alle Bedenken ab und schreit dem Krämer ins Gesicht, das es Zeit ist, zu handeln, anzugreifen, auch wenn die Berichte der Rechenmaschinen enttäuschend sind, auch wenn die Organisationsstrukturen ein Desinteresse der sogenannten Massen vermelden.

Ein solcher Gedankengang ist es, aufgrund dessen unsere Gefährten den Reuigen ihre Verachtung ins Gesicht spucken, und nicht aufgrund von Gedankengängen, die die historische Erinnerung der Organisationen der Vergangenheit bewahren wollen. Und dieselbe Art von Gedankengang ist es, aufgrund derer viele Gefährten, die von der kritischen Kritik angezogen werden, sich mit ihrem eleganten Sich-Herausziehen, als geschickte Seiltänzer des Paradoxons, mit sich selbst in Widerspruch befinden. Ihr Herz zieht sie hinein, ihr Hirn drängt sie an die Peripherie zurück. Sie leben unglücklich, weil sie nicht gut überlegen im Angesicht von sehr deutlichen Wahrheiten. Nicht zu handeln, nicht zu kämpfen, erfordert eine sehr grosse Anstrengung, um seine Positionen zu rechtfertigen, erfordert geistige Gewandtheit und pyrrhonischen Skeptizismus. Ein Anarchist kann auch Gebrauch davon machen, aber er endet darin, unglücklich mit sich selbst zu sein, er endet darin, Bedarf an immer grösseren Dosen von Skeptizismus zu haben, um sich selber zu rechtfertigen. Eine Droge wie jede andere.

Die Aktion ist viel einfacher und erfordert weniger Anstrengung.

Der scharfsinnige Skeptiker kann sicher erwidern, dass die Aktion der Aktion halber der tristen Szene der Katze gleichkommt, die dem eigenen Schwanz hinterherjagd. Der Revolutionär – fährt unser Gefährte fort – der auf dem Kampf beharrt, obwohl bereits klar ist, dass es nichts mehr zu tun gibt, ist ein armer Träumer, der sich nicht bewusst hält, in welche Richtung die Auswirkungen seines Kampfes gehen. Er glaubt, für die Revolution zu kämpfen, und ist aber, entgegen seinen Hoffnungen, einer der Erbauer der Ordnung und der Restauration von morgen: er liefert Instrumente und Ideen an die Innenminister der neuen Ordnung.

Dieser Anspruch, der Geschichte ein deterministisches Flussbett zu graben, ist ebenso alt wie die Welt. Die Antiken hatten ein eigenes Modell von sozialer Aufwühlung, sie sprachen nicht von Revolution, sie glaubten an die Rückkehr aller Dinge, an den fortwährenden Zyklus ohne Neuerung. Dann wälzte die industrielle Revolution das kreisförmige Denken endgültig um, während sie die Wissenschaft mit der Philosophie, und die Politik mit der angewandten Sozialwissenschaft verknüpfte. Das neue Modell war jenes des Geistes, der sich ewig weiterentwickelt, als Kenner seiner selbst und seiner Schicksale, der mit den Menschen und ihren Dingen sein Spiel treibt, aber der sich auf unabwendbare, rationale Weise verwirklicht. Dann der Zusammenbruch von jeder Hoffnung, das Zeitalter der Symbole und der siegreichen Reaktion, der Moment, wo die Karten endgültig durchmischt werden (und noch sind sie nicht entwirrt worden). Aus der Revolution wird Reaktion, das Rot vermischt sich mit dem Gelb. Die Plätze der proletarischen Revolte werden zertrampelt und mystifiziert durch die Symbole des konventionellen Progressismus, des Staatssozialismus, des roten Faschismus.

Für den Skeptiker wäre da schon lange viel Platz gewesen. Es ist sicherlich nicht erst jetzt, wo man die mangelhafte und blinde Seite des revolutionären Determinismus der (positivistischen und marxistischen) Prägung des 19. Jahrhunderts mit Offensichtlichkeit entdecken kann. Wer zu diesen Schlussfolgerungen gelangen wollte, konnte das schon vorher tun. Im Grunde, wenn man in die Annalen der Revolution zurückgeht, können wir viele gewesen sein, die für die Reaktion arbeiteten, eine wahre Masse. Aber ist es eine Einbahnarbeit gewesen? Hat nur die Reaktion daraus Vorteile gezogen? Oder muss man zugeben, dass, beim Schwinden des deterministischen Denkmodells, alleine zu sagen bleibt, dass der Kampf die Beziehungen (jede Art von Beziehungen) umwälzt, weshalb man, je nach Blickwinkel, Verstärkungen und Abschwächungen (besser wäre es zu sagen, Veränderungen des Konfrontationslevels) wahrnehmen kann, dass man aber nicht Einbahnstrassen, klare Ursachen und ebenso klare Wirkungen wahrnehmen kann.

Kein wirklicher Revolutionär arbeitet je gänzlich für die Revolution. Nicht, weil er das nicht will oder weil er nicht weiss, wie er das tun kann, sondern schlichtwegs, weil das unmöglich ist. Er evaluiert (innerhalb von gewissen Grenzen) und entscheidet. Das Ergebnis ist ein widersprüchlicher Prozess, der mit dem Level der Klassenkonfrontation in Zusammenhang steht, und der nur dort seine Bedeutung findet. Es wird darin Momente geben können, in denen diese Bedeutung deutlich ist, und Momente, in denen sie unklarer ist und sie entziffert werden muss, aber sie wird nie in dem einen oder anderen Sinne endgültig sein.

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Die Grenzen der Massenarbeit rühren paradoxerweise von denselben Grenzen her, die uns in einer unfernen Vergangenheit dazu veranlasst haben, aufgrund der äusseren Formen der Bewegung, aufgrund ihrer fortgeschritteneren, kreativeren Ausdrücke grosse Hoffnungen zu hegen. Die Negierung des Subjekts knüpfte an die Verherrlichung eines subjektiven Modells an, das ständig wieder ein Subjekt vorschlug, das von allen widersprüchlichen Charakteristiken der Subjektivität frei ist. So wurde die Erdrückung des Qualitativen, die in den immer brüskierteren Schemen der Arbeiter der revolutionären Partei oder der libertären Gewerkschaft ausgeübt wurde, in den avveniristischen Schemen der hypersubjektiven Bewegung auf anderem Wege wieder vorgeschlagen. Das Resultat war die Abflachung von beidem. Da wie dort gab es keinen Platz für das wirkliche Subjekt. Im Falle der Massenarbeit gab es keinen Platz aus Definition, im Falle der Bewegung gab es keinen Platz aus Kurzsichtigkeit und Unwissenheit.

In diesem Sinne reichen sich der Skeptiker und der Singende die Hand und gehen sie dem Parteifunktionär und dem Gewerkschaftsaktivisten entgegen. Jeder befragt den anderen über die Gründe des jeweiligen Scheiterns, keiner hat Augen, um zu sehen, und Ohren, um zu hören.

Müssen wir also die Beziehung zu den Massen aufgeben? Müssen wir die Bewegung als wenn auch beschränkt quantitatives Wachstumsziel negieren? Müssen wir uns vor dem Instrument der spezifischen Organisation verschliessen? Wir sind der Ansicht, dass nichts von all dem getan werden muss. Im Gegenteil müssen diese drei Elemente in einer neuen Perspektive überdacht werden

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Die Beziehung zu den Massen kann nicht auf der langen Frist, auf dem endlosen Wachstum, auf dem Terrain der Verteidigung und des Widerstands gegen die Angriffe der Bosse aufgebaut werden. Sie muss reduzierte, spezifische, entschieden Angriffs- und nicht Nachhutsdimensionen haben.

Die Organisationsstrukturen, die wir vorschlagen können, sind Strukturen, die – zeitlich und räumlich – begrenzt sind, schlichte aggregative Formen, mit Zielsetzungen, die innert kurzer Frist erreichbar sind. Sie sollen nicht widerständische oder gewerkschaftliche, sondern ausschliesslich operative Charakteristiken haben. Sie sollen möglichst nicht von einer sehr schwerfälligen ideologischen Grundlage, sondern von simplen und heute recht teilbaren Elementen ausgehen: Selbstverwaltung, permanente Konflikthaltung, Angriff gegen den Klassenfeind.

Mindestens zwei Faktoren ermutigen uns in diesem notwendigen Ansatz, den es unserer Beziehung zu den Massen zu geben gilt: erstens, die Zerklüftung der Klassenhomogenität durch die vom Kapital auferlegten Produktionsverhältnisse selbst; zweitens, das grassierende Gefühl von Ineffizienz, das der Einzelne aus der Dimension des kollektiven Kampfes auf einem gewissen Level zieht.

Hingegen ist der Wille, sich zu widersetzen, noch immer recht verbreitet, die objektiven Räume, in denen er sich üben kann, existieren, die Aktionsmodelle sind dabei, ausgearbeitet zu werden. In diese Richtung gibt es noch viel Arbeit zu tun.

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Die Bewegung bekundigt immer mehr jene ungreifbaren Charakteristiken, die sie eben dort auf massive Weise präsent zeigten, wo sie nur der Schatten von sich selbst war. In den objektivierendsten Teilen, eben dort, wo sich der einzelne Gefährte am stärksten der noch immer vorherrschenden Ideologie der Partei aufopferte, zeigten sich die Strukturen der Bewegung stark und florierend. Und dabei war es eben dort, wo sie am stärksten nach Kadaver stanken. Anderswo versanken die grössten Öffnungen zur Kreativität in einer Atmosphäre, die noch zu sehr von proletarischen Gemeinplätzen durchtränkt war. Die isolierten Versuche von einigen kritischen Intelligenzen waren nicht ausreichend. Die Aktionen von einigen Gruppen, die zeigen wollten, wie es möglich ist, es besser und auf libertärere Weise zu machen, hatten den Wert, den all jene Dinge haben, die eine noch in Entstehung begriffene Realität ankündigten: den Wert von einer Stimme in der Wüste.

Jetzt ist die Realität anders. Sie zeigt sich uns gleichförmig und schwierig, flach, ja abgeflacht von der Repression und von der Rückkehr zum Konformismus. Aber einer Sache kann man sich sicher sein, diese Abflachung hat darin geendet, mit Klarheit zu zeigen, wo die Grenzen und die Gefahren der leninistischen Ideologie der Partei liegen, Grenzen und Gefahren, die zu einem gewissen Zeitpunkt überall grassierten. Heute ist all das vorbei, und es ist seltsam, dass man an einem solchen Begräbnis von Tod spricht. Wenn Lenin tod ist, dann lebe die Revolution.

Aber das Grassieren der parteilichen Pest war nicht nur in den Schichten präsent, die eine Fahne daraus machten, sondern auch in Bereichen der Bewegung, die sich entrüsteten, wenn sie bloss des Namen davon hörten. Eben diese Bereiche, diejenigen, die den Splitter im Augen des Gefährten suchen gingen, waren jene, die besser als alle mit einem leninistischen Balken im eigenen Auge auskamen. Im Grunde lag das Problem nicht darin, die von den anderen gemachte Arbeit als Element von einer komplexen Beziehung zu betrachten, die man nicht dadurch austreiben konnte, dass man sie ignoriert, sondern, im Gegenteil, darin, eine Mentalität aus den Fluren der Polizeikommissariate einzuführen, die eben das verderblichste Element des Leninismus ist, jenes Element, das die ganze Ideologie des sogenannten demokratischen Zentralismus verbindet. Es war gewiss nicht das Anerkennen der (wenn auch widersprüchlichen) Gültigkeit der Aktionen, die von den Leninisten gemacht wurden, was ein Anzeichen der parteilichen und autoritären Infektion darstellte, als vielmehr die Anwendung der Denunziation, die überlegene Haltung, die ideologische Selbstverherrlichung, die unkritische Orthodoxie, der Anspruch auf einen intellektuellen Leaderismus, die Suche nach einem kleinen Stück von persönlicher Macht, etc. All dies musste bekämpft werden, eben in dem Moment, wo die leninistischen Konzeptionen der bewaffneten Partei oder der Eroberung des Winterpalastes grassierten.

Und ein Kampf in diese Richtung ist tatsächlich geführt worden und es scheint uns nicht, dass er ohne Bedeutung war. Er wurde für ein Nachhausebringen des Kriegs gehalten, während er hingegen im Ausland geführt werden musste, aber man findet immer irgendeinen Dummkopf – in gutem oder bösem Glauben – der liest, wie es ihm scheint oder wie es ihm am bequemsten ist.

Die Ungreifbarkeit der revolutionären Bewegung kann jetzt wie ein notwendiges Übel erscheinen, und sie ist hingegen die notwendige und objektive Bewertung von etwas, das darin geendet hat, sich zu reinigen, die Altlasten loszulassen, und sich somit auf einen Kern, auf eine Essenz reduziert hat, die vielleicht bescheidener, aber zweifellos bedeutsamer ist. Es ist dies, woraus die Bewegungen von morgen hervorgehen werden, und gewiss nicht aus den Klagen oder aus den Nostalgien.

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Im Kleinen ist die Aktion kritisierbar aufgrund von ihrer Bedeutungslosigkeit, aufgrund der Spöttischkeit der Beziehung, die sie zum kolossalen Komplex der feindlichen Macht aufstellt. Aber es wäre falsch, in anderer Hinsicht, quantitative Beziehungen aufzustellen. Die Konfrontation bleibt bedeutsam, da der Feind, eben aufgrund von seiner extremen Komplexität, eine konstante Beschaffbarkeit des Konsens benötigt. Jede minimale Störung schädigt ihn weit über die objektiven Grenzen der Störung selbst hinaus. Sie schädigt sein Bild, seine Pläne, die Mechanismen zur Produktion des sozialen Friedens, die instabilen Gleichgewichte seiner Politik.

Jede kleine Aktion, die von einer wenn auch minimalen Miteinbeziehung der Leute ausgeht, ist daher eine grosse subversive Tatsache, eine Tatsache, die die manchmal mikroskopischen Dimensionen des Geschehnisses übersteigt, um weniger zu einem Symbol, sondern zu einem möglichen Referenzpunkt zu werden.

In diesem Sinne haben wir oft von Aufstand gesprochen. Wir können den Kampf so angehen, dass sich objektive Bedingungen von Revolte realisieren, so, dass sich die latente Gegenüberstellung entwickelt und hervorhebt, so, dass der Kontakt zwischen anarchistischer Minderheit und spezifischer Situation geknüpft wird, worin der Kampf entwickelt werden kann.

Wir wissen, dass viele Gefährten diese Ideen nicht teilen. Einige haben uns angeschuldigt, analytisch zurückgeblieben zu sein, andere, nicht zu verstehen, dass die patiellen Kämpfe nur der Macht zu Nutzen kommen, dass man heute im Zeitalter der Elektronik nicht mehr von Revolte sprechen kann.

Es tut uns wirklich leid, aber wir sind Sturköpfe. Wir sind der Ansicht, dass es auch heute noch, auch im Zeitalter der Rechenmaschinen, die alles wissen, noch immer möglich ist, zu rebellieren, noch immer möglich ist, dass eine kleine Stecknadelspitze ins Innere des Kolosses eindringt, der bereit ist, alles zu verschlingen. Es ist jedoch erforderlich, die alten Gemeinplätzen des grossen Massenkampfes, des endlosen Wachstums, der Bewegung, die alles beherrscht und alles kontrolliert, zu verlassen. Es ist erforderlich, eine eingegrenztere, präzisere, detailliertere Mentalität anzunehmen. Es ist erforderlich, die Realität so zu betrachten, wie sie ist, und nicht so, wie wir sie uns vorstellen. Gegenüber einer Situation ist es erforderlich, eine möglichst präzise Vorstellung von dem zu haben, was uns umgibt, von der Klassenkonfrontation, die diese Situation widerspiegelt, und ist es auch erforderlich, sich die geeigneten Mittel zu geben, um zu intervenieren.

Wir sind Überbringer von Interventionsmodellen und Ideen von grosser Wichtigkeit und von grosser revolutionärer Bedeutung. Aber diese Modelle und diese Ideen sprechen nicht von alleine, sie werden nicht sofort verstanden, es ist erforderlich, zu handeln, um sie in Funktion zu zeigen, es genügt nicht, sie zu erklären. Oft scheinen wir Schwätzer wie viele andere zu sein, Erzeuger von Worten wie der Grossteil von jenen, die in der Politik lavieren.

Bereits die Anstrengungen, die wir machen werden, um uns die Mittel zu geben, um auf die tauglichste Weise zu intervenieren, stellen ein gutes Element zur Klärung der Ideen dar, für uns und für jene, die mit uns in Kontakt treten. Eine reduktive Anschauung dieser Mittel, eine auf die blosse Information, auf den Dissens, auf die Prinzipienerklärungen begrenzte Auffassung, ist zweifellos unausreichend. Wir müssen weiter gehen, in die drei Richtungen arbeiten: Kontakt mit den Massen (eingegrenzt und auf ein genau definiertes Kampfziel ausgerichtet); Aktion innerhalb der revolutionären Bewegung (im zuvor betrachteten subjektiven Sinne); Aufbau der spezifischen Organisation (sowohl der Massenarbeit wie auch der Aktion innerhalb der revolutionären Bewegung dienlich).

Dies ist die Richtung, in die es erforderlich sein wird, sehr viel zu arbeiten.

Affinität

Unter den anarchistischen Gefährten gibt es eine ambivalente Beziehung zur Frage der Organisation.

An den beiden Extremen stehen einerseits die Akzeptanz der permanenten Struktur, ausgestattet mit einem klar umrissenen Programm, mit zur Verfügung stehenden Mitteln (wenn auch wenigen), und unterteilt in Arbeitsgruppen; und, andererseits, die Zurückweisung von jeglicher stabilen und strukturierten Beziehung, und sei es auch auf kurze Zeit.

Die klassischen anarchistischen Föderationen (von altem und neuem Typ) und die Individualisten bilden die beiden Extreme von etwas, das irgendwie versucht, der Realität der Konfrontation zu entfliehen. Der Gefährte, der ein Anhänger der organisierten Strukturen ist, hofft darauf, dass sich aus dem quantitativen Wachstum eine revolutionäre Veränderung der Realität ergibt, weshalb er sich die billige Illusion gewährt, jede autoritäre Rückbildung der Struktur und jedes Zugeständnis an die Logik der Partei zu kontrollieren. Der individualistische Gefährte beneidet das eigene Ich und fürchtet jede Art von Verunreinigung, jedes Zugeständnis an die Anderen, jede aktive Zusammenarbeit, da er dergleichen als Nachgeben und Kompromiss betrachtet.

Auch die Gefährten, die sich kritisch vor die Frage der anarchistischen Organisation stellen, und die die etwaige individualistische Isolation ablehnen, vertiefen die Frage oft nur in klassischen Organisationsbegriffen. Es fällt ihnen schwer, sich andere Formen von stabilen Beziehungen zu denken.

Die Basisgruppe wird als unabdingbares Element der spezifischen Organisation betrachtet und die Föderation zwischen Gruppen, auf der Grundlage einer ideologischen Klärung, wird zu ihrer natürlichen Konsequenz.

Die Organisation entsteht also vor den Kämpfen und endet darin, sich an die Perspektive einer gewissen Art von Kampf anzupassen, der die Organisation selbst – zumindest nimmt man das an – quantitativ anwachsen lässt. So erweist sich die Struktur als eine Stellvertretungsform gegenüber den repressiven Entscheidungen, die von der Macht getroffen werden, welche aus unterschiedlichen Gründen die Szenerie der Klassenkonfrontation dominiert. Der Widerstand und die Selbstorganisation der Ausgebeuteten werden als molekulare Aspekte betrachtet, die man zwar hie und da wahrnehmen kann, aber die erst bedeutend werden, wenn sie in die spezifische Struktur eintreten oder sich in Massenorganismen konditionieren lassen, die unter der (mehr oder weniger deklarierten) Führung der spezifischen Struktur stehen.

Auf diese Weise bleibt man stets in einer Wartehaltung. Wir sind alle wie freigelassen auf Bewährung. Wir beobachten das Verhalten der Macht und halten uns bereit, gegenüber der Repression, die uns trifft, zu reagieren (stets innerhalb der Grenzen des Möglichen). Praktisch nie ergreifen wir selbst die Initiative, entwerfen wir Interventionen in erster Person, stürzen wir die Logik der Verlierer um. Jene, die sich in strukturierten Organisationen wiedererkennen, warten auf ein unwahrscheinliches quantitatives Wachstum. Jene, die innerhalb von Massenstrukturen arbeiten (zum Beispiel, in der anarcho-syndikalistischen Perspektive), warten darauf, dass man von den kleinen defensiven Resultaten von heute zum grossen revolutionären Resultat von Morgen voranschreitet. Jene, die all das negieren, warten ebenso, sie wissen nicht genau worauf, verschliessen sich oft in einem Groll gegen alle und gegen alles, überzeugt von ihren Ideen, ohne zu bemerken, dass diese nichts anderes sind als die leere Umstülpung der organisatorischen und programmatischen Bekräftigungen der Anderen.

Uns scheint jedoch, dass Anderes getan werden kann.

Gehen wir von der Überlegung aus, dass es erforderlich ist, Kontakte zwischen Gefährten zu knüpfen, um zur Aktion überzugehen. Alleine ist man nicht in der Lage, zu handeln, ausser man beschränkt sich auf einen platonischen Protest, der so blutig und schrecklich sein mag, wie man will, der aber stets platonisch bleibt. Wenn wir auf einschneidende Weise auf die Realität einwirken wollen, ist es erforderlich, mit vielen sein.

Auf welcher Grundlage können wir andere Gefährten finden? Wenn wir die Hypothese der Programme und der Plattformen a priori verwerfen, ein für alle Mal an den Nagel gehängt, was bleibt da noch?

Es bleibt die Affinität.

Zwischen anarchistischen Gefährten gibt es Affinitäten und Divergenzen. Ich spreche hier nicht von den charakterlichen oder persönlichen Affinitäten, also von jenen Aspekten des Gefühls, die oft die Gefährten miteinander verbinden (die Liebe an erster Stelle, die Freundschaft, die Sympathie, usw.). Ich spreche von einer Vertiefung der gegenseitigen Kenntnis. Je mehr diese Vertiefung anwächst, desto grösser kann die Affinität werden, im entgegengesetzten Fall können sich die Divergenzen als derart offenkundig erweisen, dass sie jegliche gemeinsame Aktion unmöglich machen. Die Lösung bleibt der tiefen gemeinsamen Kenntnis überlassen, die es durch einen projektuelles Ausschnitt der verschiedenen Probleme zu entwickeln gilt, die die Realität der Klassenkämpfe vorsetzt.

Es gibt einen ganzen Fächer von Problemen, der, in der Regel, nicht in seiner Gesamtheit erklärt wird. Wir beschränken uns oft auf die naheliegenderen Probleme, weil dies jene sind, die uns mehr berühren (Repression, Gefängnisse, etc.).

Doch es ist eben in der Fähigkeit, das Problem, das wir angehen wollen, zu vertiefen, worin sich das geeignetste Mittel verbirgt, um die Bedingungen der gemeinsamen Affinität zu fixieren, welche sicherlich nicht absolut oder total sein kann (mit Ausnahme von äusserst seltenen Fällen), aber ausreichend sein kann, um Beziehungen zu fixieren, die zur Aktion tauglich sind.

Wenn wir unsere Interventionen auf die offensichtlichsten und oberflächlichsten Aspekte von dem beschränken, was wir für unmittelbare und essenzielle Probleme halten, werden wir nie Gelegenheit haben, die Affinitäten zu entdecken, die uns interessieren, und werden wir stets in Gewalt von plötzlichen und unvermuteten Widersprüchen umherschweifen, die fähig sind, jedes Projekt zur Intervention in die Realität umzuwerfen. Ich beharre darauf, zu unterstreichen, dass man Affinität und Gefühl nicht verwechseln darf. Es mag Gefährten geben, mit denen wir uns affin erkennen, die uns nicht besonders sympathisch sind, und, umgekehrt, Gefährten, mit denen wir keine Affinität haben, die unsere Sympathie aus diversen anderen Gründen erhalten.

Es ist, unter anderem, erforderlich, sich in seiner Aktion nicht von falschen Problemen hemmen zu lassen, wie zum Beispiel jenes der vermeintlichen Differenzierung zwischen Gefühlen und politischen Beweggründen. Aus dem, was vorhin gesagt wurde, könnte es scheinen, dass die Gefühle etwas sind, das es von den politischen Analysen getrennt zu halten gilt, weshalb wir, zum Beispiel, eine Person lieben können, die unsere Ideen keineswegs teilt, und umgekehrt. Dies ist grundsätzlich möglich, so zerreissend es auch sein mag. Doch in das Konzept von einer Vertiefung des Fächers der Probleme, ein Konzept, worüber ich mich weiter oben äusserte, muss auch der persönliche Aspekt (oder, wenn man es bevorzugt, der Aspekt der Gefühle) einbezogen werden, insofern die Tatsache, unseren Trieben auf instinktive Weise unterworfen zu sein, oft ein Mangel von Überlegung und Analyse ist, während wir nicht zugeben können, schlicht vom Gott des Exzesses und der Zerstörung besessen zu sein.

Aus dem, was gesagt wurde, geht, wenn auch nebelhaft, eine erste Annäherung an unsere Art und Weise hervor, die anarchistische Gruppe zu betrachten: eine Gesamtheit von Gefährten, die durch gemeinsame Affinitäten verbunden ist.

Je vertiefter das Projekt sein wird, das diese Gefährten gemeinsam aufbauen werden, desto grösser wird ihre Affinität sein. Daraus folgt, dass die tatsächliche Organisation, die effektive (und nicht fiktive) Fähigkeit, gemeinsam zu handeln, sprich, sich zu treffen, eine analytische Vertiefung zu studieren und zur Aktion überzugehen, mit der erreichten Affinität zusammenhängt und nichts mit den Kennzeichen, Programmen, Plattformen, Fahnen und getarnten Parteien zu tun hat.

Die Affinitätsgruppe ist also eine spezifische Organisation, die sich um gemeinsame Affinitäten sammelt. Diese können nicht für alle gleich sein, sondern die verschiedenen Gefährten werden endlose Affinitäts-Nuancen haben, die umso verschiedenartiger sind, je breiter die Anstrengung zur analytischen Vertiefung sein wird, die man erreicht hat.

Daraus folgt, dass auch die Gesamtheit von diesen Gefährten eine Tendenz zum quantitativen Wachstum hat, aber eine beschränkte und nicht das einzige Ziel der Tätigkeit bildende. Die zahlenmässige Entwicklung ist unentbehrlich für die Aktion und ist auch eine Bestätigung der Reichhaltigkeit der Analyse, die man am entwickeln ist, und ihrer Fähigkeit, nach und nach mit einer grösseren Anzahl von Gefährten Affinität zu entdecken.

Daraus folgt, dass sich der so entstandene Organismus schliesslich gemeinsame Interventionsmittel geben wird. An erster Stelle ein Diskussionsinstrument, das zur analytischen Vertiefung notwendig ist, fähig, so gut als möglich, über einen sehr breiten Fächer von Problemen Indikationen zu liefern, und, zur selben Zeit, einen Referenzpunkt zur Prüfung – auf persönlicher und kollektiver Ebene – der Affinitäten oder der Divergenzen darzustellen, die allmählich aufkommen werden.

Es bleibt zuletzt noch zu sagen, dass das Element, welches eine derartige Gruppe zusammenhält, zwar zweifellos die Affinität ist, ihr antreibender Aspekt jedoch ist die Aktion. Wenn man sich auf das erste Element beschränkt und den zweiten Aspekt unterdimensioniert lässt, wird jede Beziehung im byzantinischen Perfektionismus verdorren.

Synthesenorganisation und informelle Organisation

Als Erstes machen wir eine Unterscheidung zwischen der spezifischen anarchistischen informellen Organisation und der spezifischen anarchistischen Synthesenorganisation. Aus dieser Unterscheidung werden, durch den Kontrast, beachtliche Klarstellungen herauskommen.

Was ist eine – selbstverständlich spezifische und anarchistische – Synthesenorgansation? Ein Beispiel für eine solche Organisation war einmal die Italienische Anarchistische Föderation [FAI], und in gewisser Hinsicht kann sie auch heute noch als Beispiel dafür gelten [1985]. Es handelt sich um eine Organisationsstruktur, die von Gruppen oder Individualitäten getragen wird, die in mehr oder weniger konstanter Beziehung zueinander stehen, und deren Kulminationspunkt in den periodischen Kongressen besteht. In diesen öffentlichen Versammlungen diskutiert man die grundlegenden theoretischen Analysen, analysiert man ein Programm und teilt man die Aufgaben auf, die das ganze Spektrum an Interventionen in den sozialen Bereich abdecken. Diese Organisation stellt sich folglich als Referenzpunkt hin, als Pol, der fähig ist, die Kämpfe zu synthetisieren, die sich in der Realität der Klassenkonfrontation ereignen. Die verschiedenen Arbeitsgruppen dieses Organisationsmodells intervenieren in die Kämpfe (als einzelne Gefährten, die sie zusammensetzen, oder als Gruppen) und, indem sie intervenieren, liefern sie den eigenen Beitrag, aber sie verlieren nie die theoretische und praktische Ausrichtung aus dem Blick, welche die Organisation, in ihrer Gesamtheit, am vorherigen Kongress beschlossen hat.

Wenn sich diese Art von Organisation in voller Blüte entwickelt (wie es in Spanien ‘36 der Fall war), beginnt sie gefährlich, einer Partei zu ähneln. Die Synthese wandelt sich in Kontrolle. Sicher, in flauen Zeiten ist diese Rückbildung nicht sehr offensichtlich und mag das auch ein Geläster scheinen, aber in anderen Zeiten tritt sie sichtlicher hervor.

Im Wesentlichen wird in der (noch immer spezifischen und anarchistischen) Synthesenorganisation ein Kern von Spezialisten vorausgesetzt, der auf theoretischer und ideologischer Ebene Vorschläge formuliert, sie, so gut wie möglich, dem Grundsatzprogramm anpassend, das per Kongress beschlossen worden ist. Das Abrücken von diesem Programm kann auch beträchtlich sein (eine allzu pedantische Anpassung würden die Anarchisten schliesslich nicht zugeben), doch, falls sie auftreten, kümmert man sich, kurzerhand, darum, sie wieder zur Normalität der vorherig beschlossenen Linie zurückzuführen.

Das Interventionsprojekt dieser Organisation besteht also darin, in den verschiedenen Realitäten präsent zu sein: Antimilitarismus, Atomkraft, Gewerkschaften, Gefängnisse, Ökologie, Stadtteilarbeit, Arbeitslosigkeit, Schule, usw. Diese Präsenz übersetzt sich in direkte, also direkt organisierte Interventionen, oder in Beteiligungen an Interventionen, die von anderen Gefährten oder von anderen Organisationen (die anarchistisch sind oder nicht) verwaltet werden.

Daraus folgt, dass, da die Beteiligung am Kampf zum Zweck hat, ihn ins Innere des Synthesenprojekts zu führen, derselbe nicht autonom sein kann, mit den anderen revolutionären Kräften nicht wirklich auf einer Ebene von Klarheit zusammenarbeiten kann, wenn nicht durch den ideologischen Filter der Synthese, wenn nicht durch die Bedingungen, die vom Projekt auferlegt werden, das per Kongress gutgeheissen wurde.

Diese Situation, die schliesslich nicht immer so starr ist, wie es hier erscheinen mag, bringt die unauslöschliche Tendenz der Synthesenorganisationen mit sich, das Level der Kämpfe hinab zu ziehen, indem sie Vorsichts- und Umsichtsmassnahmen vorschlagen, die zum Zweck haben, jede Flucht nach vorne, jede Wahl von allzu unverhüllten Zielen, jede Anwendung von allzu gefährlichen Mitteln einzuschränken.

Machen wir ein Beispiel. Wenn eine Gruppe, die dieser Art von (synthesenhaften und noch immer spezifischen und anarchistischen) Organisation angehört, einer Kampfstruktur beitritt, sagen wir gegen die Repression, so wird sie sich gezwungen sehen, die Aktionen, die von dieser Struktur vorgeschlagen werden, im Licht der vorangehend gemachten und, in groben Linien, per Kongress gutgeheissenen Analysen zu bewerten. Daraus folgt, dass die Kampfstruktur sich an diese Analysen wird anpassen müssen, oder aber die Gruppe, die der Synthesenorganisation angehört, wird ihre Zusammenarbeit abbrechen (falls sie eine Minderheit darstellt) oder den Ausschluss von denjenigen durchsetzen (in den Tatsachen, wenn nicht mit einem präzisen Antrag), die andere Kampfmethoden vorgeschlagen haben.

Wie sehr einem diese politische Realität auch Missfallen bereiten mag, genauso sieht es aus.

Bliebe uns noch, zu fragen, wieso denn der Vorschlag der Gruppe, die der Synthesenorganisation angehört, stets, per Definition, rückständiger, also von Nachhut, oder vorsichtiger als andere Vorschläge sein muss, wenn es um mögliche Angriffsaktionen gegen die Strukturen der Repression und des sozialen Konsenses geht.

Wieso? Die Antwort ist leicht. Die spezifische und anarchistische Synthesenorganisation, welche, wie wir gesehen haben, ihren Hauptmoment im periodischen Kongress findet, hat als fundamentales Ziel das quantitative Wachstum. Als Synthesenstruktur benötigt sie eine operative Kraft, die anwachsen muss. Nicht gerade bis ins Unendliche, aber quasi. Andernfalls hätte sie nicht die Kapazität, in die verschiedenen Realitäten zu intervenieren und könnte sie auch nicht ihre Haupftaufgabe ins Auge fassen, die, eben, darin besteht, zu ihrer Synthese in einem einzigen Referenzpunkt voranzuschreiten.

Nun, wer das quantitative Anwachsen zum Hauptziel hat, muss Interventionsmittel gebrauchen, die den Proselytismus und den Pluralismus gewährleisten können. Gegenüber jedem Problem kann er nicht eine klare und deutliche Position einnehmen, die sich oft bei den meisten als unbeliebt erweist, sondern muss er einen Mittelweg finden, einen politischen Weg, um möglichst wenigen zu missfallen und sich möglichst vielen annehmbar zu erweisen.

Weiters ist, was einige Probleme, wie jenes der Repression und der Gefängnisse im Besonderen betrifft, die korrekteste Position oft sehr gefährlich, und keine Gruppe kann eine Organisation, der sie angehört, aufs Spiel setzen, ohne sich erst mit den anderen Gruppen zu einigen. Aber dies kann nur per Kongress, oder zumindest per ausserordentlichem Treffen erfolgen, und alle wissen, dass gerade an diesen Orten letztendlich stets die gemässigtere und gewiss nicht die fortgeschrittenere Meinung überwiegt. Daher bildet die Präsenz der Synthesenorganisation innerhalb der realen Kämpfe, der Kämpfe, die sich mitten in die Klassenkonfrontation einfügen, eine Bremse und eine Kontrolle (oft eine unfreiwillige, aber dennoch noch immer eine Kontrolle).

Die informelle Organisation hat diese Probleme nicht. Die Affinitätsgruppen und die Gefährten, die sich in einem Projektumfeld von informeller Natur wiedererkennen, sind de facto zusammen und sicherlich nicht aufgrund von der Zustimmung zu einem Programm, das an einem Kongress festgelegt wurde. Das Projekt, worin sie sich wiedererkennen, wird von ihnen selbst, von ihren Analysen und ihren Aktionen realisiert. Sie kann einen gelegentlichen Referenzpunkt in einer Zeitung oder in einer Reihe von Treffen finden, aber dies nur, um die Dinge zu vereinfachen, während sie nichts mit Kongressen oder anderen derartigen Dingen zu tun hat.

Die Gefährten, die sich in einer informellen Organisation wiedererkennen, gehören ihr automatisch an. Sie bleiben mit den anderen Gefährten in Kontakt, mittels der Zeitung oder anderen Mitteln, aber, was wichtiger ist, sie bleiben in Kontakt, indem sie sich an den verschiedenen Aktionen, Demonstrationen, Treffen, usw. beteiligen, die, von Mal zu Mal, realisiert werden. Der zentrale Punkt zur Prüfung und Vertiefung wird dadurch gegeben, dass man sich in Momenten des Kampfes trifft, die, zu Anfangs, auch schlicht Momente von theoretischer Prüfung sein können, um dann etwas Anderes zu werden.

In einer informellen Organisation besteht das Synthesenproblem nicht, will man nicht in den diversen Situationen Präsent sein, und geschweige denn davon, ein Projekt formulieren, das die Kämpfe in dem Flussbett eines im Vorhinein gutgeheissenen Programm zusammenführt.

Der einzige Referenzpunkt ist die aufständische Methodologie: in anderen Begriffen, die Selbstorganisation der Kämpfe, die permanente Konflikthaltung und der Angriff.

Indiviuum, Affinitätsgruppe, informelle Organisation

Wenn wir verstehen wollen, worin die Einsatz- und Entwicklungsmöglichkeit eines Instruments wie der Affinitätsgruppe, und somit auch der informellen und aufständischen Organisation besteht, dann müssen wir versuchen zu verstehen, weshalb wir vorschlagen, dieses Instrument zu gebrauchen. Wenn uns dieses Problem interessiert, dann müssen wir es vertiefen, ansonsten, falls es uns nicht interessiert, verliert der Grund an Wichtigkeit, weshalb wir dieses Instrument gebrauchen, weshalb wir es für der Realität angemessener halten.

Wenn ein organisatorisches und revolutionäres Instrument untersucht wird, wird uns dieses Instrument nicht durch theoretische Tugend auferlegt, sondern wählen wir es selbst, mit unserer Entscheidung, sowohl individuell wie kollektiv, und wir wählen es, weil es uns scheint, dass es ein Instrument sein könnte, das angemessener ist als andere, und demnach ein Instrument, das fähig ist, besser als andere auf die uns unterdrückende Realität einzuwirken. Die Entscheidung, die uns zu dieser Schlussfolgerung führt, ist oft nicht klar. Viele fühlen sich von einer gefühlsmässigen, oder romantischen, irrationalen, oder schlicht geschmacksbedingten Tatsache angezogen, und wenden sich daher der aufständischen Organisation und nicht der Synthesenorganisation, der quantitativen Struktur zu. Diese Wahl ist a priori sehr schön, aber sie gilt nicht als Vertiefung des Einsatzes, des Gebrauchs von einem revolutionären Mittel. Um diese Vertiefung zu erhalten, falls wir sie für wichtig halten, müssen wir verstehen, weshalb dieses Instrument, nachdem gewisse objektive Bedingungen der Realität sich verändert haben, sich dem revolutionären Kampf als angemessener erweist, als, sagen wir, das anarchosyndikalistische, oder das revolutionär syndikalistische Instrument es ist.

An und für sich garantiert diese Wahl überhaupt nichts. Weshalb nennen sich manche von uns Insurrektionalisten? Weil das Wort schöner ist? Weshalb glauben sie, dass der Aufstand ein angemesseneres Instrument ist? Aus welchem Grund die Affinitätsgruppen, und nicht die Synthesenorganisation? Die Formen, die die Menschen entdeckt haben, um sich zusammenzutun, sind sehr viele. Weshalb denken wir, dass die Affinitätsgruppe die bessere Organisation ist?

Wir können auf diese Fragen nicht antworten, und somit nicht vorankommen, wenn es uns nicht gelingt, zu verstehen, was sich in den letzten Jahren verändert hat. Denn die Struktur des Kapitals, die ökonomische und soziale Zusammensetzung, die wir heute vor uns haben, ist anders als jene der 70er Jahre, und anders als jene, die sie Anfangs der 80er Jahre war. Ich spreche nicht davon, jetzt drei Tage damit zu verbringen, über politische Ökonomie zu diskutieren, aber diese eher technischen Aspekte scheinen mir nicht so verschieden von dem, was uns hier interessiert. Andernfalls müssten wir schlussfolgern: Ich mag den Aufstand, weil ich den Aufstand mag.

Ich denke, dass die Kenntnis keine Angst machen kann. Gegebenenfalls kann sie lästig fallen: einer sagt, es reicht, ich habe die Nase voll, das Problem ist mir unangenehm, hören wir auf damit, wechseln wir das Thema. Aber Angst, nein. Die theoretischen Aspekte zu vertiefen, ist nie kontraproduktiv. Passen wir gut auf, mit ein bisschen Intelligenz: wir sind nicht hier, um eine Abhandlung über politische Ökonomie oder über zeitgenössische Geschichte zu lesen. Dennoch weigere ich mich, anzuerkennen, dass die Überlegung, von der wir sprechen, von unseren Interessen getrennt ist.

Es ist klar, dass der Mensch in vielen Gelegenheiten seiner Geschichte bestimmte Instrumente gebraucht hat. Aber bedeuten die Experimente von sozialer, anarchistischer, revolutionärer,… Natur, herausgelöst aus dem historischen Kontext, worin sie das erste Mal realisiert wurden, dasselbe? Ich denke nicht. Denn es stimmt nicht, dass jegliche Verbindung zwischen der Realität, die wir vor uns haben, und den Erfahrungen, die wir machen, fehlt. Es gibt da eine Verbindung, und diese ist so stark, dass die Idee, das Verlangen, die Anstrengung, und auch der Wille aller Evidenz zuwider zu handeln, dass all dies, denke ich, nicht vom Kontext getrennt ist, in dem man sich befindet. Es ist nicht herauslösbar, es ist nicht ausklammerbar.

Wenn hier also über das Konzept von Angemessenheit gesprochen wird, geht es nicht um ein Konzept von Unterordnung der eigenen Verlangen gegenüber der Realität, in dem Sinne, dass ich meine Verlangen, meine Bestrebungen und meine Vorlieben auf die Seite stelle, um mich als der Realität angemessen zu erweisen: dies ist, was die Politiker tun. Es ist der funktionalistische Ideologismus, der aufzwingt, seine Vorlieben zurückzustellen, um das effizienteste zur Verfügung stehende Mittel ins Feld zu führen. Unsere Wahl ist die eines anderen Feldes. Wenn wir von revolutionärer Angemessenheit sprechen, beziehen wir uns nicht auf eine funktionalistische Angemessenheit. Offensichtlich beziehen wir uns auf eine andere Angemessenheit, und zwar in dem Sinne, dass diese Wahl, die eigene Wahl, sich wahrscheinlich heute, zum ersten Mal, als der Realität angemessener erweisen könnte (aber das ist nicht sicher). Die informelle Wahl sagt mir zu, und sie hätte mir auch im 19. Jahrhundert zugesagt, als sie, soviel man weiss, den Bedingungen der Konfrontation sicherlich nicht angemessen war.

Es könnte interessant sein, über diesen Punkt nachzudenken. In Vergangenheit haben wir oft eine schwere Last mit uns herum getragen, ein Hindernis für jedes revolutionäre Projekt, ein Gewicht, das eben durch unsere Entscheidungen verursacht wurde, jetzt, und in einer unfernen Zukunft, könnten wir uns in einer Situation befinden, in der unsere Entscheidungen, vielleicht zum ersten Mal, verständlich sein könnten, und wir hingegen überhaupt nicht darauf vorbereitet sind. Dies ist eine heikle Frage: gelingt es uns denn wirklich, heute einen Diskurs an die Leute zu führen, uns den Leuten verständlich zu machen? Eine nicht unnütze Frage, denn unsere Thesen könnten, im kurzen Verlauf von ein paar Jahren, die angemessensten, wenn nicht die einzigen sein, die imstande sind, die Ordnung umzuwälzen, worin wir leben. In dieser Eventualität: wird es uns gelingen, dieser Aufgabe gewachsen zu sein? Ich weiss es nicht. Meist stellen wir uns dieses Problem gar nicht erst. Es reicht uns, zu wissen, dass wir anders sind, dass wir Anarchisten sind, dass wir begreifen, was die anderen nicht verstehen, dass wir die einsamen Hüter der Wahrheit sind. Aber die Realität, in ihrer Gesamtheit, bewegt sich auf Veränderungen zu, die unverständlich sein könnten, gerade für die Anarchisten, die sich heute für viel revolutionärer als die gemeinen Leute halten. Versucht, einen beliebigen Diskurs zu führen, einen alltäglichen Diskurs, der nicht ein kanonisches Argument ist, der nicht ein spezifisches Argument unserer üblichen revolutionären Überlegungen ist, versucht, von einer beliebigen Sache zu sprechen, und wir werden sehen, ob hinter dem gemeinen Menschenverstand der Leute nicht manchmal eine grössere Fähigkeit liegt, zu verstehen, was es zu tun gilt, welchen Punkt es anzugreifen gilt. Uns selbst, mit all unserer revolutionären Spitzfindigkeit, gelingt das oft nicht.

Das ist es, was ich sagen möchte. Wir haben, wahrscheinlich, eine Minderheitenmentalität, und die Realität ist heute dabei, sich so zu verändern, dass sie diese Mentalität sich als unangemessen erweisen lassen kann. Vielleicht war sie einmal angemessen, als die Bedingungen der Struktur, die bekämpft werden musste, anders waren. Die anarchistischen Gefährten, die in den 30er Jahren nach Spanien gingen, um sich an der spanischen Revolution zu beteiligen, als sie dahin gingen, was fanden sie vor? Sie fanden eine von der republikanischen Armee organisierte Situation vor, und daher waren sie gezwungen, ihren Ideen Gewalt anzutun, denn sie anerkannten, dass man, im Grunde genommen, auch innerhalb von autoritären und militaristischen Strukturen etwas tun konnte, um das grössere Übel zu bekämpfen. Sie taten sich selbst Gewalt an, akzeptierten einen Kontext, dem sie unmöglich nicht fremd sein konnten, und oft wurden sie umgebracht, ohne sich überhaupt verteidigen zu können.

Was soll das alles heissen? Das heisst, dass wir uns in anderen Situationen befinden könnten, die nicht völlig unverständlich, aber schwierig zu verstehen sind, wie es jene von einem Bürgerkrieg sein könnten. Nun, sind wir in der Lage, diese Situationen zu verstehen? Und wie können wir diese Situationen verstehen, wenn die einzige Argumentation, die wir mit uns herum tragen, jene ist, dass uns der Aufstand passt und damit basta, ohne aber eine Analyse in die Argumentation einzubringen, die versucht, zu erklären, weshalb sich heute diese Möglichkeiten bewahrheiten, weshalb der Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien von vor ein paar Jahren anders gewesen ist als derjenige, der in Spanien in den 30er Jahren stattfand.

Sicher, der Bürgerkrieg ist eine besondere Bedingung, aber so besonders ist sie eigentlich nicht. Wir alle erleben den Bürgerkrieg, wir alle befinden uns in einer Bürgerkriegssituation. Einmal abgesehen von dieser Tatsache, die ein spezifisches Problem ist und die wir vielleicht später vertiefen können, indem wir uns entscheiden, von welcher Seite wir sie untersuchen wollen, ist das Wichtige die Situation, in der man sich befindet, sei es jene eines Bürgerkriegs oder jene des Überlebens in einer Bedingung von mehr oder weniger sichtbarer Klassenkonfliktualität.

Jemand kann sicher sagen: wieso stellen wir uns denn diese Probleme? Aber sie nicht zu stellen, bedeutet, in die Position der Minderheit zurückzukehren, welche, bewusst über die eigene intellektuelle und moralische Erhabenheit, keine Probleme hat. Weshalb sie, in der veränderten Situation, nicht weiss was tun, wie es andere Male geschehen ist, und sich schliesslich dem Karren jener anschliesst, die mehr wissen.

Aus dem, was aus den Diskussionen von gestern zu verstehen war, schien sich das Bedürfnis zu zeigen, das Verhältnis besser zu klären, das zwischen der Tatsache besteht, Dinge tun zu wollen, oder jedenfalls in die Realität intervenieren zu wollen, manchmal mit einer geradezu äussersten Dringlichkeit, einer Art von innerem Druck, zwischen der Tatsache, Dinge tun zu wollen, sagte ich, und der Tatsache, zu versuchen, auf dieses Tun-Wollen ein theoretisches Licht fallen zu lassen, welches das Tun selbst besser orientieren kann. Es hat sich also, aus den Interventionen von gestern, ein Bedürfnis, schliesslich ein Verlangen gezeigt, das Verhältnis besser zu bestimmen, das zwischen dem besteht, was man als “Theorie” definieren kann, und dem, was man als “Praxis” definieren kann, zwischen Theorie und Aktion, zwischen einer Art und Weise, die Realität zu verändern, in die Realität zu intervenieren, und der Art und Weise, darüber zu denken.

Dies ist ein theoretisches Problem, und es hat seine Wichtigkeit, aber es ist nicht getrennt vom praktischen Problem davon, wie wir uns organisieren, durch die unterschiedlichen Formen, auf Basis derer wir miteinander in Beziehung treten, uns zusammentun, und entscheiden, was wir tun wollen. Es besteht ein wichtiger Zusammenhang, den wir oft in Erwägung gezogen haben, bezüglich der Art und Weise, wie in jedem von uns der Wille, die Tatsache, zu entscheiden, eine Sache zu tun, funktioniert, und der Realität, die wir vor uns haben. Nur in Theorie ist der Wille Herr über die Welt. Wir können alles Beliebige wollen, und in unseren Träumen stellen wir uns oft vor, wie es uns gelingt, die ganze Welt umzuwälzen. Dann, sobald wir dieses Verlangen, diesen Traum des Willens einer vertiefteren Analyse, einer kritischen Analyse unterziehen, werden wir uns über die Tatsache bewusst, dass die Hindernisse, die sich zwischen unseren Willen und die Möglichkeit stellen, ihn zu realisieren, weniger an etwas gebunden sind, das vor uns liegt und das uns daran hindert, zu realisieren, was wir tun wollen, als vielmehr, sehr oft, an etwas gebunden sind, das in uns drinnen liegt, an eine schlechte oder unvollkommene Kenntnis darüber, was wir tun wollen.

Es besteht, mit Sicherheit, ein Zusammenhang zwischen Kenntnis und Wille, zwischen Erkenntnisfähigkeit und Willensfähigkeit. Was dieses Argument betrifft, das, meiner Meinung nach, einen der delikateren Punkte der Analyse des Willens darstellt, haben die Anarchisten sich manchmal nicht geringen Oberflächlichkeiten hingegeben.

Es ist nicht so einfach, in diesen Problemen Klarheit zu schaffen. Einerseits festzustellen, dass wir alles Beliebige wollen können, und daraus ableiten, dass wir, sowieso und in jedem Fall, imstande sind, den besseren Weg zu wählen, um das zu realisieren, was wirksamer ist, und andererseits zu bekräftigen, dass wir nur das wollen dürfen, was uns mehr am Herzen liegt, das, was unsere Verlangen besser erfasst. Wer ist dazu berufen, diese Unterscheidung zu treffen? Hier gibt es eine enorme Verwirrung.

Der Hauptgrund für diese Verwirrung ist zweifellos die Unterbewertung der theoretischen Vertiefung der Realität, die einige von uns machen. Viele von uns denken, dieses Element, also die “Theorie”, sei ein Ergänzungselement, das es uns mit der Zeit, mit dem Verlauf der Aktion, mit der Abwicklung unseres Tuns, irgendwie gelingen wird, zu verstehen, zu besitzen und zu verwalten. Wohingegen auch das Gegenteil der Fall sein kann, das heisst, der Fall eintreten kann, dass die Fähigkeit, zu handeln, den eigenen Willen zu verwalten, und folglich die Aktion zu realisieren, eben durch die Nicht-Klarheit der Kenntnis, durch die mangelnde Vertiefung der Kenntnis verdorben, verringert und gehemmt wird.

Der Unterschied zwischen Praxis und Theorie, zwischen Theorie und Aktion, wenn wir ihn unter diesem Gesichtspunkt betrachten, neigt also dazu, zu verschwinden. Die Ausübung des Willens, in der Fähigkeit, zu verändern, ist der Fähigkeit, zu verstehen, untergeordnet. Zwischen Handeln und Verstehen gibt es keinen Unterschied, denn die beiden Dinge durchdringen sich gegenseitig so stark, dass wir darin enden, innerhalb der Grenzen handeln zu können, in denen es uns gelingt, zu verstehen, und innerhalb der Grenzen verstehen zu können, in denen es uns gelingt, zu handeln. Es ist also logisch, dass derjenige, der sich in einem Elfenbeinturm einschliesst und versucht, die Realität zu verstehen, überhaupt nichts versteht, denn letztendlich gelingt es ihm nur das zu verstehen, was rund um seine Bibliothek liegt. Die Wichtigkeit der Aktion besteht nicht nur in Abhängigkeit von der Veränderung der Welt, sondern hauptsächlich für die Veränderung von uns selbst und unserer eigenen Fähigkeit, zu verstehen. Aber diese letztere Möglichkeit, zu verändern, ist dem untergeordnet, was es uns gelingt, zu verstehen, denn nur, wenn es uns gelingt, zu verstehen, können wir auch handeln, um die Welt zu verändern und damit fortzufahren, zu verstehen, um damit fortzufahren, zu handeln. Diese Verkettung zeigt auf, dass es zwischen Theorie und Praxis keinen Unterschied gibt. Jedes Mal, wenn jemand denkt: “nun gut, diese theoretische Analyse interessiert mich nicht”, sollte er seine Bekräftigung einem Minimum an kritischer Vertiefung unterziehen.

Wir sagten gestern: die Veränderungen, die in den letzten Jahren stattgefunden haben, sind nicht Angelegenheiten, die uns nichts angehen, Angelegenheiten, die eine Welt der Theorie betreffen, die von unseren Feinden oder, bestenfalls, von jemandem von uns verwaltet wird, der immerhin Hand anzulegen weiss, und an den wir die Aufgabe delegieren (noch dazu, manchmal, mit dringenden Anfragen, Terminen und knappen Zeiten, und Bedingungen von Klarheit und Leserlichkeit), etwas hervorzubringen, das als Instrument für unsere Aktion gebraucht werden kann. Nein, das funktioniert nicht, so kann es nie funktionieren, so hat es nie funktioniert.

Wenn wir jetzt einen logischen Sprung machen und über das Konzept von “Affinität” sprechen, müssen wir gleich sagen, dass die Affinität nicht die Sympathie ist, nicht die Freundschaft ist, nicht die Liebe ist, nicht das Gespür füreinander ist, wie es manchmal genannt wird, sie ist nicht die Tatsache, mit einer Person gut auszukommen, zusammen ins Kino, ins Bett, usw., gehen zu können, sie ist etwas anderes, etwas mehr. Aber was ist dieses Etwas mehr? Die Affinität, so wie ich sie verstehe, entsteht durch eine Vertiefung der Beziehung mit dem Anderen, eine Vertiefung, die eine bessere Kenntnis des Anderen bedeutet, und somit, auf der Grundlage des Konzepts, von dem wir vorhin sprachen, eine bessere Fähigkeit, die Realität zu verstehen. Es gelingt uns, eine Affinität mit dem Anderen festzustellen, auszumachen, in Abhängigkeit von unserer Fähigkeit, die Realität zu verstehen, die den Anderen und uns selbst umgibt. Wenn wir diese Fähigkeit, die uns umgebende Welt zu verstehen, das heisst, sie zu kennen, nicht haben, können wir den Anderen nicht verstehen. Der Andere ist nicht ein Atom, das von dieser Welt getrennt ist, die auch unsere Welt ist, und wenn es Differenzen in der Beziehung zwischen der Welt und dem Anderen, und der Welt und uns gibt, dann müssen diese Differenzen bekannt sein, damit man von Affinität sprechen kann.

Wenn wir von der Affinität als etwas sprechen, das auf den Interessen basiert, die mir und dem Anderen gemeinsam sind, was sind diese gemeinsamen Interessen? Sie sind das Ergebnis einer Antwort, die der Andere gegenüber einer gesamtheitlichen – und nicht nur ökonomischen – sozialen Bedingung geben will, die ihn unterdrückt. Diese Antwortfähigkeit von ihm gegenüber der Realität ist es, wovon es abhängt, dass der Andere für uns erkennbar ist. Nicht aufgrund der äusseren Aspekte: Mann, Frau, gross, klein, hübsch, hässlich, usw. All diese zusätzlichen Elemente können wichtig sein, aber sie sind nicht entscheidend. Ich, zum Beispiel, habe mich dabei gefunden, eine äusserst grosse Affinität mit Personen zu haben, mit denen ich nicht einmal daran gedacht hätte, gemeinsam ins Kino zu gehen, weil sie mich irritierten, aber es handelte sich um Personen, um Gefährten, in denen ich eine operative und theoretische Affinität mit mir erkannte, und mit ihnen war es, mit denen ich etwas tun wollte, auch wenn ich, ohne diese besonderen Affinitätsbedingungen, aufgrund von anderen Aspekten, nicht einmal in der Lage gewesen wäre, sie mit einem Finger zu berühren. Aber ist denn so etwas möglich? Es ist möglich, ich sehe es als etwas mögliches an. Oft fällt man in das Missverständnis, zu denken, dass die Affinität aus jenen Empfindungen, aus jener Liebenswürdigkeit, aus jener Hilfsbereitschaft, aus jener Art von Toleranz gewonnen werden kann, die oftmals der Effekt einer Maske, einer Haltung, eines ideologischen Vorurteils ist, gegenüber dem man, anstatt einen Verdacht zu haben, in die Falle der Akzeptanz läuft.

Also, um auf den Diskurs von vorhin zurückzukommen, das Hauptelement der Affinität ist die Kenntnis. Nun, Kenntnis heisst theoretische Vertiefung, heisst all das, was vorhin gesagt wurde: Fähigkeit, zu handeln, die Realität zu verändern, um zu verstehen, und zu verstehen, um die Realität zu verändern. Wenn ihr mich fragt, muss der Diskurs über das Individuum, der Diskurs über die Affinität, und von diesen bis hin zum Diskurs über den Aufstand, zum Diskurs über die organisatorischen Möglichkeiten, worüber wir, hoffe ich, nachher sprechen werden, all diese Diskurse müssen, oder besser, sollten von einem Minimum an Kenntnis bezüglich der Mechanismen ausgehen: der subjektiven, intersubjektiven, objektiven und interobjektiven Mechanismen. Das heisst, das Funktionieren des Individuums, das Funktionieren der Beziehungen mit den anderen Individuen, das Funktionieren der Realität.

Ich merke, aus einigen eurer Einwände, dass das, was ich gesagt habe, mehr Probleme aufgeworfen hat, als ich mit meinen Worten zu lösen beizutragen gedachte. Zum Beispiel das Problem der Kenntnis. Es hat hier jemand für angebracht gehalten, uns daran zu erinnern, dass es keine absolute Kenntnis gibt. Und das stimmt. Ohne die philosophischen Konzepte des Relativismus heranzuziehen, von denen man im Übrigen weiss, was sie wert sind, denke ich, dass diese Bekräftigung geteilt werden kann. Tatsächlich hatte ich keineswegs die Absicht, mich auf eine absolute Kenntnis zu beziehen. Als ich von Kenntnis sprach, meinte ich selbstverständlich eine Kenntnis in den Grenzen, in denen eine solche Unternehmung machbar ist. Das Absolute gehört uns nicht an. Wenn wir von Kenntnis sprechen, sprechen wir oft auch von Objektivität. Auch ich habe das vielleicht gesagt, wenn ich mich recht erinnere, aber noch während ich es sagte, habe ich mich selbst verängstigt. Tatsächlich ist das ein Begriff, der Angst macht, wegen dem Hintergrund von Absolutheit, den es ihm nicht gelingt, zu verbergen. Eine objektive Kenntnis, schön und ausserhalb von uns verwurzelt, liegt meiner Sichtweise der Dinge fern. Kenntnis, spezifischer betrachtet, im Falle des Konzepts von Affinität, ist all das, was sich in eine praktische Handlungsperspektive einfügt. Wir sind nicht dabei, darüber auf abstrakte Weise, im rein philosophischen Sinne zu sprechen, sondern in der Konkretheit der Tatsache, sich zusammenzutun, um einzuschätzen, was die möglichen aktiven Realisierungen zur Veränderung der Realität sind. Diese Art von Kenntnis ist zwangsläufig an einen Prozess von fortwährender Umwandlung, Abänderung und Modifizierung gebunden. Das schien mir implizit in dem Konzept, das ich, vielleicht nicht sehr klar, ausgedrückt habe.

Wobei die Meinungsverschiedenheit, die in Bezug auf das Konzept von Affinität besteht, keineswegs implizit ist. Zum Beispiel, wenn jemand sagt, dass es ihm noch nie passiert ist, auch nur irgendeine Aktivität mit einer Person für möglich zu halten, für die er nicht eine gewisse Sympathie hegt, dann hält er sich nicht bewusst, dass diese Sympathie eben aus der Kenntnis kommt, und sich eine Person, die auf den ersten Blick distanziert und kalt wirkt, schliesslich als gefühlsreich und somit sympathisch erweist.

Wir sind hier dabei, zu versuchen, einen Schritt voran zu machen, nicht in dem Sinne, die gegenseitige Empfindung von Sympathie abzuschaffen – wenn diese vorhanden ist, wird sie sicherlich ein Reichtum sein – oder die persönlichen Neigungen zu annullieren, die oft Frucht unserer intimeren Seinsweise sind. Stattdessen versuchen wir, zu sehen, ob es möglich ist, über dies hinaus, im Rahmen der Affinität, der für mich einen Ausgangspunkt bildet, eine andere Art von Affinität zu haben, die, wenn man so will, beschränkter ist, manchmal spezifischer darauf ausgerichtet, bestimmte Resultate zu erreichen.

Es handelt sich um eine Arbeitshypothese, die ich seit sehr vielen Jahren verfechte. Es ist keine sozusagen “reine”, anarchistische Weise, um die zu erreichenden Ziele oder die einzusetzenden Mittel zu identifizieren. Es ist nicht dies, worum es geht. Es geht nicht darum, sich mit dem Teufel zu einigen, um die eigenen Ziele zu erreichen. Ich stelle mir bloss eine Frage: gibt es nur eine mögliche Affinität? Oder gibt es andere Ebenen von Affinität, die beschränkter sind, die, unter dem Gesichtspunkt der Dinge, die zu tun sind, ebenfalls als interessant betrachtet werden können? Wir einigen uns, um eine Sache zu machen, aber ich muss mit demjenigen, mit dem ich diese Sache machen will, nicht mein Leben verbringen. Diese partiellen Ebenen von Affinität als inexistent zu betrachten, und stattdessen zu denken, dass man nur, wenn eine wunderschöne und totale Affinität vorhanden ist, rechtmässig in Begriffen von Affinität sprechen kann, ist einschränkend und trägt nicht dazu bei, unsere Handlungsmöglichkeiten zu erweitern, sondern verschliesst sie in den äusserst eingeschränkten Grenzen der Aussergewöhnlichkeit der Gefühle. In Wirklichkeit stehen wir oft vor unterschiedlichen Ordnungen von Affinität. Wenn wir nur die höchste Ebene akzeptieren, und nur diese als wirkliche Affinität betrachten, befinden wir uns vor einer Unmöglichkeit, den Übergang zwischen Affinität und informeller Organisation zu vollführen.

In anderen Worten, es kommt vor, dass ich eine schöne Beziehung mit den Gefährten von meiner Affinitätsgruppe haben mag, aber es mir nicht gelingt, das Problem zu lösen, mit anderen Gefährten und anderen Affinitätsgruppen, kurz, mit anderen Individuen, die nicht dieselbe Art von Affinität wie ich haben, in Kontakt zu treten. Ich mag extrem selektiv mit zwei, drei, vier, fünf Gefährten sein, aber gegenüber allen anderen, worauf kann ich, in den Tatsachen, diese Selektivität stützen, wenn nicht, indem ich mich hoffnungslos verschliesse? Worauf kann ich mich stützen, um eine breitere Aktion ins Leben zu rufen, gemeinsam mit anderen, die mit mir (und auch ich mit ihnen) keine besonders hohe Ebene von Affinität haben?

Irgendjemand könnte sagen: mich interessiert das nicht. Mich interessiert es bloss, dass mir die Beziehung mit zwei, drei, fünf Gefährten gut passt, die mir nahe stehen und gegenüber denen ich eine wichtigere und bedeutendere Affinität habe, eine Affinität, sozusagen, von Gespür, eine Affinität, die auf der gegenseitigen Sensibilität basiert, während mich diese andere Affinität nicht interessiert.

Versuchen wir zu verstehen, wovon der Übergang von der Affinitätsgruppe zur informellen Organisation charakterisiert wird. Etwa von der Existenz einer anderen Affinität? Etwa von einer Affinität, die wir hier als qualitativ minderwertiger bezeichnen können, im Vergleich zu einer intensiveren, also derjenigen der kleinen beschränkten Gruppe? Oder gibt es da ein anderes Element? Mir scheint es nicht möglich, den breiteren organisatorischen Schritt zu machen, indem man sich auf ein Element stützt, das qualitativ minderwertiger ist. Mich interessiert nicht der quantitative Aspekt, oder besser gesagt, mich interessiert nicht nur der quantitative Aspekt. Ich weiss, selbstverständlich, dass man nichts ausrichten kann, wenn man mit wenigen ist, aber es ist überhaupt nicht gewiss, dass es einem gelingt, es besser zu machen, wenn man mit vielen ist.

Welches ist also das Element, das diesen Übergang charakterisieren könnte, welcher das Individuum zu jenem Zusammenschluss veranlassen könnte, der für es, für das, was seine individuelle Souveränität ist, auch eine Aufopferung, oder zumindest eine Einschränkung darstellen könnte, jedoch entschädigt durch den Vorzug, intensivere Differenzen, breitere Handlungshorizonte zu haben? Welches ist dieses Element?

Meiner Meinung nach muss dieses Element im projektuellen Aspekt gesucht werden. Dank dem Projekt wird jene Affinität, die zuvor scheinbar minderwertiger, bescheidener, beschränkter schien, auf einer qualitativ anderen Ebene neu bewertet. Denn das Projekt ist, per Definition, ein Element, das in die Zukunft projiziert ist, in Richtung von etwas, das es noch nicht gibt, während die Affinität, in ihrer Einschätzung, in die Vergangenheit projiziert ist, in Richtung von etwas, das es, wenn auch beschränkt, bereits gibt.

Nun, wir müssen auf unsere Beziehungen, auf die Kenntnisse und auf den ganzen Rest schauen, was die Affinität betrifft, aber die Projektualität, dieser treibende Veränderungsdrang in Richtung der Zukunft, hat eine andere Qualität. Und es ist aus diesem Aspekt, woher uns der andere qualitative Beitrag zukommt, jener, der die bescheidenen Kapazitäten der Ausgangsaffinität erheben und verändern kann.

Aber wie funktioniert dieses Verhältnis? Mir scheint es nicht, dass man so etwas wie arithmetische Aspekte, ein Summenzeichen von Qualität zwischen der Affinität und dem Projekt wahrnehmen kann. Es gibt etwas zu tun? Man tut sich zusammen, man tut es. Das alles erfolgt auch in den klassischen Organisationen, in den Synthesenorganisationen, in den autoritären Strukturen. Die Partei, zum Beispiel, hat ihre Sitze, versammelt die Militanten, macht einen Kongress, trifft ihre Entscheidungen. Aber unser Problem ist nicht dies. Unser Problem ist, zur selben Zeit, einfacher und viel komplexer. Einfacher, weil es bürokratisch gesehen nicht existiert, komplexer, weil es die Vertiefung von bestimmten Thematiken erfordert, an die wir, da wir in jedem Fall Kinder der Quantität sind, nicht gewohnt sind.

So stellen wir uns das Projekt als ein Produkt der Quantität vor: bestimmte Resultate erlangen, dafür sorgen, dass die Leute gewisse Dinge tun. Dann, auf systematische Weise, wenn wir getan und realisiert haben, was in unseren Fähigkeiten liegt, zu tun und zu realisieren, stellen wir fest, dass wir ins Hintertreffen gebracht wurden, denn die Leute tun nicht, was wir zu tun gesagt haben, es gelingt uns nicht, unsere Ziele zu erreichen. Und dann? Dann denken wir, dass unsere Aktion keinen Sinn gehabt hat, ohne Bedeutung geblieben ist, denn, in unserem Kopf, haben wir noch immer die quantitative Auffassung des Projekts, nicht eine qualitative Auffassung.

Das Problem ist also nicht bloss jenes der Affinität, denn dies würde einzig das anbelangen, was wir im eigenen Hause haben, auf seinen verschiedenen Ebenen, sondern es ist hauptsächlich jenes des Übergangs zur Aktion, des Übergangs in Richtung der projektuellen Veränderung der Realität.

Deshalb ist das Projekt das, was uns hilft, die Affinität besser zu verstehen. Aus dem Projekt, das die Zukunft anbelangt, also nicht das anbelangt, was wir sind, sondern das, was wir sein möchten, dWenn wir verstehen wollen, worin die Einsatz- und Entwicklungsmöglichkeit eines Instruments wie der Affinitätsgruppe, und somit auch der informellen und aufständischen Organisation besteht, dann müssen wir versuchen zu verstehen, weshalb wir vorschlagen, dieses Instrument zu gebrauchen. Wenn uns dieses Problem interessiert, dann müssen wir es vertiefen, ansonsten, falls es uns nicht interessiert, verliert der Grund an Wichtigkeit, weshalb wir dieses Instrument gebrauchen, weshalb wir es für der Realität angemessener halten.

Wenn ein organisatorisches und revolutionäres Instrument untersucht wird, wird uns dieses Instrument nicht durch theoretische Tugend auferlegt, sondern wählen wir es selbst, mit unserer Entscheidung, sowohl individuell wie kollektiv, und wir wählen es, weil es uns scheint, dass es ein Instrument sein könnte, das angemessener ist als andere, und demnach ein Instrument, das fähig ist, besser als andere auf die uns unterdrückende Realität einzuwirken. Die Entscheidung, die uns zu dieser Schlussfolgerung führt, ist oft nicht klar. Viele fühlen sich von einer gefühlsmässigen, oder romantischen, irrationalen, oder schlicht geschmacksbedingten Tatsache angezogen, und wenden sich daher der aufständischen Organisation und nicht der Synthesenorganisation, der quantitativen Struktur zu. Diese Wahl ist a priori sehr schön, aber sie gilt nicht als Vertiefung des Einsatzes, des Gebrauchs von einem revolutionären Mittel. Um diese Vertiefung zu erhalten, falls wir sie für wichtig halten, müssen wir verstehen, weshalb dieses Instrument, nachdem gewisse objektive Bedingungen der Realität sich verändert haben, sich dem revolutionären Kampf als angemessener erweist, als, sagen wir, das anarchosyndikalistische, oder das revolutionär syndikalistische Instrument es ist.

An und für sich garantiert diese Wahl überhaupt nichts. Weshalb nennen sich manche von uns Insurrektionalisten? Weil das Wort schöner ist? Weshalb glauben sie, dass der Aufstand ein angemesseneres Instrument ist? Aus welchem Grund die Affinitätsgruppen, und nicht die Synthesenorganisation? Die Formen, die die Menschen entdeckt haben, um sich zusammenzutun, sind sehr viele. Weshalb denken wir, dass die Affinitätsgruppe die bessere Organisation ist?

Wir können auf diese Fragen nicht antworten, und somit nicht vorankommen, wenn es uns nicht gelingt, zu verstehen, was sich in den letzten Jahren verändert hat. Denn die Struktur des Kapitals, die ökonomische und soziale Zusammensetzung, die wir heute vor uns haben, ist anders als jene der 70er Jahre, und anders als jene, die sie Anfangs der 80er Jahre war. Ich spreche nicht davon, jetzt drei Tage damit zu verbringen, über politische Ökonomie zu diskutieren, aber diese eher technischen Aspekte scheinen mir nicht so verschieden von dem, was uns hier interessiert. Andernfalls müssten wir schlussfolgern: Ich mag den Aufstand, weil ich den Aufstand mag.

Ich denke, dass die Kenntnis keine Angst machen kann. Gegebenenfalls kann sie lästig fallen: einer sagt, es reicht, ich habe die Nase voll, das Problem ist mir unangenehm, hören wir auf damit, wechseln wir das Thema. Aber Angst, nein. Die theoretischen Aspekte zu vertiefen, ist nie kontraproduktiv. Passen wir gut auf, mit ein bisschen Intelligenz: wir sind nicht hier, um eine Abhandlung über politische Ökonomie oder über zeitgenössische Geschichte zu lesen. Dennoch weigere ich mich, anzuerkennen, dass die Überlegung, von der wir sprechen, von unseren Interessen getrennt ist.

Es ist klar, dass der Mensch in vielen Gelegenheiten seiner Geschichte bestimmte Instrumente gebraucht hat. Aber bedeuten die Experimente von sozialer, anarchistischer, revolutionärer,… Natur, herausgelöst aus dem historischen Kontext, worin sie das erste Mal realisiert wurden, dasselbe? Ich denke nicht. Denn es stimmt nicht, dass jegliche Verbindung zwischen der Realität, die wir vor uns haben, und den Erfahrungen, die wir machen, fehlt. Es gibt da eine Verbindung, und diese ist so stark, dass die Idee, das Verlangen, die Anstrengung, und auch der Wille aller Evidenz zuwider zu handeln, dass all dies, denke ich, nicht vom Kontext getrennt ist, in dem man sich befindet. Es ist nicht herauslösbar, es ist nicht ausklammerbar.

Wenn hier also über das Konzept von Angemessenheit gesprochen wird, geht es nicht um ein Konzept von Unterordnung der eigenen Verlangen gegenüber der Realität, in dem Sinne, dass ich meine Verlangen, meine Bestrebungen und meine Vorlieben auf die Seite stelle, um mich als der Realität angemessen zu erweisen: dies ist, was die Politiker tun. Es ist der funktionalistische Ideologismus, der aufzwingt, seine Vorlieben zurückzustellen, um das effizienteste zur Verfügung stehende Mittel ins Feld zu führen. Unsere Wahl ist die eines anderen Feldes. Wenn wir von revolutionärer Angemessenheit sprechen, beziehen wir uns nicht auf eine funktionalistische Angemessenheit. Offensichtlich beziehen wir uns auf eine andere Angemessenheit, und zwar in dem Sinne, dass diese Wahl, die eigene Wahl, sich wahrscheinlich heute, zum ersten Mal, als der Realität angemessener erweisen könnte (aber das ist nicht sicher). Die informelle Wahl sagt mir zu, und sie hätte mir auch im 19. Jahrhundert zugesagt, als sie, soviel man weiss, den Bedingungen der Konfrontation sicherlich nicht angemessen war.

Es könnte interessant sein, über diesen Punkt nachzudenken. In Vergangenheit haben wir oft eine schwere Last mit uns herum getragen, ein Hindernis für jedes revolutionäre Projekt, ein Gewicht, das eben durch unsere Entscheidungen verursacht wurde, jetzt, und in einer unfernen Zukunft, könnten wir uns in einer Situation befinden, in der unsere Entscheidungen, vielleicht zum ersten Mal, verständlich sein könnten, und wir hingegen überhaupt nicht darauf vorbereitet sind. Dies ist eine heikle Frage: gelingt es uns denn wirklich, heute einen Diskurs an die Leute zu führen, uns den Leuten verständlich zu machen? Eine nicht unnütze Frage, denn unsere Thesen könnten, im kurzen Verlauf von ein paar Jahren, die angemessensten, wenn nicht die einzigen sein, die imstande sind, die Ordnung umzuwälzen, worin wir leben. In dieser Eventualität: wird es uns gelingen, dieser Aufgabe gewachsen zu sein? Ich weiss es nicht. Meist stellen wir uns dieses Problem gar nicht erst. Es reicht uns, zu wissen, dass wir anders sind, dass wir Anarchisten sind, dass wir begreifen, was die anderen nicht verstehen, dass wir die einsamen Hüter der Wahrheit sind. Aber die Realität, in ihrer Gesamtheit, bewegt sich auf Veränderungen zu, die unverständlich sein könnten, gerade für die Anarchisten, die sich heute für viel revolutionärer als die gemeinen Leute halten. Versucht, einen beliebigen Diskurs zu führen, einen alltäglichen Diskurs, der nicht ein kanonisches Argument ist, der nicht ein spezifisches Argument unserer üblichen revolutionären Überlegungen ist, versucht, von einer beliebigen Sache zu sprechen, und wir werden sehen, ob hinter dem gemeinen Menschenverstand der Leute nicht manchmal eine grössere Fähigkeit liegt, zu verstehen, was es zu tun gilt, welchen Punkt es anzugreifen gilt. Uns selbst, mit all unserer revolutionären Spitzfindigkeit, gelingt das oft nicht.

Das ist es, was ich sagen möchte. Wir haben, wahrscheinlich, eine Minderheitenmentalität, und die Realität ist heute dabei, sich so zu verändern, dass sie diese Mentalität sich als unangemessen erweisen lassen kann. Vielleicht war sie einmal angemessen, als die Bedingungen der Struktur, die bekämpft werden musste, anders waren. Die anarchistischen Gefährten, die in den 30er Jahren nach Spanien gingen, um sich an der spanischen Revolution zu beteiligen, als sie dahin gingen, was fanden sie vor? Sie fanden eine von der republikanischen Armee organisierte Situation vor, und daher waren sie gezwungen, ihren Ideen Gewalt anzutun, denn sie anerkannten, dass man, im Grunde genommen, auch innerhalb von autoritären und militaristischen Strukturen etwas tun konnte, um das grössere Übel zu bekämpfen. Sie taten sich selbst Gewalt an, akzeptierten einen Kontext, dem sie unmöglich nicht fremd sein konnten, und oft wurden sie umgebracht, ohne sich überhaupt verteidigen zu können.

Was soll das alles heissen? Das heisst, dass wir uns in anderen Situationen befinden könnten, die nicht völlig unverständlich, aber schwierig zu verstehen sind, wie es jene von einem Bürgerkrieg sein könnten. Nun, sind wir in der Lage, diese Situationen zu verstehen? Und wie können wir diese Situationen verstehen, wenn die einzige Argumentation, die wir mit uns herum tragen, jene ist, dass uns der Aufstand passt und damit basta, ohne aber eine Analyse in die Argumentation einzubringen, die versucht, zu erklären, weshalb sich heute diese Möglichkeiten bewahrheiten, weshalb der Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien von vor ein paar Jahren anders gewesen ist als derjenige, der in Spanien in den 30er Jahren stattfand.

Sicher, der Bürgerkrieg ist eine besondere Bedingung, aber so besonders ist sie eigentlich nicht. Wir alle erleben den Bürgerkrieg, wir alle befinden uns in einer Bürgerkriegssituation. Einmal abgesehen von dieser Tatsache, die ein spezifisches Problem ist und die wir vielleicht später vertiefen können, indem wir uns entscheiden, von welcher Seite wir sie untersuchen wollen, ist das Wichtige die Situation, in der man sich befindet, sei es jene eines Bürgerkriegs oder jene des Überlebens in einer Bedingung von mehr oder weniger sichtbarer Klassenkonfliktualität.

Jemand kann sicher sagen: wieso stellen wir uns denn diese Probleme? Aber sie nicht zu stellen, bedeutet, in die Position der Minderheit zurückzukehren, welche, bewusst über die eigene intellektuelle und moralische Erhabenheit, keine Probleme hat. Weshalb sie, in der veränderten Situation, nicht weiss was tun, wie es andere Male geschehen ist, und sich schliesslich dem Karren jener anschliesst, die mehr wissen.

Aus dem, was aus den Diskussionen von gestern zu verstehen war, schien sich das Bedürfnis zu zeigen, das Verhältnis besser zu klären, das zwischen der Tatsache besteht, Dinge tun zu wollen, oder jedenfalls in die Realität intervenieren zu wollen, manchmal mit einer geradezu äussersten Dringlichkeit, einer Art von innerem Druck, zwischen der Tatsache, Dinge tun zu wollen, sagte ich, und der Tatsache, zu versuchen, auf dieses Tun-Wollen ein theoretisches Licht fallen zu lassen, welches das Tun selbst besser orientieren kann. Es hat sich also, aus den Interventionen von gestern, ein Bedürfnis, schliesslich ein Verlangen gezeigt, das Verhältnis besser zu bestimmen, das zwischen dem besteht, was man als “Theorie” definieren kann, und dem, was man als “Praxis” definieren kann, zwischen Theorie und Aktion, zwischen einer Art und Weise, die Realität zu verändern, in die Realität zu intervenieren, und der Art und Weise, darüber zu denken.

Dies ist ein theoretisches Problem, und es hat seine Wichtigkeit, aber es ist nicht getrennt vom praktischen Problem davon, wie wir uns organisieren, durch die unterschiedlichen Formen, auf Basis derer wir miteinander in Beziehung treten, uns zusammentun, und entscheiden, was wir tun wollen. Es besteht ein wichtiger Zusammenhang, den wir oft in Erwägung gezogen haben, bezüglich der Art und Weise, wie in jedem von uns der Wille, die Tatsache, zu entscheiden, eine Sache zu tun, funktioniert, und der Realität, die wir vor uns haben. Nur in Theorie ist der Wille Herr über die Welt. Wir können alles Beliebige wollen, und in unseren Träumen stellen wir uns oft vor, wie es uns gelingt, die ganze Welt umzuwälzen. Dann, sobald wir dieses Verlangen, diesen Traum des Willens einer vertiefteren Analyse, einer kritischen Analyse unterziehen, werden wir uns über die Tatsache bewusst, dass die Hindernisse, die sich zwischen unseren Willen und die Möglichkeit stellen, ihn zu realisieren, weniger an etwas gebunden sind, das vor uns liegt und das uns daran hindert, zu realisieren, was wir tun wollen, als vielmehr, sehr oft, an etwas gebunden sind, das in uns drinnen liegt, an eine schlechte oder unvollkommene Kenntnis darüber, was wir tun wollen.

Es besteht, mit Sicherheit, ein Zusammenhang zwischen Kenntnis und Wille, zwischen Erkenntnisfähigkeit und Willensfähigkeit. Was dieses Argument betrifft, das, meiner Meinung nach, einen der delikateren Punkte der Analyse des Willens darstellt, haben die Anarchisten sich manchmal nicht geringen Oberflächlichkeiten hingegeben.

Es ist nicht so einfach, in diesen Problemen Klarheit zu schaffen. Einerseits festzustellen, dass wir alles Beliebige wollen können, und daraus ableiten, dass wir, sowieso und in jedem Fall, imstande sind, den besseren Weg zu wählen, um das zu realisieren, was wirksamer ist, und andererseits zu bekräftigen, dass wir nur das wollen dürfen, was uns mehr am Herzen liegt, das, was unsere Verlangen besser erfasst. Wer ist dazu berufen, diese Unterscheidung zu treffen? Hier gibt es eine enorme Verwirrung.

Der Hauptgrund für diese Verwirrung ist zweifellos die Unterbewertung der theoretischen Vertiefung der Realität, die einige von uns machen. Viele von uns denken, dieses Element, also die “Theorie”, sei ein Ergänzungselement, das es uns mit der Zeit, mit dem Verlauf der Aktion, mit der Abwicklung unseres Tuns, irgendwie gelingen wird, zu verstehen, zu besitzen und zu verwalten. Wohingegen auch das Gegenteil der Fall sein kann, das heisst, der Fall eintreten kann, dass die Fähigkeit, zu handeln, den eigenen Willen zu verwalten, und folglich die Aktion zu realisieren, eben durch die Nicht-Klarheit der Kenntnis, durch die mangelnde Vertiefung der Kenntnis verdorben, verringert und gehemmt wird.

Der Unterschied zwischen Praxis und Theorie, zwischen Theorie und Aktion, wenn wir ihn unter diesem Gesichtspunkt betrachten, neigt also dazu, zu verschwinden. Die Ausübung des Willens, in der Fähigkeit, zu verändern, ist der Fähigkeit, zu verstehen, untergeordnet. Zwischen Handeln und Verstehen gibt es keinen Unterschied, denn die beiden Dinge durchdringen sich gegenseitig so stark, dass wir darin enden, innerhalb der Grenzen handeln zu können, in denen es uns gelingt, zu verstehen, und innerhalb der Grenzen verstehen zu können, in denen es uns gelingt, zu handeln. Es ist also logisch, dass derjenige, der sich in einem Elfenbeinturm einschliesst und versucht, die Realität zu verstehen, überhaupt nichts versteht, denn letztendlich gelingt es ihm nur das zu verstehen, was rund um seine Bibliothek liegt. Die Wichtigkeit der Aktion besteht nicht nur in Abhängigkeit von der Veränderung der Welt, sondern hauptsächlich für die Veränderung von uns selbst und unserer eigenen Fähigkeit, zu verstehen. Aber diese letztere Möglichkeit, zu verändern, ist dem untergeordnet, was es uns gelingt, zu verstehen, denn nur, wenn es uns gelingt, zu verstehen, können wir auch handeln, um die Welt zu verändern und damit fortzufahren, zu verstehen, um damit fortzufahren, zu handeln. Diese Verkettung zeigt auf, dass es zwischen Theorie und Praxis keinen Unterschied gibt. Jedes Mal, wenn jemand denkt: “nun gut, diese theoretische Analyse interessiert mich nicht”, sollte er seine Bekräftigung einem Minimum an kritischer Vertiefung unterziehen.

Wir sagten gestern: die Veränderungen, die in den letzten Jahren stattgefunden haben, sind nicht Angelegenheiten, die uns nichts angehen, Angelegenheiten, die eine Welt der Theorie betreffen, die von unseren Feinden oder, bestenfalls, von jemandem von uns verwaltet wird, der immerhin Hand anzulegen weiss, und an den wir die Aufgabe delegieren (noch dazu, manchmal, mit dringenden Anfragen, Terminen und knappen Zeiten, und Bedingungen von Klarheit und Leserlichkeit), etwas hervorzubringen, das als Instrument für unsere Aktion gebraucht werden kann. Nein, das funktioniert nicht, so kann es nie funktionieren, so hat es nie funktioniert.

Wenn wir jetzt einen logischen Sprung machen und über das Konzept von “Affinität” sprechen, müssen wir gleich sagen, dass die Affinität nicht die Sympathie ist, nicht die Freundschaft ist, nicht die Liebe ist, nicht das Gespür füreinander ist, wie es manchmal genannt wird, sie ist nicht die Tatsache, mit einer Person gut auszukommen, zusammen ins Kino, ins Bett, usw., gehen zu können, sie ist etwas anderes, etwas mehr. Aber was ist dieses Etwas mehr? Die Affinität, so wie ich sie verstehe, entsteht durch eine Vertiefung der Beziehung mit dem Anderen, eine Vertiefung, die eine bessere Kenntnis des Anderen bedeutet, und somit, auf der Grundlage des Konzepts, von dem wir vorhin sprachen, eine bessere Fähigkeit, die Realität zu verstehen. Es gelingt uns, eine Affinität mit dem Anderen festzustellen, auszumachen, in Abhängigkeit von unserer Fähigkeit, die Realität zu verstehen, die den Anderen und uns selbst umgibt. Wenn wir diese Fähigkeit, die uns umgebende Welt zu verstehen, das heisst, sie zu kennen, nicht haben, können wir den Anderen nicht verstehen. Der Andere ist nicht ein Atom, das von dieser Welt getrennt ist, die auch unsere Welt ist, und wenn es Differenzen in der Beziehung zwischen der Welt und dem Anderen, und der Welt und uns gibt, dann müssen diese Differenzen bekannt sein, damit man von Affinität sprechen kann.

Wenn wir von der Affinität als etwas sprechen, das auf den Interessen basiert, die mir und dem Anderen gemeinsam sind, was sind diese gemeinsamen Interessen? Sie sind das Ergebnis einer Antwort, die der Andere gegenüber einer gesamtheitlichen – und nicht nur ökonomischen – sozialen Bedingung geben will, die ihn unterdrückt. Diese Antwortfähigkeit von ihm gegenüber der Realität ist es, wovon es abhängt, dass der Andere für uns erkennbar ist. Nicht aufgrund der äusseren Aspekte: Mann, Frau, gross, klein, hübsch, hässlich, usw. All diese zusätzlichen Elemente können wichtig sein, aber sie sind nicht entscheidend. Ich, zum Beispiel, habe mich dabei gefunden, eine äusserst grosse Affinität mit Personen zu haben, mit denen ich nicht einmal daran gedacht hätte, gemeinsam ins Kino zu gehen, weil sie mich irritierten, aber es handelte sich um Personen, um Gefährten, in denen ich eine operative und theoretische Affinität mit mir erkannte, und mit ihnen war es, mit denen ich etwas tun wollte, auch wenn ich, ohne diese besonderen Affinitätsbedingungen, aufgrund von anderen Aspekten, nicht einmal in der Lage gewesen wäre, sie mit einem Finger zu berühren. Aber ist denn so etwas möglich? Es ist möglich, ich sehe es als etwas mögliches an. Oft fällt man in das Missverständnis, zu denken, dass die Affinität aus jenen Empfindungen, aus jener Liebenswürdigkeit, aus jener Hilfsbereitschaft, aus jener Art von Toleranz gewonnen werden kann, die oftmals der Effekt einer Maske, einer Haltung, eines ideologischen Vorurteils ist, gegenüber dem man, anstatt einen Verdacht zu haben, in die Falle der Akzeptanz läuft.

Also, um auf den Diskurs von vorhin zurückzukommen, das Hauptelement der Affinität ist die Kenntnis. Nun, Kenntnis heisst theoretische Vertiefung, heisst all das, was vorhin gesagt wurde: Fähigkeit, zu handeln, die Realität zu verändern, um zu verstehen, und zu verstehen, um die Realität zu verändern. Wenn ihr mich fragt, muss der Diskurs über das Individuum, der Diskurs über die Affinität, und von diesen bis hin zum Diskurs über den Aufstand, zum Diskurs über die organisatorischen Möglichkeiten, worüber wir, hoffe ich, nachher sprechen werden, all diese Diskurse müssen, oder besser, sollten von einem Minimum an Kenntnis bezüglich der Mechanismen ausgehen: der subjektiven, intersubjektiven, objektiven und interobjektiven Mechanismen. Das heisst, das Funktionieren des Individuums, das Funktionieren der Beziehungen mit den anderen Individuen, das Funktionieren der Realität.

Ich merke, aus einigen eurer Einwände, dass das, was ich gesagt habe, mehr Probleme aufgeworfen hat, als ich mit meinen Worten zu lösen beizutragen gedachte. Zum Beispiel das Problem der Kenntnis. Es hat hier jemand für angebracht gehalten, uns daran zu erinnern, dass es keine absolute Kenntnis gibt. Und das stimmt. Ohne die philosophischen Konzepte des Relativismus heranzuziehen, von denen man im Übrigen weiss, was sie wert sind, denke ich, dass diese Bekräftigung geteilt werden kann. Tatsächlich hatte ich keineswegs die Absicht, mich auf eine absolute Kenntnis zu beziehen. Als ich von Kenntnis sprach, meinte ich selbstverständlich eine Kenntnis in den Grenzen, in denen eine solche Unternehmung machbar ist. Das Absolute gehört uns nicht an. Wenn wir von Kenntnis sprechen, sprechen wir oft auch von Objektivität. Auch ich habe das vielleicht gesagt, wenn ich mich recht erinnere, aber noch während ich es sagte, habe ich mich selbst verängstigt. Tatsächlich ist das ein Begriff, der Angst macht, wegen dem Hintergrund von Absolutheit, den es ihm nicht gelingt, zu verbergen. Eine objektive Kenntnis, schön und ausserhalb von uns verwurzelt, liegt meiner Sichtweise der Dinge fern. Kenntnis, spezifischer betrachtet, im Falle des Konzepts von Affinität, ist all das, was sich in eine praktische Handlungsperspektive einfügt. Wir sind nicht dabei, darüber auf abstrakte Weise, im rein philosophischen Sinne zu sprechen, sondern in der Konkretheit der Tatsache, sich zusammenzutun, um einzuschätzen, was die möglichen aktiven Realisierungen zur Veränderung der Realität sind. Diese Art von Kenntnis ist zwangsläufig an einen Prozess von fortwährender Umwandlung, Abänderung und Modifizierung gebunden. Das schien mir implizit in dem Konzept, das ich, vielleicht nicht sehr klar, ausgedrückt habe.

Wobei die Meinungsverschiedenheit, die in Bezug auf das Konzept von Affinität besteht, keineswegs implizit ist. Zum Beispiel, wenn jemand sagt, dass es ihm noch nie passiert ist, auch nur irgendeine Aktivität mit einer Person für möglich zu halten, für die er nicht eine gewisse Sympathie hegt, dann hält er sich nicht bewusst, dass diese Sympathie eben aus der Kenntnis kommt, und sich eine Person, die auf den ersten Blick distanziert und kalt wirkt, schliesslich als gefühlsreich und somit sympathisch erweist.

Wir sind hier dabei, zu versuchen, einen Schritt voran zu machen, nicht in dem Sinne, die gegenseitige Empfindung von Sympathie abzuschaffen – wenn diese vorhanden ist, wird sie sicherlich ein Reichtum sein – oder die persönlichen Neigungen zu annullieren, die oft Frucht unserer intimeren Seinsweise sind. Stattdessen versuchen wir, zu sehen, ob es möglich ist, über dies hinaus, im Rahmen der Affinität, der für mich einen Ausgangspunkt bildet, eine andere Art von Affinität zu haben, die, wenn man so will, beschränkter ist, manchmal spezifischer darauf ausgerichtet, bestimmte Resultate zu erreichen.

Es handelt sich um eine Arbeitshypothese, die ich seit sehr vielen Jahren verfechte. Es ist keine sozusagen “reine”, anarchistische Weise, um die zu erreichenden Ziele oder die einzusetzenden Mittel zu identifizieren. Es ist nicht dies, worum es geht. Es geht nicht darum, sich mit dem Teufel zu einigen, um die eigenen Ziele zu erreichen. Ich stelle mir bloss eine Frage: gibt es nur eine mögliche Affinität? Oder gibt es andere Ebenen von Affinität, die beschränkter sind, die, unter dem Gesichtspunkt der Dinge, die zu tun sind, ebenfalls als interessant betrachtet werden können? Wir einigen uns, um eine Sache zu machen, aber ich muss mit demjenigen, mit dem ich diese Sache machen will, nicht mein Leben verbringen. Diese partiellen Ebenen von Affinität als inexistent zu betrachten, und stattdessen zu denken, dass man nur, wenn eine wunderschöne und totale Affinität vorhanden ist, rechtmässig in Begriffen von Affinität sprechen kann, ist einschränkend und trägt nicht dazu bei, unsere Handlungsmöglichkeiten zu erweitern, sondern verschliesst sie in den äusserst eingeschränkten Grenzen der Aussergewöhnlichkeit der Gefühle. In Wirklichkeit stehen wir oft vor unterschiedlichen Ordnungen von Affinität. Wenn wir nur die höchste Ebene akzeptieren, und nur diese als wirkliche Affinität betrachten, befinden wir uns vor einer Unmöglichkeit, den Übergang zwischen Affinität und informeller Organisation zu vollführen.

In anderen Worten, es kommt vor, dass ich eine schöne Beziehung mit den Gefährten von meiner Affinitätsgruppe haben mag, aber es mir nicht gelingt, das Problem zu lösen, mit anderen Gefährten und anderen Affinitätsgruppen, kurz, mit anderen Individuen, die nicht dieselbe Art von Affinität wie ich haben, in Kontakt zu treten. Ich mag extrem selektiv mit zwei, drei, vier, fünf Gefährten sein, aber gegenüber allen anderen, worauf kann ich, in den Tatsachen, diese Selektivität stützen, wenn nicht, indem ich mich hoffnungslos verschliesse? Worauf kann ich mich stützen, um eine breitere Aktion ins Leben zu rufen, gemeinsam mit anderen, die mit mir (und auch ich mit ihnen) keine besonders hohe Ebene von Affinität haben?

Irgendjemand könnte sagen: mich interessiert das nicht. Mich interessiert es bloss, dass mir die Beziehung mit zwei, drei, fünf Gefährten gut passt, die mir nahe stehen und gegenüber denen ich eine wichtigere und bedeutendere Affinität habe, eine Affinität, sozusagen, von Gespür, eine Affinität, die auf der gegenseitigen Sensibilität basiert, während mich diese andere Affinität nicht interessiert.

Versuchen wir zu verstehen, wovon der Übergang von der Affinitätsgruppe zur informellen Organisation charakterisiert wird. Etwa von der Existenz einer anderen Affinität? Etwa von einer Affinität, die wir hier als qualitativ minderwertiger bezeichnen können, im Vergleich zu einer intensiveren, also derjenigen der kleinen beschränkten Gruppe? Oder gibt es da ein anderes Element? Mir scheint es nicht möglich, den breiteren organisatorischen Schritt zu machen, indem man sich auf ein Element stützt, das qualitativ minderwertiger ist. Mich interessiert nicht der quantitative Aspekt, oder besser gesagt, mich interessiert nicht nur der quantitative Aspekt. Ich weiss, selbstverständlich, dass man nichts ausrichten kann, wenn man mit wenigen ist, aber es ist überhaupt nicht gewiss, dass es einem gelingt, es besser zu machen, wenn man mit vielen ist.

Welches ist also das Element, das diesen Übergang charakterisieren könnte, welcher das Individuum zu jenem Zusammenschluss veranlassen könnte, der für es, für das, was seine individuelle Souveränität ist, auch eine Aufopferung, oder zumindest eine Einschränkung darstellen könnte, jedoch entschädigt durch den Vorzug, intensivere Differenzen, breitere Handlungshorizonte zu haben? Welches ist dieses Element?

Meiner Meinung nach muss dieses Element im projektuellen Aspekt gesucht werden. Dank dem Projekt wird jene Affinität, die zuvor scheinbar minderwertiger, bescheidener, beschränkter schien, auf einer qualitativ anderen Ebene neu bewertet. Denn das Projekt ist, per Definition, ein Element, das in die Zukunft projiziert ist, in Richtung von etwas, das es noch nicht gibt, während die Affinität, in ihrer Einschätzung, in die Vergangenheit projiziert ist, in Richtung von etwas, das es, wenn auch beschränkt, bereits gibt.

Nun, wir müssen auf unsere Beziehungen, auf die Kenntnisse und auf den ganzen Rest schauen, was die Affinität betrifft, aber die Projektualität, dieser treibende Veränderungsdrang in Richtung der Zukunft, hat eine andere Qualität. Und es ist aus diesem Aspekt, woher uns der andere qualitative Beitrag zukommt, jener, der die bescheidenen Kapazitäten der Ausgangsaffinität erheben und verändern kann.

Aber wie funktioniert dieses Verhältnis? Mir scheint es nicht, dass man so etwas wie arithmetische Aspekte, ein Summenzeichen von Qualität zwischen der Affinität und dem Projekt wahrnehmen kann. Es gibt etwas zu tun? Man tut sich zusammen, man tut es. Das alles erfolgt auch in den klassischen Organisationen, in den Synthesenorganisationen, in den autoritären Strukturen. Die Partei, zum Beispiel, hat ihre Sitze, versammelt die Militanten, macht einen Kongress, trifft ihre Entscheidungen. Aber unser Problem ist nicht dies. Unser Problem ist, zur selben Zeit, einfacher und viel komplexer. Einfacher, weil es bürokratisch gesehen nicht existiert, komplexer, weil es die Vertiefung von bestimmten Thematiken erfordert, an die wir, da wir in jedem Fall Kinder der Quantität sind, nicht gewohnt sind.

So stellen wir uns das Projekt als ein Produkt der Quantität vor: bestimmte Resultate erlangen, dafür sorgen, dass die Leute gewisse Dinge tun. Dann, auf systematische Weise, wenn wir getas, was wir tun möchten, nicht das, was wir bereits getan haben, kommt uns eine Differenz zu, und es ist dieser Aspekt, den wir besser verstehen müssen. Es scheint uns, dass eine arithmetische Summe von Affinität, ab einem gewissen Punkt, eine grössere Affinität, eine Art Supergruppe hervorbringen würde. Das ist alles absurd. Die Summe von mehr Affinität bringt überhaupt nichts hervor, sie bringt Fremdheit hervor, wenn sie nicht zementiert wird von einem Projekt, also von etwas, das es noch nicht gibt, das noch kommen muss, also von einer radikalen Unbekannten, von einer substanziellen Differenz.

Die Affinitäten sind Elemente des Bekannten, und je besser sie bekannt sind, desto besser können sie eingeschätzt werden, das heisst, sie gehören zu dem, was wir sind. Nun, ich möchte nicht, dass mir nun irgendein skeptischer Philosoph präzisiert, dass wir nicht wissen, was wir sind. Doch, wenn wir dieses Problem einmal beiseit lassen, können wir sagen, dass sich die Affinität, wenn wir besser wissen, wer wir sind, und was wir tun wollen, ausdehnt und in den Dingen, die wir tun wollen, ihre eigentliche Realisierung findet.

Es ist klar, dass ich, wenn ich mich auf den blossen Diskurs der Affinität beschränken müsste und damit basta, die vollständigere Affinität wählen würde, jene, die bedeutsamer ist. Wieso sollte ich mich auch benachteiligen? Wieso sollte ich mit jemandem sprechen, mit dem ich nicht eine totale Affinität habe? Wahrscheinlich werde ich, auf dieser Ebene, in meinem ganzen Leben, recht wenige Personen finden, mit denen ich sprechen kann, und mit diesen Personen würde ich sehr gut auskommen. Hier sind wir aber dabei, zu versuchen, einen Schritt voran zu machen, in Abhängigkeit vom Projekt, das uns interessiert. Nicht, weil dies eine intelligente Art und Weise ist, um mich an den Karren der Zwecksorientierung binden zu wollen, ein Umwandeln meiner Aktion aus Suche nach der Schönheit des Lebens in Hingabe an die Wirtschaftlichkeit des Tuns. Es ist nicht das. Es ist klar, dass, wenn ich ein perfektes Leben leben will, es auch sein kann, dass ich nicht einmal zwei Personen finde, mit denen ich sprechen kann, vielleicht auch nur mich selber. Vielleicht, ich weiss es nicht, nicht einmal mich selber. Die Projektualität wandelt also das Konzept von Affinität um und erlaubt es, den Übergang zwischen Affinitätsgruppe, in ihrer anarchistischen Spezifität, und informeller Organisation besser zu sehen.

Ich sehe nicht, wie dieser Übergang – wie es getan worden ist, gewiss wider besseren Wissens – auf etwas zurückgeführt werden kann, dass ähnlich wie die Synthesenorganisation ist, wenn nicht sogar schlimmer, unter dem Gesichtspunkt der Kontrolle und des organisatorischen Autoritarismus. Das scheint mir alles ein überflüssiger Diskurs. Die Synthesenorganisation berücksichtigt die Differenzen nicht im Geringsten, sondern strebt im Gegenteil danach, sie zu synthetisieren, das heisst, sie in Abwesenheit von Differenzen zu verwandeln, sodass sie sich zum Vertreter von dem, was ausserhalb liegt, das heisst, von den nunmehr synthetisierten Differenzen erheben kann. Die unterschiedlichen Arbeitsgruppen, beispielsweise, einer Synthesenorganisation, dienen als Elemente zur Rezyklierung und Umwandlung der Differenzen der Aussenwelt. Was hat all das mit der informellen Organisation zu tun?

Insurrektionalistischer Anarchismus

Die These, die hier unterstützt wird, geht aus einem langen Parcours von Kämpfen und Überlegungen hervor, es ist eine mühselige und komplexe These, nicht nur schwierig darzulegen – was ein Versagen des Autors sein könnte – sondern auch, in wenigen klaren Grundbegriffen, ein für alle Male festzuhalten.

Hierin liegt der Widerspruch: dieses ganze Buch [Anarchismo insurrezionalista], das in verschiedenen Zeiten, in der Spanne von ungefähr fünfzehn Jahren entwickelt wurde, ist beeinflusst von der Dringlichkeit und der Leidenschaft des Moments, diese Einleitung, auf kalte Weise, nicht. Hier habe ich die anatomische Absicht, die meinem ganzen Selbst zuwider läuft, die fundamentalen Grundbegriffe des insurrektionalistischen Anarchismus darzulegen. Ist das möglich? Ich weiss es nicht. Ich werde es versuchen. Wenn die Lektüre dieser einleitenden Notizen das legitime Verlangen des Lesers nach frischer Luft gefährden sollte, so möge er sie mit einem Satz überspringen und links liegen lassen.

Der Aufstand von grossen Massen, oder von einem ganzen Volk, setzt, in einem bestimmten Moment, einige bereits vorhandene Elemente voraus, setzt zersetzte soziale und ökonomische Bedingungen, wenn nicht geradewegs eine Situation extremer Unfähigkeit vonseiten des Staates, die Ordnung und die Achtung der Gesetze aufrechtzuerhalten, voraus, aber er setzt auch Individuen und Gruppen von Individuen voraus, die fähig sind, diese Zersetzung über die äusserlichen Anzeichen hinaus, womit sie sich ausdrückt, zu erfassen. Das heisst, es ist erforderlich, von Mal zu Mal, fähig zu sein, über die oft zufälligen und sekundären Beweggründe hinaus zu sehen, die die ersten aufständischen Brennpunkte, die ersten Konfrontationen, die ersten Scharmützel begleiten, zu dem Zweck, den eigenen Beitrag an den Kampf zu liefern und ihn nicht, im Gegenteil, zu bremsen oder als simple und zusammenhangslose Unduldsamkeit gegenüber dem jeweiligen politischen Regiment unterzubewerten.

Aber wer sind die Individuen, die darauf vorbereitet sind, sich dieser Aufgabe zu stellen? Es könnten die Anarchisten sein, nicht wegen einer grundlegenden ideologischen Entscheidung, wegen ihrer deklarierten Verneinung von jeglicher Autorität, sondern vielmehr wegen der kritischen Fähigkeit, die sie besitzen müssten, Kampfmethoden und organisatorische Projekte einzuschätzen.

Ausserdem kann nur, wer rebelliert, wer schon rebelliert hat, und sei es auch im Mikrokosmos des eigenen Lebens, wer sich den Konsequenzen dieser Rebellion gestellt hat und sie bis aufs Äusserste erlebt hat, die sensiblen Nerven und die notwendigen Intuitionen haben, um die Zeichen der laufenden aufständischen Bewegung zu erfassen. Nicht alle Anarchisten sind Rebellen, und auch nicht alle Rebellen sind Anarchisten. Um die Dinge zu verkomplizieren, kommt die Tatsache hinzu, dass es nicht ausreicht, ein Rebell zu sein, um die Rebellion der anderen zu verstehen, es ist auch erforderlich, sich zum Verständnis, zur Vertiefung der ökonomischen und sozialen Bedingungen zu disponieren, die man vor sich hat, und sich nicht vom Hochwasser der eklatanten Manifestierungen der volkstümlichen Bewegung mitreissen zu lassen, selbst wenn diese letztere mit Wind in den Segeln loszieht und die ersten Erfolge die Flaggen der Illusion hissen lassen. Die Kritik ist immer das erste Instrument, der Punkt, wovon es auszugehen gilt, aber möge sie eine teilnehmende Kritik sein, eine Kritik, die das Herz miteinbezieht, die die Emotion der effektiven Konfrontation gegen die ewigen Feinde zum Pochen bringt, mit ihren aufgelösten Gesichtern zum ersten Mal im Staub, und nicht eine mürrische Abschätzung der Pros und Kontras.

Aber ein Rebell genügt nicht, und auch wenn sich hundert Rebellen zusammentun, würden sie nicht genügen, es wären hundert tobende Moleküle im zerstörerischen Wettstreit der ersten Stunden, wenn der Kampf wild auflodert und alles mit sich reissend um sich greift. Die Rebellen sind wichtige Figuren, als Beispiel und als Antrieb, aber letzten Endes unterliegen sie gegenüber den Anforderungen des Moments. Je mehr sie ihr Gewissen zum Angriff steuert, der oft blind ist, wie sehr er auch effizient und radikal ist, umso mehr werden sie sich selber einer unüberwindlichen Grenze bewusst, gelingt es ihnen nicht, eine organisatorische Mündung zu sehen, warten sie darauf, dass die Vorschläge von den revoltierenden Massen kommen, ein Wort hier, eines da, inmitten der Konfrontation selbst oder in den Momenten von Rast, wenn alle reden wollen, in Erwartung, den Kampf wieder aufzunehmen. Und sie halten sich nicht bewusst, dass es auch in diesen berauschenden Momenten stets die Politiker gibt, die auf der Lauer liegen. Die Massen, ausserdem, haben nicht die Tugenden, die wir oft geneigt sind, ihnen zuzugestehen. Die Versammlung ist sicherlich kein Ort, um das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, aber das eigene Leben wird aufs Spiel gesetzt von den Entscheidungen, die in der Versammlung getroffen werden. Und die Politikertiere, die in diesen kollektiven Momenten ihre Köpfe heben, haben stets klare Ideen darüber, was es vorzuschlagen gilt, haben in der Tasche ein schönes Programm der Rekuperation, der Rückkehr zur Normalität, des Aufrufs zur Ordnung bereit. Sicher, sie werden kein Wort sagen, das weniger als korrekt ist, politisch gesehen, meine ich, und folglich werden sie für Revolutionäre gehalten werden, aber es sind stets sie, die immerselben Politikertiere, welche das Fundament für den Wiederaufbau der künftigen Macht legen, diejenige, die den revolutionären Antrieb rekuperieren wird, ihn in Richtung von gemässigteren Vorschlägen ausrichtend. Lasst uns die Zerstörungen in Grenzen halten, Kameraden, ich bitte euch, schliesslich sind wir am zerstören, was uns gehört, usw.

Vor den anderen schiessen, und schneller als sie, das ist eine Tugend aus dem Wilden Westen, gut für einen Tag, danach muss man den Kopf zu gebrauchen wissen, und den Kopf zu gebrauchen, bedeutet, ein Projekt zu haben.

Und der Anarchist kann nicht bloss ein Rebell sein, er muss ein Rebell sein, der mit einem Projekt bewaffnet ist. Das heisst, er muss das Herz und den Mut mit der Kenntnis und der Bedachtheit der Aktion vereinen. Seine Entscheidungen werden daher stets vom Feuer der Zerstörung erhellt, aber vom Holz der kritischen Analyse genährt werden.

Nun, wenn wir einen Moment nachdenken, so gibt es kein Projekt, das aus dem Stegreif, wie man sagt, inmitten des Getümmels entstehen kann. Es wäre dumm, zu denken, dass alles vom aufständischen Volk auskommen muss, ein blinder Determinismus, der droht, uns geknebelt in die Hände des erstbesten Politikers zu übergeben, der, auf einen Stuhl gestiegen, einige organisatorische und programmatische Linien vorzuschlagen weiss, während er mit vier rhetorisch aneinandergereihten Worten Sand in die Augen streut. Wenn der Aufstand zu grossen Teilen ein revolutionärer Moment von grosser kollektiver Kreativität ist, ein Moment, der analytische Vorschläge von beachtlicher Intensität hervorbringen kann (denkt an die aufständischen Arbeiter der Pariser Kommune, die auf die Uhren schossen), so kann er nicht die einzige Quelle von theoretischer und projektueller Vertiefung sein. Die höchsten Momente des bewaffneten Volkes räumen, das schon, zuvorige Zögerungen und Unsicherheiten vom Tisch, führen deutlich vor Augen, was zuvor verschwommen war, aber sie können nichts erhellen, was nicht da ist. Diese Momente sind der mächtige Scheinwerfer, der ein revolutionäres und anarchistisches Projekt realisierbar macht, aber dieses Projekt, und sei es nur in seinen methodologischen Linien, muss schon vorher existieren, muss schon vorher, wenn auch nicht in allen Details, ausgearbeitet und, so weit wie möglich, erprobt worden sein.

Auf der anderen Seite, wenn wir in die Massenkämpfe, in Auseinandersetzungen für intermediäre Forderungen intervenieren, tun wir das dann etwa nicht praktisch ausschliesslich, um unser methodologisches Erbe vorzuschlagen? Dass die Arbeiter einer Fabrik Arbeit verlangen und versuchen, die Entlassungen zu verhindern, dass eine Gruppe von Obdachlosen versucht, sich eine Unterkunft geben zu lassen, dass die Gefangenen für ein besseres Leben in den Strafanstalten streiken, dass die Studenten gegen eine kulturlose Schule rebellieren, das alles interessiert uns bis zu einem gewissen Punkt. Wir wissen sehr gut, wenn wir uns als Anarchisten an diesen Kämpfen beteiligen, dass, egal wie sie ausgehen werden, die Entsprechung in quantitativen Begriffen, das heisst als Anwachsen unserer Bewegung, sehr relativ ist. Oft vergessen die Ausgeschlossenen auch, wer wir sind, und es gibt keinen Grund auf der Welt, um sich an uns zu erinnern, geschweige denn von einem Grund, der auf der Dankbarkeit beruht. Tatsächlich sind wir des Öfteren gefragt worden, was wir eigentlich dort machen, als Anarchisten und somit Revolutionäre, inmitten von diesen fordernden Kämpfen, wir, die gegen die Arbeit, gegen die Schule, gegen jegliches Zugeständnis vom Staat, gegen das Eigentum und sogar gegen jede Art von Verhandlung sind, die graziös ein besseres Leben in den Gefängnissen gewährt. Die Antwort ist simpel. Wir sind dort, weil wir Überbringer einer anderen Methode sind. Und unsere Methode nimmt Gestalt an in einem Projekt. Wir stehen den Ausgeschlossenen, in diesen intermediären Kämpfen, zur Seite, weil wir ein anderes Modell vorzuschlagen haben, jenes, das auf der Selbstorganisierung der Kämpfe, auf dem Angriff und auf der permanenten Konflikthaltung basiert. Dies ist unsere Stärke, und nur falls die Ausgeschlossenen diese Angriffsmethode akzeptieren, sind wir dazu bereit, gemeinsam mit ihnen zu kämpfen, sei es auch für ein Ziel, das an und für sich von fordernder Natur bleibt.

Eine Methode würde dennoch toter Buchstabe, eine Anhäufung von bedeutungslosen Worten bleiben, wenn es ihr nicht gelingt, sich in einem Projekt zu artikulieren, ein Projekt, das fähig ist, ausgehend von dem spezifischen Problem, vor dem die Ausgeschlossenen stehen, Substanz anzunehmen. Viele besorgte Kritiker des anarchistischen Insurrektionalismus wären wieder in ihren unterbrochenen Schlaf zurückgekehrt, falls sie diesem Aspekt Aufmerksamkeit geschenkt hätten. Was nützt es, uns vorzuwerfen, auf methodologischen Ansprüchen blockiert zu sein, die hundert Jahre alt sind, wenn man dem, was wir sagten, keine Aufmerksamkeit geschenkt hat? Der Insurrektionalismus, von dem wir sprechen, ist etwas anderes als die glorreichen Tage auf den Barrikaden, auch wenn er, in gewissen spezifischen Momenten, die angemesseneren Vorschläge für einen Kampf in der Hand haben kann, der sich auf eine Konfrontation auf den Barrikaden ausrichtet. Nur, dass er an und für sich, als revolutionäre Theorie und Analyse, als Methode, die in einem Projekt verkörpert wird, diesem apokalyptischen Moment nicht unbedingt Rechnung trägt, sondern sich ungeachtet von Fahnengeflatter und Gewehrgefunkel entwickelt und vertieft.

Viele Gefährten sind sich der Notwendigkeit des Angriffs vollkommen bewusst und bemühen sich so sehr sie können, ihn zu realisieren. Sie verspüren konfus die Schönheit der Konfrontation und der Auseinandersetzung gegen den Klassenfeind, aber wollen sich nicht einem Minimum an kritischer Reflexion unterziehen, wollen nichts von revolutionären Projekten hören, und beharren, auf diese Weise, darauf, den Enthusiasmus ihrer Rebellion zu verschwenden, der, sich in tausend Rinnsale ausrichtend, darin endet, in kleinen und losen Manifestierungen von Unduldsamkeit zu versiegen. Es gibt, selbstverständlich, keine einheitliche Typologie von diesen Gefährten, man kann sagen, dass jeder von ihnen ein separates Universum darstellt, aber das, was alle, oder praktisch alle gemeinsam haben, ist ein Überdruss für jeglichen Diskurs, der Klärungen von methodologischer Natur vorsieht. Die Unterscheidungen sind ihnen überdrüssig. Was hat es für einen Sinn, sagen sie mir, von Affinitätsgruppen, von informeller Organisation, von Basiskernen, von Koordinationen zu sprechen? Ist etwa nicht alles klar, der Missbrauch und die Ungerechtigkeit, die Ausbeutung und die Brutalität der Macht, sind sie nicht hier vor uns, gut sichtbar, werden sie nicht in Menschen und Dingen realisiert, die sich unter der Sonne ausbreiten, als gäbe es nichts, was sie stören könnte? Was bringt es, sich mit Diskussionen aufzuhalten, die bloss Zeitverschwendung sind? Wieso nicht sofort angreifen, hier und jetzt, ja, wieso uns nicht auf die erste Uniform stürzen, die in greifweite kommt? Im Grunde war selbst eine “besonnene” Person wie Malatesta in einem gewissen Sinne dieser Ansicht, als er sagte, dass er die individuelle Rebellion dem Attentismus vorzieht, der darauf wartet, um zu handeln, bis die Welt auf den Kopf gestellt wurde.

Ich persönlich habe da noch nie etwas dagegen gehabt, im Gegenteil. Die Rebellion ist der erste Schritt, die grundlegende Bedingung, damit die Brücken hinter unserem Rücken niedergebrannt werden, damit die Verbindungen, die uns, mit tausenden äusserst starken Fäden, an die Gesellschaft und an die Macht binden, wenn nicht durchtrennt, so zumindest geschwächt werden, die Verbindungen mit der Familie, mit der herrschenden Moral, mit der Arbeit, mit dem Gehorsam gegenüber den Gesetzen. Aber ich glaube, dass dieser Schritt nicht genügt. Ich glaube, dass wir weiter gehen müssen, dass wir über die Möglichkeiten nachdenken müssen, unserer Aktion eine grössere organisatorische Kraft zu geben, damit sich die Rebellion in projektuelle Intervention in Richtung des generalisierten Aufstands verwandelt, damit man vom individuellen Aufstand aus, als erster und notwendiger Schritt, weiter geht.

Dass vielen Gefährten dieser zweite Moment nicht liegt, ist eine äusserst offensichtliche Tatsache. Weshalb sie, von der Tatsache, sich selber jeglicher Anstrengung in diese Richtung fremd zu fühlen, zu einer Unterbewertung des Problems, oder schlimmer noch, zu einer Verachtung gegenüber allen anderen Gefährten übergehen, die dem organisatorischen Problem Aufmerksamkeit und Anstrengungen widmen.

Dieses Buch versucht, einige essenzielle Grundbegriffe zu liefern, damit der organisatorische Aspekt des insurrektionalistischen Anarchismus, auf vertiefte Weise, betrachtet werden möge. Insbesondere untersuche ich das Problem der Affinität, und somit der Affinitätsgruppen, der Informalität, und somit der informellen Organisation, sowie der Selbstorganisation der Kämpfe, und somit der Basiskerne und der Koordinationen zwischen diesen aus Anarchisten und Nicht-Anarchisten bestehenden Kernen mit den aus Anarchisten bestehenden Affinitätsgruppen durch die informelle Organisation.

Wie man sehen kann, hat das Argument ziemlich schwierige methodologische Charakteristiken. Es verlangt also die Zugänglichkeit von einigen Konzepten, die aufgrund ihrer gemeinläufigen Bedeutung oft entstellt sind, die mit der Bedeutung, die sie in einer insurrektionalistischen Organisationstheorie annehmen, nicht immer kohärent ist, und es erfordert vor allem ein bisschen kritische Aufmerksamkeit, das heisst, dass wir uns von den Vorurteilen befreien, die manchmal unsere Sicht begrenzen, ohne dass wir es merken.

Diese Einleitung, auf den nachfolgenden Seiten, wird schematischer sein, was diese Konzepte betrifft, der Text [des Buches] wird artikulierter, aber vielleicht schwieriger zu folgen sein, wenn man sich nicht zuerst diese Schlüsselkonzepte aneignet.

Eine anarchistische Gruppe kann auch zwischen völlig Unbekannten gebildet werden. Es ist mir oft geschehen, dass ich, in Italien und in anderen Ländern, den Sitz von anarchistischen Gruppen betrat, und praktisch niemanden kannte. Die blosse Präsenz an einem bestimmten Ort, die Haltung, die Art und Weise, zu sprechen und sich zu geben, die Diskussion, die persönlichen Deklarationen, die mehr oder weniger durchtränkt sind von den ideologischen Grundsatzentscheidungen des orthodoxesten Anarchismus, sorgen dafür, dass ein Anarchist sich, innerhalb von kurzer Zeit, zuhause fühlt und auf beste Weise und mit gegenseitiger Genugtuung mit den anwesenden Gefährten kommuniziert.

Es ist nicht meine Absicht, hier über die Art und Weise zu sprechen, wie eine anarchistische Gruppe organisiert werden kann. Es gibt viele Art und Weisen und jeder wählt sich seine Gefährten so aus, wie er es für am besten hält. Aber es gibt eine besondere Art und Weise, eine anarchistische Gruppe zu bilden, und das ist jene, die vor allem anderen, aber nicht ausschliesslich, das versteht sich von selbst, die wirkliche oder vermutete Affinität unter den Beteiligten berücksichtigt. Nun, diese Affinität ist ein Gut, das man in keiner Prinzipienerklärung, in keinem apriorischen Programm, in keiner Beteiligung an den spezifischen Kämpfen, in keinem Nachweis von “Militanz” finden kann, wie weit dieser auch zurückreichen mag. Die Affinität ist ein Gut, das man durch die gegenseitige Kenntnis erlangt. Dies ist der Grund, weshalb es Fälle gibt, in denen man vermutet, mit jemandem affin zu sein, um dann zu entdecken, dass man es gar nicht ist, und umgekehrt. Eine Affinitätsgruppe ist deshalb ein Schmelztiegel, worin die Affinitätsbeziehungen reifen und sich festigen.

Doch, da die Perfektion Angelegenheit der Engel und nicht der menschlichen Wesen ist, muss auch die Affinität mit Verstandesschärfe in Betracht genommen werden, und nicht stupide als das Allheilmittel für all unsere Schwächen akzeptiert werden. Ich kann nur entdecken, dass ich mit jemandem affin bin, wenn ich gegenüber diesem Jemand mich selber riskiere, das heisst, wenn ich mich enthülle, alle Verstellungen ablege, die mich normalerweise wie eine zweite Haut beschützen, die härter und unempfindlicher als die physische ist. Und diese Enthüllung darf nicht im Geschwätz stattfinden, indem ich von mir erzähle, in Erwartung, das Geschwätz des Anderen zu registrieren, sondern muss in den Dingen, die es gemeinsam zu tun gilt, in der Aktion stattfinden. Es gibt kleine Signale, die wir beim Handeln oft nicht kontrollieren, die viel bedeutsamer sind als die Worte, die wir beim Reden besser kontrollieren. Und es ist die Gesamtheit von diesem gegenseitigen Austausch, woraus sich die Bedingungen entwickeln, die zur gegenseitigen Kenntnis notwendig sind.

Wenn die gesamte Aktivität der Gruppe nicht auf das Tun um des Tuns willen ausgerichtet ist, auf das Ziel, quantitativ anzuwachsen, auf das Ziel, hundert zu werden, während man gestern bloss zu zehnt war, wenn dieses numerische Kalkül im Hintergrund bleibt, während das wesentliche Ziel jenes qualitative wird und bleibt, die anderen Gefährten zu fühlen, sie vereint und an der eigenen Spannung zur Aktion, dem eigenen Verlangen, die Welt zu verändern, beteiligt zu spüren, wenn dies geschieht, dann haben wir eine Affinitätsgruppe vor uns. Anderenfalls ist die Suche nach Affinität, ein weiteres Mal, die Suche nach einer Schulter, woran man sich anlehnen kann, um die Tränen zu vergiessen, deren Dringlichkeit wir alle verspüren.

Die Bildung von einer Affinitätsgruppe ist also nicht etwas, das ausschliesslich an theoretische Diskussionen gebunden ist, sondern ergiesst sich hauptsächlich in der praktischen Aktivität der Gruppe, in den Entscheidungen, die sie trifft, um in die Realität, in die sozialen Kämpfe zu intervenieren, denn diese Entscheidungen und diese Kämpfe sind es, wodurch jeder einzelne Beteiligte die Kenntnis mit allen anderen Gefährten vertiefen kann, und in das, in diesen vielseitigen und komplexen Prozess, auch die theoretische Vertiefung einbringen kann.

Wenn die Affinität also einerseits gegenseitige Kenntnis ist, so ist sie andererseits Kenntnis in der Aktion, in der Praxis, in der Realisierung der eigenen Ideen. Der Blick zurück, den ich meinen Gefährten erlaube, damit sie sehen, wer ich bin, wird somit in dem Blick nach vorne wieder aufgesogen, den alle zusammen, ich und sie, in die Zukunft werfen, wenn wir zusammen ein Projekt aufbauen, also entscheiden, in die Realität der Kämpfe zu intervenieren, und versuchen, zu erbeverstehen, wie und in welche Richtung wir intervenieren können. Diese beiden Momente, derjenige nach hinten, der in dem Moment der, sagen wir, individuellen Kenntnis besteht, und derjenige nach vorne, der projektuelle Moment, der in der, sagen wir, Gruppenkenntnis besteht, schweissen sich zusammen und bilden die Affinität der Gruppe selbst, während sie es gestatten, dass diese letztere in jeglicher Hinsicht als eine “Affinitätsgruppe” betrachtet werden kann.

Die Bedingung, die man auf diese Weise erhält, ist kein ein für alle Male festgelegtes Gut. Sie bewegt sich, entwickelt sich, bildet sich zurück, verändert sich im Verlauf der Kämpfe und erhält, innerhalb der Kämpfe, Nahrung, um sich theoretisch und praktisch zu verändern. Es gibt keine untrennbare Einheit, keine Entscheidung von Oben, keinen Glauben, worauf man schwören kann, keine Zehn Gebote, worauf man sich in den Momenten von Zweifel und Angst verlassen kann. Alles muss im Innern der Gruppe und im Verlauf der Kämpfe diskutiert werden, alles muss von Grund auf neu betrachtet werden, auch wenn es scheint, dass es unerschütterliche Punkte gibt, die auf ewig garantiert sind.

Die Ausarbeitung von einem Interventionsprojekt bleibt gemeinsames Erbe der Affinitätsgruppe, da eben dieses der geeignetste Ort für das Studium und die Vertiefung der Bedingungen ist, worin man sich entscheidet zu wirken. So hat die Affinitätsgruppe, scheinbar, verglichen mit der Gruppe, die einer Synthesenorganisation angehört, eine reduziertere Auffassung der eigenen Interventionsmöglichkeiten. Aber die Breite der Interessen einer anarchistischen Synthesenstruktur ist nur scheinbar. Denn im Bereich der Synthesenorganisation erhält die Gruppe im Kongressmoment eine Zuweisung, und auch wenn sie frei bleibt, sich für alle Probleme zu interessieren, die eine in Klassen geteilte Gesellschaft charakterisieren, so wirkt sie, im Wesentlichen, innerhalb der Zuweisung der Kongressbestimmung. Zudem, da sie an die programmatischen Prinzipien gebunden ist, die ein für alle Mal akzeptiert wurden, liegt es ihr fern, sich anders entscheiden zu können, und da sie es nicht tun kann, tut sie es auch nicht, und da sie es nicht tut, endet sie darin, sich an die starren Grenzen anzupassen, die von der Organisation per Kongress festgelegt wurden, und die aus notwendiger und unvermeidlicher Bedingung vor allem vorsehen, die Organisation selbst zu schützen, das heisst, die Macht so wenig wie möglich zu “stören”, um es zu vermeiden, “verbannt” zu werden. All diese Grenzen werden von der Affinitätsgruppe vermieden, einige mühelos, andere einzig mit dem Mut der Entscheidungen der Gefährten, die ihr angehören. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass auch dieser Typ von Struktur nicht den Gefährten Mut geben kann, die ihn nicht selber besitzen, nicht Angriffsentscheide suggerieren kann, wenn nicht in jedem von ihnen der Geist des Rebellen vorhanden ist, und nicht agieren kann, wenn alle sich entscheiden, bloss an das nachmittägliche Geschwätz zu denken.

Wurden die Probleme der Realität vertieft, die unerlässlichen Dokumente gefunden und die Analysen formuliert, entscheidet sich die Affinitätsgruppe, die Initiative zu ergreifen. Dies ist eine der fundamentalen Charakteristiken von diesem Typ von anarchistischer Struktur. Sie wartet nicht auf das Eintreffen der Probleme, wie eine Spinne inmitten ihres Netzes, sie macht sich auf, sie zu suchen, drängt sie auf eine Lösung zu, welche, einmal in Aussicht gestellt, natürlich von der Ausgeschlossenenrealität akzeptiert werden muss, die direkt den negativen Konsequenzen des Problems unterzogen wird. Aber um einen projektuellen Vorschlag an einen sozialen Kontext machen zu können, der einen besonderen Angriff der Macht, einen spezifischen eingegrenzten Angriff erleidet, der in einer oder mehreren repressiven Quellen und in einem bestimmten Territorium ausmachbar ist, muss man physisch, auf diesem Territorium, inmitten der Ausgeschlossenen präsent sein und eine vertiefte Kenntnis der Probleme haben, welche die laufende repressive Tatsache charakterisieren.

Die Affinitätsgruppe endet also darin, sich stets nach einer lokalisierten Intervention auszurichten, um gemeinsam mit den Leuten einem spezifischen Problem entgegenzutreten, während sie all jene Bedingungen – phsychologische und praktische, individuelle und kollektive, von theoretischer Vertiefung und Verfügbarkeit von Mitteln – kreiert, damit dieses Problem mit den methodischen Charakteristiken angegangen wird, die jene des Insurrektionalismus sind: Selbstorganisation, permanente Konflikthaltung, Angriff.

Eine einzelne Affinitätsgruppe hat nicht immer die praktische und theoretische Kapazität, um eine derartige Intervention zu erreichen. Der Grad des Problems, die Komplexität der Intervention, der Umfang des Territoriums, die Abstufung der einzusetzenden Mittel beim Verbreiten des projektuellen Modells, das in Zusammenwirkung mit den Ideen und den Bedürfnissen der ansässigen Leute vorgeschlagen wird, machen häufig, zumindest gemäss dem, was die (wenigen und oft widersprüchlichen) Erfahrungen gezeigt haben, den Zusammenschluss von breiteren Kräften nötig. Hier zeigt sich also die Notwendigkeit, konstante Verbindungen mit anderen Affinitätsgruppen aufrechtzuerhalten, zu dem Zweck, eine breitere Intervention vorzusehen, um die Anzahl der Gefährten, die Verfügbarkeit der Mittel und die Klarheit der Ideen an die Komplexität und die Dimension des Problems anzupassen, das es anzugehen gilt.

So entsteht die informelle Organisation.

Mehrere anarchistische Affinitätsgruppen schliessen sich zusammen und rufen eine informelle Organisation ins Leben, deren Zweck das Problem ist, das die Intervention von einer einzelnen Affinitätsgruppe unzureichend machte. Natürlich müssen alle an der informellen Organisation beteiligten Gruppen die Intervention in ihren groben Zügen teilen, um sich dann sowohl an den praktischen Aktionen wie an den theoretischen Ausarbeitungen zu beteiligen.

In Praxis passiert es oft, dass Affinitätsgruppen informelle Beziehungen untereinander haben, welche auf Dauer darin enden, konstant zu werden, das heisst, sich in periodischen Versammlungen zu verfestigen, die vorbereitend für spezifische Kämpfe oder – besser noch – Treffen sind, die eigens im Verlauf von einigen Kämpfen gehalten werden. Dies erleichtert die Zirkulation der Informationen bezüglich der einzelnen laufenden Interventionen, der sich in Ausarbeitung befindlichen Projekte, der aus irgendeinem Teil der Welt der Ausgeschlossenen kommenden Anregungen.

Die “Funktionsweise” einer informellen Organisation ist sehr simpel. Es gibt keine Namen, die sie kennzeichnen, da es keine Ziele von quantitativem Wachstum gibt. Es gibt keine fixen Strukturen (abgesehen von den einzelnen Affinitätsgruppen, von welchen jede vollkommen autonom ihre Arbeit macht), der Begriff “informell” würde ansonsten keinen Sinn mehr haben. Es gibt keine “konstitutiven” Momente, es gibt keine Kongresse, sondern schlicht periodische Versammlungen (die bevorzugt im Verlauf der Kämpfe selbst zu realisieren sind), es gibt keine Programme, sondern nur das gemeinsame der aufständischen Kämpfe und der Methodologie, die sie auszeichnet: die Selbstorganisation, die permanente Konflikthaltung, der Angriff.

Im Positiven ist das Ziel der informellen Organisation jenes, das ihr von den einzelnen Affinitätsgruppen übertragen wurde, die sie bilden. In der Regel, in den wenigen Erfahrungen, die gemacht wurden, handelt es sich um ein spezifisches Problem, zum Beispiel die Zerstörung der Raketenstützpunkt von Comiso in den Jahren 1982-1983, aber es könnte sich auch um eine Reihe von Interventionen handeln, wozu sich die informelle Organisation so aufgliedert, dass sie den einzelnen Gruppen in den verschiedenen Situationen eine Interventionsmöglichkeit liefert, indem sie sich beispielsweise in den Engagements abwechseln, wenn es darum geht, an einem bestimmten Ort auf lange Zeit präsent zu sein (in Comiso blieben die präsenten Gruppen für gute zwei Jahre vor Ort). Ein anderes Ziel könnte darin bestehen, Mittel – analytische und praktische, von Recherche aber auch von finanzieller Unterstützung – zur Verfügung zu stellen, welche die einzelne Gruppe nicht besitzen könnte.

Noch immer im Positiven besteht die primäre Funktion der informellen Organisation darin, die Kenntnis der verschiedenen Affinitätsgruppen und der Gefährten zu gestatten, die sie zusammensetzen. Es handelt sich, wenn man gut darüber nachdenkt, um einen anderen Grad von Suche nach Affinität. Dieses Mal, in den Grenzen, die von dem zu erreichenden Ziel gewährt werden, geschieht die Suche nach Affinität, die vonseiten des Projektes intensiviert wird, aber die Vertiefung der einzelnen individuellen Kenntnis nicht ausschliesst, auf der Ebene von mehreren Gruppen. Daraus ergibt sich, dass auch die informelle Organisation eine Affinitätsstruktur ist, da sie im Grunde auf der Gesamtheit der Affinitätsgruppen beruht, die sie zusammensetzen.

Diese Betrachtungen, die wir nun seit fast fünfzehn Jahren auf mehr oder weniger artikulierte Weise machen, hätten allen interessierten Gefährten die Natur der informellen Organisation beizeiten verständlich machen sollen. Es scheint nicht, dass dem so ist. Das ernsthafteste der Missverständnisse leitet sich, meiner Ansicht nach, aus dem – in einigen von uns latenten – Verlangen ab, die Muskeln zu zeigen, sich eine starke organisatorische Struktur zu geben, weil es kein anderes Mittel gäbe, um eine Macht zu bekämpfen, die ihrerseits muskulös und stark ist. Die erste Charakteristik einer starken Struktur, gemäss diesen Gefährten, müsste (auf mehr oder weniger klar Weise) spezifisch und robust, zeitlich stabil und gut sichtbar sein, zu dem Zweck, quasi ein Leuchtturm im Nebel der Kämpfe der Ausgeschlossenen darzustellen, ein Leuchtturm, eine Führung, ein Referenzpunkt. O Weh uns! Wir sind nicht dieser Ansicht. Die gesamte ökonomische und soziale Analyse des postindustriellen Kapitalismus gibt zu verstehen, wie die Macht aus einer solchen Struktur, stark und mit blossem Auge sichtbar, einen einzigen Happen machen würde. Das Verschwinden von einer Klassenzentralität (oder zumindest von dem, was in der Vergangenheit für eine Zentralität gehalten wurde) macht einen Angriff, der von starren, gut sichtbaren und deutlich gegliederten Strukturen geführt wird, impraktikabel. Für den Fall, dass diese Strukturen nicht auf den ersten Schlag zerstört werden, würden sie sicherlich mit Aufgaben zur Rekuperation und Rezyklierung der unnachgiebigsten Elemente in den Bereich der Macht kooptiert. Aber was diesen Punkt betrifft, verweisen wir auf die Lektüre der hier [in dem Buch Anarchismo insurrezionalista] präsentierten Texte, die gewiss viel überzeugender sind.

Solange die Affinitätsgruppe in ihrem Innern verschlossen bleibt, als Gesamtheit von Gefährten, die sich Regeln geben und sie respektieren, und mit Verschlossen-Bleiben meine ich hier nicht nur die Tatsache, seinen Sitz nicht zu verlassen, während man sich auf die üblichen Diskussionen unter Eingeweihten beschränkt, sondern auch die Tatsache, mit opportunen Deklarationen und Dokumenten auf die verschiedenen von der Macht vorgeschlagenen repressiven Termine zu antworten, solange die Dinge auf dieser Ebene bleiben, unterscheidet sich die Affinitätsstruktur von jeder beliebigen anderen anarchistischen Gruppe nur in den äusserlichen Aspekten, in den Worten, in den “politischen” Entscheidungen, in der Art und Weise, die verschiedenen Antworten auszulegen, die es auf die Anmassungen der Macht zu geben gilt, unser Leben und das Leben aller Ausgeschlossenen zu regulieren.

Der tiefe Sinn, das wesentliche Ziel der Tatsache, dass sie eine “andere” Struktur ist, das heisst, auf organisatorischen Entscheidungen beruht, die sich von allen anderen anarchistischen Gruppen unterscheiden, nämlich eben auf der Affinität, wird erst im Aufbau von einem spezifischen Kampfprojekt wirksam. Und das Element, welches dieses Projekt charakterisiert, jenseits der Worte oder der Beweggründe, die es analytisch mehr oder weniger vertieft und praktisch mehr oder weniger wirkungsvoll machen, wird von der Präsenz der Ausgeschlossenen, also der Leute, kurzum der – zahlenmässig mehr oder weniger konsistenten – Massen gegeben, die den repressiven Auswirkungen vonseiten der Macht unterzogen werden, gegen die sich dieses Projekt richtet, indem es auf die insurrektionalistische Methode zurückgreift.

Die Beteiligung der Massen ist also das grundlegende Element des aufständischen Projekts und, da dieses letztere von der Bedingung von Affinität der einzelnen anarchistischen Gruppen ausgeht, die sich daran beteiligen, ist sie auch grundlegendes Element dieser Affinität selbst, welche eine ärmliche Elitekameraderie bleiben würde, falls sie auf die gegenseitige Suche nach einer vertiefteren persönlichen Kenntnis unter Gefährten beschränkt bleibt.

Es wäre jedoch ein Widersinn, zu denken, die Leute zu Anarchisten werden zu lassen, indem man vorschlägt, in unsere Gruppen einzutreten, zu dem Zweck, den Kampf auf anarchistische Weise anzugehen. Das wäre nicht nur ein Widersinn, sondern eine schreckliche ideologische Verzerrung, und es würde die ganze Bedeutung der Affinitätsgruppen und der eventuellen informellen Organisation über den Haufen werfen, welche entstanden sind, um dem repressiven Angriff gegenüberzutreten, dem in einem gewissen Moment, in einem bestimmten Gebiet, ein mehr oder weniger konsistenter Teil der Ausgeschlossenen vonseiten der Macht unterzogen wird.

Da jedoch organisatorische Strukturen kreiert werden müssen, die fähig sind, die Ausgeschlossenen zu gruppieren, um mit den Angriffen gegen die Repression zu beginnen, zeigt sich die Notwendigkeit, die autonomen Basiskerne ins Leben zu rufen, die selbstverständlich jeden beliebigen anderen Namen annehmen können, der auf das Konzept von Selbstorganisation verweist.

Hiermit sind wir also beim zentralen Punkt des aufständischen Projektes angelangt: die Bildung der autonomen Basiskerne (der Bequemlichkeits halber akzeptieren wir hier diesen Begriff).

Ihre wesentliche Charakteristik, unmittelbar sichtbar und verständlich, besteht darin, dass ihnen Anarchisten und Nicht-Anarchisten angehören.

Aber die Punkte, die schwieriger zu verstehen sind, und die sich bei den äusserst wenigen Gelegenheiten von praktischen Experimentierungen als Quell von nicht wenigen Missverständnissen erwiesen haben, sind andere. Zuallererst die Tatsache, dass sie Strukturen von quantitativem Typ sind. Wenn sie Strukturen von diesem Typ sind, und in der Tat sind sie das, muss klargestellt werden, dass sie eine besondere Charakteristik haben. Sie sind regelrechte Referenzpunkte, nicht fixe Orte, wo die Leute gezählt werden und wo es somit erforderlich ist, all jene Prozeduren in Gang zu setzen, die das aggregative Fortbestehen auf Dauer möglich machen (Ausstellen von Mitgliederkarten, Überweisung eines Beteiligungsbeitrags, Bereitstellung von Diensten, usw.). Da die Basiskerne einzig den Kampf zum Ziel haben, funktionieren sie wie eine regelrechte Lunge in ihrer Atmungsfunktion, sie schwellen in dem Moment an, wo der Kampf intensiver wird, und schrumpfen zusammen, wenn der Kampf nachlässt, um in dem Moment der nächsten Konfrontation wieder anzuschwellen. An den toten Punkten, zwischen einem Engagement und dem anderen – und unter Engagement wird hier jeglicher Kampfmoment verstanden, auch das Verteilen eines schlichten Flugblatts, die Beteiligung an einer Kundgebung, aber auch die Besetzung von einem Gebäude oder die Sabotage von einem Instrument der Macht – bleibt der Kern als zonale Referenz, als Zeichen einer informellen organisatorischen Präsenz bestehen.

Zu denken, dass ein stabiles quantitatives Wachstum der autonomen Basiskerne möglich ist, bedeutet, sie in para-gewerkschaftliche Organismen, also in so etwas ähnliches wie die COBAS [Basisgewerkschaften in Italien] zu verwandeln, die die Rechte der Arbeiter der verschiedenen Produktionssektoren verteidigen, während sie sich einen breiten Fächer von defensiven und fordernden Interventionen zu Gunsten ihrer Repräsentierten vornehmen, was zur Folge hat, dass, je höher die Anzahl der Delegationen ist, desto stärker die Stimme des Organismus ist, der die Forderung stellt. Der autonome Basiskern hat nichts von all dem. Er schlägt nicht einen fordernden Kampf mit der Methode der Gesuche und der Delegation vor, er schlägt nicht einen Protest in Bezug auf generische Ziele vor, die von der Verteidigung des Arbeitsplatzes, der Erhöhung des Lohnes, bis zum Gesundheitsschutz in den Fabriken, usw. reichen kann. Der Basiskern entsteht und stirbt mit seinem einzigen Ziel, das in dem Moment bestimmt wurde, als man den Kampf begann, ein Ziel, dass an und für sich auch von fordernder Natur sein kann, aber nicht mit der repräsentativen Methode der Delegation gesucht wird, sondern mit der direkten Methode des unmittelbaren Kampfes, des permanenten und unvorangekündigten Angriffs, der Zurückweisung von jeglicher politischen Kraft, die beansprucht, irgendwen oder irgendwas zu repräsentieren.

Die Mitglieder der Basiskerne können sich also nicht auf legitime Weise eine mehrseitige Unterstützung erwarten, die ein breites Band von ihren Bedürfnissen abdeckt, sie müssen verstehen, dass es sich nicht um eine paragewerkschatliche Unterstützung handelt, sondern um ein Kampfinstrument gegen ein bestimmtes Ziel, und das, als Instrument, nur gültig bleibt, wenn es die anfängliche Entscheidung unverändert beibehält, nur von den aufständischen Kampfmethoden, wovon wir sprachen, Gebrauch zu machen. Die Beteiligung an den Kernen ist also völlig spontan, da sie nicht durch was auch immer für Vorteile angeregt, oder angeraten werden kann, die nicht jene spezifischen und ausschliesslichen von einer grösseren Kraft und Organisation im Erreichen des Angriffsziels sind, das man sich, alle zusammen, gesetzt hat. Es ist also mehr denn logisch, sich zu erwarten, dass diese Organismen nie eine hohe, und geschweige denn eine stabile quantitative Zusammensetzung erreichen werden. Wenn man sich auf den Kampf vorbereitet, sind diejenigen, die das zu erreichende Ziel sehen, die es teilen und, zudem, bereit sind, sich selber zu riskieren, stets wenige. Wenn der Kampf beginnt, und man die ersten Resultate erhält, kommt auch in den Zögernden und den Schwachen Lust auf, sich zu beteiligen, und so sieht man, wie der Kern anschwillt, um dann das Verschwinden dieser Beteiligten der letzten Stunde zu sehen, eine an sich völlig physiologische Tatsache, die nicht negativ beeindrucken, oder ein negatives Urteil über dieses spezifische Instrument von Massenorganisation bestärken darf.

Ein anderer Punkt von unklarem Verständnis ist die begrenzte Lebensdauer des autonomen Basiskerns, begrenzt auf die Erreichung (oder auf die gemeinsame Einigung über die Unmöglichkeit einer Erreichung) des Ziels, das man sich setzte. Viele fragen sich: wenn die Kerne “auch” als Gruppierungspunkte funktionieren, weshalb sie nicht für einen anderen möglichen zukünftigen Gebrauch am Leben lassen, der anders als der stattfindende ist? Die Antwort ist ein weiteres Mal an das Konzept von “Informalität” gebunden. Jede Struktur, die zeitlich über das Ziel hinaus fortbesteht, das sie entstehen sah, wenn sie zu ihrer wesentlichen Existenzbedingung dieses Ziel und nicht eine generische breitgefächerte Verteidigung von denjenigen hatte, die sich daran beteiligen, versteift früher oder später in einer stabilen Struktur, die das anfängliche Ziel in das neue, und scheinbar legitime, eines quantitativen Wachstums, einer Stärkung umkehrt, um besser eine Vielfältigkeit von Zielen zu erreichen, die alle gleichsam interessant sind, und die nicht ausbleiben werden, sich am nebelhaften Horizont der Ausgeschlossenen zu präsentieren. Parallel zur Verwurzelung der informellen Struktur in einer neuen, stabilen Form, werden sich die passenden Individuen finden, die diese Struktur verwalten, stets dieselben, diejenigen, die fähiger sind, diejenigen, die mehr Zeit zur Verfügung haben, kurzum, der Kreis wird sich früher oder später um eine Struktur schliessen, die angeblich anarchistisch und auch revolutionär ist, welche somit jedoch ihr eigentliches Ziel enthüllt hat: das eigene Überleben. Auch die verdünnteste Form von Macht, wie es eben diejenige ist, die wir in der „Stabilität“ von einer organisatorischen Struktur sich bilden sehen, und sei sie auch anarchistisch und revolutionär, wird sehr stark anziehen, natürlich alles Gefährten in gutem Glauben, alle danach verlangend, für das Wohl des Volkes zu sorgen, und von diesem Schritt, usw. usf.

Ein letztes organisatorisches Element, das hin und wieder unerlässlich werden kann, ist die „Koordination der Basiskerne“. Diese Struktur wird, während sie dieselben Charakteristiken von Informalität hat, von einigen Repräsentanten der Basiskerne gebildet, und meist ist es unerlässlich, dass sie mit Mitteln ausgestattet wird, die dem zu erreichenden Ziel angemessen sind. Wenn die einzelnen Kerne, angesichts ihrer „lungenhaften“ Funktion, auch hinsichtlich der Abwesenheit eines Sitzes, eines Ortes, wo man sich versammelt, eine Informalität haben können, da der Kern sich darauf einigen kann, direkt auf dem Platz zusammenzukommen, so kann das für die Koordination nicht geschehen, die ein offiziell geöffnetes Lokal benötigt, das, im Falle von einem Kampf, der sich zeitlich hinzieht, monatelang oder jahrelang, obschon eingegrenzt von der Spezifizität des Problems, das das Projekt erzeugt hat, zu dem Ort wird, an dem die verschiedenen Aktivitäten der Basiskerne koordiniert werden.

Die Präsenz der Affinitätsgruppen ist in der Koordination nicht direkt sichtbar, und dasselbe kann darüber gesagt werden, was die informelle Organisation betrifft. Natürlich sind alle anarchistischen Gefährten, die in dem Kampf engagiert sind, in den verschiedenen Basiskernen präsent, aber meist ist dies sicherlich nicht der beste Ort für die anarchistische Propaganda, verstanden im klassischen Sinne. Das, was innerhalb der Koordination, und der einzelnen Kerne, getan werden muss, vor allem anderen, ist eine analytische Klärung des grundlegenden Problems, des Ziels, das man erreichen will, dann eine Vertiefung der im Kampf einzusetzenden aufständischen Mittel. Die Aufgabe der Gefährten konkretisiert sich in der Beteiligung am Projekt und in der Vertiefung, gemeinsam mit allen Interessierten, von den zu gebrauchenden Mittel, von den einzusetzenden Methoden. Auch wenn die Sache in der vorliegenden Schematisierung einfach scheint, erweist sich in der Praxis als sehr kompliziert.

Die Funktion der „Koordination der autonomen Basiskerne“ besteht also in der Verbindung der Kämpfe. Hier wird einzig ein Problem vorgeschlagen (sehr schwer verdaulich für die Anarchisten, aber sehr simpel für jemanden, der kein Anarchist ist): die Notwendigkeit im Falle von einem Massenangriff gegen Strukturen der Macht, vor dem Angriff selbst die einzelnen Aufgaben zu verteilen, das heisst, sich, in den minimalen Details, darüber zu einigen, was getan werden muss. Viele stellen sich diese Kampfgelegenheiten als ein Fest der Spontaneität vor: das Ziel ist hier, vor aller Augen, es genügt, hinzugehen, die Kräfte, die es beschützen, aus dem Weg zu fegen, und es zu zerstören. Ich stelle hier die Sache in diese Begriffe, auch wenn ich weiss, dass viele darin hundert verschiedene Nuancierungen sehen werden, aber die Substanz ändert sich nicht. In diesen Fällen haben entweder alle Beteiligten, auf präzise Weise, im Kopf, was zu tun ist, da es sich um einen Kampf handelt, der sich wohl oder übel auf einem Territorium abspielt und einen bewaffneten Widerstand gegenüber haben wird, den es zu überwinden gilt, oder aber, wenn nur einige wissen, was zu tun ist, und der Rest nicht, wird die Verwirrung, die dabei herauskommt, dieselbe sein, wenn nicht schlimmer, als in dem Falle, wo niemand weiss, was zu tun ist.

Es braucht also einen Plan. Es hat Fälle gegeben, in denen es einen bewaffneten militärischen Plan brauchte, auch nur um ein Flugblatt zu verteilen (zum Beispiel im Verlauf des Aufstands von Reggio Calabria [1970-1971]). Aber dieser Plan, kann er wirklich allen zur Verfügung gestellt werden, und sei es auch einige Tage vor dem Angriff? Ich denke nicht. Es gibt Vorsichtsgründe, die sagen nein. In anderer Hinsicht müssen die Details des Angriffsplans allen Beteiligten zur Verfügung gestellt werden. Daraus ist zu entnehmen, dass sich nicht alle beteiligen können, sondern nur diejenigen, die sich auf irgendeine Weise als bekannt erweisen, sei es aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den autonomen Basiskernen, oder aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den Affinitätsgruppen, die sich durch die informelle Organisation darin fanden, Teil der Koordination zu sein. Dies, um jene Infiltrationen zu vermeiden, die in diesen Fällen mehr als wahrscheinlich sind. Die nicht bekannten Personen müssten von anderen abgesichert werden, die bekannt sind. Diese Tatsache kann unangenehm sein, aber sie ist nicht vermeidbar.

Das Problem verkompliziert sich, wenn das laufende Projekt, und sei es auch nur in seinen groben Linien, vielen Gefährten bekannt ist, welche daran interessiert sein können, sich an einer von diesen Angriffsaktionen zu beteiligen, worüber wir es haben. In diesem Fall könnte der Zustrom beträchtlich sein (im Falle von Comiso, während der Tage des Besetzungsversuches, erreichte man eine Anwesenheit von zirka dreihundert Gefährten, die aus ganz Italien und auch aus dem Ausland kamen), und die Notwendigkeit, die Anwesenheit von Infiltranten zu vermeiden, könnte viel schwerwiegender sein. Die Gefährten, die in dem letzten Moment ankamen, könnten sich somit als Aussenstehende der stattfindenden Organisation der Aktion vorfinden und es nicht schaffen, zu verstehen, was am passieren ist. Genauso enden all diejenigen darin, sich faktisch als Aussenstehende vorzufinden, die beschliessen, die obengenannte Überprüfung nicht zu akzeptieren.

Und jetzt zwei abschliessende Fragen:

Wieso halten wir die aufständische Methodologie und das aufständische Projekt für Mittel, die der revolutionären Konfrontation heute angemessener sind?

Was erwarten wir uns, kann sich aus dem Einsatz von aufständischen Mitteln in einer Situation ergeben, die nicht jene eines stattfindenden Aufstands ist?

Was die erste Frage betrifft, so gibt die Analyse der sozialen und ökonomischen Formation [ausführlich behandelt in dem Buch, wozu dieser Text die Einleitung war] heute zu verstehen, wie diese Mittel die geeigneteren sind, da sie jeden Kampf, der ausgehend von Synthesenstrukturen geführt wird, die, im Kleinen wie im Grossen, alle Fehler der parteilichen Formen der Vergangenheit reproduzieren, entweder unmöglich, oder nur der Restrukturierung der Herrschaft nützlich macht.

Auf die zweite Frage kann geantwortet werden, indem gesagt wird, dass man nicht weiss, was die apriorischen Bedingungen sind, welche die Entwicklung eines Aufstands ermöglichen. Jede Gelegenheit könnte die gute sein, selbst wenn es sich um ein kleines, scheinbar vernachlässigbares Experiment handelt. Aber da ist mehr, ein Projekt von aufständischem Kampf zu entwickeln, es ausgehend von einem spezifischen Problem zu entwickeln, das als repressive Tatsache und als Beeinträchtigung von beträchtlichen Massen von Ausgeschlossenen dabei ist, tiefgreifend zu wirken, ist nicht ein schlichtes „Experiment“, es ist laufender Aufstand, ohne damit etwas aufbauschen zu wollen, was klein beginnt und quasi sicherlich darin endet, klein zu bleiben. Das, was zählt, ist die Methode, und die Anarchisten haben, in diese Richtung, noch einen weiten Weg zu begehen, ansonsten würden sie nicht unvorbereitet vor den Verabredungen mit den vielen Aufständen eines ganzen Volkes dastehen, die sich ereignet haben und die sich weiterhin ereignen werden.

Im Grunde ist dieses Buch ein Beitrag zum grossen Problem des „Was tun?“

Wer hat Angst vor der Revolution?

Dass die Revolution, wenn sie einmal realisiert wird, zumindest in ihrer Anfangs- und Ausbruchsphase, die Gelegenheit für ein um sich greifendes, jede auf der Ausbeutung errichtete Ordnung zerstörendes Phänomen darstellt, ist unbestrittene Sache und kein Anarchist, so scheint mir, hat dagegen jemals etwas einzuwenden gefunden. Dass jene, die Angst haben vor diesem zerstörerischen Moment, in dem unglaubliche Kräfte in der Masse der Unterdrückten aufsteigen, diejenigen sind, die aus der Unterdrückung Nutzen ziehen, ist ebenfalls unbestritten, da diese letzteren diejenigen sind, die vom Getobe der heilenden Gewalt hinfortgerissen werden. Und doch, wenn wir einige abrupte Reaktionen genauer betrachten, die hier und dort in den Diskursen mancher Gefährten durchsickern, hören wir bei vielen eine gewisse Angst, oder, um weniger drastisch zu sein, ein gewisses Unsicherheits- und Panikgefühl heraus.

Jedenfalls, ohne die Anarchisten in zwei Lager teilen zu wollen: in jene, die am Syndrom der realisierten Revolution leiden, und jene, die davon befreit sind, so behaupten wir, dass wir alle, manche mehr und manche weniger, tatsächlich Angst vor der Revolution haben, als mögliches Ereignis, das morgen, auf plötzliche Weise eintreten kann, und das uns, in seinem Ausbrechen, unvorbereitet und verdutzt vorfinden könnte.

Und die Funktion der anarchistischen Minderheit?

Viele Gefährten sind sehr argwöhnisch, was die Aufgaben und die Möglichkeiten einer anarchistischen Minderheit gegenüber der sozialen Konfrontation betrifft. Grosso modo leitet sich dieser Argwohn aus einem Missverständnis des Konzeptes selbst von Minderheit ab. Diese Gefährten stellen sich die anarchistische revolutionäre Aktion wie einen “Samen unter dem Schnee” vor, ein langsames Absetzen von Konzepten, von Verhaltensweisen, von pädagogischen Handlungen, von edlen Beispielen, von klärenden Analysen; woraus sich dann, später, angesichts der gleichzeitigen Entwicklung der sozialen, ökonomischen, politischen,… Verhältnisse, die ideale Bedingung der Revolution ergibt. Nun: diese Art und Weise, die Dinge zu betrachten, scheint mir falsch.

Die anarchistische Minderheit muss auf alle Art und Weisen handeln, um jene Bedingungen zu realisieren, die zur Revolution führen. Sie muss “auf alle Art und Weisen” handeln, das heisst, indem sie sich nicht nur auf die analytische Klärung der sozialen, ökonomischen, politischen,… Probleme beschränkt, sondern die Unterdrücker jeden Schlags auch angreift und, womöglich, wenn auch in partiellen Zielen, besiegt.

Auf der aufständischen Ebene, also auf der Ebene der Wahl von sektoriellen Zielen, die es sich herauszunehmen und zu besiegen gilt, auch bei einer momentanen Trägheit der grossen Mehrheit der Ausgebeuteten, ist die anarchistische Minderheit handelnd, daher muss sie sich, eben weil sie eine solche ist, jene minimalen unentbehrlichen – organisatorischen und operativen – Instrumente verschaffen, die es erlauben, diese sektoriellen Ziele im Konkreten zu realisieren, um es zu vermeiden, dass sie reines spontaneistisches Wunschtraumdenken bleiben. Wenn dieses Missverständnis aus dem Weg geräumt ist, da es keinen Grund gibt, weshalb es nicht aus dem Weg geräumt werden sollte, scheint mir das Problem des „Wer hat Angst vor der Revolution?“ einer Lösung bereits näher gebracht; schliesslich ist es nicht denkbar, dass jemand, der seit langem an der Realisierung von partiellen und limitierten Angriffen gearbeitet hat, sich angesichts der Generalisierung seines winzigen operativen Modells von einer plötzlichen Panik mitreissen lässt.

Aber es bleiben andere Einwände. Im Grunde, nach so vielen Jahrhunderten Unterdrückung und so vielen Jahrzehnten spezifischer Angriffe gegen unsere Bewegung, die von den amtierenden Unterdrückern sehr oft als bevorzugter Bezugspunkt ins Visier genommen wurde, haben wir Anarchisten uns fast schon in die Niederlage “verliebt”. Ich bin nicht sicher, aber es scheint mir, dass in vielen von uns der Geist des Märtyriums jenen des Siegers überwiegt. Der Schein des Heiligen, der sich, isoliert und wunderschön, für die unwissenden, unbewussten und undankbaren Volksmassen aufopfert, strahlt zu sehr vor Licht, um gegenüber den konkreten und keineswegs sympathischen Problemen von denjenigen nicht bevorzugt zu werden, die vor einem siegreichen Aufstand stehen und mit den millenaristischen Hoffnungen der Leute abrechnen müssen. Geschweige denn von der kolossalen Schwierigkeit der Probleme von denjenigen, die vor einer siegreichen Revolution stehen. Das sind Probleme von organisatorischer, ökonomischer und militärischer Natur, die einen, quasi, die wunderbare isolierte Aufopferung von demjenigen bevorzugen lassen, der sich rächend über die Masse erhebt. Und doch, falls wir nicht tatsächlich in den Seiten der historischen Folklore verschwinden wollen, müssen wir die Ikonografie durchbrechen, die uns als Verlierer hinstellen will, aber sie auch in unseren Herzen, und nicht nur in unseren Gedankengängen durchbrechen. Ansonsten wird alles, was wir tun werden, auch die aufständischen Aktionen, woran wir uns beteiligen werden, nicht mit der schwarzen Fahne der gerechten Forderungen der Ausgebeuteten gekennzeichnet sein, sondern mit der weissen Fahne der Niederlage und der Kapitulation im Voraus. Und unsere Aufopferung, wenn sie das intime Bedürfnis wird erfüllen können, uns für ein Ideal aufzuopfern, wird gewiss nicht auf die Gutheissung der Unterdrückten und der Ausgebeuteten stossen, die nur allzu viele Aufopferungen schon erbracht haben, und die jene nicht besonders mögen, die darauf beharren, sich aufzuopfern, selbst wenn der Sieg in greifweite ist.

Schluss also mit den Diskursen, die behaupten, dass die Kraft von einer revolutionären Aktion anhand der Anzahl der Toten und der gefangenen Gefährten berechnet wird. Meiner Ansicht nach, bis zum Beweis des Gegenteils, wird sie anhand der Anzahl der Toten des Feindes, anhand der Quantität an zerstörten Unterdrückungsinstrumenten und anhand der Anzahl von konkreten Möglichkeiten berechnet, die in der Perspektive realisiert worden sind, die einzelnen isolierten Aktionen zu ihrer natürlichen revolutionären Mündung zu führen. Jede andere Einschätzung ist nicht nur verliererhaft, sondern ist das unbestreitbare Zeichen eines Überrests von Verliebtheit in den Tod.

Und weiter. Der Narzissmus der Perfektion zieht viele von uns an. Unser Modell duldet keine Diskussionen, wir sind jene der Reinheit und der vergoldeten Isolation. Innerhalb vom Elfenbeinturm unserer Ideen lassen wir keine Diskussionen zu – geschweige denn von einer vorübergehenden Abstimmung von Aktionen und Taten – während wir jegliches Zugeständnis an die Realität der Klassenkonfrontation ablehnen. Auf diese Weise sähen wir, bestenfalls, wie isolierte Propheten einer besseren Welt aus, die die Verlangen der Unterdrückten zusammenfasst, während in Wirklichkeit wir selbst die hauptsächlichen Einbalsamierer unseres Ideals sind. Aus dem Empyreum der idealen Konstruktionen in die Realität der Konfrontation hinabsteigend, sind wir gezwungen, unseren Narzissmus abzulegen, aber deshalb laufen wir nicht Gefahr – wie einige befürchten – unser Kampfmotto abzulegen, das “Alles und Jetzt” sein muss. Hier verbirgt sich eine anscheinende Schwierigkeit. Manche Gefährten denken, dass die Tatsache, konkrete Probleme anzugehen: organisatorische, militärische, ökonomische, strukturelle,… Probleme, unsere Bemühung von der sozialen Ebene auf die politische Ebene sinken lässt und uns daran hindert, unser Programm des “Alles und Jetzt” vorzuschlagen, da wir uns auf die Programme der als Revolutionäre getarnten “Reformiste” herablassen würden. Das ist alles falsch. Der Kampf um präzise Ziele muss, wenn er nicht wunschtraumhaft und rein ideologisch sein will, stets um partielle Ziele geführt werden, indem wir unsere Mittel (jene der revolutionären Minderheit) an die Ziele (jene der grossen Mehrheit der Ausgebeuteten) anpassen. Doch in seiner Partialität enthält unser Kampf das Zeichen der revolutionären Totalität, da er sich nicht als nur auf die Erreichung des partiellen Ziels ausgerichtet präsentiert (so sehr dieses Ziel auch das ist, was ihn real und realisierbar macht), sondern darüber hinaus geht, weiteren partiellen Zielen entgegen; denn aus der fortwährenden Realisierung der partiellen Ziele entsteht die realisatorische Zeichnung der revolutionären Totalität des “Alles und Jetzt”.

In dieser Perspektive werden die partiellen revolutionären Projekte logisch und akzeptierbar, die die organisatorischen Formen untersuchen und kritisieren, die von der Minderheit realisiert werden können, indem die möglichen Beziehungen zu den Strukturen festgelegt werden, innerhalb von welchen die grosse Masse der Ausgebeuteten ihre konsensuelle Anpassung an den Kapitalismus fortsetzt. Nun, wenn diese Beziehungen zu den Strukturen der Macht von offener und totaler Konfrontation sein müssen, so dürfen sie deshalb nicht innerhalb eines leeren ideologischen Verbalismus eingeschlossen werden. Es genügt nicht, zu sagen, dass wir gegen den Staat sind, weil ins Grössere sowieso auch das Kleinere gehört. Wir müssen sagen, dass wir, indem wir gegen den Staat sind, auch gegen alle Formen sind, worin sich der Staat realisiert; folglich sind wir gegen die Regierung, das Gerichtswesen, die Polizei, die Bosse, die Gewerkschaften, usw. Und es genügt nicht, all dies zu sagen, wir müssen das Erforderliche tun, damit sich dieses “Dagegen-Sein” von uns in präzisen Angriffen verwirklicht, nicht nur gegenüber dem “Staat” im Allgemeinen, da sich auch hier das Missverständnis eines Versandens unserer Aktion verbergen könnte (man weiss ja doch nicht recht, wo man diesen Staat finden soll, besonders wenn man wenig Lust hat, ihn zu finden); sondern gegen alle sozialen Formen, die den Staat realisieren.

Uns zur Bescheidenheit erziehend, verzichten wir deshalb nicht auf unsere revolutionäre Berufung, und stellen wir auch unser anarchistisches Ideal nicht in Frage. Uns als Teil des breiteren revolutionären Flusses verstehend, den die Gesellschaft aus ihren leidenden Eingeweiden hervorbringt, tun wir uns deshalb nicht mit anderen Auffassungen und anderen Handlungsweisen zusammen, die wir nicht teilen und denen wir, morgen und auch sofort, bereit sein werden, bewaffnet die Stirn zu bieten. Vom Podest unseres ideologischen Maximalismus herabsteigend, akzeptieren wir nicht Kompromisse, sondern bekräftigen wir bloss, dass der revolutionäre Kampf, wenn er nicht eine vergebliche Debatte aus Geschwätz, ein verbrecherisches Streitgespräch auf Kosten des Blutes der Ausgebeuteten sein will, die laufende Klassenkonfrontation konkret einschätzen und sich in sie einfügen muss, anstatt in Erwartung eines Zeichens (das niemals kommen wird) von einer ideologischen Einheit der grossen Mehrheit der Ausgebeuteten herumzustehen.

Abhängig von derartigen Entscheidungen wird unsere Aktion also umschriebener und präziser. Wir haben weniger Diskussionen und mehr konkrete Tatsachen nötig. Die grossen Analysen über das Wieso des Lebens und über den Wert der Anarchie nützen uns wenig, wo dringend Analysen über die Instrumente, worüber wir verfügen, über die Kräfte der Reaktion, über die Konditionierung der Ausgebeuteten zum Konsens, über die realen Bedürfnisse dieser letzteren, über die aufzubauenden Organismen, um den heikleren Moment der Konfrontation anzugehen und zu überwinden, über den Übergang von der aufständischen zur effektiven revolutionären Phase nötig sind.

Aber all diese konkreten Analysen würden noch immer tote Buchstaben, einmal mehr in Konkretheit gekleidetes Geschwätz bleiben, wenn jeder von uns, im Innersten von sich selbst, nicht aufhört, Angst vor der Revolution zu haben, indem er sich darauf vorbereitet, auf persönlicher Ebene und auf kollektiver Ebene, zu tun, was möglich ist, um sie zu realisieren.

Nur dann nimmt es einen neuen und unmissverständlichen Sinn an, von Sieg zu sprechen, während sich alle Gefühle der Aufopferung und des Märtyriums in Stille davonmachen, bis sie gänzlich verschwinden.

Die Arbeit des Revolutionärs

Die unterschiedlichen Aspekte der revolutionären Intervention zu erfassen, ist keine einfache Sache. Sie alle gemeinsam zu erfassen, eingefügt in einen Gesamtvorschlag, der eine eigene innere Logik und eine wirksame operative Artikulation hat, ist noch viel schwieriger. Das ist es, was ich unter der Arbeit des Revolutionärs verstehe.

Über die Ermittlung des Feindes sind wir uns (meist) zur Genüge einig. In der Vagheit der Definition verorten wir die Grundlagen, die uns aus unseren Erfahrungen (Leiden und Freuden), aus unserer sozialen Situation und aus unserer Kultur zukommen. Ein jeder glaubt, Grundlagen zu besitzen, die tauglich sind, um eine Karte des feindlichen Territoriums zu entwerfen und um Ziele und Verantwortungen zu identifizieren.

Dass die Dinge schliesslich nicht so liegen, ist ebenfalls eine normale Tatsache. Aber darum kümmern wir uns nicht. Wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, stellen wir die angebrachten Veränderungen bereit und gehen wir voran.

Finster die Vorgehensweise, finster die Dinge, die uns umgeben, wir erhellen uns einzig und allein mit der kümmerlichen Kerze der Ideologie und sicher wie unter der Führung eines Leuchtfeuers gehen wir voran.

Die tragische Tatsache ist, dass die Dinge, die uns umgeben, sich verändern, und zwar oft schnell. Die Terme des Klassenverhältnisses, die sich in der widersprüchlichen Situation fortwährend erweitern und verringern, enthüllen sich heute, um sich morgen wieder zu verbergen. So stürzen die Gewissheiten von gestern ins Dunkel von heute.

Wer einen konstanten, wenn auch nicht unbeweglichen Richtpol beibehält, wird nicht für das gehalten, was er tatsächlich ist, nämlich ein ehrlicher Befahrer des Meeres der Klassenperplexitäten, sondern wird für einen störrischen Wiederholer von überholten Schemen und abstrakten ideologischen Metaphern gehalten. Wer darauf beharrt, den Feind hinter der Uniform, hinter der Fabrik, hinter dem Ministerium, hinter der Schule, hinter der Kirche usw. zu sehen, wird süffisant angeschaut. Anstelle der Dinge, in ihrer harschen Realität, will man das abstrakte Verhältnis, die Seinsweise, das Relative der Positionen setzen. Der Staat endet, auf diese Weise, darin, eine Sichtweise der Dinge zu werden, und nicht eine materielle Tatsache, die aus Menschen und Dingen besteht. Unter dem Strich ist es so, dass die Ideen des Staates nicht bekämpft werden können, ohne die Menschen und die Dinge des Staates anzugreifen. Sie isoliert bekämpfen zu wollen, in der Hoffnung, dass sich die materielle Realität, die ihnen zugrunde liegt, infolge ihres Versinkens im kritischen Abgrund der logischen Widersprüche verändert, ist eine tragische idealistische Illusion. Und es ist das, was in Zeiten wie diesen, eines Zurückweichens der Kämpfe und der operativen Vorschläge, geschieht.

Kein Anarchist, um nicht an Selbstrespekt zu ermangeln, würde die positive Funktion des Staates bekennen. Daher der logische Rückschluss, dass diese Funktion, wenn sie nicht positiv ist, negativ sein muss, das heisst, sie muss jemanden zum Vorteil von jemand anderem schädigen. Aber der Staat ist nicht (nur) die Staatsidee, er ist auch die „Sache Staat“, und diese „Sache“ besteht aus dem Polizisten und dem Polizeipräsidium, dem Minister und dem Ministerium (auch aus dem Palast, wo das Ministerium seinen Sitz hat), dem Priester und der Kirche (auch aus dem Ort, wo sich der Kult des Betrugs und der Lüge abspielt), dem Bankier und der Bank, dem Spekulanten und seinem Büro, und immer weiter hinab bis zum einzelnen Spitzel und seiner mehr oder weniger komfortablen Stadtrandwohnung. Der Staat ist diese aufgegliederte Sache, oder er ist nichts: eine leere Abstraktion, ein theoretisches Modell, das unmöglich anzugreifen und zu besiegen ist.

Sicher, der Staat ist auch in uns drinnen, und in den Anderen drinnen. Daher ist er auch eine Idee. Aber in seinem Idee-Sein ist er den physischen Orten und den physischen Körpern untergeordnet, die ihn realisieren. Ein Angriff auf die Idee des Staates (auch auf jene, die wir in uns drinnen beherbergen, oft ohne es zu merken), ist nur in dem Augenblick möglich, wo wir dabei sind, seine historische Materialisierung, also sein Dasein hier vor uns in Fleisch und Knochen und in Ziegelsteinen und Beton physisch und in zerstörerischem Sinne anzugreifen.

Aber wie angreifen? Die Dinge sind hart. Die Menschen verteidigen sich und wappnen sich. Auch die Wahl der Angriffsmittel ist Opfer eines Missverständnisses, ähnlich dem vorhergehenden.

Wir können (ja wir müssen) mit den Ideen angreifen, indem wir Kritik gegen Kritik, Logik gegen Logik, Analyse gegen Analyse stellen. Aber das wäre eine nutzlose Studienarbeit, wenn es auf isolierte Weise geschähe, getrennt von einer Intervention, die auf die Dinge und die Menschen des Staates (und des Kapitals, wohlverstanden) abzielt. Daher, in Korrelation zu dem, was vorhin gesagt wurde, nicht nur Angriff mit den Ideen, sondern auch Angriff mit den Waffen. Ich sehe keinen anderen Ausweg. Sich auf einen ideologischen Wettstreit zu begrenzen, trägt dazu bei, dem Feind Informationen zu liefern. Daher theoretische Vertiefung parallel und gleichzeitig zum praktischen Angriff.

Mehr noch. Es ist eben im Angriff, wo die Theorie sich in Praxis umwandelt und die Praxis ihre theoretischen Grundlagen erwirbt. Indem man sich auf die Theorie beschränkt, bleibt man im Bereich des Idealismus, eine typische bürgerliche Philosophie, die seit hunderten von Jahren die Tresore der herrschenden Klasse und auch die Lager der rechten und linken Exterminierer versorgt hat. Es ist egal, ob sich dieser Idealismus gelegentlich als (historischer) Materialismus getarnt hat, es handelte sich stets um denselben alten, Menschen verschlingenden Idealismus. Ein libertärer Materialismus muss zwangsweise die Trennung zwischen Idee und Tat überwinden. Wenn der Feind ermittelt wird, muss er angegriffen werden, und zwar auf angemessene Weise angegriffen werden. Nicht so sehr angemessen an die optimalen Evaluierungen seiner Zerstörung, Evaluierungen, die von dem Angreifenden gemacht werden; als vielmehr an die generelle Situation, die einen nicht vernachlässigbaren Teil der Verteidigungen und der Möglichkeiten zum Überleben und zur Gefährlichkeitssteigerung des Feindes konstituiert. Wenn er angegriffen wird, so muss das getan werden, indem ein Teil von seiner Struktur zerstört, und somit das Funktionieren der Gesamtheit schwieriger gemacht wird. Dies alles läuft, auf isolierte Weise, Gefahr, von geringer Bedeutung zu bleiben. Das heisst, es gelingt ihm nicht, sich in etwas Reales zu konvertieren. Um diese Umwandlung zu haben, ist es erforderlich, dass der Angriff von einer kritischen Vertiefung der Ideen des Feindes begleitet wird, jener Ideen, die Teil von seiner repressiven und unterdrückerischen Aktion sind.

Aber diese gegenseitige Konvertierung der praktischen Aktion in die theoretische Aktion und von der Theorie in die Praxis, kann nicht als etwas erfolgen, das künstlich übereinander gestellt wird. Im Sinne, um ein Beispiel zu machen, von demjenigen, der, nachdem er eine Aktion vollführt hat, sein braves Bekennerschreiben drauf stempelt. Auf diese Weise werden die Ideen des Feindes nicht kritisiert, und auch nicht vertieft. Sie kristallisieren innerhalb des ideologischen Prozesses und präsentieren sich als den Ideen des Angreifenden massiv gegenübergestellt, die auch ihrerseits in etwas massiv Ideologisches verwandelt werden. Ich glaube, dass mir wenige Dinge so verhasst sind, wie diese Vorgehensweise.

Gibt es anderes, das getan werden kann?

Der Ort der Konversion der Theorie in die Praxis, und umgekehrt, ist der Ort des Projekts. Es ist das Projekt, in seiner artikulierten Gesamtheit, das die praktische Aktion und die Kritik der Ideen des Feindes auf andere Weise bedeutend macht.

Daraus folgt, dass die Arbeit des Revolutionärs, im Wesentlichen, in der Ausarbeitung und der Realisierung eines Projekts besteht.

Doch, bevor man versteht, was denn ein revolutionäres Projekt sein kann, ist es erforderlich, sich darüber zu einigen, was die Sachen sind, die der Revolutionär besitzen muss, um an der Ausarbeitung seines Projekts zu arbeiten.

Als erste Sache der Mut. Nicht derjenige, banale, der physischen Konfrontation, oder des Ansturms auf den feindlichen Schützengraben, sondern der schwierigere der eigenen Ideen. Wenn er auf eine bestimmte Weise denkt, wenn er eine bestimmte Einschätzung der Dinge und der Menschen, der Welt und ihrer Angelegenheiten hat, so muss er den Mut haben, bis auf den Grund zu gehen, ohne Kompromisse, ohne halbe Massnahmen, ohne Pietismen, ohne Illusionen. In der Hälfte stehen zu bleiben, ist verbrecherisch oder, falls man es bevorzugt, vollkommen „normal“. Er muss weiter gehen, über die Normalität hinaus, aber auch über die Exzeptionalität hinaus, die die aristokratische Weise ist, die Andersheit zu betrachten. Über das Gute hinaus, aber auch über das Böse hinaus, würde jemand sagen.

Er kann nicht darauf warten, dass Andere tun, was getan werden muss. Er kann nicht an die Anderen delegieren, was sein Gewissen ihm zu tun diktiert. Er kann nicht in Frieden akzeptieren, dass, an anderen Orten, andere Menschen wie er, wie er bebend und verlangend danach, diejenigen zu zerstören, die uns unterdrücken, jene Dinge tun, die er selber tun könnte, wenn er es nur wollen würde, wenn er nur die Trägheit und die Verwirrungen, das Geschwätz und die Missverständnisse verlassen würde. Er muss also arbeiten, und zwar hart arbeiten. Arbeiten, um sich mit den erforderlichen Mitteln zu versorgen, damit er seinen Überzeugungen ein taugliches Fundament geben kann.

Und hier verortet sich die zweite Sache: die Konstanz. Die Kraft, weiterzumachen, zu beharren, zu insistieren, auch wenn die anderen den Mut verlieren und alles schwierig scheint.

Es gibt keine andere Möglichkeit, sich die Mittel zu verschaffen, die man benötigt, als durch die Konstanz der Arbeit. Der Revolutionär benötigt kulturelle Mittel, das heisst, Mittel zur Analyse, zur Grundkenntnis, zur elementaren Vertiefung. Auch Studien, die von der revolutionären Praxis sehr fern scheinen, sind für die Aktion unerlässlich. Die Sprachen, die Wirtschaft, die Philosophie, die Mathematik, die Naturwissenschaften, die Chemie, die Sozialwissenschaften, und so weiter. All diese Kenntnisse dürfen jedoch nicht als Spezialisierungsgebiete, aber auch nicht als dilettantische Studienübungen eines sonderbaren Geistes angesehen werden, den es links und rechts juckt, danach verlangend, zu wissen, aber stets unwissend bleibend, weil er keine Methode besitzt, die es ihm erlaubt, zu lernen. Und dann die Techniken: das korrekte Schreiben (und auch auf eine Weise, die für den Zweck geeignet ist, den man erreichen will); das Sprechen zu den anderen (mit allen Techniken des Sprechens, die keine einfache Sache und von grosser Wichtigkeit sind); das Studieren (das selbst ebenfalls eine Technik ist, und das als solche, und nicht als Spezialisierung an sich, auch studiert werden muss, um das Lernen zu erleichtern); das Erinnern (das verbessert werden kann und das nicht immer der mehr oder weniger natürlichen Veranlagung überlassen werden muss, die wir aus der Kindheit mitbringen); das Hantieren mit Gegenständen, das heisst der Gebrauch der Hände (was viele für eine mysteriöse Gabe der Natur halten, aber was hingegen eine Technik ist, die erlernt und perfektioniert werden kann); und weitere mehr. Die Erforschung der Mittel ist eine Arbeit, die sich nie erschöpft. Ihre Perfektionierung, sowie ihre Ausweitung auf andere Gebiete, ist ein konstantes Engagement des Revolutionärs.

Bleibt noch eine dritte Sache: die Kreativität. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Gesamtheit der Mittel, die man dabei ist, zu konstruieren, nicht ergiebig wäre und im Spezialisms als Selbstzweck versinken würde, wenn sie nicht, bereits jetzt oder nach einer gewissen Zeit, neue Erfahrungen hervorbringen würde, die das Individuum tiefgreifend verändern, Erfahrungen, aus denen unablässig Modifizierungen in der Gesamtheit der Mittel selbst und in den Möglichkeiten ihres Gebrauchs hervorgehen. Dies ist es, worin die Kraft der Kreativität, das heisst, der Frucht der vorherigen Anstrengungen, erfasst werden kann. Die logischen Prozesse geraten ins Hintertreffen, werden zu einer Grundsache, zu einem vernachlässigbaren Element, während ein neues, totales und anderes Element zutage tritt: die Intuition.

Nun wird das Problem anders angeschaut. Nicht mehr wie zuvor. Unzählige Verknüpfungen und Vergleiche, Folgerungen und Herleitungen, geschehen, ohne dass wir es merken. Die ganze Gesamtheit der Mittel, in deren Besitz wir gelangt sind, vibriert und wird lebendig. Erinnerungen und neue Verständnisse, alte nicht verstandene Dinge, die jetzt klar werden, Ideen und Spannungen. Ein unglaubliches Sammelsurium, das an sich selbst eine kreative Tatsache ist, und das unmittelbar der Disziplin der Methode, dem Herrschaftsgebiet der Techniken unterstellt werden muss, damit es etwas hervorbringen kann, das zwar, wenn man so will, begrenzt, aber unmittelbar wahrnehmbar und nutzniessbar ist. Leider ist es das Schicksal der Kreativität, dass ihre immense anfängliche explosive Potenzialität (welche in Abwesenheit der grundlegenden Mittel, wovon wir vorhin sprachen, zu einer kümmerlichen Sache wird) anschliessend in die Grenzen der Technik im strikten Sinne zurückgeführt werden muss, zu Wort, Blatt, Gestalt, Klang, Form, Objekt werden muss. Anderenfalls, ausserhalb der Schemen von diesem kleinen kommunikativen Gefängnis, bleibt sie verwahrlost und zerstreut im Meer der Unermesslichkeit.

Und schliesslich eine letzte Sache: die Materialität. Die Fähigkeit also, die materielle, reale Grundlage von dem, was uns umgibt, zu erfassen. Zum Beispiel ist die Fähigkeit, zu verstehen, dass, um zu handeln, für die Aktion probate Mittel erforderlich sind, keine leichte Sache. Die Angelegenheit der Mittel scheint sehr einleuchtend, sorgt aber für Missverständnisse. Nehmen wir den Fall vom Geld. Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Dinge, die wir tun wollen, ohne Geld nicht getan werden können. Es gibt keinen Zweifel daran, dass ein Revolutionär nicht beim Staat um Finanzierungen fragen kann, um jene Projekte aufzubauen, die darauf abzielen, den Staat selbst zu zerstören. Er kann aus einem ethischen Grund und schliesslich aus einem logischen Grund nicht darum fragen (der Staat würde sie ihm nicht geben). Er kann auch nicht ernsthaft denken, dass man mit kleinen (und, in der Regel, sehr bescheidenen) persönlichen Spenden all die Dinge tun kann, die man tun will (und die man für notwendig hält, zu tun). Er kann sich auch nicht ewig weiterhin über den Mangel an Geld beklagen, oder vor der Tatsache resignieren, dass man aufgrund des Mangels an Geld einige Dinge nicht tun kann, die jedoch getan werden müssten. Er kann auch nicht auf Dauer die Position von demjenigen annehmen, der sich, da er ohne Geld ist, wenn er sagt, keins zu haben, mit sich selbst völlig überein fühlt, und sich nicht an der gemeinsamen Anstrengung beteiligt, während er darauf wartet, dass andere an seiner Stelle tun, was getan werden muss. Sicher, es ist klar, dass ein Gefährte, wenn er kein Geld hat, nicht verpflichtet ist, zu bezahlen, was er sich nicht erlauben kann, zu bezahlen, doch hat er wirklich alles getan, was er tun konnte, um das Geld aufzutreiben? Oder gibt es nur eine Weise, das Geld zu beschaffen: jene, es zu erbetteln, indem man sich von den Bossen ausbeuten lässt? Ich glaube nicht.

In dem Bogen von Variationen einer möglichen Seinsweise polarisieren persönliche Neigungen und kulturelle Erwerbungen zwei Grenzverhalten, die beide beschränkt und nachteilhaft sind. Auf der einen Seite derjenige, der den theoretischen Moment privilegiert; auf der anderen Seite derjenige, der sich im praktischen Moment verschliesst. Fast nie sind diese beiden Polarisierungen im „Reinzustand“ vorhanden, aber oft sind sie ausreichend charakterisiert, um zu Behinderungen zu werden.

Die grossen Möglichkeiten, die die theoretische Vertiefung dem Revolutionär zur Verfügung stellt, bleiben toter Buchstabe, ja werden gar ein Widerspruchs- und Hindernisfaktor, wenn sie endlos verschärft werden. Es gibt Leute, die nichts anderes zu tun wissen, als das Leben auf theoretische Weise zu denken. Sie brauchen nicht ein Literat oder ein Gelehrter zu sein (für diese Leute wäre das quasi normal), sondern können auch ein beliebiger Proletarier sein, ein Marginalisierter, der prügelnd auf der Strasse aufwuchs. Dieses Suchen nach der entscheidenden Hypothese durch die Spitzfindigkeit der Argumentation verwandelt sich in ein unorganisches Bangen, ein ungestümes Verlangen danach, zu verstehen, das sich unweigerlich in reine Verwirrung verwandelt, während es jenes Primat des Verstands herabsetzt, den man doch um jeden Preis bewahren will. Diese Verschärfungen reduzieren die kritische Möglichkeit, Ordnung in die eigenen Ideen zu bringen, sie erweitern zwar die kreative Möglichkeit des Individuums, aber nur auf den Reinzustand, man könnte sagen auf den ungezähmten Zustand, während sie Bilder und Beurteilungen liefert, die gänzlich einer organisatorischen Methode entbehren, die sie brauchbar machen kann. Das Subjekt lebt in einer Art von Trance, es isst schlecht, hat eine miserable Beziehung zu seinem Körper, lebt die Beziehung zu den anderen ungesund. Es wird leicht argwöhnisch, oder zumindest beängstigt darum, verstanden zu werden, und deshalb akkumuliert es immer mehr ein Mischmasch von widersprüchlichen Argumentationen, ohne fähig zu sein, einen Leitfaden zu finden. Die Lösung, um aus dem Labyrinth herauszukommen, wäre die Aktion. Aber die Aktion, um eine solche zu sein, muss, gemäss dem Polarisierungsmodell, das wir hier am untersuchen sind, erst dem Herrschaftsgebiet des Verstandes, der Logik, der vernünftigen Argumentation unterstellt werden. Auf diese Weise wird die Aktion getötet oder aufgeschoben, oder schlecht erlebt, weil sie nicht verstanden wurde, weil sie nicht auf das Primat des Denkens zurückgeführt wurde.

Auf der anderen Seite die Unablässigkeit des Tuns, die Aufbietung des eigenen Lebens in den Dingen, die es zu Vollendung zu bringen gilt. Heute, Morgen. Tag für Tag. Vielleicht im Erwarten eines besonderen Tages, der diesem ewigen Aufschieben ein Ende setzt. In der Zwischenzeit jedoch keine, oder nahezu keine Suche nach einem Augenblick der Reflexion, der sich nicht ausschliesslich auf die Dinge bezieht, die es zu tun gilt. Das Primat des Tuns tötet genauso wie das Primat des Denkens. In der Aktion gibt es, an und für sich, keine Überwindung des widersprüchlichen Moments des Individuums. Für den Revolutionär liegen die Dinge noch schlechter. Die klassischen Schönredungen, die das Individuum entwickelt, um sich selbst hinsichtlich der Nützlichkeit und der Komplettheit der Aktion, die es unternehmen will, zu überzeugen, reichen für den Revolutionär nicht. Der einzige Notbehelf, worauf er zurückgreifen kann, ist das Aufschieben, auf bessere Zeiten, in denen es nicht mehr nötig sein wird, sich ausschliesslich dem Tun zu widmen und man auch wird denken können. Aber wie wird man denken können, ohne die Mittel, um es tun zu können? Ist das Denken etwa eine automatische Aktivität des Menschen, sobald er aufhört, zu handeln? Sicherlich nicht. Genauso, wie das Tun nicht eine automatische Aktivität des Menschen ist, sobald er aufhört, zu denken.

Besitzt er also einige Sachen, den Mut, die Konstanz, die Kreativität, die Materialität, so kann der Revolutionär die Mittel, in deren Besitz er ist, zur Fruchtung bringen und, mit diesen, sein Projekt aufbauen.

Und dieses wird die analytischen Aspekte und die praktischen Aspekte betreffen müssen. Noch einmal lässt sich eine Unterteilung blicken, die, um beseitigt werden zu können, bis auf den Grund, das heisst, in ihrer realen Dimension als Gemeinplatz der herrschenden Logik vertieft werden muss. Ein Projekt ist Analyse (politische, soziale, ökonomische, philosophische, usw.), aber es ist auch ein organisatorischer Vorschlag.

Kein Projekt kann nur der eine oder der andere von diesen Aspekten sein. Jede Analyse erhält einen anderen Blickwinkel und eine andere Entwicklung, wenn sie eher in einen als in einen anderen organisatorischen Vorschlag eingefügt wird. Und umgekehrt wird ein organisatorischer Vorschlag nur begründet, wenn er von einer tauglichen Analyse assistiert wird.

Der Revolutionär, der nicht in der Lage ist, die Analyse und das organisatorische Element seines Projekts zu beherrschen, wird stets ein Spielball der Ereignisse sein, stets unmittelbar nach, und nie vor den Dingen ankommend.

Tatsächlich ist es das Ziel des Projektes, zu sehen, um vorauszusehen. Das Projekt ist eine Prothese, wie jede andere intellektuelle Ausarbeitung des Menschen, um die Aktion zu erlauben, um sie zu ermöglichen, um sie nicht im nutzlosen Sich-Herumschlagen der Improvisation zu nullifizieren, aber es ist nicht die „Ursache“ der Aktion. Das Projekt, wenn es richtig verstanden wird, ist selber eine Aktion, während die Aktion selber ein Projekt ist, insofern sie es anwachsen lässt, es bereichert, es transformiert.

Die Tatsache, diese fundamentalen Prämissen der revolutionären Arbeit nicht zu verstehen, sorgt oft für Verwirrungen und Frustrationen. Viele Gefährten, die an die Interventionen gebunden bleiben, die wir als Reflexe definieren können, erleiden oft Rückschläge, ähnlich den Demotivationen, den Entmutigungen. Eine äussere Tatsache (die Repression, zumeist) bestimmt den Anreiz für eine Intervention. Wenn diese Tatsache zum Stillstand kommt, oder sich erschöpft, hat die Intervention keinen Daseinsgrund mehr. Daher die (frustrierende) Feststellung, dass man gezwungen ist, an den Punkt von vorher zurückzukehren. Man hat den Eindruck, einen Berg mit einem Löffel abtragen zu wollen. Die Leute erinnern sich nicht, vergessen schnell. Die Aggregation tritt nicht ein. Man ist fast immer mit wenigen. Fast immer die Üblichen. Bis zum Eintreten das nächsten äusseren Anreizes überdauern die Angelegenheiten des Gefährten, der nur aus Reflex zu handeln weiss, indem sie oft von der radikalen Ablehnung bis zur Verschliessung in sich selbst, von der entrüsteten Schweigsamkeit bis zu den Phantastereien über die Zerstörung der Welt (Menschen miteingeschlossen) reichen.

Viele andere Gefährten bleiben hingegen an die Interventionen gebunden, die wir als routinemässig bezeichnen können, das heisst, bleiben an die literarische (Zeitungen, Revues, Bücher) oder assembleare (Kongresse, Treffen, Diskussionen, Versammlungen) Wiederkehr gebunden. Auch hier lässt die menschliche Tragödie nicht lange auf sich warten, um in Erscheinung zu treten. Meist geht es weniger um die persönliche Frustration (die ebenfalls vorhanden ist, und das sieht man), als vielmehr um die Verwandlung des Gefährten in einen Kongressbürokraten oder in einen Redakteur von mehr oder weniger lesbaren Blättern, die versuchen, die eigene propositive Inkonsistenz zu verbergen, indem sie den Ereignissen hinterherlaufen, um sie im kritischen Licht der eigenen Sichtweise zu erklären. Wie man sieht, die Tragödie ist stets dieselbe.

Das Projekt ist also notwendigerweise propositiv. Es ist das Element, das die Affinität schliesst und verschweisst. Diese mündet, ausgegangen von der Kenntnis zwischen den verschiedenen Gefährten, die der Affinitätsgruppe angehören, im projektuellen Terrain, wo sie wächst und ihre Früchte trägt. Insofern es propositiv ist, kann das Projekt unmöglich nicht die Initiative ergreifen. Zuallernächst eine Initiative von operativem Typ: die Dinge, die es zu tun gilt, auf eine bestimmte Art und Weise betrachtet. Dann eine Initiative von organisatorischem Typ: wie diese Dinge getan werden können.

Viele halten sich nicht bewusst, dass die Dinge, die es zu tun gilt (Klassengegenüberstellung), nicht ein für alle Male kodifiziert sind, sondern dass sie, mit der Zeit und mit dem Dahinfliessen der sozialen Verhältnisse, andere Bedeutungen annehmen. Dies bedingt die Notwendigkeit von theoretischen Einschätzungen der Dinge, die es zu tun gilt. Die Tatsache, dass einige von diesen Dingen länger bestehen bleiben, als wären sie unbeweglich, bedeutet nicht, dass sie unbeweglich sind. Beispielsweise, dass es eine Notwendigkeit gibt, sich zu organisieren, um den Klassenfeind zu treffen, bedingt, als Notwendigkeit, eine zeitliche Permanenz. Organisatorische Mittel und Wege tendieren dazu, zu kristallisieren. Und, unter gewissen Gesichtspunkten, ist das auch gut so. Es ist nicht notwendig, jedes Mal, wenn man sich reorganisiert, etwa nachdem man die Schläge der Repression erlitten hat, alles von Grund auf neu zu erfinden. Aber das will nicht heissen, dass dieses „Wiederaufgreifen“ gezwungenermassen die Charakteristiken der absoluten Repetitivität aufweisen muss. Die vorherigen Modelle können einer Kritik unterzogen werden, auch wenn sie, im Grunde genommen, gültig bleiben und daher einen nicht zu vernachlässigenden Ausgangspunkt darstellen können. In dieser Materie fühlt man sich, oft, im Visier der Kritiken, seien sie auch desinformiert und vorgefasst, und will man, um jeden Preis, die Anschuldigung von Unnachgiebigkeit vermeiden, die zwar wie eine positive Wertung klingt, aber auch ein beträchtliches Element von Anprangerung der Unfähigkeit beinhaltet, die Entwicklung der sozialen Bedingungen in ihrer Gesamtheit zu verstehen.

Also, die Möglichkeit des Gebrauchs von alten organisatorischen Modellen, unter der Voraussetzung, dass sie einer radikalen Kritik unterzogen werden. Aber was könnte diese Kritik sein. Hauptsächlich eines: Anprangerung der Nutzlosigkeit und der Gefährlichkeit von zentralisierten und organigrammierten Strukturen, Anprangerung der Mentalität der Delegation, Anprangerung des Mythos des Quantitativen, Anprangerung des Mythos des Symbolischen und des Grandiosen, Anprangerung des Mythos der Benutzung der grossen Informationsmittel, etc. Wie man sieht, geht es um Kritiken, die den anderen Aspekt des revolutionären Himmels aufzeigen, den anarchistischen und libertären Aspekt. Die zentralisierte Struktur, die Führungsorganigramme, die Delegation, das Quantitative, das Symbolische, den informativen Entrismus, etc., zu negieren, bedeutet, voll und ganz in die anarchistische Methodologie einzutreten. Und eine anarchistische Propositivität bedarf einiger einleitenden Betrachtungen.

Zu Anfangs, besonders für jemanden, der von der Notwendigkeit und der Gültigkeit dieser Methode nicht zutiefst überzeugt ist, mag es den Anschein machen (und, unter gewissen Gesichtspunkten, ist es auch so), dass sie weniger wirksam ist. Die Resultate sind bescheidener, weniger offensichtlich, haben alle den Aspekt der Zerstreuung und der Nicht-Zurückführbarkeit auf ein einheitliches Projekt. Es sind pulverisierte und diffuse Resultate, das heisst, sie gehen aus minimalen Zielen hervor, die nicht sofort auf einen zentralen Feind zurückführbar scheinen, zumindest als das, wie er sich in den deskriptiven Ikonographien zeigt, die von der Macht selbst verfasst werden. Oftmals hat die Macht Interesse daran, die periphere Verästelung von sich selbst, und von den Strukturen, die sie tragen, unter positiven Aspekten zu zeigen, als würden diese Verästelungen soziale Funktionen absolvieren, die zum Leben unentbehrlich sind. Sie verbirgt hingegen ziemlich gut, und sehr leicht, in Anbetracht unserer Unfähigkeit, sie anzuprangern, die Zusammenhänge, das Verhältnis, das zwischen diesen peripheren Strukturen und der Repression oder der Konsensbeschaffung besteht. Daher die beachtliche Aufgabe, die dem Revolutionär zukommt, welcher, indem er zuschlägt, auch eine anfängliche Unverständlichkeit seiner Aktionen zu erwarten hat, woraus sich die entsprechende Notwendigkeit von Klärungen ableitet. Und hier verortet sich eine weitere Falle. Diese Klärungen in ideologische Begriffe zu übersetzen, bedeutet, in der Diffusion und in der Peripherität, die exakten Bedingungen der Konzentration, der Zentralität zu repräsentieren. Die anarchistische Methode kann nie durch einen ideologischen Filter erklärt werden. Wenn dies geschehen ist, hat man schlicht unsere Methode neben Praktiken und Projekte gestellt, die recht wenig Libertäres besassen.

Sie führt von der Anprangerung der Delegation, als schädliche, nicht nur als autoritäre Praxis (dieser zweitere Aspekt könnte für Gefährten, die nicht schon immer Anarchisten sind, weniger verständlich klingen), zur Vertiefung der aggregativen Prozesse. Das heisst, sie führt zur Möglichkeit, eine indirekte Aggregation aufzubauen, die auf der Affinität und der Informalität beruht, das heisst, eine Form von organisatorischem Bezug, der nicht von organigrammatischen Grundlagen konditioniert wird. Separate Gruppen, gemeinsam vereint durch die Affinität und durch eine gemeinsame Methodologie, nicht durch hierarchische Beziehungen. Gemeinsame Ziele, gemeinsame Entscheidungen, aber auf indirekte Weise, das Ganze gewollt durch die Objektivität der gemeinsamen Entscheidungen, der gemeinsamen Analysen, der gemeinsamen Ziele. Jeder tut seine Dinge und verspürt kein Bedürfnis, direkte aggregative Beziehungen vorzuschlagen, die, früher oder später, darauf hinauslaufen, hierarchische Organigramme zu errichten (und seien sie auch horizontal, insofern man beansprucht, innerhalb der anarchistischen Methode zu bleiben), und die als schönes Resultat die Tatsache haben, von jeder Erhebung des repressiven Windes zerstört zu werden. Es ist der Mythos des Quantitativen, der fallen muss. Der Mythos der Zahl, die den Feind beeindruckt, der Mythos der „Kräfte“, die es ins Feld zu führen gilt, der Mythos der „Befreiungsarmee“ und andere derartige Dinge.

So, quasi ohne es zu wollen, verwandeln sich die alten Dinge in neue. Die Modelle der Vergangenheit: Ziele und Praktiken, revolutionieren sich in ihrem Innern. Im Vordergrund taucht, ohne einen Schatten von Zweifel, das endgültige Ende der politischen Methode auf, des Anspruchs, ideologische Modelle vorzulegen, die es den subversiven Praktiken aufzuerlegen gilt.

Unter anderen Gesichtspunkten, und die gebührenden Proportionen gestellt, ist es die ganze Welt in ihrer Gesamtheit, die dabei ist, das politische Modell zurückzuweisen. Das „Ende“ des Politischen ist eine alltägliche Angelegenheit. Die traditionellen politischen Strukturen, mit ihren starken Konnotationen, sind untergegangen oder sind dabei, unterzugehen. Die Parteien der Linken gleichen sich jenen der Mitte an und die Rechtsparteien schmiegen sich stets in Richtung des Zentrums, um nicht isoliert zu bleiben. Dieses Zusammensacken des politischen Baugerüsts entspricht einer tiefgreifenden Modifizierung der ökonomischen und sozialen Strukturen. Für jene, die an die Verwaltung der subversiven Potenzialitäten der grossen Massen denken müssen, tauchen neue Notwendigkeiten auf. Die Mythen der Vergangenheit, auch jener des „kontrollierten Klassenkampfes“, sind vorbei. Die grossen Massen der Ausgebeuteten sind in Mechanismen hineingesogen worden, die den politischen Ideologien von gestern zuwiderlaufen, die deutlich, aber oberflächlich waren. Dies ist, weshalb sich die Linksparteien Positionen der Mitte angenähert haben, was, im Wesentlichen, einer Annullierung der politischen Diskriminanten und einer möglichen, selbstständigen, Verwaltung des Konsenses entspricht, zumindest unter dem administrativen Gesichtspunkt. Es sind die Dinge, die es zu tun gilt, die Programme auf sehr kurze Frist, die Verwaltung der öffentlichen Sache, welche die Diskriminanten bündeln. Die idealen (und folglich ideologischen) politischen Projekte sind untergegangen. Niemand (oder quasi niemand) ist verfügbar, um für eine kommunistische Gesellschaft zu kämpfen, doch er kann ein weiteres Mal ins Innere von Strukturen eingereiht werden, die beanspruchen, seine unmittelbaren Interessen zu schützen. Daher die Zunahme an Wichtigkeit der kommunalen Kämpfe und politischen Lager gegenüber den weitgreifenderen politischen Strukturen, nationalen und übernationalen Parlamenten.

Der Untergang des Politischen ist, an und für sich, auf diesen Ebenen, nicht ein Element, dass an eine „anarchistische“ Wende innerhalb der Gesellschaft denken lassen kann, welche, der eigenen Vorrangigkeit bewusst geworden, sich den Versuchen von indirekter politischer Verwaltung entgegenstellt. Nichts von all dem. Es handelt sich um tiefgreifende Modifizierungen in der modernen Struktur des Kapitals, die sich, eben aufgrund der immer grösseren gegenseitigen Abhängigkeit, die heute zwischen den verschiedenen peripheren Realitäten besteht, auch auf internationaler Ebene gleichschaltet. Diese Modifizierungen bestimmen, ihrerseits, die Unmöglichkeit einer Konsenskontrolle durch die politischen Mythen der Vergangenheit und den Übergang zu Kontrollmethoden, die den Zeiten angemessener sind.

Dennoch, so merkwürdig es scheinen mag, die Krise des Politischen, als generalisiertes Phänomen, wird notwendigerweise eine Krise der hierarchischen Beziehungen, der Delegationsbeziehungen, usw., das heisst, all jener Beziehungen mit sich bringen, die dazu neigen, das in der ideologischen Dimension zu verorten, was die realen Terme der Klassengegenüberstellung sind. Dies wird nicht lange ohne Konsequenzen bleiben können, auch auf die Fähigkeit von vielen Leuten, zu verstehen, dass der Kampf nicht mehr durch die Mythen des Politischen verlaufen kann, sondern in die konkrete Dimension der unmittelbaren Zerstörung des Feindes eintreten muss.

Es gibt auch diejenigen, welche, da sie nicht verstehen wollen, was, in der Substanz, die Aufgabe des Revolutionärs sein muss, sich, angesichts der vorhin betrachteten sozialen Modifizierungen, zu Verfechtern von Methoden der sanften Gegenüberstellung machen, welche beanspruchen, die neue Herrschaft mit dem passiven Widerstand zu behindern. Es handelt sich, meiner Ansicht nach, um ein Missverständnis, das darauf basiert, dass man die moderne Macht, eben weil sie permissiver und breiter auf den Konsens gestützt ist, für weniger „stark“ als jene der Vergangenheit hält, die auf der Hierarchie und auf der absoluten Zentralisierung basierte. Das ist ein Fehler wie jeder andere, und er leitet sich aus der Tatsache ab, dass in jedem von uns noch die Reste von einer Parallele übrig sind: Macht-Stärke; welche die modernen herrschenden Strukturen dabei sind, Stück für Stück zu demontieren. Eine schwache, aber effiziente Macht ist, vielleicht, eine wirksamere Macht als eine starke, aber grobe Macht. Die erstere dringt in die psychologischen Gefüge der Gesellschaft ein, bis hinein ins Individuum, indem sie miteinbezieht; die zweitere bleibt äusserlich, sie spricht in drohendem Ton, beisst, aber, im Grunde, errichtet sie nur Gefängnismauern, die man früher oder später erklimmen kann.

Die Vielseitigkeit der Aspekte des Projekts verleiht der Arbeit des Revolutionärs eine Perspektive, die selber auch vielseitig ist. Kein Gebiet von möglicher Aktivität kann a priori ausgeschlossen werden. Es kann, aus demselben Grund, keine privilegierten Interventionsgebiete geben, Gebiete, die dem einzelnen Individuum „liegen“. Ich kenne Gefährten, die sich zu einigen Interventionssektoren – sagen wir, zum nationalen Befreiungskampf – oder zu einigen revolutionären Praktiken, wie die spezifische minoritäre Aktivität, nicht hingezogen fühlen. Die Einwände, welche die Ablehnung eines bestimmten Interventionsgebiets stützen, sind sehr verschieden, aber sie lassen sich alle auf die (falsche) Idee zurückführen, dass jeder die Dinge tun soll, die ihm die grösst mögliche Befriedigung bereiten. Diese Idee ist falsch, nicht, weil es nicht richtig ist, dass die Freude und die persönliche Befriedigung eine der Triebfedern der Aktion sind, sondern, weil die Suche nach dieser individuellen Motivation eine andere Suche versperren kann, die breiter und bedeutender ist, jene, die auf der Totalität der Intervention gründet. Von vorgefassten Meinungen gegenüber bestimmten Praktiken oder Theorien auszugehen, bedeutet, sich – ausschliesslich aus „Angst“ – hinter der, fast immer illusorischen, Tatsache zu verschanzen, dass uns diese Praktiken und diese Theorien nicht gefallen. Aber jede vorgefasste Ablehnung beruht immer auf einer spärlichen Kenntnis von dem, was man ablehnt, auf einer spärlichen oder nicht vorhandenen Bereitschaft, sich dem anzunähern, was man ablehnt. Die Befriedigung und die Freude von heute werden so zum endgültigen Ziel erkoren, und in ihrer Unmittelbarkeit versperren sie uns die Perspektiven von Morgen. Ohne es zu wollen, werden wir ängstlich und dogmatisch, missgünstig gegenüber jenen, denen es gelingt, diese Hindernisse zu überwinden, argwöhnisch gegenüber all jenen, die sich uns annähern, unzufrieden und unglücklich.

Die einzige Grenze, die akzeptierbar ist, ist jene unserer Möglichkeiten (die begrenzt sind). Aber auch diese Grenze kann stets nur in der konkreten Tatsache ausgemacht und nicht als a priori existent angenommen werden. Ich bin immer von der (offensichtlicherweise absurden, aber operativ realen) Hypothese ausgegangen, ohne Grenzen zu sein, immense Möglichkeiten und Fähigkeiten zu haben. Dann hat sich die Praxis, jene von jedem Tag, darum gekümmert, mir die objektiven Grenzen von mir und von den Dingen, an die ich mich gemacht habe, aufzuzeigen. Aber diese Grenzen haben mich nie a priori aufgehalten, sie haben sich a posteriori als unabwendbare Hindernisse gezeigt. Kein Unternehmen, egal wie unglaublich oder gigantisch es war, hat mich blockiert, bevor ich es begann. Erst danach, im Verlaufe der Praktiken, die damit zusammenhängen, hat sich die Bescheidenheit meiner Mittel und meiner Fähigkeiten gezeigt, aber, trotz ihrer unüberwindlichen Präsenz, hat sie mich nicht davon abhalten können, partielle Resultate zu erfassen, was schliesslich die einzigen menschlich erschöpfbaren Dinge sind.

Aber auch diese Tatsache ist eine Frage der Mentalität, also der Sichtweise der Dinge. Oft bleibt man zu sehr an das unmittelbar Wahrnehmbare gebunden, an den sozialistischen Realismus des Viertels, der Stadt, der Nation, usw. Im Geschwätz ist man internationalistisch, aber in den konkreten Tatsachen zieht man das vor, was einem bekannter ist. Auf diese Weise verschliesst man sich nach aussen und nach innen. Man lehnt die wirklichen internationalen Beziehungen ab, die Beziehungen zum gegenseitigen Verständnis, zur Überwindung der (auch sprachlichen) Schranken, zur Zusammenarbeit und zum gegenseitigen Austausch sind. Aber man lehnt auch die lokalen spezifischen Beziehungen ab, mit ihren Charakteristiken, ihren internen Widersprüchen, ihren Mythen und ihren Schwierigkeiten. Die komische Tatsache ist, dass man die ersten im Namen der zweiten und die zweiten im Namen der ersten ablehnt.

Dasselbe geschieht bezüglich der spezifischen Aktivitäten, die vorbereitend, auf die Beschaffung der revolutionären Mittel ausgerichtet sind. Auch hier ist die Delegation an andere Gefährten eine Tatsache, die oft a priori beschlossen wird. Man stützt sich auf Bedenken und Ängste, die, wenn sie gut vertieft werden, nicht viel zu sagen haben. Der Professionalismus, der anderswo zur Schau getragen wird, findet in der anarchistischen Methodologie keine Gastfreundschaft, aber die apriorische Ablehnung, oder die vorgefasste Verschliessung auch nicht. Dasselbe gilt für das, was in Bezug auf die Sucht nach der Erfahrung als Selbstzweck, nach der Dringlichkeit des Tuns, nach der persönlichen Befriedigung, nach dem Nervenkitzel geschieht. Die beiden Extreme berühren sich und durchdringen sich gegenseitig.

Das Projekt kehrt diese Probleme vom Tisch, denn es gelingt ihm, die Dinge in ihrer Globalität zu sehen. Aus demselben Grund ist die Arbeit des Revolutionärs notwendigerweise an das Projekt gebunden, identifiziert sie sich mit diesem, kann sie sich nicht auf partielle Aspekte beschränken. Seinerseits ist ein partielles Projekt nicht ein revolutionäres Projekt, es kann ein hervorragendes Arbeitsprojekt sein, es kann Gefährten und Ressourcen auch für lange Zeiträume in Anspruch nehmen, doch, früher oder später, endet es darin, gegenüber der Realität der Klassenkonfrontation ins Hintertreffen zu geraten.

 

Quellen

Was ist der Aufstand?
Alfredo M. Bonanno,
Che cos’é l’insurrezione, in dem Buch “Teoria e pratica dell’insurrezione”, Edizioni Anarchismo, Catania, Oktober 1985.

Revolutionärer Kampf und Aufstand
Alfredo M. Bonanno,
Lotta rivoluzionaria e insurrezione, in “Anarchismo”, Nr. 30, Italien, 1980, S. 9-12. Eine Teilübersetzung dieses Artikels erschien in “Insurrection”, einmalige Ausgabe, London, 1982, S. 1-3.

Die Logik des Aufstands
Alfredo M. Bonanno,
La logica dell’insurrezione, in dem Buch “Teoria e pratica dell’insurrezione”, Edizioni Anarchismo, Catania, Oktober 1985. Ursprünglich publiziert als freie Übersetzung in “Insurrection”, Nr. 1, London, 1984, S. 3.

Die Rebellion
Alfredo M. Bonanno,
La ribellione, in dem Buch “Teoria e pratica dell’insurrezione”, Edizioni Anarchismo, Oktober 1985, Catania. Übersetzt ins Deutsche in der Broschüre Alfredo M. Bonanno, Die Rebellion, Konterband Edizionen, September 2013, Zürich.

Aufständische Strategien und Methoden
Alfredo M. Bonanno,
Strategie e metodi insurrezionali, in dem Buch “Teoria e pratica dell’insurrezione”, Edizioni Anarchismo, Oktober 1985, Catania. Ursprünglich (Alfredo M. Bonanno), Strategie e metodi rivoluzionari, in “Anarchismo”, Nr. 40, Italien, 1983, S. 27-32; und (Alfredo M. Bonanno), Delle cose ben fatte e delle cose fatte a metà, in “Anarchismo”, Nr. 41, Italien, 1983, S. 28-37. Einige ins Englische übersetzte Auszüge finden sich in: Alfredo M. Bonanno, Strategy & Methods, in “Insurrection”, Nr. 2, London, 1984, S. 2-5.

Das Ideal in Trümmern
Alfredo M. Bonanno,
L’ideale in frantumi, in “Anarchismo”, Nr. 41, Italien, 1983, S. 1-4.

Affinität
Alfredo M. Bonanno, Affinità e organizzazione informale, in “Anarchismo”, Nr. 45, Italien, März 1985, S. 12-14, Italien. Übersetzt ins Deutsche in “Grenzenlos”, Nr. 2, Zürich, Januar 2012, S. 14-15, [Überarbeitet].

Synthesenorganisation und informelle Organisation
Alfredo M. Bonanno,
Organizzazione di sintesi e organizzazione informale, in “Anarchismo”, Nr. 47, Juni 1985, S. 24-25, Italien. Übersetzt ins Deutsche in “Grenzenlos”, Nr. 2, Zürich, Januar 2012, S. 15-16, [Überarbeitet].

Individuum, Affinitätsgruppe, informelle Organisation
Ausschnitt aus Alfredo M. Bonanno,
Individuo, gruppo di affinità, insurrezione, Redebeiträge an dem Treffen von Rovereto über dasselbe Thema vom 24., 25. und 26. Dezember 1994. Niederschrift der Tonbandaufnahme. Publiziert in Alfredo M. Bonanno, Affinità e organizzazione informale, Edizioni Anarchismo, Catania, 1996, und in Alfredo M. Bonanno, Internationale antiautoritaria insurrezionalista, Edizioni Anarchismo, Catania, März 1999. Übersetzt ins Deutsche von der “Koordinationsstelle internationale anarchistische Schriften”, München, August 1998, (begrenzte Auflage), dann in Alfredo M. Bonanno, Vom Zentrum zur Peripherie, Mantz, Grebel & Reublin, 2006, Zürich [für die Publikation in diesem Buch vollständig neu übersetzt].

Insurrektionalistischer Anarchismus
Einleitung zur ersten Ausgabe von Alfredo M. Bonanno, Anarchismo insurrezionalista, Edizioni Anarchismo, Catania, Juni 1999.

Wer hat Angst vor der Revolution?
Alfredo M. Bonanno, Chi ha paura della rivoluzione?, in “Anarchismo”, Nr. 35, Italien, 1981, S. 4-5.

Die Arbeit des Revolutionärs
Alfredo M. Bonanno,
Il lavoro del rivoluzionario, in “Anarchismo”, Nr. 59, Italien, Januar 1988, S. 45-52. Auch publiziert unter dem Titel Il progetto rivoluzionario in Anarchismo insurrezionalista, Edizioni Anarchismo, Catania, Juni 1999. Übersetzt ins Deutsche von der “Koordinationsstelle internationale anarchistische Schriften”, München, August 1998, (begrenzte Auflage), dann in Alfredo M. Bonanno, Vom Zentrum zur Peripherie, Manz, Grebel & Reublin, 2006, Zürich [für die Publikation in diesem Buch vollständig neu übersetzt].

Weitere Übersetzungen:

Die hier publizierten Artikel (mit Ausnahme von Die Logik des Aufstands, Die Rebellion, Synthsenorganisation und informelle Organisation, und des ersten Teils von Aufständische Strategien und Methoden) finden sich auf Französisch in dem Buch: Alfredo M. Bonanno, Qui a peur de l’insurrection, Tumult Editions, 2012, Brüssel.

Die hier publizierten Artikel, die ursprünglich in dem Buch Teoria e pratica dell’insurrezione erschienen, wurden ins Griechische übersetzt in: Θεωρία και Πρακτική της Εξέγερσης, 1991, Athen, und ins Spanische in: Teoría y prática de la insurreción, Broschüre, s.l.s.d.

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