(Wien) „Dieser Anschlag darf nicht vereinnahmt werden“…
Per Flachenpost erhalten, ein Artikel von der anarchistischen Publikation „Revolte“ aus Wien.
… war der sofortige Tenor der Regierungsklasse nach dem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt am 2. November, der vier Menschen das Leben kostete und bei dem über 20 zum Teil schwer verletzt wurden. Natürlich wird genau das von diesen Politikern jetzt gemacht.
Von denen, die seit Jahren nichts anderes tun, als durch die konstante, weitere Verschärfung der Lebensbedingungen Hass und Gewalt zu kultivieren. Genau die sprechen sich jetzt öffentlich gegen Hass und Gewalt aus (z.B. Kurz & Nehammer). Einem rechten Innenminister ist es nicht zu blöd sich selbst als den starken Anführer sämtlicher Polizeieinheiten zu stilisieren, der keine Straftat unbeantwortet lassen will und „gegen jeden Extremismus mit eiserner Hand vorgehen wird“ (Zitat Nehammer). Als hätte das jemals einen Anschlag verhindert. Dabei: war es nicht das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung BVT (welches ja bekanntlich dem Innenminister unterstellt ist), das im Juli 2020 die Ermittlungen gegen den bereits amtsbekannten Attentäter vom 2. November eingestellt hatte und zwar exakt an dem Tag, als dieser nachweislich versucht hatte, in der Slowakei Sprengstoff und Munition zu erwerben?
Nun, ich bin Anarchist und will hier mit Sicherheit nicht den Staat auf seine Versäumnisse hinweisen und erst recht nicht einfordern, dass der er doch bitte repressiver gegen „solche Leute“ vorgehen soll. Abgesehen davon machen das seine Bediensteten ohnehin von selbst. Natürlich sind solche Anschläge Scheiße und es geht hier auch nicht darum, eine Rechtfertigung für irgendwas zu liefern. Vielmehr muss in solchen Situationen aufgezeigt werden, dass das gesellschaftliche Zusammenleben mit all seinen Wechselwirkungen und unterschiedlichen Interessen der Beteiligten weitaus komplexer ist, als es die Politik und die Rechten im Moment darstellen wollen und für ihre jeweilige Sache instrumentalisieren. Und dazu benötigt die Regierung vereinfachte Erklärungen und vereinfachte Feindbilder. Und selbstverständlich wird ein solches Thema eben auch auf der Theaterbühne der Politik verhandelt – mit allen beteiligten Schauspieler*innen und gegenseitigen Schuldzuweisungen: alter gegen neuen Innenminister, Regierung gegen Opposition, Hinz gegen Kunz…
Fakt ist, dass Anschläge, die Leib und Leben von Anderen aufgrund einer totalitären Ideologie als Grundlage haben, kaum zu verhindern sind. Vor allem dann nicht, wenn der*die Attentäter*innen dabei nur allzu bereitwillig ihr eigenes Leben in den Ring werfen und mit ihrem eigenen Tod rechnen. Das sollten auch Innenminister, Bullen und Politiker*innen wissen. Fundamentalistische Anschläge haben multiple soziale Hintergründe und können nicht rein militärisch bekämpft, bzw. gar verhindert werden, auch wenn sie gerne etwas anderes behaupten. Siehe dazu die (islamistisch motivierten) Anschläge von Madrid, von London, von Paris, von Brüssel, von…
Umso erstaunlicher ist dabei die Debatte darüber, dass der Staat nun ganz dringend Zugriff auf die verschlüsselte Kommunikation der Bürger*innen bekommen will. Ein Vorschlag in diese Richtung war die Einführung einer Art „Zentralschlüssel“ für verschlüsselte Smartphone-Messenger wie WhatsApp, Telgram oder Signal, womit sich der Staat die lückenlose Überwachung und natürlich Bestrafung/Verhinderung von Straftaten erhofft – vor allem im „extremistischen“ Bereich, so Nehammer. Aber der Vorstoß kommt auch auf einer höheren Ebene von der EU selbst und der vorliegenden neue Entwurf hat signifikante Ähnlichkeiten mit der Vorratsdatenspeicherung.
Im Fall des Attentäters von Wien, wusste das BVT jedoch offensichtlich von der ideologischen Prägung des Attentäters, war er doch bereits wegen Straftaten in diese Richtung inhaftiert und unter Beobachtung. So wurde er beim zweiten Versuch seiner Einreise nach Syrien, um dort für den Islamischen Staat zu kämpfen, in der Türkei festgenommen, später wurde er zurück nach Österreich abgeschoben und hier inhaftiert – wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
Hier kann das „Problem“ für den Staat also kaum das fehlende Wissen um das Treiben des Attentäters gewesen sein, weil sie die Verschlüsselung nicht knacken konnten oder dergleichen. Sie wussten Bescheid und haben nichts unternommen. Es geht wie immer im perfiden Spiel der Politik darum, aus (wenn auch beschissenen Situationen) politisches Kalkül zu schlagen und die eigene Agenda zu pushen. Auch wenn soziale Situationen wie ein Anschlag, die Corona-Pandemie, usw. nicht unbedingt ursächlich von den Herrschenden in die Welt gesetzt werden, so wissen sie doch in jeder Situation einen Nutzen für ihr autoritäres Projekt zu schlagen.
Ebenso hier: was hat die Forderung des Innenministers nach einem juristischen Werkzeug, mit dem sich „extremistische Demonstrationen“ verbieten lassen, mit dem Anschlag in Wien zu tun? Es ist ja nicht gerade so, dass es in Wien irgendwelche dschihadistischen Demos geben würde, aus denen heraus dann Menschen angegriffen werden würden… „Extremistisch“ ist und war schon immer eine Kategorie, die von den Herrschenden benutzt wurde, um unbequeme Elemente zu diskreditieren oder „auszuschalten“. Jedoch ist dieser Begriff naturgemäß und beabsichtigt recht flexibel verwendbar und in Bezug auf die oben erwähnten Demonstrationsverbote wurde dies in der Vergangenheit meist gegen solche Demonstrationen angewendet, bei denen Ausschreitungen und damit die „Störung der öffentlichen Ordnung“ vermutet wurden, beispielsweise bei den Demos gegen den Wiener Akademikerball und dergleichen. Alles was von der demokratisch-kapitalistischen Mitte abweicht, wird in diesem Zusammenhang als Gefahr und damit als extremistisch definiert. Das wiederum offenbart sehr eindringlich den Charakter, den diese „Rechte“ (z.B. das Demonstrationsrecht, das Recht auf ein Briefgeheimnis, …) haben, die uns vom Staat gnädigerweise „zugestanden“ werden: solange du dich im Rahmen bewegst, darfst du dich auch bewegen.
Als Anarchist*innen kämpfen wir für die grundlegende und komplette Zerstörung jeglicher staatlicher Strukturen und für die allumfassende Befreiung des Individuums aus den Klauen von Ausbeutung, Unterdrückung, Herrschaft und sozialen Strukturen wie Patriarchat, Rassismus, usw. Das macht uns in den Augen des Staates natürlich auch zu „Extremist*innen“ und genauso werden wir im Fall der Fälle auch behandelt. Allerdings sehen wir uns hier nicht allein auf weiter Flur und wollen uns selbst auch keine wichtigere Position in dem ganzen geben, als etwa anderen. Es ist allseits bekannt, in welche Richtung diese demokratische „Extremismus-Keule“ je nach Bedarf ausschlagen kann. Nun gehen all jene den Herrschenden auf den Leim, die sich von diesen Worten einlullen lassen und glauben, mit Gesetzesverschärfungen und Überwachung sei etwas gegen zukünftige Terroranschläge unternommen. Denn der Staat kann und wird uns nicht vor Anschlägen beschützen, jedoch wird er sie für sein eigenes autoritäres Projekt zu nützen wissen… Genauso wenig, wie wir von Polizei und Justiz die Bekämpfung von Nazis fordern (oder gar erwarten), fordern wir nun den „Kampf gegen den Terror“. Wir stellen keine Forderungen an unsere Feinde, stattdessen bauen wir weiterhin unsere eigenen Projekte auf, die sich unversöhnlich gegen all die Strukturen und Personen richten, die uns Alle an einem freien Leben hindern: Bullen, Justiz, Patriarchat, Kapitalismus, herrschaftliche Ideologien und eben auch Religion (ob nun Christentum oder Islam).
Für die Freiheit!