Gefunden bei Etcetera, die Übersetzung ist von uns.
Zu einer Geschichte der Abneigung der Arbeiterinnen und Arbeiter gegen die Arbeit:
Barcelona während der Spanischen Revolution, 1936-38, Michael Seidman
Die Untersuchung der Abneigung gegen die Arbeit – Absentismus (A.d.Ü., von der Arbeit fern bleiben), Verspätungen, Unpünktlichkeiten, Delikte, Sabotage, langsames Arbeitstempo, Disziplinlosigkeit und Gleichgültigkeit – kann dazu dienen, unser Verständnis zweier zeitgleicher politischer Ereignisse zu vertiefen: der Spanischen Revolution und der französischen Volksfront1. Eine Analyse der Abneigung gegen die Arbeit in den Fabriken von Paris und Barcelona während der Volksfrontregierung in Frankreich und während der Spanischen Revolution zeigt wesentliche Kontinuitäten im Leben der Arbeiterklasse. Absentismus, Disziplinlosigkeit und andere Formen der Arbeitsverweigerung gab es schon vor dem Sieg der Volksfront in Frankreich und dem Ausbruch von Krieg und Revolution in Spanien. Es ist jedoch bezeichnend, dass dieser Widerstand auch noch Jahre später anhielt, nachdem die Parteien und Gewerkschaften/Syndikate, die für sich in Anspruch nahmen, die Arbeiterklasse zu vertreten, in beiden Fällen die politische und – auf unterschiedlichen Ebenen – die ökonomische Macht übernommen hatten. Tatsächlich wurden die linken Parteien und Gewerkschaften/Syndikate in beiden Situationen, der reformistischen wie der revolutionären, in zahllose Konfrontationen mit Arbeitern gezwungen, die sich weigerten zu arbeiten.
Die Abneigung gegen die Arbeit im 20. Jahrhundert wurde von vielen marxistischen Arbeitshistorikern und Modernisierungstheoretikern, zwei wichtigen, wenn auch nicht dominierenden Schulen der Arbeitshistoriografie, ignoriert und/oder unterschätzt2. Trotz der Unterschiede, die in vielen Fällen bestehen, teilen die beiden Richtungen eine fortschrittliche Sicht der Geschichte. Viele Marxisten sehen die Arbeiterklasse als allmählich klassenbewusst, sie entwickelt sich von „an sich zu für sich“, formiert sich und strebt manchmal nach der Enteignung der Produktionsmittel. Modernisierungstheoretiker sehen, dass sich die Arbeiter an die Art, die Struktur und die allgemeinen Anforderungen der Industriegesellschaft anpassen. Weder Marxisten noch Modernisierungstheoretiker haben die anhaltende Kultur der Arbeiterklasse ausreichend berücksichtigt, die ihren unbändigen Wunsch, nicht zu arbeiten, offenbart. Aber diese fortschrittliche Sichtweise der Arbeiterklasse kann das Fortbestehen von Absentismus, Sabotage und Gleichgültigkeit nicht angemessen analysieren. In beiden Fällen kann diese Haltung auch nicht als „primitiv“ oder als Beispiel für „falsches Bewusstsein“ abgetan werden. Das Fortbestehen vieler Formen der Abneigung gegen die Arbeit kann eine verständliche Reaktion auf die langfristigen Härten im Alltag der Arbeiterinnen und Arbeiter und eine gesunde Skepsis gegenüber den von Rechten und Linken vorgeschlagenen Lösungen darstellen.
In diesem Aufsatz wird die revolutionäre Situation in Barcelona untersucht und versucht, die Divergenz im Klassenbewusstsein zwischen militanten linken Arbeitern, die die Entwicklung der Produktivkräfte während der Spanischen Revolution unterstützten, und der großen Zahl nicht-militanter Arbeiter, die sich weiterhin gegen die Arbeit wehrten, zu zeigen, oft genauso wie sie es zuvor getan hatten. So wurden während der Spanischen Revolution verschiedene Arten von Klassenbewusstsein gegeneinander ausgespielt. Es geht nicht darum zu bestimmen, welches die „wahre“ Form des Klassenbewusstseins war, sondern darum zu zeigen, wie die Abneigung gegen die Arbeit die revolutionären Bestrebungen der Militanten untergrub und ihre Rechte als Vertreter der Arbeiterklasse in Frage stellte.
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Zweifelsohne hat die Abneigung gegen die Arbeit eine lange Geschichte, die weit vor dem Bürgerkrieg und der Revolution zurückreicht. Im 19. Jahrhundert hielten die katalanischen Arbeiter wie ihre französischen Kollegen die Tradition des dilluns sant (Heiliger Montag) aufrecht, eines inoffiziellen Feiertags, den viele Arbeiter ohne Genehmigung als Fortsetzung ihrer sonntäglichen Ruhezeit nahmen. Die Kämpfe um den Arbeitskalender dauerten bis ins 20. Jahrhundert an, sogar während der Zweiten Republik. Im Jahr 1932 zum Beispiel wollten die Arbeiter am zweiten Maitag nicht zur Arbeit gehen, da der erste Tag ein Sonntag gewesen war. Noch wichtiger war der ständige Kampf gegen die „Wiedererlangung“ von Feiertagen mitten in der Woche, wenn es sich um traditionelle Feiertage handelte. Trotz ihrer Abneigung gegen den Klerus und ihrer tiefen Entchristlichung hielten die katalanischen Arbeiterinnen und Arbeiter daran fest, diese Feste zu feiern. 1927 stellte der Arbeitgeberverband (Fomento del Trabajo Nacional) mit Sitz in Barcelona fest, dass Arbeitgeber, die versuchten, ihre Beschäftigten zu zwingen, andere Feiertage als die Sonntage nachzuholen, trotz des Gesetzes in ernsthafte Schwierigkeiten gerieten3. In der Praxis kam es im Frühjahr und Sommer 1927 zu mehrtägigen Streiks, um gegen die Feiertagsregelung zu protestieren. Im Jahr 1929 kämpften die Arbeiterinnen und Arbeiter erneut für die Beibehaltung ihrer traditionellen Feiertage. In der Provinz Barcelona war der Konflikt besonders heftig, da „der Druck der Arbeiterklasse die Wiedererlangung der gesetzlichen Feiertage unter der Woche behinderte“4. Die „sozialen Spannungen“ in Barcelona machten die Wiedererlangung dieser Feiertage unmöglich.
Die Arbeiterinnen und Arbeiter in Barcelona kämpften hart für eine kürzere Arbeitswoche und dies war der Hauptgrund für die zahlreichen Streiks während der Zweiten Republik. Ende 1932 und Anfang des darauffolgenden Jahres streikten die Arbeiterinnen und Arbeiter in der Holzindustrie für eine 44-Stunden-Woche. 1933 streikten die in der CNT organisierten Bauarbeiter fast drei Monate lang für eine 40-Stunden-Woche und erreichten Ende August eine 44-Stunden-Woche anstelle der zuvor geforderten 48 Stunden. Im Oktober 1933 setzten die Wasser-, Gas- und Elektrizitätsbranchen der CNT und der UGT die 44-Stunden-Woche durch, ohne dass Streiks nötig waren5. Als die 48-Stunden-Woche im November 1934 wieder eingeführt wurde, kam es zu Streiks, bei denen die Arbeiterinnen und Arbeiter die Fabriken nach 44 Stunden verließen.
Die Abneigung der Arbeiterinnen und Arbeiter gegen die Arbeit während der Zweiten Republik äußerte sich nicht nur kollektiv in Form von Arbeitsniederlegungen und Streiks, sondern auch in individuellen Aktionen wie Fernbleiben von der Arbeit, vorgetäuschten Krankheiten und Gleichgültigkeit. 1932 warfen Industrielle in der Textilindustrie ihren eigenen Vorarbeitern ungerechtfertigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz vor6. Der Stolz der mechanischen Bauindustrie Barcelonas, La Maquinista Terrestre y Marítima, behauptete, dass sich Arbeiterinnen und Arbeiter während eines Brückenbauprojekts in Sevilla ihre Wunden durch Selbstverstümmelung infizierten, um von ihrem Krankengeld zu profitieren. Daraufhin stieg die Versicherungsgesellschaft von La Maquinista aus. Die katalanischen Unternehmer lehnten eine allgemeine Unfall- und Entschädigungsversicherung generell ab, weil sie befürchteten, dass diese die Arbeiterinnen und Arbeiter dazu verleiten könnte, ihre Krankheit zu verlängern. Sie verließen sich auf die Erfahrungen der Versicherungsgesellschaften, die hinreichend bewiesen hatten, dass es vorgetäuschte Krankheiten gab, zu denen noch die Selbstbeschädigung hinzukam7. Die Äußerungen der katalanischen Industriellen während der rechtsgerichteten Bienio Negro (1934-35), dass die Arbeiterinnen und Arbeiter oft „den geringsten Arbeitswillen“ zeigten, könnte man als einen überraschenden Zufall bezeichnen. Während der gesamten 1930er Jahre kämpften die Bosse hart gegen die ständigen Forderungen der CNT und der UGT, die Akkordarbeit abzuschaffen.
Die anarchosyndikalistischen Militanten der CNT schafften die Akkordarbeit in ihren Kollektiven ab, als die Revolution ausbrach, als Reaktion auf den Putsch, aber fast sofort waren die anarchosyndikalistischen und marxistischen Militanten, die die Kontrolle über die Fabriken übernommen hatten, gezwungen, auf den Widerstand der Arbeiter zu reagieren.
Nach der Niederlage der Generäle am 18. Juli, in den Tagen vor der Revolution, forderte die CNT die Arbeiterinnen und Arbeiter wiederholt auf, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren. Am 26. Juli rief eine Notiz in der CNT-Zeitung Solidaridad Obrera die Busfahrer dazu auf, ihr Fernbleiben von der Arbeit zu rechtfertigen. Am 28. Juli forderte ein anderer Artikel alle Arbeiterinnen und Arbeiter der Hispano-Olivetti eindringlich auf, zur Arbeit zurückzukehren, und warnte, dass Sanktionen gegen diejenigen verhängt würden, die keinen guten Grund für ihr Fernbleiben von der Arbeit hätten. Obwohl Solidaridad Obrera am 30. Juli verkündete, dass die Arbeit in fast allen Branchen wieder aufgenommen worden war, rief die anarchosyndikalistische Zeitung am 4. August zur „Selbstdisziplin“ auf. Einen Tag später erinnert die Friseurgewerkschaft alle ihre Mitglieder daran, dass sie verpflichtet sind, 44 Stunden pro Woche zu arbeiten, und dass sie keine Verkürzung der Arbeitszeit zulassen wird. Von Beginn der Revolution an war die Abneigung gegen die Arbeit ein Problem für die Militanten der Gewerkschaften/Syndikate, die die Fabriken und Geschäfte in Barcelona verwalteten. Diese Abneigung gegen die Arbeit widersprach natürlich der anarchosyndikalistischen Theorie der Selbstverwaltung, die die Arbeiterinnen und Arbeiter dazu aufforderte, mit Beginn der Revolution die Kontrolle über ihren Arbeitsplatz zu übernehmen. Mit anderen Worten: Sowohl anarchosyndikalistische als auch marxistische Militante forderten die Arbeiterinnen und Arbeiter enthusiastisch auf, sich für ihre Rolle als Arbeiter einzusetzen. Sie wehrten sich auch gegen die Forderungen der gewerkschaftlichen/syndikalistischen Militante, die sich manchmal über die mangelnde Aufmerksamkeit für die Fabrikvollversammlungen und die fehlenden finanziellen Beiträge an die Gewerkschaften/Syndikate beschwerten. Tatsächlich argumentierten die Aktivisten, dass die einzige Möglichkeit, die Arbeiterinnen und Arbeiter an den Vollversammlungen teilnehmen zu lassen, darin bestand, sie während der Arbeitszeit und damit auf Kosten der Produktion einzuberufen. Das Kollektiv Construcciones Mecánicas änderte beispielsweise seine Pläne, Vollversammlungen sonntags abzuhalten, mit der Begründung, dass „niemand kommen würde“, und wählte stattdessen den Donnerstag8 aus. Im revolutionären Barcelona schienen die Arbeiterinnen und Arbeiter manchmal zu zögern, sich an ihrer eigenen Demokratie zu beteiligen.
Nach seinen eigenen Berechnungen (die mit Vorsicht zu genießen sind) vertrat die CNT im Mai 1936 nur 30 % der Industriearbeiterinnen und -arbeiter (gegenüber 60 % der Industriearbeiterinnen und -arbeiter im Jahr 1931). So traten die „Hunderttausende“ von Arbeiterinnen und Arbeitern, die angeblich wenig „Klassenbewusstsein“ hatten, auf der Suche nach sozialem Schutz und stabiler Arbeit in die Gewerkschaften/Syndikate ein9. H. Rudiger, ein Vertreter der I. Internationale (IAA)10 in Barcelona, schrieb im Juni 1937, dass die CNT vor der Revolution nur zwischen 150.000 und 175.000 Mitglieder in Katalonien hatte. In den Monaten nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs stieg die Zahl der CNT-Mitglieder auf fast eine Million an. Rüdiger kam zu dem Schluss, dass:
„Vier Fünftel von ihnen sind neue Mitglieder. Ein großer Teil von ihnen kann nicht als Revolutionäre angesehen werden. Du kannst jede Gewerkschaft/Syndikat als Beispiel dafür nehmen. Viele von ihnen könnten in der UGT sein.“11
Die militanten Syndikalisten versuchten, bestimmte Wünsche ihrer Mitglieder zu erfüllen. Wie bereits erwähnt, ging die Textil- und Bekleidungsgewerkschaft der CNT zu Beginn der Revolution auf eine Forderung ein, die schon Jahre zuvor erhoben worden war: die Abschaffung der Produktionsanreize, insbesondere der Akkordarbeit, die laut der Gewerkschaft/Syndikat „eine der Hauptursachen für die miserablen Arbeitsbedingungen“ der Arbeiterinnen und Arbeiter war. Ob es nun an der geringen Produktivität oder an der Gleichgültigkeit der Arbeiterinnen und Arbeiter lag, die Abschaffung der Akkordarbeit wurde jedoch bald von der Gewerkschaft/Syndikat selbst kritisiert:
„In den Industriezweigen unserer Gewerkschaft/Syndikat (CNT), in denen früher viel im Akkord gearbeitet wurde, ist die Produktivität mit der Einführung des festen Wochenlohns gesunken.
Angesichts dessen können wir unsere Ökonomie nicht auf eine solide Basis stellen und erwarten von allen Arbeiterinnen und Arbeitern (…), dass sie die Werkzeuge und neuen Materialien mit äußerster Sorgfalt einsetzen und ihre maximale produktive Leistung erbringen.“12
In den Gewerkschaften/Syndikate der Bekleidungsindustrie gab es während der gesamten Revolution immer wieder Probleme mit der Akkordarbeit. Das Schneiderkollektiv F. Vehils Vidals mit fast 450 Beschäftigten, das Hemden und Strickwaren herstellte und verkaufte, führte im Februar 1937 ein ausgeklügeltes Anreizsystem ein, um die Beschäftigten zu motivieren. 1938 wurde die Akkordarbeit in der neu gegründeten Gruppe der Schneiderwerkstätten wieder eingeführt und ein Schuhmacher, der Mitglied der Textilgewerkschaft,- syndikat CNT war, protestierte gegen die Wiedereinführung und drohte, die Arbeit niederzulegen. Im Mai 1938 wurden die Eisenbahnarbeiter und -arbeiterinnen in Barcelona über die fast vollständige Wiedereinführung der Akkordarbeit informiert.
„Die Anordnungen der Vorarbeiter müssen befolgt werden.
Die Arbeiter erhalten einen angemessenen Lohn pro gefertigtem Stück. Sie dürfen die Grundregel der Zusammenarbeit nicht vergessen und dürfen nicht versuchen, den Vorarbeiter zu betrügen.
Eine Liste der geleisteten Arbeit (…) muss monatlich vorgelegt werden, zusammen mit einem Bericht, der die erzielten Ergebnisse mit denen der Vormonate vergleicht und die Ausführung der Arbeit und ihre Abweichungen begründet.“13
Im August 1937 schlug der Technische Verwaltungsrat der Baugewerkschaft CNT eine Revision der anarchosyndikalistischen Lohntheorien vor. Der Vorstand stand vor folgendem Dilemma: Entweder die Arbeitsdisziplin wiederherstellen und den Einheitslohn abschaffen oder eine Katastrophe erleben. Der Vorstand erkannte die „bourgeoisen Einflüsse“ der Arbeiterinnen und Arbeiter an und sprach sich für die Wiedereinführung von Anreizen für Facharbeiter und Vorarbeiter aus. Kurzum, er empfahl, nur noch „rentable Arbeit“ zu verrichten: Die Arbeit sollte kontrolliert werden, die „Massen müssen moralisch umerzogen werden“ und ihre Arbeit sollte nach Wert und Qualität entlohnt werden.
Im Juli 1937 wurde in einer gemeinsamen Erklärung der CNT und der Gewerkschaft/Syndikates des Baugewerbes vereinbart, dass die Löhne proportional zur Produktion sein sollten. Die Techniker jeder Sektion würden eine „Mindestleistungsskala“ festlegen.
„Wenn ein Kamerad dieses Minimum nicht einhält, wird er sanktioniert und anschließend rausgeworfen, falls er rückfällig wird.“
Der CNT-UGT-Bericht empfahl die Veröffentlichung von Leistungstabellen sowie Propaganda, um die Moral zu steigern und die Produktivität zu erhöhen. Dies führte oft dazu, dass die Bauarbeiter zu wenig leisteten und nach Abschluss eines Projekts arbeitslos wurden.
Sowohl öffentlich als auch privat verteidigte die marxistische UGT die Position, die Löhne an die Produktion zu koppeln und Verstöße gegen die Regeln zu bestrafen. Am 1. Februar 1938 forderte die UGT ihre Mitglieder auf, keine Kriegsforderungen zu stellen, und mahnte sie zu härterer Arbeit. Außerdem berichtete die Gewerkschaft/Syndikat der Maurer der UGT am 20. November 1937, dass der Lohnkonflikt im Baugewerbe die Arbeit zum Stillstand gebracht hatte und sogar sabotiert worden war. Sie berichtete auch, dass einige Arbeiter sich weigerten zu arbeiten, weil ihr Lohn weniger als 100 Peseten pro Woche betrug. Die Gewerkschaft/Syndikat der Maurer bezeichnete diese Haltung der Arbeiter als „katastrophal und unzeitgemäß“14. Am 15. Dezember 1937 erklärte sie, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter mit den niedrigsten Löhnen sie mit den anderen gleichstellen wollten und dass die Festlegung von Mindestlöhnen zwischen ihnen und der CNT diskutiert wurde. Im Januar 1938 berichtete die Baugewerkschaft der UGT, dass der Präsident der CNT-Bauföderation die vorgeschlagene Lohnerhöhung von einer Verbesserung der Arbeitsdisziplin abhängig machen wollte.
Angesichts der zahlreichen Lohnforderungen wendeten die Gewerkschaften/Syndikate verschiedene Taktiken an, um die Produktivität zu steigern, und versuchten, die Löhne von der Produktion abhängig zu machen. Wenn die Löhne in gewerkschaftlich/syndikalistisch kontrollierten Kollektiven oder Betrieben erhöht wurden, wurde dies an eine entsprechende Produktionssteigerung geknüpft. Im Juli 1937 forderte die Gewerkschaft der Zinngießer der CNT, die Löhne an die Produktion zu koppeln. Die Gewerkschaft der CNT für Metallbau meldete am 11. Juni 1938, dass die Lohnerhöhungen proportional zum Anstieg der geleisteten Arbeitsstunden sein würden. Die kleine Bekleidungsfirma J. Lanau mit ihren 30 Arbeiterinnen und Arbeiter befand sich in einer ähnlichen Situation. Laut dem Buchhaltungsbericht vom November 1937 waren die meisten Arbeiterinnen und Arbeiter im Falle von Unfall, Krankheit und Mutterschaft versichert. Die Arbeiterinnen und Arbeiter behaupteten, ein gutes Verhältnis zu ihrem Chef zu haben und verfügten über einen Kontrollkomitee, das aus zwei Vertretern der CNT und einem der UGT bestand. Die Produktion lag jedoch unter 20%, und um das Problem zu lösen, empfahl der Buchhalter dem Betrieb, „die Produktionsquoten“ in den beiden Werkstätten und in der Verkaufsabteilung zu klären.
Lohnkonflikte und Diskussionen über die Akkordarbeit waren nicht die einzigen Probleme, die die Unzufriedenheit der Arbeiterinnen und Arbeiter offenbarten, und auch die Gewerkschaften/Syndikate sahen sich – genau wie die Bosse vor der Revolution – mit ernsten Problemen in Bezug auf das Arbeitsprogramm konfrontiert. Während der Revolution respektierte die katalanische Arbeiterklasse, der die Religion so gleichgültig war, weiterhin die traditionellen Feiertage in der Mitte der Woche. Die anarchosyndikalistische und kommunistische Presse kritisierte oft die starke Verteidigung dieser Traditionen, die – wie wir gesehen haben – in der Kultur der Arbeiterklasse verankert zu sein schienen. Solidaridad Obrera im Januar 1938 und Síntesis (die gemeinsame Publikation des Cros-Kollektivs CNT-UGT) vom Dezember 1936 verkündeten, dass religiöse und traditionelle Feiertage nicht als Vorwand für Arbeitsausfälle genutzt werden dürfen. Die Feier religiöser Feiertage an Arbeitstagen (Beobachter sahen nie einen nennenswerten Einfluss der Sonntagsmesse unter den Arbeiterinnen und Arbeiter in Barcelona) sowie Absentismus und Unpünktlichkeit deuteten jedoch auf einen ständigen Wunsch hin, der Fabrik zu entfliehen, auch wenn sie rationalisiert oder demokratisiert wurde.
Kämpfe um die Arbeitszeiten und Feiertage waren häufig. Im November 1937 weigerten sich mehrere Eisenbahner, am Samstagnachmittag zu arbeiten und wurden von der UGT sanktioniert. Der Zentrale Kontrollkomitee der Gas- und Elektrizitätsarbeiter wollte eine Liste der Arbeiterinnen und Arbeiter, die am Neujahrstag 1937 ihre Arbeit niedergelegt hatten, um gegen sie vorgehen zu können15. Am 4. Oktober 1937 gaben CNT-Vertreter auf einer offiziellen Sitzung des Rates für Gas und Elektrizität zu, dass einige ihrer Mitglieder den Arbeitsplan nicht einhielten. Als einer der UGT-Delegierten fragte, ob die Konföderation (A.d.Ü., gemeint ist die CNT) den Arbeitskalender erfüllen könne, antwortete der CNT-Vertreter:
„Ich fürchte nicht. Sie (die undisziplinierten Arbeiter) werden die gleiche Haltung wie immer beibehalten und keine Kompromisse eingehen wollen (…) Es ist sinnlos, irgendetwas zu versuchen, denn sie ignorieren die Vereinbarungen und Anweisungen der Komitees, der Sektionskommissionen usw. Sie schenken keine Beachtung, ob die Anweisungen von der einen (anarchosyndikalistischen) oder der anderen (marxistischen) Gewerkschaft/Syndikat kommen“.
In vielen Industriezweigen waren die Gefährtinnen und Gefährten oft „krank“. Im Februar 1937 erklärte die Gewerkschaft/Syndikat der Metallarbeiter freimütig, dass einige Arbeiterinnen und Arbeiter von Arbeitsunfällen profitierten. Im Dezember 1936 beschwerte sich ein führender Militanter der der Gewerkschaft für Blech (A.d.Ü., hojalata) über „die Unregelmäßigkeiten, die in fast allen Werkstätten in Bezug auf Krankheitsurlaub und Arbeitszeiten begangen werden“. Im Januar 1937 berichtete ein anderer Blechschmied von „Zügellosigkeit“ in mehreren Werkstätten:
„Es gibt viele Arbeiter, die einen Tag oder einen halben Tag ausfallen lassen, nur weil es ihnen gefällt und nicht weil sie krank sind.“16
Die technische Kommission der Maurer der CNT machte auf den Fall eines Arbeiters aufmerksam, der mit einem „Epileptiker“-Zertifikat bei einem Besuch von Mitgliedern dieser Kommission erwischt wurde, während er seinen Garten reparierte17.
Diebstähle wurden in Werkstätten und Kollektiven verzeichnet. Die Gewerkschat/Syndikate für nicht eisenhaltiges Metal der CNT behauptete, dass ein Gefährte, der in einer von der CNT kontrollierten Fabrik arbeitete, Werkzeuge mitnahm, als er zur Armee ging. Im Dezember 1936 meldete die mechanische Abteilung der berühmten Durruti-Kolonne der Gewerkschaft/Syndikat der Metallarbeiter von Barcelona, dass ein Gefährte „vielleicht versehentlich“ Arbeitswerkzeuge mitgenommen hatte, und forderte die Gewerkschaft/Syndikat auf, ihn dazu zu bringen, die gestohlenen Geräte so schnell wie möglich zurückzugeben. Die Gewerkschaft/Syndikat der Schuhmacher der CNT registrierte weitere Diebstähle. Einige militante Gewerkschaftler/Syndikalisten und Vorarbeiter der Kollektive wurden häufig der Unterschlagung und Veruntreuung von Geldern beschuldigt18.
Angesichts von Sabotage, Diebstahl, Fehlzeiten, Unpünktlichkeit, angeblichen Krankheiten und anderen Formen des Widerstands der Arbeiterinnen und Arbeiter gegen die Arbeit und den Arbeitsplatz arbeiteten die Gewerkschaften/Syndikate und Kollektive zusammen, um strenge Regeln und Vorschriften aufzustellen, die der kapitalistischen Kontrolle der Unternehmen gleichkamen und sie sogar übertrafen. Am 18. Juni 1938 verzeichneten die CNT- und UGT-Vertreter des Kollektivs Gonzalo Coprons y Prat, das Militäruniformen herstellte, einen gravierenden Produktionsrückgang, für den sie keine „zufriedenstellende Erklärung“ hatten. Die Gewerkschaftsvertreter forderten die Einhaltung der Produktionsquoten, des Arbeitsplans, eine strenge Kontrolle der Abwesenheiten und „die Festigkeit der moralischen Autorität der Techniker“19. Das Schneiderkollektiv F. Vehils Vidal, das ein ausgeklügeltes Anreizsystem für seine 450 Beschäftigten eingerichtet hatte, verabschiedete auf der Generalvollversammlung am 5. März 193820 bald ein strenges Maßnahmenpaket. Ein Arbeiter war für die Überwachung der Fehlzeiten zuständig, und mehrfaches Zuspätkommen bedeutete die Entlassung. Die Gefährtinnen und Gefährten, die krank waren, wurden von einem Vertreter des Kollektivrats besucht. Wenn sie nicht zu Hause waren, wurden sie entlassen. Es war verboten, das Kollektiv während der Arbeitszeit zu verlassen, und alle Arbeiten, die im Kollektiv erledigt wurden, waren für das Kollektiv erforderlich, sodass persönliche Projekte verboten waren. Gefährtinnen und Gefährten, die die Läden mit Paketen verließen, waren verpflichtet, diese den Wachleuten zu zeigen, die sie kontrollierten. Wenn ein Arbeiter Diebstahl, Betrug oder etwas anderes Unehrliches beobachtete, musste er es melden, wenn er nicht im Falle einer Unterlassung dafür verantwortlich gemacht werden wollte. Die Techniker mussten wöchentlich einen Bericht über Mängel und Verstöße in ihren Abteilungen erstellen. Es war nicht erlaubt, die „Ordnung innerhalb oder außerhalb des Unternehmens“ zu stören, und alle Beschäftigten, die nicht an den Vollversammlungen teilnahmen, wurden entlassen.
Andere Kollektive in der Bekleidungsindustrie führten ähnliche Maßnahmenpakete ein. Im Februar 1938 legte der CNT-UGT-Rat von Pantaleoni Hermanos ein intensives Arbeitsprogramm und Sanktionen für diejenigen fest, die zu spät zur Arbeit kamen. Ein Gefährte sollte für das Ein- und Auschecken zuständig sein. Zugewiesene Aufgaben und Regeln mussten ohne „Kommentare“ und innerhalb der vorgegebenen Zeit akzeptiert werden. Alle Bewegungen, auch innerhalb der Fabrik, mussten vom Sektionsleiter genehmigt werden, und bei Verstößen konnten Sanktionen verhängt werden, indem die Arbeiterinnen und Arbeiter suspendiert und 3 bis 8 Tageslöhne abgezogen wurden. Werkzeuge durften nicht ohne die Genehmigung des Kollektivs mitgenommen werden, und für alle Arbeiterinnen und Arbeiter wurde eine Probezeit von einem Monat festgelegt.
Der Kontrollkomitee der CNT-UGT in der Firma in Rabat warnte, dass jeder Gefährte und jede Gefährtin, der der Arbeit fernblieb und nicht krank war, seinen Lohn verlieren würde. Die Arbeiterinnen und Arbeiter dieser Firma, die meisten von ihnen Frauen, wurden gewarnt, dass Ungehorsam zum Verlust ihres Arbeitsplatzes führen könnte, und das in einer Branche, in der die Arbeitslosenquote bekanntlich hoch ist. Die Firma warnte alle Arbeiterinnen und Arbeiter, dass sie unter Androhung der Entlassung an Vollversammlungen teilnehmen müssten und dass sich Gespräche während des Arbeitstages nur auf die Arbeit beziehen dürften. Andere Kollektive wie Artgust, die ihre Beschäftigten erfolglos aufgefordert hatten, die Produktion zu erhöhen, verschärften ebenfalls ihre Regeln und verboten Gespräche, Zuspätkommen und sogar das Telefonieren. Im August 1938 verbot die Vollversammlung der Casa A. Lanau in Anwesenheit von Vertretern der CNT, der UGT und der Generalitat ausdrücklich das Fernbleiben von der Arbeit, das Vortäuschen von Krankheiten und das Singen während der Arbeitszeit. Die Lagerhäuser von Santeulália kontrollierten alle Pakete, die in ihrem Werk ein- und ausgingen. Die Gewerkschaften/Syndikate UGT und CNT in Badalona – einer Stadt im Industriegürtel Barcelonas – initiierten eine Krankenstandskontrolle und vereinbarten, dass alle Arbeiterinnen und Arbeiter Abwesenheiten begründen mussten, die angesichts der auf 48 Stunden verkürzten Arbeitswoche „unverständlich“ und missbräuchlich waren21.
Die Strenge dieser Regeln und Vorschriften war möglicherweise eine der Folgen des Rückgangs der Produktion und der Disziplin in vielen Textil- und Bekleidungsbetrieben. Am 15. Juni 1937 erstellte der CNT-UGT-Buchhalter von Casa Mallafré einen Bericht über die Schneidereien. Er kam zu dem Schluss, dass die Leitung des Kollektivs ehrlich war und ethisch gehandelt hatte, dass aber die Produktion „der heikelste Teil des Problems“ war und dass „in der Produktion das Geheimnis des kommerziellen und industriellen Scheiterns oder Erfolgs liegt“. Die Produktion in den Werkstätten blieb also auf einem extrem niedrigen Niveau, und der Buchhalter warnte, dass sie – selbst wenn sie kollektiviert oder sozialisiert würde – scheitern könnte. Die normale Produktion reichte immer noch nicht aus, um die Wochenlöhne zu decken, und müsste erhöht werden, wenn das Unternehmen überleben sollte. Ein anderes Kollektiv der CNT-UGT-Bekleidungsindustrie, Artgust, schrieb am 9. Februar 1938: „Trotz unserer ständigen Forderungen an das Fabrikpersonal ist es uns noch nicht gelungen, die Produktion zu verbessern“22. Artgust forderte die CNT und die UGT auf, vor dem Missverhältnis zwischen hohen Kosten und niedriger Produktivität zu warnen.
In vielen Kollektiven wurden Arbeiterinnen und Arbeiter entlassen oder suspendiert. Ein Gefährte in einer CNT-Schuhwerkstatt wurde wegen der niedrigen Produktion aufgefordert, seinen Arbeitsplatz zu verlassen. Ein unzufriedener Schneider, der darum gebeten hatte, an einen anderen Arbeitsplatz versetzt zu werden, griff einen Kollegen körperlich an, beleidigte den Betriebsrat und bedrohte den Geschäftsführer und einen Techniker. Er wurde im Juni 1938 von seinem Job suspendiert23. Eine Militante der Gruppe Mujeres Libres der CNT wurde der Unmoral, des ungerechtfertigten Fernbleibens und sogar der Kuppelei unter ihren Gefährtinnen beschuldigt, die Disziplinarmaßnahmen gegen sie forderten. Dieser Vorwurf der „Unmoral“ war während der Spanischen Revolution häufig zu hören und zeigt, dass für Syndikalistinnen und Syndikalisten Misserfolge oder Fehler bei der Arbeit „unmoralisch“ oder einfach pervers waren. Auch Aktivitäten, die nicht direkt mit der Produktion zusammenhingen, wurden als schädlich angesehen. Die Militanten der CNT wollten der „Unmoral“ ein Ende setzen, indem sie die Schließung von Vergnügungsstätten wie Bars oder Musik- und Tanzlokalen um zehn Uhr nachts erzwangen24. Prostituierte sollten durch Arbeitstherapie reformiert werden, um die Prostitution wie in der Sowjetunion zu beseitigen. Sex und Schwangerschaften sollten bis nach der Revolution in den Hintergrund verdrängt werden25.
Die Gewerkschaften der Metallarbeiter CNT-UGT versuchten, die Disziplinlosigkeiten, die in mehreren Kollektiven aufgetreten waren, zu kontrollieren. Im Jahr 1938 wurde erneut ein Arbeiter aus einem Kollektiv wegen „Unmoral“ entlassen, d.h. weil er unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben war. Ein anderes Kollektiv wollte eine „gewissenlose“ Frau entlassen, die wiederholt falsche Entschuldigungen für ihr Fernbleiben von der Arbeit angegeben hatte26. Im August 1936 warnte die Gewerkschaft der Metallarbeiter der CNT Gefährten, die die ihnen zugewiesenen Aufgaben nicht erfüllten, dass sie „ohne jede Rücksicht“ ersetzt würden. Wie in der Textilbranche gaben mehrere Kollektive in der Metallbranche Kontrollblätter für den Krankenstand heraus:
„Der Rat ist verpflichtet, den Krankenstand durch einen Gefährten zu kontrollieren, den jeder in seine Wohnung einlassen muss (…) Die Kontrolle kann mehrmals am Tag erfolgen, so oft der Rat es für notwendig hält.“27
Das Kollektiv der Aufzugs- und Industrieanlageninstallateure erklärte, dass jeder Versuch, den Krankenstand zu betrügen, mit einem Rauswurf bestraft würde. Am 1. September 1938 wies die Vollversammlung des Unternehmens Masriera i Carreras, das eine UGT-Mehrheit hatte, darauf hin, dass „einige Gefährten die Angewohnheit haben, jeden Tag 15 Minuten zu spät zur Arbeit zu kommen“, und beschloss einstimmig, für jede fünf Minuten Verspätung eine halbe Stunde Lohn pro Tag abzuziehen. Im Januar 1937 legte die Gewerkschaft/Syndikat der Lampenarbeiter fest, dass ein Arbeiter, der eine halbe Stunde zu spät kommt, die Hälfte seines Lohns verliert. Im Juli 1937 legte das Kollektiv Construcciones Mecánicas eine Strafe von 15 Minuten Lohnabzug für das Händewaschen oder Anziehen vor Ende des Arbeitstages fest. Im öffentlichen Dienst waren die Probleme ähnlich gelagert. Am 3. September 1937 stellte der Generalrat der Gas- und Elektrizitätsindustrie einen Produktionsrückgang fest und erklärte, dass das Gemeinwohl gegen eine Minderheit verteidigt werden müsse, der es an „Moral“ fehle. Bei häufigem Fernbleiben oder Unpünktlichkeit konnten Arbeiterinnen und Arbeiter suspendiert oder entlassen werden. Arbeitervollversammlungen waren während der Arbeitszeit ausdrücklich verboten, und der Rat erklärte, dass er bei Bedarf disziplinarische Maßnahmen ergreifen würde.
Im Januar 1938 legte der Ökonomische Rat der CNT „die Pflichten und Rechte des Produzenten“ fest:
„Bei allen Tätigkeiten ist die Person, die die Arbeit verteilt, offiziell verantwortlich (…) für die Quantität, die Qualität und das Verhalten der Arbeiter.“
Diese verantwortliche Person war befugt, einen Arbeiter wegen „Faulheit oder Unmoral“ zu entlassen, und andere Vorarbeiter sollten die kleinsten Vorfälle „verdächtigen Ursprungs“ daraufhin überprüfen, ob sie echt oder „vorgetäuscht“ waren:
„Alle Arbeiter und Angestellten müssen eine Karte haben, in der die Einzelheiten ihres beruflichen und sozialen Charakters eingetragen werden.“28
Die Gewerkschaften/Syndikate ergänzten ihre Zwangsvorschriften und -regelungen mit umfangreichen Propagandakampagnen, um ihre Mitglieder zu überzeugen und zu zwingen, härter zu arbeiten. Diese Propaganda machte deutlich, dass niedrige Produktivität und Disziplinlosigkeit weit verbreitet waren. Das Kollektiv Vehils Vidal rief eindringlich zu „Liebe zur Arbeit, Aufopferung und Disziplin“ auf. Das CNT-UGT-Kollektiv Pantaleoni Hermanos rief seine Beschäftigten auf, „sich der Arbeit zu widmen“. Die Schuhmacher forderten „Moral, Disziplin und Aufopferung“29. Im April 1937 veröffentlichte die Zeitschrift des großen Textilunternehmens Fabra i Coats eine ganze Seite, in der sie ihre Arbeiterinnen und Arbeiter aufforderte, „zu arbeiten, zu arbeiten und zu arbeiten“30. Die CNT warnte ihre Mitglieder oft davor, Freiheit mit Zügellosigkeit zu verwechseln und wies darauf hin, dass diejenigen, die nicht hart arbeiteten, Faschisten seien31. Die Konföderation erkannte, dass Arbeiterinnen und Arbeiter oft eine bourgeoise Mentalität hatten, weil sie nicht so hart arbeiteten, wie sie sollten. Nach Ansicht der CNT mussten sich die Arbeiterinnen und Arbeiter zwischen sofortigen Vorteilen und echten Verbesserungen in der Zukunft entscheiden. Die Zeit der Selbstdisziplinierung war gekommen.
Im Februar 1937 erklärte das Kollektiv Marathon CNT-UGT, ein Hersteller von Automotoren, in seiner Zeitung Horizontes:
„Es gibt viele Arbeiterinnen und Arbeiter, die in der Kollektivierung nichts anderes sehen als einen einfachen Wechsel der Begünstigten und die vereinfachend glauben, dass sich ihr Beitrag zur Fabrik (…) darauf beschränkt, ihre Dienste in der gleichen Weise zu erbringen wie zu Zeiten, als die Fabrik privat war. Sie sind nur an den Löhnen am Ende des Monats interessiert“.
Im Mai 1937 versuchten die Militanten von Marathon, ihre Mitglieder davon zu überzeugen, dass sie das Beste aus den Maschinen machen sollten, die sie einst verabscheuten.
Im Januar 1938 veröffentlichte die CNT-Zeitung Solidaridad Obrera einen Artikel mit dem Titel: „Strenge Disziplin wird am Arbeitsplatz durchgesetzt“, der von den Zeitungen der CNT und UGT mehrfach nachgedruckt wurde:
„Leider gibt es einige, die die Bedeutung des heroischen Kampfes, den das spanische Proletariat führt, verwechselt haben.
Sie sind weder Bourgeois, noch Militärs, noch Priester, sondern Arbeiter, echte Arbeiter, Proletarier, die es gewohnt sind, brutale kapitalistische Repression zu ertragen.…
Ihr undiszipliniertes Verhalten am Arbeitsplatz hat das normale Funktionieren der Produktion gestört (…) Früher, als die Bourgeoisie zahlte, war es logisch, ihren Interessen zu schaden, die Produktion zu sabotieren und so wenig wie möglich zu arbeiten (…) Aber heute ist es ganz anders (…) Die Arbeiterklasse beginnt mit dem Aufbau einer Industrie, die als Grundlage für die neue Gesellschaft dienen kann.“
In einem vertraulichen Gespräch mit CNT Mitgliedern des Optikerkollektivs stimmte Ruiz y Ponseti, einer der wichtigsten UGT-Anführer und ein prominenter Kommunist, zu, dass das Verhalten der Arbeiterinnen und Arbeiter der schädlichste Faktor für die Kollektive sei. Laut diesem UGT-Anführer waren die Arbeiterinnen und Arbeiter, auch wenn er es nicht öffentlich erklärte, einfach nur „Massen“, deren Kooperation leider für den Erfolg der Unternehmen notwendig war32.
Im revolutionären Barcelona waren die Anführer und Militanten der Organisationen, die behaupteten, die Arbeiterklasse zu vertreten, also gezwungen, den hartnäckigen Widerstand der Arbeiter zu bekämpfen. Der anhaltende Kampf der Arbeiter gegen die Arbeit in einer Situation, in der Arbeiterorganisationen die Produktivkräfte lenkten, wirft die Frage auf, inwieweit diese Organisationen wirklich die Interessen der Arbeiterklasse vertraten. Es scheint, dass die CNT, die UGT und die PSUC (Katalanische Kommunistische Partei) den Standpunkt derjenigen widerspiegelten, die diese Organisationen als „bewusste“ Arbeiter betrachteten. Diejenigen, denen das „Klassenbewusstsein“ fehlte und die in der Überzahl waren, hatten keine formelle oder organisierte Vertretung. Diese Arbeiterinnen und Arbeiter schwiegen aus naheliegenden Gründen weitgehend über ihre Arbeitsverweigerung. Schließlich war ihre Arbeitsverweigerung subversiv in einer Revolution und einem Bürgerkrieg, in dem eine neue herrschende Klasse eifrig an der ökonomischen Entwicklung arbeitete. Das Schweigen der Arbeiterinnen und Arbeiter war eine Form der Verteidigung und eine bestimmte Art des Widerstands, aber das verhindert seine Quantifizierung. Ein großer Teil dieses Widerstands wurde nicht gezählt oder aufgezeichnet.
Die Geschichte ihrer Arbeitsverweigerung lässt sich zum Teil aus den Protokollen der Vollversammlungen der Kollektive rekonstruieren und paradoxerweise auch aus der Kritik der Organisationen, die behaupteten, die Klasse zu vertreten. Die Kämpfe gegen die Arbeit offenbaren eine Distanz und Trennung zwischen den Militanten, die sich für die Entwicklung der Produktionsmittel einsetzten, und der großen Mehrheit der Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich nicht für das Ideal der Militanten aufopfern wollten. Während die Militanten das Klassenbewusstsein mit der Kontrolle und Entwicklung der Produktivkräfte, der Schaffung einer produktivistischen Revolution und der übermenschlichen Anstrengung, den Krieg zu gewinnen, gleichsetzten, bestand der Ausdruck des Klassenbewusstseins vieler Arbeiterinnen und Arbeiter darin, die Arbeit und ihre Zeitpläne zu meiden, wie es vor der Revolution oft der Fall gewesen war.
1In diesem Artikel wurde die Untersuchung der französischen Volksfront beiseite gelassen, da sie als weiter von unserer Geschichte entfernt gilt. In jedem Fall ist die Schlussfolgerung dem Fall von Barcelona während der spanischen Revolution sehr ähnlich.
2Zur marxistischen Geschichtsschreibung vgl. Georg Lukacs, History and Class Consciousness (Cambridge, Mass. 1971), 46-82; Georg Rudé, Ideology and Popular Protest (New York, 1980), 7-26; vgl. auch die jüngste Neuformulierung von Lukacs‘ Position in Eric Hobsbawn, Workers: Worlds of Labor (New York, 1984), 15-32. Die Ansichten der Modernisierungstheoretiker finden sich in Peter N. Stearns, Revolutionary Syndicalism and French Labor: A Cause without Rebels (New Brunswick, NJ 1971) und idem, Lives of Labour: Wolk in a Maturing Industrial Society (New York, 1975). Für eine Kritik an Lukacs‘ Ansatz siehe Richard J. Evans (Hrsg.), The German Working Class (London 1982), 26-27.
3Fomento del Trabajo Nacional, actas, 15 abril 1932; Fomento, actas, 14 febrero 1927
4Federación de Fabricantes de Hilados y Tejidos de Cataluña, Memoria (Barcelona 1930)
5Albert Balcells, Crisis económica y agitación social en Cataluña de 1930 a 1936 (Barcelona 1971), 218
6Federación de Fabricantes, Memoria (Barcelona 1932)
7Alberto del Castillo, La Maquinista Terrestre y Marítima: Personaje histórico, 1855-1955 (Barcelona 1955), 464-65. Fomento, Memoria, 1932, 143
8Actas de Juntas de los militantes de las Industrias Construcciones Mecánicas, 25 febrero 1938, carpeta (a partir de ahora c.) 921, Servicios Documentales, Salamanca (a partir de aquí SD).
9Balcells, Crisis, 196; Albert Pérez Baró, 30 meses de colectivismo en Cataluña (Barcelona 1974), 47
10Hier verwechselt der Autor die I. Internationale die 1864 gegründet wurde mit der anarchosyndikalistischen Internationale die 1922 in Berlin gegründet wurde, beide tragen auf Spanisch dasselbe Akronym, nämlich AIT.
11H. Rudiger, „Materiales para la discusión sobre la situación española“. Rudolf Rocker Archives, nº 527-30, Instituto Internacional de Historia Social, Amsterdam. El muestreo por mi realizado sobre 70 trabajadores dio resultados algo diferentes. El 54% de los obreros escogidos se afilió a la CNT después de junio de 1936. De cualquier modo, casi todos los demás, el 42%, se afilió a la Confederación después de marzo de 1936. Solo el 4% estaba ya afiliado antes de 1936. Este fenómeno ha sido analizado por Balcells como la «recuperación sindical bajo el Frente Popular».
12Boletín de Información, 9 abril 1937
13Red Nacional de Ferrocarriles, Servicio de Material y Tracción, Sector Este, mayo 1938, c. 1043, SD.11 1051, SD.
14Libro de actas del Comité UGT, Sociedad de Albañiles y Peones, 20 noviembre 1937, c. 1051, SD.
15Carta del Consejo Obrero, MZA, Sindicato Nacional Ferroviario UGT, 24 noviembre 1937, c. 467, SD; Actas de la reunión del Pleno, 1 enero 1937, c. 181, SD.
16Sindicato de la Industria Sidero-Metalurgia, Sección lampista, Asamblea General, 25 diciembre 1936, c. 1453, SD.
17Boletín del Sindicato de la Industria de Edificación, Madera y Decoración, 10 noviembre 1937.
18Actas de la reunión de Junta de Metales no-ferrosos CNT, 18 agosto 1938, c. 847, SD; Sección mecánica, CNT-FAI, Columna Durruti, Bujaraloz, 13 diciembre 1936, c. 1428, SD; Actas de la Sección de Zapatería, 15 mayo 1938, c. 1436, SD. 1099, SD.
19Gonzalo Coprons y Prat, Empresa Colectivizada, Vestuarios militares, c. 1099, SD.
20Esta información está basada en el Projecte de Reglamentació interior de l’empresa, c. 1099, SD.
21Projecte d’estatut interior per el cual hauran de regir-se els treballadors, c. 1099, SD; Assemblea ordinaria dels obrers de la casa «Artgust», 6 setiembre 1938, c. 1099, SD; Acta aprobada por el personal de la casa «Antonio Lanau», 15 agosto 1938, c. 1099, SD; Magetzems Santeulália, c. 1099, SD; Boletín del Sindicato de la Industria Fabril y Textil de Badalona y su radio, febrero 1937. 1099, SD.
22Carta de Artgust a la Sección Sastrería CNT, 9 febrero 1938, c. 1099, SD.
23Actas de la Sección de Zapatería, 29 setiembre 1938, c. 1436, SD; Carta del Consejo de Empresa al Sindicato de la Industria Fabril CNT, Sección sastrería, 23 junio 1938, c. 1099, SD.
24Las diez de la noche es una hora bastante temprana para Barcelona. Actas de los metalúrgicos de CNT, 11 marzo 1937, c. 1179, SD. Carta del Comité de la fábrica nº 7, (n.d.) c. 1085, SD.
25Dr. Félix Martí Ibáñez, Obra: Diez meses de labor en sanidad y asistencia social (Barcelona 1937), 77; «Ruta», 1 enero 1937.
26Carta del Comité de Control, 16 julio 1938, c. 505, SD; Carta fechada el 29 noviembre 1938, c. 505, SD.
27Fábrica de artículos de material aislante, Normas para el subsidio de enfermedades, 1937, Archivos Pujol, Barcelona.
28José Peirats, La CNT en la Revolución española, 3 vols. (París 1971), 3; Boletín del Sindicato de la Industria de la Edificación, Madera y Decoración, 10 setiembre 1937.21.
29Projecte Reglamentació Interior, 5 marzo 1938, c. 109, SD; Projecte d ́estatut interior per el cual hauran de regir-se els treballadors, febrero 1938, c. 1099, SD; Actas de la Sección zapatería, 15 mayo 1938, c. 1436, SD.
30Revista dels Treballadors de Filatures Fabra i Coats, abril 1937
31Revista dels Treballadors de Filatures Fabra i Coats, abril 1937 Boletín del Sindicato de la Industria de la Edificación, Madera y Decoración, 10 setiembre 1937.
32Revista dels Treballadors de Filatures Fabra i Coats, abril 1937 Boletín del Sindicato de la Industria de la Edificación, Madera y Decoración, 10 setiembre 1937.Véase Informe Confidencial, 27 enero 1938, c. 855, SD.