Anarchistische Büchermesse Berlin-Kreuzberg 2024
Wir verkünden mit großer Freude, dass vom 05. September bis zum 08. September 2024 im NewYorck im Bethanien 2 B, 10997 Berlin-Kreuzberg 36, eine anarchistische Büchermesse stattfinden wird. Das letzte Mal das in Berlin, unserer Kenntnis nach, so was stattfand, war im Jahr 2016, als die Tage der anarchistischen Ideen und Publikationen stattfanden. Es sind nicht nur allzu viele Jahre seitdem vergangen, sondern überhaupt ist es wichtig wieder in Berlin ein regelmäßig stattfindendes Ereignis zu organisieren, was die Verbreitung anarchistischer und revolutionärer Ideen angeht. Die Büchermesse soll also nicht als was ephemeres, sondern als ein kontinuierliches Ereignis verstanden werden, was jedes Jahr stattfinden soll. Seit Anfang der 2010er trugen anarchistische Büchermessen in ganz Europa, von der iberischen Insel bis zum Balkan, zu einen mehr als willkommen zu heißenden Wiederbeleben anarchistischer Ideen und Praxen bei. Nicht nur die Verbindung und Bezugnahme zwischen Gefährtinnen und Gefährten entlang des ganzen Globus war die Folge, sondern auch eine Internationalisierung von Debatten. Und dies wollen auch wir mit dieser Büchermesse erreichen.
Es gibt viele Gründe um in Berlin und sonst wo anarchistische Büchermessen zu machen, um anarchistischen Büchern, ergo anarchistischen Ideen, mehr Raum zu geben, aber ist es genau nur das, was wir wollen? Reicht es uns aus ein paar Büchertische hinzustellen, ein paar Lesungen zu Büchern zu halten, ein bisschen rumzuhängen? Nein es reicht nicht aus, denn was wir wollen, sind vor allem Debatten, die in der Praxis münden müssen, zu intensivieren. Bücher und sämtliche schriftliche Erzeugnisse sind daher wichtige Vehikel, die uns alle verbinden können, dennoch sind Bücher selbst nichts, es sind die Inhalte, die sie mittragen, die nützlich sind, es ist die Praxis die eine reale Bewegung formt. Bei den Inhalten handelt es sich um alle möglichen Themen und Fragen, die aber in einer Debatte, zur Diskussion stehen müssen. Das Ziel dieser Debatte, dieser Diskussionen, die wir hier und auf der ganzen Welt führen müssen, verfolgt nur ein Ziel, nämlich der Welt des Kapitalismus ein Ende zu setzen, diese aus ihren Fugen herauszuheben. Dies geschieht mittels der Praxis des Aufstandes, des Klassenkrieges, des sozialen Krieges um in einer weltweiten sozialen Revolution zu münden. Also die intensive Debatte unter Anarchistinnen, Anarchisten und sämtlichen Revolutionären, die dem Staat-Nation, dem Kapital, dem Patriarchat ein sofortiges Ende bringen werden.
Wir werden daher zusätzlich zu der Notwendigkeit spezifische Debatten zu intensivieren, auch inhaltliche Schwerpunkte für die Büchermesse haben.
– Die Haltung zum Krieg (in der Ukraine und sonstwo)
– Die Auseinandersetzung mit den Thema Nationalismus-Nation-Volk-Staat, die nicht voneinander zu trennen sind.
– Die Verbreitung anarchistischer und revolutionärer Ideen via Bücher, Propaganda, Praxis, etc.
Man könnte ja denken, dass die anarchistische Bewegung in vielen Fragen schon zu einer kohärenten Antwort/Haltung gekommen sei, aber wie der Spruch unter einigen Anarchistinnen und Anarchisten zu sagen vermag, es gibt nichts radikaleres als die Realität und dies ist wieder zum Ausdruck gekommen. Ein sehr missverstandener Spruch, denn nach wie vor stellen sich vermeintliche Anarchistinnen und Anarchisten auf die Seite des Staates-Nation, sind ja einige, den sie angeblich zu bekämpfen meinen. Worüber reden wir gerade? Meinen wir Katalonien, Kurdistan, die Mapuche, Palästina, Ukraine oder so viele andere vergangene und gegenwärtige Beispiele? Reden wir über die Teilnahme an Wahlen, die Unterstützung von Parteien, den Schutz der Demokratie (ergo des kapitalistischen Staates), das Legitimieren des Gewaltmonopols, oder alles zugleich? Dies konnten wir auch in Bezug zum Corona-Virus sehen, nicht nur in welche „Ohnmacht“ eine anarchistische Bewegung zu verfallen in der Lage ist, sondern mit was für einem Impetus sie in der Lage ist für die Legitimierung des Staates zu sein. Aber was kann all dies noch mit Anarchismus, noch mit einer anarchistischen Bewegung zu tun haben? Ganz einfach, gar nichts.
Aber worauf wollen wir mit all dem denn hinaus, was hat dies apropos mit dem oben erwähnten Spruch an sich und was hat dies mit dieser Anarchistischen Büchermesse zu tun? Ganz einfach, die Realität holt immer alle ein, die sich ihrer Sache nicht im Klaren sind, was dazu führt, dass sie Positionen verteidigen, die eigentlich nicht die ihren sind. Das sehen wir in den oben erwähnten Beispielen am besten. Die Realität holt alle ein, die meinen so unglaublich radikal zu sein, wo sie doch ihre Positionen nur auf Idealismus und Sand aufgebaut haben und was daraus resultiert, sind Positionen und Haltungen die nur dem Reformismus und der Konterrevolution dienen.
Dies führt uns zur Notwendigkeit von Debatten die in Praxis münden müssen um die Verwirrung des gegenwärtigen Moments aufzuheben.
Daher sollen die Schwerpunkte der Büchermesse auch den Fragen zum Krieg im Allgemeinen und zu spezifischen Kriegen, gegenwärtigen wie historischen, sein und alles, warum diese dem kapitalistischen Staat-Nation inhärent sind, warum unser Verhältnis dazu nur der einer unversöhnlichen Feindschaft ist. Also nicht nur die Agitation, die Propaganda, sondern inhaltliche Positionen sind von immenser Bedeutung und Notwendigkeit. Was bedeutet es für die anarchistische Bewegung, beziehungsweise was sagt es über diese aus, wenn sich Menschen, die sich selbst als Anarchistinnen und Anarchisten bezeichnen, an innerbourgeoise Kriegen zwischen den verschiedenen Fraktionen des Kapitalismus beteiligen? Ist das noch Anarchismus oder revolutionär? Und welche Optionen haben wir, um in Kriegen noch revolutionär handeln zu können? Und sicherlich tausend Fragen mehr, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielten und immer noch spielen.
Daher um über diese Fragen sowie viele andere, zu diskutieren, laden wir alle, die die Notwendigkeit haben diese Themen anzugehen, für die Anarchistische Büchermesse vom 05. September bis zum 08. September 2024 in Berlin-Kreuzberg ein.
Der Charakter der Büchermesse soll auch zudem international und internationalistisch sein und der Aufruf auf allen möglichen Sprachen veröffentlicht werden, denn der Bezug unter Anarchistinnen, Anarchisten und sämtlichen Revolutionären muss gestärkt werden.
Solltest du einen Infotisch machen wollen, solltest du eine Diskussion einleiten wollen, melde dich hier: abmb@riseup.net, weiter Infos auf anarchistischebuechermesse.noblogs.org
Agitation, Aufstand, Anarchie!
Anhang
Wir werden im Verlauf der nächsten Monate, bis zum Beginn der Büchermesse, mehrere Texte veröffentlichen, die den Debatten auf dieser dienlich sein werden.
Bis jetzt handelt es sich um drei Texte, eins von der anarchistischen Publikation Black Flag – Bulletin of the Anarchist Black Cross die 1968 gegründet wurde und zwei Texte aus Argentinien vom anarchistischen Verlag expandiendo la revuelta.
Der Text von Black Flag aus dem Jahr 1968 beschäftigt sich mit dem Phänomen des Reformismus innerhalb der anarchistischen Bewegung und die beiden Texte von expandiendo la revueltazu der Frage zu anarchistischen Büchern sehr interessante kritische Dinge gesagt haben. Wir finden ihre Positionen so interessant und wichtig, so dass wir diese angesichts des Verbreitens von Publikationen/Bücher/usw. als eine wichtige Vorlage für eine Debatte diesbezüglich verwenden, bzw., auslegen und präsentieren, was für die Büchermesse von großer Bedeutung in Form eines Beitrages ist.
Text von Black Flag, die Übersetzung ist von uns. Alle Ausgaben ihrer Publikation hier zu finden.
Black Flag
Erklärung der Black Flag Group für die Liverpooler Konferenz der Anarchist Federation of Britain, September 1968
Der Anarchismus ist eine revolutionäre Methode, um eine freie, gewaltfreie Gesellschaft ohne Klassenunterschiede und ohne Autorität zu erreichen. Ob dies eine „utopische“ Errungenschaft ist oder nicht, ist unerheblich; der Anarchist oder die Anarchistin ist nach einer normalen Definition jemand, der oder die dieses Ziel vor Augen hat, sich von autoritären Strukturen befreit und auf eine solche Gesellschaft zusteuert, indem er oder sie die Menschen vom Staat unabhängig macht und den Klassenkampf intensiviert, damit die Mittel der ökonomischen Ausbeutung geschwächt und zerstört werden.
Verwirrung
Anarchismus und Liberalismus sollten nicht miteinander verwechselt werden, auch wenn letzterer militant ist (z. B. bei nationalen Befreiungsbewegungen). Der Liberale sucht die Freiheit innerhalb der Gesellschaftsstruktur, in der er sich befindet; er lehnt die Methoden des Klassenkampfes ab, die sich auf die ökonomische Spaltung der Gesellschaft beziehen. Da es jedoch eine solche Verwirrung gibt, stellen wir fest, dass es mittlerweile ZWEI gegensätzliche Auffassungen von Anarchismus gibt.
Es gibt nicht „so viele Konzepte wie Anarchistinnen und Anarchisten“ und auch nicht „tausend Fragmente“, aber es gibt ZWEI, die wahrscheinlich beide auf dieser Konferenz vertreten sind. Die eine, die wir unterstützen und der wir als Organisation Kohärenz verleihen wollen, ist das, was wir als revolutionären Anarchismus bezeichnen (obwohl Anarchismus eine solche Qualifizierung nicht nötig haben sollte), der besagt, dass es keinen Kompromiss mit dem Staat geben kann, dass es einen Klassenkampf gibt und dass es nichts zu gewinnen gibt, wenn man sich der Klassengesellschaft anpasst. Es kann nur eine Revolution geben, auf den Straßen und in den Fabriken. Die andere Auffassung bezeichnen wir als liberalen Anarchismus (auch wenn er sich selbst als revolutionär betrachtet, während er das Wort normalerweise eher verhöhnt), der versucht, sich an die heutige Gesellschaft anzupassen, ohne den Staat stürzen zu müssen (was als unwahrscheinlich gilt). Eine solche Anpassung kann natürlich an den Kapitalismus oder sogar an den Staatskommunismus erfolgen; und es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, wie sie aussehen könnte.
Friedensbewegung
Hierzulande sind solche sozialliberalen Ideen vor allem über die Friedensbewegung in die anarchistische Bewegung gekommen, die bestimmte anarchistische Grundkonzepte in Frage gestellt oder vielleicht nie verstanden hat. Damit wollen wir nicht bestreiten, dass Pazifisten Anarchisten und Anarchistinnen sein können (auch wenn wir sie aus Gründen einer kohärenten Aktion aus unserer eigenen Gruppe ausschließen würden). Solange ihr Standpunkt nicht zur Hauptströmung wird, können wir ohne Zweifel mit ihnen innerhalb der AFB zusammenarbeiten.
Wir halten das Prinzip des Pazifismus für irrelevant und im Großen und Ganzen für unanarchistisch (ebenso wie einen Kult um Mäßigung oder Vegetarismus oder das Kiffen oder den „Ausstieg“ (A.d.Ü., aus der Gesellschaft) zu machen – das sind alles Angelegenheiten, die persönliche Entscheidungen betreffen und die zwar oft von den wichtigsten sozialen Fragen ablenken, aber nur dann absurd werden, wenn sie zu einem Kult gemacht werden, dem alle folgen sollen, und wenn sie zur wichtigsten sozialen Frage unter uns und in der Gesellschaft als Ganzes erhoben werden, während Themen wie der Klassenkampf in den Hintergrund treten oder ignoriert werden). Das Problem, mit dem wir auf dieser Konferenz konfrontiert sind, ist jedoch NICHT der Pazifismus an sich, sondern die Tatsache, dass er die Tür für so viele liberale Annahmen geöffnet hat. Zum Beispiel, dass Gefängnisse reformiert werden können und nicht abgeschafft werden dürfen (Vine1; Willis); dass wir so weit gehen sollten, Geld für Polizisten zu sammeln, die bei Demonstrationen verletzt werden (Featherstone)2; dass die Polizei eine notwendige Krücke für die Gesellschaft ist (Rooum)3; dass Kriminelle die einzigen freien Menschen sind, aber dass wir die Dienste der Polizei in Anspruch nehmen sollten, wenn es nötig ist (Schweitzer-Mariconi)4.
Liberalismus
Sobald man akzeptiert, dass „der Anarchismus mit der heutigen Gesellschaft in Verbindung gebracht werden muss“, also mit dem Kapitalismus ([Colin] Ward), kann man die Beteiligung an der Verwaltung akzeptieren (Topham bis Ostergaard)5; oder die Notwendigkeit psychologischer und soziologischer Anpassungen an das Leben im erbarmungslosen Konkurrenzkampf (various, Anarchy); oder dass Steuern notwendig sind, um den ärmeren Klassen zu helfen ([Vernon] Richards); oder dass wir uns lediglich in einem Zustand des permanenten Protests gegen Missstände in der Gesellschaft befinden müssen (Sydney Libertarians); uns an gewaltfreie Methoden anpassen müssen (Peace News) oder an autoritäre Körperschaften wie die katholische Kirche ([Ammon] Hennacy) oder sogar unseren Frieden im kommunistischen Staat machen müssen (Jeff Robinson)6.
Ein so verwässerter Anarchismus kann von der Monarchie anerkannt werden ([Sir Herbert] Read) oder mit dem Wählen der Labour Party vereinbar sein ([George] Melly); oder er kann auf einen bloßen imaginären Denkprozess reduziert werden, der zu einer intellektuellen Erlösung führt (various, Minus One)7. Diejenigen, die das revolutionäre Konzept ablehnen, können verschiedene Ansichten haben, die von einer Ablehnung der zeitgenössischen Werte und einem bloßen Ignorieren des Staates in der Hoffnung, dass er verschwindet (Hippies, Diggers) bis hin zu einer bewussten Provokation des Staates reichen, damit er seine vollen repressiven Kräfte einsetzt, ohne sich jedoch auf einen wirksamen Widerstand vorzubereiten (einige zumindest der Provo-Situationisten).
Wir erkennen das, was wir als Liberalen Anarchismus bezeichnen, nicht als echten Anarchismus an, aber da es ihn gibt, sind wir gezwungen, uns als Revolutionäre Anarchisten zu bezeichnen. Wir wissen nicht, inwieweit es in der AFB eine allgemeine Übereinstimmung mit uns gibt. Unser Ziel ist es, eine Mitgliederorganisation innerhalb der AFB und der lokalen Gruppen zu sein. Wenn wir andererseits den Großteil der Mitglieder der AFB vertreten, gibt es keinen Grund, warum die Organisation unser Programm nicht übernehmen kann. Zumindest diejenigen, die die Kontroversen in der libertären Presse verfolgt haben, werden wissen, worum es in diesem Flugblatt geht. Diejenigen, die aufgrund ihrer heutigen Erfahrungen den Namen Anarchistin und Anarchist ablehnen, weil sie meinen, sie würden sich mit dem identifizieren, was wir hier Liberale Anarchistinnen und Anarchisten nennen, sind eingeladen, ihre Position zu überdenken
International
Die internationale Situation ähnelt der britischen, nur dass dort die Tendenz, sich in den Rahmen der Gesellschaft einzufügen, von einem institutionalisierten Syndikalismus herrührt oder die Exilbewegungen bürokratisiert wurden. Darum ging es bei dem Zusammenstoß in Carrara8. Aber es war auch ein Konflikt zwischen einer revolutionären Politik und einer Politik des „Sich-Einfügens“. Unser Ziel ist es, ein revolutionäres Programm zu erarbeiten, und zwar als Gruppe, die kein vorgefertigtes Programm zur Organisation der Arbeiterklasse hat, sondern das Prinzip der direkten Aktion akzeptiert und mit den Menschen auf der Grundlage ihrer Überzeugungen und Aktionen zusammenarbeitet und nicht auf der Grundlage der bloßen Etiketten, die sie sich selbst geben, wobei wir jedoch unsere eigene Identität bewahren.
(Originalunterzeichner) A. Meltzer, Ross Flett, Adrian Derbyshire, Stuart Christie, Roger Sandell, Mike Walsh, Jim Duke, Ted Kavanagh
Wir bitten um Kommentare zum Entwurf der „Aims & Principles of Anarchism“.
Herausgegeben von der BLACK FLAG GROUP, 735 Fulham Road, London, S.W.6.
Die erste Konferenz der „Black Flag“-Gruppe wird im Herbst in Brighton stattfinden. Diskussion über die Gründung einer weiteren anarchistischen Zeitung.
Anmerkungen
Wie aus dem Text hervorgeht, reagiert er auf verschiedene Auseinandersetzungen in der anarchistischen Presse, insbesondere in Freedom and Anarchy. Es ist mir nicht gelungen, alle Beteiligten zu identifizieren und alle Aussagen aufzuspüren. (A.d.Ü., der Text endet abrupt an dieser Stelle)
Text von expandiendo la revuelta, die Übersetzung ist von uns.
DIE ANARCHISTISCHEN BÜCHER SIND KEINE WERKZEUGE
TREFFEN VON ANARCHISTISCHEN BIBLIOTHEKEN AM SAMSTAG DEN 13.11.21.
Bücher sind nicht nützlich, sie sind keine Dienstleistungen, sie erfüllen keine Funktionen und schon gar nicht sind sie Hämmer oder Schraubenschlüssel zum Öffnen oder Schließen von Ideen. Während es nicht viel braucht, um Literatur zu finden, die darauf abzielt, Regime durchzusetzen oder sie zu beseitigen, gibt es eine Vorstellung, die bei einigen Anarchistinnen und Anarchisten fest verwurzelt zu sein scheint: „Bücher sind Werkzeuge“, sagen sie, und in der Tat mangelt es nicht an Dutzenden von Covern und Titeln, an denen dies deutlich wird, dass „Bücher an sich keinen Wert haben, aber wenn sich Ideen materialisieren“, wiederholen sie und verbinden mit diesen Prämissen die weit verbreitete Vorstellung, dass „wir die Idee nicht von der Aktion trennen dürfen“.
Aber wovon reden wir, wenn wir an „anarchistische Bücher“ denken? Und was bedeutet es, Idee und Aktion zu vereinen? Denn offensichtlich können wir Ursula K. Le Guin, Mikhail Bakunin, die internationale Zeitschrift Kalinov Most oder ein auf einem Demonstrationszug gefundenes Pamphlet mit einem gezeichneten A, selbst wenn wir sie alle unter dem Label „anarchistische Literatur“ zusammenfassen wollen, nicht reduzieren. Auf dieser Linie können wir über die Intentionalität jedes Formats nachdenken, d.h. sowohl über sein physisches Format als auch über die Merkmale der Sprache, denn die Bindung eines Buches wie Kropotkins „Gegenseitige Hilfe“ ist nicht dasselbe wie der schnelle Druck von Flugblättern vor einer Demonstration, die für eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort bestimmt sind.
Doch um endlich über anarchistische Literatur nachzudenken, müssen wir uns zunächst von der Vorstellung befreien, dass sie eng mit der „Aktion“ verknüpft sein sollte, denn sonst würden wir ihre Besonderheit, d. h. ihre Tiefe, ihren Weg, ihre Besonderheiten und ihre Stärken auslöschen.
Deshalb haben wir uns die doppelte Aufgabe gestellt, die Behauptung zu präzisieren, dass unserer Meinung nach anarchistische Bücher keine Werkzeuge sein können, und dann darüber nachzudenken, was sie sind oder sein könnten.
Um mit dem ersten Punkt zu beginnen, finden wir in dieser Behauptung eine utilitaristische Logik der Buchstaben in Bezug auf die militante Logik, die wir mit einem kurzen Rundgang von der Russischen Revolution über die Spanische Revolution bis hin zu den politisch-militärischen Parteien der 1970er Jahre verorten können. Das heißt, dass die Literatur ebenso wie die Malerei, das Kino oder das Theater „im Dienste der Revolution“ (oder in den meisten Fällen der Partei) stehen muss.
In diesem Sinne rief ein berühmtes Plakat aus Spanien 1936 aus: „Anarchistische Bücher sind Waffen gegen den Faschismus“, obwohl dies eigentlich Teil der Propaganda des CNT-Sektors war, der beschloss, mit Republikanern und Sozialisten zu paktieren, um eine „antifaschistische Front“ zu bilden, die mit der Militarisierung der autonomen Arbeiter*innenmilizen und anti-anarchistischen Repressionen endete. Was wir zumindest in diesem Fall behaupten wollen, ist, dass die utilitaristische Vision der „anarchistischen Bücher“ von der Logik des Krieges angetrieben wird, aber nicht des sozialen Krieges, sondern der Logik der formalen Armeen, des formalen Krieges und der Notwendigkeiten, die dies angeblich mit sich bringt.
Eine der Rechtfertigungen, die wir in diesen Fällen finden, ist der Appell an die Dringlichkeit und die greifbar lauernde Gefahr durch den Feind auf der anderen Seite der Grenze. Wäre es in diesem Zusammenhang nicht logisch, dass anarchistische Bücher der Propagandaarbeit und der Rekrutierung untergeordnet werden sollten? Auch wenn diese Frage aus unserer Gegenwart heraus unpassend erscheint, kann sie uns helfen, über diese extremen Momente nachzudenken. Im Gegensatz zu diesem Ansatz können wir einen deutlichen Unterschied zwischen dem, was anarchistische Literatur und Propaganda während der Spanischen Revolution (1936-1937) und während des Bürgerkriegs (1937-1939) war, feststellen. Zur Zeit der Revolution können wir Ausdrucksformen sehen, die nicht auf propagandistische Logiken reduziert wurden, sondern die aus ihren eigenen Sphären heraus versuchten, revolutionäre Freiheit zu denken, zu teilen und zu propagieren, ein deutliches Beispiel für diesen Aspekt war der „Sindicato de la Industria del Espectáculo Films“ (SIE FILMS), der zwischen 36 und 37 etwa 30 Filme produzierte, deren Inhalt sich nicht nur auf die dokumentarische Erzählung beschränkte, sondern die meisten Werke im Bereich der Fiktion angesiedelt waren, d.h. es ging nicht nur darum, Kunst für die Revolution zu denken, sondern darum, dass die Revolution ihren eigenen künstlerischen Ausdruck fand.
Wenn wir die Debatte auf die letzten Jahrzehnte zurückführen, ist es alarmierend oder zumindest auffallend, dass die Diskurse, die versuchen, den literarischen Ausdruck auf ein Werkzeug zu reduzieren, d.h. in den Dienst des „Ideals“ oder eines größeren Ziels zu stellen, was auch immer das sein mag, dass diese Schlussfolgerung ihre Rechtfertigung in der Hierarchisierung der „Aktion“ hat, die, wenn sie früher in den Bedürfnissen der revolutionären Partei verkörpert war, heute in der Überbewertung der zerstörerischen Aktion oder der anarchischen Offensive bekräftigt wird.
Wir glauben zwar, dass diese Behauptung äußerst kohärent und eine fast schon angeborene Reaktion auf unseren Alltag ist, der von der staatsbürgerliche Befriedung der Sozialdemokratie, den unisono wiederholten Demonstrationen/Prozessionen und den von verschiedenen Verlagen und Literaten vorgeschlagenen „kritischen“ Debatten geprägt ist, die kaum mehr sind als dialektische Paraphernalien, die heraufbeschworen werden, um den Verkauf ihres nächsten Buches zu positionieren oder die jüngste Förderung des CONICET9 zu rechtfertigen. Aber da wir in dieser Position waren und angesichts der ohrenbetäubenden Wiederholung von leeren Phrasen der Demokratie immer wieder destruktive Aktionen bekräftigen, wissen wir auch, dass Aktionen ihre eigene Logik, ihre eigenen Formen und Bedürfnisse haben, die oft nicht mit den Möglichkeiten von Worten übereinstimmen.
Du kannst von einem Buch nicht verlangen, dass es sich in eine Aktion verwandelt, genauso wie die ständige Wiederholung der Worte „Feuer“ und „Schießpulver“ in unseren Publikationen nicht bedeutet, dass sie tatsächlich greifbar werden können, und du könntest uns fragen, ob Buchstaben nicht als Agitation funktionieren können? Ja, das können sie, aber wenn sie sich vorher von dem leiten lassen, was sie „sein sollten“, werden sie am Ende zu einer Karikatur ihrer selbst. Wenn die Literatur ihre Besonderheit verliert, haben wir es mit einem Sammelsurium von Gemeinplätzen und individuellen Bekräftigungen zu tun, die am Ende nicht über sich hinauswachsen. An diesem Punkt verlangen wir von den Wörtern, etwas zu sein, was sie nicht sind, nämlich funktional zu sein, in der Hoffnung, dass die Tatsache, dass wir Sätze wie „bewaffne deine Affinitätsgruppe“ schreiben, bei den Leser*innen wirklich eine Gegenseitigkeit hervorruft, während dies in Wirklichkeit die primäre Aufgabe der direkten Kommunikation, der Schaffung von Begegnungsräumen und der Vertiefung von Ideen sein sollte, und in jedem Fall könnte die literarische Reflexion über die Gründe für diese Gruppen nachdenken, über die sozialen und politischen Merkmale, in die sie eingebunden sind, über die Art und Weise, wie sie funktionieren könnten, usw. usw.
Nach dieser kritischen und vergleichenden Sichtweise können wir in die Vergangenheit zurückgehen und an die „klassischen“ anarchistischen Zeitungen denken, die wir zwischen 1898 und 1930 in Buenos Aires geordert haben. Dort reichten die Genres und literarischen Themen von propagandistischen und pamphletartigen Artikeln über Theaterstücke, Lieder, Auszüge aus Erzählungen und Romanen bis hin zu Artikeln über Philosophie, Geschichte oder Astronomie, um nur einige Beispiele zu nennen. Diese für die verschiedenen Tendenzen typischen Merkmale zeigen uns deutlich die ganzheitliche Vision des anarchistischen Projekts, bei dem die Arbeit der Agitation nur einen kleinen Teil ausmachte, und gleichzeitig zu sehen, dass diejenigen, die im Laufe der Zeit Bestand hatten, ihre Kraft in der Reflexion, in der literarischen Suche selbst fanden, unabhängig von dem Genre, in dem sie angesiedelt sind, und die jesuitische Wiederholung des Anarchismus vermeiden.
Eine weitere Unterstellung, die wir häufig finden, wenn wir Kritiken hören, die von der falschen Dichotomie zwischen „Schreiben“ und „Handeln“ ausgehen, ist die Vorstellung, dass Literatur an sich eine Art petite bourgeoises Vergnügen bedeutet, eine Logik, die eindeutig vom Marxismus-Leninismus und seiner berühmten Kritik an der „Kinderkrankheit der Linken“ beeinflusst ist, in der es heißt: „Der durch die Schrecken des Kapitalismus „wild gewordene“ Kleinbürger ist eine soziale Erscheinung, die ebenso wie der Anarchismus allen kapitalistischen Ländern eigen ist. Die Unbeständigleit dieses Revolutionarismus, seine Unfruchtbarkeit, seine Eigenschaft, schnell in Unterwürfigkeit, Apathie und Phantasterei umzuschlagen, ja sich von dieser oder jener bürgerlichen Modeströmung bis zur „Tollheit“ fortreißen zu lassen – all das ist allgemein bekannt.“. So sehen wir, wie leider die konservativen Ideen des ruchlosen Leninismus in anarchistische Konzepte einfließen und die Tatsache unsichtbar machen, dass unser Freiheitsbegriff über die klassistische und parteiische Vision des Bolschewismus hinausgeht und ihr direkt gegenübersteht.
Wenn der Anarchismus uns daran hindert, uns hinzusetzen, um die Bewegung der Sterne zu beobachten, über unsere Sexualität zu schreiben, über die Eigenschaften der Musik oder der menschlichen Natur nachzudenken, wenn er sich nicht der Zerstörung und dem Wiederaufbau dieser Welt widmet und unsere eigenen Vorstellungen vom Dasein, von Literatur, Theater oder Kino erreicht, wird er nur zu einer Selbstbehauptung, die aus Angst vor dem, was hinter dem ideologischen Schema steckt, nicht aufhört, Nabelschau zu betreiben.
Wir könnten uns also fragen: Kann ein Buch anarchistisch sein? Selbst wenn es auf jeder Seite „Es lebe die Anarchie“ wiederholt, was ist, wenn es von jemandem geschrieben wird, der nicht behauptet, Anarchist zu sein? Was macht ein Buch letztendlich anarchistisch?
Was den ideologischen Charakter unserer Literatur historisch zusammenhält, ist viel mehr als eine bestimmte Zeile oder eine repräsentative Art von Referentialität, nämlich die redaktionelle, bibliothekarische und verbreitende Praxis der Gefährt*innen im Laufe der Geschichte. Wie sonst könnten wir Henry Thoreau oder Leon Tolstoi mit Alfredo Bonnano oder den Angry Brigade in einen Topf werfen? Das heißt, der Charakter, der unserer Literatur verliehen wurde und weiterhin verliehen wird, hat nicht nur mit den Büchern selbst zu tun, nicht einmal speziell mit der Absicht ihrer Autor*innen, sondern mit der propagandistischen Arbeit, der Rezeption und dem Wert, den die Gefährt*innen ihr im Nachhinein notwendigerweise verliehen haben.
Diese wichtige Arbeit, die so viele in den letzten 150 Jahren geleistet haben, hat also ihre Besonderheiten, nicht nur in Bezug auf die Katalogisierung, sondern auch in Bezug auf die interessante Vielfalt an Fragen und Herausforderungen, die sie hervorrufen kann. In diesem Sinne haben wir uns zum Beispiel gefragt, ob ein Buch auf eine Ideologie reduziert werden kann, und während diese Antwort innerhalb doktrinärer Räume „einfacher“ sein mag, erhält sie in unseren Kreisen eine relevante Kategorie über die mögliche anarchistische Konzeption in der Gegenwart und die immer latente Spannung zwischen der revolutionären Projektion und den ethischen Grundlagen des Anarchismus. Wenn wir zum Beispiel an anarchistische Literatur denken, können wir erstens die äußeren Merkmale betrachten, zum Beispiel die Verweigerung des geistigen Eigentums, der ISBN oder der Zusammenarbeit mit staatlichen oder multinationalen Verlagen, aber diese Merkmale sind in den Formen zusammengefasst, da viele Verlage in diese Kategorien fallen können und gleichzeitig nichts mit unseren Absichten zu tun haben, also müssen wir zweitens an die anarchistische Literatur selbst denken, Und hier könnte die eigentliche Herausforderung liegen: Es gibt zwar einige Kategorien, die sich leicht „klassifizieren“ lassen, wie im Kino der Dokumentarfilm, in der Literatur die vielen Publikationen, die sich als solche bezeichnen und die allgemeine Absicht haben, Anarchie zu propagieren, aber im Fall von Rafael Barret, Ursula K. L. Guin, Manuel Rojas oder so vielen Gefährt*innen, die Gedichte schreiben, die sich von anarchistischen Klischees befreien, ist es dann sinnvoll, sie unter einem ideologischen Gesichtspunkt zu betrachten?
Vielleicht sind sowohl die Frage als auch ihre Antworten viel umfangreicher, vielleicht muss man sich mit den verschiedenen literarischen Gattungen auseinandersetzen, um zu verstehen, auf welche Weise Lyrik, Prosa, soziale oder wissenschaftliche Aufsätze unter einem spezifisch ideologischen Etikett zusammengefasst oder umarmt werden können – eine Aufgabe, die diese kleine Skizze nicht erfüllen kann, aber sie versucht, uns einige dieser Anliegen näher zu bringen.
So kommen wir schließlich zu der Frage: Kann Literatur für die Revolution „nützlich“ sein? Auch wenn sie historisch gesehen auf diese Weise genutzt wurde, man erinnere sich an das Rote Buch von Mao bis hin zur Bibel, wäre es absurd zu denken, dass die Aktion des Schreibens und Lesens selbst für die Aktionen verantwortlich sein könnte, mit denen sie später gerechtfertigt wurden, denn das Schreiben ist ein rein reflexiver Akt, bei dem die Freiheit sowohl im Angesicht der Leere der leeren Seite erfahren wird, das uns von der Welt trennt, sie liegt in der Möglichkeit einer Beziehung zwischen unserer Existenz und der Materialität außerhalb von ihr, eine Beziehung, die umfassend, beschreibend oder irrational, klangvoll und sogar chaotisch sein kann.
Wir sind uns einig, dass es keine revolutionäre Aktion ohne revolutionäre Theorie geben kann, aber wir bekräftigen auch, dass das eine nicht auf Kosten des anderen gehen kann. Es ist genauso naiv, von Büchern zu verlangen, dass sie zu Revolten aufrufen, wie es naiv ist, von einem Sprengsatz zu verlangen, dass er uns etwas über Freiheit erzählt, wie poetisch wir ihn auch immer einbauen wollen.
WEDER LITERARISCHER ANARCHISMUS
NOCH UTILITARISTISCHE LITERATUR
FÜR DIE ZERSTÖRUNG JEGLICHER AUTORITÄT.
Text von expandiendo la revuelta, die Übersetzung ist von uns.
Einige Reflexionen rund um die anarchistische Edition und die demokratische Rekuperation.
Eröffenung der Bibliothek in Caza Zaragoza am 19. Juni 2021.
Von Expandiendo la Revuelta.
„Zweifellos wird man sagen, dass alle Werkzeuge auf unsere Freiheit abzielen, da sie die Instrumente einer möglichen Aktion sind und dass das Kunstwerk in dieser Hinsicht nicht spezifisch ist. Und es ist wahr, dass das Werkzeug der verdichtete Umriss einer Operation ist. Aber es bleibt auf der Ebene des hypothetischen Imperativs: Ich kann einen Hammer benutzen, um eine Kiste zu nageln oder um meinem Nachbarn den Kopf einzuschlagen. Für sich betrachtet ist ein Werkzeug keine Voraussetzung für meine Freiheit, es stellt mich nicht vor sie, sondern versucht, ihr zu dienen, indem es die freie Erfindung von Mitteln durch eine geordnete Abfolge von traditionellen Verhaltensweisen ersetzt.
Das Buch dient nicht meiner Freiheit: Es verlangt sie. In der Tat wäre es nicht möglich, sich der Freiheit als solcher durch Druck, Faszination oder Flehen zu nähern. Um sie zu erreichen, gibt es nur ein Verfahren: sie zunächst anzuerkennen und ihr dann zu vertrauen; kurz gesagt, von ihr einen Akt im Namen ihrer selbst zu verlangen, d. h. im Namen des Vertrauens, das man ihr entgegenbringt. Auf diese Weise ist das Buch nicht wie das Werkzeug ein Mittel mit einem bestimmten Ziel; das Buch schlägt die Freiheit des Lesers als sein Ziel vor“.
Die Eröffnung einer Bibliothek ist immer ein Ereignis, das uns mit Freude erfüllt, vor allem, wenn sie mit Verbindungen und Forderungen einhergeht, die auf eine kritische und antiautoritäre Sichtweise setzen.
In unserem Fall, als anarchistischer Verlag, glauben wir, dass es notwendig ist, durch die Veröffentlichung von Material und vor allem durch die Reflexion über das, was wir als eine Reihe von Debatten über den Zweck von Propaganda und ihre anarchistische Positionierung betrachten, einige Beiträge zu leisten.
Wenn wir kurz auf die umfangreiche anarchistische Geschichte in Buenos Aires zurückblicken, war die Veröffentlichung von Lesematerial eine der Säulen, von denen aus Treffen und gemeinsame Affinitäten projiziert wurden, in diesem Sinne die Veröffentlichung von Publikationen, von der ersten Großauflage „El perseguido“ im Jahr 1890, über „La Protesta“, die 1897 begann, oder „La antorcha“ im Jahr 1921, Sie hatten aber nicht nur die „Funktion“, eine Botschaft zu vermitteln oder ein „Ideal“ zu teilen, sondern informierten auch über Treffen und Aktivitäten, sammelten Spenden für die lokale Bevölkerung oder Gefangene und stellten Verbindungen zwischen den verschiedenen Publikationen und Räumen her. Auf diese Weise leisteten die anarchistischen Verlage, die keine zentrale Organisation oder irgendeine Art von Anführer hatten, einen Beitrag sowohl „innerhalb“ als auch „außerhalb“ der Bewegung, und obwohl es immer wieder Differenzen gab, können wir heute die Geschichtlichkeit, die Debatten und Spannungen genau aus diesen Archiven heraus nachvollziehen und sie so in der Gegenwart nutzbar machen.
Der 1961 gegründete Verlag Reconstruir hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine Reihe von Netzwerken und Räumen wiederzubeleben, die zunächst durch die Diktatur der 1930er Jahre und dann durch den peronistischen Vormarsch unter Repression gelitten hatten, auf diese Weise funktionierte Reconstruit, sowohl um klassiche Texte zu retten, wie auch um gegenwärtige Debatte der Zeit vorzuschlagen, die von der kubanischen Revoltuion, über den Existenzialismus, bis hin zum Krieg im Vietnam gingen. Wir können auch die Arbeit von „La Protesta“ während dieser Jahrzehnte und ihre konstante Funktion der Aufrechterhaltung der anarchistischen Ideologie finden, sogar bis weit ins 21. Jahrhundert.
Diese Publikationen wurden jedoch während der letzten Militärdiktatur 1976 wieder eingestellt, und erst 1983 kam es zu einer neuen Welle von Ausgaben in Form verschiedener Anarkopunk-Fanzines und einiger Publikationen mit eher „gegenkulturellem“ Charakter, die die Bestrebungen der so genannten „neuen Linken“ unter einer gewissen anarchischen Ästhetik verbargen. An dieser Stelle wollen wir uns mit dem auseinandersetzen, was wir als eindeutige Absicht ansehen, anarchistische Ideen wiederzugewinnen, um auf verschiedene reformistische, akademische und sogar kommerzielle Absichten einzugehen.
Ganz allgemein können wir sagen, dass nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 und der Repression der verschiedenen lateinamerikanischen Diktaturen in den 70er und 80er Jahren, der marxistisch-leninistische Horizont die vermeintlich revolutionären Hoffnungen mit seinen großen Armeen fallen sah, so kann von einer neuen Linken gesprochen werden, von „neuen Wegen, Politik zu machen“, und jeder Versuch, einen bewaffneten Aufstand zu fördern, wurde teilweise zunichte gemacht, wie zum Beispiel die von der gesamten „nationalen Linken“ diktierte Ablehnung der Übernahme der La Tablada-Kaserne im Jahr 1989 zeigt.
So gewannen die anarchistische Praxis und die anarchistischen Ideen für einige redaktionelle Bereiche wieder an Bedeutung und fanden verschiedene Annehmlichkeiten, zum Beispiel die Tatsache, dass es sich um eine Geschichte handelte, die bereits fast hundert Jahre alt war, d.h. viele Gefährt*innen hatten nicht die Möglichkeit, auf diese Visionen zu reagieren, und das bedeutete offensichtlich eine „Freiheit“ für viele Intellektuelle, Akademiker und demokratische Schriftsteller, die in der anarchistischen Geschichte einen Raum sahen, den sie ohne Ressentiments ausnutzen konnten.
Auf diese Weise finden wir eine Reihe von Menschen und staatlichen Räumen, die eine Rekuperation unserer Erinnerung (A.d.Ü., im Sinne der Geschichte) von einer staatsbürgerlichen und linken, ja sogar nationalistischen Perspektive aus betreiben und sogar behaupten, dass wir Teil der „argentinischen Geschichte“ sind. Von Dora Barrancos über Martin Caparros bis hin zu Cedinci finden wir eine klare Linie, die einerseits der Verharmlosung anarchistischer Ideen und Praktiken und andererseits der Verfolgung akademischer Karrieren in den Händen des Staates, d.h. auf der Suche nach Macht, vorgeworfen wird.
Das ist jedoch nur ein Teilaspekt der Situation, denn wenn wir den Blick auf andere Bereiche öffnen, finden wir auch staatlich finanzierte Filme und Theaterstücke, die uns einen klaren Versuch erkennen lassen, den Anarchismus von seinem aufständischen Inhalt zu entleeren, so wie es zum Beispiel in den letzten Jahrzehnten mit der Geschichte der verschiedenen indigenen Völker geschehen ist. Aus der Perspektive des Progressivismus und der Linken wird so die völkermörderische Geschichte des argentinischen Staates reingewaschen und einige bestimmte Personen werden als Sündenböcke benutzt, sei es Julio Argentino Roca, Oberst Varela, Videla oder Menem, während die indigenen Völker unaufhörlich verfolgt und die anarchistischen Räume geräumt werden und von Repression getroffen werden.
Damit wollen wir uns nicht selbst zum Opfer machen, sondern lediglich auf einen repressiven Prozess hinweisen, der einerseits mit der Kommerzialisierung und Trivialisierung der Anarchie und andererseits mit Inhaftierung und Mord hinter verschlossenen Türen und meilenweit entfernt zu tun hat.
Das wird auch an dem Etikett der „Eingeschleusten“ deutlich, das uns der Kirchnerismus und die Linke während des Verschwindens von Santiago Maldonado aufgedrückt haben, d.h. einerseits wurde eine Maske der „Solidarität“ , der „Gerechtigkeit“ aufgesetzt, und gleichzeitig wurden die Ideen von Lechuga (A.d.Ü., ein Spitzname von Santiago Maldonado) unsichtbar gemacht und eine politische Kampagne in seinem Namen durchgeführt, die sogar so weit ging, dass versucht wurde, einen Film zu veröffentlichen, der glücklicherweise sowohl in Buenos Aires als auch in verschiedenen Teilen Argentiniens boykottiert wurde.
Um noch einmal auf das Verlagswesen und die Propaganda zurückzukommen: Wir glauben, dass es heute mehr denn je notwendig ist, sich zu positionieren, da wir nicht wollen, dass anarchistische Ideen zum Konsum werden oder nur ein weiterer Raum, in dem sich Intellektuelle von der Nationalbibliothek aus sich gegenseitig einen runterholen, obwohl diese sicherlich auch weiterhin von staatlichen Institutionen finanziert werden, heute sind wir viel mehr von der Notwendigkeit überzeugt, unseren Gedankengut aus der Konsequenz zwischen Mitteln und Zielen zu festigen, so finden wir Publikationen und Verlage wie „Anarquista“, „Gatx Negrx“ oder „L’anomia“, und in jüngster Vergangenheit die Veröffentlichungen von „Abrazando el Caos“ oder die „Anarquía“-Ausgaben, um nur einige Beispiele zu nennen.
Deshalb geht es uns nicht um die Veröffentlichung von Büchern als Selbstzweck, obwohl uns das Spaß macht und es zweifellos ein Aspekt ist, in dem wir uns auch wohlfühlen, sondern als Mittel zur Revolte, vor allem aber für die anarchistische Bewegung und Räume. Auch wenn wir unsere Reflexionen nicht von einem erleuchteten Standpunkt aus denken, sind wir der Meinung, dass die Mittel viel mehr über die Ziele aussagen als die Titel, denn Anarchie findet sich nicht in den Büros der Macht und auch nicht in den vermeintlich „guten Absichten“ der heutigen Linken, sondern im praktischen aufständischen und autonomen Einsatz derjenigen, die sich als solche bekräftigen und mit ihren Worten einen Schritt weiter in Richtung sozialer Krieg gehen.
1Ian Vine schrieb über Verbrechen und das Gesetz in Anarchy 59 & ‚Anarchism as a realist alternative‘ Anarchy 74
2Siehe den Brief von Godfrey Featherstone in Freedom vom 20. April 1968 und die Antworten von Stuart Christie, Adrian Derbyshire, James Duke, Ross Flett, Albert Meltzer und Martin Page in der folgenden Ausgabe.
3In Donald Rooums Bericht über den Fall Challenor „Ich habe ein Stück Ziegelstein verlegt“ in Anarchy 36
4In Jean-Pierre Schweitzers „Prolegomena to an Anarchist Philosophy: 3 – Politics“, Minus One Nr. 13, heißt es: „Der Kriminelle ist der (An)archist „par excellence““.
5Tony Topham (Institute for Workers Control) war keine Anarchistin und Anarchist; Geoffey Ostergaard schrieb über Workers‘ Control in Anarchy Nr. 2 und 80.
6Ich habe nichts von Jeff Robinson gesehen, das dies behauptet. Sein ‚A statement‘ (u.a. ‚Innere Freiheit ist in der modernen Welt sogar in einer Gefängniszelle möglich‘) Freedom 29. Juli 1967 brachte Albert Meltzer auf die Palme: ‚Die Spaltung besteht zwischen denen, die den Anarchismus als lebendige Kraft sehen, und denen, die ihn für einen aufregenden Namen halten, wenn sie über die Notwendigkeit von Kinderspielplätzen sprechen.‘ An Understatement“ Freedom 19. August 1967.
7Minus One („Individualist Anarchist Review“) siehe https://www.unionofegoists.com/journals/minus-one-1963/
8Internationaler Kongress der Anarchistinnen und Anarchisten in Carrara, 31. August bis 3. September 1968.
9A.d.Ü., Consejo Nacional de Investigaciones Científicas y Técnicas ist die unabhängige Hauptinstanz in Argentinien für das Fördern von Forschungen, für das Verleihen von Stipendien usw.