(Helios Prieto) Chile: Die Gorillas sind unter uns
Chile: Los Gorilas estaban entre nosotros
Zuerst veröffentlicht von Editorial Tiempo Contemporaneo, Buenos Aires, Argentina 1973
Ein paar Worte von der Soligruppe für Gefangene
Die Linke des Kapitals erschafft nicht nur ihre eigene Mythen, aber Mythen sind nur dass was sie sind. Die Regierung der Unidad Popular unter Allende in Chile von 1970 bis 1973 ist einer dieser. Es gibt viele andere, aber dieser hat einen besonderen Platz, weil diese Regierung ein gewaltsames Ende erfuhr die in einer Diktatur des Militärs, mit Hilfe der CIA, mündete wo tausende ermordet wurden.
Der Mythos um Allendes Regierung hat zwei besondere Merkmale, nämlich die angebliche Möglichkeit den Sozialismus innerhalb des Kapitalismus aufzubauen – was die Debatte zu Reformismus wieder aufmacht, Chile wurde ja auch damals als die Sowjetunion Lateinamerikas genannt – und wie diese zu Ende ging. Das man Hand in Hand mit der Bourgeoisie deren Ende beiführen könnte, zutreffend sagt Prieto dazu: „56 Jahre nach der russischen Revolution verfolgen die Reformisten immer noch das unerreichbare Zieldie Bourgeoisie für ein „fortschrittliches demokratisches“ Programm zu gewinnen. Die Intention besteht darin, die Bourgeosie zu verleiten, „Seite an Seite mit dem Proletariat“ die erste Etappe des Prozesses zu durchschreiten, um damit die Bedingungen für ein späteres Verschwinden der Bourgeoisie als Klasse zu schaffen.“
Das Buch von Helios Prieto setzt sich mit beiden Fragen auseinander, und dies wenige Monate nach dem Putsch. Definitiv ein lese-würdiger und ein diskussionswürdiger Text, der eine scharfe Kritik übt, aber auch Positionen vertritt, die wir selber auch nicht teilen.
Mehr Artikel und Texte zum Thema hier: Kritik (und Auseinandersetzung) an Allende, Unidad Popular „chilenischer Weg“ für den Sozialismus
Vorwort von Ediciones Viejo Topo
Wenn ein so wenig bekannter Autor nach fast einem halben Jahrhundert neu aufgelegt wird, muss eine Erklärung abgegeben werden. Und da es sich um ein Buch handelt, das der Kritik eines gesellschaftlichen Prozesses der Vergangenheit gewidmet ist, kann es nicht neu aufgelegt werden, ohne zu versuchen, seinen Inhalt zu aktualisieren.
Dieses Buch wirft einen genauen Blick auf den „chilenischen Weg zum Sozialismus“, der 1970-73 erprobt wurde. Es wurde nur einmal auf Spanisch und einmal auf Englisch im Jahr 1974 veröffentlicht und scheint nicht von vielen Menschen gelesen worden zu sein. Wenn Militante im Chile jener Jahre wichtige Ereignisse verstehen wollten, zogen sie es vor, renommierte Autoren wie die Parteianführer oder die Presse der verschiedenen revolutionären Organisationen zu lesen.
Diese Texte waren nicht immer sehr aufschlussreich, aber sie drückten den gesunden Menschenverstand der damaligen Zeit aus – und prägten ihn gleichzeitig. Sie wurden in der Regel nicht gelesen, um neue Perspektiven zu entdecken, sondern um bestehende Perspektiven zu bestätigen (oft die von den Parteibossen diktierte Linie). Theorien dienten weniger dazu, neue Erkundungen anzustellen, sondern eher dazu, sie zu verhindern.
Die Dinge haben sich geändert. Jetzt wird die richtige Denkweise nicht mehr von einer Parteiführung vorgegeben, sondern von einem allgegenwärtigen gesunden Menschenverstand. Die starken theoretischen und politischen Diskrepanzen von damals werden heute als Meinungsverschiedenheiten ausgedrückt, was bedeutet, dass sich das soziale Gewissen von damals nicht weiterentwickelt, sondern nur abgeschwächt hat. Anders ausgedrückt: Seit den Tagen von Allende und den Cordones Industriales wurde das theoretische Bewusstsein über Kapital und Arbeit, über Klassen und sozialen Wandel nicht mit der Radikalität und dem Elan revolutioniert, mit der die kapitalistische Gesellschaft selbst in jener Zeit umgestaltet wurde. Das Ergebnis ist, dass heute in der sozialen Bewegung immer noch dieselben Ansichten – und damit dieselben praktischen Optionen – vorherrschen, die 1970-73 zu einer historischen Sackgasse geführt haben. Dieses Einfrieren des sozialen Bewusstseins bedeutet, dass jede Diskussion über diese Zeit früher oder später in dieselbe Sackgasse gerät, in der die Revolutionäre von damals feststeckten. Die heutige soziale Praxis, mit allem, was in ihr lebendig und subversiv ist, erkennt sich in dieser Geschichte kaum wieder und sucht ihren eigenen theoretischen Ausdruck ohne Bezug zu Begriffen wie „Revolution“ oder „Klassenkampf“.
Das ist durchaus verständlich, denn die einzigen, die diese Begriffe weiterhin verwenden, scheinen nichts mit ihnen zu tun zu haben, außer ihnen dieselbe Bedeutung zu geben, die sie 1973 hatten, fast so, als wollten sie denselben Weg gehen, um zum selben Ergebnis zu gelangen.
In jedem Fall ist jeder Versuch, die Erfahrungen der UP und der Poder Popular (Volksmacht) zu verstehen, Teil eines Schlachtfelds, auf dem noch nichts entschieden ist. Wenn jahrzehntelang Verwirrung und Amnesie im Zusammenhang mit dieser Erfahrung geherrscht haben, liegt das daran, dass bestimmte soziale Dynamiken über einen langen Zeitraum relativ stabil geblieben sind, was aber nicht bedeutet, dass sie für immer so bleiben werden. Alle Krisen bringen neben dem Neuen auch die alten, verdrängten Tendenzen an die Oberfläche, die im Schatten der Geschichte verborgen waren: Morgen werden die UP und die Volksmacht nicht mehr das Gleiche bedeuten wie heute.
Obwohl seit dem „chilenischen Weg zum Sozialismus“ und seinem katastrophalen Scheitern fast ein halbes Jahrhundert vergangen ist, sind diese Ereignisse für den gesunden Menschenverstand noch immer weitgehend unentzifferbar. Was in Wirklichkeit ein dramatisches Kapitel des sozialen Kampfes war, in dem die verschiedenen Klassen und Klassenfraktionen, die sozialistische und revolutionäre Ideologie, der nationalistische Reformismus und die Bürokratie eine klar definierte Rolle spielten, wird uns heute als einfacher Kampf zwischen dem guten Volk und der perversen Oligarchie, zwischen Rechtsstaatlichkeit und Autoritarismus, zwischen Demokratie und Diktatur präsentiert. Obwohl dieses vereinfachte Bild nichts von dem erklärt, was damals geschah, obwohl es einige der wichtigsten Fragen über unsere heutige Welt unbeantwortet lässt – oder besser gesagt, gerade deshalb -hat sich diese Fabel erfolgreich als Die offizielle Geschichte durchgesetzt. Eine Geschichte, die von einer Klasse geschrieben wurde, die von der Macht verdrängt wurde, um sie später wiederzuerlangen, eine Geschichte, die von den Siegern geschrieben wurde. Eine Geschichte, die nicht nur nichts erklärt, sondern es auch geschafft hat, sich vor jeder ernsthaften Kritik zu schützen, und so zu einer absurden und irrealen Geschichte wurde.
In den letzten vierzig Jahren ist ein klares Verständnis dieser Zeit auf dasselbe Hindernis gestoßen, das sich auf unterschiedliche Weise manifestiert hat: zuerst die unerbittliche Zensur durch die Militärjunta, dann die ideologische Rahmung durch die demokratische Bourgeoisie, später die Sensationslust der Medien, mit der die Parteien des Übergangs die Auswirkungen des Putsches verharmlosten, um die Ursachen besser zu verbergen, und schließlich das leichtfertige Unverständnis, das die heutigen Bildungs- und Kulturverantwortlichen zu denselben Zwecken einflößen. Diese Arten, mit der Geschichte der UP umzugehen, sind keine bloßen „Fehler“ einer unwissenden oder oberflächlichen Interpretation, sondern stellen aufeinanderfolgende Momente derselben ideologischen Konstruktion dar, die die Interessen der herrschenden Gesellschaftsschichten getreu widerspiegelt.
Andererseits ist eine solche fabelhafte Vision heute aus demselben Grund glaubwürdig, aus dem die Illusionen, die zur Katastrophe von 1973 führten, glaubwürdig waren. Als die UP-Parteien sich auf einen kruden produktivistischen Chauvinismus beriefen, um die Arbeiter dazu zu bringen, ihre Reformpolitik von unten zu unterstützen, sagten sie einfach das, was viele Arbeiter hören wollten. Als dieselben Parteien Jahre später den sozialen Protest in Richtung einer bourgeois-demokratischen Lösung kanalisierten, hatten die Oppositionspresse und die populär-liberale Geschichtsschreibung wenig Mühe, die Menschen vergessen zu machen, dass es sich bei den Ereignissen in Chile um einen Zusammenstoß zwischen Klassen mit gegensätzlichen Interessen gehandelt hatte, vor allem, weil es so viele Menschen gab, die das vergessen wollten. Später, als diese Parteien sich als herrschende Macht legitimieren mussten, setzten sie alle Mittel ein, um das gesellschaftliche Gedächtnis für ihre eigenen Interessen zu mobilisieren, und reduzierten die Geschichte der Jahre 1970-73 auf eine Ansammlung schockierender, bedeutungsloser Bilder, die geeignet waren, eine Masse von Menschen vor ihren Fernsehgeräten zu fesseln. In den letzten Jahren hat das fortschrittliche Management die Zeit von 1970-73 in den Lehrplan aufgenommen, nur um etwas zu haben, mit dem man eine Entschuldigung für die Demokratie lehren kann, und es als Fortschritt ausgegeben, obwohl es nur eine pädagogisch korrekte Art war, die Unwissenheit der neuen Generationen zu organisieren.
Der Diskurs über die Menschenrechte, der ein Vierteljahrhundert lang von allen Medien wie besessen propagiert wurde, vollendete dieses Werk der Zerstörung des historischen Sinns und bot ein frommes Leitmotiv, das in der Lage war, das gute Gewissen jedes Christen zu mobilisieren, ohne dass diese „Rechte“ mit irgendetwas verknüpft werden mussten, was in der realen Welt passiert. Diese umhüllende humanitäre Kampagne hat es geschafft, nicht nur den alltäglichen Terror des demokratischen Staates systematisch zu verschleiern, sondern auch etwas anderes, das ebenso schwerwiegend ist: dass der Staat seit Jahrzehnten alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzt, um die Geschichte der UP und des Putsches unlesbar zu machen und die ganze Komplexität dieses Prozesses auf seinen rein repressiven Aspekt zu reduzieren. Die Folge dieser Politik ist, dass alle Lehren aus der Zeit von 1970-73 bis auf eine zum Schweigen gebracht wurden: der Terror.
In diesem Licht muss der alte Slogan „Nie wieder“ gelesen werden. Anfangs zu Recht von Proletariern geäußert, die Pinochets Repression am eigenen Leib erfahren hatten, bekam dieser Satz, als er später zur Staatspolitik wurde, eine ganz andere Bedeutung. Wenn die Machthaber das soziale Gedächtnis auf ihre Weise mobilisieren und auf ihren Bildschirmen verkünden, dass sich die Vergangenheit „nie wieder“ wiederholen darf, kann dies nicht als Warnung an die Handlanger der kapitalistischen Ordnung verstanden werden, die sonst schon längst hinter Gittern wären. In Wirklichkeit geht es den Machthabern darum, alle daran zu erinnern, dass die Ordnung der Ausbeutung nicht in Frage gestellt werden kann, ohne Staatsterrorismus zu provozieren. Das von staatlichen und halbstaatlichen Stellen ausgesprochene „Nie wieder“ ist weniger Ausdruck einer bürgerlichen Sehnsucht als eine strafende Warnung: Es erinnert die Öffentlichkeit daran, welche Illusionen sie sich machen und welche Grenzen sie akzeptieren muss, um nicht zur Zielscheibe staatlicher Repression zu werden.
Angesichts der Skepsis, die diese Überlegungen hervorrufen mögen, werden wir – um einige Gefährtinnen zu paraphrasieren – sagen, dass wir nichts für die Verblendeten und die Besiegten der Geschichte tun können. Wenn sie nicht von den empirischen Beweisen für die reaktionäre Rolle, die progressive Parteien damals und heute spielen, überzeugt sind, werden sie von diesem Buch noch weniger überzeugt sein (es sei denn, sie lesen es mit offenen Augen). Wenn wir Helios Prietos Schriften vor dem Vergessen retten, dann nur, um den Lesern eine revolutionäre Perspektive zu eröffnen, die es schon immer gab, die aber nur von Männern und Frauen aufgenommen werden kann, die nicht aufgegeben haben. Wer sich nicht damit begnügt, seine eigene Vergangenheit als absurde Anhäufung bedeutungsloser Fakten zu betrachten, stößt früher oder später auf andere, die die gleiche Unruhe erlebt haben und die in dieser Geschichte eine Wahrheit zu entdecken wussten, die es auszudrücken gilt. Wir glauben, dass die Lektüre dieses Buches zumindest für diejenigen, die gewissenhaft lesen, eine dieser entscheidenden Begegnungen sein wird.
Wir haben oben festgestellt, dass die offizielle Geschichte fast ohne Gegenwehr durchgesetzt wurde. Das „fast“ in diesem Satz muss hervorgehoben werden. Während der Regierung von Salvador Allende und nach dem Putsch von 1973 wurden von der revolutionären Linken verschiedene Kritiken am UP-Projekt geäußert. So zum Beispiel die Analysen von Alain Labrousse1, Ruy Mauro Marini2, Gabriel Smirnow3 und Mike Gonzalez4, um nur die am wenigsten bekannten zu nennen. Mit unterschiedlicher Nuancierung und Betonung betonten diese Theoretiker den Klasseninhalt des „chilenischen Weges zum Sozialismus“, indem sie die Untauglichkeit des von der UP vertretenen technokratischen Reformismus anprangerten oder auf die Notwendigkeit hinwiesen, die Interessen der Kleinbourgeoisie mit denen des Proletariats in Einklang zu bringen. In Helios Prietos Buch finden sich mehrere Analyseelemente – vor allem in Bezug auf die ökonomischen Maßnahmen der UP -, die auch in diesen Texten zu finden sind.
Was Prietos Text von den anderen unterscheidet, ist die Art und Weise, wie er die Kritik einsetzt: Er nutzt sie nicht, um einen Kurswechsel vorzuschlagen, den die herrschenden Sektoren ohnehin nicht einschlagen könnten, ohne ihre eigenen Klasseninteressen zu verraten. Er will auch keine „objektive“ Sichtweise anbieten, die außerhalb der Spannungen, die das Zusammenleben zwischen den verfeindeten Gruppen zerrissen, erarbeitet wurde.
Was Helios Prieto von den anderen Kommentatoren dieser Zeit unterscheidet, ist, dass sowohl die Form als auch der Inhalt seines Textes eine kämpferische Leidenschaft widerspiegeln, die in den eher „kalten“ Analysen von Allendes politischer Ökonomie nicht vorhanden ist. Von der ersten bis zur letzten Zeile untersucht Prieto die UP-Periode mit einer pointierten und gut argumentierten Ironie und liefert nicht nur eine kraftvolle Klarstellung dessen, was dieser Prozess bedeutete, sondern auch die Textur und den Geschmack einer kritischen Erfahrung, die er in der ersten Person erlebt hat. Nicht in dem Sinne, dass er hier seine persönlichen Erfahrungen schildert: Das wäre nicht nötig gewesen. Wir wissen, was dieses Buch widerspiegelt, weil wir wissen, dass der Autor sich während des Schreibens einer radikalisierten Tendenz in der Arbeiterbewegung widmete, die sich aus nonkonformistischen Kämpfern zusammensetzte, die versuchten, einen revolutionären Pol gegen die UP zu bilden und sich von der MIR und anderen linken Organisationen zu lösen. Diese Aktivitäten, die im Jahr vor dem Putsch 1973 stattfanden, brachten diese Revolutionäre ins Kreuzfeuer der staatlichen Repression auf der einen Seite und der Schockkräfte der Bosse auf der anderen Seite. Dieses Buch ist also nicht nur eine Kritik an den reformistischen Illusionen jener Zeit, sondern fasst auch die tragischen Erfahrungen einer Arbeiterklasse zusammen, die, in die Enge getrieben von verschiedenen konkurrierenden bourgeoisen Fraktionen, einem Kräftespiel hilflos ausgeliefert war, in dem sie drei Jahre lang fast nichts anderes war als das Zugpferd fremder Klasseninteressen.
Aber es gibt noch einen weiteren Grund, dieses Buch nachzudrucken: Mit dieser Kritik hat Helios Prieto nicht nur versucht, eine obskure historische Sackgasse zu beleuchten; er hat auch eine Art radikale Auseinandersetzung vorweggenommen, die in Lateinamerika noch mehrere Jahrzehnte dauern sollte, bis sie sich Gehör verschaffte, und die heute von einer Generation von Kämpfern zum Ausdruck gebracht wird, die damals noch nicht einmal geboren war.
Der Autor dieses Buches und seine Freunde werden nicht als revolutionäre Helden verehrt, und zwar aus dem einfachen Grund, dass sie nie versucht haben, Siege zu erringen, die das Proletariat nicht selbst erringen konnte.
Stattdessen widmeten sie sich der diskreten Aufgabe, das, was für die Kämpfe der Zukunft am wichtigsten war, vor dem Untergang zu bewahren: die praktische und intellektuelle Ehrlichkeit, die Männer und Frauen zur Emanzipation befähigt.
Die Herausgeber (Topo Viejo)
WIDMUNG
Meinem Freund Alejandro Alarcón, von einem Militärtribunal für das Verbrechen verurteilt, ein politisch bewusster Arbeiter zu sein.
EINLEITUNG
Eine Welle des Entsetzens ist durch die etablierte Linke gegangen. Wie konnten die chilenischen Streitkräfte eine „wunderschöne Tradition“ (nach den Worten des Innenministers General Bonilla) missachten und den blutigsten Staatsstreich in der Geschichte Lateinamerikas durchführen?
Daß die Frage immer noch in dieser Form gestellt Werden kann, ist Ausdruck der Durchschlagskraft der weltweiten Kampagne, die jahrelang von der Unidad Popular (UP) und den „kommunistischen“ und sozialdemokratischen Parteien geführt worden war, eine Kampagne, deren Zweck es war einen undurchsichtigen Schleier über die blutige und repressive Vergangenheit der chilenischen Streitkräfte zu legen, um deren Gunst zu erlangen.
In den Jahren vor dem Putsch hatten sich die Meinungen des chilenischen Volkes über die Rolle der Streitkräfte in wachsendem Maße geteilt. Auf der einen Seite erinnerte es sich an das Massaker von „Santa Maria de Iquique”5 wo das Militär 3000 Arbeiter tötete, an Valparaiso und Santiago im Jahre 1957, als Dutzende von Arbeitern umgebracht wurden und ebenso an die brutale Unterdrückung von Bergarbeiter-Streiks während des Regimes Eduardo Freis (1964-70).
Auf der anderen Seite hörten die Massenmedien und offiziellen Sprecher niemals auf die „Verfassungstreue“ der Armee (dabei übergingen sie natürlich, daß Chile eine bürgerliche Verfassung hat) zu beteuern.
In der Universität von Concepción, wo Allende Mitte 1971 eine Rede hielt, antwortete er dem MIR mit der Versicherung, daß er nur „Dank der Streitkräfte“ Präsident geworden sei.
Es hatte demnach den Anschein, als gäbe es in Chile zwei Armeen, eine, die bis 1970 operiert hatte und eine andere, die danach aufgebaut worden war. Zudem hielt sich die Allende Regierung strikt an die Garantien, die sie mit ihren christdemokratischen Bündnispartnern im Oktober 70 unterzeichnet hatte.6
Allende machte keinen Versuch die Generäle sowohl der Armee als auch der Carabinieros (bewaffnete Polizei) auszutauschen. Obwohl er sich verpflichtet hatte, die „Mobile Polizeieinheit“ (die auf den Straßenkampf trainiert war) aufzulösen, änderte er bloß ihren Namen in „Spezialtruppe“.
Das Resultat: der Unterdrückungsapparat des bürgerlichen Staates blieb völlig intakt und heute sind es die „Pro-Allende“ Generäle, die das Massaker am chilenischen Volk vollstrecken.
Wir können hier nicht eine detaillierte Studie über die drei Jahre Unidad Popular vorlegen; das kann erst geschehen, wenn es möglich ist, die Akten und Dokumente zu rekonstruieren, die den Flammen der Junta in den Tagen ihrer Machtübernahme zum Opfer fielen.
Was folgt ist eine Chronik der wichtigsten Ereignisse der Klassenauseinandersetzungen während der Monate, die dem Putsch gegen Allende vorhergingen; es ist auch der Versuch die unmittelbaren Ursachen seines Sturzes und die Grausamkeit, mit der die Junta wütete, zu erklären.
Die wichtigsten Gründe liegen dem „Modell des friedlichen Überganges zum Sozialismus“ zu Grunde, das die chilenischen Reformisten gewählt hatten und in der daraus resultierenden ökonomischen Politik, die sie während der ersten beiden Jahre der Regierung der UP (Unidad Popular) durchführten. Diese Politik, die wir in einer zukünftigen längeren und grundsätzlicheren Studie analysieren werden, provozierte eine tiefe gesellschaftliche Krise; sie führte zu bedeutenden Änderungen in den Beziehungen der Klassen zueinander, trug direkt zur Isolation des Proletariats bei und stärkte die industrielle und Handels-Bourgeoisie.
Diese Analyse jedoch muß aufgeschoben werden. Die dringende Aufgabe, die auch der Grund für diesen Bericht ist, besteht jetzt und heute darin, auf die Debatte einzuwirken, die bereits innerhalb der Revolutionären Linken eingesetzt hat und deren Gegenstand es ist, die Gründe für das Versagen der Volksfront zu verstehen.
Chile ist ein weiteres Beispiel dafür, was das Proletariat unter einer reformistischen Führung erwartet. Dennoch gibt es immer noch Leute, die es am liebsten sähen, dass daraus überhaupt keine Lehren gezogen würden; diese Kräfte, die unter der Fahne des „Kommunismus“ für den Kapitalismus arbeiten, sind tief in der Arbeiterklasse verankert und immer noch sehr mächtig.
Heute bringen die reformistischen kommunistischen Parteien in der ganzen Welt große Energien auf die Massen davon zu überzeugen, dass sie dieselben Fehler begehen sollen, die in Chile begangen wurde.
In einigen Jahren werden wir vielleicht erleben, wie „Kommunisten“ und „Sozialisten“ in Chile wieder vom friedlichen Wege zum Sozialismus und der Verfassungstreue der Streitkräfte reden werden, die durch die konspirativen Machenschaften einer kleinen Gruppe von Generälen vom rechten Weg abgebracht worden seien.
Natürlich kann es sein, daß die Reformisten daran scheitern werden, irgendjemanden zu überzeugen. Rosa Luxemburg sagte einmal, daß es nur ein Heilmittel für die reformistischen Illusionen des Proletariats gibt; unglücklicherweise ist es ein Heilmittel, das einen hohen Blutzoll fordert.
Das Militär, wie wir wissen, ist nicht knausrig mit diesem Heilmittel umgegangen. Die tausende reformistische Reden und Pamphlete in der ganzen Welt werden nicht in der Lage sein das Blut und das Leiden zu verbergen, den Preis, den das chilenische Volk für den Versuch zu bezahlen hatten, den Sozialismus ohne soziale Konten aufzubauen.
1972: DER KLASSENKAMPF VERSCHÄRFT SICH
In der zweiten Hälfte des Jahres 72 begann sich der Klassenkampf in Chiles größeren Städten zu intensivieren. Die Bourgeoisie hatte 1971 stillgehalten, sodaß es ein relativ ruhiges Jahr war, was die Regierung betraf; teilweise, weil sie ihre Kräfte nach der Wahlniederlage von 1970 von Neuem sammeln mußte; aber hauptsächlich deswegen, weil die Partei der industriellen und der Handels- Bourgeoisie – die christdemokratische Partei (PDC) – die nationalistischen und die Landwirtschaft betreffenden Programmpunkte der UP unterstützte. Diese beinhalteten eine Agrarreform gemäß dem Agrarreformgesetz, das von den Christdemokraten während der Regierung Freis erlassen worden war; die Verstaatlichung der Grundstoffindustrie des Landes – besonders der Kupferindustrie – und die Entwicklung eines Staatskapitalismus, die schon während der bürgerlichen Regime der dreißiger Jahre eingesetzt hatte.
Das Hauptziel der UP während ihres ersten Regierungsjahres war die Wiederankurbelung der Wirtschaft7. Dies erfolgte durch massive Lohnerhöhungen, um die Nachfrage zu erhöhen und die „Bourgeoisie zu zwingen ihre brachliegenden Kapazitäten nutzbringend einzusetzen.“ Einige Monate lang war diese Politik erfolgreich, aber sie erzeugte einen solchen Nachfrageboom nach Kapital- und Konsumgütern und eine Aufblähung des Geldvolumens, daß eine ernsthafte Inflation die Folge war. Gegen Ende 71 wurde die wirtschaftliche Situation ernst. Die UP konnte keinen Schritt mehr voran tun, wenn sie nicht bereit war gegen die industrielle Bourgeoisie vorzugehen, die die grundlegende soziale Basis ihres Hauptverbündeten im Kongress, der PDC, war.
Im Dezember 71, während eines Besuchs von F. Castro gingen die Frauen der Mittelschichten auf die Straße und protestierten gegen die angebliche Lebensmittelknappheit, indem sie mit ihren Kochtöpfen einen Höllenlärm veranstalteten.
So begann die Gegenoffensive der Bourgeoisie; sie dauerte von jenem Zeitpunkt mit unterschiedlicher Intensität bis zum Sturz Allendes an. Während der ersten Hälfte des Jahres 72 ging der Anteil der UP in einigen Nachwahlen zurück; ihre Verbündeten kehrten in den Schoß der christdemokratischen Partei zurück und die Durchführung ihres Programms kam ins Stocken. Von jenem Zeitpunkt an waren die einzigen Fabriken, die in den öffentlichen Sektor übernommen werden sollten diejenigen, die von der Arbeiterklasse in eigener Initiative und häufig gegen den Widerstand ihrer eigenen Führung übernommen wurden. Im Juli 72 wurde der Wirtschaftsminister Pedro Vuskovis von seinem Posten entfernt und durch Orlando Millas von der Kommunistischen Partei ersetzt; der neue Minister verkündete dann prompt, daß der Prozeß der Verstaatlichung „gestoppt würde.“ Während des vergangenen Jahres waren wichtige Güter in wachsendem Maße in die Kanäle des Schwarzmarktes gewandert und die Knappheit an Waren wurde ernst; das war ein direktes Resultat des unkontrollierten Anwachsens des Geldvolumens, der allgemeinen Wirtschaftspolitik der UP und der bewußten Sabotage der Bourgeoisie. Während des ersten Jahres der Allende-Regierung fügte sich die Bourgeoisie im allgemeinen den staatlichen Preisfestsetzungen; während der ersten Hälfte des Jahres 1972 jedoch begannen die Preise aus der Kontrolle der Regierung zu geraten; und der Staat konnte nur sehr wenig dagegen tun, da er nur 500 Inspektoren zur Verfügung hatte, die 125000 Betriebe zu überwachen hatten.
Genau zu diesem Zeitpunkt schuf die Regierung die JAPs (Volksversorgungskomitees) die aus Repräsentanten lokaler Organisationen zusammengesetzt waren. Ende 71 gab es 880 dieser Komitees; Ende 72 2080. Sie hatten jedoch keine Macht die Preisfestsetzungen selbst einer Unterprüfung zu unterziehen.
Während der ersten Hälfte des Jahres 72 schossen die Preise um 36,6 % in die Höhe (um fast das doppelte als 1971). Orlando Millas erste Maßnahme war eine „realistische Preispolitik“ einzuschlagen; während der Monate August und September verfügte er entsprechende Preissteigerungen von jeweils 38,1 und 30,4 %.
Bis zu jenem Zeitpunkt hatte die UP großen Wert auf die Tatsache gelegt, daß sie eine bedeutsame Umverteilung des Volkseinkommens zugunsten der Arbeiter herbeigeführt hatte. Von da ab jedoch wurden die Lohnforderungen der Arbeiter als „ökonomistisch“ abgetan und den dafür kämpfenden Arbeiter „mangelndes Klassenbewusstsein“ vor geworfen.
Als Resultat des Schwarzmarktes und der Inflation fanden die Arbeiter ihren Lebensstandard auf den des Jahres 1970 zurückschrumpfen.
Deshalb war jetzt die erste unabhängige Reaktion der Arbeiterklasse unvermeidlich geworden.
Trotz des Widerstandes der Kommunistischen Partei gründeten die Arbeiter von Cerillos, einer der größten Industriebezirke von Santiago den ersten „Cordon“8 übernahmen die Fabriken, verbarrikadierten die Straßen und verlangten, daß die lokalen Industriebetriebe in den „öffentlichen Sektor“ übernommen werden sollten.
Diese Forderung spiegelt den hohen Grad des antikapitalistischen Bewußtseins innerhalb der Arbeiterklasse wider – aber sie hatte auch eine ökonomische Grundlage, da die Arbeiter in den verstaatlichten Industrien mehr verdienten. Von Anfang an handelten die „Cordones Industriales“, die auch die Arbeiter miteinbezogen, die Mitglieder der UP-Parteien waren, mit beträchtlicher Unabhängigkeit von ihrer politischen Führung.
Im Oktober ging die Bourgeoisie au ihrem ersten massiven Generalangriff über. Sie führte den Angriff auf dem Feld, wo sie sich am stärksten wusste, dem Verteilungsnetz; denn das war ein Sektor, in dem es wenige und dazu noch schlecht organisierte Arbeiter gab.9
Die Kontrolle über diesen Sektor versetzte die Bourgeoisie in die Lage das gesamte Transportsystem und den Handel lahmzulegen.
Eine der Mythen der UP war und ist es noch, daß die Arbeiterklasse im Oktober 72 einen wichtigen Sieg über die Bourgeoisie errang. Dieser Mythos war einfach aufrechtzuerhalten; das einzige, was die UP zu tun brauchte, war, der Bourgeoisie Vorhaben anzudichten, die sie nicht verfolgte, und dann zu versichern, daß jene gescheitert waren.
Gemäß der Legende der UP war der Zweck der Mobilisierung im Oktober 72 der Sturz Allendes. Es ist jedoch offensichtlich, daß die Anführer der UP ebenso wenig in der Lage waren einen Staatsstreich im Oktober 72 wie dann im Herbst 73 abzuwehren; wie der Schafhirte in der Fabel riefen sie „Staatsstreich“ so oft, so daß keiner ihnen glaubte, als er wirklich da war.
Abgesehen von der geisteskranken Gruppe Patria y Libertad (Vaterland und Freiheit) – einer faschistischen Sekte von nur geringer sozialer oder politischer Bedeutung – wollte keine der bürgerlichen Parteien im Oktober 72 einen Staatsstreiche Nirgendwo in irgendeiner Erklärung der Nationalen Partei oder der Christdemokraten kann man in diesem Zeitraum den Ruf nach dem Sturz Allendes finden (im Gegensatz dazu standen die Dinge ganz unmittelbar vor dem Putsch, als selbst der Kongress erklärte, daß die Regierung den Boden der Verfassung und des Rechtsstaates verlassen habe.)
In diesem dramatischen Oktober brachte die Bourgeoisie Gonzalez Videla10 an die Oberfläche, den antikommunistischen aller bürgerlichen Politiker und brachte ihn nach zwanzigjähriger Abwesenheit vom öffentlichen Leben ins Fernsehen, so daß er Allende dringend ans Herz legen konnte, dasselbe zu tun, was er während seiner Präsidentschaftszeit getan hatte – die KP zu verbieten und alle ihre Militanten in Konzentrationslager zu stecken. Zum Erstaunen aller, die angenommen hatten, daß die Bourgeoisie die Regierung Allende stürzen wolle, beendete Gonzalez Videla seine Rede mit einer energischen Zurückweisung jeglicher militärischer Lösung. Tatsächlich aber erreichten die bürgerlichen Parteien genau das, was sie wollten: das Militär wurde ins Kabinett aufgenommen; das war nichts anderes als die Regierung in einen Belagerungszustand zu versetzen und sie letztendlich unter die Kontrolle der Bourgeoisie zu stellen.
Ihrerseits tat die Regierung alles in ihrer Kraft stehende der Bourgeoisie zu helfen dieses Ziel zu erreichen.
Nur wenige Tage nach dem Beginn des Streiks der Lastwagenbesitzer wurden die 13 wichtigsten Provinzen unter Ausnahmezustand gestellt; auf diese Weise gelangten sie unter die direkte militärische Kontrolle genau jener Männer, die heute für die systematische Ermordung von chilenischen Arbeitern verantwortlich zeichnen.
Zur selben Zeit hinderte die Regierung die Arbeiter daran in diese politische Auseinandersetzung einzugreifen, indem sie sie davon überzeugte, daß ihr Anteil an der Beendigung des Streiks in der „Produktionsschlacht“ liege.
Die Regierung weigerte sich (oder unterdrückte direkt) jene wenigen Sektoren mit Machtbefugnissen auszustatten, die sie nicht mehr effektiv kontrollieren konnte. Dabei handelte es sich um jene Sektoren, in denen die Leute darauf bestanden, daß die Läden wieder geöffnet und die Lastwagen, die von den Besitzern aus dem Verkehr gezogen worden waren, requiriert werden sollten. Die Arbeiterklasse war so auf die Betriebe beschränkt, wo sie in einer kämpferischen, aber fatal defensiven Position verharrte. Bis zum 11. September 73 blieb die Kontrolle über die Straße in den Händen der Bourgeoisie. Sie war der Armee überlassen worden, die jetzt dank der UP nach Jahren wieder in die Regierung kam, um die Krise zu einer Lösung zu bringen. Das Endresultat war ein vereinigtes Kabinett der UP und der Generäle. Dies stellte einen bedeutenden Sieg der Bourgeoisie dar, obwohl gerade die UP die Aufnahme der Generäle ins Kabinett den Massen als ein Zeichen darstellte, daß die Armee für die Volksfront gewonnen worden sei.
Das einzige positive Resultat der Oktoberereignisse war die Entstehung der „Kommunalen Kommandos“ (comandos comunales)11 und der „Cordones Industriales“, die sich schon einige Monate vorher gebildet hatten. Sie waren geschaffen worden, um ein wichtiges organisatorisches Vakuum zu füllen, das der höchst bürokratisierte CUT (das chilenische Gegenstück zum DGB) ungefüllt ließ, eine Organisation, die nur etwa 30 % der gesamten Arbeiterklasse umfaßte und keine Form der regionalen Organisation in den wichtigsten Arbeiterzentren hatte.
Aber dieser organisatorische Fortschritt – von den sozialistischen Linken und dem MIR übertrieben eingeschätzt, die in den Cordones entstehende Sowjets sahen – wog nicht die politische Niederlage auf, die der Eintritt der Militärs in das Kabinett bedeutete. Wenige Monate später sollte dieser Gewinn vollständig unter den Stiefelnder militärischen Unterdrückung verbluten, denn es fand keine entsprechende Entwicklung des Klassenbewußtseins statt, die den Arbeitern erlaubt hätte, die wahre Natur der Streitkräfte zu verstehen.
DER WAHLKAMPF MÄRZ 73
Das neue Kabinett hatte nur Übergangscharakter. Die UP fühlte sich verpflichtet der Opposition ohne Rücksicht auf die Massen Konzessionen zu machen, in der Hoffnung verlorenen Boden in den kommenden Wahlen im März 73 wiedergutzumachen. Die Opposition ihrerseits glaubte, daß die Wahlen ihr die 2/3 Mehrheit bringen würden, um Allende in den Griff zu bekommen und ihn entweder in die Rolle eines Dieners des Kongresses zu zwingen oder ihn ganz einfach über ein Mißtrauensvotum loszuwerden. Die Strategie der Christdemokraten bestand offensichtlich darin Allende zu einer fügsamen Marionette zu machen, so daß er sich bis zu den Wahlen 1976 völlig deskreditiert hätte und so die Opposition wieder die Regierungsmacht übernehmen könnte.
Die Nationale Partei auf der anderen Seite wollte die notwendigen Bedingungen schaffen, um ihn aus seinem Amt entfernen zu können oder alternativ dazu Bedingungen für einen Staatsstreich zu einem späteren Zeitpunkt vorbereiten. Obwohl die Erwartungen der Opposition übertrieben waren, so schienen sie doch während dieser Monate erfüllbar.
Die ökonomische Krise hatte ernsthafte Ausmaße erreicht, die Warenknappheit wurde immer verzweifelter und im Oktober war das Kleinbürgertum in der Lage gewesen in die Offensive überzugehen, während das Proletariat in der Defensivposition von der UP festgehalten wurde. Viereinhalb Monate absorbierte der Wahlkampf die Energie der Arbeiterklasse. Die Cordones Industriales, die als Organe des Klassenkampfes entstanden waren, wurden in die Wahlkampagne als lokale UP-Komitees eingegliedert. Die Sozialistische Partei enthüllte wiedereinmal ihre traditionelle Fähigkeit die revolutionären Hoffnungen der Massen in eine sozialdemokratische Richtung zu kanalisieren. Altamiranos Kandidatur wurde als „linke Alternative“ präsentiert. Der MIR war davon hinreichend überzeugt, so daß er seine ehemalige Entscheidung eigene Kandidaten aufzustellen, aufhob und aus Angst vor einer Wahlniederlage sich damit begnügte die Sozialistische Partei zu unterstützen.
Die Klassenauseinandersetzungen von August bis Oktober 72 fanden keinen Ausdruck in den Reden des sozialistischen Kandidaten: „Fortschritt ohne Kompromisse“ „Die Volksmacht aufbauen“ „Jetzt ist die Zeit reif, vorwärts an allen Fronten“ waren die leeren, aber verführerischen Parolen des Tages. Die kommunistische Partei führte eine kluge Kampagne gegen den Schwarzmarkt und brachte es fertig einige Teile der Bevölkerung zu überzeugen, daß die Warenknappheit ausschließlich der Sabotage und dem Horten der Opposition zuzuschreiben sei. Dies war in zweierlei Hinsicht ein Witz auf Kosten der Massen: erstens weil die Wirtschaftspolitik der UP – der direkte Ausfluss ihres „Modells des friedlichen Übergangs zum Sozialismus“ – der hauptsächliche Grund des ökonomischen Wirrwars war; zweitens, weil am Tag nach der Wahl die KP den Kampf gegen den Schwarzmarkt aufgab und sich aufatmend anderen Dingen zuwendete. Eines ist gewiss: Im März 73 stellte die chilenische Arbeiterklasse ihre Geduld und Selbstverleugnung unter Beweis, in dem sie wiederum die Kandidaten der UP wählte, die sie Schritt für Schritt in die Niederlage führte. Das Resultat war, daß die UP 43% der Stimmen gewann. Die verfassungsgemäße Lösung der Krise war jetzt definitiv nicht mehr möglich. In einem Bericht, der kürzlich von dem chilenischen General Gustavo Leigh, einem Mitglied der Junta, veröffentlicht wurde, wird festgestellt, daß das militärische Oberkommando den Putsch im März vorzubereiten begann. Nur diejenigen, die entschlossen waren, taub und blind gegenüber den Realitäten zu bleiben, um sich weiterhin des „via Chilena“ (der chilenische Weg) erfreuen zu können, konnten diese Entwicklung ignorieren.
Und dennoch, trotz all der Offenkundigkeit, fuhr die UP in selbstmörderischem Wahnsinn fort, sich an dem Mythos des unpolitisch professionellen, demokratischen und verfassungstreuen Charakter der Streitkräfte festzuklammern.
MAI BIS JUNI 1973: DIE UP BEGINNT IHRE SOZIALE BÄSIS ZU VERLIEREN
Der Wahlkampf hatte die Aufmerksamkeit der Arbeiter vom Klassenkampf abgelenkt. Als die Wahlen vorüber waren traten die Probleme der Massen erneut hervor und wurden zunehmend dringender. Während des Wahlkampfes waren die gewerkschaftlichen Kämpfe fast völlig verschwunden. Fünfzehn Tage nach den Wahlen begannen die Streiks und Besetzungen erneut und breiteten sich mit einer außergewöhnlichen Schnelligkeit bis Ende April aus, als der Kongress das Gesetz über die Anpassung der Lebenshaltungskosten verabschiedete und die Anzahl der Konflikte wieder dramatisch abnahm.
Die UP nahm eine repressive und feindselige Haltung gegenüber den Aprilstreiks ein. Die Pressekampagne gegen den „Ökonomismus“ wurde verdoppelt und war zu bestimmten Zeiten begleitet von direkten Formen der Unterdrückung. Als Antwort auf die wachsenden Forderungen der Massen schlug die Exekutive dem von der Opposition dominierten Kongress ein Gesetz vor, das eine automatische Anpassung der Lebenshaltungskosten an die Löhne absicherte. Es war ein politisches Manöver, das den bürgerlichen Parlamentariern die Verantwortung für ein Eingehen auf die Forderungen der Massen zu übertragen suchte. Der formale Vorwand für diesen Schritt war, daß der Vorschlag zusätzlich Reformen einschloss, was bedeutete, daß die Lohnerhöhungen von neuen der Bourgeoisie auferlegten Steuern finanziert werden sollten. Das vorgeschlagene Gesetz wurde Monate später ohne jegliche Erwähnung dieser neuen Finanzquellen gebilligt.
Gestützt auf seine wachsende parlamentarische Mehrheit war der Reformismus jetzt darauf vorbereitet bis 1976 zu regieren. Er begann mit der Repression der Linken. Der erste Schritt war die Organisierung eines Rutsches innerhalb der MAPU, eine der Parteien der UP, deren linker Flügel, der oft MIR-nahe Positionen vertrat, siegreich auf dem letzten Parteitag hervorgegangen war. Von der kommunistischen Partei bewaffnete Schläger besetzten die Parteibüros und die Druckerei, warfen die rechtmäßige Führung hinaus und ersetzten sie durch Anführer der rechten Minderheit.
Diese Aktion war als erste von mehreren ähnlichen Maßnahmen gedacht. Als nächste war ein Angriff auf den linken Flügel der sozialistischen Partei geplant. Jedoch war die Gegenreaktion der in der MAPU organisierten Arbeiter dermaßen heftig – sie gaben den linken Anführern massive Unterstützung und isolierten die rechte Fraktion – daß die Kampagne gegen den linken Flügel der Sozialisten verschoben wurde. Am Ende wurde sie niemals durchgeführt, da das Wiederaufleben des Klassenkampfes die Reformisten aus ihrem parlamentarischem Dornröschenschlaf unsanft aufweckte und sie zwang ihre Kräfte zu vereinen, um in der ihr eigenen Weise einem neuen Angriff der Bourgeoisie entgegenzutreten und gleichzeitig jeden Versuch einer selbständigen Organisation der Arbeiterklasse zu ersticken.
Die sozialistisch-kommunistische Führung des CUT, die sich in der bisherigen zweieinhalbjährigen Regierungszeit als unfähig erwiesen hatte die Arbeiter gewerkschaftlich zu organisieren oder auch nur regionale Gewerkschaftskoordinationskomitees zu schaffen, machte sich daran die Cordones Industriales, die von dem am weitest fortgeschrittenen Teile der Arbeiterklasse ins Leben gerufen worden waren, unter Kontrolle zu bringen und sie daran zu hindern der Durchführung der ökonomischen Pläne der UP Schwierigkeiten zu bereiten; die hauptsächlichen Konfliktpunkte waren die Lohnpolitik und das Vorhaben der UP den öffentlichen Sektor der Wirtschaft zu begrenzen, im Hinblick auf eine damit von ihnen erwartete dauerhafte Verständigung mit den Christdemokraten. Diese arbeiterfeindliche Politik fand auf drei Ebenen statt. Wo es ihr ohne Widerstand gelang, gab das Kabinett der UP und der Generäle die Fabriken, die die Arbeiter während der Oktoberkrise in eigener Regie übernommen hatten, an ihre ursprünglichen Besitzer zurück (z.B. die dreizehn Arica Elektronikbetriebe). Damit wurde die Macht der Cordones untergraben und der Bourgeoisie neue Garantien angeboten. Zur gleichen Zeit setzte die Regierung eine Kampagne gegen die „Parallelgewerkschaften“ (gemeint sind die Cordones) in Gang, mit der Forderung, daß die Führung der selbständigen Organisationen der Arbeiter sich dem CUT unterzuordnen hätten.
Der CUT seinerseits begann dort, wo noch keine Cordones existierten, seine eigenen zu organisieren, indem er undemokratisch vorging, die Führung von oben einsetzte und den Massen sehr wenig Teilnahme und Kontrolle zugestand. Das Ziel war einen „Kongress der Cordones“ abzuhalten, auf dem, dank dieser bürokratischen Manöver, die Führungsspitze des CUT die notwendige Mehrheit haben würde, um ihre Politik durchzusetzen.
Dieser Zermürbungskrieg gegen die fortgeschrittensten Teile der Arbeiterklasse war die erste Phase einer Offensive, die das Militär bis zu ihrer blutigen Konsequenz durchführen sollte. Ursprünglich beteiligte sich der MIR an den Cordones und den „Kommunalen Kommandos“ aber er mißverstand ihre Natur und Aufgaben, die ihnen spontan von der Arbeiterklasse übertragen worden waren. Die Arbeiter sahen sie als proletarische Organisationen an, um die herum sich der Kampf um den Aufbau von Klassengewerkschaften konzentrieren sollte und mit denen sie ihre unmittelbaren Interessen verteidigen und der Staats- und Gewerkschafts-Bürokratie entgegentreten konnten. Demgegenüber ging die Führung des MIR davon aus, daß sich die Bedingungen des Rußland von 1917 in Chile wiederholen und ordnete den Cordones die Rolle der Räte zu und dies führte bewußte Teile des Proletariats dazu, sich vom MIR abzuwenden, als sich das Problem der Versorgung zu- der Verteilung von Lebensmitteln zuspitzte. Später, als der CUT seine bürokratische Offensive in Gang setzte, wußte der MIR nicht wie er dieser begegenen sollte und endete damit sich der Kampagne des CUT gegen „paralelle Gewerkschaften“ anzuschließen. Bei einer Podiumsdiskussion, die von der Zeitung „Chile HOY“ (Chile heute) veranstaltet wurde (eine den Sozialisten und dem MER nahestehende Zeitung) verwies der Vertreter des MIR auf die Cordones als Beispiele von Parallelgewerkschaften. Dies überraschte den Diskussionsleiter so, daß er fragte, wie es komme, daß der MIR eine abweisendere Position als die Sozialisten gegenüber den Cordones beziehe. Die Erklärung ist es wert wiedergegeben zu werden: wenn die Cordones alle Teile des Volkes zusammengefaßt hätten (d.h. wenn sie Räte gewesen wären) hätten sie keine parallelen Gewerkschaften sein können – aber da sie dies nicht taten, waren sie doch Parallelgewerkschaften geworden. Einer der zentralen Konflikte dieser Periode war der Streik der Bergarbeiter des Kupferbergwerkes El Teniente. Die Kupferbergarbeiter waren die unbestrittene Avantgarde der Arbeiterklasse in der Zeit vor 1970. Zusammen mit den ‚Bergarbeitern der Kohleindustrie sind sie der am höchsten konzentrierte und ausgebeuteteste Teil der Arbeiterklasse und ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen sind ohne Zweifel die schlechtesten im ganzen Land. In gesundheitsschädlichen Lagern in der Mitte der Wüste isoliert, der direkten Ausbeutung der großen imperialistischen Konzerne, die die Kupferindustrie besitzen, unterworfen, hatten die Kupfer-Bergleute mit der höchsten Anzahl von Streiks im Vergleich zu anderen Teilen der Arbeiterklasse reagierte
Das Ergebnis war natürlich, daß sie unter fortgesetzter und brutalster Unterdrückung litten, besonders während des Frei-Regimes.
Im September 1970 erhielt Allende den höchsten Stimmanteil gerade von jenen (verglichen mit dem nationalen Durchschnitt von 33%) Gebieten: er errang zwischen 60 und 80 % in den drei wichtigsten Bergbau-Zentren – unter ihnen EL TENIENTE.
Die Löhne der Kupferbergleute waren natürlich höher als im nationalen Durchschnitt, aber das war in keinem Falle der Großzügigkeit der US-Konzerne zuzuschreiben. Die simple Wahrheit ist, daß der Kupferbergmann seine Arbeitskraft innerhalb fünfzehn bis zwanzig Jahre erschöpft hat; als Arbeitergruppe haben die Bergleute die geringste Lebenserwartung und im Durchschnitt 300 tödliche Unfälle pro Jahr.
Eine Führung die wirklich die Intension gehabt hätte einen nach und nach ansteigenden Anteil des Mehrwertes den Kapitalisten wegzunehmen und das nationale Einkommen zugunsten der Arbeiterklasse in Form von höheren Löhnen umzuverteilen – was die Volksfront proklamierte, als sie dem Parlament ein Gesetz über Lohnanpassung vorlegte, gerade zu der Zeit als der EL TENIENTE Streik begann – hätte die Bergleute unterstützen müssen.
Denn die Volksfront hatte nur eine Möglichkeit die Arbeiterklasse zu mobilisieren und zwar die Unterstützung der Forderungen der traditionell am meisten kampferfahrenen Teile und die Ausdehnung ihrer Erfolge auf den Rest der Arbeiterklasse. Die Volksfront tat jedoch genau das Gegenteil. Der Streik begann mit der Unterstützung aller Arbeiter des Bergwerks, einschließlich Sozialisten und Kommunisten. Jedoch fünf Tage nach Beginn des Streiks befahlen diese Parteien ihren Mitgliedern an ihre Arbeitsplätze zurückzugehen. Dies passierte überall dort, wo die Gewerkschaften unter sozialistischer oder kommunistischer Kontrolle waren. Die Volksfront brachte dann eine abscheuliche Kampagne in Bewegung, mit dem Ziel, die Kupferbergarbeiter vom Rest der Arbeiterklasse zu isolieren, in dem sie sie als „die Arbeiteraristokratie“ schlecht machte.
(es ist daran zu erinnern, daß jeder dieser „Arbeiteraristokraten“ eine Lebenserwartung von 40 bis 50 Jahre hatte). Sie mobilisierte die tiefsten Ängste der am meisten ausgebeutesten Teile der Arbeiterklasse, wie die Kohlebergleute, die zwischen 2000 und 3000 Escudos im Monat verdienen und ermutigte sie ihre Klassenbrüder als privilegierte Gruppe anzuprangern.)
Der proletarische Charakter des Konfliktes wurde vertuscht, in dem man, die Streikenden eher als Angestellte und nicht als Lohnarbeiter bezeichnete. In Wirklichkeit machte sie sich in wohlüberlegter und zugleich widerlicher Weise ein unter den Christdemokraten verabschiedetes Gesetz zunutze, den Drehern, Elektrikern, Monteuren, das Kraftfahrern und Baggerfahrern und anderen den Status von „empleados“ gegeben hatte. Wenn man den hohen Grad der Spezialisierung in den Bergwerken berücksichtigt, dann nahmen diese Berufe fast die Hälfte der Belegschaft ein.
Nicht einmal der christdemokratische Gesetzgeber hätte sich verstellen können, daß dieses Gesetz sich so nützlich zur Spaltung der Arbeiterklasse erweisen würde. Den Hauptanführer des Streiks, Guillermo Medina, der ein Jahr vorher die Kampagne für den örtlichen Kandidaten der Sozialisten geführt hatte, begann die Volksfront Presse als „Medina der Nazi“ zu bezeichnen. Die gleichen Zeitungen veröffentlichten Stellungnahmen seines Sohnes, einem Mitglied der kommunistischen Partei, in denen er‘ seinen Vater denunzierte.
Die heroischen Kupferbergleute gaben dennoch nicht auf. Dreißig Tage nach Beginn des Streiks begann die Bourgeoisie, nachdem ihr deutlich geworden war, daß die UP-Regierung sorgfältig ihre Interessen wahrnahm, demagogischen Nutzen aus dem Konflikt zu ziehen.
Der Bauernverband Triunfo Campesino (Sieg den Bauern), der von den Christdemokraten kontrolliert wurde, unterstützte die Streikenden öffentlich; ihm folgten Mitglieder der bürgerlichen „gremios“ (berufsständische Vereinigungen oder Innungen) sowie die oppositionellen Studentenorganisationen. Die Volksfront hatte die besten Elemente ihrer sozialen Basis in die Arme des Feindes getrieben.
Die Anführer der Gewerkschaften des Chuquicamata Bergwerkes, der größten Tagebau-Kupfermine der Welt, führten eine Abstimmung durch, ob man die Bergleute in El Teniente unterstützen solle oder nicht. Die Volksfrontlinie, die eine Unterstützung des Streiks ablehnte, gewann die Abstimmung mit weniger als l00 Stimmen bei einer Gesamtsumme von 5000 Stimmen. Dennoch begrüßte der Kommunistenbürokrat, Luis Figueroa vom CUT, diese nahezu gleichstarke Spaltung innerhalb der Arbeiterschaft von Chuquicamata als einen Triumph der Arbeiterklasse gegenüber dem Faschismus. Als im Juli Arbeiter von El Teniente nach Santiago marschierten, um ein Interview mit Allende zu fordern, stellte sich ihnen an einer Brücke das „mobile Überfallkommando“ (von dem man angenommen hatte, dass es 1970 von der Volksfront aufgelöst worden war) entgegen und trieb sie mit Gewalt auseinander. In Racangua, in der dem Bergwerk am nächsten gelegenen Stadt, zerstreuten die Carabineros im Auftrag der Regierung mit ihren Methoden, bis hin zum Einsatz von Panzerwagen, Demonstrationen. Um die sozialistischen und kommunistischen Streikbrecher vor den Streikposten zu schützen, töteten sie einen Streikenden.
In diesem Klima einer tiefen Spaltung innerhalb der Arbeiterklasse, fand der Versuch eines Staatsstreiches, angeführt vom Oberst Souper, am 29. Juni 1973 statt.
VOM PUTSCHVERSUCH (JUNI) ZUM ERFOLGREICHEN PUTSCH (SEPTEMBER)
Am 29. Juni erwachten die UP Militanten unvorbereitet durch das Getöse der Artillerie, die ihre Geschütze auf den Palacio de la Moneda, gerichtet hatte. Die Regierung hatte wohl etwa 20 Mal vor einem drohenden Putsch gewarnt, aber dieses Mal hatte sie wedel‘ Vorbereitungen getroffen, noch die Bevölkerung alarmiert. Dennoch waren dem versuchten Putsch von Souper eine Reihe von Ereignissen vorangegangen, die eigentlich charakteristisch für den „Chilenischen Weg“ waren. Souper war eines der wenigen Mitglieder der Armee, die direkt mit der Patria y Libertad konspirierten. Seine Aktivitäten aber wurden vom militärischen Oberkommando missbilligt, da ihm daran gelegen war, die Einheit des Militärs zu erhalten, um den Erfolg des eigenen Putsches zu sichern. Souper wurde am 27. Juni davon unterrichtet, daß er in Anbetracht seiner konspirativen Tätigkeiten am 29. Juni seines Kommandos enthoben werde – allerdings mit einer militärischen Zeremonie um 11 Uhr des gleichen Tages. Um 9 Uhr desselben Tages, noch vor der Ankunft Allendes, war der Palacio de la Moneda unter Soupers Oberbefehl mit Panzern und Soldaten umstellt und umzingelt worden. Das Oberkommando benötigte nur wenige Stunden, um den Putschversuch niederzuschlagen; Souper hatte niemals ernsthafte Anstrengungen gemacht, die Macht zu erringen. Seine Aktionen müssen eher als ein typisches Beispiel „bewaffneter Propaganda“ gesehen werden; doch sie dienten als Katalysator innerhalb der Armee, eine offene Debatte auszulösen, die einerseits die Generäle in ihren Putschabsichten bestärkte und andererseits die UP politisch noch abhängiger von den Christdemokraten machte.
Die Mehrheit der Armeeoffiziere hatte enge Verbindungen zur amerikanischen Armee und war im höchsten Maße antikommunistisch. Da dieser Teil der Armee weniger politisch bewußt war als das Oberkommando, tolerierte er nur widerstrebend die subtile Politik der Generäle, Allende zu unterstützen, um ihn damit um so besser einkreisen und ihrem Willen unterwerfen zu können. Seit einigen Monaten hatte sich die Meinung innerhalb dieses Teils der Armee mehr und mehr in Richtung auf eine militärische Lösung hinbewegt. Zu jener Zeit war die Stimmung innerhalb der Armee nahe dem Siedepunkt, und es wurde für das Oberkommando zunehmend schwieriger, die Situation unter Kontrolle zu halten.
Heute kann niemand, der die Brutalitäten gesehen hat, die von einem Großteil der Offiziere und Unteroffiziere nach dem 11. September begangen wurden, daran zweifeln, in welchem Geisteszustand sich diese Leute vor diesem Datum befanden. Aber die gesamte chilenische Linke, einschließlich der MIR, zog es vor, die Augen vor dieser Realität zu verschließen und sich etwas vorzumachen, indem sie ein Schema des „Klassenkampfes“, das nur eine Illusion war, auf das Innere der Streitkräfte übertrug.
Die UP hatte versucht, die Streitkräfte mit einer ökonomischen Politik zu umwerben, die das Gegenteil von dem war, was für das Proletariat galt. Nie zuvor hatte das chilenische Militär so viele Vergünstigungen genossen wie in den drei Jahren der Allende-Regierung, und gerade als die Bergarbeiter von El Teniente mit Blut und Feuer unterdrückt wurden, schickte die Präsident dringend einen Gesetzentwurf in den Kongress, der dem Militär fabelhafte Gehaltserhöhungen gewährte (deren Höhe als Staatsgeheimnis verschwiegen wurde).
Mit dieser naiven Politik glaubte man, sie für sich gewinnen zu können, und man hoffte (wie wir später sehen werden, hoffte man bis zum letzten Moment), dass die Unteroffiziere und Soldaten gegen den Putsch reagieren würden. Doch die Realität war das Gegenteil von dem, was sich die UP erträumt hatte, und Soupers vorzeitiger Abgang löste eine Basisbewegung unter den Offizieren und Unteroffizieren in allen Kasernen aus, die eine schnelle Klärung vom Oberkommando zu fordern begann.
Auf einer anderen Seite hatte der 29. Juni bewiesen, wie total wehrlos die UP gegenüber einer Revolte des Militärs war. Als Allende um 9 Uhr in seinem Haus im Vorort Tomas Moro davon unterrichtet wurde, daß Panzer den Präsidentenpalast umzingelt hätten, rief er die Arbeiterklasse dazu auf, sich im Stadtzentrum zu versammeln und den Aufstand zu zerschlagen. 15 Minuten später, nachdem Allende mit den Oberbefehlshabern gesprochen hatte, widerrief er seinen vorhergehenden Befehl und riet den Arbeitern, ihre Fabriken zu besetzen und Instruktionen von der CUT abzuwarten. Sie sollten, so fügte er hinzu, „der patriotischen Armee“ vertrauen. Die Verantwortung für die Entwaffnung des 2. Panzerregiments, das Souper kommandiert hatte, entfiel somit auf das militärische Oberkommando; die Massen betraten an jenem Abend nur einmal die politische Arena, als sie nämlich bei einer Kundgebung vor dem Palacio de la Moneda von Allende gezwungen wurden, den Trägern eines wirklichen Staatsstreiches – den Befehlshabern der Armee und der Flotte – zu applaudieren.
Am selben Abend beging der MIR einen politischen Fehler, der seine Schwäche demonstrierte. Nach der Massenkundgebung vor dem Palacio de la Moneda hielt ein Lautsprecherwagen vor der Nationalbibliothek, die etwa 5 Straßenzüge vom Palacio de la Moneda entfernt ist, und ein Sprecher fing an „die Menschen von Santiago“ aufzurufen, „sich zu versammeln, um den Generalsekretär des MIR} Miquel Enriquez, zuzuhören“. Etwa 200 behelmte Jugendliche, mit langen Stöcken bewaffnet, standen in militärischer Formation am Fuße der Treppe zur Nationalbibliothek. Fünf Minuten später hielt ein Bus und vier bewaffnete Polizisten stiegen aus. Die Menge auf der Treppe zerstreute sich sofort. Die Aktion von vier bewaffneten Polizisten hatte somit den Anführer der meistgefürchteten paramilitärischen Organisation der Linken an diesem historischen Tag daran gehindert, zu sprechen. Vom 29. an meinte die UP, daß die einzige Hoffnung in Bezug auf Stabilität in einer Übereinkunft mit den Christdemokraten liege. Aber die Reformisten haben inzwischen ein Jahrhundert lang Erfahrungen im Verhandeln gesammelt und sie wissen, daß man eine Position der Stärke erreicht haben muß, bevor man sich an einen Verhandlungstisch setzt.
Die ersten 15 Tage im Juli waren außerordentlich euphorische Die UP versuchte, die Leute davon zu überzeugen, daß die Armee loyal sei und der versuchte Putsch „niedergeschlagen“ worden sei. In der Zeitung des MIR Punto Final vom 30. Juli (die von der Armee beschlagnahmt wurde) wurde die Parole vertreten:“Vorwärts zur Diktatur des Volkes und der Armee. „ In einer Sonderbeilage erklärten die Herausgeber, daß zur Beendigung von Putsche versuchen eine „Volksdiktatur“ der UP und der Armee etabliert werden sollte und der Kongreß, die Justizorgane und der Controlaria12 aufgelöst werden müßten. Diese Position war sogar noch rechter als die der Kommunistischen Partei.
In allen verstaatlichten Fabriken stoppten die interventores13 die Produktion und die Arbeiter begannen damit, Waffen herzustellen – als Vorbereitung „einer Antwort auf den endgültigen Militärputsch“. Die Anführer des UP-Aufstandes ließen die Arbeiter, Säbel(!), „miguelitos“14, selbstgebastelte Bomben und Granaten in der Erwartung einer kommenden Konfrontation herstellen. Diese hysterische Haltung wurde von der gesamten UP, einschließlich der Kommunistischen Partei, eingenommen; das Ziel war dabei, den Christdemokraten das Fürchten beizubringen und sie dadurch zur Vereinbarung mit der UP zu veranlassen. Natürlich wurde dadurch praktisch erreicht, daß die Armee sich zu Reaktionen gezwungen sah und von der Notwendigkeit überzeugt wurde, einen Vernichtungsplan vorzubereiten. Die christdemokratischen Arbeiter informierten ihre Anführer oder berichteten der Armee direkt von den Vorbereitungen der Arbeiter in den Fabriken. Die Armee sammelte ihrerseits diese Informationen und gelangte zu dem Entschluss, daß eine schnelle und extrem gewalttätige Aktion notwendig sei, um die Arbeiterklasse daran zu hindern, sich selbst zu bewaffnen.
Der MIR und der linke Flügel der Sozialistischen Partei waren zu der Annahme gelangt, daß die Reformisten bereit seien, einen Bürgerkrieg zu entfesseln, um die sozialistische Revolution durchzuführen. Ihre Erklärung dafür war, daß die KP jetzt „zwischen Skylla und Carybdis“ stünde; um ihren Untergang zu vermeiden, so meinten sie, wäre die KP bereit, eine Revolution zu beginnen. Sie verstärkten diese Phantasien durch historische Paralellen, z.B. die der vietnamesischen KP in den 30ger Jahren (obwohl sie es vorzogen, die Differenzen zwischen Chile und Vietnam, zwischen den 30ger Jahren und 1973, zwischen Ho Chi Minh und Luis Corvalan, dem Generalsekretär der chilenischen KP, zu ignorieren). In diesem politischen Klima hielt Miquel Enriquez vom MIR eine leidenschaftliche Rede in Caupolican Mitte Juli, in der er behauptete, daß die chilenische Arbeiterklasse niemals so nahe der Eroberung der Macht gewesen sei und daß die Reformisten nur einen kleinen Stoß benötigten, um einen proletarischen Aufstand durchzuführen. Tatsächlich geschah natürlich genau das Gegenteil: geleitet von einer unverantwortlichen und manchmal abenteuerlichen, manchmal defätistischen Politik marschierte die Arbeiterklasse unausweichlich ihrer Niederlage entgegen. Denn Reformisten haben jedenfalls noch nie die Revolution gemacht.
Es sollte betont werden, daß die Brutalität der militärischen Repression nach dem Putsch in direkter Verbindung mit dem unverantwortlichen Abenteuertum der UP steht. Die chilenischen Reformisten stießen auf ein unüberwindliches Hindernis in Bezug auf die weitere Entfaltung ihrer Pläne: Chile ist ein zurückgebliebenes Land mit ernsten inneren Wider Sprüchen und dem schwerwiegendem Problem der Armut. Für Reformisten oder sozialdemokratische Regierungen (was die UP in jeder Beziehung war) basiert das Erreichen von Stabilität in der ökonomischen Entwicklung und wachsendem Reichtum. Dies ist durch die Erfahrung der europäischen Sozialdemokratie sehr deutlich gezeigt worden. Solche Bedingungen existierten in Chile nicht; außerdem befand sich die UP unter dem Druck der Kubaner die sie unterstützten, aber zur selben Zeit verlangten, daß die UP eine Strategie des bewaffneten Kampfes in der Reserve halten sollte, „falls der chilenische Weg fehlschlagen sollte“. Aus den angeführten Gründen war die UP nicht in der Lage eine in sich schlüssige Reformpolitik zu entwickeln und liebäugelte weiterhin mit dem „bewaffneten Kampf“.
Allende wurde seinerseits in seinem Haus fotografiert, während er Schießübungen machte; die Fotografen waren Agenten des militärischen Abschirmdienstes, die Allendes Privatleben überwachten. Auf der anderen Seite war Allendes tatsächliche Politik reformistisch und in keinster Weise dazu geeignet, die Arbeiterklasse auf eine Konfrontation mit der Armee vorzubereiten. Das Oberkommando der Armee nahm diese merkwürdigen Aktivitäten des Präsidenten wahr und kam zu dem Ergebnis, daß Allende ein gefährlicher Feind sei, der unbarmherzig zerschlagen werden müsse. Auf dieser Ebene gelang es der UP, den Eindruck zu erwecken als bewaffne sie das Proletariat und als bereite sie es auf eine entscheidende Konfrontation vor; tatsächlich hatte die UP keine ernsthaften Schritte in dieser Richtung unternommen.
Zu diesem Zeitpunkt rief Cardinal Silva Henriquez (der heute die Rolle des Garanten der Menschlichkeit des neuen Regimes spielt) zu einem Dialog auf, um den Bürgerkrieg zu vermeiden. Einige Monate lang hatte die KP eine Kampagne „Gegen den Bürgerkrieg“ geführt mit dem zweifachen Ziel, einerseits die Christdemokraten dazu zu bringen, mit der UP zu einer Übereinkunft zu gelangen und andererseits die Massen von der Notwendigkeit einer solchen Übereinkunft zu überzeugen. In Wirklichkeit bestand nie die geringste Gefahr eines Bürgerkrieges. In Chile hätte eine solche Situation nur auf zweierlei Weise entstehen können, nämlich entweder als Ergebnis einer Spaltung der Armee, was unmöglich war, wie spätere Ereignisse zeigten – abgesehen von der Tatsache, daß keine Linke Partei versuchte, eine solche Spaltung zu provozieren; oder durch die Bewaffnung der Arbeiterklasse, was nicht ohne eine qualitative Veränderung der Politik der UP möglich gewesen wäre. Der Aufruf des Kardinals kam der KP und Allende zeitlich günstig gelegen, weil er ihnen die Möglichkeit gab, eine plötzliche Kursänderung einzuschlagen. Allende deutete dies in einer Rede am 25. Juli vor einem Delegiertenkongress des CUT an (Allende wählte immer Arbeiterpublikum, wenn er einen Schlag gegen die Arbeiterklasse verkündet). Er kündigte an, daß bald Diskussionen mit „der größten demokratischen Partei Chiles“ (damit meinte er die Christdemokratische Partei) mit dem Ziel begännen, den „Marsch in Richtung auf Bürgerkrieg“ einzudämmen. Nur 45 Tage vor dem Putsch sah Allende immer noch die größten Probleme für Chile in den übermäßigen Lohnforderungen der Arbeiter, in ihrem „Ökonomismus“ und den Parallelgewerkschaften, den Cordones Industriales. Er hielt den Arbeitern eine ernste Moralpredigt, in der er sie davon unterrichtete, daß „dieses Land einen kapitalistischen Prozess durchmache“: er kündigte eine strenge Lohnpolitik an und sprach die Warnung aus, daß im kommenden Jahr die Lohnerhöhungen hinter die Lebenshaltungskosten zurückfallen könnten; er machte klar, daß die Armee weiterhin ein Gesetz zur Kontrolle des Waffenbesitzes fordern würde und stellte fest, ängstlich auf Beifall seiner kommunistischen Gäste bedacht, daß der MIR möglicherweise in Komplizenschaft mit dem CIA handeln könnte. Kurz, dies war eine ausgezeichnete Art, die Arbeiterklasse auf die kommenden Konfrontationen vorzubereiten.
PROLOG ZUM PUTSCH
Den ganzen August hindurch hielten Allende und Aylwin (der Präsident der Christdemokraten) Besprechungen ab und säten so Verwirrung in der Arbeiterklasse, die, nach zwei Wochen „Vorbereitung auf einen Aufstand“ nun in Untätigkeit verharrte. Währenddessen führten die Streitkräfte unter dem Schutze des Waffenkontrollgesetzes Strafexpeditionen gegen Bauern und Arbeiter durch. Die erste fand in Lanera Austral statt, einer Textilfabrik in Punta Arenas, wo die Soldaten Arbeiter zusammenschlugen, ihren privaten Besitz stahlen, einen Arbeiter töteten, einen anderen mit einem Bajonett verwundeten und die Maschinen bei der erfolglosen Suche nach Waffen zerstörten. Die Volksfront verurteilte diesen Einsatz nicht. Während die Armee damit die Arbeiter einschüchterte, konnte sie gleichzeitig das Ausmaß einschätzen, wieweit die Leute bewaffnet waren und die politische Entschlossenheit der Regierung testen.
Die einzigen, die ihre Stimme zum Protest erhoben, waren der MIR und der sozialistische Abgeordnete Mario Palestro. Am 8. August erhob General Carlos Prats im Auftrag der Armee Anklage gegen sie vor Gericht. Am 7. August verhaftete die Marine eine Gruppe Matrosen und Unteroffiziere unter dem Vorwand, daß sie einen Umsturz planten. Tatsächlich war es eine kleine Gruppe von UP-Sympatisanten, die die UP-Propaganda ernst genommen und eine Anzahl von Treffen abgehalten hatten, um zu beschließen, was man gegen die offene Vorbereitung eines Staatsstreiches der Offiziere tun könne. Die verhafteten Männer wurden geschlagen und gefoltert. Als ihre Behandlung von ihren Verwandten und Rechtsanwälten öffentlich angeprangert wurde, antwortete Allende, indem er die Marine gegen die Anklage verteidigte. In Bezug auf die Anklage, dass gefoltert wurde, sagte er: „Es ist unverantwortlich, daß man Aktionen macht oder Erklärungen herausgibt, die in einer kritischen Zeit wie dieser, eine schon schwierige Situation noch schwieriger machen. Die Regierung hat darauf bestanden, daß die Situation nicht falsch dar gestellt werden darf, indem man suggeriert, daß eine Feindschaft zwischen dem Volk und der Armee besteht….. Was die Behauptungen angeht, daß Marinepersonal, das gerade vor Gericht steht, gefoltert wurde, bin ich informiert, daß die betroffenen Leute ihre eigenen Darstellungen vor den zuständigen Marinegerichten gemacht haben. Wenn es Marinepersonal gibt, das gefoltert hat, werden Sanktionen gegen sie eingeleitet werden. (Von wem? Von den gleichen Tribunalen, die die Folter angeordnet hatten?) Wenn das nicht der Fall ist, werden diejenigen, die falsche Anschuldigungen gemacht haben, ihrerseits bestraft werden.“
Nach dieser Abfuhr mussten sich alle Gruppen innerhalb der Streitkräfte, die sich darauf vorbereiteten, die Regierung zu verteidigen, mit der Tatsache abfinden, daß Allende ihnen in den Rücken gefallen war. Am 30. August durchsuchten die Streitkräfte ein landwirtschaftliches Reformzentrum im Distrikt Cautin. Im Bauernhaus selbst wurden 27 Bauern gefoltert, um aus ihnen Geständnisse herauszupressen, daß sie am Aufbau von Guerillatruppen beteiligt gewesen waren. Die Regierung hüllte sich wiederum in Schweigen.
In der ersten Septemberwoche unternahmen die Streikräfte eine Reihe von Durchsuchungen in den wichtigsten Fabriken von Santiago. Am 7. griffen sie die Sumar-Nylon Fabrik mit Maschinenpistolen an und ließen eine Anzahl Toter und Verletzter zurück. Alle Durchsuchungen waren von ähnlicher Brutalität begleitet; dennoch blieb die Regierung immer noch stumm. Das MIR-Journal Punto Final, das nur wenige Tage vorher die Diktatur des Volkes und des Militärs herbeigewünscht hatte, lamentierte nun laut, daß „niemand die Putschisten entwaffnet“. Das Militär seinerseits konnte sich versichern, daß die Arbeiterklasse durch die Volksfront praktisch entwaffnet war und mit gebundenen Händen dastand.
Am 26. Juli antwortete die Opposition auf Allendes versöhnlerische Rede vom Vortag, indem sie ihre entscheidende Massenoffensive gegen die Regierung einleitete. Den ganzen August hindurch paralysierten die Lastwagenbesitzer das Transportsystem, während die Ladenbesitzer wiederholt in den Streik traten. Die Warenknappheit wurde immer verzweifelter; das Land war praktisch gelähmt und die Terroristen der Patria y Libertad konnten mit Hilfe von Armee-Offizieren so ungestraft handeln, daß es ihnen am 13. August gelang, während einer nationalen Rundfunk- und Fernsehübertragung von Allende eine Stromsperre über fast das ganze Land zu verhängen. Die Volksfront reagierte in der Weise, daß sie den Wolf aufforderte die Schafe zu hüten. Ihre Methode zur Lösung der Transportkrise war, General Herman Brady als „Interventor“ zu benennen, den Mann, der heute den Ausnahmezustand in der Provinz Santiago im Auftrag der Junta überwacht. Es ist nicht schwierig sich vorzustellen, wieviel Energie dieser berüchtigte Putschist in seine Aufgabe, den Transportstreik zu einem Ende zu bringen, investierte.
Am 22. August zeichnete sich zum ersten Mal seit drei Jahren ein Riss in dem Block ab, der in jedem kritischen Moment zwischen der Partei der industriellen Bourgeoisie (die PDC), den Parteien der Bürokratie des bürgerlichen Staates und des Kleinbürgertums (jene der Unidad Populär mit eingeschlossen) geformt worden war. Die Christdemokraten stimmten mit der Nationalpartei für eine parlamentarische Erklärung, daß „die Exekutive eine schwerwiegende Übertretung der politischen Verfassung des Staates begangen hat“ und forderten die Verteidigungsminister auf, die Aktivitäten der Regierung auf einen legalen Weg zurückzuführen. Es lief immer noch nicht auf den Ruf nach einem Staatsstreich hinaus. Die PDC behielt sich weiterhin einen Manöverspielraum bei, der es ihr immer noch ermöglichte, Allende zu unterstützen, wenn der Präsident – nun hart am Rande des Abgrunds – sich für eine Änderung der Politik entscheiden und der industriellen Bourgeoisie feste Garantien zusagen würde. Die erste dieser Garantien würde natürlich die Zusage, die fortgeschrittensten Teile der Arbeiterklasse zu zerschlagen, sein müssen. Während der letzten Augusttage machte Genaral Cesar Ruiz Danyau, ein wohlbekannter Unterstützer des Staatsstreichs, den Allende am Abend des 29. Juni den versammelten Massen als einen der Helden des Tages vorgestellt hatte, einen Schritt, der die Situation innerhalb der Streitkräfte noch weiter zuspitzte. Ruiz Danyau legte seinen Ministerposten und seinen Posten als Armeebefehlshaber nieder, erklärte aber später, daß soweit es ihn beträfe, er nur das Ministeramt niedergelegt habe und daß es der Präsident war, der seinen Rücktritt als Armeebefehlshaber gefordert habe. Die Rechte protestierte, indem sie Allende beschuldigte, dem militärischen Generalstab politische Motive anzulasten. Frei seinerseits beeilte sich den Präsidenten daran zu erinnern, daß das Garantie Statut, das jener 1970 unterzeichnet hatte, ihn verpflichtete den „professionellen Status der Streitkräfte“ anzuerkennen. Allende ernannte Gustavo Leigh, das am weitesten rechts stehende Mitglied der gegenwärtigen Junta zum Nachfolger Ruiz Danyau.
Mitte August initiierte die Opposition eine Kampagne von öffentlichen Demonstrationen und eine Petition, die Allendes Rücktritt forderte, „um die Errichtung einer verfassungsmäßigen neuen Ordnung zu ermöglichen“. Unter der Führung der Studentenvereinigung der Katholischen Universität gaben weite Teile des Kleinbürgertums Parolen nach einem Staatsstreich aus und brachen endgültig mit dem Mythos der republikanischen Demokratie. Die PDC unterstützte die Kampagne, obwohl sie Allende immer noch die Möglichkeit eines „Kurswechsels“ anbot. Diese Kampagne erreichte am 6. September ihren Höhepunkt in einer riesigen Demonstration von Frauen der Opposition, auf der die Hauptsprecher forderten, daß der Präsident „entweder seine Politik ändern oder zurücktreten solle“. Zur gleichen Zeit fanden einige Demonstrationen von Frauen hochrangiger Offiziere vor dem Verteidigungsministerium und dem Haus des Oberbefehlshabers der Armee, General Prats, statt, die seinen Rücktritt forderten, „weil er das einzige verbleibende Hindernis war“. In welchem Sinn? Es war ganz deutlich, daß er das einzige hoch verbleibende Hindernis auf dem Weg eines Staatsstreiches war, der sonst die uneingeschränkte Unterstützung der Streitkräfte hatte. Frats beschloß sofort das Feld für die Offiziere, die den Staatsstreich vorbereiteten, zu räumen und erklärte seinen Rücktritt, mit der Begründung, „er wolle die Armee nicht spalten“. Dies Verhalten, das nahe an eine Komplizenschaft mit den Putschisten grenzte, wurde von Allende als eine „heldenhafte und patriotische Geste“ dargestellt. Die UP Presse machte Schlagzeilen aus einem Brief an Prats, in welchem Radommiro Tomic den Ex-Oberbefehlshaber mit Bernando O´Higgins – dem Befreier Chiles – verglich. Am 25. August ernannte Allende Augusto Pinochet zum Oberbefehlshaber der Armee: der Generalstab des Staatstreichs war nun vollständig.
Die UP organisierte eine Massendemonstration zu Ehren des Generals, der seinen Posten aufgegeben hatte, um die Einigkeit der Streitkräfte zu erhalten. Die ganze Arbeiterklasse war zu dieser Farce zusammengerufen worden; tatsächlich nahmen nur die Sektoren teil, die von den sozialistischen und kommunistischen Parteien kontrolliert wurden. Am nächsten Tag zeigten die Oppositionszeitungen mit Freude das Foto des für General Prats reservierten Stuhls, der leer blieb, weil der „Patriot“ nicht an der Ehrung teilnahm. Am 4. September trat der Oberbefehlshaber der Marine, Flottenadmiral Montero zurück. Das Marinekommando hatte Toribo Merino nominiert, dessen Platz in der Militärjunta einzunehmen. Allende versuchte nun ein letztes Manöver, um die Bildung des Generalstabes für den Putsch zu verhindern – er nahm Monteros Rücktritt nicht an. Am selben Abend besuchte er eine Massendemonstration, die organisiert worden war, um dem dritten Jahrestag seines Wahlsieges zu feiern. Lange Kolonnen von stummen Menschen marschierten an diesem Tag an seinem Podium vorbei. Es gab keine Reden – die Führung hatte den Massen nichts mehr zu sagen. Arbeiter und Arbeiterinnen weinten, andere marschierten mit niedergeschlagenen Augen vorbei. Es gab wenige Parolen – sieben Tage vor dem Putsch spürte die Arbeiterklasse ihre Niederlage. Oben auf dem Podium, auf dem die vier Militärs, die Ministerposten bekleideten, verdächtigerweise fehlten, standen jene, die sie zu dieser Niederlage geführt hatten, gefühllos und mit starrem Blick, wohl wissend, daß das Ende greifbar nahe war. Am nächsten Tag gab General Torres de la Cruz der die Suchaktion in Lenara Austral geleitet hatte, eine Erklärung ab, dessen Stil der Junta einige Tage später als Modell für ihre eigenen Erklärungen dienen sollte. Der General warnte die Linke, daß „die Streitkräfte unermüdlich an ihrer Entschlossenheit festhalten werde, unwürdige Chilenen und unerwünschte Ausländer aufzufinden und zu bestrafen.“ Am Sonntag, dem 9. machten die Christdemokraten einen letzten Versuch, die chilenische Bürokratie zu retten, eine Kaste, die 160 Jahre seit der Gründung des Nationalen Kongresses überlebt hatte, und die der Zement war, der den PDC-UP-Block bis vor wenigen Tagen zusammengehalten hatte.
Eine Plenartagung der nationalen und örtlichen Anführer der PDC bot Allende den gleichzeitigen Rücktritt aller ihrer Abgeordneten und Senatoren an, wenn er seinen Rücktritt zur gleichen Zeit erklären würde, um den Weg für Neuwahlen freizumachen. Die UP antwortete sprichwörtlich: „Zurücktreten? Niemals!“
DER 11. SEPTEMBER
Nur dreimal fand die Operation Unitas15 statt, ohne massive Protestdemonstrationen zu provozieren; es gab praktisch nur eine Zeitperiode, in der sie von der Bevölkerung unbemerkt durchgeführt wurde – nämlich in den drei Jahren der „anti-imperialistischen“ Regierungszeit der Unidad Populär. Denn die UP bemühte sich auch um die Gunst der Armee, indem sie deren Beziehungen zum Pentagon so weit wie möglich erleichterte. Wenige Tage nach dem Putschversuch im Juni erschien zum Beispiel ein unvorhergesehener Artikel in der regierungstreuen Zeitung La Nación Eine Schlagzeile verkündete Eine wichtige Veränderung in der US-Wirtschaftspolitik gegenüber Chile“; der Bericht wies auf ein höchst ermutigendes Symptom von Veränderungen hin, daß nämlich der amerikanische Außenminister die Bewilligung eines wichtigen Kredites für Chile zum Kauf von Waffen bekannt gegeben hatte, wobei die Betonung auf 30 Anti-Guerilla Flugzeugen lag. Der Journalist schilderte mit Begeisterung ausführlich die Charakteristika dieser Flugzeuge und ihre Nützlichkeit für die UP. Anfang September liefen amerikanische Kriegsschiffe der Operation Unitas chilenische Häfen an, liefen wieder aus und kreuzten entlang der Küste. Das einzige Zeichen einer versteckten Kritik war der Abdruck eines Artikels aus Nuestra Palabra (Unser Wort), dem Organ der Argentinischen Kommunistischen Partei, in dem die Beteiligung der Argentinischen Flotte an dem Manöver kritisiert wurde. Von den drei Abteilungen der Armee war die Marine die „Vorhut“ des Putsches. Admiral Huerta kritisierte öffentlich den Plan einer Schulreform16 – eine weitere Schlacht, die die UP verlor und es damit der Opposition möglich machte, große Teile der Kleinbourgeoisie für sich zu gewinnen – als er im November 1972 von Allendes Kabinett zurücktrat. Von diesem Tag an hatte er ganz offen gegen Allende die Verschwörung begonnen. Toribo Merino, den Allende 1972 zum Intendente (Provinzgouverneur) von Valparaiso ernannte hatte und der sich 6 Monate lang mit der Unterstützung der UP der Verfolgung der Ultra-Linken in der Stadt gewidmet hatte, tauchte nun wieder als Fürsprecher der Marine auf. Er leitete eine Kampagne gegen die Subversion innerhalb der Marine und forderte die Absetzung des Abgeordneten Garreton, Anführer der MAPU und des Senators Altamirano, Mitglied der Sozialistischen Partei. Wenige Tage vor dem Putsch berief dieser Mann ein Treffen der Flottenkomandeure ein und setzte durch, daß sie eine Resolution zur Unterstützung des Putsches billigten. Und gleichzeitig den Rücktritt von Admiral Montero forderten, der, nachdem er mehrere Monate Mitglied des Kabinetts von Allende gewesen war, nun bei dem Gedanken, als Anführer des Putsches hervorzugehen, Gewissensbisse bekommen hatte. Bei einem Treffen im Palacio de la Moneda hatte Merino sich Allende gegenüber folgendermaßen geäußert: „Die Flotte“, so sagte gr, „ist wesentlich anti-marxistisch eingestellt.“ Der MIR denunzierte öffentlich die konspirativen Treffen von chilenischem und amerikanischem Militärs an Bord der Nordamerikanischen Schiffe der Operation Unitas und veröffentlichte die Tatsache, daß auf jedem chilenischen Flottenschiff je ein amerikanischer Geheimoffizier postiert worden war. Die Flottenleitung machte sich nicht einmal die Mühe, diese Anklage zu widerlegen. Die UP ließ alle diese Vorbereitungen ohne jeglichen Protest geschehen. Der Putsch war nun ernsthaft im Anmarsch und die Militärs konnten nicht länger die Gefahr der Denunzie- rung ihrer Pläne riskieren – einfach um ideologische Diskussionen in der UP zu verhindern.
Am 10. täuschte das chilenische Geschwader ein Auslaufen aus dem Hafen von Valparaiso vor, um an der Operation Unitas teilzunehmen; aber in der Nacht kehrte es zurück und blockierte die Einfahrt zum Hafen. Allende wurde sofort von der Rückkehr der Flotte unterrichtet.
In der gleichen Nacht blieben die Militärchefs bis spät in die Nacht im Verteidigungsministerium, das sich gegenüber vom Palacio de la Moneda befand. Ihre Autos waren für alle sichtbar vor dem Gebäude geparkt.
In den Morgenstunden des 11. führte die Armee eine Operation in Concepcion, dem traditionellen Stützpunkt des MIR durch und nahm 600 politische Militante fest, die dann auf die Insel Quiriquina gebracht wurden.
Am morgen des 11. Septembers um 7.30 Uhr ging Allendes Verteidigungsminister Orlando Letelier zu seinem Ministerium und wurde dort festgenommen. Journalisten fotografierten, wie er mit militärischer Eskorte das Gebäude (gegenüber vom Palacio de la Moneda) verließ.
Kaum je zuvor ist ein militärischer Putsch so offen vorbereitet und durchgeführt worden. Und dennoch verbreitete Allende am Morgen des 11. um 9.30 Uhr, als der Putsch im Gange war. über Rundfunk, daß es „Probleme in Valparaiso gäbe“; er forderte die Leute auf, ruhig zu bleiben und „die Reaktion der patriotischen Soldaten abzuwarten. „Dieses Mal rief er die Arbeiter nicht dazu auf, ihre Fabriken zu besetzen; im Gegenteil: er rief die Arbeiter dazu auf, „sich nicht massakrieren zu lassen“, wobei er sich zweifellos darüber bewußt war, daß der Putsch unvermeidlich war. Von jenem Moment an versuchte er bezeichnenderweise, die Krise durch Verhandlungen zu lösen. Er rief die Oberkommandeure zu einem Treffen im Palacio de la Moneda zusammen; es ist klar, daß sie nicht kamen. Unbestätigte Berichte behaupten, daß Allende die Warnung, der Palacio de la Moneda werde bombardiert, bespöttelte, indem er gesagt haben soll, „daß dies ein Putsch nach chilenischem Muster“ sei, daß der Palast nicht bombardiert werde und er Informationen hätte, nach denen General Pinochet den Flughafen von El Bosque mit seinen Truppen umstellt hätte, damit keine Flugzeuge starten könnten. Doch hatten die oppositionellen Radiostationen bereits seit zwei Stunden die ersten Erlasse der Militärjunta gesendet, die von General Pinochet, dem Anführer, unterzeichnet waren.
Nach inoffiziellen Informationen wurde die Bombardierung des Palacio de la Moneda von General Magliochetti geleitet, der, da er das Vertrauen von Allende genoß, bis zu jenem Zeitpunkt Verkehrsminister gewesen war. Magliochetti hatte in einer Fernsehsendung ein paar Tage zuvor erklärt, daß Fidel Castro den er auf seiner Rundreise durch Chile begleitet hatte, ein „ernsthafter Revolutionär“ sei.
Allendes heroischer Tod im Palacio de la Moneda ist in der weltweiten kommunistischen Presse zu einem unanfechtbaren und heiligen Mythos geworden; auf diese Art und Weise hoffen sie wahrscheinlich, jedem Gedanken über die Irrtümer und Fehler jener drei Jahre, die die chilenische Arbeiterklasse in die Niederlage führten, zuvorzukommen. Leider gibt es auf dem linken Flügel des Reformismus Leute, die glauben, daß man etwas gewinnen könne, wenn man das Image des Reformisten Allende ausbeutet, von einem Mann, der heroisch mit dem Maschinengewehr in der Hand im Kampf gegen den Faschismus starb.
Allende war ein bürgerlicher Reformist bis zum Ende. Seine letzten Worte, die er an das Volk richtete, wurden mit einem Seitenblick auf zukünftige Historiker abgefasst; seine Worte enthielten keine einzige Direktive an die Massen, die ihm vertraut hatten und die sich selbst überlassen waren, als innerhalb weniger Tage die meisten Anführer der UP in die Sicherheit der Botschaft flohen. Der „Genosse Präsident“ starb, während er das wertvollste chilenische Symbol bürgerlicher Demokratie verteidigte – den Palacio de la Moneda; er warnte in seiner Abschiedsrede davor, daß die Vernichtungswelle, in der er sterben werde, die bürgerlichen Politiker, die ihre Pflicht nicht erfüllt und die Demokratie nicht verteidigt hätten, mit Schande bedecken würde. Dies war eine vergebliche Mahnung; jeder weiß, daß die bürgerlichen Politiker kein Schamgefühl haben und noch weniger sich berufen fühlen, die Demokratie zu verteidigen. Allende starb nicht, als er Seite an Seite mit den Arbeitern der Cordones Industriales kämpfte: diese attackierte er bis zuletzt damit, daß sie „ökonomistisch“ „ultra-links“ und „spalterisch“ seien.
Sein Verhalten wird fruchtbaren Boden auf einem Kontinent finden, wo in den letzten 13 Jahren junge kleinbürgerliche Revolutionäre viel Aufhebens um ihre Differenzen mit dem Reformismus gemacht haben, aber tatsächlich nichts anderes als ihre bewaffneten Flügel darstellten.
Schließlich war es eine demobilisierende Rede; auf der einen Seite kämpfte dort oben am Himmel, wo die Helden sind, der bürgerliche Titan allein gegen Flugzeuge und Maschinengewehre, während andererseits die Massen zu passiven Beobachtern verdammt waren. Erst als die Schlacht zwischen den Helden auf dem Olymp wirklich entschieden war, wurden die Massen eingeladen, an ihrer eigenen Vernichtung teilzunehmen. Als der Palacio de la Moneda verloren und Allende ermordet war, rief der CUT die Arbeiter dazu auf ihre Fabriken zu besetzen und sie zu verteidigen. Der Reformismus erfüllte also bis zuletzt seine historische Rolle, die besten Teile der Arbeiterklasse zu zerstören. Während der 30 Tage, die dem Putsch vorangingen, lähmte er die Arbeiterklasse, versteckte ihre Waffen in Kellern, aus der Furcht, die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Und als die Würfel gefallen waren, rief er ein unbewaffnetes Proletariat dazu auf, einen Krieg gegen eine modern ausgerüstete Armee zu führen, die Artillerie, Panzer, Flugzeuge und Kampfhubschrauber zur Verfügung hatte. Die Militärjunta war ihm für diesen Dienst sehr dankbar. Dem Kommunisten Jorge Godoy Präsident des CUT und Allendes Arbeitsminister wurde das Leben zugesichert, mit der Auflage, eine feige von der wirklichen Situation ablenkende Erklärung abzugeben. So sprach der Mann, der von jeder Rednertribüne den Faschismus bekämpft hatte, um 17. Uhr am 11. September im Fernsehen und im Rundfunksender der chilenischen Armee und der Polizei, während in Santiago noch um jeden Straßenzug gekämpft wurde. Er verurteilte die Extremisten von Rechts und Links, indem er erklärte, daß sie (wer ? die kommunistische Partei?) dazu bereit seien, am Kampf um höhere Produktionsraten teilzunehmen, würden sie dazu aufgefordert. Heute genießt dieser Verräter besondere Behandlung im Estadio Nacional und sein Leben wird fast sicher verschont bleiben wie das all seinen Kameraden der Führungsspitze der Kommunistischen Partei. Ihr Schicksal ist entwürdigender als das derjenigen, die eines heroischen Todes gestorben sind. Die Männer, die geputscht haben, planten die physische Ausrottung der fortgeschrittensten Teile der Arbeiterklasse entweder durch Mord oder durch Gefängnis. Dazu war es notwendig, sie von der Masse der Arbeiter zu trennen, deren Schicksal es sein würde, auch weiterhin während der „Wiederaufbauphase“ ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Die UP hatte bereits die politischen Bedingungen für eine solche Trennung geschaffen, indem sie den Kampf gegen den „Ökonomismus“ aufgenommen hatte. Diese Kampagne isolierte die Avantgarde von der Masse der Arbeiter dermaßen, daß viele von ihnen zu Streikbrechern bei gerechten Forderungen von streikenden Arbeitern wurden. So waren die politisiertesten Sektionen von jenen Gruppen von Arbeitern getrennt, die einen scharfen Klasseninstinkt trotz ihrer politischen Rückständigkeit besaßen. Die politische Intelligenz der Avantgarde jedoch verwirrte die Masse der Arbeiter, denen man weisgemacht hatte, sich als Soldaten in der „Produktionsschlacht“ zu sehen, im Krieg gegen „Ökonomismus“ und „Ultralinke“, zu einer Zeit, als sie eigentlich die Soldaten des Sozialismus hätten sein müssen. Der Graben zwischen den Arbeitern und denen, die die Führung der Klasse beanspruchten, wuchs. Denn diese besagte Führung (die Arbeiterparteien innerhalb der UP- Koalition) verfolgte jetzt Ziele, die von ihrer historischen Mission abwichen und kämpfte unentwegt gegen die unmittelbaren Interessen der Arbeiter, wobei sie Rechtmäßigkeit ihres Handelns aus der Hypothese vom „Chilenischen Weg zum Sozialismus“ ableiteten. Der hohe Wahlsieg in den Märzwahlen verbarg diesen Prozeß der Desillusionierung der Massen in die Führungsspitze der UP, die zutiefst an die bürgerliche Demokratie mit ihren Wahlen und ihrem Parlament gebunden war. Sie dachte, daß jede Stimme für sie die aktive Unterstützung ihrer Politik bedeutete; sie sah nicht, daß die Massen ihre Kandidaten unterstützt hatten, weil sie keine andere Wahl hatten. Dennoch war bereits die tiefe Spaltung innerhalb der Arbeiterklasse vorhanden, die noch durch die Auseinandersetzung in den Kupferbergwerken vertieft wurde.
Und während die Kleinbourgeoisie fortfuhr in Illusionen zu schwelgen, erkannten die Bourgeoisie und die Armee diesen Prozeß, da sie eher in der Lage sind, Dinge klar zu sehen, wo die Verteidigung ihrer Interessen auf dem Spiel steht. Die Rechte fühlte den Impuls dieses langsamen und graduellen Entfremdungsprozess zwischen der UP und den Massen. Sie förderte ihn mit allen Mitteln;doch diejenigen, die in den Widersprüchen des „Chilenischen Weges zum Sozialismus“ verstrickt waren, taten nichts, um diesen Prozeß zu stoppen. Jeder Hauptdarsteller in diesem Drama spielte wie die Charaktere in einer griechischen Tragödie die Rolle, die ihm vom Schicksal zugeschrieben war und spielte sie bis zum bitteren Ende.
Im Programm der UP war erklärt worden, daß die Intention des Programms die sei, Bauernschaft und „Nationalbourgeoisie“ zu gewinnen, um eine überwältigende nationale Mehrheit zu erreichen, die es erlauben würde, den Sozialismus friedlich durchzuführen.
56 Jahre nach der russischen Revolution verfolgen die Reformisten immer noch das unerreichbare Ziel die Bourgeoisie für ein „fortschrittliches demokratisches“ Programm zu gewinnen. Die Intention besteht darin, die Bourgeosie zu verleiten, „Seite an Seite mit dem Proletariat“ die erste Etappe des Prozesses zu durchschreiten, um damit die Bedingungen für ein späteres Verschwinden der Bourgeoisie als Klasse zu schaffen. Drei Jahre lang entlarvte die bürgerliche Presse täglich diese leicht durchschaubare Taktik, indem sie darstellte, was mit einem Kleineigentümer passiert, wenn die sozialistische Revolution im Anmarsch ist; dabei bezog sie sich auf zahlreiche historische Beispiele des 20. Jahrhunderts. Der UP gelang deshalb lediglich, sich selbst zu täuschen und die Arbeiterklasse zu demoralisieren.
Während der Regierungszeit der UP wurden dank Protektionsgesetzen und der Entwicklung von Spekulationen und Schwarzmarkt die professionellen Schwarzhändler, die kleinen Kaufleute, die Industriellen und die Landbourgeoisie reicher denn je. Sie akkumulierten unermeßliche Geldmengen die sie nicht wieder investierten, weil ihnen die politischen Bedingungen für Kapitalinvestitionen zu unsicher waren. Die Taschen voller Dollars wurde die Kleinbourgeoisie ärgerlich und auch ungeduldig, denn sie wollte Bedingungen, die ihr die Umwandlung ihres Geldes in Kapital ermöglichte. Die Bedingungen die sie forderte, bedeutete den Sturz der Regierung und die Zerschlagung der Arbeiterklasse. Während die UP ihre Bündnispolitik mit den Mittelklassen predigte, stellten genau diese Mittelklassen der Bourgeoisie Stoßtruppen zur Verfügung, die hunderttausende von Leuten auf die Straßen brachten, den Verkehr, Handel und medizinische Versorgung lahmlegten und die landwirtschaftliche Produktion ernsthaft unterminierten. Dieses sogenannte Bündnis sollte bald die vollständige Isolierung der Arbeiterklasse zur Folge haben.
Diese Isolation erreichte ihren totalen Höhepunkt, als die UP einen Keil zwischen die Arbeiter und ihre traditionellen Bündnisgenossen, die Bauern, trieb. Gemäß dem „chilenischen Weg“ schlug die Regierung vor, das Agrarreformgesetz, das von den Christdemokraten verabschiedet worden war,17 auszunutzen und somit die Latifundien zu zerschlagen.
Wieder einmal versuchte die UP die Bourgeoisie durch Anwendung ihrer eigenen Gesetze auszuschalten. Das Gesetz zur Agrarreform beinhaltete, daß jeder Landbesitz mit mehr als 80 Hektar (200 Morgen) bewässerten Landes unter das Enteignungsgesetz fallen sollte (Die Maßeinheit bezog sich auf bewässerte Hektar Land, da die chilenische Landwirtschaft auf Bewässerungssystem basiert, eine Tatsache, die die Regierung befähigte, Grade der Bewässerung und einzelne Charakteristika des jeweiligen Gebietes zu berücksichtigen). Es beinhaltete aber auch auf der anderen Seite ausgesprochen entgegenkommende Bestimmungen bezüglich der Entschädigung; so war der Staat verpflichtet, den jeweiligen Landbesitzern für Maschir nen und jeglichen Besitz, der enteignet wurde, finanziell zu entschädigen.
Die Bauernbewegung, die während der Freiregierung an Stärke gewann, nahm sprunghaft in den ersten 2 Jahren der UP Regierung zu. Die UP hoffte ihr Enteignungsprogramm innerhalb von vier Jahren abzuschließen, wurde aber durch die Landbesetzungen und -enteignungen, die die Bauern selber durchführten, gezwungen, den Prozess innerhalb von zwei Jahren zu vollziehen. Ende 1972 gab es keinen Landbesitz von über 80 Hektar bewässerten Landes mehr. Die Enteignungen beließen jedoch die ehemaligen Landbesitzer mit 80 Hektar und ihren Maschinen, Vieh und Einrichtungen, die zum Hof gehörten – der Staat konnte ihnen dies nicht abkaufen, obwohl 1.300.000 Millionen Escudos für das Landreformprogramm bewilligt waren. Auf diesem Weg waren die alten feudalistischen Landbesitzer gezwungen landwirtschaftliche Kapitalisten zu werden. Das Pachtsystem wurde abgeschafft; aber die neuen Agrarkapitalisten konnten immer noch das Entschädigungsgeld zum Kauf von neuen Maschinen und zur Einstellung von Landarbeitern verwenden.
Die Resultate wurden bald offensichtlich; die Produktivität dieses Privatsektors war um ein vieles größer als in dem durch die Reform neu geschaffenen Sektoren, wo es an Maschinen und Geld mangelte. Die UP nährte zwar die Hoffnungen der landlosen Massen, Kleinbauern werden zu können, aber erfüllte sie nicht. Eine ungelöst gebliebene Auseinandersetzung fand dann innerhalb der UP statt; auf der einen Seite sprach sich ein Teil der Sozialistischen Partei zusammen mit der MAPU und dem MIR für die Schaffung von staatlichen Farmen und Kooperativen aus; auf der anderen Seite insistierte die Kommunistische Partei auf Kooperativen und auf der Notwendigkeit, den Bauern privaten Landbesitz zu geben – eine Position die mit der restlichen UP-Politik übereinstimmte. Die Position der „Linken“ verhinderte jegliche Entscheidung während dieser drei Jahre. Als unmittelbare Maßnahme wurden die Zentren der Agrarreform (CORAS) gegründet, in denen die Bauern das Recht hatten, ein kleines Stück Land individuell zu bewirtschaften. Aber die Besitzfrage des restlichen Landes blieb ungeklärt bis der Kongreß in dieser Angelegenheit zu einer Übereinkunft kommen sollte.
Als der Enteignungsprozess beendet war, wurde auch die Mobilisierung der Bauernschaft nicht fortgeführt, was bewirkte, daß sich die Widersprüche des landwirtschaftlichen Kapitalismus verschärften. Die Bauern lieferten ihre meisten Produkte an den Schwarzmarkt oder an Schmuggler (Schmuggelgeschäfte waren höchst profitabel, da der Dollar gegenüber dem Escudo unterbewertet war).
Dabei wurden sie vom Privathandel unterstützt, der 80 % des Handels von Agrarprodukten kontrollierte. Die UP jammerte über das „mangelnde Bewußtsein der Bauern“. In den von der Reform neu geschaffenen Sektoren beuteten die neuen Besitzer und die Delegierten der CORAS die Landarbeiter schamlos aus. Diese Arbeiter wiederum fanden keine Unterstützung innerhalb der linken Parteien bei ihren Versuchen, Landarbeitergewerkschaften zu organisieren. Die Linke zog es vor, ihr Hauptgewicht auf die Bildung von Bauernräten zu legen, in denen meist reiche oder mittlere Bauern den Vorsitz führten.
Das erste politische Ergebnis dieses Prozesses war der Niedergang der revolutionären Bauernbewegung (MCR – Movimiento Campesino Revolucionario), die von dem MIR angeführt wurde und die während der Periode der Enteignungen eine wichtige Rolle gewonnen hatte. Die Christdemokraten nutzten die Situation aus, indem sie darauf bestanden, daß das Land in Privatbesitz überführt werden sollte; wenige Tage vor dem Putsch brachten sie eine Gesetzesvorlage im Kongress ein, die die Regierung dazu verpflichtet hätte, Eigentumsurkunden zu verteilen. Wenige Tage später behandelte Marta Harnecker in Chile Hoy (eine Zeitung der Linken in der SP und des MIR) die Frage der Bauernmobilisierung und die entscheidende Opposition der Bauernmassen gegenüber einem Putsch. Eines ist sicher: zu jenem Zeitpunkt wollten die Bauern nur eines, nämlich eine Garantie für ihren Besitz an Land, und deshalb waren sie gegenüber der UP misstrauisch. Natürlich gab es „Kerne“ von klassenbewussten Bauern, die die UP unterstützten, aber die Masse der Bauernschaft war nicht bereit, das Risiko mit einer Regierung einzugehen, die zögerte, ihnen Landbesitzurkunden zu übergeben. Wie im Napoleonischen Frankreich war es das Militär, das intervenierte und sich als der Garant für die Respektierung der Rechte der Bauern präsentierte: Wenige Tage nach dem Putsch versprach die Junta, daß alle Bauern Besitzurkunden für ihr Land bekämen.
Am 11. September war die Stunde für den endgültigen Schlag gegen das klassenbewusste Proletariat gekommen. Es stand allein, getrennt von den Bauern, konfrontiert mit den „Mittelschichten“ und von den weniger bewussten Arbeitern abgewiesen. Es gab hunderttausende von klassenbewussten Arbeitern – aber die Revolutionen werden von Millionen gemacht.
Am 11. September um 14 Uhr erließ die Militärjunta zwei Dekrete; das erste befahl den Arbeitern, ihre Fabriken zu verlassen, das zweite war ein Ausgehverbot für die nächsten 45 Stunden, d.h. vom 11. September 15 Uhr bis 13. September 12 Uhr. Die Armee wollte mit den UP Arbeitern allein konfrontiert sein und gab daher der restlichen Bevölkerung eine Stunde Zeit, um sich vom Schlachtfeld zu entfernen. Zwischen 14 Uhr und 15 Uhr konnte man lange Kolonnen von Arbeitern beobachten, die nach Hause zurückmarschierten. Die Militanten der UP blieben in den Fabriken. Die Parole des CUT war, die Fabriken wie mittelalterliche Festungen zu verteidigen und auf der moralischen Ebene war die Parole, so heroisch zu sterben wie der Genosse Allende.
WIDERSTAND UND UNTERDRÜCKUNG
Nach zwei Tagen heroischen Widerstandes lag das Haupt der chilenischen Arbeiterklasse im Staub„ Führerlos, in einen Stellungskrieg gegen eine moderne Armee verwickelt, ohne Waffen, weil der Reformismus das Schlagwort „Waffen für das Volk“ nur benutzt hatte, um die Bourgeoisie zu erschrecken; geschockt durch den Hagel von Feuer und Metall, der auf sie durch die „pro-Allende“- Generäle gerichtet wurde, deren Eintritt in das Kabinett als ein Sieg gefeiert worden war; isoliert sowohl von den Massen der weniger politisierten Arbeiter wie von der Bauernschaft und gegen sich die Mehrheit des „Mittelstandes“, der die Unterdrückung aktiv unterstützte, indem er jeden denunzierte, der der Sympathien für die UP verdächtig war, leisteten die politisch bewusstesten Teile der Arbeiterklasse von Santiago drei oder vier Tage lang in völlig unkoordinierter, isolierter und heroischer Weise Widerstand.
Am 11. September erließ die Militärjunta eine weitere Verfügung, die die hauptsächlichen UP-Anführer und die Regierungsfunktionäre zur Übergabe aufforderte: Die Mehrzahl der Männer, die noch wenige Stunden vorher geschworen hatte, daß „der Faschismus nicht siegen würde“, gab sich haltlos auf. Andere wieder die weniger geneigt waren, sich einem Schicksal anzuvertrauen, das das Militär für sie bereit hielt, suchten in den Botschaften Zuflucht.
Zwischen dem 3o. Juni und dem 11. September war nicht ein einziger Tag ohne einen Artikel in der UP Presse vergangen, indem die „faschistischen Ratten von Vaterland und Freiheit“ lächerlich gemacht wurden, die nach dem Fehlschlagen von Souper’s Coup in den Botschaften Zuflucht gesucht hatten. Es kann keine Entschuldigung für jene Leute geben, die die Arbeiterklasse bis zum letzten Moment in eine selbstmörderische Konfrontation getrieben hatten und die, als dann die Konfrontation tatsächlich kam, nur daran dachten, ihre eigene Haut zu retten (und in einigen Fällen auch ihre Dollar). Die Führung des MIR war die einzige, die in die Illegalität untertauchte und von dort den Widerstand fortsetzte. Darüber hinaus war der MIR die einzige Gruppe, die auch die Organisation besaß, die für ein solches Vorhaben notwendig war; die übrige Linke hatte so fest an ihre eigenen Lügen geglaubt, daß sie überhaupt keine Vorbereitungen für eine solche Ausnahmesituation traf. Hier ein Beispiel, das die Naivität dieser Leute veranschaulicht: Der Verteidigungsplan für Allendes Wohnsitz in Tomas Moro ging von vorneherein von der Voraussetzung aus, daß im Falle eines nationalen Notstandes jeder Feind, mit dem man es zu tun haben würde, aus „irregulären Kräften“ bestehen würde. Die Möglichkeit einer Konfrontation mit den regulären Truppen der Armee wurde niemals in Rechnung gestellt; man ging von der Loyalität der Streitkräfte aus. Es ist deshalb nicht überraschend, daß eine Handvoll von Flugzeugen und Hubschraubern abgeschossene Raketen innerhalb weniger Minuten einen Plan zunichte machten, an dem die Fachleute über Jahre hinweg gearbeitet hatten, und ebenso die Verteidigungsmittel, die sie vorbereitet und zu ihrer Verfügung hatten.
Die Kommunistische Partei erwies sich als nicht fähig, ihren Generalsekretär Luis Corvolan länger als fünfzehn Tage vor dem Zugriff der Junta zu schützen. Luis Figuero, Mitglied der politischen Kommission der KP und Präsident des CUT, suchte seinerseits Zuflucht in einer Botschaft.
Die Parteien der Linken verhielten sich angesichts der am 11. September eröffneten brutalen Unterdrückung in verschiedener Weise. Die Mehrzahl der Anführer der Sozialistischen Partei stellten sich entweder freiwillig dem Militär oder flüchteten in die Botschaften. Der militärische Führungskader der Sozialistischen Partei zeigte einen großen Heroismus und trug denn auch die Hauptlast der Strafmaßnahmen; er war es auch, der den Versuch machte, dem Widerstand in den Fabriken und Elendsvierteln eine Führung zu geben.
Die Kommunistische Partei bot keinen ernsthaften Widerstand. In den meisten Fabriken, wo sie über eine Mehrheit verfügte, gab es keinen Widerstand, und das Militär konnte widerstandslos die Besetzung vornehmen. Eine bezeichnende Einzelheit gibt einen Einblick in die verdrehte Einstellung ihrer Funktionäre: Sie ordneten an, daß ihre Mitglieder ihre Mitgliedskarten nicht vernichten, sondern bei sich tragen sollten. Tausende von ihnen wurden an ihrem Arbeitsplatz festgenommen, leisteten keinen Widerstand, trugen aber brav ihre Mitgliedskarte und auch ein Armband in der Tasche (mit letzterem hatten sie sich als „Ordner“ bei Demonstrationen ausgewiesen und konnten so die Ultra-Linke“ fernhalten). Man zwang sie, beides aufzuessen, und brachte sie anschließend in die Konzentrationslager. Der MIR gab Anweisung aus, sich kämpfend und geordnet zurückzuziehen. Ihre Anhänger kämpften Seite an Seite mit den Arbeitern; aber in der Erkenntnis, daß die Niederlage des Reformismus unvermeidlich war, zogen sie sich auf disziplinierte Weise zurück, als der Widerstand unmöglich wurde. Als Resultat davon hatten sie wenig Verluste und konnten ihre Untergrundorganisation intakt erhalten.
Die Armee hatte verkündet, daß sie keine Gefangenen machen würde. Jeder, der beim Widerstand angetroffen würde, sollte auf der Stelle erschossen werden, ob er sich ergab oder nicht. Und die chilenischen Generäle standen diesmal zu ihrem Wort. Mehr als 200 Angehörige der GAP, der persönlichen Leibgarde von Allende, die an seiner Seite in der Moneda gekämpft hatten, wurden später zu den Vernichtungslagern transferiert und erschossen. Wenn jemand im Besitz von Waffen angetroffen wurde, erschoss man ihn sofort, falls aus seinem Gewehr geschossen worden war; war dies nicht der Fall, dann feuerte der kommandierende Offizier eine Kugel daraus ab, und anschließend wurde der Besitzer der Waffe erschossen. Jeder, der beim Anmalen von Parolen an Mauern erwischt wurde, wurde an die gleiche Mauer gestellt und erschossen.
Während der ersten vier Tage spielten sich in allen Straßen und Bezirken Santiagos Kämpfe ab. Tag und Nacht war das Donnern der Artillerie zu hören, dem das Feuer aus den leichten Waffen
80 in den Händen der Arbeiter folgte. Und in jedem Morgengrauen tönten die Salven der Erschießungskommandos durch die Stadt; man erkannte sie daran, daß ihrem Echo keine Antwort folgte.
In den Betrieben war die Lage der Kämpfenden verzweifelt. Wie um das Maß seiner verbrecherischen Tätigkeit voll zu machen und darum den Todeskampf der Arbeiter zu verlängern, verbreitete Radio Moskau am 12. September das falsche Gerücht, wonach General Prats an der Spitze seiner Truppen vom Süden her auf Santiago zumarschiere. Der Widerstand müsse weiter fortgesetzt werden, um die „patriotischen Soldaten“ zu unterstützen. Die chilenische Militärjunta, die sich in diesem Falle – aus durchsichtigen Gründen – „humanitärer“ als die Bürokraten des Kreml erwies, stellte am 13. September einen zitternden, schluchzenden General Prats vor die Fernsehkameras, dessen Hände wahrscheinlich unter dem Tisch gefesselt waren. Prats versicherte, daß er nicht die leiseste Absicht hätte, irgendeine Bewegung gegen die Junta zu führen, und daß er schon am l0. September (wußte er also etwas von dem Losschlagen?) ein Visum zum Verlassen des Landes beantragt hatte – ein Ersuchen, das er jetzt in aller Öffentlichkeit wiederholte. Zwei Tage später überquerte ein schneller Wagen die Grenze und lud den General in den Baracken der argentinischen Gendarmerie ab„
Während dieser Tage verwandelte sich der traditionelle Chauvinismus der Chilenen in einen offenen Fremdenhass, General Bonilla sagte im Fernsehen, daß „er solange nicht ruhen würde, bis der letzte Ausländer chilenischen Boden verlassen hätte“, Flugzeuge der chilenischen Luftwaffe warfen Flugblätter über Santiago ab, in denen die Bevölkerung aufgerufen wurde, „Extremisten zu denunzieren“, und in denen gedroht wurde, daß es „kein Pardon für die ausländischen Söldner geben wird, die hierher gekommen sind, um Chilenen zu ermorden.“ Ausländer wurden von ihren Nachbarn denunziert und in Konzentrationslager gebracht, während man ihre Häuser aufbrach und plünderte.
Das Barackenviertel von La Legua, nahe der Textilfabrik von Sumar, war eines der wichtigsten Zentren des Widerstandes . Vier Tage lang konnten die Soldaten hier nicht eindringen, weil jedem Versuch dazu erbitterter Widerstand entgegengesetzt wurde. Die Verteidiger zerstörten einen Bus der Carabineros sowie zwei Panzerwagen, während Frauen und Kinder kochendes Wasser auf die bewaffnete Polizei schütteten. Am vierten Tage beschlossen die Arbeiter dort den Rückzug, aber sie begingen den Fehler, einige Frauen und Kinder zurückzulassen. Die Soldaten drangen in das Elendsviertel ein, ließen Dutzende von Frauen und Kinder in Reihen antreten und erschossen sie dann. Zwei Tage später, als einige der Bewohner zurückkehrten, umzingelte die Armee das ganze Gebiet erneut mit ihren Panzern; aber dieses Mal kam General Bonilla zusammen mit einer Gruppe ausländischer Korrespondenten, um ihnen zu zeigen, daß Berichte, wonach das Barackenviertel mit Bomben belegt worden sei, nicht der Wahrheit entsprächen. Nach ihren schlimmen Erfahrungen wagte keiner der Einwohner dieses Elendsviertels, in Gegenwart der Soldaten die stattgefundenen Massaker offen zu denunzieren. Dieses elende Schauspiel, das nur diejenigen täuschen konnte, die getäuscht werden wollten, wurde danach in jedem der heimgesuchten Barackenviertel wiederholt.
Wenn die Arbeiter in den Betrieben die weiße Flagge zeigten, rückte die Armee ein und ließ sie alle im Hof Aufstellung nehmen; ein Offizier suchte dann diejenigen heraus, „die Widerstand geleistet hätten“ und ließ sie vor ihren Kameraden erschießen. Das Chile-Stadion, das für Box- und Basketballkämpfe errichtet war, wurde das erste Konzentrationslager der Junta; viertausend Gefangene wurden auf den Tribünen untergebracht„ Diejenigen, die man als „gefährlich“ ansah – auch alle Ausländer, ohne jede Ausnahme -, mussten 48 Stunden lang auf dem Boden liegen, das Gesicht nach unten gewendet, die Hände hinter dem Kopf, ohne Erlaubnis sich zu bewegen, ihre Notdurft verrichtend, wo sie lagen, ohne jede Nahrung oder Getränk. Die Soldaten gingen mit ihren Stiefeln über sie hinweg und rollten Schubkarren, die mit Ziegelsteinen angefüllt waren, über ihren Köpfen hin und her. Die Scheinwerfer im Stadion wurden zusätzlich mit Reflektoren der Luftabwehr bestückt und strahlten ihre blendendes Licht Tag und Nacht in die Au – gen der Gefangenen. Am ersten Tage wurde ein zehnjähriger Junge als eine Warnung vor den 4ooo Gefangenen erschossen. Der Volksliedsänger Victor Jara rief laut: „Patria o Muerte, Venceremos!“ (der Schlachtruf der kubanischen Revolution); daraufhin nahmen ihn sich die Soldaten vor und schlugen in Gegenwart der anderen Gefangenen unbarmherzig auf ihn ein. Sein schrecklich verstümmelter Körper, der aber keine einzige Schusswunde zeigte, kam am nächsten Tage während der Grabungsarbeiten am neuen Untergrundbahnsystem zum Vorschein. Die Zeitungen erwähnten diskret seinen Tod, machten aber keine Andeutungen über dessen Ursache.
Beamte des Verteidigungsministeriums nennen Zahlen von 12.000 Toten während der ersten Woche. In den eilig vorbereiteten Konzentrationslagern wurden etwa 20.000 Häftlinge zusammengepfercht. Man sollte dabei daran denken, daß Chile 9 Millionen Einwohner zählt; die Armee brachte also proportional jenes „Djakarta“ zustande, das sie einige Monate zuvor über ihre „Freunde in der Nationalen Partei“ verkündet hatte.18 Der Umfang dieses Massakers stand in direktem Verhältnis zu jener Spannung, die sich zwischen den Klassen während der letzten Monate der UP- Begierung aufgestaut hatte. Die Arbeiterklasse hatte die „linken“ Phrasen ihrer Anführer ernst genommen und war über die Grenzen hinausgegangen, die diese Anführer ihnen zu setzen versucht hatten. Ds UP-Programm versprach die Verstaatlichung von 15o Betrieben während der gesamten Dauer der Präsidentschaft Allendes. Als der Staatsstreich stattfand, gab es 310 Betriebe im verstaatlichten Sektor die von der Arbeiterklasse im Wider Spruch zu ihren Anführern übernommen worden waren. Die Regierung hatte weitere Hunderte an ihre ursprünglichen Eigentümer zurückgegeben, jedoch nahmen die Arbeiter diese erneut in Besitz und schufen dadurch eine unvorhergesehene Situation, die die UP nicht anders zu lösen wußte, als dabei zu Methoden zu greifen, wie sie später von der Junta angewendet wurden.
Die bürgerlichen Parteien, die bis zum 11. September unermüdlich gegen die demokratischste Regierung in der Geschichte Chiles und ganz Lateinamerikas ankämpften, beeilten sich, die Junta zu unterstützen – im Namen von Freiheit und Demokratie. Die Nationale Partei löste sich selbst auf und wies ihre Mitglieder an, mit der neuen Regierung zusammenzuarbeiten. Auf diese Weise gab sie dem Militär zu verstehen, daß eigentlich alle politischen Parteien aufgelöst werden sollten und die Junta für immer die Macht ergreifen solle. Diese Partei der großen Landbesitzer, Finanzleute und jenen Industriellen, die alle eng mit dem Imperialismus verbunden sind, verspricht sich nichts von politischen Auseinandersetzungen und tritt aktiv für eine militärische Diktatur ein.
Die Christlicher Demokratische Partei, die für die Interessen der Industrie- Bourgeoisie eintritt, stand bis zum 22. August hinter der Regierung. Sie leistete ihr insoweit ihre Unterstützung, als die UP Regierung die grundlegenden Reichtümer des Landes (die sich bis dahin in ausländischen Händen befanden) für die chilenische Bourgeoisie zurückgewann, eine kapitalistische Agrarreform durchführte und damit gegen die Interessen des internationalen Finanzkapitals anging; sie bekämpfte aber auf der anderen Seite die Regierung der Volksfront in der Verteidigung der Interessen der industriellen Bourgeoisie, und um jeden Eingriff der Arbeiterklasse in Unternehmen zurückzuhalten, die in den Händen des nationalen Kapitals lagen. Damit nahm ihre Taktik eine Art „zentristischen“ Charakter an; denn um den Bestrebungen der Bürokratie des bürgerlichen Staates Schranken zu setzen und den direkten Angriffen der Arbeiterklasse zuvorzukommen, mußte sie sich häufig mit der Nationalen Partei verbünden. Andererseits jedoch, und zwar um zu gewährleisten, daß die „Agrar- und antiimperialistische Revolution“ bis zu dem Punkte voran^etrieben wurde, wo sie noch mit den Interessen der „nationalen“ Bourgeoisie übereinstimmte, hatte sie weiterhin die Regierung in jedem kritischen Moment zu unterstützen.
Nach dem Staatsstreich musste sich die PDC an den neuen Status quo anpassen, das heißt die Niederlage ihres Verbündeten UP zu akzeptieren und zu versuchen, sich selbst eine Position zu verschaffen, von wo aus sie Einfluss auf das Militär nehmen konnten, um es daran zu hindern, zu Lasten der chilenischen Bourgeoisie ausschließlich die Interessen der großen Landbesitzer und des internationalen Kapitals zu begünstigen. Insofern unterstütze die Partei den Staatsstreich, war aber zur gleichen Zeit willens, sich mit der Junta über deren Wirtschaftspolitik in Debatten einzulassen. Nur eine kleine und unbedeutende Gruppe innerhalb der PDC reagierte mit einer milden Verteidigung der Menschenrechte. Bernado Leighton, ein Begründer der Partei und ein alter Bundesgenosse der UP, brachte eine Petition im Sinne der Habeas-Corpus-Akte (zum Schutze der persönlichen Freiheit) vor, die zugunsten verschiedener Funktionäre der früheren Regierung abgefasst war; diese wurden an unbekannten Plätzen in Haft gehalten. Der Oberste Gerichtshof, der während der Zeit Allendes als „der Verfechter von Gerechtigkeit und der Verteidigung der Menschenrechte auftrat“ – und zwar bis zu dem Grade, daß ein Richter in der Zentralen Strafkammer den faschistisch-terroristischen Anführer Thieme wenige Stunden nach seiner Verhaftung auf freien Fuß setzte, „damit er nicht ungesetzlichen Druckmaßnahmen unterworfen wäre“ -, antwortete auf die Habeas-Corpus-Petition mit einer Entgegnung von vier Zeilen, die beinhalteten, daß die Notstandsgesetze, die den Streitkräften in Kriegszeiten gewährt würden, es ihnen erlaubten, mit Gefangenen so zu verfahren, wie sie es für richtig hielten. Und damit endete der Kampf der Christlichen Demokraten für die Verteidigung der Freiheit.
Zwei Tage, nachdem der Generalsekretär der Militär-Junta erklärt hatte, daß es 500 Tote und 6000 Verhaftete gäbe (eine grobe Unterschätzung), schwang sich der Ex-Minister für die Verteidigung in der Regierung Frei, Sergio Ossa, in Kolumbien zu einer Verteidigung der Streitkräfte auf und behauptete, es hätte nur 95 Tote in Chile gegeben und keine Massenverhaftungen. Diese Erklärungen wurden in Chile von der Zeitung La Prensa veröffentlicht, dem offiziellen Organ der PDC.
Die Mitglieder der KP jedoch, die jahrelang in dem Mythos des demokratischen Charakters der Christdemokraten erzogen worden waren, wollten die Realität nicht anerkennen, die nicht in den Rahmen ihrer offiziellen Ideologie paßte.
Am 29. September kommentierte eine Gruppe von KP-Anhängern^ die im Nationalstadion inhaftiert waren, begeistert die Nachricht über die Schaffung einer neuen „Christlich Sozialistischen Partei“ unter der Führung von Tomic. Tomic war dafür bekannt geworden, daß er mit Allende im Jahre 1970 ein Geheimabkommen getroffen hatte, in dem sich beide zusicherten, den Weg eines Präsidentschaftskandidaten der Nationalpartei zu blockieren, sollte jener im ersten Wahlgang die Mehrheit erhalten. Derselbe Politiker war 1972 nach China gereist und kehrte, mit Lobhudelei durch die UP Presse überschüttet, als ein Verbündeter zurück, der -gemäß den Analysen der UP- die Christdemokratische Partei spalten würde, falls diese jemals „den Weg des Militärputsches“ beschreiten sollte.
Die Einschätzung dieser naiven KP- Anhänger war, daß diese neue „Christlich-Sozialistische Partei“ die Basis der PDC mit sich reißen würde, die über Freis Kollaboration mit der Militärjunta unzufrieden geworden sei. Am selben Tag noch wurde Tomic in Italien von den Zeitungen „La stampa“, „II Messagero“, und „Cirriere della Sera“ interviewt, wobei er erklärte, „daß die Bewegung die am 11. September begann, nicht vollständig negativ zu bewerten ist, wie schmerzvoll auch immer einige ihrer Auswirkungen für einige Chilenen gewesen sein mögen. Wegen einer Reihe von Gründen war die damalige Situation unerträglich geworden. .. das Experiment der UP war gescheitert. Es war die unvermeidbare Konsequenz der hauptsächliche Irrtümer ihres ursprünglichen politischen Programms und seiner sozialen, politischen und ökonomischen Verwirklichung“.
Später verteidigte Tomic Frei und bestritt entschieden jegliches Gerücht, daß eine „Christlich sozialistische Partei“ gegründet würde. Die Kommunisten mussten also weiter nach ihren bürgerlichen Demokraten suchen.
Kardinal Silva Henriquez, der wenige Tage zuvor noch ein Verbündeter der KP gewesen war, reagierte auf einmal ganz anders auf die Stellungnahme des Papstes, der bedauerte, was in Chile geschehen war. Der Kardinal schrieb der Stellungnahme des Papstes falsche Informationen zu und bekräftigte den demokratischen und humanen Charakter der chilenischen Streitkräfte.
Der Kongress akzeptierte ohne Zögern seine eigene Auflösung. Und dennoch, wie wir sehen werden, hinderte dies die Kommunistischen Parteien in der ganzen Welt nicht daran, sich an die „demokratischen Teile der Bourgeoisie und der Kirche“ zu wenden. Zwei Wochen nach dem Staatsstreich verkündete der Kommandeur der Carabineros, General Mendoza, selbst Mitglied der Junta, daß die erste Phase der Repression vorüber sei und die wirkliche „Ausradierung der Extremisten“ jetzt beginnen könne.
In dieser „ersten Phase“ versprach die Junta weder Massenentlassungen von Arbeitern wegen ihrer politischen Einstellung durchzuführen noch ihre sozialen und ökonomischen Errungenschaften anzugreifen. Diese falschen Versprechungen hatten die Isolierung der kampfbereiten Teile von ihrer sozialen Basis zum Ziel; nachdem jedoch einmal die kämpferischten Teile liquidiert waren, begann die gesamte Arbeiterklasse das ganze Gewicht der Repression zu spüren.
Gegen Ende September wurde der Präsident der Universität von Chile, ein Christdemokrat, der den Putsch befürwortet und sorgfältig sein Image „als möglicher Präsident“ gepflegt hatte und sich deshalb durch eine Säuberungsaktion an der Universität nicht seine weiße Weste beschmutzen wollte, von Militärs ersetzt, die weniger Skrupel hatten. Militärpatrouillen begannen an jedem Arbeitsplatz mit Listen von UP-Sympathisanten zu erscheinen, die verhaftet und in Konzentrationslagern abtransportiert wurden.
In den Konzentrationslagern selbst verfolgen die Militärs eine wohlüberlegte Politik: die Gefängnisoffiziere behandeln ihre „wichtigen“ Gefangenen korrekt und erlauben ausländischen Korrespondenten und Parlamentariern Besuch, die in zynischer Weise Zeugnis über die gute Behandlung der Gefangenen ablegen. Währenddessen foltert das Personal der Geheimpolizei mit grausamen Methoden Militanten der Basis – besonders Frauen und Jugendliche – um aus ihnen falsche Geständnisse herauszupressen, mit denen die mittleren und führenden Kader belastet werden sollen. Dahinter stecken zwei Ziele: einmal sollen damit die Militanten der Basis demoralisiert werden, anderseits will man damit dicke Akten für Beschuldigungen gegen die Anführer anhäufen, so daß die Kriegsgerichte sie zum Tode oder zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilen können. Letztere werden nur in außergewöhnlichen Fällen gefoltert, denn die Militärs wissen, daß Journalisten und Persönlichkeiten, die die Gefängnisse besuchen, sich eher über das Schicksal der Anführer als das der anonymen Militanten der Basis beunruhigen. Aus diesem Grunde kommen die Anführer in den Vorzug „all der Garantien, die von Militärgerichten in Kriegszeiten gewährt werden“ (?!). In Gebieten, wo die internationale Überwachung geringer ist wird das „Fluchtgesetz „ auf dutzende von Leuten angewandt, wobei einem Mann gesagt wird, er solle laufen und dann erschossen wird, während „er versucht zu fliehen“; die offizielle Presse erwähnt diese Morde nur in winzigen Fußnoten, die alle aus der gleichen Quelle zu stammen scheinen.
In dieser zweiten Phase der Repression (tatsächlich ist es die dritte Phase, da wie wir gesehen haben, die Repression schon während der letzten Tage der Allende-Regierung begann) begann der Angriff auf die Lebensbedingungen der Massen.
Der Präsident der Junta, General Pinochet, verkündete, daß bis Ende des Jahres die Lebenshaltungskosten um 1600 % steigen würden. Das durchschnittliche Einkommen eines Industriearbeiters war 8 Dollar im Monat (dies war übrigens die materielle Basis des „Ökonomismus“, den die UP der Arbeiterklasse vorwarf). Die Junta fror die Löhne ein und kündigte Strafen von 3 bis 20 Jahre für diejenigen an, die zu Streiks aufrufen oder an solchen teilnehmen.
Der brutale Angriff auf den Lebensstandard der Massen ist die ^Antwort der Junta auf die Notwendigkeit die Verzerrung, die die reformistische Politik der UP den kapitalistischen Marktmechanismen zugefügt hatte, zu korrigieren. Der Dollar war in einem solchen Maße unterbewertet, daß der Import von Nahrungsmitteln und Industriegütern auf der Basis eines Austauschverhältnisses von 7o Escudos zu einem Dollar getätigt wurde, während das wirkliche Austauschverhältnis 1300 Escudos pro Dollar betrug. Auf diese Weise wurde die Konsumtion subventioniert, was den Kapitalisten erlaubte, außerordentlich niedrige Löhne zu zahlen.
Während Arbeiterfrauen nur einige Nahrungsmittel zu offiziellen Preisen bekamen, was mehrere Stunden Schlange stehen bedeutete, akzeptierten ihre Männer die niedrigen Löhne, besonders nachdem die UP klargemacht hatte, daß sie Lohnstreiks als „aufrührerisch“ ansah. Dies war eine Quelle ungeheuren Profits für die Kapitalisten, die die offizielle Preisfestsetzung nicht akzeptierten und die meisten ihrer Produkte auf den Schwarzmarkt dirigierten. Und die UP hatte keine Alternative, denn ein Fortschreiten auf dem „chilenischen Weg zum Sozialismus“ hing ja vom Erreichen der Mehrheit der Wählerstimmen ab.
Auf diese Weise aber auch erhöhten die UP-Bürokraten ihr Potential an Luxusgütern; ein Citroen, oder sein Äquivalent, ein Fiat 600, kostete ungefähr zu offiziellen Preisen 5oo Dollar. Das ist der Grund, warum die gesamte Autoproduktion bis
96 1975 bereits verkauft war. Eine der ersten Maßnahmen der Junta war die Abwertung des Escudos und die Einführung von zwei Formen von Austauschverhältnissen; eine für den Nahrungsmittelimport und Maschinen zu 800 Escudos pro Dollar und die andere Art für den Tourismus von 13oo Escudos pro Dollar. Diese Entwertung brachte eine sofortige Erschütterung der inländischen Preise mit sich, da Chile den größten Teil der Güter, den es konsumiert, importiert.
Jetzt erfuhren auch gerade diejenigen Christdemokratischen Arbeiter, die sich so bitter über die Warenknappheit und das Schlangestehen unter der UP beschwert hatten, das ganze Ausmaß wirklichen Hungers und Elends.
EINE NIEDERLAGE HISTORISCHEN AUSMASSES
Der Putsch vom 11. September war eine Niederlage für die chilenische Arbeiterklasse, obgleich die Propagandisten der „Internationale der Narren“ versuchen werden, diese Wahrheit für den Rest der Welt zu verbergen, um ihre eigene Verantwortung herabzumindern.
Es ist eine Niederlage historischen Ausmaßes in zweifacher Bedeutung. Erstens, weil die chilenische Arbeiterklasse glaubte, daß sie ihr historisches Ziel – die Errichtung des Sozialismus – über den friedlichen parlamentarischen Weg erreichen könnte. Jahre werden vergehen, bevor die chilenischen Arbeiter, die in diesem Jahrhundert nicht einen Versuch des Aufstandes unternahmen, ein neues Bewusstsein erlangen und verstehen werden, daß solche Ziele nur durch die Revolution erreicht werden können – besonders seitdem die „Internationale der Narren“ und ihre sozialdemokratischen Freunde vom Schlage Garaudys die Massenmedien dazu benutzen, um zu zeigen, daß das, was in Chile geschah, nicht das Ende des friedlichen Weges zum Sozialismus bedeutet.
Zweitens, weil die besten Kämpfer der chilenischen Arbeiterklasse entweder ermordet wurden oder im Gefängnis sitzen. Sie waren eine „Avantgarde“ eigenartigen Charakters, da sie Interessen vertrat, die denen der Arbeiter fremd waren, und sich somit von den weniger politisierten Massen isolierte. Dennoch war sie die wirkliche Avantgarde der reifsten Arbeiterklasse Lateinamerikas. Jahre werden vergehen, bevor die chilenische Arbeiterklasse eine neue Avantgarde hervorbringen wird, die nicht mehr unter diesen reformistischen Illusionen leiden wird, die noch jene beeinflusste, die unter den Stiefeln des Militärs verbluteten. Die Massen haben keine Möglichkeit, eine schlagkräftige unmittelbare Antwort zu geben. Die traditionellen Arbeiterparteien sind entweder zerschlagen oder im Stadium der Auflösung. Die CUT wurde aufgelöst und es wird lange dauern, bis sich irgendeine andere Organisation herausbilden kann, die fähig sein wird, den Kampf der Massen zu koordinieren. Die chilenischen Reformisten waren unfähig, mehr als ein Drittel der Arbeiter in den Gewerkschaften zu organisieren als sie an der Regierung waren – man kann deshalb von ihnen nicht erwarten, daß sie gerade dazu fähig sind, wo die Junta an der Macht ist.
Die Massen wurden verraten; sie haben das sehr gut verstanden; trotz all der mystischen Verschleierung, mit der ihre Verräter nun versuchen, die Vernichtung der Linken zu vertuschen. Der Bewußtseins stand, der unter den Arbeitern vorherrscht, die in den Konzentrationslagern gehalten werden, ist zu tiefst selbstkritisch, da sie wissen, daß die Reformpolitik der UP versagte und viele ihrer Anführer sie verraten haben. Trotz Allendes heroischem Tod, kritisierten sie seine Entscheidung, in der Moneda, dem Symbol bourgeoiser Macht, Widerstand zu leisten,, anstatt in den Cordones Industriales, Seite an Seite mit den chilenischen Arbeitern. Genau in dieser kritischen Haltung des chilenischen Arbeiters, seine Fähigkeit historische Erfahrungen mit seinem Misstrauen gegenüber Caudillos, Mythen und Dogmen zu verbinden, liegt die größte Chance für eine Regeneration. Es ist eine Regeneration, die lange Zeit dauern wird, aber sie wird durch nichts aufgehalten werden können.
Die größte Tragödie Chiles ist, daß eine kampfbereite sozialistische Arbeiterklasse voll von reformistischen Illusionen, keine marxistische revolutionäre Führung fand, die fähig gewesen wäre, eine proletarische revolutionäre Perspektive anzubieten. Während des ganzen Jahrhunderts lebten die Intellektuellen der chilenischen Linken von öffentlichen Ämtern und parlamentarischen Pfründen. Sie hatten sich angepasst politisch zu manövrieren, Kompromisse in den Korridoren der Macht auszuhandeln, demagogische Reden zu halten und politische Slogans zu formulieren; aber sie haben sich als unfähig erwiesen, das theoretische Fundament einer Bewegung zu schaffen, die die Arbeiterklasse um sich sammeln und zum Aufbau einer revolutionären Partei hätte führen können. Dieses Fehlen marxistischer Theoretiker wurde von der KP-Führung als positiver Verdienst hervorgehoben. Wir wissen, daß Bürokraten graue Männer sind, die einer Unwissenheit gedeihen, die ihnen erlaubt, den Namen des Marxismus für ihre eigenen opportunistischen Ziele zu benutzen. Aber die historische Erfahrung hat wenigstens bis heute eines deutlich gemacht, daß die Arbeiterklasse ohne revolutionäre Intellektuelle ihre revolutionäre Partei nicht aufbauen wird.
Das einzige neue Phänomen war die Entwicklung des MIR, der als eine typisch castroistische Gruppe entstand und sich auf den „bewaffneten Kampf“ auf der Grundlage von Guerillagruppen vorbereitete. Der Wahlsieg Allendes zwang ihn nach einer „Politik für die Massen“ zu suchen und seine Positionen zu überdenken (er leistete mehr als einmal unnötige Selbstkritik); aber es ist ihm noch nicht gelungen die Begrenztheit der Guerillapolitik zu überwinden. Seine jugendliche, unerfahrene Führung, kleinbürgerlichen Ursprungs (es gibt keinen einzigen Arbeiter in seinem Zentralkomitee) arm an Intellektuellen auf einem äußerst niedrigen theoretischen Niveau, konnte sie in diesen 3 Jahren weder ein anderes Programm noch eine andere Taktik als ein mit linker Kritik getöntes reformistisches Programm vorstellen. Die MIR- Führung folgte vertrauensvoll der UP-Politik – und auch ihren Wahlkandidaten, sogar noch dann als der MIR durch nichts daran gehindert wurde seine eigenen aufzustellen, wie im Jahre 1973, Gleichzeitig aber versuchte er sich“abzugrenzen“ und seine Existenz als eigenständige und unabhängige Organisation durch eine verbal-linke Kritik an der UP zu rechtfertigen.
Seine hierarchische Struktur, typisch für guerilla-ähnliche Organisationen, wurde nicht verändert und trug dazu bei, jene revolutionären Arbeiter abzuschrecken, für die innerorganisatorische Demokratie und Diskussion, um die Koordinierung wirksamer Aktionen zustande zu bringen, die Vorbedingungen politischen Lebens sind. Monate vor dem Putsch brachen einige der wichtigsten Arbeiter des MIR mit der Führung, da sie sie für bürokratisch und opportunistisch hielten. In der Tat wollte die Führung die Revolution „für“ die Arbeiter machen, aber sie verstand nie, daß die Arbeiterklasse „sich nur selbst befreien kann. „ Die barbarische Unterdrückung, die Chile jetzt erlebt, scheint jedem terroristischen Akt moralisch zu rechtfertigen. Es ist unvermeidlich, daß eine Organisation mit geringem Einfluß in der Arbeiterklasse und den Eigenheiten des MIR, unter den Druck von Elementen aus den eigenen Reihen kommen wird, die Guerilla-Aktionen zurücknehmen wollen. Solche Aktionen würden natürlich von kleinen Kommandos durchgeführt – isoliert von der Arbeiterklasse. Bis jetzt widerstand die Führung diesem Druck, aber es ist wahrscheinlich, daß sie dazu nicht mehr lange in der Lage sein wird, ohne einen ernsthaften Bruch innerhalb der Gruppen zu riskieren. Notwendig ist eine revolutionäre Geduld, ähnlich wie sie Ho Chi Minh und seine Genossen in einer Situation, die kleinbürgerlichen Terrorismus nahelegte, bewiesen, als sie in den dreißiger Jahren die Massen organisierten.
Wenn der MIR den Rat der Kubaner befolgt, 12 Jahre nutzlose Opfer in ganz Lateinamerika ignoriert und in die Politik des Guerillakrieges zurückfällt, wird es nur zur Desorganisation der Massen beitragen und wertvolle Kader vom Aufbau einer Klassenpartei abhalten. Und indem er in den Kampf der Arbeiterklasse fremde Elemente hineinträgt, wird er dazu beitragen, Bedingungen für eine noch stärkere Repression der Massenbewegung zu schaffen.
Der MIR ist die einzige Organisation, die in der Lage war ihre früheren Kader zu retten und sie im Untergrund zu verbergen ; ob seine Rolle bei der Neuorganisierung der chilenischen Arbeiterbewegung, die jetzt beginnt, positiv oder negativ sein wird, wird vom politischen Kurs , den er in den nächsten Monaten einschlägig, abhängen.
Die Junta hat damit begonnen, ihr Regime um einen zentralen Slogan herum aufzubauen – „Nationaler Wiederaufbau“. Was offensichtlich auf der Hand liegt, ist die Festigung des chilenischen Kapitalismus und seiner zukünftige ökonomische Weiterentwicklung. 3 Jahre reformistischer Experimente schufen eine Währungs- und Finanzkrise, entfachten eine galoppierende Inflation, dehnten den riesigen bürokratischen Staatsapparat sogar noch weiter aus und hemmten den kapitalistischen Produktions- und Reproduktionsprozess; doch ließen sie den Produktionsapparat intakt. Auf der anderen Seite mangelte es an neuen Maschinen und Betriebseinrichtungen, da diese während der 3 Jahre nicht importiert wurden, teilweise wegen der imperialistischen Blockade, teilweise weil die ausländischen Devisen auf den Import von Nahrungsmitteln – die die Bauern vorzugsweise aus Chile schmuggelten oder auf dem schwarzen Markt verkauften – und Luxusgüter verschwendet wurden. Die UP (wie wir in einer weiteren Studie, die auf allen Dokumenten der UP fußt, zeigen werden) beabsichtigte nur die Modernisierung des chilenischen Kapitalismus. 1970 war Chile eines der wenigen verbliebenen halbkolonialen Länder; die Kontrolle des natürlichen Reichtum des Landes lag in den Händen der Imperialisten. Die Lösung der Aufgabe, diesen Reichtum zurückzugewinnen, die andere Bourgeoisien in Lateinamerika unter Führung von Peron Vargas, Cardenas, Estensoro usw.19 auf sich genommen hatten, wurden von der chilenischen Bourgeoisie während des Frei-Regimes unternommen. (1964-1970)
Aber die Christdemokraten, die durch viele Fäden mit der Großbourgeoisie verbunden waren, die ihrerseits eng mit dem Imperialismus verknüpft war, konnten ihre Aufgabe nicht erfüllen; ihre teuflische Schlauheit kann man daran erkennen, dass sie diese Aufgabe den proletarischen Parteien überließen, die sie als der Prozess beendet war, wie eine ausgepresste Zitrone wegwarfen. Die Verstaatlichung der Kupferindustrie und anderer Wirtschaftszweige wurde einstimmig vom Kongress gebilligt und sogar ein Reaktionär wir der Contralor General de la República befürwortete den Abzug „außergewöhnlicher Profite“ von den Entschädigungszahlungen, die den amerikanischen Kupfer-Bossen angeboten wurden.
Nach Allende steht Chile als relativ unabhängiges kapitalistisches Land da, Kupfer, Salpeter, Eisen, Kohle, Elektrizität, Öl, die Banken und einige wichtige Fabriken, die vorübergehend in fremder Hand waren, sind nun Eigentum des chilenischen bürgerlichen Staates. Eine enorme Menge Mehrwert, die vor 1970 einfach das Land verließ, wird nun in den Reproduktionskreislauf des chilenischen Kapitals zurückkehren. Natürlich werden die Arbeiter für die kommenden Jahre die Entschädigungssummen, die inzwischen UP und den ausländischen Konzernen vereinbart wurden, zahlen müssen, aber das berührt die Kapitalisten kaum.
Heute hat der chilenische Kapitalismus der UP dafür zu danken, daß sie ihn von der Fessel des Großgrundbesitzes befreit und die alten feudalen Großgrundbesitzer in moderne landwirtschaftliche und industrielle Kapitalisten verwandelt hat (insofern als sie das Geld, das sie von der UP als Entschädigung für ihr altes Land bekamen, investierten). Weiter vollendete die UP dies ohne die enormen Aufstände, die diesen Vorgang anderswo in Lateinamerika begleitet hatten, wie z.B., in México. Nun bestehen auf dem chilenischen Land die „strukturellen“ Bedingungen für eine beschleunigte Entwicklung der Produktion, was bedeutet, daß fremde Devisen nicht länger für Nahrungsmittelimporte verschwendet werden müssen, Millionen Bauern, die bis jetzt nur am Rande des kapitalistischen Marktes teilgenommen haben, bilden jetzt einen potentiellen inneren Markt für eine sich entwickelnde Industrie. Es ist sogar der Fall, daß während dieser 3 Jahre Vereinbarungen mit internationalen Konzernen, speziell mit Peugeot, Fiat, Pegaso und Citroen getroffen wurden, die nun die Entwicklung bestimmter Industriezweige erlauben, die vorher in Chile nie existiert hatten. Die chilenische Bourgeoisie, vertreten durch die Junta, ist jetzt in einer Position, neue und viel vorteilhaftere Bedingungen der Abhängigkeit mit dem Imperialismus als früher auszuhandeln. Einige Fabriken werden an ihre alten Eigentümer zurückgegeben werden. Schließlich führte ja die Macht der chilenischen Arbeiterklasse, mit ihrem Glauben an den chilenischen Sozialismus, einige verzerrende Elemente in den Modernisierungsplan der UP ein und erzwang die Einverleibung von verschiedenen Industrien in den öffentlichen Sektor, deren Verstaatlichung nicht vorgesehen war. Um so besser für die Junta; denn diese Fabriken können nun im Austausch für neue Kredite zurückgegeben werden. Aber niemand sollte sich einbilden, daß die chilenische Bourgeoisie, die grundlegenden Industrien des Landes und die Ländereien zurückgeben wird. In dieser Hinsicht werden wohl einige der Analytiker der Linken lange warten müssen, bevor ihre Weissagungen Wirklichkeit werden.
Es gibt nichts selbstmörderisches an der Kampagne der Junta für den „Nationalen Aufbau“, wie komisch auch einige damit verbundenen Maßnahmen sein mögen, wie der öffentliche Apell nach Geld und Juwelen. Die „demokratische, agrarische und antiimperialistische Revolution“ der „Kommunisten“ hat die Grundlage für eine erneute kapitalistische Entwicklung geschaffen. In den Worten von Rodrigo Ambrosio, Gründer der MAPU und einer der Theoretiker der UP:“Der Kapitalismus kann eine Zukunft in Chile haben, wenn die chilenische Rechte seine Pläne erfolgreich verwirklichen kann. Aber die Formen, mit der der amerikanische Imperialismus dieses Kapital beherrscht, werden vollständig verschieden von jenen Formen sein, die bis zum Regierungsantritt Allendes vorherrschend waren. Die Kupferbergwerke werden unter der anzunehmenden Situation der fortschreitenden kapitalistischen Entwicklung in Chile endgültig in den Händen des Staatskapitalismus bleiben, mit all seinen politischen, ideologischen und theoretischen (und ökonomischen – H. P.) Implikationen. „ (R. Ambrosio, Sobre el problema del poder; Santiago, 1973; p. 78-79) So etwas passiert, wenn „Revolutionäre“ vergessen, daß das Problem der Macht nämlich die Zerstörung des bürgerlichen Staates und seiner Machtorgane, dem Problem einer Politik ökonomischer Reformen vorhergehen muß.
EINE TRAGÖDIE ENDET IN EINER FARCE
Marx sagte, daß große weltgeschichtliche Tatsachen sich wiederholen, das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.
Chiles Tragödie ist die jüngste von vielen, die eine Arbeiterklasse unter der Führung von Bürokraten und Kleinbürgern hinnehmen mußte. Sie konnte nur als Farce enden.
Diese possenhaft e Episode geht auf´s Konto der„ Internationalen der Narren/ Die Zeitung der argentinischen KP, „Nuestra Palabra“ enthält in der Nummer vom 24. Oktober 1973 zwei Artikel, die eines’Molidre“ würdig wären, gäbe es nicht stilistische Differenzen: der Leitartikel „Linksradikalismus und Revolution“ und die Erklärung „An das chilenische Volk“ der KP Chiles.
In „An das chilenische Volk“ umgeht es die chilenische KP sorgfältig, die Verantwortung für ihre Rolle bei der Niederlage der chilenischen Arbeiterbewegung zu übernehmen. Sie nimmt einen Ton selbstkritischer Demut an, in der wie gewöhnlich, kein einziger konkreter Fehler beim Namen genannt wird, – obwohl sie verspricht, diese irgendwann einmal zu behandeln.
Die KP Chiles fühlt sich verpflichtet, einen behutsamen Ton anzuschlagen, da die chilenischen Massen gerade eine vollständige Rechenschaft zu verlangen beginnen. In dem Artikel der argentinischen KP wird der Ton jedoch unverschämt, – und das von einer Partei, die nur wenig mehr darstellt als eine größere von der Arbeiterbewegung isolierte Sekte und die deshalb niemandem Rechenschaft schuldet, aber die chilenische Katastrophe dafür benutzt, ihre eigene Politik zu rechtfertigen, die, sollte sie einmal Einfluß gewinnen, letztlich zu mindestens ebenso schweren Niederlagen führen müßte wie in Chile.
Die chilenische KP behauptet:“ Der Plan für den Putsch, seine Ausführung und seine brutalen Methoden sind ausländischen Ursprungs.
Er wurde in den Büros des CIA entwickelt, in direkter Zusammenarbeit mit ITT und Kennecott. Eine Spezialtruppe wurde im Pentagon und im Weißen Haus gebildet, die ihn auszuführen hatte. Diese mythische Interpretation des chilenischen Putsches paßt der Bourgeoisie und ihren Lakaien in der ganzen Welt nur zu gut. Es gibt keinen Zweifel, daß der CIA und der Imperialismus seine Hand im Putsch hatte – aber das ist nicht die grundlegende Frage. Es gibt kein einziges Wort darüber in der Erklärung, daß der Putsch das („unvermeidlich“ wie Tomic sagen würde) Ergebnis einer 3-jährigen Entwicklung des Kampfes der chilenischen Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse und die Regierung war, eines Kampfes, an dem alle Parteien und Organisationen der Bourgeoisie mit verschiedenen Taktiken teilnahmen und indem sie mit der Unterstützung der übergroßen Mehrheit des Kleinbürgertums und ihrer berufsständischen Organisation rechnen konnten. Die KP versucht, das was ein Kampf zwischen den Klassen war, zu dem Kampf zwischen Nationen umzumünzen. Nirgendwo sagt die Erklärung, daß das Militär geschlossen handelte und daß keine Sektion der Offiziere – mit Ausnahme isolierter Individuen – sich dem Putsch widersetzte. Es war also die chilenische Armee, die den Putsch durchführte, jene „demokratische“ und „verfassungsmäßige“ Armee kommunistischer Erfindung, die von Generälen geführt wurde, die Allendes Minister waren.
Es war nicht nötig, daß ausländische Offiziere das Kommando über die chilenischen Truppen übernahmen. Diese Interpretationsweise erlaubt es den chilenischen „Kommunisten“ den bürgerlichen Militärs auch weiterhin die Stiefel zu lecken, wie sie es während der dreijährigen Amtszeit von Allende taten. Wenn wir aus der chilenischen Erfahrung etwas lernen können, dann ist es die Tatsache, daß die Politik der „Nationalen Befreiungsfront“ wie sie von den KP’s in ganz Lateinamerika propagiert wird, zum Scheitern verurteilt ist. Nach dem 4. November 1970, als Allende die Macht ergriff, hielten die Kommunisten Ausschau nach solchen Teilen der chilenischen Bourgeoisie, die man für den Kampf gegen den Imperialismus gewinnen könnte. Aber alle ihre Appelle stießen auf taube Ohren. Trotz des Anspruchs der UP, eine „antiimperialistische Revolution“ mit der Unterstützung der „nationalen Bourgeoisie“ durchzuführen, kämpften alle bürgerlichen Parteien gegen sie – die einen, um sie zu stürzen, die anderen, um ihr Programm einzuschränken. Was haben wir denn denen noch zu sagen, die vor ihren Henkern niederknien? Die Stellungnahme der chilenischen KP fährt fort: „Am Tag des Putsches fand die „Operation Unitas“ vor der chilenischen Küste statt, an der nordamerikanische Flugzeuge und Schiffe beteiligt waren. „
Das ist richtig, aber es ist nur ein Teil der Wahrheit. Die Zeitung El Siglo (Das Jahrhundert), das offizielle Organ der chilenischen KP, erschien legal bis zum 11. September, Die „Operation Unitas“ war schon mehrere Tage im Gange und die Kommunisten hatten keinerlei Kampagne dagegen eingeleitet. Sie fand schon zum dritten Mal unter Allende statt und in der ganzen Zeit hatten nur unbedeutende kleine Gruppen (der MIR war nur im ersten Jahr in dieser Angelegenheit aktiv) gegen diese beschämende, von der UP gebilligte Kollaboration zwischen der chilenischen und der nordamerikanischen Marine, protestiert. Es ist jetzt etwas zu spät für die KP, Vorkommnisse anzuprangern, die damals gedeckt wurden, insbesondere auch, weil sie selbst die Polizei einsetzte, um kleine Demonstranten-Gruppen zu unterdrücken, die dagegen demonstriert hatten. Jetzt klagt die chilenische KP: „Was hat die PDC zu sagen? Was geschah mit ihrem Widerstand gegen jede antidemokratische Bewegung? Was geschah mit ihrer ehemaligen Unterstützung des politischen und ideologischen Pluralismus?“ Wieder einmal erleben wir wie Kommunisten versuchen, der Bourgeoisie Verhaltensregeln aufzudiktieren, anstatt ihrer leninistischen Rolle gerecht zu werden und den Massen geduldig zu erklären sich keine Illusionen über die Unterstützung der Demokratie durch die Bourgeoisie zu machen. Wieder einmal sind es die Kommunisten, die das liberale Gift versprühen und Illusionen in die bürgerlichen Parteien nähren – in einem Moment, wo dieselbe Bourgeoisie sich der Komplizenschaft am Mord von Tausenden ihrer Mitglieder schuldig macht.
Die Erklärung fährt fort: „Kalt und gelassen wurde der Beschluß darüber gefaßt, was zu tun sei.“ Wer beschloß aber, und wer ließ jenen die nötige Zeit? Waren es nicht die von Allende eingesetzten Kommandeure Pinochet und Leigh, die beschlossen, den Putsch durchzuführen? War es nicht Admiral Foribo Medina, von Allende ernannter Provinzialgouverneur von Valparaiso? War es nicht General Hermann Brady, Regionalchef während des Ausnahmezustandes und später von Allende berufener’Schlichte?‘ während des Transportstreiks? War es nicht Huerte, Allendes Minister ? War es nicht General Bravo, der heute damit beschäftigt ist, die Arbeiter und Bauern von Valdivia hinzuschlachten und der im Oktober 1972 während des Ausnahmezustandes von Allende zum Militärchef der Provinz Santiago ernannt wurde ? Ja, es waren diese Generäle. Für die gleichen Generäle hatte die KP eine geradezu hysterische Kampagne entfacht, mit der sie die Massen von der Treue dieser Männer zum Programm der Unidad Populär überzeugen wollte. Auf dem Höhepunkt dieser Kampagne hatte Allende sie in die Regierung aufgenommen. Von diesen Machtpositionen aus, die sie der Politik der KP verdankten, hatten sie Zeit und Möglichkeiten genug zur Vorbereitung des Massakers. Von diesen Positionen aus konnten sie vor dem Sturm auf die Moneda die Putschpläne bereits einfädeln – alles mit der stillschweigenden Komplizenschaft der Kommunistischen Partei.
Davon abgesehen: welche Politik schlägt die KP heute gegenüber den Streitkräften vor? Die KP fordert: „Nach alledem was geschah, hat das Volk das Recht, die Notwendigkeit für sich zu beanspruchen, eine neue Art der Streitkräfte und Polizei zu bilden, und wenigstens aus den militärischen Institutionen, den Carabineros und dem Geheimdienst alle faschistischen Elemente zu entfernen, so daß das, was in Chile geschah, niemals wieder geschehen kann.“
Nach alledem was geschah? Bedurfte es erst der verheerenden Niederlage der chilenischen Arbeiterbewegung, damit eine Partei, die sich selbst als Teil der internationalen kommunistischen Bewegung und als rechtmäßige Erbin der internationalen Arbeiterbewegung preist, zu dem Schluß kommen konnte, daß „ein neuer Typ von Streitkräften“ notwendig sei?
Um den chilenischen Arbeitern so viel Leiden zu ersparen, hätte es genügt, die Charakterisierung der Rolle der Armee im bürged ichen Staat zu beherzigen, wie sie wiederholt von der revolutionären Bewegung der Welt, Marxisten und Nicht- Marxisten, geleistet wurde. Dennoch zog es die chilenische KP vor, die Warnungen vereinzelter Rufer über die wahre Rolle der Streitkräfte in den Wind zu schlagen und als „ultralinks“ zu brandmarken; bis vor ein paar Tagen war es unmöglich, die Mitglieder der UP, die den Gebetsmühlen der KP geglaubt hatten, davon zu überzeugen, daß der Klassencharakter der Armee sich nicht geändert hatte, und daß die Soldaten keine „Freunde des Volkes“ sind. Am 11. September um 9 Uhr wies Allende noch die Massen an, die „Reaktion der patriotischen Soldaten abzuwarten.“
Aber es oll sich niemand der Täuschung hingeben, daß diese Erfahrung die Politik der „Kommunisten“ gegenüber dem Militär verändern wird. Was sie in der Tat wollen, ist, „wenigstens“ die „faschistischen Elemente“ aus der Armee zu entfernen. Als ob irgendjemand einen einfachen Offizier oder Unteroffizier heute nennen könnte, der kein Arbeiterblut an seinen Händen hat! Neue Kompromisse und neuer Verrat werden fortwährend vorbereitet. In ihrem letzten Abschnitt bekräftigte die Erklärung, daß „die politischen Linien und Aktivitäten der Ultralinken verheerenden Schaden verursachten“, obwohl sie nicht näher ausführen, welcher Art der Schaden war; wir werden weiter unten zeigen, wie ihre argentinischen Genossen die Unverschämtheit haben, die Bourgeoisie und das Militär als Unschuldslämmer hinzustellen, die von den „Ultralinken „ in das Lager der Konterrevolution getrieben wurden. Die Erklärung fährt fort:“Ebenso schadeten auch reformistische Tendenzen, die von Zeit zu Zeit in den Aktionen der UP selbst auftraten.“
Das klingt wirklich wie der Ruf nach der Feuerwehr nachdem das Haus abgebrannt ist.
Im weiteren fahren die „Kommunisten“ fort, alle wesentlichen Bestandteile ihrer reformistischen Politik zu verteidigen, nicht ohne zuvor beteuert zu haben,’‘Schwächen und Irrtümer nicht verbergen zu wollen*(die sie freilich wie gewöhnlich nicht näher bezeichnen): eine Versöhnung mit den Christdemokraten, Kampf für Produktionssteigerung und Arbeitsdisziplin usw., eine Politik, die die Arbeiterklasse vom Klassenkampf weggeführt und sie widerstandslos den Fängen des Feindes ausgeliefert hatte.
Die chilenischen Kommunisten kommen einmal mehr zu dem Schluß, „daß jetzt nicht der richtige Moment ist, die begangenen Fehler der Regierung und der UP als Ganzer und ihrer einzelnen politischen Strömungen zu diskutieren.“ Aber wann wird die „richtige“ Zeit sein? Wenn nach einer Niederlage dieses Ausmaßes die Arbeiterklasse nicht die Gründe, die sie herbeigeführt haben, diskutieren soll, so daß sie ihre Lehren daraus ziehen kann, um einem neuen Fiasko aus dem Wege zu gehen – ja, wann wird dann die Zeit kommen, um sie zu diskutieren ?
Die Wahrheit ist, daß die „Kommunisten“ niemals an einer ideologischen Auseinandersetzung interessiert sind, weil ihre Politik nur auf der Grundlage von Lügen und Entstellungen der geschieht – liehen Wahrheit aufrecht erhalten werden kann. Es gibt immer Vorwände, theoretische Auseinandersetzungen zu vermeiden. Zur Zeit des Kampfes ist die Entschuldigung immer die Notwendigkeit zur Einheit, in Augenblicken des Triumphes das Prestige, das der Erfolg mit sich bringt, zu Zeiten der Niederlage die Notwendigkeit zu gemeinsamem Widerstand usw. So kommt es, daß Leute, die keine feste theoretische Position haben, hinter der opportunistischen Politik hergeschleift wurden wie es dem MIR passierte, der im Juli 1972, als er die ideologische Auseinandersetzung mit der Politik der KP begann, insbesondere die Aktionen von Orlando Millas im Wirtschaftsministerium kritisierte, aber dann beschloß, die Debatte während der Oktoberkrise 1972 im Interesse der Einheit zu stoppen und nicht bemerkte, daß er auf diese Weise die opportunistische Politik erleichterte, die die bürgerliche Offensive begünstigte. Wir sagten, daß die argentinische KP, die sich nicht verpflichtet fühlt , den Massen eine Antwort für das chilenische Debakel zu geben, die Fehler ihrer Genossen jenseits der Anden auf die Spitze treibt. Der Chefredakteur von „Nuestra Palabra“, dessen Ton höchst unangemessen für eine Partei ist, die das „Banner des Kommunismus“ mehr als 50 Jahre trug, ohne auch nur einen Minimalen Einfluß in der Arbeiterklasse zu gewinnen, beginnt mit der Ankündigung, daß sie beabsichtige, eine Polemik gegen „Grüppchen“ zu führen; als ob die argentinischen „Kommunisten“ selbst irgend etwas anderes als eine kleine und unbedeutende Tendenz darstellten. Der Text geht unmittelbar dazu über, den chilenischen Fall als ein Beispiel dafür darzustellen, daß die Fehler der „Ultralinken“ die Konterrevolution begünstigten.
„Die Ultralinke erhebt, individuell oder als Gruppe, den Terror einzelner oder von Gruppen zur Kategorie einer zentralen oder grundlegenden Methode, in Situationen, die so verschieden sind, wie die Diktatur von Lanusse in Argentinien, die der Regierung *Torres in Bolivien, die der UP oder die von Peron; in dem sie das tun, distanzieren sie sich selbst vom Leninismus und entfremden damit die wirklichen und möglichen Verbündeten der Arbeiterklasse, wie sie es in Chile taten. „
„Sich vom Leninismus zu entfremden“ ist ein schwerer Vorwurf; aber das erste Kennzeichen eines Leninisten ist, daß er sich zur Geschichte wahrheitsgetreu verhält. Nach ihrer Darstellung wurden „die tatsächlichen oder möglichen Verbündeten der Arbeiterklasse“ durch den „Terrorismus“ abgeschreckt. Aber diese „Bündnispartner“ hatten eine andere Meinung. Man braucht nur die unzähligen Dokumente zu lesen, wie sie während ihrer Streiks gegen die Allende- Regierung von den kleinbürgerlichen gremios (Selbständige, Lastwagenbesitzer usw.) ausgegeben wurden, um zu sehen, daß sie die Politik der UP angriffen – wenngleich die UP alle erdenklichen Anstrengungen unternahm, diese Schichten für sich zu gewinnen – und nicht den Terrorismus der Ultralinken, der nur in den Vorstellungen des chilenischen Militärs und des Chefredakteurs von „Nuestra Palabra“ existiert.
Statt zu betonen, daß in den drei Jahren der Allende-Regierung als einzige die bürgerlich-faschistischen Gruppen zum Mittel des Terrorismus gegriffen hatten, – dafür trainiert, bewaffnet und geschützt von den Streitkräften – und daß gleichzeitig alle Revolutionäre ohne Ausnahme eine an den Massen orientierte Politik betrieben hatten – klagen diese als „Kommunisten“ verkleideten Agenten der Junta die „Ultralinke“ eines Terrorismus an, den diese zu keinem Zeitpunkt angewandt hat. Wenn diese Leute von der „Ultralinken reden, dann meinen sie in Wirklichkeit den MIR. Die Argentinische KP wagt es nicht, eine Aussage zu treffen, die die chilenische KP nicht machen würde, weil sie auf keinen einzigen Fall des individuellen oder Gruppenterrors des MIR in den letzten drei Jahren verweisen kann.
Nur die argentinische KP und die chilenische Junta besitzen die Frechheit, solche Verleumdungen zu verbreiten. „Nuestra Palabra“ schreibt: „Sie verstehen nicht, daß die gegenwärtige Etappe der Revolution in unserem Land keine sozialistische, sondern eine demokratische, agrarische und antiimperialistische ist, die letztendlich den Weg zum Sozialismus eröffnen wird. „ Wir möchten dem hinzufügen – ja, genau so war es in Chile! „Sie betrachten die Nationalbourgeoisie und das Kleinbürgertum als ihre Hauptfeinde und treiben sie, indem sie diese bekämpfen, in die Arme des Yankee-Imperialismus, der Großgrundbesitzer und des Militärs, – genau so wie in Chile geschehen.“ Die arme Lateinamerikanische Bourgeoisie, die von den bösen Ultralinken in die Arme des Imperialismus getrieben wird! Wenn die chilenische Erfahrung uns irgend etwas gelehrt hat, dann, daß alle Schichten der Bourgeoisie, ob Groß- oder Klein-, sich im Kampf gegen die Allende-Regierung ohne Zögern auf die Seite des Imperialismus stellten.
Während die Kommunisten in all ihren Artikeln und Reden wiederholten, daß die nationale Bourgeoisie ihr Verbündeter sei, mobilisierte dieselbe Bourgeoisie die Massen in den Straßen, spekulierte auf dem schwarzen Markt, bewaffnete terroristische Banden, ermordete militante Kommunisten, sabotierte die Revolution, paralysierte das Land, klopfte an die Türen der Kasernen an, blockierte gesetzgeberische Initiativen im Parlament und schuf die sozialen und politischen Bedingungen für den Putsch. Jeder, dessen Wahrnehmungsfähigkeit nicht durch Klasseninteresse getrübt ist, kann aus diesen Tatsachen die entsprechenden Schlüsse ziehen. Das Verhalten der chilenischen Bourgeoisie ist einmal mehr ein Beweis dafür, daß unsere Länder reif für die sozialistische Revolution sind und daß dies der einzige Weg ist, der uns die Zukunft weisen kann; jedermann kann sehen, wo der andere Weg, der „chilenische Weg zum Sozialismus“, endet. Nur Agenten einer der beiden Großmächte, die heute die Welt unter sich aufgeteilt haben und einander gegenseitig die einmal gewonnen Einflußzonen garantieren, sind dazu in der Lage, gegen die sozialistische Revolution unter dem Vorwand einer nicht imaginären „Zwischenetappe“ zu kämpfen. Die Kommunisten sprechen eine deutliche Sprache; es wäre gut, wenn alle Revolutionäre sie ein für alle Mal verstehen und mit dem naiven Glauben Schluß machten, die „Kommunisten“ seien „Verbündete“ in der sozialistischen Revolution. Es gilt, sie so zu sehen, wie sie wirklich sind – Feinde der Revolution, die immer und überall alles daran setzen werden, daß sich Katastrophen wie die chilenische wiederholen werden.
Der Chefredakteur von „Nuestra Palabra“ fährt fort: „Sie (die Ultralinke) nehmen gegenüber den Streitkräften wie den katholischen Massen die gleiche verhängnisvolle Hang ein und treiben diese so m einen einheitlichen Block mit den rechten Putschisten und den Pro-Imperialisten, genau so wie in Chile geschehen. „ Einmal mehr tritt ein kruder Psychologismus an die Stelle der Klassenanalyse: das Militär bildet mit dem Imperialismus einen gemeinsamen Block, weil es von der Ultralinken angegriffen wird. Derartige Behauptungen dienen lediglich den Interessen des Militärs und der Kirche. Im letzten Teil des Artikels macht „Nuestra Palabra“ soziologische Exkurse: „Der in jüngster Zeit eingetretene Verzweiflungszustand der Ultralinken hat zwei grundlegende Ursachen: die erste liegt darin, daß die Mittelschichten in den antiimperialistischen Kampf einbezogen wurden. „ Es lohnt sich daran zu erinnern, daß der Autor eine kleine Partei vertritt, die selber in keiner einzigen der bedeutsamen Gewerkschaften über nennenswerten Einfluß verfügt, die selber in keinem Teil der Arbeiterklasse verankert ist, und deren Mitglieder zu 80% den kleinbürgerlichen Kreditgenossenschaften angehören oder mit diesen indirekt verbunden sind und die das Haupteinflußgebiet der Partei darstellen. Einige Schichten des Kleinbürgertums haben sich ohne Zweifel über die Guerillas den antiimperialistischen Kämpfen angeschlossen, aber die Zahl derer, die das über die KP getan hat, ist wesentlich größer. Die KP bietet ihnen ein reformistisches und nationales Programm sowie Aktionsformen an, die in ihren Klasseninteressen durchaus entsprechen.
Der zweite Grund für den „Verzweiflungszustand der Ultralinken“ ist der „Auftrieb, den sie durch den Imperialismus erfährt, der in dieser Tendenz – ungeachtet ihres militanten Wortradikalismus – einen objektiven Verbündeten im Kampf um die Niederlage der Revolution sieht, „ Mit dieser Verleumdung beendet unser Redakteur seine tiefgründige Analyse und lehnt sich zurück, zufrieden über sein unerschütterliches „proletarisches und revolutionäres Bewußtsein“. Wir wollen damit schließen, ihm und seinesgleichen eine Frage zu stellen. Sind die schlimmsten Konterrevolutionäre nicht eben jene, die in einer für den Sozialismus überreifen Gesellschaft sich mit Pinochet und Konsorten im Namen einer eingebildeten „demokratischen, agrarischen und antiimperialistischen Revolution“ verbünden?
Abkürzungen
PDC: Partido Democráta Cristiano, Christlich-demokratische Partei; angeführt von Eduardo Frei, der von 1964-7o chilenischer Präsident war. Die Partei repräsentiert die städtische und industrielle Bourgeoisie. Ihr Kandidat in den Wahlen 1970, Radomiro Tomic, war ein Repräsentant ihres „linken“ Flügels.
PNI: Partido Nacional, Nationale Partei; sie repräsentiert die Gutsbesitzer und Handelskapitalisten und jene Industriellem die eng mit ausländischem Kapital verbunden sind. Sie bildete sich 1966 durch die Verschmelzung von liberalen und konservativen Parteien. Ihr Wahlkandidat 197o war Jorge Allesandri, Ex-Präsident und auf der extremen Rechten.
UP: Unidad Popular (Volksfront). Ein Wahlbündnis, das alle linken Parteien, außer dem MIR, zusammenfaßte. Ihr Wahlkandidat war Allende. Ähnliche Volksfronten waren zu den Wahlen 1954 und 64 angetreten.
PC: Partido Comunista, Kommunistische Partei Chiles (KP)
PS: Partido Socialista, Sozialistische Partei (PS); die andere neben der Kommunistischen Partei in der Arbeiterklasse verankerte Massenpartei. Allende war der Repräsentant ihres rechten Flügels. Die Partei hatten einen bedeutsamen linken Flügel, der oft in seinen Positionen dem MIR sehr nahe kam.
PR : Partido Radical, Radikale Partei. Eine Volkspartei der Mittelklasse mit einigem bedeutenden Einfluß in der Arbeiterklasse während der dreißiger Jahre. In der Volksfront der dreißiger und frühen vierziger Jahre bildete sie die Regierung, aber verlor danach an Einfluß. 1970 war sie eine kleine und einflußlose Partei.
MIR: Movimiento de Izquierda Revolucionaria, Bewegung der Revolutionären Linken; wurde 1965 gebildet, nachdem sich eine kleine Gruppe, hauptsächlich Studenten, von der SP im Jahre 1963 abgespalten hatte. Er war hauptsächlich in Concepcion verankert und dort besonders an der Universität; bis 197o verfolgt sie eine Politik nach dem Vorbild Che Guevara und arbeitete halblegal.
MAPU: Movimiento de Acción Popular Unitaria, Bewegung für einheitliche Volksaktion; Abspaltung von Christ- demokratis eher Partei 1969, weil Teile der Partei mit dem Ausverkauf des Agrarreformprogramms nicht mitmachen wollten; sie spaltete sich 1973 in einen rechten und einen linken Flügel.
OIC: Izquierda Cristiana de Chile, Organisation der christlichen Linken. Sie spaltete sich 1971 von der Christdemokratie ab. Eine kleine Gruppe, die linker ist als ihr Name klingt.
CUT: Central Única de Trabajadores. Die einzige Arbeitervertretung. Ungefähr mit der britischen TUC zu vergleichen.
SNA: Sociedad Nacional Agraria, Nationale agraische Gesellschaft. Eine Interessengruppe, die die großen Landbe- sitzerund agraischen Interessen umfaßt. Sie nahm eine kompromißlose Anti-Allende Position ein.
1AlainLabrousse, El experimento chileno. ¿Reforma o revolución? Editions du Seuil, Paris, 1972.
2RuyMauro Marini, El reformismo y la contrarrevolución. Estudios sobre Chile. Ediciones Era, Mexiko, 1976.
3GabrielSmirnow, La revolución desarmada. Chile 1970-1973. Ediciones Era, Mexiko, 1977.
4Mike Gonzalez übersetzte dieses Buch von Helios Prieto im Jahr 1974. Dieser Ausgabe (Chile: the gorillas were among us, Pluto Press, UK, 1974) fügte er einen einleitenden Essay von großem analytischen und dokumentarischen Wert hinzu. Es gibt eine spanische Version dieses Textes, Chile 1972-73. Revolución y contrarrevolución, die im Internet verfügbar ist.
5Iqulque war das Zentrum der Nitrat-Industrie in Chile, das die gesamte Industrie dominierte, bis die Entwicklung künstlicher Nitrate die Kupferindustrie zur mächtigsten Industrie werden ließ. Im Jahre 1907 gab es einen massiven Streik von Nitrat-Arbeitern, deren Löhne und Arbeitsbedingungen in dieser ausländischen hauptsächlich britischen) Enklave unerträglich waren. Sie marschierten nach Iquique und versammelten sich dort an der Schule „Santa Maria“. Dort eröffnete die Armee mit Maschinengewehren das Feuer und tötete fast 3000 Männer, Frauen und Kinder. Das Massaker von „Santa Maria de Iquique“ ist eines er brutalsten und unvergeßlichsten Ereignisse der Geschichte der Arbeiterbewegung in Chile.
(Diese und die folgenden Anmerkungen wurden von dem englischen Übersetzer, Mike Gonzales, beigefügt.)
6Allende gewann die Präsidentschaftswahlen im Jahre 1970 mit nur 36 % der Stimmen. Der Kongreß war immer noch von den Parteien der Rechten beherrscht, obwohl sie nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit hatte, um Allende abzusetzen.
In dieser Situation kamen die PDC und Allende zu einem Abkommen, in dem die PDC Allende ihre Unterstützung zusagte, wenn er als Gegenleistung eine Reihe von Garantien unterschrieb, diese wurden in einem Garantiestatut niedergelegt und von Allende unterzeichnet; in diesen garantierte er die Freiheit der Presse, der Erziehungsinstitutionen, Nichteinmischung in die Angelegenheiten der Armee und der Kirche etc. Auf dieser Basis wurde er vom Kongreß zum Präsidenten gewählt.
7Der Wirtschaftsplan der UP hatte eine Wirtschaft zum Ziel, die aus drei Teilen bestehen sollte: der Bereich des gesellschaftlichen, des gemischten und des privaten Eigentums, Das gesellschaftliche Eigentum ( oder staatlich kontrolliertes) bestand aus den „Schlüsselindustrien der Wirtschaft“, die entweder enteignet (wie die Kupferindustrie) oder vom Staat aufgekauft (wie die Banken) werden sollten. Die UP ordnete diesem Bereich die dynamischste Rolle in der Wirtschaft zu, der sie mit dem notwendigen Kapital zur Finanzierung anderer Vorhaben versorgen sollte . Während dieser Bereich ursprünglich auf 15o Betriebe im Programm begrenzt war, führten aber dann die unabhängigen Aktionen der Arbeiter zu seiner beträchtlichen Ausweitung.
8Die Cordones waren Basisorganisationen von Arbeitern in Industriebezirken, die die Arbeiter aller Betriebe dieses Bezirks zusammenbrachten – mit dem Ziel der Organisierung der Produktion. Der erste Cordon wurde im Juli 72 gebildet, er bestand aber nur kurze Zeit. Diese Form der Basisorganisierung tauchte während des Oktoberstreiks wieder auf und dann wieder im Mai/Juni 73, als sie begannen ihre Funktionen auf Fragen der Verteidigung, Verteilung und auf einer sehr niedrigen Ebene auf die politische Organisierung auszudehnen.
9Das Transportwesen in Chile ist von entscheidender Bedeutung, in einem Land, das nur begrenzt Eisenbahnstrecken zur Verfügung hat und enorm große Entfernungen zwischen industriellen und landwirtschaftlichen Gebieten aufweist. Der LKW-Transport wird hauptsächlich von kleinen Betrieben abgewickelt, von denen jeder ein oder zwei Lastwagen besitzt. Im Oktober 72 und Juli 73 führten die Lastwagenbesitzer eine rechtsorientierte Offensive gegen die UP. Auf den Oktoberstreik reagierte die UP mit begrenzten Schritten der Verstaatlichung des LKW-Transportwesens.
10Gonzalez Videla war der Präsident der Volksfrontperiode von 1938-52, er war Mitglieder der Radikalen Partei,, Die Regierungskoalition, die er anführte schlos Mitglieder der KP ein. Mitte der vierziger 1 Jahre begann jedoch diese Koalition unter dem Druck der ökonomischen Schwierigkeiten und dem Beginn der imperialistischen Infiltration auseinanderzubrechen. Die gegensätzlichen Klasseninteressen kamen offen zum Ausdruck als Gonzalez Videla im Jahre 1947 das „Ley Maldita“ durchsetzte, das die KP verbot und ihre Militanten und viele prominente Gewerkschaftsananführer ins Gefängnis brachte.
11Comandos comunales versuchten die Produktion, Verteilung und die Verteidigung in den Arbeiterdistrikten unter einem einzigen vereinigten Kommando zu organisieren. Sie faßten die Organisationen Arbeiter, Mütter und Konsumenten etc. in jedem Distrikt zusammen.
12Der Controlaria General hat zwei Funktionen: einmal wacht er über die Regierungsausgaben, zum anderen ist er Gehilfe der Exekutive, mit der Aufgabe, sicherzustellen, daß Entscheidungen der Verfassung nicht widersprechen, m diesem Sinne handelt es sich hier eindeutig um eine konservative Bastion. Sein Vorsitzender ist der C o n t r o lor General.
13Der Interventor ist der von der Regierung ernannte Verwalter jener Betriebe, die von der Regierung kontrolliert wurden.
14„Miguelitos“ ist die ironische Bezeichnung von ‚Waffen“, die massenweise während der Bauernkriege verwandt wurden. Zwei Hufeisen werden rechtwinklig zusammengeschweißt und mit den Spitzen nach oben hingelegt, sodaß jeder, der darauf tritt, verletzt wird.
15Operation Unitas ist die Bezeichnung für ein alljährlich stattfindendes gemeinsames Manöver der amerikanischen und der chilenischen Flotte.
16Der Plan der Schulreform war bekannt geworden unter dem Namen ENU (die nationale Einheitsschule). Es war der Versuch, das chilenische Ausbildungssystem zu rationalisieren, zu vereinheitlichen und ihm eine berufsorientierte Richtung zu geben. Man kann dabei kaum von revolutionärer Umformung reden, aber die Kirche, die Armee und der rechte Flügel reagierte hysterisch. Der Plan wurde von der UP-Regierung auch wieder ohne viel Aufsehen fallengelassen und dem Parlament niemals nicht einmal als formalen Antrag, vorgelegt.
17Das Gesetz der Christdemokraten zur Landreform, das dem Kongreß zum ersten Mal 1967 vorgelegt, aber erst Ende 1969 verabschiedet worden war, sah eine Veränderung der Besitzstruktur auf dem Lande vor. Zu jener Zeit war das Land in große, nicht ausgelastete; Ländereien, die einer kleinen Minderheit gehörten, aufgeteilt. Der PDC-Plan sah vor, eine neue Klasse kleiner und mittlerer Bauern auf der Basis von Produktionskooperativen zu schaffen. Der Plan traf auf die entschlossene Feindschaft der alten Agrarinteressen, die in der Nationalpartei verkörpert waren. Tatsächlich wurde während der Regierungszeit von Frei wenig Land umverteilt. Das Gesetz bildete die Basis für Allendes Agrarprogramm.
18Einige Monate vor dem Staatsstreich fing das Wort „Djakarta“ an, auf Mauern und auf schwarzgeränderten Karten zu erscheinen, die mit der Post zugestellt wurden. Die Idee dazu ging von Elementen der äußersten Rechten aus. Es war eine Kampagne, die eine „Endlösung“ in der Art propagiert, wie sie 1965 in Indonesien nach dem Sturz Sukarnos stattfand und zur Niedermetzelung einer halben Million Kommunisten und dem linken Flügel angehörender Leute führte.
19Die Männer waren alle Anführer antiimperialistischer Volksbewegungen in Lateinamerika in den dreißiger Jahren. Zu dieser Zeit kündigte die Entstehung solcher Bewegungen in ganz Lateinamerika die Wiederherstellung der Abhängigkeitsverhältnisse nach der ökonomischen Krise in den zwanziger Jahren an, die katastrophale Auswirkungen auf den ganzen Kontinent hatte. Diese Volksbewegungen errichteten stärkere Nationalstaaten, suchten einen größeren Anteil des Profits ihrer eigenen nationalen Bourgeoisie zukommen zu lassen und durch ihre Demagogie gewannen sie die Arbeiterklasse und die Bauern zur Unterstützung der Mittelklassen und ihrer Politik.