Gefunden auf expandiendo la revuelta, die Übersetzung ist von uns.
Leon Czolgosz: der Anarchist, der ein Attentat auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten verübte (1901)
Einleitung
Dieses kleine Fanzine soll an den Gefährten Leon Czolgosz erinnern, der für die Ermordung des US-Präsidenten William McKinley am 6. September 1901 in Buffalo verantwortlich war.
Leons Tat löste nicht nur ein internationales Echo aus und befeuerte eine repressive Kampagne in den USA, gegen die anarchistische Bewegung, sie war Teil einer Reihe von internationalen Aktionen, die durch die so genannte „Propaganda der Tat“ miteinander verbunden waren und zu denen wir die Angriffe auf Gefährtene wie Gaetano Bresci, Sante Geronimo Caserio, Auguste Vaillant, Emile Henry, Michele Angiolillo, Luigi Lucheni, Mateo Morral und andere zählen können, sowie in Argentinien die Fälle von Salvador Planas, Francisco Solano Regis, Simón Radowitzky und Kurt Wilckens.
Damit wollen wir sagen, dass sowohl die Aktionen als auch Leon als Individuum nicht losgelöst von ihrem Umfeld, ihren Praktiken und ihrer Geschichte betrachtet werden können, sondern dass sie ihre Grundlagen sowohl in der transversalen Misere des Kapitalismus als auch in den Beispielen des Widerstands und der individuellen Offensiven haben, mit denen sich der Anarchismus historisch auseinandergesetzt hat, nicht ohne unendliche Debatten, Widersprüche und Kontroversen.
Mit dem Bedürfnis, sich von Fetischen zu lösen und tiefer in die Geschichte und den Kontext von Leon Czolgosz einzutauchen, haben wir beschlossen, den von der Gefährtin Emma Goldman geschriebenen Text „Die Tragödie von Buffalo“ zu übersetzen und die Wochen nach dem Anschlag in Buenos Aires veröffentlichte Rezension „Czolgosz’s revolver“ abzutippen. Mit dem Ziel, verschiedene Standpunkte kritisch zu beleuchten und zu verstehen, welchen Platz gewaltsame Aktionen, Solidarität und Repression in den Milieus der Anarchist*innen einnehmen.
Expandiendo la revuelta.
Juli 2024.
Buenos Aires.
Die Tragödie von Buffalo
Emma Goldman
Veröffentlicht im Oktober 1901 in der anarchistischen Zeitung Free Society, San Francisco, Kalifornien.
Da hungert das kleine, erschrokene Kind,
Bis es wimmert ohne Unterlass,
Sie peitschen den Schwachen, sie schlagen den Narrn,
Den Alen verspotten sie baß.
Und mancher wird toll, und schlecht werden all,
Doch keiner darf etwas sagen.
– Oscar Wilde. (A.d.Ü., aus der deutschsprachigen Ausgabe aus dem Jahr 1896)
Noch nie in der Geschichte der Regierungen hat der Klang eines Pistolenschusses die selbstgefällige, gleichgültige, zufriedene und träge Öffentlichkeit so erschreckt, terrorisiert und entsetzt wie der Schuss, den Leon Czolgosz abfeuerte, als er William McKinley, den Präsidenten der Geldkönige und Trustmagnaten dieses Landes, niederschoss.
Nicht, dass dieser moderne Cäsar der erste gewesen wäre, der durch die Hand eines Brutus starb. Oh nein! Seitdem der Mensch die Rechte seiner Mitmenschen mit Füßen tritt, schweben rebellische Geister in der Atmosphäre. Nicht, dass William McKinley ein größerer Mann gewesen wäre als diejenigen, die auf der gefesselten Gestalt der Freiheit thronten. Er war weder in Bezug auf Intellekt, Fähigkeiten, Persönlichkeit noch Charakterstärke mit denen vergleichbar, die die Strafe für ihre Macht zu zahlen hatten. Auch wird die Geschichte nicht in der Lage sein, seine außergewöhnliche Freundlichkeit, Großzügigkeit und sein Mitgefühl mit denen festzuhalten, die durch Unwissenheit und Gier zu einem Leben in Elend, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung verdammt sind.
Warum also wurden die Mächtigen und Einflussreichen durch die Tat vom 6. September in solche Bestürzung versetzt? Warum dieses Geheul einer angeheuerten Presse? Warum solche blutrünstigen und gewalttätigen Äußerungen von Geistlichen, deren übliches Geschäft es ist, „Frieden auf Erden und guten Willen für alle“ zu predigen? Warum das wahnsinnige Toben des Pöbels, die Forderung nach strengen Gesetzen zur Einschränkung der Presse- und Redefreiheit?
Seit mehr als dreißig Jahren beraubt eine kleine Gruppe von Parasiten das amerikanische Volk und tritt die Grundprinzipien mit Füßen, die von den Vorfahren dieses Landes festgelegt wurden und jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind „Leben, Freiheit und das Streben nach Glück“ garantieren. Seit dreißig Jahren vermehren sie ihren Reichtum und ihre Macht auf Kosten der großen Masse der Arbeiter und vergrößern dadurch die Armee der Arbeitslosen, der Hungernden, Obdachlosen und Freundlosen, die das Land von Ost nach West und von Nord nach Süd durchziehen, auf der vergeblichen Suche nach Arbeit. Seit vielen Jahren wird das Zuhause der Obhut der Kleinen überlassen, während die Eltern ihr Leben und ihre Kraft für einen Hungerlohn aufwenden. Dreißig Jahre lang wurden die starken Söhne Amerikas auf dem Schlachtfeld des industriellen Krieges geopfert und die Töchter in korrupten Fabrikumgebungen missbraucht. Lange und mühsame Jahre ging dieser Prozess der Untergrabung der Gesundheit, der Kraft und des Stolzes der Nation ohne viel Protest der Enterbten und Unterdrückten weiter. Durch Erfolg und Siege verrückt geworden, wurden die Geldmächte dieses „freien Landes von uns“ immer dreister in ihren herzlosen, grausamen Bemühungen, mit verrotteten und verfallenen europäischen Tyranneien um die Vorherrschaft der Macht zu konkurrieren.
Da die Gedanken der Jugend von einer pervertierten Auffassung von Patriotismus vergiftet waren und der trügerischen Vorstellung, dass alle gleich seien und jeder die gleiche Chance habe, Millionär zu werden (vorausgesetzt, er könne die ersten hunderttausend Dollar stehlen), war es in der Tat ein Leichtes, die Unzufriedenheit des Volkes zu zügeln; daher ist man nicht überrascht, wenn man Amerikaner sagen hört: „Wir können verstehen, warum die armen Russen ihren Zaren oder die Italiener ihren König töten, wenn man an die dort herrschenden Bedingungen denkt; aber wer in einer Republik lebt, in der jeder die Möglichkeit hat, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden (vorausgesetzt, er hat eine mächtige Partei hinter sich), warum sollte er solche Taten versuchen? Wir sind das Volk, und Gewalttaten sind in diesem Land unmöglich.“
Und nun, da das Unmögliche geschehen ist, dass sogar Amerika den Mann hervorgebracht hat, der den König der Republik niedergestreckt hat, haben sie den Kopf verloren und rufen nach Rache an denen, die jahrelang gezeigt haben, dass die Bedingungen hier allmählich alarmierend wurden, und dass, wenn kein Einhalt geboten wird, die Despotie ihren schweren Fuß auf die bisher relativ freien Glieder des Volkes setzen würde.
Vergeblich haben die Fürsprecher des Reichtums Leon Czolgosz als Ausländer denunziert; vergeblich lassen sie die Welt glauben, dass er das Produkt europäischer Verhältnisse sei und von europäischen Ideen beeinflusst wurde. Dieses Mal ist der „Attentäter“ zufällig das Kind Kolumbiens, das ihn mit
„Mein Land, es ist von dir,
süßes Land der Freiheit“
und ihm die Hoffnung gab, dass auch er Präsident des Landes werden könnte. Wer kann sagen, wie oft dieses amerikanische Kind die Feierlichkeiten zum 4. Juli oder zum Decoration Day, an dem es den Toten der Nation treu gedachte, genossen hat? Wer weiß, ob er nicht auch bereit war, „für sein Land zu kämpfen und für seine Freiheit zu sterben“, bis ihm dämmerte, dass diejenigen, denen er angehörte, kein Land hatten, weil sie all dessen beraubt wurden, was sie hervorgebracht hatten; bis er erkannte, dass all die Freiheit und Unabhängigkeit seiner Jugendträume nur eine Farce waren. Vielleicht lernte er auch, dass es Unsinn ist, von Gleichheit zwischen denen zu sprechen, die alles haben, und denen, die nichts haben, und rebellierte deshalb.
„Aber seine Tat war verrückt und feige“, sagt die herrschende Klasse. ‚Sie war töricht und unpraktisch‘, wiederholen alle kleinlichen Reformer, Sozialisten und sogar einige Anarchisten.
Was für eine Absurdität! Als ob eine Tat dieser Art an ihrer Nützlichkeit, Zweckmäßigkeit oder Praktikabilität gemessen werden könnte. Wir könnten uns genauso gut nach der Nützlichkeit eines Wirbelsturms, Tornados, eines heftigen Gewitters oder des unaufhörlichen Falls des Niagara-Wassers fragen. All diese Kräfte sind die natürlichen Ergebnisse natürlicher Ursachen, die wir vielleicht noch nicht erklären können, die aber dennoch Teil der Natur sind, so wie Kraft natürlich und Teil von Mensch und Tier ist, entwickelt oder gebremst, je nach dem Druck der Bedingungen und dem Verständnis des Menschen. Ein Akt der Gewalt ist daher nicht nur das Ergebnis von Bedingungen, sondern auch der psychischen und physischen Natur des Menschen und seiner Anfälligkeit für die ihn umgebende Welt.
Kämpft der Sommer nicht gegen den Winter, leistet er nicht Widerstand, trauert und weint er nicht Tränenmeere in seinem eifrigen Versuch, seine Kinder vor dem eisigen Griff des Frosts zu schützen? Und hüllt der Winter Mutter Erde nicht in eine weiße, harte Decke, damit die warme Frühlingssonne nicht das Herz des verhärteten alten Herrn zum Schmelzen bringt? Und sammelt er nicht seine letzten Kräfte für einen erbitterten und heftigen Kampf um die Vorherrschaft, bis die brennenden Strahlen der Sonne seine Reihen zerstreuen?
Widerstand gegen Gewalt ist eine Tatsache in der gesamten Natur. Der Mensch ist Teil der Natur und wird daher auch von derselben Kraft angetrieben, sich gegen eine Invasion zu verteidigen. Gewalt wird so lange ein natürlicher Faktor bleiben, wie ökonomische Sklaverei, soziale Überlegenheit, Ungleichheit, Ausbeutung und Krieg weiterhin alles Gute und Edle im Menschen zerstören.
Dass die ökonomischen und politischen Bedingungen dieses Landes den Keim der Habgier und des Despotismus in sich trugen, kann niemand leugnen, der nachdenkt und die Ereignisse genau beobachtet hat. Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Anzeichen von Wehen einsetzten. Und sie begannen, als McKinley mehr als jeder andere Präsident das Vertrauen des Volkes verraten hatte und zum Werkzeug der Geldkönige wurde. Sie begannen, als er und seine Klasse das Andenken der Männer, die die Unabhängigkeitserklärung verfasst hatten, mit dem Blut der massakrierten Filipinos befleckten. Sie wurden immer gewalttätiger, wenn sie sich an Hazelton, Virden, Idaho und andere Orte erinnerten, an denen das Kapital Krieg gegen die Arbeit geführt hatte, bis am 6. September das Kind geboren wurde, das durch Gewalt gezeugt, genährt und aufgezogen wurde.
Dass Gewalt nicht nur das Ergebnis von Bedingungen ist, sondern auch weitgehend von der inneren Natur des Menschen abhängt, lässt sich am besten durch die Tatsache belegen, dass Tausende die Tyrannei verabscheuen, aber nur einer einen Tyrannen niederschlägt. Was treibt ihn dazu, die Tat zu begehen, während andere stillschweigend zusehen? Es liegt daran, dass der eine von einer so sensiblen Natur ist, dass er ein Unrecht schärfer und intensiver empfindet als andere.
Es ist daher nicht Grausamkeit, Blutdurst oder eine andere kriminelle Neigung, die einen solchen Menschen dazu bringt, der organisierten Macht einen Schlag zu versetzen. Im Gegenteil, es ist vor allem ein starker sozialer Instinkt, eine Fülle von Liebe und ein Übermaß an Mitgefühl für den Schmerz und das Leid um uns herum, eine Liebe, die Zuflucht in der Umarmung der Menschheit sucht, eine Liebe, die so stark ist, dass sie vor keiner Konsequenz zurückschreckt, eine Liebe, die so weit ist, dass sie sich nie auf ein Objekt beschränken lässt, solange Tausende zugrunde gehen, eine Liebe, die so alles verschlingend ist, dass sie weder kalkulieren, noch vernünftig sein, noch untersuchen kann, sondern nur um jeden Preis wagt.
Es wird allgemein angenommen, dass Männer, die dazu veranlasst werden, den Dolch oder die Kugel in das feige Herz der Regierung zu stoßen, eingebildet genug sind, zu glauben, dass sie dadurch die Welt von den Fesseln der Despotie befreien werden. Soweit ich die Psychologie einer Gewalttat studiert habe, stelle ich fest, dass nichts weiter von dem Gedanken eines solchen Mannes entfernt sein könnte, als dass der Mob aufhören wird, „Lang lebe der König!“ zu rufen, wenn der König tot wäre.
Der Grund für eine solche Tat liegt tiefer, viel zu tief, als dass die oberflächliche Menge ihn begreifen könnte. Er liegt in der Tatsache, dass die Welt im Inneren des Individuums und die Welt um ihn herum zwei antagonistische Kräfte sind und daher aufeinanderprallen müssen.
Will ich damit sagen, dass Czolgosz aus diesem Material gemacht ist? Nein. Ich kann aber auch nicht sagen, dass er es nicht ist. Ich bin auch nicht in der Lage zu sagen, ob er ein Anarchist ist oder nicht; ich kannte den Mann nicht; soweit ich weiß, scheint ihn niemand gekannt zu haben, aber aufgrund seiner bisherigen Haltung und seines Verhaltens (ich hoffe, dass kein Leser von „Free Society“ den Zeitungslügen Glauben geschenkt hat) habe ich das Gefühl, dass er eine Seele voller Schmerz war, eine Seele, die in unserer grausamen Welt keinen Platz fand, eine Seele, die „unpraktisch“, unzweckmäßig und unvorsichtig war (gemäß dem Diktum der Weisen); aber dennoch wagemutig, und ich kann nicht anders, als mich in ehrfürchtigem Schweigen vor der Kraft einer solchen Seele zu verneigen, die die engen Mauern ihres Gefängnisses durchbrochen und einen gewagten Sprung ins Unbekannte gewagt hat.
Nachdem ich gezeigt habe, dass Gewalt nicht das Ergebnis persönlichen Einflusses oder eines bestimmten Ideals ist, halte ich es für unnötig, in eine langwierige theoretische Diskussion darüber einzusteigen, ob der Anarchismus das Element der Gewalt enthält oder nicht. Die Frage wurde immer wieder diskutiert, und es ist erwiesen, dass Anarchismus und Gewalt so weit voneinander entfernt sind wie Freiheit und Tyrannei. Es ist mir egal, was der Pöbel sagt; aber denen, die noch in der Lage sind zu verstehen, möchte ich sagen, dass der Anarchismus als Lebensphilosophie darauf abzielt, einen Zustand der Gesellschaft zu schaffen, in dem die innere Verfassung des Menschen und die Bedingungen um ihn herum harmonisch miteinander verschmelzen können, so dass er in der Lage ist, alle Kräfte zu nutzen, um das Leben um ihn herum zu erweitern und zu verschönern. Denen möchte ich auch sagen, dass ich nicht für Gewalt bin; das ist Aufgabe der Regierung, und Gewalt erzeugt Gegengewalt. Das ist eine Tatsache, die sich nicht durch die Verfolgung einiger weniger Männer und Frauen oder durch strengere Gesetze beseitigen lässt – das führt nur dazu, dass sie zunimmt.
Gewalt wird eines natürlichen Todes sterben, wenn die Menschen lernen zu verstehen, dass jede Einheit ihren Platz im Universum hat und, obwohl eng miteinander verbunden, frei bleiben muss, um zu wachsen und sich auszudehnen.
Einige Leute haben vorschnell gesagt, dass Czolgosz‘ Tat töricht war und das Wachstum des Fortschritts bremsen wird. Diese ehrenwerten Menschen ziehen voreilige Schlüsse. Niemand kann sagen, welche Folgen die Tat vom 6. September haben wird; eines ist jedoch sicher: Er hat die Regierung an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen. Das Rad des Fortschritts aufzuhalten, ist absurd. Ideen können nicht durch Zurückhaltung aufgehalten werden. Und was die kleinliche polizeiliche Verfolgung betrifft, was macht das schon?
Während ich dies schreibe, schweifen meine Gedanken zur Todeszelle in Auburn, zu dem jungen Mann mit dem mädchenhaften Gesicht, der kurz davor steht, durch die groben, brutalen Hände des Gesetzes hingerichtet zu werden, der in der engen Zelle auf und ab geht, mit kalten, grausamen Augen, die ihn verfolgen,
die ihn beobachten, wenn er versucht zu weinen,
und wenn er versucht zu beten;
die ihn beobachten, damit er nicht selbst
Das Gefängnis seiner Beute berauben könnte.
Und mein Herz geht in tiefem Mitgefühl zu ihm und zu allen Opfern eines Systems der Ungleichheit und zu den vielen, die als Vorreiter eines besseren, edleren, großartigeren Lebens sterben werden.
Emma Goldman
Der Revolver von Czolgosz
Veröffentlicht am 26. Oktober 1901 in der anarchistischen Zeitung „El Rebelde“ aus Buenos Aires.
Aus der Beilage unseres Kollegen zur Revista Blanca transkribieren wir die interessante Korrespondenz aus New York, die unten eingefügt ist, mit einigen durchgestrichenen Absätzen über die Wechselfälle, die Mr. McKinley vor seinem Tod erlitt. Bitte lest sie aufmerksam. Stürmische Zeiten in der großen amerikanischen Republik sind angebrochen. Im ganzen Land sind zahlreiche Illustrationen und geistige Werke zu sehen, die zeigen, wie die industrielle und soziale Revolution den politischen und ökonomischen Körper der Nation umgestaltet und etwas Neues und Fremdes in sie einführt.
Das Ausmaß der teilrevolutionären Bewegungen des riesigen Heeres der amerikanischen Proletarier hat die Grenzen des bisher Bekannten im In- und Ausland überschritten. Es ist nicht nötig, über die großen Streiks der Bauarbeiter, der Bergleute, der Maschinisten, der Gewerkschaften/Syndikate in San Francisco, der riesigen Handwerksbetriebe, der Straßenbahnarbeiter, der Tabakarbeiter, der Schneider, der Stahl- und anderen Metallarbeiter und hundert anderer Branchen zu sprechen. Es genügt zu wissen, dass sich in den letzten acht Monaten mehr als eine Million Arbeiter gegen die Bosse aufgelehnt haben und dass weitere vier Millionen Menschen direkt von den Streiks betroffen waren. Bei diesen Streiks kam es zu immensen Börsenverlusten, Selbstmorden, Konkursen, der Zerstörung rosiger Träume für die einen und fabelhaften Gewinnen für die anderen, unter den Kapitalisten.
Die Arbeiter wurden manchmal von Soldaten, Polizisten usw. angegriffen und mussten den Verlust einiger Gefährten beklagen, die getötet, andere verwundet, einige ins Gefängnis und andere zur Deportation geschickt wurden. Es wurde viel gewonnen und einiges verloren. Trotzdem geht die Lohnsklaverei weiter, und die Privilegien des Kapitals sind immer noch sicher, und das protestantische Elend, die Lohnabhängigen, können nichts dagegen tun.
In Tampa streiken 6.000 Arbeiter für eine Erhöhung der Löhne; weitere 15.000 Streikende kämpfen um ein Auskommen, das sie nicht finden können; die Tabakarbeiter richten zwölf ökonomische Küchen ein und ernähren darin ein ganzes Volk, das vom bourgeoisen Hass blockiert ist. Streikende und Nichtstreikende ernähren sich nicht nur als Gemeinschaft, sondern stellen sogar Ärzte und Medikamente für alle bereit.
Der Streik wird auf dem legalen Weg geführt. Die Streikenden, alle spanischsprachig, halten Ordnung und Kultur aufrecht, bleiben aber in ihren Forderungen hartnäckig. Eines Tages treffen sich die Fabrikanten, die Behörden und die Bourgeoisie der Stadt und beschließen, einen Überfall zu verüben. Mitten in der Nacht kidnappen sie das Streikkomitee. Dreizehn Gefährten wurden von bewaffneten Banditen heimlich aus ihrem Haus entführt und auf mysteriöse Weise in den Golf von Mexiko gebracht, auf ein Piratenschiff verladen und an die Küste von Honduras transportiert, wo sie an einem verlassenen Ort ausgesetzt wurden, wo ihre Henker glaubten, sie würden verhungern. Später führte ein Indianer sie zu einem zivilisierten Ort, Trujillo, und von dort aus kehrten sie nach Key West zurück, im Angesicht der tampereanischen Entführer. Es ist eine wahre Geschichte, die sich wie ein Roman liest. Nach den Entführungen wollte die Bourgeoisie die ökonomischen Küchen schließen, aber das gelang ihnen nicht. Unter den Entführten war auch der Schatzmeister der Unión de Tabaqueros (A.d.Ü., Gewerkschaft/Syndikat der Tabakbauern), der 32.000 Pesos mit seiner Unterschrift in zwei Banken deponiert hatte. Durch seine Entführung sollte den Streikenden die notwendige Unterstützung vorenthalten werden, aber die Arbeiter des Handels in New York, Kuba usw. schickten die Gelder an ihre Gewerkschaften/Syndikate. Die Bourgeoisie von Tampa tat noch mehr: Sie warf alle Familien der Streikenden auf die Straße; heute leben sie auf dem Land unter Zelten. Andere sind ausgewandert. Bei all diesem Banditentum, das gegen die Gesetze des Rechts und der Menschlichkeit verstieß, taten die Behörden in Washington nichts für die Gerechtigkeit. McKinley drückte ein Auge zu; in der Zwischenzeit litten Tausende von Kreaturen unermesslich. Die Magnaten des milliardenschweren Steel Trust holten alle blinden Passagiere aus den Staaten, die von dem Monsterstreik betroffen waren, und begannen, Streikbrecher zu importieren und in den Fabriken einzusetzen. Erst gestern erklärte der Erzmilliardär und Präsident den Presseleuten, dass der Trust die Gewerkschaften/Syndikate der Arbeiter zerstören würde. Dass er einen totalen Krieg gegen diese Organisationen führen würde. Die Streikenden baten kürzlich um einige ehrenhafte Zugeständnisse, um den Konflikt zu beenden. Der Trust antwortete, dass er genug Kraft habe, um die Stahlarbeiter nach Belieben zu beherrschen, zu stören und zu unterwerfen. McKinley würde sich den ruchlosen Plänen des Trusts nicht in den Weg stellen. In einigen Städten begann die Inhaftierung der Streikenden, andere ließen ihre kleinen Holzhäuser beschlagnahmen und waren völlig verzweifelt.
Aus Puerto Rico meldet der Telegraf, dass Tausende von Menschen unter schrecklichem Hunger leiden. Dass die Lebensgrundlagen am Ende sind; dass die Einheimischen zur Auswanderung gezwungen sind; dass die Menschen, wenn sie protestieren, geschlagen werden, und dass eine republikanische Zeitung erklärt, „dass es ein Glück wäre, wenn dieser Wettlauf bald vorbei wäre.“ Washington tut nichts, und McKinley, der Menschenfreund, schweigt!… 6.000 Tote auf den Philippinen werden gemeldet. McKinley bleibt still. Die Presse kümmert sich nicht viel um menschliche Katastrophen. Was macht es schon, dass es in den Vereinigten Staaten vier Millionen Arbeiter gibt, die 25 Cent am Tag verdienen? Dass in Paterson einige Mütter großer Familien Brot stehlen mussten, um ihre Kinder zu ernähren? Dass eine Mutter ihr Kind vor dem Verhungern rettete, indem sie es mit dem Brot fütterte, das sie im Gefängnis bekam, und selbst das Wasser trank? Dass es täglich zehn Selbstmorde aufgrund von Elend gibt? Dass Menschen aus Mangel an Unterkunft und Brot unter Brücken sterben? Die Presse kümmert sich nicht um solche Kleinigkeiten. Stattdessen geht Leon Czolgosz nach Buffalo und feuert zwei Schüsse auf Präsident McKinley ab, vielleicht um seine Assoziierten wachzurütteln und ihnen zu zeigen, welche großen Ungerechtigkeiten und Schandtaten in der großen Republik begangen werden. Die Presse füllt Tausende von Seiten mit Lobeshymnen auf den großen McKinley, den Menschenfreund, den Weisen und Patrioten.
Leon Czolgosz ist Amerikaner, geboren in Detroit, Michigan, achtundzwanzig Jahre alt, Schmied von Beruf, hellbraun, blauäugig, naturgelocktes Haar, kräftig, stämmig gebaut, sein hübsches, jugendliches Aussehen verrät große Intelligenz und edle Gesinnung.
Als er die beiden Schüsse im Musikpalast in Buffalo abfeuerte, war er so elegant gekleidet und hatte so gute Manieren, dass der Präsident nicht zögerte, Leon die Hand zu schütteln, der in seinem Herzen die Idee hatte, mit dem obersten Richter der Republik die sozialen Verbrechen zu bestrafen, die in dieser kosmopolitischen Nation täglich begangen werden. Leon sagte, als er die erste Aussage machte: „Mein Name ist Leon F. Czolgosz. Mein Wunsch war es, den Präsidenten zu töten. Ich hatte mir vorgenommen, dies zu tun, und in drei Tagen hatte ich meinen Plan ausgearbeitet. Die Hand, in der ich den Revolver trug, rollte ich mit einem Taschentuch zusammen. Dann ging ich direkt zum Präsidenten und feuerte vor seinen Augen. Ich habe keine Komplizen; ich habe nur meine Tat ausgeführt. Ich bin ein Anarchist, ich glaube an diese Ideen und liebe sie. Ich glaube nicht an die Regierungsform meines Landes, ich glaube an keine Regierung, weil sie alle das schreckliche Elend und die Sklaverei der meisten hervorbringen; aus diesem Grund glaube ich, dass es meine Pflicht ist, den Präsidenten zu töten. Ich bin ein Anarchist; ich habe meine Pflicht getan. Ich habe keine Komplizen, das schwöre ich“.
Trotz Leons kategorischen Aussagen wurden zwölf anarchistische Gefährten in Chicago verhaftet: drei Frauen und neun Männer. Die meisten von ihnen sind Redakteure der Zeitung Free Society. Perspektivisch wird sich die Zahl der Verhaftungen auf ein halbes Hundert belaufen. In der Zwischenzeit werden die Gefährtin Emma Goldman und andere Gefährten verfolgt. Emma wird beschuldigt, dass Leon sie über Anarchie reden hörte und dies sie zu der Tat veranlasste.
Die Boulevardpresse leitet die öffentliche Meinung und die Machthaber dazu an, den Anarchisten viel mehr zu tun als Chicago ’87, wenn möglich, die Anarchisten in Scharen zu fangen und sie zu verbrennen.
Es besteht natürlich kein Zweifel daran, dass einige Unschuldige getötet oder zumindest lebenslang ins Gefängnis geschickt werden. Aber was macht das schon? Das Elend und die Sklaverei werden weitergehen, und die Rebellen werden daraus hervorgehen.
Leon Czolgosz wird nicht der letzte Anarchist sein.
Regierungen und Kapitalisten müssen davon überzeugt werden, dass selbst wenn Anarchisten solche individuellen Taten verhindern wollten, es für sie unmöglich wäre. Leon war kaum jemandem als militanter Anarchist bekannt, aber die Polizei und die erbärmliche Presse erfanden Komplotte, um viele unschuldige Gestalten links und rechts zu verhaften. Leons Familie kam aus Polen und Deutschland. Sie sind eine elfköpfige Familie: der Vater, die Schwiegermutter und acht Geschwister, von denen die ältesten Arbeiter und Soldaten sind. Die Jüngsten sind ärmlich gekleidet und barfuß. Die Arbeit reicht nicht aus, um so viele Kinder zu ernähren. Leons Haus ist eine kleine Kaserne für proletarische Sklaven.
Der Besitzer des kleinen Hotels, in dem Leon in Buffalo wohnte, erklärt: „Der junge Leon war sehr zurückhaltend, trank nicht und hat nie jemanden um einen Gefallen gebeten. Er war sehr freundlich; er ging tagsüber aus und kam abends nach Hause, ohne jemanden zu belästigen. Er war sehr nett und höflich. Er zahlte pünktlich und gab nichts zu tun. Er rief nie einen Bediensteten an.“
In letzter Minute soll Leon gesagt haben: Er würde McKinley wieder erschießen, wenn er die Gelegenheit dazu hätte. Es ist ein Glück für die Anarchisten in dieser Republik, dass Leon in diesem Land geboren wurde, denn wäre er Italiener oder Franzose gewesen, wäre die Presse noch wütender und kannibalischer gegen AUSLÄNDISCHE Anarchisten vorgegangen. Leons Tat hat das amerikanische Volk erschüttert. Lasst die stürmischen Zeiten rollen und lasst das Neue und Fremde in dieser MODELL-Republik erkennen, dass seine Millionen aus den Millionen proletarischer Sklaven hergestellt werden, die von der Ausbeutung zu Tode gequetscht werden.
M.S. PANTIN.