Einleitung von der Soligruppe für Gefangene,
zu unseren kommenden Text – KEIN ANARCHISTISCHES PROGRAMM, Eine Kritik an „anarchistischem“ Idealismus, Ideologien und Reformismus – setzen wir fort mit der Reihe an Texten, alles Übersetzungen, die sich mit der Thematik des Reformismus auseinandersetzen.
Dieser Text ist die Erweiterung oder Ergänzung von Warum wir keine revolutionäre Partei brauchen, hier der Link zu unserer Übersetzung. Genauso wie bei allen Texten, die wir veröffentlichen, sind wir nicht mit allem einverstanden, aber genauso wie beim Vorgänger, denken wir, dass diese ein interessante Grundlage für Debatten sind, dass solche Texte einen enormen Beitrag leisten können, zumindest um den gegenwärtigen geistigen Zustand vieler Anarchisten und Anarchistinnen, irgendwo zwischen Nirvana und Limbus, zu überwinden.
Roi Ferreiro
Warum wir gegen Parteien1 sein müssen
Theoretische Kritik an den Positionen der Izquierda Revolucionaria (Revolutionären Linken).
Präsentation
Welche Art von Organisation braucht die Arbeiterklasse?
Die praktischen Wurzeln der Form der Partei
Partei, Avantgarde und Macht
Die Eigenschaften, die die revolutionäre Avantgardeorganisation haben muss
Die Deformation der revolutionären Theorie, bzw. der Partei als kollektiver Intellektueller
Die revolutionären Parteien sind nicht anders als die anderen Parteien
Die Partei als politischer Technologe
Der Aufbau revolutionärer Gruppierungen und zukünftige Perspektiven
Präsentation
Ermutigt durch den Gefährten Ricardo Fuego und seine Kritik des Textes „Warum wir eine revolutionäre Partei brauchen“, der spanischen trotzkistischen Gruppe Izquierda Revolucionaria, beschloss ich, diesen Text gründlich zu lesen und einen Beitrag dazu zu leisten.
Meine Arbeit war darauf gerichtet, die theoretischen Grundlagen des Textes zu klären, in Anbetracht der Tatsache, dass die Kritik, was ihre praktische Transzendenz betrifft, bereits vollständig von Ricardo in seinem Artikel „Warum wir KEINE revolutionäre Partei brauchen“ entwickelt worden ist. Daher werde ich versuchen, nicht auf diese eher praktischen Aspekte einzugehen, sondern mich darauf konzentrieren, andere, eher theoretische Perspektiven zu diesem Thema zu vermitteln.
Welche Art von Organisation braucht die Arbeiterklasse?
Die Frage nach der „Notwendigkeit, sich zu organisieren“ (in dem Sinne, wie die IR sie stellt), stellt sich in den Kämpfen als Ausdruck der Schwäche oder des Scheiterns der Kämpfe, nicht als Ausdruck ihrer Stärke.
Die wirkliche Notwendigkeit, sich zu organisieren, entsteht nicht, wenn Kämpfe „stattgefunden haben oder stattfinden“, sondern wenn sie sich in einem fortgeschrittenen Stadium der Vorbereitung befinden. Die Kämpfe, die „stattgefunden haben“ oder „stattfinden“, haben oder hatten bereits eine Organisation, bessere oder schlechtere. Organisation ist eine inhärente Dimension des Handelns. Absolute oder reine Spontaneität gibt es nicht. Die Frage ist also, welche Art von Organisation notwendig ist.
Wenn wir uns in die Perspektive bereits abgeschlossener oder laufender Kämpfe versetzen, wird die wirkliche Frage nicht lauten: „Wir müssen die Kräfte gegen das Kapital vereinen“, sondern: „Unsere Schwierigkeiten und Niederlagen kommen (ausschließlich oder nicht) aus dem Mangel an Organisation“; oder: „Um eine Ausweitung des Kampfes zu erreichen, brauchen wir mehr und bessere Organisation“ (in beiden Fällen zu lesen: Arbeitsteilung und Delegation).
Die Behauptung, dass die Organisation als Voraussetzung für den Kampf notwendig und relativ unabhängig von ihm ist, stammt von einem Standpunkt, der außerhalb des Kampfes selbst steht und der die Kontinuität zwischen der spontanen Organisation der Klasse im Kampf und der Schaffung von Organisationsformen leugnet, die für vorbereitende Funktionen (im weitesten Sinne des Begriffs) für die kommenden Kämpfe bestimmt sind.
Andererseits stellt sich im Kampf selbst und während seiner Vorbereitung, wenn das Proletariat seine Energie einsetzt, soziale Beziehungen für die Diskussion und den Austausch der am Kampf beteiligten Proletarier schafft, die Organisation immer als ein konstitutives Element der Praxis des Kampfes, der proletarischen Selbsttätigkeit dar, die ihr Produkt ist und von ihren immanenten Zielen bestimmt wird.
Das Wesen der proletarischen Organisation ist nicht die Technik, d.h. die Schaffung einer Arbeitsteilung in der proletarischen Bewegung, sondern die Zusammenarbeit der Proletarier selbst. Diese Zusammenarbeit erzeugt, je nach Intensität, Breite und Bewusstsein ihrer Interessen, eine Arbeitsteilung, die zu verschiedenen Organisationsformen führt. Das technische Wissen der Organisation ist nur nützlich, wenn es den Eigenschaften untergeordnet wird, die die Selbsttätigkeit der Proletarier annimmt. Die Trennung von dieser Selbsttätigkeit bedeutet, den Standpunkt eines Spezialisten für Organisation einzunehmen und das Problem vom Feld des Klassenkampfes und der Entwicklung der Selbsttätigkeit der proletarischen Massen auf das Feld der Kämpfe der Parteien und der Entwicklung dieser Parteien zu verlagern.
Was der IR-Text tatsächlich vorbringt, ist, dass die Arbeiterklasse eine Organisationsform braucht, die nicht rein unmittelbar auf den Prozess des Kampfes bezogen ist, und die nicht als eine einfache momentane Verlängerung (für die Dauer des Kampfes) der Selbstaktivität der kämpfenden Proletarier konzipiert ist. Aber diese Herangehensweise an die Frage ist idealistisch. Sie begreift die Organisation nicht als inhärenten Bestandteil des Kampfes und führt die aufgezeigte Interdependenz2 zwischen Kampf und Organisation in ihren unmittelbaren Formen auf die Unwissenheit des Proletariats zurück (das nicht wüsste, wie man mehr als das tun könnte). Seine Herangehensweise an die Frage muss also dazu führen, Organisation als etwas zu betrachten, das angesichts des Klassenkampfes autonom existieren kann, das als bestimmende Kraft im Verlauf der Kämpfe fungieren kann, anstatt von ihnen bestimmt zu werden.
Letztlich besteht der Bedarf an Organisation, daran besteht kein Zweifel. Die Frage ist der Charakter der Organisation. Selbst diejenigen, die die Klassenorganisation leugnen mögen, bejahen die Notwendigkeit der vom Kapitalismus geschaffenen sozialen Organisation.
Die praktischen Wurzeln der Form der Partei
Im Allgemeinen organisiert sich die Arbeiterklasse für den Kampf. Nur durch ihre kollektive Einheit werden ihre individuellen Fähigkeiten zu einer Macht, die in der Lage ist, ihre praktische Situation – also mehr oder weniger die Gesellschaft – zu verändern. Die Organisation existiert nicht als etwas, das vom Kampf und vom Bewusstsein der Notwendigkeit desselben getrennt ist. Dies scheint nur so, weil bestimmte Organisationen, einmal geschaffen, als Entitäten weiterbestehen können, die scheinbar mit einem Eigenleben ausgestattet sind. Diese Illusion ist die praktische Grundlage des Fetischismus der Organisation.
Die Partei als Organisationsform ist ein Strukturtyp, der per Definition nur in Opposition zu anderen Parteien und zum Kampf gegen sie existiert. Es handelt sich nicht um eine kollektive Einheit, die darauf abzielt, die Situation (objektiv oder subjektiv) zu verändern, sondern um eine Einheit, um gegen andere politische Kräfte zu kämpfen, für die Adhäsion des Willens der Individuen.
Selbstverständlich besteht die Rechtfertigung für ihre Existenz darin, dass diese anderen Kräfte der Veränderung der Situation3 entgegenstehen und dass das Festhalten von Individuen zu diesem Zweck notwendig ist. Aber in Wirklichkeit ist die Funktion der Partei nicht die soziale Veränderung. Das ist der Punkt. Ihre Funktion ist es, Machtverhältnisse zu verändern. Es geht um Vermittlungen, nicht um die menschliche Tätigkeit als Ganzes. Sie ist die politische Reflexion der Trennung zwischen Arbeit und Produktionsmitteln (A.d.Ü., Hand- und Kopfarbeit) und ihrer entfremdenden Beziehung, die die lebendige Arbeit der blinden Dynamik der Akkumulation unterordnet.
Es besteht also ein Widerspruch zwischen der Form der Partei und dem Anspruch, dass sie revolutionäre Funktionen entwickelt. Da ihr Gegenstand die Machtverhältnisse sind, kann die Partei keine Organisation sein, die direkt aus dem Klassenkampf hervorgeht. Ihr Ursprung liegt nicht in der Praxis des Kampfes, sondern in einer bestimmten Form des Bewusstseins über diesen Kampf, das einen Standpunkt einnimmt, der außerhalb des Kampfes liegt. Dieser theoretische Ursprung ist das vorherrschende Bewusstsein, da es die Bourgeoisie ist, die die politischen Parteien erschaffen hat, aber sein praktischer Ursprung liegt in der geringen Entwicklung der proletarischen Selbsttätigkeit, die den falschen Schluss zulässt, dass die Klasse selbst nicht in der Lage ist, über ein bestimmtes Niveau von Kampf, Bewusstsein und Organisation hinauszugehen. Ausgehend von diesem falschen Bewusstsein ist die Arbeiterpartei eine Organisation, die in Wirklichkeit vorgibt (oder zumindest möchte), zu existieren, ohne den Kampf und das Bewusstsein des Proletariats zu berücksichtigen, und die in ihren Genen die Unterschätzung der Fähigkeiten der Klasse als Ganzes trägt.
Partei, Avantgarde und Macht
Wenn die Arbeiterpartei sich als Organisation des „fortschrittlichsten Sektors“ der Klasse proklamiert, definiert sie diesen letzteren auf implizite Weise als den „politisch fortschrittlichsten Sektor“. In der Sprache der Partei heißt das: die am weitesten Fortgeschrittenen im Kampf um die Macht. Es handelt sich nicht um den am weitesten fortgeschrittenen im realen Klassenkampf, den am weitesten fortgeschrittenen Sektor praktisch im Kampf. Dieser Sektor ist nicht das, was die Partei wirklich interessiert.
Was die Partei braucht, sind nicht bewusste Kämpfer für die Emanzipation der Klasse, sondern tüchtige Arbeiter für die praktische Umsetzung des Programms der Partei. Indem die Partei für die Veränderung der Machtverhältnisse kämpft, kämpft sie implizit dafür, einen Platz in diesen veränderten Machtverhältnissen einzunehmen – auch wenn sie theoretisch einen Machtverzicht in Betracht ziehen könnte. Sie verstrickt sich in den Kampf um die Macht, weil das die Logik ihrer Funktion und ihrer Struktur ist, und die Individuen, die sie bilden, werden zu Gefangenen dieser Dynamik der Aktivität.
Wenn die Struktur der revolutionären Partei durch die Gruppierung der politisch fortgeschrittensten Individuen gebildet wird, derjenigen, die am fähigsten sind, die Macht auszuüben; dann besteht ihr grundlegender Unterschied im Vergleich zu den anderen Parteien darin, dass ihr Hauptziel nicht – vorausgesetzt, sie ist eine aufrichtig „revolutionäre“ und „proletarische“ Partei – die Macht des bestehenden Staates ist, sondern die Macht eines zukünftigen Staates, eine Macht, die in der Existenz des Proletariats selbst latent vorhanden ist. Mit anderen Worten, ihr Ziel ist es, die Macht des Proletariats auszuüben. Dabei stützt sie sich auf die pseudo-logische Annahme/Vorraussetzung, dass das Proletariat, wenn es sich seiner selbst nicht bewusst ist, folglich auch nicht die Macht ausüben kann, die es aufgrund seiner Stellung in der Produktion bereits besitzt (daher das Beharren darauf, dass das revolutionäre Potenzial des Proletariats sich aus seiner „Stellung in der Produktion“ ableitet, anstatt seine Fähigkeit zur spontanen Selbstorganisation und seine durch sein gesellschaftliches Wesen bedingte Tendenz zur praktischen Verleugnung des Privateigentums zu betonen).
Die Partei ist das exekutive Subjekt der Klassenmacht. Darin sind all die pseudorevolutionären Reden über die Notwendigkeit der Führung, der Leitung, einer revolutionären Theorie usw. zusammengefasst, die nichts zur Klärung der Fragen beitragen, die sie vorgeben zu lösen, weil ihr Standpunkt über den Klassenkampf und die Entwicklung des Proletariats als revolutionäres Subjekt im Wesentlichen abstrakt ist. Die Abstraktion des Kampfes, die der Einrahmung der eigenen Tätigkeit in der Form der Partei, die eine Organisation außerhalb des Kampfes ist, innewohnt, führt wiederum zur Reproduktion dieser Abstraktion auf mentaler Ebene, zur Entwicklung von Parteiideologien. Natürlich sind diese Ideologien für den Parteianhänger der ultimative Ausdruck des Klassenbewusstseins, gerade weil für ihn das Klassenbewusstsein im Wesentlichen ein politisches Bewusstsein ist, nicht ein totales soziales Bewusstsein.
Die Vorstellung von der Partei als dem effektiven Subjekt der Klassenmacht bedeutet praktisch, dass die Klasse umso weniger reale Macht hat, je mehr sich die Macht der Partei entwickelt. Die Führung der Partei ist die Selbstentfremdung der Klasse als politisches Subjekt, sie ist die Macht der Klasse, die außerhalb von ihr steht und als selbst existierende Entität autonom wird. Das Bewusstsein der Notwendigkeit der Partei und ihre politische Ideologie haben nichts mit dem Kampf der Arbeiterklasse und ihrem Bedürfnis nach Organisation zu tun. Die Auffassung, dass die Organisation dem Kampf vorausgeht, ist die ideologische Rechtfertigung für ihre Existenz, ebenso wie der undialektische Gegensatz zwischen Spontaneität und Organisation. In dem Moment, in dem verstanden wird, dass die proletarischen Aufstände ihre eigene Organisation und ihr eigenes Denken hervorbringen, und ihre Unzulänglichkeit als ein Problem der Entwicklung der Totalität und nicht der politischen Führung gesehen wird, bricht die gesamte Konzeption der Partei zusammen.
Die Eigenschaften, die die revolutionäre Avantgardeorganisation haben muss.
Andererseits stehen die revolutionären Gruppen, die sich der Selbstaufklärung der Klasse durch die theoretische Entwicklung und den Kampf widmen, nicht im Widerspruch zur Selbstentwicklung des Proletariats als praktisches politisches Subjekt, zur Ausübung der ihm innewohnenden verändernden Macht durch die Klasse. Ihre spezifische Gruppenpraxis hat als immanentes Ziel das Wachstum der Selbsttätigkeit und des Bewusstseins der Klasse bis zu dem Punkt, an dem die Funktionen der Gruppen vollständig von den Massen selbst übernommen werden. In ihrer Beziehung zur Klasse fungieren sie als Meinungsgruppen und politische Impulsgeber, d.h. sie handeln so, wie es die Arbeiter selbst im Allgemeinen tun, nur auf bewusste, kollektive und selbstdisziplinierte Weise. Auf diese Weise ist das immanente Ziel ihrer Tätigkeit kein anderes als die Veränderung der kollektiven Situation, nur indem sie auf die Klasse als Ganzes einwirken, um ihre Selbstentwicklung zu stimulieren.
Die Militanz in einer politischen Partei wird durch ihr Festhalten an einer Ideologie, einem Programm und interner Disziplin definiert. Militanz in einer revolutionären Gruppe definiert sich durch eine praktische Verpflichtung für die Entwicklung von Theorie und Programm, und es ist dieselbe interne und externe praktische Arbeit, die die Disziplin definiert, die im Wesentlichen immer eine Selbstdisziplin ist, ein Aspekt der bewussten und freien Praxis.
Die Theorie, die die Partei ausarbeitet, ist eine Selbstrechtfertigung ihrer Existenz; ihr Ziel ist nicht, die Erfahrung der Klasse als zusammenhängendes Ganzes zu verstehen, sondern sie im Lichte der Erfordernisse ihrer eigenen Parteifunktion zu verstehen. Ihre „Lektionen“ über den Klassenkampf handeln nicht davon, was die Arbeiterklasse braucht, sondern was die Arbeiterklasse von der Partei braucht. Der Totalitätsansatz ist ausgeschlossen, weil die Betrachtung der Totalität der Arbeiterklasse als bewusstes und handelndes Subjekt in der Entwicklung etwas ist, was der Überzeugung von der Notwendigkeit der Partei entgegensteht. Die einzige Lösung wäre, die Partei als „provisorische Notwendigkeit“ zu betrachten, aber die anderen Widersprüche würden immer noch bestehen bleiben und dann müsste diese „provisorische“ Notwendigkeit begründet werden. Im Grunde ist dies die Rolle von Lenins Argument, dass die Arbeiterklasse nicht von selbst sozialistisches Bewusstsein erreichen kann.
Der Militante der Partei zielt auf die Verbreitung der Ideen der Partei, der Militante ohne Partei4 auf die Entwicklung des allgemeinen Bewusstseins. Der Militante der Partei sieht in der Entwicklung der Partei den Ausdruck der Reifung der Klasse, der Militante ohne Partei in der Entwicklung der bewussten Selbsttätigkeit der Massen.
Das Streben des Militanten der Partei ist die Macht, die formal von der Klasse geschaffen wird, die aber in Wirklichkeit in den Händen der Partei liegt; eine Macht, die sich zwar in der Revolution direkt als politische Macht äußert, aber in der vorherigen Entwicklung, innerhalb des Kapitalismus, die Form der „politischen Führung“ und der „ideologischen Autorität“ der Partei über die Bewegung des Kampfes annimmt. Das Streben des Militanten ohne Partei ist die Wahrheit; aber nicht eine theoretische Wahrheit, die nur durch begriffliches Wissen begreifbar ist, sondern eine praktische Wahrheit und eine, die auf praktische Weise verwirklicht wird. Folglich ist der erste der Meinung, dass das Wichtigste die Qualitäten der Macht sind: Effizienz, Ordnung, Stabilität der Organisation, Einheit des Ziels, etc. Der zweite hält die praktischen Qualitäten der Wahrheit für am wichtigsten: Kohärenz mit dem Zweck, Kreativität, Dynamik, Integrität des Zwecks.
Wenn also Kohärenz mit dem Ziel bedeutet, vorübergehend keine Errungenschaften zu haben; wenn die Schaffung neuer Formen menschlicher Tätigkeit bedeutet, eine Periode relativer Unordnung zu durchlaufen; wenn Dynamik die Schwächung organisatorischer Strukturen bedeutet; wenn Integrität das Aufbrechen der Einheit erfordert – da all dies auch Teil der Realität ist, ist der revolutionäre Militante ohne Partei in der Lage, es aufzunehmen, zu analysieren, zu bewerten und den Weg zu suchen und entsprechend zu handeln (auch wenn er natürlich seine theoretischen Fähigkeiten dafür entwickeln muss). Diejenigen aber, die ihr Objekt in eine Form der Macht stellen, müssen die Vision der Totalität aufgeben oder sie vielmehr jenem Teilaspekt der Totalität unterordnen, indem sie sie gemäß ihren subjektiven Bestrebungen deformieren (Bestrebungen, die sie andererseits nicht anerkennen können, da die Konzeption der Partei als Träger des Bewusstseins nur gerechtfertigt werden kann, indem man das Bewusstsein des subjektiven Elements entkleidet und es als eine rein objektive „Widerspiegelung“ der Realität betrachtet, die nur von der theoretischen Methode abhängig ist, die in diesem Fall Teil der Ideologie der Partei ist).
Da das Proletariat sich nicht befreien kann, ohne die Totalität der gesellschaftlichen Verhältnisse bewusst umzugestalten, verlangt seine eigene Klassenbedingung von ihm die Suche nach einem wahren Verständnis der Gesellschaft, das alle Aspekte der Gesellschaft in ihrer objektiven gegenseitigen Beziehung umfasst. Und sie verlangt auch, dass die subjektive Dimension ihres Bewusstseins ausschließlich durch die Determinationen konstituiert wird, die aus ihrer Klassenbedingung und aus ihren – realen oder potentiellen – Bedürfnissen und Fähigkeiten als menschliche Wesen hervorgehen, wobei alles beiseite gelassen wird, was von dem engen Egoismus, der der bourgeoisen Gesellschaft eigen ist, vorhanden sein mag. Folglich muss auch die Theorie, die die Partei ausarbeitet, im Widerspruch zur Emanzipation des Proletariats stehen, und je mehr sich die Partei als reale Macht entwickelt, desto mehr werden ihre Deformation der revolutionären Theorie und der bourgeoise Charakter ihres Verhaltens offenbar.
Macht hingegen verlangt Einheitlichkeit, um zu existieren. Die Wahrheit verlangt im Gegenteil nach Vielfältigkeit. Der demokratische Zentralismus als Ideal bedeutet auf einer theoretischen Ebene die Unterwerfung der Bedingung der Wahrheit (die Vielfalt der Einzelmeinungen und ihre größtmögliche Entfaltung) unter die Macht (die Einheitlichkeit der Meinung). Anstatt die Zentralisierung als notwendiges Element der kollektiven Praxis zu betrachten und sie auf die Erfordernisse der gelebten Praxis zu beschränken, funktioniert die Partei als Mechanismus zur Uniformierung ihrer Militanten. Das Parteiprogramm ist nicht das synthetische Ergebnis der gemeinsamen Meinungen aller oder der meisten ihrer Mitglieder, sondern impliziert die autoritäre Unterdrückung der Vielzahl abweichender Meinungen, da die Partei ein einheitliches Kriterium benötigt, um zu funktionieren. Die Wirksamkeit der Macht hängt von dieser erzwungenen Einheitlichkeit der Ziele ab. Wenn hingegen die Wahrheit gesucht wird, ist es notwendig, die Einheit mit der Vielheit zu verbinden, nicht die letztere unter die erstere zu subsumieren, so dass die Einheit des Ziels mit der Vielheit der Meinungen verbunden wird. In dieser Sichtweise ist Wahrheit etwas, das nur kollektiv bestimmt werden kann, durch die Praxis der Klasse und die ständige Demokratie und Debatte. Daher kann keine Form von kollektiver oder individueller Autorität, vollversammlungsartig oder delegiert, die theoretischen Kriterien aufzwingen. Die Notwendigkeit der Arbeiterklasse besteht nur darin, praktische Kriterien zum Zeitpunkt der Aktion durchzusetzen, praktische Entscheidungen zu treffen. Und ihre Einheit schließt die subjektive Vielheit nicht aus und hat sie auch nie ausgeschlossen, wie ja auch im Text der Izquierda Revolucionaria (A.d.Ü., Revolutionären Linken) anerkannt wird.
Aus diesen Gründen funktionieren die theoretischen revolutionären Gruppen, auch intern, als Meinungsgruppen. Sie fordern nur dann eine demokratische Zentralisierung, wenn es darum geht, Aktionen zu definieren, auch wenn diese eine theoretische Einheit voraussetzen, die in dieser unmittelbaren Form Minderheitenmeinungen bis zu einem gewissen Grad ausschließt (die jedenfalls nicht der Freiheit beraubt werden, sich öffentlich zu äußern). Die Parteien hingegen sind im Kern zentralistisch, und daraus leitet sich auch ihr im Wesentlichen hierarchischer Charakter ab. Die Tatsache, dass die delegierte Autorität mit der festen Überzeugung delegiert wird, dass diese Form der politischen Führung notwendig ist und dass sie die Interessen der Basis vertritt, ändert nichts an der Frage. Im Gegenteil, es ist offensichtlich, dass das interne Machtverhältnis innerhalb der Partei im Wesentlichen dasselbe sein muss wie das externe Machtverhältnis, gegen das die Partei kämpft, da dies eine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Partei als politische Kraft, die mit anderen konkurriert, und als Anwärter auf die Macht über die Gesellschaft gegen den bestehenden Staat ist, der für sie nichts anderes ist als die große allgemeine Partei der Bourgeoisie.
Andererseits ist in der Arbeiterklasse die wirkliche revolutionäre Macht, die wirkliche Einheit der verändernden Fähigkeiten der Individuen in einer Totalität – die damit alle Machtformen der Klassengesellschaft übertrifft, die nur eine Minderheit der Gesellschaft an ihrer Basis haben -, nicht das Ergebnis einer organisatorischen Zentralisierung. Sie resultiert aus einem Prozess der kollektiven Selbstbefreiung, der sich durch die Entfaltung der Selbsttätigkeit der Proletarier im Klassenkampf entwickelt und sich auf das gesamte gesellschaftliche und persönliche Leben erstreckt. Ohne diese Selbstbefreiung haben die Formen der Macht, die es geben mag, keinen revolutionären Charakter, außer im bourgeoisen Sinne. Das Gleiche gilt für Organisationsformen im Allgemeinen.
Die revolutionären Parteien beklagen immer, dass der größte Teil des Proletariats nicht revolutionär handelt oder denkt. Aber die Parteien selbst existieren in der Tat, weil nicht einmal ihre Mitglieder echte proletarische Revolutionäre sind. Sie verstehen die Notwendigkeit der Revolution, aber nicht ihren notwendigen Inhalt. Ihre Annahme und Entschuldigung für die Notwendigkeit der Partei ersetzt die Anstrengung für ihre Selbstbefreiung und für die Selbstbefreiung der Klasse als Ganzes. Sie sind es, die die Partei brauchen, als Ausdruck ihres Niveaus der Selbsttätigkeit und ihres Bewusstseins, das heißt, ihrer Praxis; nicht die Revolution.
Die revolutionäre Partei ist nicht die Lösung für das Dilemma zwischen dem Bedürfnis nach Organisation und der Ablehnung der bestehenden Parteien. Alle revolutionären Parteien haben für sich in Anspruch genommen, „eine Organisation zu sein, die auf den täglichen Kämpfen, auf dem Aktivismus ihrer Mitglieder und auf einer klaren und ehrlichen Politik hinsichtlich der Notwendigkeit, den Kapitalismus zu beenden, basiert“. Aber die Form der Partei steht im Widerspruch zu dieser Basis und muss sie bis zur Unkenntlichkeit deformieren. Sie ist schließlich die Partei, die zur Grundlage für die täglichen Kämpfe und Aktivitäten der Mitglieder wird; die ihre eigene Existenz zum Maßstab für die Klarheit und Ehrlichkeit ihrer Politik macht und die die Notwendigkeit der Beseitigung des Kapitalismus durch die Notwendigkeit ihrer eigenen Selbstentwicklung als autoritäre Organisation ersetzt.
Die Deformation der revolutionären Theorie bzw. der Partei als kollektiver Intellektueller.
Die Partei macht die Theorie zur Grundlage des Handelns. Für das Proletariat aber ist die Grundlage des Handelns nur die Erfahrung und das praktische Bewusstsein, das aus dem langsamen erfahrungsbezogenen Lernen stammt. Die Funktion der Theorie ist es, Schlussfolgerungen zu verallgemeinern, um die Erweiterung des Klassenbewusstseins durch Kommunikation zu ermöglichen, nicht um das Bewusstsein des Proletariats zu homogenisieren.
Da die Partei sich nicht auf das praktische Bewusstsein, auf den am weitesten fortgeschrittenen Sektor des realen Klassenkampfes stützt und danach strebt, ihm klar zu machen, dass die revolutionäre Theorie die Verallgemeinerung seiner eigenen Erfahrung ist, muss sie diese Rolle der Theorie als lebendige Vermittlung zerstören und sie in eine Ideologie verwandeln. Gleichzeitig nimmt die Partei durch die theoretische Normierung ihrer Mitglieder und ihre klassenunabhängige Organisation eine immer größere Abstraktion der Theorie in Bezug auf das praktische Bewusstsein an, bis zu dem Punkt, an dem sie dazu dient, alles zu rechtfertigen, und Begriffe ihre ursprüngliche praktische Bedeutung verlieren, um eine andere, rein abstrakte und ideologische Bedeutung zu erlangen. Die Emanzipation des Proletariats vom Kapital wird in den Köpfen der Parteianhänger zur Emanzipation der Partei von der Unterdrückung durch den kapitalistischen Staat.
Indem die Partei ihre eigene Theorie als revolutionäres Bewusstsein begreift, agiert sie als idealistische Kraft, die sich im Namen der intellektuellen Autorität der Klasse aufdrängen will. Sie agiert also de facto als geistiger Vertreter der Bourgeoisie. Anstatt den Proletariern zu helfen, ihre Erfahrungen theoretisch auszudrücken – und damit, wenn sie die nötige Erfahrungsreife haben, sich von den bourgeoisen Ideologien lösen zu können -, wollen die Parteien die von ihnen als „unwissend“ oder dumm angesehenen Proletarier mit den theoretischen Waffen für ihre Selbstbefreiung „aufklären“. Und wenn untheoretische Proletarier die Theorie verleugnen, kann das nur daran liegen, dass sie ihrer Meinung nach in der bourgeoisen Ideologie gefangen sind oder unfähig sind, hochtrabende theoretische Vorstellungen zu begreifen (die alle dazu neigen, zu opportunistischen Wendungen zu führen). Die Komplexität der geistigen Entfremdung und ihre Überwindung sind nicht wichtig. Die Passivität oder Aktivität der Klasse als revolutionäres Subjekt wird an ihrer Annäherung an oder Loslösung von der Parteitheorie und -tätigkeit gemessen.
Die Bemühungen der Partei sollten nicht darauf gerichtet sein, die Entwicklung der intellektuellen Fähigkeiten der Arbeiterklasse zu fördern und zu unterstützen. Es geht darum, dass die Arbeiterklasse ihre Vorschläge aufgreift. Stattdessen, so die IR, muss die Partei „der Ort werden, an dem die Geschichte debattiert wird und die Lehren des Kampfes gelernt werden“. Es stellt sich dann heraus, dass das, was die Arbeiterklasse durch Diskussionszirkel und andere offene Mittel für sich selbst tun kann, zum Monopol der Partei gegenüber der „unwissenden Masse“ wird.
Revolutionäre Parteien sind nicht anders als andere Parteien.
Politische Parteien sind also bourgeoise Formen der Organisation. Innerhalb des Kapitalismus unterscheiden sich eine Avantgardepartei und eine Massenpartei nur in dem Sektor der Arbeiterklasse, den sie repräsentieren wollen – bzw. die erste zu der Minderheit, die beginnt, das bestehende System in Frage zu stellen, und die zweite zu der Mehrheit, die es mehr oder weniger akzeptiert -, was wiederum mit ihrem Ziel zusammenhängt: der gewaltsamen oder der friedlichen Umwandlung. Ihre Eigenschaften sind im Wesentlichen die gleichen, auch wenn sie sich in unterschiedlichem Maße manifestieren.
Für IR basiert die Kritik an den traditionellen Parteien auf einem Kriterium der Effizienz: der Fähigkeit zum Kampf. Eine Massenpartei kann, wenn sie eine heterogene Masse und mit widersprüchlichen Meinungen gruppiert, ihre Aktion nicht „adäquat“ entwickeln (in der Tat ist die Form bereits adäquat zu ihrer Aktion, denn die pazifistische Veränderung erfordert nichts mehr). Eine Avantgardepartei hat gegenüber dieser den Vorteil der Homogenität und „Kohärenz“. Die erste, so sagen sie, basiert auf Passivität, während die revolutionäre Partei „nur aufgrund der Aktivität ihrer Mitglieder handeln kann“. Die Frage ist jedoch nicht Aktivität oder Passivität, sondern der Inhalt von Aktivität oder Passivität. Genauso verhält es sich mit dem theoretischen Bewusstsein und dem praktischen Bewusstsein.
Die Tatsache, dass Aktivität der Passivität überlegen ist (das Leben ist dem Tod überlegen), oder dass das theoretische Bewusstsein eine überlegene Entwicklung des praktischen Bewusstseins ist, deutet keineswegs darauf hin, dass auf der Ebene seines Inhalts und seiner realen Wirkungen die Aktivität besser ist als die Passivität und dass eine Form des theoretischen Bewusstseins weiter fortgeschritten ist als eine andere Form des praktischen Bewusstseins.
Wir müssen zwischen Passivität im Sinne von Trägheit und Passivität im Sinne von Untätigkeit unterscheiden; erstere ist etwas rein Negatives, letztere aber ein notwendiger Bestandteil der subjektiven Entwicklung. Die Assimilation von Niederlagen, wie z. B. Einstellungsänderungen angesichts veränderter Umstände usw., erfordern überwiegend Reflexionsphasen, in denen äußere Untätigkeit vorherrscht.
Andererseits ist das theoretische Bewusstsein nur in Bezug auf die praktische Dimension des Verstehens, auf das konkrete praktische Bewusstsein, von Wert. Allgemeine Ansätze implizieren nicht notwendigerweise eine praktische Vision, die mit ihnen kohärent ist, noch ist andererseits das praktische Bewusstsein immer von einer übereinstimmenden theoretischen Vision begleitet. So gibt es, um ein synthetisches Beispiel zu geben, einen fortgeschrittenen Sektor der Arbeiterklasse, der die organisierte Aktivität und die alten reformistischen Ideologien aufgibt und in eine Übergangsphase der Inaktivität eintritt, in der die Trägheit stärker werden kann (da sie durch die bestehenden sozialen Beziehungen bestimmt wird). Aber dieser Sektor, der nach leninistischen Kriterien rückständiger wäre als der in den bestehenden Gewerkschaften und Parteien organisierte Sektor, ist im Gegenteil fortschrittlicher. So sehr, dass sie sich nicht mehr mit den bestehenden Alternativen identifiziert und sich nur noch verwirrt den Illusionen und falschen Erwartungen zuwendet: denen, die von der extremen Linken über die Veränderung der Gewerkschaften, der vollversammlungsartigen und des kämpferischen Gewerkschaftswesens oder der „wirklich“ revolutionären Parteien erzeugt und gefördert werden.
Was eine konkrete Organisation ausmacht, ist nicht ihre soziale Zusammensetzung, sondern ihre Praxis. Die Massenparteien sind bourgeoise Parteien, weil ihre Praxis auf die Verbesserung des Kapitalismus gerichtet ist. Avantgardeparteien sind auch bourgeoise Parteien, weil ihre Praxis weiterhin die Position des Proletariats als der beherrschten Klasse reproduziert und sich ihre praktische Tätigkeit in Wirklichkeit auf die Verteidigung einer anderen Form des Kapitalismus, eines Staatskapitalismus, reduziert. Ihre Elitenstruktur ist eine Bedingung für ihren Anspruch, als führender Akteur einer gewaltsamen Veränderung der bestehenden Gesellschaft zu agieren. Die Besonderheit der Izquierda Revolucionaria in diesem Punkt liegt in ihrer einzigartigen Variante des Trotzkismus, die den Stalinismus als eine Form des Staatskapitalismus betrachtet und gleichzeitig leugnet, dass diese Definition auf den Bolschewismus im Allgemeinen ausgedehnt werden kann, trotz aller historischen Beweise für den konterrevolutionären Charakter der bolschewistischen Politik unter dem Gesichtspunkt der Emanzipation des Proletariats.
Ihnen zufolge stand die bolschewistische Partei im Gegensatz zu den „alten ’sozialistischen‘ Parteien“, weil deren Absicht „immer darin bestand, die bestehenden Institutionen zu übernehmen, ohne die grundlegenden Machtverhältnisse im Kapitalismus zu verändern. Mit anderen Worten, (…) sie dachten, dass sie, und nicht die Arbeiterklasse selbst, die kapitalistische Klasse vertreiben könnten.“ Es ist klar: dass sie „die kapitalistische Klasse“ AUS DER MACHT werfen.
Aber was das Proletariat zu tun hat, ist nicht nur, „die bestehenden Institutionen zu zerstören, indem es das grundlegende Machtverhältnis zwischen den Klassen verändert“, um seine eigenen Begriffe zu verwenden, sondern das Machtverhältnis selbst zu zerstören. Das Proletariat kann sich nicht zur herrschenden Klasse erheben, ohne gleichzeitig seinen Status als ausgebeutete Klasse, als Lohnarbeiter, zu zerstören. Andernfalls ist es nicht das Proletariat, das wirklich herrscht, sondern eine Minderheit, die behauptet, seine Interessen zu vertreten. Die Arbeiterklasse kann von sich aus „die Kapitalisten raus werfen“, aber das bedeutet nicht, dass es die Arbeiterklasse ist, die wirklich die politische und wirtschaftliche Macht innehat. Es wird die Partei an ihrer Stelle sein: „Die Notwendigkeit, den kapitalistischen Staat zu konfrontieren und zu zerschlagen, muss ausreichen, um eine revolutionäre Partei aufzubauen.“ Der Schatten des Bolschewismus hängt immer noch über diesem ganzen Geschwätz.
Wichtig ist auch nicht der militante Aktivismus oder die politische intellektuelle Schulung. Wir stimmen zu, dass revolutionäre Gruppierungen unter den normalen Bedingungen des Kapitalismus, nicht einmal im vorrevolutionären Aufschwung, keine Massenorganisationen oder mit einem relevanten zahlenmäßigen Gewicht in den Klassenkämpfen sein können. Entscheidend ist aber, dass die theoretische Entwicklung wirklich kontinuierlich und lebendig ist; dass der Aktivismus eine wirkliche bewusste und selbstdisziplinierte Selbsttätigkeit ist, dass er ein Denken und Handeln ist und nicht eine blinde Kapitulation vor sich wiederholenden und propagandistischen Aktivitäten, die nur dazu dienen, Militante zu dummen Menschen zu machen, die nur wissen, wie man ein paar „klügeren“ Führern folgt. Nur dann werden wir einen überlegenen Typus von Organisation haben, der die Funktionen übernimmt, die die „revolutionären Parteien“ jetzt in Bezug auf die Selbstentwicklung der Klasse und ihrer eigenen Mitglieder zu erfüllen beanspruchen.
Die Partei als politischer Technologe
Wenn die IR die Rolle des Bolschewismus in der Russischen Revolution von 1917 verteidigt, argumentieren sie, dass das Entscheidende für den Sieg der Revolution die „Fähigkeit einer revolutionären Partei in Russland, der bolschewistischen Partei, war, die Arbeiterklasse zur Machtergreifung zu führen“. Genauer gesagt, die „Fähigkeit, die Situation zu untersuchen, intensiv zu diskutieren und zu einer einheitlichen Schlussfolgerung zu kommen, die in die Praxis umgesetzt werden kann“.
All dies ist historisch falsch. Die bolschewistische Partei führte die Arbeiterklasse nicht an, um die Macht zu ergreifen, sie ergriff sie aus eigener Kraft und verließ sich auf die Unterstützung der Arbeiterklasse für ihre politischen Positionen „hinter verschlossenen Türen“. In Wirklichkeit nutzte sie die Macht für ihre eigenen Zwecke. Außerdem zeichnete sich die bolschewistische Partei keineswegs durch ihr theoretisches „Geschick“ aus. Wenn überhaupt, dann war es Lenins theoretische und politische Fähigkeit, seine Taktik über Nacht zu ändern, um die Partei an die Macht zu führen, was sehr wenig für und sehr viel gegen die leninistische Konzeption der Partei sagt.
Ein wenig weiter haben wir ein theoretisches „Juwel“. Darin heißt es: „Ein Kernstück der marxistischen Theorie der revolutionären Partei ist der Begriff der Führung“. Das bedeutet, dass „jedes Mitglied sich als Führungskraft sehen muss, sei es am Arbeitsplatz, in der Schule oder in der Nachbarschaft“. Und die „Fähigkeit“, die Positionen der Partei in jeder konkreten Situation darzulegen, ist das, „was Revolutionären das Recht gibt, in der Partei und in der Arbeiterklasse zu führen“. Aber das Beste ist: „Die Leute, die das Wissen, die Erfahrung und die Fähigkeit haben, Streiks, Proteste und Kampagnen zu führen, sind der bewussteste Teil der Arbeiterklasse und der Partei.“
Grundlegend für die Partei ist demnach die fachpolitische Qualifikation im Führen und Ausführen und natürlich die Überzeugung ihrer Mitglieder, dass dies gut und notwendig ist. Außerdem muss sich jedes Mitglied als dazu bestimmt sehen, seine „rückständigeren“ Genossen zu befehligen. Dass dies so formuliert ist, dass der Eindruck entsteht, ihre Autorität gegenüber den anderen entspringt einer freiwilligen Überzeugung von ihrer theoretischen und praktischen Überlegenheit, ändert an der Frage überhaupt nichts und klärt auch nicht, wie die praktischen Methoden der Führung aussehen werden – was auch immer, wir stellen sie uns sowieso schon vor… -. Wenn es auf die Fähigkeit zur Führung ankommt, dann sind diejenigen, die die Klassenbewegung führen sollten, die im praktischen Klassenkampf ausgebildeten Gewerkschafts- und Parteiführer, die noch „an der Basis“ sind. Das ist die Lösung aller Probleme, die alten reformistischen Führer, die jetzt zu eingefleischte Bürokraten geworden sind, durch andere mit revolutionärer Ideologie gut ausgebildete Führer zu ersetzen!
Diese Auffassung von Politik als Technik, als ein vom Zweck losgelöstes Mittel, ist den Parteien immanent. Sie sind unfähig, zwischen ihrer Politik als Chef und der Klassenpolitik, zwischen der Praxis der Partei und der revolutionären kommunistischen Praxis zu unterscheiden. Diese ganze Theorie der Führung ist nicht nur dem Marxismus, sondern auch der Intelligenz des wenig bewussten Proletariats völlig fremd. Sie setzt in der Praxis voraus, dass sich die Parteimitglieder als unabhängig von der Masse der Klasse sehen (genau wie die Partei) und ihr Handeln entsprechend ihrer eigenen besonderen theoretischen Vision dessen, was getan werden sollte, definieren.
Aber, es wird gesagt werden: das ist das Normalste der Welt, jeder handelt nach seinem eigenen Bewusstsein, usw., usw…. Was wir jedoch bekräftigen, ist einfach und klar: Nur die Klasse als Ganzes kann ein kollektives Bewusstsein ausarbeiten; nur das kollektive Bewusstsein kann die Unendlichkeit der zu berücksichtigenden Aspekte berücksichtigen; nur durch kollektive Überlegungen und Reflexionen innerhalb des Kampfes kann die Fähigkeit des Proletariats, selbständig zu denken, befreit werden und sich zu entwickeln beginnen, sowie seine maximale aktive Beteiligung an den zu beschließenden Aktionen anregen. Die andere besteht lediglich darin, andere dazu zu bringen, das zu wiederholen, was man selbst sagt, und provoziert entweder die Hemmung der Initiative der Klasse oder ihre sklavische Gefolgschaft. In jedem Fall ist es keine revolutionäre Praxis.
Eine weitere Notwendigkeit besteht laut IR darin, dass „durch ideologische Debatte und praktische Arbeit“ die Partei „ständig beweisen“ muss, dass ihre Politik „grundlegend ist, um den Sieg zu erreichen“. Aber eine ideologische Debatte ist nur dann von Wert, wenn praktisches Wissen und die Bereitschaft zu aktiver, kritischer Reflexion vorhanden sind, was ziemlich schwer zu finden ist. Und wenn es sie gibt, können „normale“ Arbeiter kaum mit dem intellektuellen Jargon der Parteiführer umgehen.
Und wenn die Partei einerseits keine wirkliche intellektuelle Selbsttätigkeit fördert, stimuliert sie andererseits auch nicht die Entwicklung des praktischen Bewusstseins. Vielmehr ersetzt die Ideologie das praktische Bewusstsein, und so kommt es, dass Parteimitglieder bestimmte Praktiken nicht aus eigener Erfahrung, sondern aus schlichter ideologischer Überzeugung heraus verteidigen. Darin liegt der grundlegende Antagonismus zwischen der Reifung der Arbeiterklasse und den bourgeoisen Ideologien, und das erklärt, warum ein sehr großer Teil der Militanz der „revolutionären Parteien“ mit äußerst dürftigen oder oberflächlichen praktischen Erfahrungen in den Kämpfen zu ihnen gekommen ist. So kommen wir zu dem Fall, in dem der vermeintliche „Führer“ in Wirklichkeit eine rückständigere praktische Vision hat als die fortgeschrittenen Sektoren der Klasse und folglich ein reaktionäres (oder zumindest refraktäres) theoretisches Bewusstsein. Ihre organisatorischen Vorschläge werden von den bewussten Proletariern nicht akzeptiert, nicht weil sie ideologisch reformistisch sind, sondern weil ihre Erfahrung ihnen die Undurchführbarkeit und Falschheit solcher Vorschläge gezeigt hat (auch wenn sie noch nicht in der Lage sind, positive Schlussfolgerungen zu ziehen oder ihre Erfahrung rational zu erklären). Aber natürlich betrachtet der Militante der Partei das „Unverständnis“ der „Massen“ als ein Symptom der Rückständigkeit; es ist für ihn undenkbar, dass die Arbeiterklasse „weiter links“ sein kann als er und seine Partei. Anstatt also ihre Dogmen aufzugeben und ihr fortgeschrittenes praktisches Bewusstsein zu vertiefen, neigt der Militante der Partei dazu, daran zu denken, seine eigene „Einheitsfront“ von Gefolgsleuten zu bilden, um Klassenpräsenz zu gewinnen und die Parteimitgliedschaft zu erhalten.
Der Aufbau von revolutionären Gruppierungen und Zukunftsperspektiven
„Man kann nicht auf einen Moment des Aufschwungs im Kampf warten, um dann diese Partei zu gründen“. Dieses Postulat scheint völlig selbstverständlich zu sein, wenn der Grundgedanke ist, dass das Problem die Führung des Kampfes ist und nicht die Selbstentfaltung der einzelnen Proletarier als revolutionäre Subjekte.
Für uns ist im Gegenteil gerade die Entfaltung der Selbsttätigkeit, die sich in den aufsteigenden Phasen des Kampfes vollzieht, das Entscheidende. Erst dann können sich die Proletarier für ein fortgeschritteneres Verständnis und eine radikalere Praxis öffnen. Dies ist jedoch nur eine Möglichkeit. Man muss darauf warten, dass ihre Notwendigkeit existiert, und dass sie nicht abstrakt existiert, sondern von der Arbeiterklasse empfunden wird.
Die vulgäre Betrachtung der Perioden von Ebbe und Flut des Klassenkampfes berücksichtigt nicht seinen historischen Inhalt. Was die IR bekräftigen, ist, dass „es wichtig ist, eine revolutionäre Partei heute und jetzt aufzubauen“, „sich Tag für Tag an den stattfindenden Kämpfen zu beteiligen“, auch wenn „der Klassenkampf jahrelang von geringer Intensität ist“. Dann, so sagen sie, werden revolutionäre Parteien klein sein, aber sie werden wachsen, wenn es eine aufwärts gerichtete Dynamik gibt. (In der Praxis bedeutet das: revolutionäre Parteien werden zunächst sektiererisch sein, aber dann werden sie immer opportunistischer werden).
Für uns Rätekommunisten ist der Aufbau von revolutionären Gruppierungen keine Frage der Aufwärts- oder Abwärtsdynamik des Klassenkampfes. Dies ist wichtig, aber nicht entscheidend. Der Aufstieg und Fall des Klassenkampfes wird von den kapitalistischen ökonomischen Zyklen von Wachstum und Rezession beeinflusst; aber seine Form, sein Rhythmus, seine Qualität hängen vom Verlauf des Klassenkampfes, den historischen Bedingungen und der Reifung des Proletariats ab.
Die vulgäre Sichtweise schreibt dem Wachstum des Klassenkampfes revolutionäre Potentiale zu, weil ihre Konzeption des Klassenkampfes reformistisch ist: dass die Anhäufung von Kämpfen um Reformen zur Revolution führen wird. Im Grunde ist es eine gradualistische und ahistorische Vision. Sie spricht von der Revolution als einem qualitativen Sprung im Kampf, begreift aber den Übergang zwischen dem Kampf um Reformen und der Revolution als einen bloß akkumulativen Prozess. Dies ist die typisch leninistische praktische Sichtweise. Seine ganze Taktik läuft darauf hinaus, den Kampf um Reformen so lange zu entwickeln, bis er für den Kapitalismus unerträglich wird und eine revolutionäre Situation ausgelöst wird. Dann muss die Partei da sein, um der Arbeiterklasse erklären zu können, dass der Reformismus keinen Sinn mehr macht und dass sie die Revolution machen muss. Das ist die Vorstellung des Lehrers.
Die Realität ist sehr unterschiedlich. Die Arbeiterklasse schreitet nicht durch den Kampf um Reformen voran, sondern durch die immer radikalere und totale Konfrontation mit dem Kapital, ein Prozess, der sukzessive Niederlagen, Spaltungen und Rückschläge mit sich bringt, und der nicht dank des Willens oder der rationalen Überzeugung der Klasse zustande kommt, dass der Kapitalismus ein „schlechtes“, unangenehmes, irrationales, begrenztes usw. Gesellschaftssystem ist. Sie kann nur entstehen, weil die Bedingungen, unter denen die Proletarier leben, immer unerträglicher werden, ohne dass der Kapitalismus in der Lage ist, diese Situation zu ändern, was dazu führt, dass der Klassenantagonismus extrem wird und sich sofort als ein absolut unversöhnlicher Konflikt darstellt. Dann, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gibt, wird der Prozess entfesselt, der in der Revolution seinen Höhepunkt findet. In dem Maße, wie der Kapitalismus in seinem historischen Niedergang fortschreitet und die menschliche Existenz immer mehr erniedrigt, wird die Grundlage dafür geschaffen, dass der Klassenkampf einen immer radikaleren Charakter annimmt und die Arbeiterklasse für revolutionäre Ideen empfänglich wird.
Wir müssen die falsche Vorstellung aufgeben, dass der Aufschwung des Kampfes gut und das Abebben des Kampfes schlecht ist. Beide haben ihre Funktion. Die Frage ist die Tendenz, revolutionär oder nicht, die die gesellschaftlichen Verhältnisse als Ergebnis der Entwicklung des Widerspruchs zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen bestimmen. Wenn also die aufschwingenden Perioden des Kampfes ihre positiven Elemente enthalten, so auch die abebbenden, in denen die Klasse über ihre Erfahrungen und ihre Perspektiven nachdenken muss. In einem Kontext, der für die revolutionäre Perspektive nicht günstig ist, führen die aufschwingenden Perioden zur größeren Integration der Arbeiterbewegung in den Kapitalismus, nicht zum Bruch mit ihm, und die abebbenden Perioden des Klassenkampfes werden zu Perioden der Verdummung und des Konformismus, statt zu Perioden der kritischen Reflexion über die Gesellschaft.
Man kann nicht so tun, als ob man revolutionäre Organisationen aufbaut, wenn die Bedingungen dafür nicht vorhanden sind. Die Illusion des Aufbaus der revolutionären Partei besteht darin, dass es sich in Wirklichkeit nicht um eine Gruppierung von Revolutionären handelt, die durch die Verpflichtung zur theoretischen Arbeit vereint sind, sondern um eine Gruppierung von Anhängern einer bestimmten Theorie der Revolution, d.h. einer politischen Ideologie. In dem Maße, in dem die alten reformistischen Organisationen in ihrer Krise fortschreiten, in dem Maße, in dem der Kapitalismus Anzeichen – vorübergehender oder anhaltender – Erschöpfung zeigt und diese Organisationen in das Räderwerk des Kapitals und des Staates eingebunden sind, dienen diese Parteien daher als Kanal für die Unzufriedenheit mit diesen Organisationen und hemmen den revolutionären Bruch mit dem Reformismus und die Tendenzen zur autonomen Organisation und zum Kampf der Klasse.
Das ist grundsätzlich so, weil diese Parteien in ihrer tatsächlichen Praxis nichts anderes sind als der linke Flügel des linken Reformismus, die extreme Linke des Kapitals. Andernfalls würden sie mit der harten Realität konfrontiert werden: dass die „Unzufriedenen“ der reformistischen Organisationen zum größten Teil deshalb so sind, weil diese mit ihren eigenen reformistischen Zielen so inkohärent geworden sind, dass die Unzufriedenen sich nicht mehr mit ihnen identifizieren und nach einem neuen ideologischen Referenten suchen, der den geringsten Anpassungsaufwand (intellektuell, psychologisch und physisch) mit sich bringt und der es ihnen erlaubt, den Kampf für Reformen weiterzuführen. Es handelt sich also um einen Transfer von Militanten und eine ideologische Metamorphose, nicht um eine wirkliche Reifung als revolutionäre Subjekte. Wenn dieses Phänomen nicht offen als das gezeigt wird, was es ist, dann deshalb, weil es sich um Proletarier handelt, die noch immer von sich selbst entfremdet sind. In Wirklichkeit glauben sie vielleicht aufrichtig, dass sie Revolutionäre sind, trotz der Tatsache, dass ihre gesamte tägliche Praxis dies widerlegt. Es ist ganz einfach. Es genügt, nicht kritisch über die eigene Praxis nachzudenken, und ganz allgemein, die Vorurteile und Dogmen, die zur Rechtfertigung einer bestimmten Praxis dienen, dem Einsatz von Intelligenz und dem Kampf gegen alle Vorstellungen vorzuziehen, die sich der Entwicklung einer neuen Praxis entgegenstellen.
Was den Unterschied in zukünftigen Kämpfen, in der Entwicklung des Klassenkampfes in einem revolutionären Sinne ausmachen wird, ist die allgemeine Reifung der Klasse und die Verschärfung des Klassenantagonismus, bis er immer unerträglicher wird. Dann wird es immer deutlicher werden, wie es schon immer war, dass die Revolution keine Angelegenheit der Partei ist, sondern eine Angelegenheit der Arbeiterklasse als Ganzes. Je höher das Niveau der materiellen und kulturellen Entwicklung ist, von dem man ausgeht, desto schwieriger wird es sein, die Arbeiterklasse, wenn sie einmal aus historischer Notwendigkeit heraus gehandelt hat, davon zu überzeugen, ihre Macht freiwillig an eine ideologisierte Minderheit abzugeben. In solchen Momenten zeigen sich die revolutionären Parteien sofort als das, was sie sind: eine Organisation von ideologisierten Proletariern als politische Avantgarde der Bourgeoisie.
Roi Ferreiro,
06/11/05
1A.d.Ü., der Originaltitel des Textes ist Por qué necesitamos ser anti-partido, was auch als Warum wir Anti-Partei sein müssen übersetzt werden kann, es klang uns zu holprig, der Transparenz halber diese Erklärung.
2A.d.Ü., eine Abhängigkeit untereinander.
3A.d.Ü., gemeint ist die allgemeine, gegenwärtige Situation.
4A.d.Ü., nicht so zu verstehen, dass dieser noch nicht in einer Partei ist, quasi auf die richtige wartet, sondern auch gegen diese, also die Parteien, ist. Im Originaltext: „el militante no partidista“. Zwischen den Militanten der Partei und den Militanten ohne Partei gibt es ein antagonistisches Verhältnis.