(Luigi Galleani) Gegen den Krieg, gegen den Frieden, für die Revolution!

Hier ein weiterer historischer Text von der anarchistischen Bewegung gegen den Krieg und den Frieden des Kapitalismus, wir haben diesen aus der anarchistischen Bibliothek entnommen, hierbei handelt es sich um einen dieser Texte die keinen Pardon und keine Kompromisse kennen was unsere Ideen und unsere Prinzipien angehen. Denn unsere Ziele sind unsere Ziele, unsere Prinzipien sind unsere Prinzipien und unsere Praxis ist unsere Praxis, daran wird nicht gefeilscht. Was in letzter Zeit vermehrt zu Tage kommt.

Wir veröffentlichten ja schon ein paar ältere Texte dessen Postulat klar war, gegen die Kriege des Kapitalismus kann nur die Antwort die soziale Revolution folgen. Dieses Mal, handelt es sich um einen Text von Luigi Galleani, geschrieben mitten im Ersten Weltkrieg, 1916. So er wie, kritisierten viele andere aufrechte Anarchistinnen und Anarchisten die „anarchistischen“ Apologeten des Krieges, jene die der Meinung sind (und damals waren) sich auf einer Seite der herrschenden Klasse, sich schlagen zu müssen. Genauso wie viele vor uns, dasselbe tun auch wir in dem Krieg in der Ukraine, aber auch in jedem Krieg ansonsten auch, es gibt für uns keine herrschende Klasse, keine Nation, keinen Volk, keine Fahne und keine Demokratie die es zu verteidigen gibt, sie alle gehören auf den Scheiterhaufen der Geschichte, für uns gibt es nur den Klassenkrieg, den sozialen Krieg, die Insurrektion und die soziale Revolution gegen alle Staaten und gegen den Kapitalismus. Einige anarchistische Publikationen und Gruppen hätten sich in letzter Zeit einen Gefallen getan, sich an solche Texte zu erinnern, anstatt im Opportunismus unüberlegt zu handeln und auf gut Glück, blind um sich zu schlagen. Weitere historische Texte, wie auch jene die sich mit diesem Krieg, mit Krieg im Allgemeinen, werden wir weiter in Zukunft veröffentlichen. Salud

Für die klassenlose Gesellschaft! Für die Anarchie!

Soligruppe für Gefangene, Berlin


Luigi Galleani

Gegen den Krieg, gegen den Frieden, für die Revolution!

Einleitung (von Franco Bertolucci)

Die vom Krieg gebeutelten Frauen und Männer begrüßte das Jahr 1916 mit sich verdichtenden finsteren Vorahnungen am Horizont. Der Konflikt, der laut der Strategen auf beiden Seiten von kurzer Dauer sein sollte, hatte sich nach eineinhalb Jahren recht bald in einen zermürbenden Stellungskrieg mit einem enormen Verschleiß an Menschenleben und Material verwandelt.

Das Jahr 1916 hatte mit der endgültigen Evakuierung der britischen Militärtruppen von der Halbinsel Gallipoli und den Dardanellen begonnen, einer harten Niederlage der Entente, und der Besetzung Montenegros durch das österreich-ungarische Heer. Am 21. Februar begann die Schlacht von Verdun und zwischen dem 11. und 19. März fand an der italienischen Front die fünfte Schlacht am Isonzo statt, der x-te Vorstoß der von der österreich-ungarischen Verteidigung blockierten italienischen Truppen.

Luigi Galleani, einer der von den nach Nordamerika ausgewanderten Arbeitern meist gehörten italienischen Anarchisten, hatte in der Cronaca sovversiva, eine von ihm 1903 in Barre (Vermont) gegründete Zeitschrift, ein hartes journalistisches Gefecht gegen den Krieg und seine Unterstützer lanciert. Am 18. März 1916 veröffentlichte er auf den Seiten der eigenen Zeitung einen Artikel mit dem exemplarischen Titel „Gegen den Krieg, gegen den Frieden, für die Revolution“. Diese Intervention kann als ein weiteres aussagekräftiges Zeugnis jenes Teils der Bewegung betrachtet werden, der sich kohärenterweise gegen das ungeheure Massaker positionierte. Galleani, „ein effizienter, wenn auch manchmal heftiger und exzessiver Polemiker“, war der Hauptvertreter einer Richtung des Anarchismus, die sich als „aktionistischer Individualismus“ definieren lässt: „Individualismus, weil er die Methode der politischen, permanenten und kollektiven Organisation zurückweist, aktionistisch deshalb, weil er das Moment der permanenten Revolte gegen die etablierte Ordnung hervorhebt. Daher finden sich in der journalistischen Produktion Galleanis, die ausschließlich in der zeitgenössischen Polemik als ein Akt der Revolte ihren Ort hatte, selten eine ideologische Vertiefung oder programmatische Beiträge; eine politische Strategie jenseits einer unablässigen Zerstörung autoritärer Institutionen findet sich fast nicht.“1

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte die Arbeiterbewegung und ihre politischen Avantgarden tief zerrissen. Diese hatten sich in diejenigen, die eine direkte Beteiligung am Konflikt wollten, und in die anderen, die den Prinzipien des Arbeiterinternationalismus getreu gegen den Krieg opponierten, geteilt. Die italienischen Anarchisten – zu zurückgekehrt von den antimilitaristischen Agitationen, mit denen sie Zentral- und Norditalien zwischen dem 7. und 14. Juni überzogen hatten, was später in die Geschichte als „Rote Woche“ einging2 – mobilisierten in den Monaten zwischen August 1914 und Juni 1915 (Eintritt Italiens in den Krieg auf Seite der Entente) gegen die interventionistischen Kräfte3. Obwohl die Mehrheit im Land keinen Krieg wollte, eroberten sich letztere von extremen Minderheitenpositionen aus Monat für Monat größere Zustimmung und drängten die öffentliche Meinung zur Entscheidung für den Krieg – dank der finanziellen Hilfen von den französischen Freimaurern, der moderaten liberalen Presse, der Industriellen und der Bankiers, bis hin zur Unterstützung durch führende Gruppen in der Regierung und der Krone, die den Kriegseintritt Italiens ersehnten. Auch unter den Anarchisten brachen sich, wenn auch in der Minderheit, philo-interventionistische Positionen Bahn, die dazu beitrugen, die Bewegung in politischer Hinsicht zu schwächen.

Gegen diese politischen Positionen veröffentlichte am 20. März 1915 die Zeitschrift Volontà aus Ancona zeitgleich mit anderen Organen des weltweiten Anarchismus das „Anarchistische internationale Manifest gegen den Krieg“, zum Großteil von Malatesta geschrieben und fünfunddreißig anderen Anarchisten aus verschiedenen Ländern unterzeichnet – unter ihnen Alexander Berkman, Luigi Bertoni, Henri Combes, Emma Goldman, Alexander Schapiro, Hyppolyte Havel und Ferdinand Domela Nieuwenhuis –, in dem man bekräftigte, dass die Ursache des Krieges einen allgemeinen Charakter habe und in der Natur des Systems der politischen und ökonomischen Ausbeutung selbst, repräsentiert durch Staat und Kapitalismus, bestehe. Es gebe keine pazifistischen Alternativen, die den Kurs ändern könnten, der Krieg werde gegen die Völker geführt und diese hätten nur eine Wahl, die soziale Revolution, wenn sie dieser Situation aus Zerstörung und Tod nicht unterworfen bleiben wollten.

Die kompromisslose Linie Malatestas und eines Großteils der Bewegung wurde dann von einem in die Geschichte als „Le Manifeste des Seize“ [Das Manifest der Sechzehn] eingegangenen Manifest zur Diskussion gestellt, das Peter Kropotkin und Jean Grave am 28. Februar 1916 verfassten und das am 14. April 1916 in der Tageszeitung La Bataille zum ersten Mal veröffentlicht wurde. Unterzeichnet hatten es fünfzehn libertäre Persönlichkeiten, unter ihnen Christiaan Cornelissen, Charles Malato, Paul Reclus und Warlaam Tscherkesoff — alle als Vertreter einer Position für die Entente. In einer Woge von Emotionen aufgrund der militärischen Erfolge Deutschlands sowie Österreich-Ungarns und aufgrund eines möglichen Friedens, der den Status quo zugunsten dieser beiden Reiche sanktionieren würde, schrieben sie:

Unserer tiefsten Überzeugung nach ist die deutsche Aggression eine – in die Tat umgesetzte – Bedrohung nicht nur unserer Emanzipationshoffnungen, sondern der menschlichen Entwicklung schlechthin. Deshalb haben wir Anarchisten, wir Antimilitaristen, wir Kriegsgegner, wir leidenschaftlichen Befürworter des Friedens und des brüderlichen Miteinanders der Völker, uns auf die Seite des Wiederstandes gestellt, in dem Glauben, unser Schicksal nicht von dem der übrigen Bevölkerung trennen zu dürfen. Wir halten es für überflüssig zu betonen, dass wir es lieber gesehen hätten, dass diese Bevölkerung ihre Selbstverteidigung in die eigenen Hände nimmt. Da dies unmöglich war, blieb nur, sich in das Unabänderliche zu fügen. Und mit denen, die kämpfen, sind wir der Meinung, dass solange die deutsche Bevölkerung nicht zu vernünftigeren Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit zurückkehrt und endlich aufhört, sich als Werkzeug pangermanischer Herrschaftspläne missbrauchen zu lassen, von Frieden keine Rede sein kann. Trotz des Krieges, trotz des Gemetzels haben wir natürlich nicht vergessen, dass wir Internationalisten sind, dass wir die Einheit der Völker wollen, das Verschwinden der Grenzen. Und gerade, weil wir die Versöhnung der Völker, einschließlich des deutschen Volkes, wollen, sind wir der Auffassung, dass man einem Aggressor widerstehen muss, der die Auslöschung all unserer emanzipatorischen Hoffnungen verkörpert. Von Frieden zu sprechen, so lange die Partei, die Europa seit fünfundvierzig Jahren in ein befestigtes Heerlager verwandelt, in der Lage ist, ihre Bedingungen zu diktieren, wäre der schlimmste Fehler, den man begehen könnte. Widerstand zu leisten und ihre Pläne zum Scheitern zu bringen, heißt, dem vernünftig gebliebenen Teil der deutschen Bevölkerung den Weg zu bereiten und ihm die Möglichkeit zu verschaffen, sich dieser Partei zu entledigen.“4

Malatesta, zu dieser Zeit im Londoner Exil, antwortete den Pro-Entente-Anarchisten mit den folgenden Worten:

Die Maxime ihres Handelns ist den Anarchisten durch die unerbittliche Logik ihrer Ziele eindeutig vorgegeben. Der Krieg hätte durch die Revolution verhindert werden müssen oder zumindest durch die Angst der Regierungen vor einer drohenden Revolution. Die Stärke und das Geschick, die dazu notwendig gewesen wären, haben gefehlt. Der Frieden muss durch die Revolution erzwungen werden, oder zumindest durch den Versuch, sie herbeizuführen. Dazu fehlt es derzeit wiederum an Stärke und Geschick. Nun gut! Es gibt nur einen Ausweg: es in der Zukunft besser zu machen. (…) Bis dahin halte ich es für ein Verbrechen, auch nur das Geringste zu unternehmen, was diesen Krieg verlängern könnte, der Menschen mordet, Wohlstand vernichtet und das Wiederaufleben des Kampfes um Befreiung verhindert. Ich denke, dass wer einen ,Krieg bis zum Äußersten‘ propagiert, in Wahrheit das Spiel der Regierenden in Deutschland betreibt, die ihre Untertanen täuschen und ihren Kampfesmut anstacheln, indem sie ihnen einreden, ihre Gegner wollten das deutschen Volk unterwerfen und knechten. Jetzt, wie seit jeher, muss unsere Devise lauten: ,Nieder mit den Kapitalisten und den Regierungen, allen Kapitalisten und allen Regierungen!’“5

In Italien erschien als Antwort auf das Manifest der Pro-Entente-Anarchisten ein klandestines Heft mit dem Titel Der europäische Krieg und die Anarchisten, unterzeichnet von einer Gruppe von Anarchisten, aber eigentlich von Luigi Fabbri geschrieben. Der Text, eine klar formulierte Antwort auf die Argumentation der Gruppe des „Manifests der Sechzehn“, verwarf die Unterscheidung zwischen Angriffs- und Verteidigungskrieg; er rief sowohl die Verantwortung Deutschlands als auch aller anderen für den Ausbruch des Konflikts in Erinnerung wie auch, dass sich von einer grausamen Auseinandersetzung zwischen Staaten nichts Gutes und noch viel weniger das spontane Ausbrechen einer Revolution erwarten ließe. Wenn letztere überhaupt hätte ausgelöst werden können, hätte sie den Weg zu tatsächlichen sozialen Umwandlungen nur finden können, wenn sich im Vorhinein der Zusammenhalt und die Zielstrebigkeit revolutionärer Bewegungen wie der anarchistischen mit zersetzender und nicht kollaborationistischer Haltung auf internationalem Niveau erhalten hätte.

Der Kriegseintritt Italiens, mit der Einberufung tausender Proletarier und Bauern, unter ihnen unzählige libertäre Aktivisten, führte zu einem autoritären Vorgehen der Regierung. Die bürgerlichen Freiheiten und politischen Kundgebungen wurden stark eingeschränkt, was dazu führte, dass die libertäre Bewegung 1916 de facto gezwungen war, sich in einer halb klandestinen Weise einschließlich eines internationalen anarchistischen Aktionskomitees mit Koordinationsfunktionen für Propagandaaktivitäten zu organisieren. Wie in allen kriegsführenden Ländern war in dieser Zeit die Presse, vor allem die der Opposition, strengen restriktiven Maßnahmen unterworfen, und viele Zeitungen wurden von den Behörden geschlossen. Zu Kriegseintritt Italiens im Mai 1915 schloss eine anarchistische Zeitung nach der anderen, wie La Libertà aus Mailand, Il Cavatore aus Carrara und Volontà aus Ancona, während Guerra di classe, das Organ der italienischen Gewerkschaftsunion, seine Ausgaben im September aussetzte. Die einzige libertäre Wochenzeitung von nationaler Reichweite, die weiter regelmäßig veröffentlichte und auf eine einigermaßen umfangreiche Verbreitung zählen konnte, war L’avvenire anarchico aus Pisa, während Il Libertario aus La Spezia das erste Mal zwischen Mai und Ende Juli 1915 und dann von Mai 1917 bis Februar 1919 aussetzen musste. Im Ausland gab es hauptsächlich zwei Publikationsorgane in italienischer Sprache, die kontinuierlich erschienen und einen gewissen Einfluss nicht nur in den italienischen Auswanderercommunities, sondern auch auf die Ausrichtung der wichtigen aktiven Gruppen in Italien ausübten: Die Cronaca sovversiva, wie schon gesagt von Luigi Galleani6 in den USA herausgegeben und Il Resveglio, von Luigi Bertoni7 in der Schweiz publiziert. Dies sind die Zeitungen, die auf internationalem Niveau die Positionen der italienischen Anarchisten zum Krieg bekannt machten.

So oder so war der Krieg dazu bestimmt, tief in das Leben Luigi Galleanis einzuschneiden. Entschieden gegen den Krieg zögerte er nicht, sich mit den interventionistischen Anarchisten auseinanderzusetzen, auch wenn unter ihnen einige der beliebtesten Exponenten der Bewegung waren, wie Kropotkin oder Cipriani, dem er besonders verbunden war.

Galleanis am 18. März 1916 in der Cronaca sovversiva veröffentlichter Artikel „Contro la guerra, contro la pace, per la rivoluzione“, formuliert, jenseits des typisch rhetorischen und feierlichen Stils des piemontesischen Autors, mittels einer knappklaren Untersuchung der Ursachen für den Krieg und seiner Fortführung eine scharfe Kritik an den Konzepten von Kultur, Nation und Vaterland, wie sie sich seit der industriellen Revolution herausgebildet haben, und an der militaristischen Logik des Krieges als einer Menschlichkeit und Wohlergehen zerstörenden Höllenmaschine. Galleani, wie die anderen bekannten Anarchisten, Malatesta zum Beispiel, setze der Hypothese eines Friedens, der vom deutschen Militarismus und von einer Lösung der Weltkrise nach kapitalistischem Modell beherrscht würde, die einer sozialen Revolution entgegen, die einzige mögliche Alternative für einen anarchistischen Aktivisten und für eine Zukunft ohne Kriege. Für Galleani wie für Malatesta und die Anarchisten, die sich gegen den Krieg wandten, wussten die Unterzeichner des „Manifests der Sechzehn“ sehr wohl, dass ihre Erklärung nicht an dem Punkt vollkommen anti-anarchistisch wird, an dem sie den absoluten Pazifismus ablehnt und ihm die Idee der Gerechtigkeit gegenüberstellt, welche dem Frieden übergeordnet sein müsse, da es sich beim Frieden nicht um einen der wichtigsten Werte handelt. Tatsächlich war es nicht anti-anarchistisch, den Frieden als einen relativen Wert zu betrachten und also auch diesen Krieg als etwas, das akzeptiert werden konnte, falls eine Fortsetzung durch höherer Werte wie Gerechtigkeit und Freiheit gerechtfertigt würde. Es war selbst nicht anti-anarchistisch, einer internationalen Idee von Gerechtigkeit zuzustimmen, nach der die Aggressoren (in diesem Fall Deutschland) in die Lage gebracht würden, nicht mehr schaden zu können. Das, was anti-anarchistisch war, für Galleani wie für Malatesta, war die entscheidende Tatsache, dass der Krieg trotz allem vornehmlich ein Ausdruck der Aktivität von Staaten war, weshalb die Unterstützung der „moralischen Gründe“ des Krieges letztlich bedeutete, die Politik der Institution des autoritären Prinzips zu unterstützen. Hier liegt der grundlegende Fehler der Unterzeichnenden. Denn wenn es richtig war, dass Österreich-Ungarn und Deutschland die größte Schuld am Ausbruch des Krieges trugen, so hatte es keine Grundlage, alle anderen am Krieg beteiligten Mächte der Verantwortung zu entheben. Hieraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass man nicht annehmen konnte, den deutschen Militarismus zu stoppen, indem man sich mit Regierungen verbündete, auch wenn man zugesteht, dass allein Deutschland für den Krieg verantwortlich war. Dies hätte nur eine soziale und proletarische Revolution vermocht. Ansonsten würde man damit enden, dem ähnlich zu werden, das man bekämpfte, und de facto hätte sich die Bewegung den sozialdemokratischen Kräften eingereiht, die den Kriegskrediten zugestimmt und die internationalistischen Prinzipien verworfen hatten8.

Galleanis Propaganda gegen den Krieg und gegen die Wehrpflicht, die er auf vielen öffentlichen Konferenzen und in unzähligen Artikeln betrieb, sowie seine in sich geschlossene libertäre und subversive Position provozierten letztendlich die Behörden der Vereinigten Staaten – auch sie in das Kriegsgeschehen verwickelt9. Ein Gesetz vom Oktober 1917 verpflichtete alle in einer Fremdsprache publizierten Zeitungen dazu, Übersetzungen der Artikel abzuliefern, die sich auf den Krieg bezogen. Nach und nach wurden die Redaktionen und subversiven Gruppierungen unter eine strenge Kontrolle mit Durchsuchungen und Verhaftungen gestellt. Cronaca sovversiva entschied daraufhin, die Veröffentlichungen einzustellen und nur noch einige klandestine Nummern, ebenfalls unter der Redaktion Galleanis, herauszugeben. Doch die Zeit der garantierten Bürgerrechte fand in Amerika ihren Schlussakkord in den Abschiebeverfahren aller unerwünschten und als antinational verdächtigten Subjekte. Die italienische Regierung hatte ihr Erstaunen gegenüber den amerikanischen Behörden darüber ausgedrückt, dass sie während des laufenden Krieges ein so gefährliches Element wie Galleani nach Italien zurückführen wollten. Doch am Ende erklärte sie sich einverstanden. Paradoxerweise wurde seine Abschiebung als unerwünschter ausländischer Bürger erst dann erlassen, als der Krieg in Europa schon seit einigen Monaten beendet war. Galleani wurde zusammen mit anderen Subversiven per Dekret auf ein Schiff nach Genua verfrachtet, wo er im Juli 1919 ankam. Diese Abschiebung war für Galleanis Gefühle und Gesundheit ein harter Schlag: Nach circa zwanzigjährigem Aufenthalt in den USA war er gezwungen, seine Gefährtin, die eigenen Kinder und Freunde zurückzulassen.

Trotz seines Alters und seiner Gebrechen beteiligte sich Galleani nach seiner Rückkehr in Italien weiter aktiv an den Arbeiterkämpfen des Biennio rosso10 und wurde ein zäher Gegner des Faschismus. Er wurde verfolgt und im November 1926 für drei Jahre in polizeiliche Verbannung geschickt. Am 4. November 1931 verstarb er plötzlich in Caprigiola, einem kleinen Dorf in der Provinz Massa Carrara, wohin er sich gemeinsam mit den Freunden Pasquale Binazzi und Zelmira Peroni zurückgezogen hatte.


Luigi Galleani

Gegen den Krieg, gegen den Frieden, für die Revolution!11

La vérité est en marche et rien ne l’arretera.12 E. ZOLA

Sie steigt auf und legt in die absolut reinen Hände die Fackeln und Palmwedel der Gerechtigkeit. Doch da sie sich nun nicht mal zu den Stirnen von Galileo13 und Bruno14 leuchtend und erbarmungslos gegen die die göttliche Majestät der Dogmen und Konzile aufschwingt; auch wenn sie demütig, diskret und bescheiden keine andere Ernte erhält und bewacht als die der täglichen und universellen Erfahrung, muss sie die Steigung nach Golgatha nehmen!15 Sie wird keinen anderen Weg finden.

Oh, ihr erinnert es!

Vor nun zwanzig Monaten, zu Ausbruch des Krieges, ermahnten wir schlicht und aufrichtig die Genossen, deren Bewusstsein, Zuversicht und Erwartung ein zwischen Donau und Schelde wirbelnder Zyklon verwirrte und drohte, weit und breit alles in das schlimmste Verderben zu ziehen:

Wenn euch ein Strahl der Wahrheit mit einem Kuss im düsteren Limbus der gemeinen Knechtschaft traf – diese Freude und diesen Stolz, tauscht sie doch nicht gegen die Bitterkeit der morbiden Begeisterung, die jenseits des flüchtigen Rausches des Augenblicks im Bittersten, in der unglücklichsten aller Ernüchterungen versinkt; gebt diese Freude nicht auf, auch wenn zu allen Seiten um euch herum die Einsamkeit durch Vernachlässigung lauert, die dunklen Phalangen desertieren und zum Feind überlaufen, die Anführer und die Boten; auch dort nicht, wo auf den blassen Gesichtern die blinde Wut des Pöbels und der Fluch der zürnenden Oberpriester tobt… wenn euch ein Strahl der Wahrheit im düsteren Limbus der gemeinen Knechtschaft mit einem Kuss traf.

Nicht der feige Schlag der Menschen entscheidet das Schicksal der Welt! Unsere Stunde wird zurückkommen, verzweifelt nicht, gebt die Vorposten nicht auf, die mit so viel Kraft erreicht und so sorgsam bewacht wurden; verratet nicht die heilige Sache der gemeinsamen Befreiung für die Restauration des Regimes, gegen das ihr euch erhoben habt. Verratet die Revolution nicht für den Krieg!

Ein unmoralisches Entern von Piraten, eine Raserei von Schakalen, ein Zürnen von Taschendieben, die sich über den Wucher ärgern, von Krämern, Priestern, Zulieferern und Spielhöllenbesitzern, die nach der Dividende, dem Zehnten und dem schnellen Geld lechzen, ist der Krieg! Zivilisation, Vaterland, Freiheit und Fortschritt sind nur die Fahne, mit der sich der Schmuggel behängt und unter der sich der schamlose Betrug versteckt, um für die eigene Tasche, für ein Kopfgeld oder für das Glück der großen Diebe den nötigen Tribut an Energie und Blut einzufahren, den allein das Proletariat zollen kann, und den es – wenn auch fügsam und begriffsstutzig – andernfalls nicht mit der Begeisterung, dem Opferwillen und blinden Eifer zollte, alles wesentliche Voraussetzungen zum Erfolg.“

Schrieben wir dies nicht vor fast zwei Jahren bei Ausbruch des Krieges?

Fluch!

Mehr noch erinnert ihr!

Von jeder Wegkreuzung, aus jeder Höhle, jedem Nest, von jeder Kanzel, aus allen Mündern, aus den bekümmerten der anständigen Leute und denen der schamlosen Killer, aus dem vernebelten Gemüt des Packs und im spöttischen Grinsen der Duckmäuser schallt voller Schmeicheleien, Mitleidsbekundungen, Drohungen, Spott, Hetze und Ängste ein Ausbund an Beschimpfungen und Abscheulichkeiten: als Verlorene für die einen, Bastarde für die anderen, Unschuldige für diese, als Verkaufte für jene, vom Weg abgekommene Sturköpfe oder Wagemüter für die übrigen, haben wir zwanzig Monate die schmerzlich langsame unfehlbare Gerechtigkeit der Dinge und der Zeit im Graben erwartet, in vom innersten Bewusstsein und von schmerzvoller Erfahrung gestählter Zuversicht, während wir die rächerische Morgenröte der unbezwingbaren Wahrheit, die heute dämmert, herbeisehnten.

Sie dämmert noch sehr zaghaft; doch es reicht, um den Tag vorherzusagen, den Lauf des grauenvollen paradoxalen Betrugs zu durchdringen, das erschreckende Geflecht aus Kalkulationen, Verwicklungen, Ironie und Zynismus zu erhellen und so die Unglücklichen zu erbauen, die sich unbefleckte Fahnen einer höheren Zivilisation von diesem Krieg erwarteten, die Bekränzung des großen Vaterlandes, das blutige Banner der Freiheit, jegliche Fülle an Überfluss und Wohlergehen und die geweissagte Erneuerung des Menschengeschlechts im hyperbolischen Blutbad, das ihm seine Konstitution stärken sollte, den Willen, die Hoffnung und die Absichten, während es sich mehr schlecht als recht mit der Heuchelei tröstet, dass dieser Krieg wenigstens den ungewöhnlichen Vorteil hat, der letzte der Geschichte zu sein, wenn schon der Krieg das größte Unglück bedeutet.

Die Zivilisation

Wenn sich die Fortschritte der Zivilisation an den Siegen des Rechts über die Willkür bemessen, des Verstandes über die Gewalt, des Willens über den Verzicht, des Bewusstseins über das Vorurteil, des Stolzes über die Trägheit, des Menschen über das Raubtier oder das körperhafte Tier im Allgemeinen, dann gibt es keinen Zweifel: Der Krieg hat das Recht, die Vernunft, die Wahrheit, die Würde und jeglichen tiefsten und gerechtfertigten Stolz mit seinen Massen an Freiwilligen, den erzwungenen Rekrutierungen, mit den systematischen Gemetzeln, der blinden Zerstörung, mit der Schließung der Schulen, der gewaltsamen Verhinderung jedes Geisteslebens und mit der geplanten Restauration von Kirche und Kaserne – längst die einzigen Garanten eines gemeinen Lebenslaufes – zerstört. Der Krieg hat uns in jedem Land in die Finsternis des Mittelalters zurückgeworfen, in die düsterste Stunde seiner Barbarei.

Die Nation

Wenn die Nation nicht mehr die Überwältigung der „corveables et taillables à merci“16 des alten Regimes und der abgeschafften adeligen Monarchien ist, sondern seit der großen Revolution die Gesamtheit der Bürger, die Ursprung, Tradition, Geschichte und Umgangsformen teilen, kann auch hier kein Zweifel sein: Der Krieg ist das am wenigsten Nationale, was man sich vorstellen kann.

Denn eins von beiden: entweder verleugnen sich diese anthropologischen Sophistereien – und das wäre angesichts der Unmöglichkeit, heute, nach Millionen Jahren der verschiedenen Paarungen und der verbreiteten Promiskuität, die Unterscheidungsmerkmale der einzelnen ethnischen Gruppen nachzuzeichnen, nicht unvernünftig; und folglich ist der kriegerische Aufruf im Namen des Stammes Schmeichelei und Idiotie. Oder man akzeptiert, und dann muss man auch die Konsequenz akzeptieren und anerkennen, dass es von den Hochebenen des Punjab durch das ganze südliche Russland, durch Ungarn, Bayern, die Loraine, Norditalien, die östlichen Departments Frankreichs und den Großteil Belgiens nur Kelten gibt, die allesamt die gleiche Abstammung teilen, so wie wir im Norden Preußen, Schotten und Iren haben, die alle Teutonen sind, alle Stammesbrüder, nur durch den Zufall auf die eine oder die andere Seite der Grenze geschlagen, und die sich heute in Flandern, in den Vogesen und in Südtirol abstechen, im Namen des eigenen Stammes mit brüderlichstem Enthusiasmus.

So konnte Sir Ray Lankester – einer der einflussreichsten Anthropologen – in einer neuerlichen Studie zu dem Schluss kommen, dass „wenn verschiedene Ambitionen und Interessen zum Krieg bei[tragen], der Rasseninstinkt jedoch keiner von ihnen ist“17.

Das Vaterland

Halten wir uns ruhig von einem solch unsicheren und unzuverlässigen Feld fern, das sich in die Grenzen des Vaterlandes quetscht, das geboren wurde mit der „Erklärung der Menschenrechte“ und dem Bürger, der als sein Eckpfeiler ihm Geschichte und Ruhm erbauen sollte.

Des Vaterlandes, das – gleich dem Bürger, der in freier Ausübung seiner anerkannten Rechte stets die gleichen Rechte seines Nachbarn schützt – in Anspruch nimmt, sich in der territorialen Integrität der ihm von der Natur und der Geschichte zugesprochenen Grenzen autonom, den eigenen Traditionen, Gesetzen, Gewohnheiten folgend und ohne Fremdeinmischungen zu regieren, davon ausgenommen nur die nötige Anerkennung des gleichen Rechts der anderen Völker, der anderen Nationen.

Denn nur in der gegenseitigen Anerkennung der gleichen Rechte besteht das Fundament der Vaterländer. Zerreißt ihr dieses Band, erniedrigt ihr dieses Recht bei euren Nachbarn durch Unterwerfung eines weniger zahlreichen und weniger starken Vaterlandes, so wird euer Recht auf die Integrität einer gleichen nationalen Existenz ungültig und löst sich auf.

Italien, um sich auf ein aktuelles und praktisches Beispiel zu beziehen, fordert von Österreich die Rückgabe Trentos und Triests; nun gut. Aber Italien hält unter seiner Knute Eritrea, Benadir, Tripolitanien und Kyreneika, es steht mit einem Fuß im Dodekanes und mit dem anderen in Albanien: es tritt also bei diesen Bevölkerungen das Recht mit Füßen, das es gegenüber Österreich ins Feld führt. Um die nationale Integrität geltend zu machen, schickt es unsere Söhne in die Julischen und Rätischen Alpen. Diese sind gerade erst davon zurückgekehrt, den islamischen Bevölkerungen Afrikas oder der griechischen der Ägäis, mit denen sie weder Ursprung noch Tradition, Sprache oder Glauben gemeinsam haben, die Rechte und Bestrebungen streitig zu machen, die ihr Vaterland bezüglich Trento und Triest anzuerkennen fordert.

Offensichtlich kann man das gleiche, was man über Italien sagt, genauso und mitunter mit größerer Berechtigung über Österreich, Deutschland, England, Russland und Frankreich sagen, deren Macht sich im Hass hunderter Nationen zeigt, gleichermaßen unterworfen und ausgeblutet. Eigentlich ist es überflüssig zu zeigen, dass man von den Gründen für den Krieg nicht nur den Antagonismus zwischen Rassen, sondern vor allem die zivilen Sorgen und die „befreiende“ Aufrichtigkeit der vielen verschiedenen Regierungen ausschließen muss, die ihn seit Jahren ausbrüten und zu einem günstigen Zeitpunkt in all seinem wilden Wüten zum Ausbruch gebracht haben.

Die Realität ist eine recht andere.

Tatsächlich ist das Vaterland in der neueren Geschichte des letzten Jahrhunderts nicht mehr als eine Stichflamme: es existiert nicht mehr, für niemanden.

Die Befreiung des Eigentums von den adeligen Privilegien und die Erhebung des Dritten Standes zur Führung des Landes, des Dörflers und Handwerkers zum Bürger, die Revolution, die Erklärung der Rechte, der Terror und die großen Kriege der Republik – all das hatte das Vaterland, die Nation hervorgebracht. Von den Sansculotten in alle Länder gebracht, traten die Prinzipien von 178918 dort eine Reihe nationaler Forderungen und Revolutionen los, von denen das 19. Jahrhundert leuchtet, das unseren Erinnerungen besonders teuer zwischen 1848 und 1870 als Epilog der konstitutionellen Bewegungen von 1821 die Erhebung eines freien Italiens auf dem Kapitolsplatz sah19.

Im Vaterland vereinigten unsere Alten, die seinen Bau mit Blut zementierten, alle Bestrebungen nach Freiheit und Wohlergehen.

Doch, kaum geboren, schwand das Vaterland im Spott der einen und in der Ernüchterung der anderen.

Das Bürgertum empfand seine Grenzen angesichts des Übermaßes seiner Produkte und der Anforderungen seines Verkehrs als zu eng, und es überschritt sie zur Eroberung der Märkte der Welt; es verstreute das Vaterland überall, es fand es unter jedem Himmel wieder, der mit unverhofften Profiten die eigene Unternehmerlust und den eigenen Eifer segnete: sein Vaterland war die Welt. Das Proletariat seinerseits sah, nachdem es vergeblich von den wechselnden politischen Kämpfen eine Befreiung samt der Aneignung der Produktionsmittel gefordert hatte, im Vaterland nichts als die habgierigste Reorganisation der Privilegien, von denen es fälschlich angenommen hatte, sie für immer unter den Ruinen der Bastille20 und zu Füßen der Guillotine begraben zu haben. Es ging in die Verbannung, da es die Erfahrung machen musste, dass jedes Vaterland sich gleicht, dass sich Sprache und Bräuche manchmal unterscheiden, dass es aber überall Herren und Knechte gibt, Unterdrücker und Unterdrückte, Reiche und Arme, Erwählte und Verdammte. Vor allem Verdammte, mit denen es Schmerzen, Ketten und Miseren teilte. Es verschob die Grenzen des Vaterlandes, dorthin, wo es für den Schweiß auf der Stirn das ärmliche Brot auftrieb, über die kurze Frist hinaus, die die Tradition zwischen Wiege und Leichenstandarte gespannt hatte, weit fort, jeden Tag weiter fort, über die Alpen, über das Meer mit seinem weiten Horizont. Während seines trostlosen Pilgerns stolperte es nur über eine einzige Grenze, tief, uralt und unverändert: die Grenze, die sich zieht zwischen dem, der Müßiggang pflegt, und dem, der arbeitet, zwischen dem, der schwelgt, und dem, der stöhnt: sein Vaterland war die Welt.

Das kleine Vaterland ist tot: die Wahrheit ist im Anmarsch!

Ohne Zuversicht!

Es schlagen sich da unten, an verschiedenen Fronten, zwanzig Millionen Proletarier. Doch ohne Glauben, nur auf Befehl und aus Angst.

Warum sie sich abstechen, wissen sie nicht.

Das deutsche Volk, welches – hört man auf den General von Bernhardi21, der sich dessen rühmt und auf die Verbündeten, die ihn verhöhnen – seit vierzig Jahren mit weiser Hingabe in den Kindergärten, Schulen, Vereinen, in den Kirchen und Kasernen erzogen und gestählt werde zur großen Auseinandersetzung, die „über alles“ das alte Deutschland zur Herrscherin erheben soll, fährt laut eines seiner unvoreingenommeneren Interpreten des „Vorwärts“22 fort sich zu fragen: „Warum? Für welche Sache gibt es sein Blut? Was ist das Ziel des Krieges?“23, und dies mit einer solchen Beharrlichkeit, dass die Reichskanzlei das indiskrete sozialistische Tagesblatt ohne Wimpernzucken unterdrückt.

Das englische Parlament ist gezwungen, um das Auseinanderfallen und das Desaster zu vermeiden, die irischen Untertanen vom Compulsory Act24 auszuschließen und in Ägypten die rebellischen Hindu-Garnisonen angesichts des Feindes niederzuschießen. Die französischen Soldaten schreien Poincaré25 ins Gesicht, dass sie vom Krieg „en ont assez soupé“26. Von der Begeisterung für die Rückangliederung italienischer Gebiete unter fremder Herrschaft in den ersten Tagen sind in Italien bewaffneter Ungehorsam und Massenerschießungen geblieben – letztere verstärkten jedoch nicht den Ungehorsam. Währenddessen ziehen den Krieg verfluchend in Wien und Petersburg die Ausgehungerten Bäckereien plündernd durch die Straßen und fordern so die Bestialität und das Blei der imperialen Kosaken heraus.

Immer noch schlagen sich einundzwanzig Millionen Menschen an verschiedenen Fronten – doch ohne Zuversicht, allein auf Befehl und aus Angst.

Wenn sie sich schlagen! In den Statistiken der „Peace Society“ aus London finden sich einige Zahlen, die eine Gegenüberstellung veranlassen.

Die Zahl der Kriegsopfer des letzten Jahrhunderts, vom englischen Krieg in Indien 1800 bis zu den Kriegen des Transvaal im Jahr 1899, summiert sich insgesamt auf zehn Millionen; die Gesamtausgaben der an den Kriegen beteiligten Nationen belaufen sich auf hundertdreiundzwanzig Milliarden Franken.

Die Opfer dieser zwanzig Monate Krieg erreichen heute laut offizieller Zahlen der verbündeten Regierungen und laut der Schätzungen Österreich-Ungarns und Deutschlands vierzehn Millionen neunhundertsechzig Tausend Menschen, während die Gesamtsumme der Schulden, also der neuen Schulden, die sich aufgrund des Krieges in diesen zwanzig Monaten ergeben haben, die Zahl von hundertfünfundvierzig Milliarden Franken erreichen.

Wir haben noch nicht die Hälfte der Wegstrecke zurückgelegt?

Ohne Zuversicht! Das glaubt niemand!

Quos vult perdere dementat deus! rief einst ein Dichter: „der gute Gott nimmt denen die Sinne, die er ins Verderben stürzen will“27. Während die Geschichtsschreiber am Hof, die höfischen Dichter, der Papst in seinen Enzykliken und die gierigen Schmarotzer des nationalen Strebertums sich in Sälen, auf Jahrmarktsfesten, bei Messen und in den heiligen Krämerläden abmühen, zum bedrohten Glauben, zum Vaterland und zur Zivilisation aufzurufen, zur Größe und Zukunft des Stammes, zu Tributen und Brandopfern, ist jedes Land ein Ozean grausamer Handelskriege.

Wollt ihr ein sehr bescheidenes Maß anlegen, dann geht ihr von nur sechs Prozent für die Provision aus, die die Bankiers sich auf die verschiedenen nationalen Anleihen genommen haben, und ihr seht, dass sich mindestens drei Milliarden Franken – dank des begeisternden Krieges – in ihren Taschen versteckt haben.

Wollt ihr nur ein Auge öffnen für die Wahrheit, die in der Tagesberichterstattung der großen Zeitungen durchscheint? Dann müsst ihr zugeben, dass die öffentliche Empörung längst nur noch ein Thema und ein Verbrechen kennt, und die Gerichte verschiedener Nationen beschäftigen sich mit nichts anderem mehr als dem Betrug bei Lieferungen, Schuhen aus Pappe, entrahmter Milch, Decken aus Brennnesseln und Jahrhunderte alten Konservendosen, die an die Soldaten im Krieg unter der Komplizenschaft der Kommandeure, Senatoren, Abgeordneten und der mit Orden Ausgezeichneten ausgeteilt werden, die wie die Schakale beim Aas stets bei einer Krise und öffentlichen Schwierigkeiten auftauchen. Während alle den Gürtel enger schnallen, das Mittag- oder Abendessen ausfallen lassen, um die Geschicke des Vaterlandes zu nähren, singen euch die Börsenberichte von Milliardengewinnen Krupps und Schneiders, der Navigazione Generale, von Terni, Barklay Co. und der Capital & County Bank, die nie zuvor so fruchtbare und glückliche Weingärten besaßen!

Das in Flüssen, in den Schluchten der Alpen, in den flämischen Dünen und auf allen Schlachtfeldern Europas vergossene Blut der Elenden nährt kein anderes Glück als das der Finanz- und Industriepiraten.

Da müsste man wirklich gutgläubig sein!

Der Frieden

Sie schlagen sich dennoch weiterhin!

Es ist erniedrigend; sagen wir es ganz ehrlich, die Wut steigt uns in die Kehle, wenn wir an das enorme Gemetzel der Gladiatoren denken, die – wie ihre Vorfahren im Kolosseum – ohne Grund und ohne Hass, auf Rechnung, für eine Laune oder zur Entspannung der Herrschenden und der Taschendiebe sich mit blinder Wut an allen Grenzen des alten Kontinents abschlachten.

Doch sie bleibt in der Kehle stecken.

Warum sollten sie sich nicht schlagen?

Aus der Liebe zum Leben? Zur Freiheit? Zum Frieden?

Ich werde es mein Leben lang erinnern. Ich erkundete gemeinsam mit einem Genossen, einem alten Bergarbeiter, eines der großen Bergwerke von Illinois. Am Rand des „Platzes“ hielt ich inne, um einen der Tragbalken zu betrachten, der unter dem enormen Druck des Felsens zu zerbersten drohte.

Mir scheint, dass er durchbrechen wird.“

Nicht heute. Der wird sicher noch bis morgen halten.“ „Doch wenn es ihm einfiele, einige Stunden vorher zu brechen, wer wird uns dann ausgraben?“

Oh, was das betrifft, hat man nicht viel Zeit, sich etwas vorzumachen, den ein oder anderen Tag muss es so enden!“, knurrte mein Genosse, während er sich im Dreck streckte, um mit seiner Spitzhacke den Fels auszuhöhlen. Weiter sagte er nichts, doch die Spitzhacke hatte den ununterbrochenen Dialog wieder aufgenommen und hämmerte in mein Gemüt:

Lohnt sie tatsächlich die Mühe, gelebt und bewacht zu werden, diese blinde, eingesperrte und eintönige Existenz, zu der wir verurteilt sind? Dieses Leben, das die Zärtlichkeiten der Liebe nicht kennt, nicht das Fiebern nach Wissen, noch Empfindungen des Stolzes auf die Freiheit, auch nicht die Waffenruhe der Rente und nicht die Versprechungen eines Morgen? Das Leben, das eine Düsternis ist, ein Elend, nur Angst und Leiden, und das der Hakenwurm und die Tuberkulose langsam dahinrafft? Das ein leiser Bergrutsch erstickt oder das das Grubengas mit seinen flammenden Turbinen zerschmettert? Lohnt es sich? Wenn es in unserem Dasein kein freudiges Lächeln gibt, dann ist im Krieg oder auf der Straße zu sterben, zu verbluten oder mit einer Ladung Blei alles eins. Die Strenge und die Verstümmelungen durch Disziplin sind als Zuchthausregime der Fabrik und der Arbeit am erniedrigendsten: wir haben nie erfahren, was Freiheit bedeutet. Die Unannehmlichkeiten, die Prüfungen, die Risiken und die Schrecken des Krieges sind nicht größer noch schlimmer als die des Friedens, die Sorgen der Alten, die Beschränkungen der Jungen nicht bitterer und die Drohungen des Morgens nicht finsterer: Wir haben nie erfahren, was Frieden bedeutet!“

Und sie schlagen sich.

***

Warum sollten sie sich nicht schlagen? Wenn selbst jene, die mehr wissen, die studiert, Erfahrungen gesammelt und in den tausendjährigen Ablagerungen der Geschichte die unheilvolle Wurzel des Übels entdeckt und durch den bleiernen Dunst der unglücklichen Gegenwart die Schimmer einer glücklichen Zukunft ausgemacht haben; wenn selbst diejenigen, die mitten unter den Armen – gegen alle Tyrannei – Verwünschungen und Entrüstung beseitigt haben, die zum Gegenschlag Arme, Herzen und Eifer zusammenschlossen und die mit den prometheischen Revolten Gott, den König und die Herren blendeten28; wenn diese dann das unnachgiebige Programm abstreitend – schamlose Pharisäer29 – mit dem Feind unter einer Decke zu den Fahnen riefen? Wenn selbst diejenigen, die unter den Elenden lebten und ihrer Seele Blut, ihre Geisteskraft, heldenhafte Aufopferung und glühende Leidenschaft jeden Tag gaben, die immer und alles gaben, ohne jemals etwas zu fordern:

Wenn sich selbst diese zur tragischen Stunde, in der es dringend nötig war, gegen die wilde Raserei der Lügen, der Täuschungen, der Abschwörungen und des Verrats einen Damm aus verbündeter Verwegenheit zu errichten, voller Bestürzung, verloren, uneins und feige gebeugt haben, als ein elendes Wrack in den Fängen des unwiderstehlichen und frevelhaften Zyklons?

Nicht vergebens

Sie schlagen sich. Jedes Tal und jede Düne ist eine Fleischbank, eine eingetrocknete Blutlache jeder Hals, ein Knochenberg jeder Gipfel. Doch gingen die zwanzig Monate nicht vergebens vorüber, wenn die Elenden aller Länder Erfahrung gesammelt haben, wenn in all dem Unrat, der massig zwischen den umkämpften Schützengräben gärt, unter ihren aufgerissenen Pupillen die ironische Machtlosigkeit Gottes, der Aberglaube an Erlöser, die Majestät der Halbgötter, alle Ölgötzen der sozialen Ordnung verwesen; wenn das Proletariat diese grauenhafte Probe übersteht mit der verzweifelten Gewissheit, dass man sich nicht zur Rettung der Schutzpatronen und -geister schlug, nicht für Ruhm oder Brot, noch für Kultur oder Freiheit, sondern dass man sich nur schlug, um dem Goldenen Kalb den Tempel und das Glück zu erneuern und um den armseligen Hütten und Nacken der Elenden ein grausameres und habgierigeres Joch der räuberischen Maßlosigkeit aufzuerlegen; wenn im vom letzten Verrat geschundenen Gemüt des Proletariats das Flehen, das aus verlassenen Feldern, zerstörten Städten, knurrenden Mägen und blutenden Herzen emporsteigt und auf den Stirnen der gekrönten und dickbäuchigen Mörder bedrohlich den neuen Sturm der Geschichte zusammenbraut, ein derartiges Echo findet, dass Nikolaus II. von Romanow30, Viktor Emanuel von Savoyen31 und Wilhelm II. von Hohenzollern32 keinen anderen Unterschlupf finden als das Generalquartier, zwischen einer Schar von Bajonetten und Horden von Leibwächtern, während Joffre33, der von seiner eigenen Zähigkeit ausgehend zuversichtlich den letztlichen Sieg der Republikanischen Adler voraussieht, dazu gezwungen ist, euch mit schmalen Lippen und bitteren Worten zu sagen, dass „er nicht weiß, ob das Proletariat in England, Frankreich oder in Italien seinerseits standhalten wird; was aber wesentlich ist.“34

Nicht vergeblich.

Die Erfahrung weicht aus dem Boden, und in diesem Boden blüht das Unkraut der Untätigkeit nur, weil niemand andere Samen streute. Leiden, Angst, Resignation und Untätigkeit treiben zur Verzweiflung nur, weil die Verantwortlichen sich entziehen, man Energien und Kräfte nicht kennt und das Ende nicht abzusehen ist. Doch gebt den Verantwortlichen ein Gesicht, führt euch die eigene Kraft zu Bewusstsein, gebt ein bisschen Licht und ein Ziel, und ihr werdet aus der Verzweiflung Wagemut gemacht haben, aus der Resignation Heldentum, aus der Untätigkeit die Revolte, aus dem Vasallen einen Sansculott, aus den „lettres de cachet“ eine Hand voll Asche35, aus der Bastille einen Haufen aus Ruinen und aus dem Krieg der Taschendiebe die soziale Revolution.

Verantwortlichkeit und Verantwortliche nehmen seit zwanzig Monaten täglich klarere und präzisere Züge an, während die Stärke, die unerschöpflich aus Millionen Herzen bebt, seit zwanzig Monaten sich als unbezwinglich zeigt.

Die Hälfte? Wer wird den aus dem Ruder gelaufenen erobernden Gewalten das Ziel weisen?

Wer wird dem Zyklop ein Auge geben?

Der Krieg und die Revolution

Die Anarchisten, die nicht mitten in das Grauen von Hass und Blut abgedriftet sind und jeden Tag und jedes Ereignis der finsteren Iliasgeschichte36 mit Sorgen verfolgen und erleben, bereiten sich darauf vor, die eigene Revanche zu fordern, sobald der Krieg zu Ende sein wird. Sie fragen sich verzweifelt, in welche der großen Spalten sie als erstes eine Ladung Dynamit stecken, um die ungleiche soziale Ordnung umzustürzen. Viele Genossen, und zwar von den Besten, fragen uns, quasi als jeden Schlenker des Schicksals kennende Wahrsagerinnen, ob dies wirklich die passende Gelegenheit ist und was wir täten. Als ob sie sich von uns mehr als eine spärliche und bescheidene Vorhersage erwarten könnten, die in Wirklichkeit stark einer wohlwollenden Bestandsaufnahme unterworfen ist, einigen Urteilen, die, wenn auch maßvoll, eher vom innigen Wunsch und von der brennenden Erwartung als von unvermeidlichen Unvorhersehbarkeiten verzerrt sind.

Wir glauben aufrichtig, dass dies nun die richtige Gelegenheit ist, dass wir an einem harschen „tournant de l’histoire“37 sind, auch wenn der Krieg zu Ende gehen muss, oder vielmehr – sollte es euch auch als Paradox erscheinen – wir uns nicht vorstellen können, wie der Krieg anders enden könnte.

Wer erwartet, den Epilog aufgrund von Erschöpfung hereinbrechen zu sehen, wird wohl noch ein ganzes Weilchen warten müssen! Denn von der Erschöpfung ausschließlich einer der kriegsführenden Gruppen zum Wohle der anderen kann man nicht ausgehen, sondern man muss sich vernünftigerweise wohl eingestehen, dass sie auf beiden Seiten mit gleichem oder proportionalem Niederschlag eintreten wird. Für den Weg der Erschöpfung müsste die Lösung des Konflikts mehr oder weniger darin bestehen, dass sich das Menschengeschlecht aufbraucht. Ein bisschen zu spät also, wenn man erst nach Kriegsende den Psalm der Revolution anstimmen soll.

Der Aufstand wird der Waffenruhe vorausgehen, er wird gar hereinbrechen, um zu verhindern, dass der Frieden auf den Kriegsruinen wieder die soziale Ordnung errichtet, die die Grauen und die Schande des Krieges hat ausbrechen lassen.

Er muss ihr vorausgehen! Mit den Waffen in der erschöpften Faust muss der Aufstand die erlauchte internationale Schurkenbande, die für eine Handvoll Goldmünzen, für einen Zipfel Land oder für eine Krone auf dem Altar des Molochs das glühendste und reinste Blut der Welt eintauschte, überraschend in den Rücken und in die Nieren treffen. Und fragt nicht nach Sonnenschein, wenn der Moloch als Aufwiegler zu all diesem Verfall über uns hinweg tost.

Kein Seher hat jemals der Geschichte ihren Herzschlag oder ihren Gang vorausbestimmt, und unser Glaube in die soziale Astrologie ist ziemlich schwach, sodass wir sie nie nach den Zeichen und Zahlen der Zukunft befragt haben. Zahlreich schlängeln sie sich unter unseren Augen, schlimm, beharrlich, dringlich oder aufeinandertreffend genauso wie die Gründe, die ein Gesicht haben und auch eine Sprache: sie sprechen für sich. Im Schmelztiegel eines jeden Landes brodeln unter der Schlacke verschiedentlicher Resignation vergiftete Enttäuschungen, angehäufte Empörung und uralter unbefriedeter Hass: im alten Deutschland, das mit jedem Herzschlag und jedem Krumen Brot das beste Heer der Welt ernährt hat, damit es ihm zusammen mit einem leichten Sieg die räumliche Hegemonie in der Welt bereite, das verängstigt, gebrochen, verhasst und von allen Seiten angegriffen die Tage der grausamen Agonie zählt; im alten republikanischen Gallien, das in Abwägung eines entfernten und unsicheren Sieges das Opfer für nicht der Revanche entsprechend hält; im alten England, schlüpfrige Wucherhöhle, dem die gewitzten liberalen und pietistischen Scheinheiligkeiten nur als spärliches Feigenblatt dienen; im alten Vaterland, das den Stolz, sich eher für die fragwürdige Erlösung anderer als der eigenen auszubluten, den von Pellagra38 befallenen Schultern als nicht angemessen empfindet; in Österreich, Russland und in der Türkei, wo die Währung der Grundherren und der Sklaven nicht miteinander vereinbar ist: überall gibt es ein Stück Boden, eine Hütte, ein Magen, eine Dachkammer, ein Kind, eine Liebe oder eine Hoffnung, alles Gründe, die drängen, die hämmern, und dicht aufeinanderfolgen, wenn sie sich in einem dichten Netz von Ängsten, Prüfungen, Qualen, gemeinsamen Verwünschungen, der Nötigkeiten, der Sehnsüchte, Hoffnungen und gemeinsamen Vorhaben verknoten. Wir sagen ganz einfach, dass diese Gründe Konsequenzen zeitigen.

Wir können ohne Tollkühnheit hinzufügen, dass diese Gründe – die über und jenseits des größten Zwists, den die Welt je gesehen hat, hinaus zusammenlaufen – unter vielen verschiedenen und komplexen Folgen eine allgemeine Konsequenz zur Blüte bringen werden. Angenommen, dass in der Geschichte Aufstände von allgemeinem Charakter den Namen Revolution unter der Bedingung annehmen, dass sie nach der Überwindung der unstimmigen Verhältnisse Stärkung und Kompass für einen neuen und besseren Weg mit sich bringen, so lässt sich ebenso sagen, dass wir nicht nur die Aufstände und die Revolution vor der Tür haben, sondern auch die klare und präzise Aufgabe, die diese für die Avantgarden bedeuten.

Die Vesper39

Die Avantgarden wissen aus alter und neuer Erfahrung, dass die Revolution nicht die Kirchen, Sekten oder Parteien machen, sondern – in den meisten Fällen unbewusst – die großen Massen, durch Wut und Not entbrannt, so sehr, dass sie sich normalerweise an der ersten Etappe beruhigen, sobald die Empörung nachlässt und man die Not stillt. Allein ein Eingreifen der Avantgarde kann dafür sorgen, dass die unerbittliche Axt eine gute Bresche schlägt und dass die gotteslästerliche Fackel in jeder Bastille und in jeder Höhle der Lüge und des Privilegs den ausgleichenden Brand entzündet.

Zu Hause und im Schützengraben, unter Kanonenhagel oder unter dem Biss der Armut werden die Zerlumpten aller verwüsteten Länder heute oder morgen des Krieges müde werden: heute oder morgen werden in Deutschland, Frankreich, Russland und Asien wie im letzten Jahrhundert übereilte Koalitionen entstehen und die sofortige Aussöhnung der Habsburger, des Hauses Savoyen, Hohenzollern und Romanows bestimmen, wenn wir es nicht in jedem Land verstehen, die zentrale Macht durch Enthauptung zu zerstreuen und die herrschende Klasse auseinanderzujagen, indem wir ihr die teuersten Geiseln entreißen, d.h. ohne Gnade all diejenigen eliminieren, die für den Lauf des Aufstandes einen Hinterhalt, Zügel oder Schranken darstellen können; wenn wir nicht jedem Aufständischen eine Waffe und ein Brot geben, wenn wir nach dem Zerschneiden der konservativen Seilschaften nicht siegreich die Kommunikation und die Mittel zur revolutionären Organisierung und Mobilisierung sicherstellen; wenn wir uns nicht über die Größe der Aufgabe, die wir zu erledigen haben, bewusst sind, wenn wir nicht eine klare Vision von unserem Ziel haben, wenn wir es nicht verstehen, aus der unermüdlichen Vielfalt an Ressourcen, die uns die ersten wagemutigen Anstürme zu Verfügung stellen, Gewinn zu schlagen; wenn wir es nicht schaffen, den Zweifelnden, Unsicheren und Entmutigten die, wenn auch ungewöhnlichen, Vorteile des neuen Regimes zu garantieren; wenn wir zu den dazugehörigen und erschreckenden Verantwortlichkeiten keinen heldenhaften Mut haben; und vor allem wenn wir nicht an die Gerechtigkeit unserer Sache und an den Triumph unseres Rechtes glauben; wenn wir mit diesem Glauben nicht das Brot und Blut tränken, die Kühnheit und Zähigkeit eines jeden Legionärs der Revolution.

Niemals ist der Moment günstiger!

Nie wieder ist man zur innigen Revolte gegen die fatale Verbindung von Abscheulichkeit, Grausamkeit und Zynismus des Regimes in den Herzen so einig; nie wieder ist die im Schmerz verbündete Internationale untergründig an allen Fronten so präsent, verbündet im Sehnen und Wollen, hoch in den Lüften der Hoffnung. In den Gesetzen wird sie nie wieder so lebendig, so glühend sein wie heute in den Herzen, heute, da ihr eine Gruppe lumpiger Handlanger, die besseres Futter in den Futterkrippen des Feindes fand, den Tod Vorhersagen. Währenddessen erheben sich vom mondbeschienen Horizont unendlich viele rosige Kinderhände, ausgedörrte Gesichter von Alten, beharrte Arme der Titanen, Krämpfe und Schluchzer trauender Mütter, um aus einem Herzen und aus einer Furcht heraus den vernichtenden Krieg und den schmachvollen Frieden zu verfluchen und von Angst und einer Stimme gedrängt rufen sie zur Vesper, zur erwarteten Vesper der Befreiung.

Der Moment kommt nicht wieder!

Zur Vesper, zur Vesper! Zur Vesper, die keinen Frieden gibt und keine Gnade kennt.

(Aus dem Italienischen von Tina Düspohl)


1P.C. Masini: I leaders del movimento anarchico. Bergamo: Minerva Ita-lica, 1980. S.182.

2Die „Rote Woche“ war ein Volksaufstand, der sich zwischen dem 7. und 14. Juni 1914 vor allem in Mittelitalien (Marken, Toskana, Emilia Romagna, etc.) abspielte. Anfang Juni hatten die verschiedenen Kräfte der Linken (Anarchisten, Syndikalisten, Sozialisten und Republikaner) Demonstrationen gegen die „Strafkompanien“ angemeldet, um die Freilassung von Augusto Masetti und Antonio Moroni zu fordern – ersterer war ein Anarchist, letzterer ein revolutionärer Syndikalist. Die antimilitaristische Revolte begann am 7. Juni in Ancona, wo in Villa Rossa am Ende einer Kundgebung, an der Errico Malatesta und andere Verteter der Linken teilnahmen, die Polizei das Feuer eröffnete und drei Demonstranten erschoss. Unverzüglich wurde der Generalstreik ausgerufen, der sich in gewalttätigen Demonstrationen über fast ganz Mittelitalien ausbreitete. An vielen Orten wurden die Ordnungshüter niedergemacht und es konnte nur durch das Einschreiten des Militärs und die Beendigung des von der reformistisch ausgerichteten Confederazione Generale del lavoro durchgeführten Generalstreiks die Ruhe wiederhergestellt und der Protest beendet werden.

3Von den verschiedensten geschichtswissenschaftlichen Texten über die Opposition gegen den Krieg von Seiten der Anarchisten nenne ich der Kürze willen zwei der originellsten und interessantesten: M. Antonioli: Sentinelle perdute. Gli anarchici, la morte, la guerra. Pisa: Biblioteca Franco Serantini, 2009; M. Rossi: Gli ammutinati delle trin-cee. Dalla Guerra di Libia alPrimo conflitto mondiale 1911-1918. Pisa: Biblioteca Franco Serantini, 2014.

4[Zitiert nach: Ham Day: Das Manifest der Sechzehn, in: Andreas W. Hohmann (Hg.): Ehern, tapfer, vergessen. Die unbekannte Internationale. Lieh: Edition AV, 2014. S. 13-53. Hier: S.24; Anm. Philippe Kellermann] Zum „Manifest der Sechzehn“ (in Wirklichkeit war es nur von fünfzehn Anarchisten unterzeichnet worden, was der Verwechslung eines Nachnamens mit einem Ort in Algerien geschuldet ist, Husseindey, in dem der Unterzeichnende Antoine Orfila lebte) und zu dessen Auswirkungen auf die internationale Debatte der Zeit siehe: G. Berti: Quando gli anarchici si diedero battaglia sulla guerra, in: Libertaria. Nummer 1 (1999). S.64-73; A. Rosmer: il movimento operaio durante la Prima guerra mondiale. Da Zimmerwald alla Rivoluzione russa. Mailand: Jaca book, 1977. S.153-159.

5Réponse de Malatesta au „Manifeste des Seize“. Anarchistes de Gouvernement [in Paris 1916 veröffentlichtes klandestines Papier], zitiert nach: Luigi Fabbri: Malatesta l’uomo e il pensiero, Napoli: RL, 1951. S. 169-170. (Eine seltene Originalkopie findet sich in der Biblioteca Franco Serantini in Pisa: http://bfscollezionidigitali.org/index.php/Detail/Object/Show/object_id/3021) [Hier zitiert nach: Errico Malatesta: Anarchisten als Regierungsbefürworter (1916), in: ders.: Anarchistische Interventionen. Münster: Unrast Verlag, 2014. S.117-121. Hier: S.120f.; Anm. Philippe Kellermann]

6Zum Leben und zur Aktivität von Luigi Galleani, siehe: P.C. Masini: La giovinezza di Luigi Galleani, in: Movimento operaio. Nummer 3 (Mai/ Juni 1954). S.445-458; U. Fedeli: Luigi Galleani. Quarant’anni di lotte rivoluzionarie (1891-1931). Cesena: L’Antistato, 1956; M. Nejrotti: Le prime esperienze politiche di Luigi Galleani (1881-1891), in: Anarchici e anarchia nel mondo contemporáneo. Atti del Convegnopmmosso dalla Fondazione Luigi Einaudi (Turin, 5, 6 e 7 dicembre 1969), Turin: Fondazione L. Einaudi, 1971. S.208-216; M. Scavino: Luigi Galleani, in: M. Antonioli u.a. (Hg.): Dizionario biográfico degli anarchici italiani. Pisa: Biblioteca Franco Serantini, 2003-04. Band 1. S.654-657; A. Senta: Luigi Galleani e l’anarchismo antiorganizzatore: relazione presentata alla European Social Science History Conference, Glasgow, 11-14 aprile 2012. [Imola:] Bruno Alpini, 2012. [Auf Deutsch liegt vor: Max Nettlau: Luigi Galleani (1861-1931), in: Die Internationale. Zeitschrift für die revolutionäre Arbeiterbewegung, Gesellschaftskritik und sozialistischen Neuaufbau. Jahrgang 5. Heft 1 (1932). S.l-7; Anm. Philippe Kellermann]

7Luigi Bertoni (1872 – 1947): Anarchist aus Mailand, lebte in der Schweiz, wo er für mehr als vierzig Jahre die Zeitschrift II Resveglio herausgab und dabei eine streitbare Rolle in der Entwicklung der schweizerischen und internationalen libertären Bewegung einnahm. Über die Geschichte der von Bertoni geleiteten Zeitung siehe: F. Biagini: „II Risveglio“ (1900-1922). Storia di un giomale anarchico, dall’attentato di Bresci all’avvento del fascismo. Manduria [etc.]: P. Lacaita, 1991. [Auf Deutsch liegt vor: Gianpiero Bottinelli: Die Stimme der Freiheit. Luigi Bertoni und der Anarchismus in der schweizerischen Arbeiterinnenbewegung. Bern: A propos Verlag, 2014. Anm. Philippe Kellermann]

8Vgl. G. Berti: Quando gli anarchici si diedero battaglia sulla guerra, in: Libertaria. Nummer 1 (1999). S.64-73. Hier: S.66. Es muss desweiteren erwähnt werden, dass ein Großteil der anarchistischen Bewegung Vorbehalte auch gegenüber den Beschlüssen der mit Zimmerwald (1915) und Kienthal (1916) verbundenen internationalistischen sozialistischen Minderheiten in der Schweiz ausdrückte, was dem Fortbestehen der tiefen Enttäuschung über den „Verrat“ der Zweiten Internationalen angesichts des Kriegsausbruches in den libertären Reihen geschuldet war.

9Die Hauptartikel Galleanis gegen den Weltkrieg wurden dann in einem Band gesammelt und von den Anarchisten Nordamerikas herausgegeben. Vgl.: L. Galleani: Contro la Guerra, contro la pace, per la rivoluzione sociale. Newark (New Jersey, USA): Biblioteca de L’Adunata die refrattari, [1929]. Es findet sich auch eine 1983 vom Verlag Centrolibri in Catania veröffentlichte Ausgabe. Die Artikel gegen den Krieg sind ebenfalls versammelt in: L. Galleani: Una battaglia. Rom: Biblioteca de L’Adunata dei rafrattari, 1947.

10Bienno rosso ist eine allgemeiner Begriff zur Bezeichnung der Jahre 1919-1920 in Italien, die von heftigen politischen Aktionen und Streiks gezeichnet waren, an welchen sowohl die Arbeiter der großen Industriezentren als auch die Massen auf dem Land in Mittelitalien beteiligt waren. In jenen Jahren war die Hoffnung der unteren Klassen auf eine soziale Revolution gleich der russischen groß, die dem monarchistischen/liberalen Regime ein Ende setzen würde, das man für den desaströsen Krieg, welcher Todesfälle und Arbeitslosigkeit gebracht hatte, verantwortlich machte.

11In: Cronaca sovversiva (18. März 1916).

12[dtsch.: „Die Wahrheit ist auf dem Vormarsch, und nichts wird sie aufhalten.“ A.d.Ü.]

13Galileo Galilei (1564-1642) war ein italienischer Philosoph, Mathematiker, Physiker und Astronom, den man als Vater der modernen Wissenschaft betrachtet. Als Opfer der Inquisition aufgrund eines Häresieverdachts wurde er gezwungen, den eigenen wissenschaftlichen Theorien abzuschwören, die die Heilige Schrift und die aristotelische Naturphilosophie in Frage stellten. Galilei wurde zusammen mit Giordano Bruno am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Symbol des politischen und kulturellen Kampfes der Bewegungen des freien Denkens gegen die verdunkelnde Macht der römischen Kirche.

14Giordano Bruno (1548-1600), sein wirklicher Name war Filippo Bruno, war als Philosoph, Schriftsteller und dominikanischer Mönch ein Anhänger der Theorien von Kopernikus, der für seine Kritik an der ptolemäischen Astronomie, die auf aristotelischen Ideen beruhte, verhaftet und wegen Häresie durch die katholische Kirche zum Scheiterhaufen verurteilt worden war. Sein Name wurde am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Symbol für den Kampf gegen den Einfluss und die Macht der katholischen Kirche. Die Figur des Philosophen aus Nola durchlief eine Art „säkularer Heiligung“, die mit der Einweihung eines Monuments von Ettore Ferrari auf dem Piazza Campo de‘ Fiori 1889 in Rom begann. Das Aufstellen von Monumenten, besonders zur Regierungszeit Giolittis, bezeugt eine breite Front, die antiklerikale Freimaurer, Republikaner, Sozialisten und Anarchisten vereinte.

15Die Steigung von Golgatha (oder auch Golgota) meint den Anstieg auf die direkt vor den Stadtmauern Jerusalems gelegene Anhöhe, auf die laut den Evangelien Jesus gestiegen ist, um dort gekreuzigt zu werden.

16[dtsch.: „bedingungslos Steuer- und fronpflichtigen Vasallen“; A.d.Ü.]

17The Boston Herald”, 5. September 1915. [Fußnote von Luigi Galleani]

18Unter den Prinzipien von 1789 werden im Allgemeinen das Motto der Französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ und die von der französischen Nationalversammlung im August 1789 verabschiedete „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ verstanden.

191821 breiteten sich in Italien – sei es in Piemont, Sizilien oder Neapel – Volksbewegungen aus, die eine Erneuerung der Verfassung forderten und blutig niedergeschlagen wurden.

20Die Bastille (kompletter Name Bastille Saint-Antoine) war eine Festung in Paris, die auf Wunsch Karl V. von Frankreich zwischen 1367 und 1382 errichtet worden war, um die östlichen Stadtmauern der Stadt zu verstärken und die Porte Saint-Antoine zu verteidigen. Im 18. Jahrhundert war sie in ein Gefängnis mit Folterkammern umgewandelt worden. Während der Französischen Revolution wurde sie am 14. Juli 1789 gestürmt, um die Gefangenen zu befreien und Waffen zu erbeuten. Nach und nach wurde sie völlig zerstört. Heute befindet sich an ihrer Stelle ein gleichnamiger Platz.

21Friedrich von Bernhardi (1849-1930), General und militärischer Schriftsteller. Bekannt für sein Werk Deutschland und der nächste Krieg (1912), in dem er die Unausweichlichkeit eines Krieges aufgrund des Bevölkerungswachstums des deutschen Volkes behauptete. Die Bestimmtheit dieser Überzeugung trug nicht wenig dazu bei, am Vorabend des Ersten Weltkrieges die Kriegspsychose zu preisen. Von seinen übrigen Werken sind noch bekannt: Vom heutigen Kriege (1911), Deutschlands Heldenkampf 1914-1918 (1922), Denkwürdigkeiten (1927).

22Vorwärts, Zeitung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), als Wochenzeitung im Oktober 1876 von Wilhelm Liebknecht gegründet. Auch Friedrich Engels und Karl Marx arbeiteten mit ihm zusammen. 1891 wurde der Vorwärts zur Tageszeitung, 1933 von den Nazi-Behörden unterdrückt.

23 New York Times [Fußnote von Luigi Galleani]

24Compulsory Act ist eine Sammlung von Gesetzen, die von den englischen Behörden zwischen 1870 und 1909 erlassen wurden, um dem Problem der Bauern in Irland zu begegnen.

25Raymond Poincare (1860-1934), französischer Politiker, Präsident der Republik während des Ersten Weltkrieges und dann Premierminister. Am Ende des Krieges verfocht er eine derart harte Bestrafung Deutschlands, um die Sicherheit für Frankreich zu garantieren, dass er den Vertrag von Versailles als für zu mild betrachtete.

26[dtsch.: „die Nase gestrichen voll haben“, A.d.Ü.]

27Berühmte lateinische Redewendung.

28Das Bild der „prometheischen Revolten“ spielt auf Prometheus, eine Figur der griechischen Mythologie, an. In der Geschichte der abendländischen Kultur symbolisiert Prometheus die Rebellion gegen und Herausforderung der Autoritäten und Zwänge.

29Pharisäer waren ursprünglich Anhänger einer religiösen Sekte der antiken jüdischen Welt, die moralische Strenge und religiösen Eifer predigten.

30Nikolaus II. von Romanow (1868-1918) war der letzte Kaiser Russlands.

31Viktor Emanuel von Savoyen (1869-1947) war von 1900-1946 König Italiens. Nachfolger seines Vaters Umberto I., der am 29. Juli 1900 in Monza vom Anarchisten Gaetano Bresci ermordet worden war.

32Wilhelm II. von Hohenzollern (1859-1941) war der dritte und letzte deutsche Kaiser und der letzte König Preußens. Er saß mit beiden Titeln von 1888-1918 auf dem Thron.

33Joseph Jacques Cesaire Joffre (1852-1931) war ein französischer General. In den dem Ersten Weltkrieg vorausgehenden Jahren nahm er sich der Aufgabe an, die Spitzen des Heeres mit den eigenen taktischen Vorstellungen vertraut zu machen, die von den Angriffslehren Ferdinand Fochs geprägt waren, und die Truppen von Anhängern einer Verteidigungsstrategie zu säubern. Joffre glaubte tatsächlich voller Überzeugung an die Überlegenheit des Angriffskrieges, zu jener Zeit die vorherrschende taktische Lehre in Europa. Eine solche Sicht würde im August 1914 im Plan 17 ausformuliert werden, in dem Plan, der verabschiedet worden war, um dem deutschen Angriff mit einem unmittelbaren Gegenangriff im Eisass und in der Loraine entgegenzutreten. Diese Strategie stellte sich als katastrophal heraus, von philosophischen Betrachtungen (was sich als „vitaler Schwung“ des französischen Heeres definierte) mehr geprägt als von pragmatischen Einschätzungen der neuen Technologien und Bedingungen des totalen Krieges wie sie war. Der in diesem Sinne nicht nur von Joffre, sondern von der gesamten europäischen Militärkultur begangene Fehler hatte desaströse Folgen, wie zum Beispiel die Massaker von Mama und Verdun, als auch den Schützengraben- und Zermürbungskrieg. Wegen seines gutmütigen Aussehens und seiner Unerschütterlichkeit in jedweder Situation erhielt er den Spitznamen „Papa Joffre“Luigi und erlangte eine herausragende Beliebtheit bei den Franzosen bis zu der Schlacht von Verdun (1916), die als der „letzte Angriff Richtung Berlin“ präsentiert wurde, sich dann aber als ein ungeheures Massaker ohne irgendein konkretes Ergebnis herausstellte.

34Der General Joffre zu den Vertretern der Eisenbahner, die ihm Siegeswünsche an die Front schicken. [Fußnote von Luigi Galleani]

35In der Geschichte Frankreichs waren die „lettres de cachet“ vom König Frankreichs Unterzeichnete, von einem seiner Minister gegengezeichnete und mit dem königlichen Siegel (cachet) verschlossene Briefe, die direkte Anweisungen des Königs enthielten, oft um schiedsrichterliche Handlungen zu erzwingen oder Urteile, gegen die kein Widerspruch eingelegt werden konnte.

36Die Iliasgeschichte ist ein episches Gedicht in vierundzwanzig Büchern oder Gesängen, das gewöhnlich Homer zugeschrieben wird [und die Schlacht um Troja behandelt; Anm. Philippe Kellermann].

37[dtsch.: „geschichtlicher Wendepunkt“, A.d.Ü.]

38Pellagra ist eine Erkrankung, die durch Mangel an Nikotinsäure, einem Vitamin aus dem B-Komplex, ausgelöst wird. Pellagra tritt auf, wenn die Nahrung hauptsächlich aus Mais oder Sorghumhirse besteht. Die Krankheit trat häufig in Norditalien auf, wo sich die Bevölkerung häufig nur von Polenta aus Hirse oder Mais als Grundnahrungsmittel ernährte.

39Zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert wurde der Bezug auf die Vesper in der politischen Tradition Italiens als eine Anstiftung zur Revolte gegen einen fremden Unterdrücker oder gegen die Unterdrückung im Allgemeinen verstanden. Dies geht zurück auf die „Vespri siciliani“, einen Aufstand Siziliens gegen die Herrschaft der Anjou, der am 31. März 1282, einem Ostermontag, zur Stunde der Abendandacht (Vesper) auf dem Kirchplatz von St. Spirito in Palermo begann und sich mit der Unterstützung Peter III. von Aragon über die gesamte Insel ausbreitete. Er wurde nach einem langen und bitteren Krieg (Krieg der Vesper) 1302 mit dem Frieden von Caltabellotta beendet.

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