Gefunden auf der Seite von Klassenkrieg/Tridni Valka, die Übersetzung ist von uns. Hier ein weiterer Text der sich kritisch mit der sogenannten ‚Rojava Revolution‘ auseinandersetzt, eine Kritik die aber auch auf andere Ereignisse sich übertragen lässt, seien es überhaupt nationale Befreiungsbewegungen im Allgemeinen, die Nationen-Staaten, oder die gegenwärtigen Geschehnisse im Krieg in der Ukraine.
In Rojava: Der Volkskrieg ist kein Klassenkrieg
Der Text „In Rojava: Der Volkskrieg ist kein Klassenkrieg“, den du unten lesen kannst, ist ein Beitrag der „Internationalist Communist Tendency – Internationalistischen Kommunistischen Tendenz“ (ICT) zu einer Debatte, die seit einigen Wochen in bestimmten Kreisen stattfindet, die sich auf den „antikapitalistischen Kampf“ berufen. Der zentrale Punkt dieser Diskussion sind die aktuellen Ereignisse in Westkurdistan, Rojava
Auch wenn wir im Allgemeinen nicht mit dem ideologischen Korpus der ICT übereinstimmen (trotz einiger gemeinsamer programmatischer Positionen und Bezüge), haben wir uns dennoch entschlossen, diesen Text hier zu veröffentlichen und ihn aus der englischen Originalversion ins Tschechische und Französische zu übersetzen, weil wir die darin zum Ausdruck gebrachte Verteidigung internationalistischer Positionen teilen. Der Staat ist nicht nur eine Struktur aus Regierung, Polizei, Armee und Verwaltungsapparat. Der Staat, wie ihn die kommunistische Bewegung versteht, ist ein soziales Verhältnis, die Materialisierung der kapitalistischen Weltordnung, egal ob seine Legitimität auf dem Parlament oder auf Gemeindevollversammlungen beruht. Wenn die PKK und ihre Gefolgsleute von der PYD behaupten, dass sie keinen Staat schaffen wollen, dann nur deshalb, weil sie aufgrund ihrer praktischen und ideologischen Rolle, die sie in Rojava spielen, bereits den Staat repräsentieren. Das ist es, was einige der PKK-Anhänger zu Recht als „Staat ohne Staat“ bezeichnen, d.h. ein Staat, der nicht unbedingt als Nation-Staat territorialisiert ist, aber letztendlich wirklich einen Staat darstellt, in dem Sinne, dass die kapitalistischen sozialen Beziehungen, das Privateigentum, nicht grundlegend in Frage gestellt werden.
Im Gegensatz zu allen Arten von Eurozentristen und anderen Anbetern der Weltaufteilung in „zentrale Länder“ (die die einzigen sind, von denen der Funke der Revolution ausgehen könnte) auf der einen Seite und die „Peripherie“ des Kapitalismus auf der anderen Seite, bezweifeln wir nicht, dass es in Rojava (wie in der gesamten Region des Nahen Ostens) eine proletarische Bewegung gibt, und das ist ein grundlegender Unterschied zu den Positionen der ICT im Allgemeinen), eine Bewegung, die trotz ihrer Schwächen, wenn auch nur teilweise, die auf die Emanzipation der Arbeiterklasse abzielt und in diesem Sinne ein integraler Bestandteil der weltweiten proletarischen Bewegung ist, die auf die Abschaffung des Kapitalismus und die Schaffung einer echten menschlichen Gemeinschaft – des Kommunismus – hinarbeitet. Weder die PKK noch die PYD repräsentieren diese Bewegung, und das trotz ihrer scheinbar pro-sozialistischen Proklamationen und Erklärungen zugunsten dieses modischen Fetischs der direkten Demokratie (durch die sogenannte „politische Wende“ der PKK, die den „demokratischen Konföderalismus“, den „Kommunalismus“ und den „Munizipalismus“ einführen würde, der einer ganzen Reihe von Proudhonianischen Libertären auf der ganzen Welt lieb ist). Und wenn einige Möchtegern-Revolutionäre sie weiterhin kritiklos unterstützen (oder sich sogar eine „kritische Unterstützung“ à la Trotzki zu eigen machen), werden sie zu den Totengräbern dieser zerbrechlichen Bewegung, so wie es mit der Unterstützung der Volksfront in Spanien 1936 geschah.
Die Hauptakteure der sich derzeit entwickelnden internationalen Unterstützungskampagne für Rojava, die als Sprecher von Organisationen wie der PKK oder der PYD und ihrer bewaffneten Gruppen (YPJ und YPG) auftreten, tun nichts anderes, als die bestehende soziale Bewegung mit organisierten und formalen politischen Kräften zu verwechseln, die für sich in Anspruch nehmen, die Vertreter und Anführer der aktuellen Kämpfe zu sein. Die Tatsache, dass marxistisch-leninistische Organisationen (bolschewistische, stalinistische, maoistische, trotzkistische usw.), die historisch gesehen nichts anderes als die kapitalistische Linke waren, deren Aufgabe es war und sein wird, die Kämpfe unserer Klasse zu überwachen und blutig zu unterdrücken, staatsfeindliche Schwesterorganisationen wie die PKK oder die PYD unterstützen, ist ganz normal. Die Tatsache, dass „Anarchistinnen und Anarchisten“, „Libertäre“, „libertäre Kommunistinnen und Kommunisten“ und „kommunistische Anarchistinnen und Anarchisten“, die immer behauptet haben, gegen den Staat, gegen jede Form von Staat zu kämpfen, dasselbe tun und sich an dieser Kampagne beteiligen (auf „kritische“ Weise oder auch nicht), überrascht uns zwar nicht, drängt uns aber dennoch dazu, das Thema anzusprechen und einige Kommentare zu entwickeln.
Erstens ist die Kampagne der „Solidarität mit Rojava“ eine Verzerrung des offensichtlichen Bedarfs an Solidarität mit den Proletariern im Kampf in der ganzen Region, wie überall auf der Welt. Diese Kampagne zur Unterstützung des Kampfes für nationale Befreiung (hier der kurdischen) ist nicht das Vorrecht einer Familie, sondern geht quer durch die beiden großen ideologischen Familien, die im Namen des Proletariats sprechen, und führt sogar zu Spaltungen innerhalb dieser Familien, da sie zwischen den Befürwortern der „kurdischen Frage“ und der „unterdrückten Völker“ auf der einen Seite und denjenigen, die internationalistische Positionen vertreten, auf der anderen Seite hin- und hergerissen sind. In der Tat gibt es sowohl in der „marxistischen“ Ideologiefamilie als auch in der Familie des „ideologischen Anarchismus“ Pros und Contras. Deshalb ist es ganz klar, dass die Grenzen nicht zwischen „Marxisten“ und „Anarchisten“ verlaufen (sowohl in dieser Frage als auch allgemein in der Frage des Krieges und der Aufgaben revolutionärer Militanter), sondern zwischen den Befürwortern der nationalen Befreiung und damit des bourgeoisen Staates und des Kapitalismus (auch wenn diese rot angestrichen sind) auf der einen Seite und den Militanten, die einen echten Internationalismus entwickeln, auf der anderen Seite, kurz gesagt, zwischen den Verteidigern der bourgeoisen Partei für das Proletariat (der Sozialdemokratie unter allen politischen Farben, mit denen sie sich schmücken kann) und den Kämpfern der einzigen „Partei“, die die ganze Menschheit befreit, der Partei des revolutionären Proletariats, der Kommunistischen Weltpartei, „der Partei der Anarchie“ (Karl Marx).
Dann, während fast alle Sektoren des Anarchismus historisch und vehement jede Bezugnahme auf „die Diktatur des Proletariats“ ablehnen, stellen sie fälschlicherweise die reale Diktatur des Werts, die dem Proletariat jahrzehntelang im Namen des Kommunismus in Ländern auferlegt wurde, die sich selbst als „kommunistisch“ proklamierten und von der westlichen bürgerlichen Propaganda als solche bezeichnet wurden, in dieselbe Kategorie, nun sehen wir, wie diese „Anarchistinnen und Anarchisten“ all ihre „Prinzipien“ vergessen und die Fahne der PKK und ihres Staates als „kleineres Übel“ hissen, wie es kürzlich in einer Stellungnahme des Anarkismo-Netzwerks deutlich wurde: „Die Frage nach dem Verhältnis von Anarchistinnen und Anarchisten und Syndikalistinnen und Syndikalisten zu Bewegungen wie der PKK – Bewegungen, die nicht explizit oder sogar durch und durch anarchistisch sind – ist umstritten. Ein erheblicher Teil der anarchistischen Bewegung, insbesondere das große plattformistische und especifistische Netzwerk um Anarkismo.net, hat die PKK unterstützt, wenn auch nicht unkritisch. […] Selbst wenn der demokratische Konföderalismus in Rojava unter den gegenwärtigen Umständen des ISIS-Einmarsches in Kobane von PYD-Elementen intern besiegt wird und sie einen Staat errichten, wäre dieser Staat (nach dem, was wir über die PYD gelesen haben) besser als die anderen Optionen, die real möglich sind, nämlich ISIS, Assad oder die KRG. […] Zusammenfassend können wir mit unserem allgemeinen Ansatz sagen, dass wir den Kampf um Rojava unterstützen: wir unterstützen den Kampf für die nationale Befreiung der Kurden, einschließlich des Existenzrechts der nationalen Befreiungsbewegung […]; unsere Unterstützung bewegt sich auf einer gleitenden Skala, wobei kurdische Anarchistinnen und Anarchisten und Syndikalistinnen und Syndikalisten an der Spitze stehen, gefolgt von der PKK, dann der PYD und wir ziehen die Grenze bei der KRG; in der Praxis arbeiten wir in einer Reihe konkreter Fragen zusammen und bieten (wenn auch nur verbale) Solidarität an, von denen die unmittelbarste der Kampf gegen den ultrarechten Islamischen Staat und die Verteidigung der Revolution in Rojava ist; innerhalb dieser Revolution stellen wir uns auf die Seite des PKK-Modells des demokratischen Konföderalismus gegen den eher etatistischen Ansatz der PYD-Modelle und versuchen dabei stets, unsere Methoden, Ziele und Projekte vorzuschlagen und Einfluss zu gewinnen: wir sind auf der Seite der PKK gegen die KRG, aber wir sind vor allem für die anarchistische Revolution.“ [http://www.anarkismo.net/article/27540/] [unsere Hervorhebung]
Wie wir an diesem Zitat sehen können, hat sich seit mindestens 1936 nichts geändert und der „ideologische Anarchismus“ rechtfertigt nach wie vor ein „kleineres Übel“ (das sich in der Praxis immer als das schlimmere erweist!) und opfert somit die soziale Revolution auf dem Altar der politischen Rentabilität, des Pragmatismus und des Opportunismus oder eines anderen Ausdrucks des bourgeoisen politischen Regenbogens. Während diese „Anarchistinnen und Anarchisten“ (CNT-FAI) gestern in Spanien die Kämpfe unserer Klasse in die Irre führten, verweigerten sie das, was sie „die Diktatur der Anarchie“ nannten (d.h. die Entwicklung elementarer und drastischer Maßnahmen, die der Bourgeoisie aufgezwungen werden sollen, den Kampf gegen das Privateigentum, um die Bedürfnisse der Revolution zu befriedigen), während sie die soziale Bewegung auf die Schienen der republikanischen Legalität lenkten, diese Damen und Herren hatten mit den Kräften der Volksfront, mit den „Sozialisten“ sowie den Stalinisten zu tun, sie traten in bourgeoise Regierungen ein und übernahmen so ihre Rolle bei der staatlichen Repression gegen unsere Klasse. Auch heute gibt es „Anarchistinnen und Anarchisten“, die sich mit denselben politischen Kräften zusammentun, die weder ein proletarisches Programm noch eine revolutionäre Perspektive haben. Sie gehen sogar so weit, ihre militante Unterstützung nicht für einige der revolutionären Ausdrucksformen, die sich mühsam aus dem Sumpf des sozialen Friedens befreien, sondern eher prosaisch für „fortschrittliche Volkskämpfe“ zu beanspruchen (vgl. den bereits zitierten Text von Anarkismo), und das umso leichter, als es schwierig ist, die programmatische und effektive Autonomie unserer Klasse vor Ort in Rojava mit Nachdruck und Gewissheit zu erkennen. Es gibt keinen proletarischen und kommunistischen Ausdruck mit Kraft (zumindest angesichts der wenigen militanten Informationen, die von dort kommen), wie es ihn zum Beispiel bei den Aufständen 1991 im Irak gab, wo bedeutende Ausdrücke des proletarischen Assoziationismus aufgetaucht sind.
Dies sind nur einige Anmerkungen zu dieser wichtigen Debatte, deren Bedeutung über die „kurdische Frage“ und die Unterstützung des „Widerstands in Rojava“ hinausgeht. Es geht auch um die Frage des Krieges sowie um die Frage des Klassenkampfes, des Klassenkrieges und der Behauptung des Proletariats als organisierte Kraft, die die Befriedigung seiner Bedürfnisse erzwingt. Wir möchten diese kleine Einführung abschließen, indem wir einige andere kritische Texte vorschlagen, die uns inspirieren, auch wenn wir starke Vorbehalte gegenüber einigen ihrer Schwächen und Grenzen haben. Die Debatte und Diskussion ist noch lange nicht zu Ende…
– „Rojava: eine anarcho-syndikalistische Perspektive“ von WSA [http://libcom.org/blog/rojava-anarcho-syndicalist-perspective-18102014]
– „Erklärung der Anarchistischen Föderation zu Rojava: Dezember 2014“ [http://libcom.org/news/anarchist-federation-statement-rojava-december-2014-02122014]
– „Rojava: Fantasien und Realitäten“ von Zafer Onat [http://www.servetdusmani.org/rojava-fantasies-and-realities/]
PS: All jenen, die nach diesen nicht sehr populären Kritiken an unserer Solidarität mit den kämpfenden Proletariern und Proletarierinnen im Nahen Osten und überall sonst zweifeln, möchten wir ein Letztes sagen: seit dem Aufkommen des sogenannten „arabischen Frühlings“ haben wir nicht weniger als fünf Texte und/oder Flugblätter veröffentlicht, die sich direkt mit diesem Thema befassen und klare Bekenntnisse zu den Kämpfen gegen Elend und Ausbeutung sind (ohne die verschiedenen Texte anderer Gruppen mitzuzählen, die wir ins Tschechische übersetzt, präsentiert und über unser internationalistisches militantes Netzwerk verbreitet haben). Wir haben nicht nur unsere eigenen Texte in den drei Sprachen unserer Gruppe (Tschechisch, Englisch, Französisch) verfasst, sondern sie wurden auch von verschiedenen militanten Ausdrucksformen auf der ganzen Welt ins Deutsche, Arabische, Spanische, Griechische, Italienische, Portugiesische, Russische, Serbokroatische und Türkische übersetzt und verbreitet…
Klassenkrieg/Tridni Valka # Dezember 2014
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In Rojava: Der Volkskrieg ist kein Klassenkrieg
„Hegel bemerkt irgendwo, dass alle großen welthistorischen Tatsachen und Persönlichkeiten sozusagen zweimal erscheinen. Er vergaß hinzuzufügen: das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce (…)
Die Tradition aller toten Generationen lastet wie ein Alptraum auf den Gehirnen der Lebenden (…)
Die soziale Revolution (…) kann ihre Poesie nicht aus der Vergangenheit, sondern nur aus der Zukunft beziehen. Sie kann nicht bei sich selbst beginnen, bevor sie nicht allen Aberglauben über die Vergangenheit beseitigt hat. Die früheren Revolutionen brauchten die Rückbesinnung auf die vergangene Weltgeschichte, um ihren eigenen Inhalt zu ersticken. Die Revolution (…) muss die Toten ihre Toten begraben lassen, um zu ihrem eigenen Inhalt zu gelangen.“
Spanien im historischen Kontext
David Graebers Artikel „Why is the world ignoring the revolutionary Kurds in Syria – Warum ignoriert die Welt die revolutionären Kurden in Syrien?“ ist in der anarchistischen und liberalen Presse weit verbreitet worden. Darin spricht er von dem „Skandal“, dass die soziale Revolution in Westkurdistan (Rojava) von allen ignoriert wird, einschließlich einer undefinierten „revolutionären Linken“. Er beginnt bewusst subjektiv, indem er erklärt, dass sein Vater 1937 freiwillig für die Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft hat. Er fährt fort
„In weiten Teilen Spaniens kam es daraufhin zu einer echten sozialen Revolution, die dazu führte, dass ganze Städte direkt demokratisch verwaltet wurden, dass die Industrie unter Arbeiterkontrolle stand und dass die Frauen radikale Stärkung (A.d.Ü., die Rede ist von empoverment) erhielten.
Die spanischen Revolutionäre hofften, eine Vision von einer freien Gesellschaft zu schaffen, der die ganze Welt folgen könnte. Stattdessen verkündeten die Weltmächte eine Politik der „Nichteinmischung“ und hielten eine rigorose Blockade gegen die Republik aufrecht, selbst nachdem Hitler und Mussolini, die angeblichen Unterzeichner, begannen, Truppen und Waffen zur Stärkung der faschistischen Seite einzuschleusen. Das Ergebnis war ein jahrelanger Bürgerkrieg, der mit der Niederschlagung der Revolution und einigen der blutigsten Massaker des Jahrhunderts endete.
Ich hätte nie gedacht, dass ich zu meinen Lebzeiten dasselbe noch einmal erleben würde.“
Unser Anthropologie-Professor […] muss eindeutig die Geschichte genauer studieren. Der Militärputsch vom 18. Juli 1936 gegen die Zweite Spanische Republik erfolgte nach Jahren des Klassenkampfes. Die Volksfrontregierung aus Sozialisten und Liberalen wusste nicht, wie sie reagieren sollte, aber die Arbeiter wussten es. Als die liberalen Minister sich weigerten, die Arbeiter zu bewaffnen, stürmten sie die Kasernen des Regimes und bewaffneten sich. Dies löste eine soziale Revolution aus, die in verschiedenen Teilen Spaniens fast so verlief, wie Graeber es beschreibt. Sie berührte jedoch nicht die politische Macht der bourgeoisen Spanischen Republik. Der Staat wurde nicht zerstört. Die führenden Anarchistinnen und Anarchisten der CNT-FAI beschlossen zunächst, die katalanische Regionalregierung des bourgeoisen Luis Companys zu unterstützen, und traten dann, nur fünf Monate später, gemeinsam mit Liberalen und Stalinisten in die Madrider Regierung ein. Sie beschlossen, den Kampf gegen den „Faschismus“ über die soziale Revolution zu stellen. Damit gaben sie jede Agenda der Arbeiterklasse auf und lieferten die Revolution an die Bourgeoisie aus. Es ist die beschämendste Episode in der Geschichte der Anarchisten und Anarchistinnen, und die meisten anarchistischen Historiker und Historikerinnen werden diesem Urteil zustimmen […].
Graeber beruft sich zwar auf die Geschichte, stellt sie aber auf den Kopf. Für ihn war es die Tatsache, dass Hitler und Mussolini Franco bewaffneten, die zur Niederlage der Revolution führte. Dem ist nicht so. Es war die Aufgabe der sozialen Revolution für die militärischen Bedürfnisse des „Antifaschismus“, die die eigentliche Schuld trug. Es war die soziale Revolution vom Juli 1936, die die Masse der Bevölkerung dazu brachte, für sich selbst und eine neue Gesellschaft zu kämpfen. Wir sagen nicht, dass sie angesichts der damaligen Isolation gewonnen hätte, aber sie hätte ein inspirierenderes Vermächtnis für uns heute hinterlassen. Tatsächlich war die Geschichte der spanischen Arbeiterklasse so anders als die des restlichen Europas (die spanische Bourgeoisie trat zum Beispiel nicht in den Ersten Weltkrieg ein), dass die spanischen Arbeiter allein kämpften. Der Rest der europäischen Arbeiterklasse hatte sich noch nicht von der Niederlage der revolutionären Welle erholt, die dem Ersten Weltkrieg ein Ende gesetzt hatte. Diese Niederlage hatte es dem Faschismus bereits ermöglicht, in Italien und Deutschland zu siegen.
Imperialistische Manipulationen
Und dies hatte auch den imperialistischen Kontext bestimmt, in dem der Spanische Bürgerkrieg stattfand. Graeber liegt auch nicht richtig, wenn er sagt, dass alle Großmächte sich zur „Nichteinmischung“ verpflichtet haben. Das war die heuchlerische Politik der herrschenden Klassen Frankreichs und Großbritanniens, die hofften, die Achsenmächte dazu zu bewegen, die UdSSR anzugreifen (damit sie später die Scherben auflesen konnten). Sie zogen Mussolini mit hinein, um die Achsenmächte zu spalten, was jedoch nicht gelang.
Im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs musste auch Stalins UdSSR einen Weg finden, um Verbündete zu gewinnen. Bereits im November 1935 hatte sie den „Antifaschismus“ zu ihrem Slogan gemacht. Und auf dieser Grundlage half sie bei der Bildung der Volksfrontregierungen in Spanien und Frankreich. Die Idee war, die westlichen Demokratien davon zu überzeugen, dass sie dem sowjetischen „Pariastaat“ vertrauen konnten. Tatsächlich bewaffnete die UdSSR die Spanische Republik von Anfang an heimlich (abgesehen von Mexiko, dem einzigen Staat, der dies tat). Und wer die Zeche zahlt, gibt den Ton an. Obwohl die Kommunistische Partei Spaniens (PCE) 1936 nur 6.000 Mitglieder zählte, wurde sie durch die Abtrünnigkeit der sozialistischen Parteijugend unter der Führung von Santiago Carillo sofort vergrößert. Und sie wurde noch größer, weil sie sich genau der sozialen Revolution entgegenstellte, die den Widerstand ausgelöst hatte. Die petite-Bourgeoisie im republikanischen Spanien scharte sich um sie, um sich gegen die Anarchistinnen und Anarchisten zu verteidigen. Und schon bald erschienen kommunistische Minister in Madrid und der Sicherheitsapparat (die SIM) wurde von der PCE übernommen. Stalinistische Handlanger wie Palmiro Togliatti („Genosse Ercoli“) und Ernö Gerö wurden nach Spanien geschickt, um Hexenjagden auf echte Revolutionäre durchzuführen. Diese fanden vor allem nach dem Debakel vom Mai 1937 in Barcelona statt, als die Kämpfe zwischen der CNT und der POUM auf der einen und den Stalinisten auf der anderen Seite ausbrachen. Er endete mit einem Waffenstillstand, aber mit den Stalinisten am Steuer (da der „antifaschistische Kampf“ an erster Stelle stand) und weiteren Massakern an ihren Gegnern auf der republikanischen Seite. In jeder Phase rechtfertigten die Stalinisten ihre Übernahme des Staatsapparats mit der Notwendigkeit, den „Kampf gegen den Faschismus“ effektiver zu gestalten. Alles, was sie taten, war, die Initiative der Massen zu demoralisieren und zu zerstören und den Weg für Francos endgültigen Sieg und weitere Massaker zu ebnen. Graeber hat Recht, dass die Revolution unterdrückt wurde, nicht von Franco, sondern von den „Antifaschisten“, denen er nun nacheifern will.
Das ist es, was so viele Linke – von den Anarchos vom Typ Graeber bis zu den traditionellen marxistischen Linken der Trotzkisten und Stalinisten – nicht begreifen können. Der Antifaschismus war die Ideologie der einen Seite der imperialistischen Gleichung der 1930er Jahre, um die Bevölkerung für den imperialistischen Krieg zu mobilisieren. Das hat funktioniert. Graebers Vater war nicht der einzige, der sich freiwillig für die Internationalen Brigaden meldete. Das tat auch mein Vater, ein Stahlarbeiter, im Jahr 1938. Er war damals ein 16-jähriger Lieferjunge in einer Metzgerei und hatte keine ausgeprägten politischen Ansichten. Er wurde (zum Glück!) wegen seines Alters abgelehnt, aber seine Reaktion war genau das, worauf die Alliierten im Zweiten Weltkrieg zählten, um die Arbeiterklasse für ein weiteres Gemetzel zu mobilisieren, nachdem der „Krieg zur Beendigung aller Kriege“ 1918 beendet worden war. Niemand wollte mehr für „König und Vaterland“ kämpfen, aber viele hielten es für sinnvoll, ihr Leben im Kampf gegen das Böse im Faschismus zu riskieren.
Und wieder einmal wiederholt sich die Geschichte teilweise, erst die Tragödie, dann die Farce. Die Graebers sowie die Stalinisten und Trotzkisten kleiden sich in die Kleider der Vergangenheit, um zur Unterstützung der kurdischen Nationalisten gegen den „faschistischen“ oder „kryptofaschistischen“ Da’esh oder IS in Rojava aufzurufen. Nun sind die Da’esh eine monströse reaktionäre Kraft, die Taten verübt, die Dschingis Khan und den Mongolen würdig sind, aber für oder gegen sie zu kämpfen ist nichts für eine autonome Arbeiterklasse. Wir sollten uns über den imperialistischen Kontext der Ereignisse in Syrien, der Türkei und dem Irak im Klaren sein, bevor wir jemanden auffordern, für die PYD zu kämpfen […]. Die PYD wird von der PKK dominiert, obwohl sie aus diplomatischen Gründen behauptet, dies nicht zu sein (die PKK wird international als „terroristisch“ verurteilt, die PYD hingegen nicht). Die „demokratische“ oder „mutualistische“ Wende der PKK dient vor allem dazu, Unterstützung im Westen zu gewinnen, so wie der „Antifaschismus“ und die „Volksfront“ in den 1930er Jahren für den Sowjetimperialismus funktionierten.
Die Da’esh ist eine Schöpfung genau der imperialistischen Koalition, die sie jetzt bombardiert […]. Ohne die von den USA angeführte Zerschlagung des irakischen Staates nach 2003 gäbe es keinen Raum, in dem der IS arbeiten könnte. Ohne die anfänglichen Waffenlieferungen der sunnitischen Regime in Saudi-Arabien und Katar wäre der IS ein Nichts. Und das kurdische Regime im Nordirak war der größte Nutznießer der US-Politik. Das dortige Regime der Kurdischen Demokratischen Partei von Barzani ist ein enger Verbündeter der USA und der Türkei und exportiert sein Öl über eine kürzlich fertiggestellte neue Pipeline in die Türkei. Der IS hat sich, nachdem er seine eigenen Geldquellen erschlossen hat, von seinen ursprünglichen imperialistischen Herren losgelöst und verfolgt nun seine eigene Agenda. Auch hier gibt es Parallelen zu den 1930er Jahren, aber nicht die, an die unsere Antifaschisten gerne denken. 1939 gab Stalin den „Antifaschismus“ auf und unterzeichnete den Hitler-Stalin-Pakt […] mit genau den Faschisten, gegen die die Arbeiter in Spanien angeblich gestorben waren. Damals wie heute können imperialistische Imperative diktieren, wie die Sache zu heißen hat. Was auch immer Graeber et al. behaupten, der Kampf in Syrien ist heute ein Kampf um die imperialistische Kontrolle über das Land.
Das „soziale Experiment“ von Rojava
Und was in Rojava passiert, ist nicht so wunderbar, wie Graeber sagt. Er gibt lediglich die Propaganda der PYD wieder. Tatsächlich bekommt man den Eindruck (wenn man bedenkt, wie viele Worte er dem Thema widmet), dass er eher von der „Bekehrung“ des stalinistischen Öcalan zu den Ideen des „libertären Kommunalismus“ des verstorbenen Murray Bookchin beeindruckt ist, einer Ideologie, die Graeber am Herzen liegt.
„Die PKK hat erklärt, dass sie nicht einmal mehr die Gründung eines kurdischen Staates anstrebt. Stattdessen hat sie, teilweise inspiriert von der Vision des sozialen Ökologen und Anarchisten Murray Bookchin, die Vision des „libertären Munizipalismus“ übernommen und fordert, dass Kurdinnen und Kurden freie, selbstverwaltete Gemeinschaften gründen, die auf den Prinzipien der direkten Demokratie basieren und sich über nationale Grenzen hinweg zusammenschließen – von denen sie hofft, dass sie mit der Zeit immer bedeutungsloser werden. Auf diese Weise, so schlugen sie vor, könnte der kurdische Kampf zu einem Modell für eine weltweite Bewegung hin zu echter Demokratie, genossenschaftlicher Ökonomie und der allmählichen Auflösung des bürokratischen Nationalstaates werden.“
Oh, wenn das nur wahr wäre! Die PKK hat ihre Strategie überarbeitet, ihre Kämpfer über die türkische Grenze in den Irak zurückgezogen und den Stalinismus abgeschwächt, um sich als „demokratisch“ zu präsentieren. Aber selbst Graeber räumt ein, dass einige „autoritäre Elemente“ geblieben sind, auch wenn er das nicht näher erläutert. Helfen wir ihm auf die Sprünge. Nach eigenen Angaben der PYD gibt es eine Form der Doppelherrschaft mit den berühmten selbstverwalteten Gemeinden und einer parlamentarischen Struktur, die vollständig von der PYD kontrolliert wird. Es gibt keine Überraschungen, wenn man errät, wer wirklich das Sagen hat. Die PYD hat praktisch ein Monopol auf Waffen.1 Sie ist der Staat. Und in jedem Land (Irak, Iran und Syrien) hat die lokale kurdische Bourgeoisie ihre eigene nationale Einheit nach demselben Muster gegründet. Auch wenn diese vom internationalen Imperialismus nicht anerkannt werden, sind sie nur dem Namen nach Staaten. In mancher Hinsicht greifen sie stärker in das Leben der Menschen ein als der Staat in Großbritannien. Wer zum Beispiel über 18 Jahre alt ist, unterliegt der Wehrpflicht.2 Und was den angeblichen Internationalismus der PYD angeht, so hat ihr Anführer Salih Muslim damit gedroht, alle Araber aus den „kurdischen“ Gebieten in Syrien zu vertreiben, obwohl die meisten von ihnen dort geboren wurden.3 Frauen mögen in Kurdistan im Allgemeinen freier sein als in den umliegenden Gebieten, aber das ist alles relativ. Es gibt viele Vorwürfe über eine vergewaltigende/sexistische Kultur in den Peschmerga, und Öcalan selbst scheint dies nicht nur zu dulden, sondern auch persönlich zuzugeben. Nichts davon wird in Graebers viel zu kurzem Bericht über die Wunder von Rojava erwähnt.
Das einzige Wort, das in Graebers Bericht fehlt, ist Klasse. Für ihn ist Rojava eine „Volksbewegung“, so wie es die Occupy-Bewegung war. Der Zweite Weltkrieg wurde auf der Seite der Alliierten als „Volkskrieg“ angepriesen. Aber „das Volk“ ist die Nation. Der Schlachtruf der Kapitalistenklasse war, dass sie die Vertreter „des Volkes“ gegen die feudale Ordnung seien. Aber wir erkennen, dass das Volk eine klassenübergreifende Idee ist. Es schließt Ausbeuter und Ausgebeutete ein. Deshalb stellen wir die Klassenfrage allen Vorstellungen vom Volk oder „der Nation“ entgegen. Der Nationalismus ist der Feind der Arbeiterklasse, die weder Privateigentum besitzt noch jemanden ausbeutet. Wie Marx es ausdrückte: „Arbeiter haben kein Land“. Der Klassenkrieg ist kein „Volkskrieg“.
Wir sind uns darüber im Klaren, dass viele Arbeiter und Arbeiterinnen nach inspirierenden Beispielen für die soziale Organisation suchen müssen. Deshalb blicken wir auf die Pariser Kommune von 1871 oder auf Russland im Jahr 1905. Deshalb blicken wir auch auf Spanien im Sommer 1936 oder Russland im Winter 1917-18. Beide waren nicht perfekt, aber beide zeigten, wozu die Arbeiterklasse in der Lage war. Beide wurden schließlich durch imperialistische Interventionen niedergeschlagen. Aber sie waren auf dem Weg zu echter proletarischer Autonomie viel weiter als das, was uns heute in Rojava oder irgendwo sonst in Kurdistan verkauft wird. Wir sind es gewohnt, dass die kapitalistische Linke (Trotzkisten, Stalinisten, Maoisten) dieses oder jenes „kleinere Übel“ unterstützt oder dieses oder jenes Modell als „real existierenden Sozialismus“ anpreist (Venezuela, Bolivien, Kuba, Vietnam usw. usw.), aber alles, wozu sie uns einlädt, ist, auf die imperialistischen Propagandaspiele unserer Herrscher einzugehen. Eine echte soziale Revolution kann nicht innerhalb eines Landes stattfinden, wie die Geschichte der 1920er und 1930er Jahre zeigt. Wenn wir eine autonome Klassenbewegung wollen, die in der Lage ist, eine Gesellschaft ohne Klassen, Ausbeutung, ohne Staaten und mörderische Kriege zu schaffen, müssen wir dafür kämpfen, wo wir leben und arbeiten. Langfristig müssen wir unsere eigenen klassenweiten Organisationen schaffen […] oder was auch immer für den Kampf angemessen ist, aber wir müssen dies auch zu einem Teil eines bewussten Kampfes gegen den Kapitalismus in all seinen Formen machen. Das bedeutet, dass die Schaffung einer internationalen und internationalistischen politischen Bewegung, die sich gegen alle nationalen Projekte richtet, ein unverzichtbarer Teil dieses Kampfes ist. Diese muss in der Lage sein, das revolutionäre Bewusstsein breiterer Schichten der Arbeiter zu inspirieren und zu vereinen. Das ist nicht so einfach und nicht so erfreulich wie Parolen über dieses oder jenes angebliche Arbeiterparadies, aber es ist der einzige Weg zur Emanzipation der Menschheit. […]
Donnerstag, 30. Oktober 2014
Quelle: http://www.leftcom.org/en/articles/2014-10-30/in-rojava-people’s-war-is-not-class-war
1Selbst die pro-PKK/PYD-freundlichsten Berichte zeigen, dass „die Opposition ihre eigene Armee aufbauen will, aber die PYD es ihr nicht erlaubt“. http://www.anarkismo.net/article/27301.
2Siehe http://aranews.net/2014/07/conscription-law-pyd-calls-syria-kurds-defend-dignity/
3Siehe Kurdish News Weekly Briefing, 3 – 29 November 2013 schrieb:
„Der Anführer der Partei der Demokratischen Union (PYD), Salih Muslim, hat davor gewarnt, dass der zukünftige Krieg der Kurden gegen die Araber geführt wird, die sich mit Hilfe des syrischen Regimes in den kurdischen Gebieten niedergelassen haben. „Eines Tages werden die Araber, die in die kurdischen Gebiete gebracht wurden, vertrieben werden müssen“, sagte Muslim in einem Interview mit Serek TV. Der Anführer der PYD erklärte, dass die Situation in Qamischli und Hasaka besonders brisant sei und dass „wenn es so weitergeht, es einen Krieg zwischen Kurden und Arabern geben wird.“ Qamischli ist die größte kurdische Stadt in Syrien und in Hasakah befindet sich der größte Teil des Ölreichtums des Landes. Die muslimischen Streitkräfte, die sogenannten Volksschutzeinheiten (YPG), kontrollieren seit anderthalb Jahren die kurdischen Gebiete Syriens.“ Dies ist von einer Pro-PKK-Seite: http://peaceinkurdistancampaign.com/2013/11/29/kurdish-news-weekly-briefing-3-29-november-2013/