Jaime Semprun – Der soziale Krieg in Portugal

Wie wir angekündigt hatten, hier der Text von Jaime Semprun der in der Kritik an ihn bei – Vom Situationismus zum Abgrund – erwähnt wird. Viel Spaß.


Jaime Semprun – Der soziale Krieg in Portugal

Aus dem Französischen: Champ Libre, Paris ‚1975 Deutsche Erstausgabe: Hamburg, August 1975 Unveränderte Neuauflage

ALL THIS WORLD IS LIRE A TOWN CALLED LISBOA

Der erste Akt des neuen revolutionären Dramas hat jetzt weltweit begonnen. Keine Macht wird mehr von der Rückständigkeit ihrer besonderen sozio-ökonomischen Bedingungen geschützt: sie muß wählen zwischen der Gefahr, beseitigt zu werden, weil sie mit der Rückständigkeit nicht Schluß macht, und derjenigen, beseitigt zu werden, weil sie mit der Rückständigkeit Schluß macht und dadurch indem sie so auf die Bedingungen moderner Herrschaft stoßt, sogleich ihre derzeitige prekäre Lage kennenlernt. Wenn die moderne Revolution in Portugal eindringt, ist das das jüngste Aufleuchten einer Periode, die selbst nichts als ein einziges, blitzartiges Aufleuchten gewesen ist: das Wiedererscheinen des Proletariats in seiner ganzen geschichtlichen Jugend, das mit sämtlichen lokalen Unterentwicklungen Schluß macht, indem es auf diese Welt den Schatten der Drohung der einzig möglichen Entwicklung der Weltgeschichte wirft: die der internationalen Macht der Arbeiterräte.

Ein Jahr portugiesischer Revolution hat der Welt diese eklatante Wahrheit ins Gesicht geschleudert, die alle bestehenden oder im Entstehen begriffenen Varianten staatlicher Macht gezwungen hat, sich auf sie bezogen zu definieren, und die bereits den Verlauf der Revolution, in Europa zumindest, verändert hat.

Während in Portugal selbst vom Abend des 25. April an, von dem Moment an, wo die Gegensätze – zwischen Bürokraten, Kapitalisten, Technokraten und Militärs, und zwischen ihnen allen und dem Proletariat – erwachten, die Seite an Seite in der faschistischen Nacht geschlafen hatten, die sanfte Revolution, die Revolution allgemeiner Sympathie, der wirklichen, d. h. der hassenswerten Revolution Platz zu machen begann und während die eingebildete Aufhebung der Klassenverhältnisse, die unter dem Hirtenstab der Bewegung der Streitkräfte stehende povo unido, sofort und an Ort und Stelle von den Tatsachen dementiert wurde, kommunizierten überall anderswo die Staaten und sämtliche Parteien mit ihrem journalistischen Lakaienpack in verfrühtem Enthusiasmus, um die fotogene Gefügigkeit eines Volkes zu betrachten, das sich en bloc und mit einer Nelke im Gewehrlauf jeder Führung und jedem Apparat unterwirft. Die Nostalgie der Heiligen Union der Zeit unmittelbar nach dem Krieg erträumte sich da eine Zukunft: so wie es natürlich vor allem die Stalinisten waren, die sich bereits in ihr glaubten. Sie beeilten sich, einen unerwarteten Nachweis für gutes Verhalten geltend zu machen: denn wie sehr dienen sie doch in Italien und: Frankreich der demokratischen Ordnung und wie versöhnlich verhalten sie sich in Spanien zum alten verfaulten Faschismus. Und sogleich genossen sämtliche spanischen politischen Fraktionen, ob sie nun bereits an der Macht sind oder noch antichambrieren, ein schmerzloses Nach-Franco-Regime. Während dieser ganzen Periode, die bis zur Auflösung der ersten Provisorischen Regierung ging, hatte die Macht Spinolas gewiß mehr Autorität in der Weltpresse als in Portugal selbst. Und komischerweise suchte die alte Welt dort einen Grund zur Hoffnung auf ihre politischen Ressourcen, um ihre soziale Krise zu verwalten, während Portugal zur gleichen Zeit mit der weltweiten Krise auf eine Erschöpfung der sozialen Ressourcen stieß, die nötig waren, um eine Krise zu überwinden, die anfangs nur politisch schien.

Doch die Verschwörung des Lärms, dieser erste Ring eines um die portugiesische schreckliche Wirklichkeit, die Tag für Tag schrecklicher und wirklicher wurde, gelegten Sperrgürtels, mußte aufhören, als nach der Julikrise der Sturz Spinolas am 28. September endgültig demonstrierte, wie weit es mit der staatlichen Kohärenz, des »neuen Portugal« her war. Der Pakt vom April war durch das Schweigen des Proletariats besiegelt worden, mußte aber durch dessen tätige Existenz in seine einzelnen Bestandteile zerfallen. Die in den Massen erwachende Vernunft begann das hybride bürgerlich-bürokratische Monster zusammen mit der MFA aufzulösen, die sein Garant war, und die für jeden Protagonisten nur deshalb das Bild der Einheit mit den anderen war, weil sie in Wirklichkeit mit allen uneins war.

Man mußte danach wohl oder übel zugeben, daß die Oase staatlicher Vitalität in einer erschöpften Welt eine Fata Morgana war und daß alles, nur noch schlimmer, weiterging. Denn für den portugiesischen Kapitalismus ist der soziale Frieden zu teuer, und der europäische Kapitalismus kann ebensowenig für ein demokratisches Portugal zahlen, wie er es für Italien schon seit mehreren Jahre tun muß, aber ohne sichtbare Ergebnisse.

Zuerst war es natürlich Spanien, auf das die Revolution, die vor seinen Toren stand, ihren Schatten geworfen hat. Während Soares, sozialistischer Außenminister zynisch erklärte: »Eine Eskalation der Gewalt könnte sehr weit gehen und wäre gefährlich für Portugal wie auch für Spanien. Darüber sind wir uns mit Madrid einig«. (Le Monde vom 24.12.1974), sah der spanische Kapitalismus seine politische Wachablösung in Mißkredit geraten, bevor sie überhaupt recht glaubwürdig gewesen wap eine Wachablösung, die weder eine MFA (Movimento das Forças Armadas – Bewegung der Streitkräfte ) noch gar einen Spinola hatte, sondern lediglich einen unbrauchbaren Juan Carlos und einen ausgedienten Carrillo. Die Nachfolgefrage wurde ein Kampf von Camarillas mit Hilfe von Gesundheitszustandsberichten, wahrend die von Carrillo und Calvo Serer in Paris mit Pomp gegründete »Demokratische Junta«, die die Stalinisten und die oppositionellen Monarchisten versammelte, aber mit nichts dazwischen, da alle anderen bereits als Schattenkabinett einer Schattenregierung in Madrid waren, allein blieb mit ihrer Suche nach Beschäftigung und im September in Lissabon liquidiert wurde. Den Carlisten blieb nichts anderes mehr übrig, als einen spaßigen Ton anzuschlagen und sich für einen »pluralistischen und selbstverwaltenden Sozialismus« auszusprechen: das Nach-Franco-Regime starb vor Franco. Die spanische Revolution dagegen fand sich voll mit ihrer unvollendeten Vergangenheit konfrontiert, um ihre Aufgabe da wieder aufzunehmen, wo sie sie liegen gelassen hatte im Mai 1937 in Barcelona.

In Frankreich und Italien haben die Stalinisten zunächst abgestritten, daß das Haus brennt, und brachten als Beweis den Schlüssel vor, den sie in der Tasche trugen: die »demokratischen« Offiziere. Als die Flammen aber das Land erleuchteten, schrien sie Feuer und zeigten aut die Faschisten, um mit der versengten Decke des Antifaschismus nach ihnen zu schlagen, und damit man nicht sieht, wie sehr sie sich an dem verbrannt hatten, was ihre portugiesischen Kollegen sich gezwungen sahen zu tun: Berlinguer, für den die Sache sicher unangenehmer war als für Marchais, meinte sogar Cunhal desavouieren zu müssen. Der Rest der Linken, der wie stets sehr wohl Stalinisten, aber nicht den Stalinismus will, suchte verzweifelt nach einem Retter aus diesem Durcheinander, setzte bald auf den einen, bald auf den anderen General und war demokratisch bereit, die Rangordnung bis zu den Hauptleuten hinabzusteigen. Das Linksbündnis in Frankreich ist daran jedenfalls zerbrochen, so wie in Italien der »historische Kompromiss«, ohne überhaupt recht existiert zu haben. Der arme Kissinger, der sich zu Metternich verhält wie Raymond Aron zu Tocqueville, hat da die letzte Gelegenheit gefunden, einen kapitalen Bock zu schießen, indem er sich dazu beglückwünschte. Er denkt wahrscheinlich, es, notfalls, mit seinen Marines besser zu machen als Mitterand mit den Stalinisten.

All die anderen, die polit-strategischen Denker der zweiten Garnitur, brachten lediglich ihre Referenzen auf den neuesten Stand, indem sie aus dem journalistischen Vorrat historischer Parallelen, schöpften: nach dem Traum von der Befreiung war es der Alptraum vom Einmarsch in Prag; ein unpassender Vergleich, der das wie die NATO und der Warschauer Pakt zusammengenommen große Detail ausläßt, daß die russische Armee nicht in Lissabon ist; und der verschleiern will, daß hier nicht einige Stalinisten einige »progressive« Komparsen manipulieren, bevor sie sie aus dem Fenster stürzen, sondern daß es die Heilige Allianz der Weltmächte ist, die die Stalinisten als ihre letzte örtliche Verteidigungslinie unterstützen muß und ihnen zu diesem Zweck einige Komparsen beiordnen muß, die einen demokratischen Staat verkörpern.

Was seit September die besessenen Anrufungen der Vergangenheit und das angstvolle Schweigen über die Gegenwart nur schlecht verbergen konnte, das sind Geburt und Fortschritte einer modernen Revolution, ohne Fahne und Ideologie. Jedes vorübergehende blackout in den Nachrichten, das mit der Hoffnung erfüllt war, daß wieder alles so wie vorher würde, ohne daß man über das zu sprechen hätte, was sich verändert hat, wurde von einem neuen Donnerschlag unterbrochen: der 7. Februar enthüllte der Welt, daß die Arbeiter von Lissabon mit der Organisation ihrer Autonomie begonnen hatten, der 11. März, daß die Stalinisten und linken Militärs jetzt in vorderster Front ihre Repression organisierten, alle anderen Karten waren schon verspielt. Das am 25. April zwischen der repressiven Organisation eines modernen Staates und der revolutionären Organisation der autonomen. Massen begonnene Rennen hat im März seine verschlungenen Windungen verlassen, um in die letzte Gerade einzubiegen. Künftig ist allen Weltmächten, und ihren Organen in Portugal, ob Cunhal oder Carvalho oder beiden, klar, daß gewöhnliche Mittel nicht nur unzulänglich sind, unter solchen Umständen schaden sie sogar. Es ist deshalb erforderlich, sich zum absoluten Herrn über den Staat und seine Armee zu machen und beliebig über sie verfügen zu können.

Die portugiesische Revolution hat genau in dem Maße, wie sie mehr mögliche Verbündete als irgendeine andere Revolution der Vergangenheit hat, auch weniger Sympathisanten als irgendeine von jenen: die Sartres sabbern vor den Orden der MFA. Sie kann nur auf sich selbst zählen, um ihre Wahrheit, und ihre Existenz selbst, allen denen mitzuteilen, die sie verteidigen können, vor allem in Spanien. Und an dieser Stelle muß gesagt werden, daß dieses Buch nur dank der Zusammenarbeit portugiesischer Genossen – in Eile, wenn auch deshalb nicht in Hast – geschrieben werden konnte.

Die Ungeheuerlichkeit der gegenwärtigen Aufgabe der portugiesischen Arbeiter ist die der modernen Revolution in allen Ländern, und die Fremdheit dessen, was sich in Portugal abspielt, ist in keiner Weise geographischer, sondern geschichtlicher Natur: die Proletarier, die überall aus derselben Nacht kommen, deren Wächter allein verschieden waren, müssen voll und ganz lernen, was sie selber tun, und alles allein neu erfinden; aber heute können sie es besser als je zuvor, weil sich all die ideologischen Vermittlungen aufgelöst haben, die sich zwischen sie und die Bedeutung ihrer eigenen Aktionen gestellt hatten; und in Portugal müssen sie es, denn ihre ersten Taten haben ihre Feinde bereits so sehr in Schrecken versetzt, daß sie nur durch deren Vernichtung ihre Repressalien verhindern können.

VOM 25. APRIL BIS ZUM 28. SEPTEMBER 1974

»Man kommt nicht immer dadurch zur Revolution, daß die Lage ständig schlimmer wird. Es geschieht sehr häufig, daß ein Volk ohne klagen und als spürte es sie nicht, die bedrückensten Gesetze ertragen hat, sie mit Gewalt abwirft, sobald der Druck nachläßt… Das Übel, das man geduldig als unvermeidlich ertragen hat, wird unerträglich, sobald man auf die Idee kommt, sich seiner zu entledigen. Alles was man darin, als Mißstände beseitigt, scheint jedesmal besser aufzudecken, was von ihnen noch bleibt, und schärft das Gespür für sie: das Übel ist geringer geworden, aber die Empfindlichkeit hat sich erhöht.« Tocqueville, Das Anden Regime und die Revolution

Portugal hat verspätet die modernisierte Entfremdung kennengelernt, um früher ihren Zusammenbruch zu erleben. Die allgemeine Krise, die es derzeitig durchmacht, ist nicht die Folge, sondern der Grund des Sturzes des Faschismus: der nur die erste sichtbare Manifestation war, der falsche Taufname, mit dem sie das Spektakel ausstaffiert hat. Tatsächlich handelt es sich um die Krise, die die kapitalistischen, bürgerlichen und bürokratischen Gesellschaften der ganzen Welt erschüttert, und die hier durch das Zusammentreffen des langen faschistischen Immobilismus mit dem vorweggenommenen Zerfall jeglicher Ersatzpolitik verstärkt wird. Somit zeigen sich in Portugal, konzentriert in der Zeit, alle derzeitigen Dilemmas der besitzenden Klassen der ganzen Welt, die, da sie die Ökonomie weder retten noch von ihr gerettet werden können, sich darüber streiten, wie sie ihr Scheitern verwalten können und wie es, wenn möglich, rentabel für die Verstärkung des Staates gemacht werden kann, indem es als »Energiekrise« oder als »Wirtschaftskrise« ausgegeben wird: es handelt sich deshalb in erster Linie darum, bei solchen Gelegenheiten die Stalinisten richtig zu benutzen. Was ein umsichtiger und etwas offeneren, weil arbeitsloser Staatsmann bemerkte: »Wenn Portugal in den kommenden Monaten und Jahren das Beispiel eines Modells gibt, das Form annimmt und Erfolg hat, wird das als Vorlage für Spanien, Italien und Griechenland gelten. Frankreich selbst wird davon beeinflusst werden« (Mendes-France, zitiert von Le Monde vom 13.3.1975)

Der 25. April war nicht der Anfang der Zerrüttung der portugiesischen Gesellschaft, er fand sie vollendet vor. An diesem Tag entglitt es Caetano, der eingekreist und bereits besiegt war, daß er Spinola den Platz überläßt, »damit die Macht nicht an die Straße fällt«. Er verriet damit das Geheimnis der »demokratischen Revolution«, ihr ursprüngliches Wesen als Reaktion gegen alles, was der Zusammenbruch des salazaristischen Staates ins Wanken gebracht hatte.

Die Macht, die an diesem Tag durch die Straßen ging, durfte dort nicht bleiben. Die Menge, die die politische Polizei in ihren Gebäuden belagerte, um ihr eine sehr schlechte Behandlung zuteil werden zu lassen, hatte sie gezwungen, sich aus ihrer »Neutralität« herauszubegeben, in der sie lediglich auf einen neuen Arbeitgeber wartete, und die Marineinfanteristen, Partei gegen die Polizei zu ergreifen. Die Schwächung des neuen Staates begann noch vor seiner Gründung. Die Arbeiter und Soldaten haben somit von Anfang an die Bedingungen abgelehnt, die Spinola und die rechten Generäle für ihre Zustimmung zum Handstreich der Offiziere gestellt hatten: die Kontinuität des Staates, d.h. seiner Polizei. (In diesem Sinn sollten auch nur die stalinistischen und sozialistischen politischen Gefangenen freigelassen werden). Schließlich mußten die Folterknechte der PIDE vor dem Haß der Massen durch Inhaftierung, gerettet werden.

Jede Epoche findet an ihrem Ende die Wirklichkeit dessen, was lediglich die Einbildung ihres Beginns gewesen war. Wenn der Salazarismus von der Revolution und der Unordnung, die er für immer gebannt zu haben behauptet hatte, umzingelt starb, so entstand die II. portugiesische Republik in der Vorstellung, daß ihre demokratische »Revolution« Ordnung in die Klassenkämpfe bringen und den Bürgerkrieg auf unbestimmte Zeit verhindern würde. Am 25. April 1974 haben sich beide Illusionen in demselben Irrtum getroffen und gekreuzt. Die Geburt der neuen Republik war genauso irreal wie der Tod des alten Regimes, aber enthielt bereits in sich alle Widersprüche, die die Vorboten eines sehr wirklichen Endes sind.

Auf dem Fest der Demokratie, das der 25 April feierte, hatte die neue Macht auch nicht die, ihre Gäste auszuwählen: sie mußte sie alle tolerieren, um selbst von ihnen toleriert zu werden. Das Proletariat von Lissabon gab sich der generösen Trunkenheit der Brüderlichkeit hin, gab ihr jedoch einen praktischeren Inhalt, der bereits über die geschwollenen Phrasen von der »antifaschistischen Einheit« hinausging, indem es mit den Soldaten gegen die Militärhierarchie fraternisierte und damit seine Befreier zu befreien begann. Alle politischen Parteien fanden sich zusammen, um die Proklamation des neuen Staates zu unterschreiben, wobei sie sich gegenseitig als Verbündete akzeptieren unter der kollektiven Garantie der MFA, die es ihnen gestattete, respektvoll auf etwas zu verzichten, was sie niemals gewollt hatten, auf die Waffe der Kritik und auf die Kritik der Waffen. Doch die Verbrüderung in der Straße ging bereits bis zur Kritik der Armee, und die Armee war damals alles, was vom portugiesischen Staat geblieben war.

Die danach beginnende Epoche gründete sich auf die äußerste Misere der Staatsgewalt in Portugal. Der Faschismus war untrennbar geworden von einem ständigen Krieg in den Kolonien. Im Interesse des Volkes und der Kämpfer an der Front lag es, den Krieg zu beenden, im Interesse der Kolonialisten und der Generäle lag es, ihn zu gewinnen. Der Faschismus und seine archaischen politische Institutionen waren in der Metropole von den modernen Bedingungen kapitalistischer Ausbeutung umgeben. Im Interesse der Arbeiter lag die Zerstörung des Kapitalismus, im Interesse der Parteien lag seine Erhaltung durch Modernisierung und Demokratisierung der Institutionen. Gaetanos Regime, das zu allem, und selbst zu überleben unfähig war, richtete sich durch seine Ohnmacht zugrunde und setzte dadurch die Arbeiter dem Geburtsfehler ihrer Bewegung aus: der Tatsache, nicht selbst mit ihm Schluß gemacht zu haben. Die jedoch, die den Arbeitern den ersten Akt ihrer modernen Revolution gestohlen hatten, ersparen ihnen den letzten Akt der alten Epoche. Das Proletariat hat seine Karte zum Betreten der historischen Bühne aus den Händen der Militärs empfangen, die das Schlachtfeld des letzten kolonialen Krieges räumten. Die portugiesische Revolution begann also mit dem, was die oberste Notwendigkeit in allen Ländern ist: mit der Subversion der Armee.

Der ruinöse Krieg, den der salazaristische Staat in Afrika führte, hatte natürlich nicht nur das koloniale Problem ungelöst gelassen, sondern dazu noch alle anderen verschärft. Dieser Krieg schien geeignet, zwei sehr unterschiedliche Gefahren zu bannen, die von den Studenten bzw. den Arbeitslosen ausgingen: die technokratisch-reformistische und die proletarisch-revolutionäre Opposition gegen die Diktatur. Doch diese Widersprüche in die Armee hineinzutragen, mußte dazu führen, sie zu bewaffnen.

Weil der portugiesische Staat sein Schicksal, mit dem Kolonialkrieg verknüpft hatte, hing er von der Armee ab. Weil die Militärhierarchie die Soldaten auf einen Kampf gegen eine Guerilla verpflichten mußte, die besser bewaffnet waren als sie, hing sie von der Weigerung der Basis ab, unter solchen Bedingungen zu kämpfen. Die Offiziere haben sich bei der Basis durchgesetzt als politische Repräsentation, um den Krieg zu beenden, und bei der herrschenden Klasse, unter dem Deckmantel Spi-nolas als soziale Ersatzrepräsentation, um den Frieden zu beginnen.

Die portugiesischen Studenten, die von einer technokratischen Modernisierung angestellt werden wollten, die sie vom Faschismus blockiert sahen, träumten davon, Wie die Studenten anderer Länder, nur mit besseren Gründen, die bürokratische Abkürzung der Revolution nehmen zu können, Wenn die Studenten und arbeitslosen Kader gemeinhin einer bürokratischen (linksradikalen oder stalinistischen) Ideologie in der Hoffnung beitreten, ihren Aufstieg zu beschleunigen, und deshalb von bewaffneten Arbeitern träumen, deren Generalstab sie sein würden, so fanden sie sich in Portugal tatsächlich zu in Soldaten verkleideten Arbeiter- und Bauernoffizieren gemacht. Das ist die erste Absonderlichkeit der portugiesischen Revolution die alle anderen erklärt: der bürokratische Extremismus des Linksradikalismus, der überall entwaffnet war, war hier vom Staat bewaffnet worden. Die Söhne der Bourgeoisie, deren Beförderung zur Führungskraft durch vier Jahre im Blut und Dreck Afrikas unterbrochen war, und die dort diejenigen fanden, die ihrerseits die Armee als einzige Aufstiegsperspektive gewählt hatten, haben sich mit ihnen zur »Bewegung der Streitkräfte« konstituiert, mit dem Ziel, den Kolonialkrieg zu beenden und die portugiesische Wirtschaft zu retten.

Die MFA enthielt somit den originellen Widerspruch, den Staat verwandeln zu wollen und ihn zugleich verteidigen zu müssen, denn ihr Programm konnte nur durch ihn realisiert werden; sich als »revolutionär« zu bezeichnen, weil sie die sozialen Widersprüche legalisiert hat, und im Zentrum der zu ihrer Aufrechterhaltung notwendigen Vermittlung zu bleiben; zu wünschen, daß die Streitkräfte der »Motor« aller Veränderungen sein sollen, ohne sich selbst zu verändern.

Von Anfang an hat die MFA nur die Macht aufgesammelt, die überall zusammenbrach, und in der Folge mußte sie immer wieder die Leere füllen, die an der Spitze der Gesellschaft ständig größer wurde, mit den aufeinanderfolgenden Fehlschlägen der bürgerlichen demokratischen Normalisierung. Diese neue, militärisch dekorierte Version der bürokratischen Macht besitzt zumindest die zweifelhafte Originalität gegen ihren Willen gezwungenermaßen entstanden zu sein. Die Offiziere waren nur halb Linksradikale, weil sie sich bereits innerhalb der Klassenherrschaft befanden: ihre Sierra Maestra war der afrikanische Dschungel gewesen, aber gegen die Guerilleros. Sie waren jedoch in dem Maße Linksradikale, wie alles sie dazu drängte, selber die, neue Klassenherrschaft zu werden.

Doch man stand noch am Anfang. Die Offiziere mußten auf Spinola zurückgreifen, um von der reaktionären Bourgeoisie akzeptiert zu werden, wie diese jene akzeptieren mußte, um Spinola zu haben, in den sie ihre ganzen Hoffnungen setzte. Und alle, die sich einig nur durch ihre Schwäche angesichts der Bedrohung durch das Proletariat waren, wußten, daß sie sich nicht den notwendigen Luxus einer in der Opposition befindlichen kommunistischen Partei leisten konnten. Die Stalinisten nahmen ohne zu zögern das Risiko in Kauf, die Macht mit oder ohne ihre Zugehörigkeit zu verteidigen, denn vor allem ging es darum, daß sie sich konstituieren konnte und daß bei den Massen Zeit gewonnen wurde. So wie Spinola gedrängt wurde, Cunhal in die Regierung aufzunehmen, wurde es Cunhal ein solches Angebot anzunehmen: sie wurden es beide vom selben Feind.

Sozialisten und Kommunisten wurden in die erste Provisorische Regierung als »Repräsentanten der Massen« aufgenommen, aber ihr Mandat und das bisschen Macht, das sie erhalten hatten, kam nicht von den Massen, sondern von Spinola selbst. Viel eher repräsentierten sie Spinola gegenüber den Massen als die Massen gegenüber Spinola, denn sie sahen in seiner Person die einzige Gewähr dafür, daß die Rechte sie tolerieren würde. Als arme Eltern der Macht, aber in der Erwartung des Erbfalls, belagerten sie sie respektvoll, aber griffen nicht an. Sie verteidigten sie vielmehr, denn die Gelegenheit zur politischen Führung, von der sie 48 Jahre lang ausgeschlossen waren, erhielten sie nur weil man ihnen erlaubt hatte, sichtbar zu werden, was sie bereits wesentlich waren: Parteien der Ordnung. Von gegen die Arbeiterkämpfe gerichteten Organisationen auf dem Boden des Staates haben sie sich zur Junta des Heils, der »Junta de Salvacao Nacional«, gewandelt.

Mit der Linken als Verbündetem setzte der neue Staat seine Existenz durch die Toleranz dessen aufs Spiel, was immer schon verboten war und es von neuem sein würde, mit dem einzigen Ziel, seine Zukunft zu sichern, durch die Vorbereitung neuer Antiarbeitergesetze und die Schaffung einer Parteien- und Gewerkschaftsstruktur, die unter dem Zeichen der »Nationalen antifaschistischen Einheit« für Kollaboration der Klassen zu sorgen hätte.

Alle Machte Europas klatschten dieser falschen Jugend der bürokratischen Arbeiterideologie Beifall, dieselben, die zutiefst beunruhigt sind, daß die gewerkschaftlichen Lügen so brüchig geworden sind, daß sie immer durchscheinender und unhaltbarer werden. Aber bereits am 1. Mai in Lissabon, auf der ersten Massendemonstration seit einem halben Jahrhundert, als alle Welt in der Straße und euphorisch einstimmig war, ging ein Arbeiter allein mit dem folgenden Schild, das einzige, an das man sich erinnert: »Achtung Arbeiter: Ihr habt jetzt zu viele Freunde!«

Denn die Tatsachen sind eigensinnig. Der Faschismus hat 48 Jahre lang die Widersprüche und Illusionen über sie eingefroren. 48 Stunden Demokratie reichten, um die Widersprüche reifen und die Illusionen faulen zu lassen. Der alte politische Gegensatz zwischen Faschismus und Antifaschismus verschwand von der Bühne, und die soziale Frage kehrte wieder in ihrer stets neuen praktischen Wahrheit.

Wenn ein halbes Jahrhundert salazaristischer Unterdrückung die Arbeiter glauben lassen konnte, daß sie niemals aufhören würde, so waren sie, als sie die Gelegenheit fanden, sich ihrer zu entledigen, so überrascht, begeistert und ungestüm, daß sie mit einem Schlag ins andere Extrem verfallen sind und daß ihnen die Revolution, die sie keineswegs für möglich hielten, sogar leicht erschien; und allein diese Einstellung reicht bisweilen aus, sie auch tatsächlich leicht zu machen.

In der Euphorie der Befreiung hatten die Arbeiter das Programm der MFA blanko unterschrieben, aber bald wurde klar, daß diese Unterschrift ohne Deckung war. Sie hatten ihren Feinden ein Existenzrecht nur eingeräumt, um selber existieren zu können, und ihren formellen Verzicht auf ihre Klassenautonomie widerlegten sie Tag für Tag in ihrer Praxis. Sie begannen, allein ihre Forderungen durchzusetzen, zeigten dadurch, daß sie ein gutes Gedächtnis haben, und setzten so einen Kampf fort, den sie niemals unterbrochen hatten. Der Staat gewann Zeit, sie überschlugen die Etappen. Während der ersten Streikwelle schloß sich die Mehrheit der Bevölkerung dem städtischen und ländlichen Proletariat an in einer Bewegung von Opposition, Arbeitsniederlegungen und Besetzungen, deren Ausdehnung, und vor allem deren Intensität und deren Form, Ende Mai alles übertraf, was die Bourgeoisie erwartet hatte oder gemeint hatte, verkraften zu können. Und das Beste sollte erst noch kommen.

Zur schnellen Reorganisation und Entwicklung der Produktion und zur Modernisierung der Institutionen brauchte die neue Republik des Kapitals den sozialen Frieden. Um das zu erreichen, hatte sie zunächst auf ihren eigenen Pazifismus gebaut. Im April bemühte sie sich, und gab das als ihr hauptsächliches Verdienst aus, niemandem Angst einzujagen, machte sich vielmehr ständig selber Angst und glaubte, durch ihren Sanftmut, ihr passives Lebens das Recht auf Leben zu gewinnen und die Widerstände zu brechen. Der Faschismus ist tot, alle sind demokratisch und »ein einiges Volk kann nie besiegt werden…« Als aber diese im April proklamierte und an der Lissaboner Front groß angeschlagene Brüderlichkeit der entgegengesetzten Klassen, von denen die eine die andere ausbeutet, im Mai ihren wirklichen, echten, prosaischen Ausdruck im sozialen Krieg fand, mußte sich die Macht mit den Stalinisten an erster Stelle auf das gefährliche Spiel einlassen, die ideologische Dosis zu erhöhen, bei jeder Gelegenheit mit dem Gespenst des Faschismus zu drohen und auf diesen den Massen und dem Staat gemeinsamen Feind zu zeigen, damit die Massen glauben, mit diesem Staat etwas gemeinsam zu haben. Die spanischen Stalinisten hatte hier wenigstens noch, als sie dieselbe Arbeit für die Republik während des Bürgerkrieges taten, mit dem Franco-Regime ein tatsächlich furchtbares Mittel der Erpressung. Das große Unglück für die portugiesischen Stalinisten war, rechts keine Feinde zu haben, die sie vorzeigen konnten, denn die, die sie hatten, hatten sie selber Demokraten genannt.

Da das Proletariat 50 Jahre lang nicht auf der geschichtlichen Bühne erschienen war, hatten die Bürokraten völlig aufgehört zu glauben, daß es jemals wieder auftauchen würde; und ihre Ministerposten hatten sie in der Tat nicht vom ihm erhalten. Da sie es ihren »demokratischen und nationalen« Aufrufen gegenüber gleichgültig sahen, hielten sie es auch für taub, diejenigen, die seinen Zorn am meisten zu fürchten hatten, sprachen in seiner Gegenwart laut von dem bitteren Unrecht, dessen Opfer es alle Zeit gewesen war. Durch die Routine ihrer falschen Sprache war ihnen das folgende komische Missgeschick passiert, daß sie ihre hohle Phraseologie mit einem gegen sie gerichteten Inhalt versehen sahen. Auf die selbstherrliche Verachtung der Bürokraten antwortete die List des Proletariats, versteckt vorzugehen, hinter den Parolen selbst des Staates und der Parteien. Das Saneamento, die Säuberung von den Faschisten, wurde wörtlich genommen zur Abrechnung mit der gesamten herrschenden Klasse, die en bloc hätte sagen können, was dieser Polizist der PIDE erklärte: »Auch wir sind Demokraten. Wir wollten dem 25. April beitreten, aber man hat uns nicht gelassen«. Die Bürokraten konnten ohne Schwierigkeiten die Großkapitalisten und die kompromittierten Politiker schützen, um die sich in der Tat niemand kümmerte, nicht jedoch die zweite Garnitur, die die Arbeiter in den Fabriken und den Gemeindeämtern unter ihrer Kontrolle hatten; aber gerade mit dieser Kaderschicht muß die für den neuen Staat handelnde Bürokratie schnellstens ein Einverständnis erzielen, um die Ausbeutung zu reorganisieren.

So schrieben im September die Arbeiter der LISNAVE, der Lissaboner Werft, in ihrer ersten Mitteilung an die Bevölkerung, daß »durch diesen politischen Kampf der Säuberung sie – die Arbeiterklasse – sich bewußt wird, daß sie nicht nur für das Ende faschistischer Strukturen in der LISNAVE kämpft, sondern auch gegen die gesamte ausbeutende Bourgeoisie«.

Die Epoche erklärte sich emphatisch revolutionär die Arbeiter wurden es ohne Phrasen. Indem sie die momentan von der Zensur befreiten Kommunikationsmittel benutzten, vor allem aber dadurch, daß sie sich an ihren Taten erkannten, wenn sie die Schlacht auf dem Boden der Produktion und des Verkaufs der Waren führten, stießen sie zur praktischen Wurzel der Mysterien der politischen Ökonomie vor. Wenn sie alles in der Organisation der Arbeit unabhängig von ihnen bestehende als Wirtschaftssabotage denunzierten, entdeckten sie die grundlegende Irrationalität der Ökonomie, die jede bürokratische Ordnung nur vergrößern kann. Um jegliche stalinistische Manipulation endgültig auszuschließen, mußten sie noch, wie alle Arbeiter der Welt, die Ökonomie selbst als Sabotage des Lebens erkennen. Aber sie befanden sich auf dem besten Weg dazu.

Ein solcher Prozeß war sehr dazu geeignet, die Stalinisten zu erschrecken. Und er erschreckte sie tatsächlich. Darin liegt das Unglück der bürokratischen Parteien der Epoche begründet: sie können sich nur glaubwürdig machen, wenn sie die Macht der Arbeiter spüren lassen, aber fast immer liegt es in ihrem Interesse, daß diese Macht weniger gespürt, als an sie geglaubt wird. Der Stalinismus muß die Dummheit der Massen fürchten, solange sie konservativ bleiben, und ihre Intelligenz, sobald sie revolutionär werden. Da sie wußten, daß man sie selbst für das verantwortlich machen würde, was ohne ihren Willen geschah, mußten die Stalinisten alles aufgeben, um einen Staat zu verteidigen, der bereit war, sie alle aufzugeben, und sie konnten deshalb nichts anderes tun, als daran mitzuwirken, eine Situation herbeizuführen, die sie unnötig machen würde.

So konnten nach dem 26. Mai die bewußtesten Revolutionäre schreiben: »Im Gegensatz zu den bolschewistischen Bürokraten mit Lenin an der Spitze, die zwecks Aneignung der staatlichen Gewalt Kerenski stürzten, die PGP mit Kerenski und Kornilov im Bunde an die Staatsmacht gekommen. Im Gegensatz zu dem, was als die Stärke des portugiesischen Staates ausgegeben wird, ist die provisorische Regierung genau das Synonym für seine wirkliche Schwäche. Keine besondere Partei kann sich, alle Macht aneignen; jede ist deshalb zu teilen gezwungen. Die getroffenen wirklichen Vereinbarungen bedeuten das sofortige Akzeptieren der Perspektive der bürgerlichen Demokratie hin zur parlamentarischen, in der alle als Verbündete eben diejenigen haben, die es keineswegs sein wollten. Wenn Mario Soares für Spinola. ein guter Verbündeter ist, ist Spinola. weder für Alvaro Cunhal noch für Mario Soares sehr präsentabel. Beide möchten, sich des Verbündeten entledigen, den die Geschichte ihnen gegeben hat, und darum geht die wirkliche Diskussion zwischen ihnen, aber da sic fürchten, einen noch, autoritäreren Spinola akzeptieren zu müssen, müssen sie sofort die Massen entwaffnen.« (Plakatanschlag des Conselho para o desenvolvimento da revolucao social.)

Alle Fraktionen an der Macht, die sich ursprünglich darüber einig waren, das Proletariat zu entwaffnen, um es zu zwingen, für die »Schuld des Faschismus« zu bezahlen, weil sie bemerkt hatten, daß das wenige, was die Arbeiter bekommen hatten, und insbesondere die Art, wie sie es bekommen hatten, schon zuviel war, begannen zu zersplittern, als sie sich gegenseitig und mit Recht beschuldigten, die Lage noch zu erschweren oder zu ihrer Lösung unfähig zu sein.

Doch die zentrale Frage im Lager der Regierungskoalition drehte sich darum, wie die nationalen und ausländischen Kapitalisten dazu gebracht werden könnten, den »Preis der Demokratie« zu bezahlen: die kostspieligen, für die Rationalisierung und Modernisierung des portugiesischen Kapitalismus erforderlichen Reformen. Die einen mußten ihre früheren Kompromisse respektieren, die anderen schützten ihre zukünftige Wählerschaft. Bei dem Versuch, die Geld- und Industriebourgeoisie zu überzeugen, erkannte die neue Macht, daß jene die Situation sowohl innerhalb als auch außerhalb Portugals beherrschte. Da sie sich von Anfang an geweigert hatte, widerstandslos alle politische Macht aufzugeben, um ihre soziale Macht zu erhalten, konnte sie ökonomische Sabotage durch Einschränkung von Kredit und Arbeitsplätzen betreiben. Die Kapitalisten vertrauten dem Versprechen Spinolas, für die Rückkehr des sozialen Friedens eher als die Soldaten zu sorgen und einen großen Teil Afrikas zu behalten. Und der Mindestlolm war auch das Maximum, was die Bourgeoisie in ihrer eigenen Angelegenheit zu gewähren bereit war.

Das Imperium einer »Vielzahl von Rassen und Kontinenten« war der ausufernde und stets brachliegende Lebensraum gewesen, durch, die sich die portugiesische Bourgeoisie in ihrer zeitlosen Gegenwart zu halten vermochte. (Die Tatsache, daß in portugiesisch dasselbe Wort Exploration und Exploitation bedeutet, bezeichnet am besten, wie weit die Bourgeoisie von ihren modernen Aufgaben entfernt ist.) Die »schlechte Seite« ihrer Welt hatte sie immer ignorieren wollen und es auch erfolgreich gekonnt, indem sie durch die Polizei die Unsichtbarkeit des Proletariats organisierte, und indem sie willkürlich mit der Entwicklung der modernen Produktionsbedingungen auch die der generalisierten Umweltverschmutzung bremste. Der Coup vom 25. April, der nicht gegen sie gerichtet war, sondern abseits von ihr geschah, zeigte ihr, was sie schleunigst werden mußte, und Spinola mußte als Brücke dienen, um den Abgrund zu überqueren, der sie von ihren eigenen Notwendigkeiten trennte.

Deshalb beherrschte die Figur Spinolas die rechte Bourgeoisie, die ihre Zukunft nur unter den Zeichen ihrer Vergangenheit akzeptieren konnte; und nur in diesem Punkte stimmte der ewige journalistische Vergleich mit De Gaulle. Wenn Spinola De Gaulle unter sehr viel schwierigeren Bedingungen mimte, konnte er De Gaulle erfolgreich nur in dem Maße sein, wie er derjenige von 1 944, 1958 und von 1968 hätte sein müssen. Schließlich war er aber nur der jämmerliche De Gaulle von 1969, ein politischer Leichnam würdig einer Grabinschrift nach diesem Gedanken Retz: »Jeder, der nur durch Fortune ins Licht der Öffentlichkeit geraten ist, wird nach einiger Zeit fast immer ein lächerlicher Sonderling. Davon führt kein Weg zurück.«

Wenn die rechte Bourgeoisie von dem Bild des Präsidenten-Generals beherrscht wurde, so wurde jener es von dem, was er in der Regierung repräsentierte: die formelle Kontinuität des Staates. Allen schien er seine Person mit der Sache der Ordnung zu identifizieren, in Wahrheit aber identifizierte er die Sache der Ordnung mit seiner Person. Und, wenn er auch zur Verteidigung der Ordnung Gesetze diktierte und Vollmachten verlangte, so war er doch politisch, nur deswegen jemand, weil er in einem bestimmten Moment die Zerstörung dieser Ordnung akzeptiert hatte. Diese widersprüchliche Rolle des Mannes erklärt die Widersprüche seiner Regierung, ihr konfus tastendes Vorgehen, bei dem sie diese oder jene Partei einmal zu schmähen, ein anderes Mal zu gewinnen versuchte, und schließlich alle gleichzeitig gegen sich gebracht hatte. Ein Mangel an praktischer Zuversicht, der in belustigendem Gegensatz zu dem präsidentiellen und kategorischen Stil seiner Reden stand. Als emotionaler Nationalist wollte Spinola um jeden Preis den Frieden in der Metropole, um in den Kolonien zu retten, was noch zu retten war. Ab verstandesmäßiger Nationalist wollte die Linke das Gegenteil.

Man muß jedoch sehen, daß an Spinola nichts außergewöhnlich wag nicht einmal seine Dummheit: seine Inkohärenz war die der staatlichen Gewalt in solch einer Situation. Der Staat, der durch seine widersprüchliche Stellung als Repräsentant der höheren Interessen des portugiesischen Kapitalismus und als Agent der »demikratischen Revolution« in die Ecke der »Neutralität« gedrängt war, mußte die direkten /Auseinandersetzungen zwischen Unternehmern und Arbeitern schlichten und überall eingreifen, um den Status quo zu erhalten Aber ohne Gewerkschaftspolizei und sogar ohne jegliche Polizei wurde der Staat durch diese harte Notwendigkeit gezwungen, sich jedesmal mehr auf die Parteien zu verlassen, die im Namen der Arbeiterklasse sprachen und ihnen, mit der Arbeit der niederen repressiven und der hohen ideologischen Polizei, immer mehr die Wirklichkeit des Staates zu überlassen.

Verleumdungen, Lügen, Provokationen und Spaltungsmanöver der Stalinisten haben sich auf die Arbeiter gestürzt wie einst die Spezialeinheiten der Polizei und Gendarmerie Salazars. Was im Schnellverfahren den portugiesischen Proletariern das beigebracht hat, was ihre Kameraden in entwickelten Ländern in 50 Jahren permanenter Konterrevolution lernen mußten. Was ist ein Staat ohne »bewaffnete Spezialeinheiten«? Portugal hat uns dieses unglückliche Wunder vorgeführt. Die P1DE-DGS mußte aus dem Blickfeld verschwinden, die anderen Polizeikräfte waren unbedeutend, und vor allem bestand die Gefahr daß es ihnen, falls sie zu schnell wieder eingesetzt würden, genauso gehen würde wie der PIDE. Zum Vorsitzenden der Kommission für die »Auflösung« der PIDE hatte Spinola den General Galvao Melo gemacht. Zur Charakterisierung dieses traurigen Schergen, der am 28. September seines Amtes enthoben und am 11. März festgenommen wurde, genügt der Hinweis, daß er auf einer offiziellen Reise in Brasilien den 25. April kalt mit dem militärischen Staatsstreich vom März 1964 gegen Goulart verglich. Zweifellos um dieser sehr eigenwilligen These Nachdruck zu verleihen, hat er von Anfang an alles ihm Mögliche getan, um von der PIDE zu retten, was zu retten war. Die Linksbürokraten, die ganz geheim die zahllosen Akten der einstigen politischen Partei zu sichten hatten, wurden sich ihrerseits rasch darüber einig, sie nicht zu veröffentlichen, vor allen Dingen nicht das wesentliche: das Netz der Informanten, das die Effizienz der PIDE gewährleistet hatte. Einige »Enthüllungen« wurden in den Kämpfen bürokratischer Gangs untereinander benutzt, doch unter der Kontrolle der Stalinisten verwandelte sich die Kommission für die Auflösung der PIDE Schritt für Schritt in eine Kommission für den Aufbau der künftigen politischen Polizei.

Bis dahin mußte man sich für die drängenden Aufgaben der öffentlichen Ordnung der ordentlichen Truppe bedienen, die nach dem 25. April bei den Massen großes Ansehen genoss. Aber dieses zweifelhafte Ansehen gründete sich auf die Verbrüderung, implizierte die Achtung des Dialogs, die freie Diskussion der Probleme. Dadurch, daß die Macht die Armee in alle Konflikte hineinzog, machte sie sie immer unzuverlässiger: es war weniger die Armee, die die Ordnung wiederherstellte, als die Unordnung, die auf die Armee Übergriff. Die Soldaten benutzten ihre Waffen nicht, sie sprachen; aber indem sie sprachen, hörten sie auch zu, und nahmen in sich jedesmal mehr den Geist der Freiheit und der Opposition der Arbeiter auf.

Die portugiesische Arbeiterklasse hatte das Terrain besetzt, das die Demokratie ihr eröffnet hatte, ohne Zeit gehabt zu haben, es zu präparieren, um sie zu kontrollieren: das Terrain des Syndikalismus, aber ohne Gewerkschaften. Die Arbeiter haben sich dadurch von Anfang an die direkte Demokratie gewöhnen und an ihr Geschmack finden können, und wenn an ihren Forderungen zunächst nichts besonders subversiv war, so war es zweifellos bereits die Art, wie sie sie vorbrachten. Als die Gewerkschaften, diese Schulen der Passivität, von oben und unter Übernahme der faschistischen korporativen Strukturen eingesetzt waren, sahen sie sich Arbeitern gegenüber, die sich bei der Organisation ihrer Kämpfe durch Basisversammlungen und die Wahl ihrer Delegierten und ihrer Streikkomitees bereits selbst verändert und erzogen hatten. Die Angst und den Hass, den die Bürokraten angesichts dieser spontanen Bewegung empfanden, kamen bei jenem Stalinisten zum Ausbruch, der später rundweg erklärte, daß die Vollversammlungen hätten vermieden werden müssen, weil dort »die Manipulation wegen der sehr schwachen Politisierung der Basis leicht ist« (Le Monde vom 30./31.3.1975). Derselbe ideologische Autoritarismus, der die freie Diskussion, Manipulation und die Unterwerfung unter die Apparate Politisierung nennt, hatte bereits im März 1937 den spanischen Stalinisten J. Hernandez veranlasst, die »Manie der Sozialisierung und Beschlagnahmen«, die die Massen erfasst hatte, folgendermaßen zu erklären: »Warum sind die Arbeiter diesem Irrtum verfallen? In erste Linie aus Unkenntnis des politischen Moments, den wir erleben, die sie hat glauben lassen, daß wir mitten in einer sozialen Revolution stehen«. Wie man weiß, folgt im allgemeinen auf diese Art von Interpretation wenig später die Beweisführung durch Gewehre: wie in Kronstadt, wie in Barcelona.

Natürlich waren es militante Sozialisten und vor allem Stalinisten, die die Gewerkschaften besetzten, wenn sie sie sich nicht schon unter dem Faschismus gesichert hatten; aber diejenigen, die von ihrer neuen Arbeit nicht angewidert waren, waren erfolgreich nur, indem sie sehr schnell ihre schändliche Rolle bewiesen. Ihre Schwierigkeit, die Bewegung der Streiks oder der Streikdrohungen die alle Fabriken des Landes erfaßt hatte, zu beenden oder das Ausmaß der Schäden zu begrenzen, war für die Macht das erste Anzeichen dafür, daß die neue Ordnung auf Sand gebaut war, und daß es Treibsand war. Nach der ersten Streikwelle im Mai war der Mindestlohn hastig auf 3300,— Escudos (im Untergrund hatte die PCP 6000,— verlangt) festgesetzt worden, um sich Ruhe zu erkaufen.

Die Arbeiter, die zuerst ihre Kraft in der Schwäche ihrer Feinde entdeckt hatten, erfuhren jetzt, durch den Haß und die Verleumdung der Unternehmer und aller Parteien, wie revolutionär sie waren. Die linke bekämpfte jetzt offen, was sie anfangs tolerieren mußte.

Die Zeit der harten Streiks begann, der Besetzungen, unter denen die Produktion ohne Unternehmen, ohne Verwaltung weiterging, der Säuberung der faschistischen, d. h. fast aller Kader, der wilde Verkauf an jedermann und andere Unternehmen, der sprunghaften Zunahme der Streikzeitungen, der Organisation der Verbindung zwischen den Fabriken. Die Wende wurde vom Poststreik (CTT) eingeläutet, bei dem die Stalinisten alle ihre Waffen einsetzten und die Streikenden die ihrigen schmiedeten, indem sie die Wahrheit ihres Kampfes mitteilten. Sie hatten, wie es ein Flugblatt des Moments zum Ausdruck brachte, begriffen, daß der »Preis für die Stellung von Forderungen der >freie< Verzicht auf sie ist«. (19. Juni 1974).

Die Verhärtung der Streiks vom Juni an führte geradewegs zur Regierungskrise vom Juli, aber bedeutete vor allem in der Bewegung der Arbeiter den Beginn einer autonomen Formulierung ihrer Aufgaben, die selbstverständlich lächerlich machen mußte, was von jeher unbedeutend gewesen war: den organisierten Linksradikalismus. Mit nichts hatte er angefangen und landete bald schon im Elend. Die Linksradikalen, die dazu verurteilt waren, stets rechts von den Stalinisten und links von den Arbeitern überholt zu werden, sind dumm geblieben mit ihrer Sichel zwischen dem Hammer und dem Amboß, mit ihrer mit Bitterkeit wiedergekauten bisschen Orthodoxie ohne Verwendungsmöglichkeit und noch dazu ohne Prestige in einer solchen Zeit. Nachdem sie ihr letztes Gestammele bezüglich des gerechten Kampfes der afrikanischen Befreiungsbewegungen von sich gegeben hatten, hätte ihre Perspektive nur sein können, gegenüber den Stalinisten in der Regierung das zu tun, was die Stalinisten tun, wenn sie nicht in der Regierung sind. Aber wurden sie von den Stalinisten bekämpft, so wurden sie von den Arbeitern verachtet. Zu alt in eine zu junge Welt gekommen, sind sie immer nur gefolgt. Und ihre letzte Rückständigkeit besteht darin zu glauben, dass sie zu früh gekommen sind.

Die bürokratische Wirklichkeit, deren unzeitgemäße Illusion vom Linksradikalismus hochgehalten wurde, verkörperte die PCP, die aus der längsten Existenz im Untergrund als die letzte stalinistische Partei hervorgetreten war, die die Ideologie des Bolschewismus aufrechterhält und sich im wesentlichen auf eine Arbeiterbasis stützt. Da sie, wie die wirkliche Begegnung, 50 Jahre in drei Monaten übersprungen hatte, mußte sie auch als erste, in der Stunde des »historischen Kompromisses«, das moderne konterrevolutionäre Gesicht des Stalinismus zeigen. Wenn sie dabei ihre kämpferischsten Aktivisten in der Arbeiterklasse verloren hat, so hat sie dafür bei den Studenten, den Journalisten, den Angestellten und den Offizieren diejenigen gefunden, die ihr in ihrer Rolle als aktiver Ideologe der Aufrechterhaltung der Klassenherrschaft gegen jede besondere Klasse, die beste Unterstützung geben können. Denn es ist nicht mehr der Stalinismus, der sich auflöst, sondern die Gesellschaft, die, indem sie sich auflöst, stalinistisch wird.

Spinola seinerseits war bis zuletzt das Opfer der einzigen Einschüchterungsmethode, mit deren Hilfe die, obgleich minoritäre, reaktionäre Rechte ihre Politik in der Regierung durchsetzte: des Mythos von der kommunistischen Partei, die auf die Machtergreifung hinarbeitet. Die PCP, die in keiner Weise darauf hinarbeitete, hatte sich vielmehr in den Dienst der Macht gestellt, ohne dort jemals ihre Politik durchsetzen zu können. Die Stalinisten wollten bis zum Schluß Spinola retten, aber Spinola hielt es für möglich und notwendig, sich ohne sie zu retten: man darf die Rolle nicht geringschätzen, die die Dummheit in der Geschichte spielt.

Im Juli warf Spinola spektakulär Sozialisten und Kommunisten aus der ersten Provisorischen Regierung, weil er ihnen lautstark vorwarf, ihre Aufgabe der Neutralisierung der Arbeiter schlecht durchgeführt zu haben, während die Linke diskret dem Präsidenten verwarf, den Kompromiß mit den Befreiungsbewegungen schlecht durchgeführt und hinausgezögert zu haben, der notwendig für die internationale Öffnung Portugals und die Neutralisierung der afrikanischen Massen war. Der Kolonialkrieg ging weiter und der soziale Krieg fing gerade erst an.

Die vertriebenen linken Minister, die bisher in gemeinsamer Achtung des Staatsgeheimnisses über die Frage der Kolonien und alles übrige zusammengestanden hatten, mußten jetzt die Initiative ergreifen, nicht so sehr, weil sie die Rechte eliminieren wollten, sondern weil die Rechte sie nicht hatte eliminieren können. Vasco Goncalves, der die Linke der MFA repräsentierte und etwas intelligenter als Spinola war, sah, daß diese schwachen Bürokraten immer noch die besten Verteidiger der derzeitigen Gesellschaft und deshalb unverzichtbar waren. Aber die Unterstützung der Linken durch die MFA sowie die Schwächung Spinolas mit dem Verlust des Ministerpräsidenten Palma Carlos war vor allem mit der Frage der Kolonien verknüpft: die MFA, die der Realität näher war als Spinola mit seinen Plänen, die fünfzig Jahre Föderalismus vor der völligen Unabhängigkeit der Kolonien vorsahen, wußte, daß ein Monat Krieg mehr zum Zerfall der Armee und in der Folge des Staates geführt hätte. Ganze Kompanien mußten bereits festgenommen werden, weil sie sich mit ihren Offizieren an der Spitze weigerten, nach Afrika geschickt zu werden, und jeder Abflug wurde von Protestdemonstrationen auf dem Militärflughafen begleitet. Mit den Befreiungsbewegungen, denen Spinola jede Autorität absprach, außer der, den Kampf einzustellen, war ein Bündnis nicht nur möglich, sondern auch wünschenswert und dringend: denn jene waren selber zu einem Bündnis mit dem portugiesischen Staat gezwungen, um die Revolte der afrikanischen Massen zu unterdrücken und die Streiks, die die Projekte aller bedrohten.

Sie mußten der Welt ihrer Fähigkeit dartun, neue Staaten zu bilden und zu verwalten, indem sie die rebellierenden Massen opferten, um ihnen gegenüber ihre Unabhängigkeit zu erklären, noch bevor sie selber tatsächlich unabhängig geworden waren.

Die MFA konnte deshalb nicht anders, als die Linke zu unterstützen und gegen Palma Carlos zu opponieren, der nach einigen Tagen geheimer Krise am 9. Juli zurücktreten musste und dadurch eine weitere Woche öffentlicher Krise einleitete, deren Ursprung jedoch nicht bekannt wurde. Am 17. wurde Vasco Gonsalves zum Ministerpräsidenten erkannt.

Die zweite Provisorische Regierung wurde als ein Sieg der MFA hingestellt, aber man hütete sich zu sagen, über wen: Spinolas Operation war gescheitert, aber der Modus vivendi und das Stillschweigen über die Divergenzen innerhalb der Regierung wurden beibehalten, wobei der unglückliche Palma Carlos als Sündenbock diente. Wenn auch der Sieg der Linksparteien und der Offiziere der MFA in dieser Regierungskrise das wirkliche Ende des Kolonialkrieges in Mozambique und Guinea bedeutete und Spinola zwang, die Befreiungsbewegungen als Verbündete zu akzeptieren und zwar als »notwendiges Übel« zur Vermeidung des Bürgerkrieges, der in Afrika drohte, so handelte es sich doch auf beiden Seiten um einen defensiven Sieg, d. h. um einen Sieg, den jeder akzeptierte, aber den niemand gewollt hatte.

Die einzige offensive Maßnahme der MFA zu diesem Zeitpunkt war die Schaffung des COPCON (Kontinentales Einsatzkommando), das die praktische Ausführung der gesamten Politik der zweiten Provisorischen Regierung gewährleisten sollte. Das COPCON, das offiziell zum Zweck der Sicherung der inneren Ordnung und zur Koordinierung der Verteidigung gegen einen hypothetischen Angriff von außen gegründet worden war, fand sogleich seinen inneren Feind, indem es die Regierung gegen die Reaktion verteidigte, die MFA gegen die Reaktion in der Regierung und sie alle gegen das Proletariat, den wirklichen äußeren Feind, der vor den Toren des »Portugal novo« stand. Als Sonderkommando, dem die in den verschiedenen Truppeneinheiten für am sichersten gehaltenen Kompanien unterstellt waren, war das COPCON eine autoritäre Maßnahme und das erste Zeichen einer von der MFA ausgehenden Restauration des Staates, aber auch eine Maßnahme, die die Schwäche und Ängstlichkeit einer Autorität demonstrierte, die sich nicht mit aus den Truppen abgezogenen besonders ausgebildeten Spezialeinheiten zur Repression umgeben konnte, weil sie vor allem die Fiktion der »demokratischen Armee« aufrechterhalten mußte. Da nur noch die Armee in Portugal »sicher« war und da in der Armee nur noch das COPCON »sicher« war, war interessant zu sehen, wer sich die Kontrolle über das COPCON sichern würde und mit welchen Ziel. Kommandant des COPCON wurde Otelo Saraiva de Carvalho, ein junger Hauptmann, der sogleich zum Brigadegeneral befördert wurde und gleichzeitig zum Militärgouverneur von Lissabon und der der militärische Organisator des Coups vom 25. April war. Er verheimlichte von Anfang an nicht seine Verachtung für die rechten Generäle, was er in seinen Erklärungen wie in seinen Handlungen herausstrich. Spinola gegenüber verkörperte Carvalho die militärische Alternative der Linken, und sein Stern begann eben in dem Maße zu glänzen, wie der Polizeiautoritarismus der Rechten dem ideologischen Autoritarismus der Linken das Feld räumen mußte.

Das COPCON sorgte einerseits für einen wirklichen operationellen Schutz der MFA in einer Armee, die bereits, wie sich später zeigte, genauso gespalten war wie das übrige Land; andererseits institutionalisierte es die Teilung der repressiven Arbeit, die zur Entschärfung der bedrohlichsten Kämpfe der Arbeiter zur Zeit nur einer Handvoll Militärs und der moralischen Unterstützung der PCP bedurfte. Von Ende August an konnte man die einen wie die anderen in Aktion gegen den Streik der Luftfahrtgesellsellaft TAP stellen. Parallel dazu – am 27. August – gab sich der neue Staat ein Antiarbeitergesetz über den Streik (außerhalb der Periode der Neuverhandlung der Tarifverträge wurde der Streik aus politischen Motiven und aus Solidarität verboten; verboten wurden auch die Besetzungen), das den Unternehmern das Recht zur Aussperrung gab. Zwar wurde am 28. August die Arbeit bei der TAP, unter militärischer Kontrolle, teilweise wieder aufgenommen, in den Tagen darauf jedoch bereitete sich die Agitation aus und zwar dank der autonomen Verbindungen, die jetzt organisiert zu werden begannen. Am 19. September demonstrierten sechstausend Arbeiter der LISNAVE in den Straßen entgegen den Anweisungen der stalinistischen Intersyndikalen und trotz der Präsenz von Truppen des COPCON an den Werfttoren, die ihnen den Ausgang versperren sollten: die Marineinfanteristen und dann auch die Fallschirmjäger zogen sich angesichts der Entschlossenheit der Arbeiter zurück. Die in Lissabon ihre erste Mitteilung der Arbeiter der LISNAVE an die Bevölkerung verteilen, in der sie ihre Solidarität mit allen Streiks bekräftigen sowie ihre Entschlossenheit, alle Antiarbeitergesetze zu bekämpfen.

Die Intersyndikale und die Stalinisten waren desavouiert worden, das COPCON hatte seine Schwäche gezeigt. Eine Polizei, die an die Ideologie eines »geeinten Volkes« glaubt und mit erhobener Faust die Arbeiter grüßt, ist nicht ohne weiteres bereit, die ersten Schüsse auf die Streikenden abzugeben. Da das Repressionsprogramm der Linken offenbar unzureichend war, war die Stunde gekommen, wo die Rechte zeigen konnte, was sie konnte. Und sie glaubte, es besser zu können: die Stalinisten versuchten bis zum Schluß, sie dazu zu bewegen, auf ihre Avancen einzugehen, sie aber blieb hart wie Granit und rechnete mit dem leichten Erfolg ihrer Verschwörung. Die zweite provisorische Regierung ging ihrem Ende entgegen.

Die heftige antikommunistische Rede Spinolas vom 10. September war die Stimme des schlechten Gewissens des Staates, dessen gutes Gewissen die MFA war. Mit weidlicher Unterstützung der legalen Rechten der PPD und der Christdemokraten war sie der Appell des Präsidenten-Generals an die »schweigende Mehrheit«, die für einen Coup im Staate einstehen sollte, auf den praktisch aber nur die »Lumpen-Bourgeoisie« antwortete, die Faschisten und die illegale Rechte, die gerne legal in die Macht eingegriffen hätte. Daß Spinola nach dem Fiasko der lächerlichen Demonstration seiner Anhänger am 10. Juni noch auf seine schlechten Verbündeten der Rechten für die schwierige Aufgabe der Eliminierung seiner schlechten Verbündeten der Linken zählen konnte, läßt sich außer mit dem Kalkül einer Unterstützung an höchster Stelle nur so erklären, daß er, weil er ihr Chef war, ihnen folgen mußte…

Als die extreme Rechte dann zum Angriff überging, mit dem alle gerechnet hatten, kannten die Massen weder die wirklichen Vorgänge noch die Position des Präsidenten-Generals, da die kapitalistischen Informationsmittel und die Parteien ihrer natürlichen Tendenz folgend alles getan hatte, um die Gefahr und die innere Agonie der Regierung der Mehrheit der Bevölkerung zu verheimlichen. Jene sah, gleichgültig angesichts der falschen Alternative künftiger Wahl zwischen der gemäßigten Rechten und der Mäßigung einer eher utopischen. Volksfront, einerseits nur eine Folge von Pronunciamientos (Verkündung) der extremistischen Rechten und andererseits nur eine Häufung von Pronunciamientos der PCP zugunsten der Rechten. Der Chef des COPCON und der Arbeitsminister beeilten sich, sich gegenseitig an Vorsicht übertreffend dem amerikanischen Botschafter und den multinationalen Unternehmen zu versichern, daß ihre Interessen »energisch geschützt« würden; die offizielle Linke unterdrückte alles, was sich außerhalb des Staatsapparates befand, und unterstützte alles, was sich innerhalb befand, und beklagte sich feige und heuchlerisch dabei, bis Spinola selbst sie dementierte, über die »missbräuchliche Benutzung des Namens des Präsidenten der Republik« durch die Faschisten. Die PCP denunzierte, obwohl sie unmittelbar bedroht war, jede »direkte Auseinandersetzung«, die eine Legalität verändern könnte, die in den Augen ihrer Leitartikelschreiber einen »weiten und sicheren Spielraum« ließ.

Die Ehre, die die junge Republik sich nicht selbst gemacht hat, wurde gegen sie allein – von den Arbeitern gerettet: durch offene Herausforderung der Antistreik- und Antiversammlungsgesetze haben sie dem unentschiedenen Teil der Bourgeoisie und der Armee gezeigt, daß diese es mit einem mächtigen Gegner zu tun haben. Die Parteien und Gewerkschaften hätten diese Mutbeweise nur nachzumachen brauchen, um die Situation grundlegend zu verändern, zum Angriff überzugehen und den Generalstreik auszurufen, was alles noch bis zum letzten Tage möglich war: aber das erschien ihnen noch viel gefährlicher als die faschistische Bedrohung. Auch dann noch, als Spinola sich offen kompromittiert hatte, rief die Linke des Staates die Massen dazu auf, den »Marsch des faschistischen Ungeheuers auf Lissabon« aufzuhalten, ohne zu sagen, daß der Kopf bereits in der Stadt war, im Herzen de Regierung.

Die Arbeiterklasse selbst hat diese geheime Krise erst wirklich entdeckt. Erst die Präsenz der Volksmassen in den Straßen in der Nacht vom 27. zum 28. September hat, auch wenn diese im kritischen Moment unbewaffnet und uninformiert waren, publik gemacht, was bis dahin verborgen geblieben war, und danach nacheinander ein Eingreifen der Linken und der MFA erzwungen. Wenn die vergessene Klasse der Geschichte am 25. April hinter der MFA stand, so stand am 28. September die Klasse die die Geschichte nicht vergisst, vor ihr und bewirkte, daß sich die halblinksradikalen Offiziere, die am Anfang lediglich die Umgebung der Generäle bildeten, plötzlich ihrerseits von den Soldaten, Matrosen und Massen eingekreist fanden. Und die letzteren waren nicht mehr dieselben wie am 25. April, sie intervenierten auf andere Weise und mit einem anderen Bewußtsein.

Wenn sich in Portugal bisher alles auf dem Rücken der Arbeiter verändert hatte, begann erstmalig am 28. September alles aufgrund ihrer Stärke, um schließlich zugunsten derer auszugehen, die bloß die Feinde ihrer Feinde waren. Die Entschlossenheit und die Schnelligkeit, mit der die Arbeiter dem Aufruf der Parteien und Gewerkschaften gefolgt waren, zeigten, daß sie etwas anderes verdient hatten: was sie sich nur selbst geben können. Doch die Tatsache, daß sie nicht vor dem Abruf mobil geworden sind, erklärt, warum die Sperren keine Barrikaden waren und warum sie nur außerhalb der Stadt und nach außen gerichtet aufgestellt wurden. Und wenn man an diesen Sperren sehr gut sehen konnte, daß der Lohn des armen Soldaten der entwaffnete Reiche ist, so hat andererseits der anfängliche allgemeine Ungehorsam der Soldaten und Arbeiter gegenüber den Befehlen Spinolas und seiner Generäle nicht den letztlichen Gehorsam gegenüber den Offizieren verhindert, die obwohl Sie »mit der linken Hand grüßten«, dennoch weiterhin die Generäle grüßten.

Die Schreckenstragödie, die alle vom Losschlagen der extremen Rechten erwarteten, reduzierte sich infolge mangelnden Geschicks und mangelnder Vorbereitung der einen wie der anderen auf eine Komödie von Irrtümern, deren einziges sichtbares Ergebnis der Rücktritt Spinolas und seine Kriegs-Abschieds-Erklärung war. Mit ihm schieden aus der Regierung diejenigen aus, die glaubten, daß man, wie während der Restauration, in Portugal noch den Angriff gegen den Schein richten muß, um die Realität zu rechtfertigen und nicht umgekehrt.

VOM 28. SEPTEMBER 1974 BIS ZUM 11. MÄRZ 1975

»… die ursprünglichen politischen Absichten (können) im Laufe des Krieges sehr wechseln und zuletzt ganz andere werden, eben weil sie durch die Erfolge und durch die wahrscheinlichen Ergebnisse mitbestimmt werden.« Clausewitz, Vom Kriege.

Die sechs Monate, die zwischen dem überstürzten Coup vom 28. September und dem späten Putsch vom 11. März 1975 lagen, bedeuten die endgültige Trennung zwischen dem politischen Kampf der verschiedenen Programme zur Entwaffnung der Massen und der der autonomen Bewegung der Massen selbst. Während die antifaschistische Ideologie, die mit ihrem Feind bis zum äußersten verarmt ist, die Oberfläche der Information einnimmt, die immer mehr von den neuen Verwaltern der Macht kontrolliert wird, von der MFA und den Stalinisten, sickert die Revolution tief in das soziale Leben ein. Und dort, wo sie ihre wirklichen Aufgaben entdeckt, muss sie lernen, sie für sich zu formulieren und in ihrer eigenen Sprache.

Die geschichtliche List des Proletariats in der ersten Periode, nämlich der wörtlich genommene und bis zu seinen letzten praktischen Konsequenz für geführte Antifaschismus, nützt ihm nun nichts mehr, wo es seine neuen Feinde kennen und benennen muss, d. h. die Feinde, die es sich selbst geschaffen hat, die massive und mächtige stalinistisch-militärische Konterrevolution, die sich ihm gegenüber erhebt. Im Verlauf dieser Phase schneller Klarstellung macht sich das Fehlen einer organisierten radikalen Strömung grausam bemerkbar, die es versteht, in jedem entscheidenden Moment des Prozesses in einigen Hypothesen und einigen praktischen Zielangaben zusammenzufassen, was in allen Köpfen und bereits auf allen Lippen ist.

Unter seinem höheren Aspekt betrachtet setzt sich der soziale Krieg nicht aus einer Unzahl kleiner Ereignisse, die analog sind zusammen trotz ihrer Verschiedenheit, die sich je nach der Qualität der Methode mehr oder weniger gut beherrschen lässt, sondern aus einer gewissen Anzahl entscheidender einzigartiger Ereignisse von großer Tragweite, die man gesondert angehen muß. Tausend einzelne Beispiele können sehr wohl die repressive Arbeit der Stalinisten aufzeigen, aber sind im Grunde unnütz, weil sie, ebenso wenig wie es das linksradikale oder ultralinke Geschrei kann, nicht erklären, inwiefern sich diese repressive Arbeit von der unterscheidet, die sie immer und überall und seit langem schon geleistet haben. Wenn das, was heute in Portugal geschieht, und die Art, wie es geschieht, die Zukunft der sozialen Revolution in Europa und in der Welt stark beeinflussen kann, dann weil zum erstenmal in einem nicht bürokratischen Land die Rolle der Stalinisten nicht darin besteht, die Niederlage des Proletariats zu organisieren und mit ihm besiegt zu werden (1936 militärisch in Spanien und 1968 politisch, in Frankreich), sondern selbst unmittelbar siegreich über das Proletariat zu sein.

Der Zusammenbruch der Rechten am 28. September hat die Stalinisten und ihre Verbündeten der MFA gezwungen, selber und allein das zu tun, was sie viel lieber mit der Rechten zusammen getan hätten, was diese jedoch ohne sie tun wollte. Tatsächlich waren am 28. September allein die Massen siegreich, aber sie hätten es wirklich wissen müssen, um diesen Sieg ausnutzen zu können. Es hatte keinen Sieg der Linken über die Rechte gegeben, sondern nur einen Rückzug der Macht auf eine neue Verteidigungslinie.

Der 28. September war nur ein weiterer Irrtum der beherrschenden Klasse Portugals; er hat eine Ohnmacht, die bereits im 25. April enthalten war, nicht enthüllt, sondern lediglich bestätigt. Das Finanzkapital, das lange Zeit Portugal vermittels des Salazarismus nur deshalb im Besitz gehalten hatte, um im Besitz der Kolonien bleiben zu können, wusste seit einiger Zeit bereits, dass seine einzige Zukunftsperspektive darin bestand, die Kolonien aufzugeben, um mit der gründlichen Warenkolonialisierung der Metropole zu beginnen. Es hatte jedoch geglaubt, die mit einer solchen Entscheidung verbundenen Konsequenzen und Risiken durch ihre Verwässerung in der Zeit abschwächen zu können; indem es jedoch zwischen zwei Seiten hin und herschwankte, entschied es sich für die schlechteste, d. h. von jeder Seite etwas zu nehmen: Spinola, um die Kolonien zu retten, und die Offiziere mit der Linken, um die Metropole zu retten. Da es nicht zwischen großen Nachteilen zu wählen gewußt hatte, hat es sie alle gehabt: Spinola hat weder die Kolonien noch sich selbst retten können. Die MFA und die Linke haben zwar bis jetzt die Metropole retten können, aber letztlich nicht sie, die Kapitalisten.

Während der Septemberkrise zeigte die rechte Bourgeoisie, daß sie weder entscheiden noch akzeptieren konnte, weder leben noch sterben, weder die neue Republik ertragen, noch sie Umstürzen, weder mit den Stalinisten Zusammenarbeiten noch sich ihrer entledigen konnte. Wer sollte dann die Auflösung all dieser Widersprüche bringen? Der Kalender, der Lauf der Ereignisse. Indem sie auf die Beherrschung der Ereignisse verzichtete, zwang sie sie, gegen sie mit Gewalt zu reagieren, und provozierte dadurch das Entstehen der Macht, an die sie in ihrem Kampf gegen das Proletariat nacheinander alle Attribute ihre Herrschaft abgegeben, hatte, bis diese Macht selbst ihr gegenüber vollständig ohnmächtig in Erscheinung trat. Mit Spinola hatte die Bourgeoisie nur den anachronistischen und wirkungslosen Traum eines »Bonapartismus« besessen, dessen moderne stalinistischmilitärische Wirklichkeit sie jetzt ertragen musste.

Denn wenn die besitzenden Klassen, durchaus gegen ihren Willen, gezwungen waren, alles der MFA als der herrschenden Ersatzklasse mit der Aufgabe, die Wirtschaft zu retten und wieder anzukurbeln, zu überlassen, so mußte andererseits die MFA alles den Stalinisten als den Besitzern der einer solchen Aufgabe entsprechenden Ideologie überlassen. Die Offiziere sind also, ohne Leninisten gewesen zu sein, denn sie hatten nicht die Macht im Namen einer Klasse ergriffen, sondern sie im Namen aller Klassen zusammengerafft, Stalinisten geworden in dem Maße, wie sie die Staatsgewalt gegen alle Klassen verteidigen und verstärken mußten. Der PCP ist dabei über die gewöhnliche Arbeit subalterner Repression hinaus die Rolle des Denkers der neuen Macht zugefallen, indem sie über diese die Illusion erzeugte und verbreitete, an der sie alle anderen teilhaben lassen mußte. Da die PCP sich totalitär die Macht weder aneignen konnte noch wollte, hat sie mit Freude die Gelegenheit ergriffen, der ideologische Tutor dieser Neureichen der Politik zu sein: der Offiziere.

Die zweite Periode der portugiesischen Revolution scheint, nur mit sich deutlicher abzeichnenden Umrissen, denselben Wechselfällen zu folgen, die während der ersten Periode nur angedeutet waren, wie um die Folgerungen daraus zu bestätigen. Die politischen Widersacher spielten erneut ihre Karten aus, aber diesmal in voller Kenntnis des Einsatzes. Wenn in der ersten Periode alle von der Massenbewegung überrascht worden waren und überstürzt den Rückzug antreten mußten, agierten sie jetzt auf der Grundlage des neuen definitiven Gleichgewichts, das sich Ende September durchgesetzt hatte. Während sie sich darüber einig waren, dieses Gleichgewicht zu erhalten, waren sie es aber keineswegs über die Frage, wie der verlorene Bodem zurückgewonnen werden konnte und wie die Krise beizulegen ist, die das Proletariat im Herzen der portugiesischen Gesellschaft verankert hat. Da diese Frage jedoch vor allem von Januar an immer brennender wurde, mußte die neue Koalition ihrerseits zerbrechen zugunsten des bisher geschlossenen repressiven Programms.

Nach dem 28. September, nachdem sich die Lage zu ihren Gunsten geklärt hatte, bekannte die Linke, deren Feigheit der gewagten Verschwörung Spinolas und der Rechten ihre einzigen Erfolgsaussichten verliehen hatte, plötzlich, was sie immer schon gewußt hatte: daß die »faschistische Gefahr« in der Koalition liegt. Überglücklich, daß Spinola und die am wenigsten präsentable Rechte die einzigen Verlierer waren, nahm sie den Sieg an, den ihr die Massen brachten, um sich mit der am meisten realistischen Rechten verständigen zu können. Erst wirklich zu ihrem Sieg machte sie ihn mit dem »Arbeitssonntag« am 6. Oktober, eine veritable Ausschreibung loyaler Geschäftsführer an die Adresse der nationalen und ausländischen Kapitalisten.

Während dieser Periode, in der alles wie ein bürokratisch kontrollierter 25. April zu beginnen schien, verschwanden Spinola und die extreme Rechte, weil sie ungeschickt gegen das Gespenst einer Revolution angegangen waren, die sie nicht begriffen, während sich die Linke an der Macht in der sehr zweifelhaften Illusion zusammenfand, daß diese Revolution, die sie nur zu gut begriffen, kanalisiert werden könnte. Die Wahrheit hat von diesen beiden Irrtümern profitiert, um ihren Weg ohne Umkehr inmitten der Massen fortzusetzen. »Die Wahrheit ist wie Öl«, konnte man an den Mauern der besetzten Fabriken lesen, und in der Tat gelangte sie trotz aller Ablenkungsmanöver immer wieder an die Oberfläche: es handelte sich nämlich durchaus um eine moderne Revolution, deren wirklicher Inhalt weit über das tragikomische Alarmgeschrei der Rechten wie auch über die demokratischen Beschwichtigungen der Linken hinausging.

Der 28. September hatte den Soldaten und Arbeitern gezeigt, daß sich alle, Spinola wie die MFA, die linken wie die rechten Parteien, darin einig waren, sie zu belügen und ihnen bis zum Schluß die wahre Situation zu verheimlichen. Und während sich die Stalinisten dabei aufhielten, Spinola als Verräter zu bezeichnen, begannen die Arbeiter nur noch mit sich selbst zu rechnen: man wird nur verraten, wenn man vertraut. Deshalb hatte noch in derselben Nacht Cunhal, als er die Räumung der Straßensperren erbat, nicht mehr Erfolg als Spinola, der sie über das Radio befahl.

Die Lügen, die noch am Tag zuvor im Umlauf waren, wurden jetzt von den Tatsachen hart dementiert: die Stalinisten mußten selber die durch den Putschversuch kompromittierten Kader entfernen, nachdem sie sie durch Verleumdung und Repression gegen die Streikenden verteidigt hatten, die ihre Säuberungen wollten. Bevor sie für sich selbst lügen mußten, hatten die Bürokraten ihre Lügen und ihren Kredit bereits für Spinola benutzt. Also war das erste Ziel, das sich in einem Land, in dem die Lüge ein halbes Jahrhundert lang staatliches Monopol gewesen ist, die revolutionäre Bewegung der portugiesischen Arbeiter und Soldaten noch lange vor der zusammenhängenden Formulierung ihrer Aufgaben und noch vor der Zusammenarbeit zwischen den demokratischen in den Fabriken und in den Straßen, hat sich der Dialog durchgesetzt als die Waffe, die die Anwendungsweise aller anderen enthält.

Spinola und seine Bande waren weg, aber die ganz unmittelbar unterdrückende Wirklichkeit blieb vorhanden und schien nicht zurücktreten zu wollen. Die ungeheuren konkreten Probleme, die sich stellten, konnten nicht auf die Wahnideen der Ökonomisten warten und auch nicht auf den guten Willen der Kapitalisten, der ganz von den noch weit entfernten Wahlen abhing. Damit die Gesellschaft arbeitete mußten die Stalinisten und die MFA die Machtlücke in Politik und Wirtschaft schließen, die die Säuberung, der Zusammenbruch der Rechten und das vorsichtige Abwarten der Gesamtheit der Bourgeoisie gelassen hatte. Da dieser Prozeß jedoch das Produkt der autonomen Entwicklung der Massen war, nahmen diese, wahrend die Bürokraten die Spitze der Gesellschaft besetzten, ihre Basis ein und begannen sich den Boden ihrer Revolution anzueignen. Wenn sie es auf dem Boden der Politik lediglich mit den Feinden ihrer falschen Freunde zu tun hatten, so hatten sie auf ihrem eigenen sozialen Boden alle ihre Feinde zu bekämpfen, denn auf diesem Boden sind alle ihre Feinde, einzeln oder zusammen.

Die portugiesische Revolution bringt zu Recht alle Mächtigen und alle Weltmächte zur Verzweiflung, denn sie zeigt offenkundig, daß die Arbeiter zur Subversion dieser gesellschaftlichen Organisation nicht durch eine vorübergehende Begeisterung für extremistische Parolen getrieben werden, sondern vielmehr durch die dauerhafte Ohnmacht all dessen, was unabhängig von ihnen besteht, die ihnen die Gelegenheit und das Bedürfnis gibt, die materielle Organisation ihres Lebens selber in die Hände zu nehmen. Man braucht nicht die Hunderte von »LIP«1. Aufzuzählen, die seit Monaten das konkrete Leben, von Tausenden und Abertausenden von Arbeitern sind. Es soll hier genügen, darauf hinzuweisen, daß ein großer Teil Portugals dank der Fähigkeit zur Selbstorganisation der Arbeiter lebt und nur dank derjenigen der Soldaten überlebt. Und wenn ein Land nicht mehr gegen die Arbeiter regiert werden kann, kann es bald nur noch von ihnen regiert werden, oder in ihrem Namen. Aber dafür, daß die Repräsentation an die Stelle der Klasse tritt, bedarf es, bei der Geschwindigkeit, mit der sich die Dinge entwickeln, oder vielmehr das, was sie zum Tanzen zwingt, der offenen Repression.

Die Klasse, die in sich die revolutionären Interessen der Gesellschaft konzentriert, findet unmittelbar in ihrer eigenen Lage den Inhalt und die Materie ihrer revolutionären Aktivität: die Bekämpfung ihrer Feinde, die von den Erfordernissen des Kampfes bestimmten Entscheidungen; und die Konsequenzen aus ihren Handlungen drängen sie dazu, weiter zu gehen. Sie unternimmt keinerlei theoretische Untersuchung ihres eigenen Zwecks. Das Bedürfnis der Wahrheit, das ihre erste praktische Forderung ist, bringt sie direkt dahin, daß sie die Wahrheit ihrer Bedürfnisse kennt; das Bewußtsein der Notwendigkeit, das die Ökonomie in ihren Dienst stellen muß, gegen das falsche stalinistische Bewußtseins das sie in den Dienst der Ökonomie stellen will. Nach dem »Arbeitssonntag« für die »Volkswirtschaft« schrieben Arbeiter der TAP am 27. Oktober: »Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten derjenigen, die ausbeuten, interessieren die Arbeiter nicht. Wenn, die kapitalistische Wirtschaft die Forderungen der Arbeiter nicht verkraften kann, ist das nur noch ein Grund, um für eine neue Gesellschaft zu kämpfen, in der wir selbst die Entscheidungsmacht über die gesamte Wirtschaft und das soziale Leben haben können. «

Vom Januar an beschleunigt sich die Bildung wirklicher Lager im Klassenkrieg. Die MFA bringt ein Gesetz ein, das die stalinistische Intersyndikale zur Einheitsgewerkschaft macht und das von der Regierung trotz der Opposition der Sozialisten angenommen wird. Jene müssen, wie jedesmal vorher und danach, ihr Programm demokratischer Normalisierung zurücksetzen und murrend auf dem Weg zur Bürokratisierung folgen, denn auf der Grundlage der allen gemeinsamen konterrevolutionären Voraussetzungen und in einer Situation derartiger Unsicherheit ist jede neue Maßnahme die ideologische Folge der vorangegangenen Entscheidungen; und macht die Aussicht auf eine Rückkehr zur Ordnung allein durch Wahlen immer unrealistischen

Wenn die Sozialisten aus der Sicht des Staates Unrecht hatten, so hatten sie doch andererseits keinerlei Recht, das die Arbeiter hätte interessieren können. Sie hätten sich ernsthaft den Stalinisten nur widersetzen können, indem sie die Massen und zur Arbeiterdemokratie aufriefen, was jedoch das war, was sie am wenigsten wollten. Sie mußten deshalb mit der Rechten darauf warten, daß ihnen die Wahlen eine legale Autorität geben würden, die ihnen die Entscheidungen, die sie mit der Linken unterschrieben hatten, von vornherein genommen haben. Die, die nicht zu den Dümmsten, gehören, sahen, die Säuberung kommen und setzten sich jetzt schon ab: was in der Presse eine »Abspaltung der Linken der Sozialistischen Partei« genannt wird.

Die Bewegung der Arbeiter hingegen, die bereits durch Tausende einzelner Verbrechen hindurch spontan auf die Aufhebung der Ökonomie abzielte, gab sich seit Januar, mit den Mitteln ihrer praktischen Vereinigung, die Möglichkeit, ihre vereinte kritische Wahrheit zu kennen und sie offen gegen alle immer noch strittigen staatlichen Lösungen zu proklamieren. Wenn die Subversion, die alle Sektoren der portugiesischen Gesellschaft erschüttert hat, sie auch erst als getrennte Sektoren erschüttert hat, dann deshalb, weil das Proletariat, hier wie überall, seine autonome Kommunikation aus dem Nichts schaffen mußte, um total den Boden der Totalität zu benutzen, den es bereits zum Schlachtfeld bestimmt hat. Aber dadurch, daß ihm das gelang, bewies es, daß seine Zeit seit dem 28. September nicht verloren – war. Indem es jetzt unter seinen eigenen Farben und nicht zur Verteidigung der Linken in Erscheinung trat, richtete es an alle Mächte der Welt die schärfste Warnung, die sie seit dem wilden Generalstreik vom Mai 1968 bekommen haben.

Am 7. Februar 1975 demonstrierten aufgrund des Aufrufs eines Komitees von Delegierten 38 großer Unternehmen, das aus den gegen die Repression bei der TAP hergestellten Verbindungen entstanden ist, über 50.000 Arbeiter und Arbeitslose in den Straßen Lissabons. Ihre Methoden zeigen klar, daß hier die Ordnung der Arbeiterautonomie auf dem Vormarsch ist, um die bürokratische und militärische Ordnung herauszufordern: die Demonstration verläuft schweigend, die Spruchbänder enthalten nur die von dem Verteidigungskomitee der Betriebe beschlossenen Parolen, die Selbstverteidigung der Demonstration ist bestens organisiert. Und die Linksradikalen, die natürlich herbeigeeilt waren im Glauben, disponible Arbeiter für sich einspannen zu können, wurden auf den ihnen angemessenen Platz verwiesen: an den Schluß des Zuges, außerhalb des Ordnungsdienstes.

Indem sie gegen Arbeitslosigkeit und die Anwesenheit von Natotruppen in Portugal demonstrierten, und vor allem indem sie sich offen über die PCP und die Intersyndikale und damit zugleich über die Regierung hinwegsetzten, die für die Zeit der Natomanöver jede Demonstration erboten hatte, schrien die Arbeiter unmittelbar und auf brutale, unüberhörbare, gewalttätige und ganz entschiedene Weise ihre Opposition gegen die bestehende Gesellschaft heraus. Ihre Offensive fing da an, wo die Arbeitskämpfe in Europa bisher aufgehört haben: bei dem Bewußtsein dessen, was das Wesen des Proletariats ist, sobald es sich als die Klasse wiederentdeckt, die totaler Feind jeder verselbständigten Repräsentation ist und jeder Spezialisierung der Macht. Die Organisation selbst der Demonstration besaß diesen überlegenen Charakter, während sich alle anderen Bewegungen zunächst gegen die Unternehmer, den sichtbaren Feind, gerichtet hatten, wendete sich diese Bewegung auch sofort und ausdrücklich gegen den Bürokraten, den verborgenen Feind.

Die kommunistische Partei wurde beschuldigt, »die lntersyndikale zu unterwandern, um ihre Kontrolle über die Arbeiterklasse auszudehnen«. Das Gesetz über die Gewerkschaftsvereinigungen wurde von Rednern als »den Interessen der Arbeiter entgegengesetzt« bezeichnet. Da die Delegierten in den Betrieben nicht gewählt, sondern von der Gewerkschaftsführung ernannt werden, würden sie, so hieß es, handeln als Agenten einer »bürokratischen Struktur, die die Interessen der Bourgeoisie verteidigt«. Armeeangehörige, die das Gebäude des Arbeitsministeriums bewachten, beteiligten sich an der Demonstration. Mit erhobener Faust schrien sie zusammen mit den Demonstranten: »Raus aus der NATO! Es lebe die Arbeiterklasse!« und »Soldaten und Matrosen werden auch ausgebeutet!- (Le Monde vom 9./10. 2. 1975).

Lachen wir im Vorübergehen über die Ratlosigkeit dieses Anzeigers aller Staaten, der in dem Moment ihres allgemeinen Bankrotts trotzdem solche peinlichen Details erwähnen muß, obwohl er sie auf die vierte Seite verbannt, auf einen bescheidenen Teil zweier dünner Spalten. Le Monde hat unter tausend anderen Albernheiten ein langes Interview mit einem Vertreter des portugiesischen Arbeitgeberverbandes veröffentlicht, der »auf die Gefahr hin zu überraschen.« – dem Journalisten, der es somit zweifellos verdient hat, als Dummkopf behandelt zu werden – erklärte, daß er nicht nur voll und ganz hinter dem 25. April stände, sondern auch hinter dem 28. September. Er hat damit nur die Äußerung Soares wiederholt, der völlig an der Frage, natürlich nicht des Journalisten, sondern der Wirklichkeit vorbei dargetan hat, daß er die Amerikaner von ihrem Interesse an der Konsolidierung der neuen portugiesischen Demokratie überzeugt habe. Schließlich verbreitet er sich auch noch langatmig über die illusorischen Hoffnungen und die schändlichen Lügen der einen wie der anderen und gelangt kurz darauf in seiner Sorge um die freie Information bis zu den scharfsinnigsten Analysen eines Lourau, dieses modernistischen soziologischen Wracks in den Ruinen der französischen Universität.

Wenn sich jedoch die revolutionäre Wirklichkeit, die während dieses ganzes Geschwätzes trotz allem ihren untergründigen und klar erkennbaren Weg fortgesetzt hat, und dennoch einem Niedergang (Marcel Niedergang, ein Le Monde Redakteur) und Konsorten unbekannt geblieben ist, offen manifestiert und mit ihrem Ernst alle ihre lächerlichen Exegeten bedroht, muß ihr Le Monde die sich vielleicht mangels Besserem durch, die Art der Darstellung aus der Affäre glaubt ziehen zu können, ein wenig Platz einräumen, um all ihre – vergangenen und zukünftigen – fügen über die Lage in Portugal zu dementieren. Das ist also das traurige Schicksal einer »objektiven Zeitung« in einer Zeit, in der die objektive Wirklichkeit so gut die wirkliche Subjektivität der Individuen auszudrücken und so gut zu ihr zu sprechen beginnt. Wenn Le Monde in der Logik dieser Richtung damit fortfährt, den Informationen einen ihrer geschichtlichen Bedeuntng umgekehrt proportionellen Platz einzuräumen, wird sie eines Tages sicherlich nicht mehr als zwei eingeschobene Zeilen der Neuigkeit widmen, daß Cunhal von ein paar wütenden Arbeitern gehängt worden sei. Was der Rubrik »Überfahrene Hunde« einen modernen Sinn und ein neues Interesse geben würde.

Wenn der Tag des 7. Februar genau das Richtige war, um die naiven Bewunderer der neuen portugiesischen Macht zur Verzweiflung zu bringen, dann auch -deshalb, weil er nachdrücklicher als jemals zuvor, nach den Mafra-Unruhen vom Dezember, zeigte, daß die Basis der Armee nicht von der MFA kontrolliert wurde. Aus den Hubschraubern, die niedrig über die Menge hinwegflogen grüßten die Soldaten die Demonstration mit erhobener Faust. Und noch mehr: als die Menge schließlich gegenüber dem Arbeitsministerium stand, das von den Soldaten des COPCON bewacht wurde, und sich in Richtung auf sie vorwärtsbewegte, drehten jene die Gewehrkolben nach oben und sich selbst in Richtung auf das Ministerium, mit erhobener Faust. Die Internationale, die darauf alle anstimmten, hat nicht zum letztenmal die Führer der MFA und der Parteien wie die Strategen des Pentagon und des Kremls um- ihren Schlaf gebracht.

Bei der vorgezogenen Ankündigung des Datums der Wahlen zwei Tage später erklärte Costa Gomes, daß die MFA und die »echt demokratischen Kräfte« der »Motor der Revolution und die Garantie des sozialen Friedens« seien. Der bis zum Widerspruch in den Begriffen unverblümte Ausdruck der nebulösen Inkohärenz des staatlichen Programms zeigt bestens den Grad der Unsicherheit und der Verwirrung aller Fraktionen der Macht nach dem 7. Februar: Bisher waren sie sich einig nur in dem einen besonderen Ziel, nämlich keines zu haben, und alles von den Wahlen zu erwarten und von der aus ihnen folgenden neuen Legalität. Die einzige Voraussetzung dafür war, daß das Proletariat ihnen die Zeit dazu ließ, ohne sie für sich zu benutzen, daß es nicht die Offensive zu ergreifen versuchte. Alle wußten, daß ihr Schicksal von dieser Unfähigkeit abhing, und keiner wagte zu hoffen, daß sie von Dauer sein würde. Das einzige kohärente repressive Programm war das der Stalinisten, aber wenn die anderen es auch gegen die Arbeiter anwenden wollten, wollten sic doch nicht seine Konsequenzen weder für sich selbst noch gegen die Bourgeoisie. Sie bekamen deshalb die heftige Opposition der Arbeiter, aber in keiner Weise die Unterstützung der Bourgeoisie, die sie die legale Rückkehr Spinolas vorbereiten lassen mussten In einer schwebenden Situation wie dieser, in der es zur Aufrechrer-haltung des Status quo der Stalinisten gegen die Arbeiter bedurfte, der Sozialisten: gegen die Stalinisten, der Rechten gegen die gesamte Linke und der MFA zur Kontrolle des Gleichgewichts des Ganzen, war die Institutionalisierung der MFA, wie alle portugiesischen Politik seit dem 25. April, lediglich die Legalisierung eines vorhandenen Tatbestands. Die Institutionalisierung der MFA, die als Sieg der Fortschrittlichen über die Gemäßigten dargestellt wurde, zeigte die Schwächen aller anderen Lösungen. Und die Wahl von Spinola wohlgesonnener Offiziere in die Organe der MFA, die als Sieg der Gemäßigten über die Fortschrittlichen dargestellt wurde, zeigte die Schwäche auch eben dieser Lösung.

Am Vorabend des 11. März, hat die Macht an der Stärke der Arbeiter gesehen, daß sie nicht mehr in ihrer Ohnmacht zwischen verfügbaren Repressionsmodellen wählen konnte. Es wäre unnütz, das völlige Durcheinander von Intrigen und Verschwörungen entwirren zu wollen, das damals die Macht kennzeichnete. Um den Coup vom 11. März zu verstehen, genügt es zu sehen, daß in diesem Moment keine der vorhandenen politischen Kräfte noch ein Interesse daran hatte, die Entscheidung zu verschieben, alle wollten sie schleunigst und endgültig.

Man stelle sich nun diese unsägliche, geräuschvolle Konfusion von Institutionalisierung, Koalition, Konstitution, Wahlen, Provokation, Reaktion und Revolution vor, man begreift, daß alle im Innern und außerhalb des portugiesischen Staates vorhandenen nicht der bürokratischen Losung zugetanen Anhänger der Ordnung in einem Wutanfall ausriefen: »Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende!« Spinola und die Rechte hörten diesen Ruf, aber glaubten die einzigen zu sein, die darauf antworten könnten, und daß von jetzt an die Partie gewonnen sei.

Sie sahen nicht, daß es für ein bloßes Pronunciamiento jetzt zu spät war, und daß niemand die Gefahr eines Bürgerkrieges auf sich nehmen wollte, vor allem die nicht, mit denen sie rechneten, die Zögernden, die es stets vorziehen, ihre Niederlage im Staat zu feiern als ihren Sieg gegen ihn. Die ausländische Hilfe, die sich Spinola zweifellos ausrechnete, vor allem nach dem internationalen Skandal als Folge der Unruhen in Porto und Setubal, war von derselben Art: bereit, ihn mit allen Mitteln nach seinem Sieg zu unterstützen.

(Die Amerikaner landeten mit 6000 Marinesoldaten in La Rota in Spanien und nicht in Lissabon.)

Wie stets bei denen, die lange in der Furcht gewartet haben, nicht erfolgreich zu sein, ließ der von dieser Furcht zurückbehaltene Eindruck Spinola und seine paar entschlossenen Anhänger ins andere Extrem verfallen, als sich im entscheidenden Moment alles beschleunigte. Weil sie überall, von den Nebelwolken der inkonsistenten offiziellen Ideologie vorsichtig verhüllte, schwache Ansätze zur Ordnung erkannten, meinten sie, ein starker Wille müsse genügen, um erfolgreich zu sein. Aber ihr lächerlicher Reißaus war bereits in der Tatsache enthalten, daß sie diesen Willen nicht offen kundtun konnten, sondern den Fallschirmjägern dicke Lügen auftischen mußten, um sie gegen die Linke in Marsch zu setzen, und in der Konfusion einer Auseinandersetzung, in der sich alle Welt zur MFA bekannte.

Das Scheitern des Putschversuches vom 11. März, und sein Ergebnis, das sein wirklicher Sieg ist, waren die unvermeidlichen Folge der gesamten vorangegangenen Entwicklung. Die meisten Führer der MFA hatten, wie um ihn sich selbst in vivo zu verschaffen, den Beweis kommen lassen (was Costa Gomes wenig später zugab, als er sagte, daß die Untersuchungen über den Putschversuch »bis zum 28. September zurückgehen müßten«), daß es kein zurück mehr gab. Der bürokratisch-militärische Staat brauchte diese Wiederholung der Komödie vom 28. September als Farce, um sich vollständig von seiner Vergangenheit zu lösen und aktiv zu werden, was er bereits wesentlich war.

Die Massen haben den 11. März nicht gefeiert wie sie den 25. April gefeiert haben, und sie haben an ihm nicht teilgenommen wie am 28. September. Sie haben vor der Kaserne des Ersten Leichtartillerieregiments, das von den Fallschirmjägern angegriffen wurde, nur eingegriffen, um die Provokation zu entschärfen und die ersten Schüsse zu verhindern, im Einverständnis mit den Soldaten der Kaserne, die trotz der psychologischen Vorbereitung durch ein dreistündiges Bombardement aus der Luft nicht die Nerven verloren. Indem sie den Fallschirmjägern eine Diskussion vorschlugen, demonstrierten sie sofort ihre Überlegenheit, und jene, indem sie auf den Vorschlag eingingen, ihre Unterlegenheit. Die Soldaten und alle, die herbeigeeilt waren, waren sich dessen bewußt, daß es vor allem die Bildung dieses Vorwandes zur Erstickung des sozialen Krieges unter der Verwirrung eines politischen Krieges zwischen der Rechten und der Linken zu verhindern galt. In ihrem Interesse lag es, daß der Putsch sehr schnell scheiterte, so wie es im Interesse der linken des Staates lag, daß er nicht zu schnell scheiterte, sondern daß ihm genügend Zeit bliebe, um einigen Schaden anzurichten. Was den doppelten Vorteil hatte, ein in der Opposition besonders weit entwickeltes Regiment zu treffen, das die linke noch nicht selbst zu unterdrücken wagte, und etwas Gewicht der antifaschistischen Ideologie zu geben, die die spätere Unterdrückung rechtfertigen sollte.

Die diesbezüglichen Auswirkungen des 11. März ließen nicht lange auf sich warten: »… die Vorfälle, die sich auf den politischen Versammlungen ereignet haben, die rapide Zunahme der Streiks, das oppositionelle Klima, das sich fast überall ausgebreitet hat, weist auf eine genau abgestimmte Inszenierung hin«, erklärte Tags darauf der Kommandant Correia Jesuino, Minister für »Soziale Kommunikation« (ein Ministerium, das, wie sein Name jedem sagt, der nur ein ganz klein wenig die bürokratische Macht kennt, die besagte Kommunikation verhindern soll, durch Propaganda und die Kontrolle der Information). Die Macht hatte bisher nur ein repressives Gelüst, jetzt war der Vorwand zur Repression da, nur die ökonomischen und politischen Mittel zu ihrer Durchsetzung fehlen noch. Dies geschah durch die Konzentration der legislativen und exekutiven Gewalt in den Händen der zum »Revolutionsrat« erhobenen linken Militärs. Die danach getroffenen Maßnahmen sind einem solchen noch programmatischen totalitären Beginn angemessen: außer der Entfernung der letzten nostalgischen reaktionären Offiziere und des Verbots der »Christdemokraten« wird die Verstaatlichung der Banken und danach der Versicherungen verfügt, um den Besetzungen zuvorzukommen und die Streiks zu bekämpfen; dann kam das Verbot zweier linksradikaler Gruppen und die Festnahme einiger Aktivisten, um die Reaktionen der Arbeiter zu testen und sie an die Repression im Namen der antifaschistischen Einheit zu gewöhnen; danach die Repression in der Armee und das Verbot an die Kasernen, Mitteilungen zu verbreiten. Die Rede von Vasco Goncalves am 26. März – »Die harte Wahrheit ist, daß wir über unsere Mittel leben. Allergrößte Einschränkungen sind unbedingt notwendig« die das »Kampfprogramm« der neuen Regierung vorstellte, resümiert das wirklich.- Ziel und den einzigen Kampf dieser vierten Provisorischen Regierung: die Arbeiter wieder an die Arbeit zu bringen, und zwar mit allen Mitteln.

Die Verstaatlichungsmaßnahmen, die als Aufbau einer »sozialistischen Ökonomie« präsentiert und gewichtig als solche von all den Idioten kommentiert wurden, die sich mehr Illusionen machten, als es Vasco Goncalves selbst ihnen erlaubte, wenn er das Beispiel De Gaulles von 1944 anführt, sind sozialistisch nur im Sinn der berühmten Ebertschen Definition da, wo die autonomen Gesetze der Ökonomie nicht mehr funktionieren, weil sich ihnen die Basis entzogen hat, das Unbewußtsein derer, die an ihr teilhaben, gibt es keine ökonomische Frage, die nicht auch direkt sozial ist, und sogar militärisch, im Sinn des Klassenkrieges.

Man muß deshalb in diesen Maßnahmen des im beschleunigten Aufbau begriffenen bürokratischen Staates die Vorbereitung seines Terrains sehen, mit der er seine Schlacht gegen das Proletariat beginnt. Wenn er die Bourgeoisie angreft, die im übrigen keinerlei Widerstand leistet, dann nur um besser das Proletariat bekämpfen zu können, bei dem alles darauf hinweist, daß es erbitterten Widerstand leisten wird.

Und während die ratlose Kriecherei der Kommentatoren, die nicht mehr wissen, welcher Staatsraison sie sich zuwenden sollen, die Divergenzen zwischen den Militärs auslotet, vorsichtig die »neutralistischen« Absichten des einen, den »Castrismus« des anderen untersucht oder auf die »Dritte-Welt-Richtung« eines dritten setzt, kann die portugiesische Arbeiterklasse, die in ihren Händen die Lösung hält und deren Kampf allein, durch sein Ausmaß und seine Entschlossenheit, die Natur der neuen Klassenherrschaft bestimmt, im vollen Bewußtsein ihrer geschichtlichen Größe die hastigen Manöver der Bürokraten und die verlegenen Ausflüchte der linken Militärs verachten. Sie ist das aufgelöste Rätsel aller Mysterien der gegenwärtigen Situation, und ihre revolutionäre Organisation lehrt sie, daß sie diese Lösung ist.

GESELLSCHAFT, NICHTS IST WIE ZUVOR!

Wenn jemals ein Ereignis so weit seine Schatten vorausgeworfen hat, dann ist es die entscheidende Auseinandersetzung zwischen den portugiesischen Proletariern und all ihren verbündeten Feinden. Und alles, was in diesem Schatten umherschwirrt, die Manöver und Gegenmanöver der Führer, vergrößert ihn nur um das Dunkel ungeschickter Rechtfertigungs- und Beschwichtigungsversuche. Auf die Komik der Sozialisten, Lobsänger der Demokratie und Mitläufer der Bürokratie, Verfechter von Wahlen, deren Wirkungslosigkeit sie von vornherein hingenommen haben, künftige Beherrscher einer verfassungsgebenden Versammlung, die nur die Verfassung zu registrieren hat, die jene bereits gefügig ratifiziert haben, antwortet die Komik der Stalinisten, die nachdrücklich den Verstaatlichungen zustimmen, die sie noch am Vortage abgelehnt hatten, die die PPD als ein Haufen »faschistischer Provokateure« denunzieren, um darauf mit ihr in der Regierung zu kollaborieren, und die ständig von der MFA alles gutzuheißen und alles zu fürchten haben.

All das ist nur die Komik einer Situation, in der ein nicht wieder rückgängig zu machender Prozeß jeden dahin bringt, das Gegenteil von dem zu tun, was er tun wollte. Alle müssen als einzige Losung die schnelle Organisation eines Staatskapitalismus akzeptieren, sie streiten sich nur noch über die juristischideologischen Modalitäten seines Eigentums, die vom bürokratischen Monopol über eine Selbstverwaltung jugoslawischen Typs bis hin zu einer abgeschwächten skandinavischen Version gehen können. Was die MFA angeht, die den hierarchisch-staatlichen Rahmen für diese Ergänzungsausgabe der herrschenden Klasse abgibt, so kann sie sie für alle je nach Bedarf für sich benutzen, ohne jemals von ihnen benutzt zu werden. Die Bildung einer unter ihrer Kontrolle stehenden Einheitspartei auf der Basis der PCP, der MDP und einer neuen Absplitterung von Sozialisten ist eine der Möglichkeiten eines politischen Aggiornamento, bei denn die gemäßigten sozialistischen Führer auszuschalten wären, weil ihr anti-bürokratisches Geschwätz dazu dienen könnte, sie als die Verantwortlichen der Agitation hinzustellen und dadurch einen neuen willkommenen Feind auf der Rechten zu schaffen.

Doch über diese Einzelheiten wie über das Wesentliche ist noch nichts entschieden, denn erst die gegen das Proletariat in Zukunft eingesetzten Waffen werden die neue Macht formen, so wie die in der Vergangenheit eingesetzten Waffen sie bisher geformt haben und zu dem gemacht haben; was sie ist: ein politisches Monster, das es verdient, neben dem Peronismus in das Gruselkabinett der modernen Geschichte gestellt zu werden, eine übernatürliche Missgeburt, die aus der Vereinigung zweier syphilitischer Greise hervorgegangen ist, der Bürokratie und der Bourgeoisie, eine Abartigkeit, deren scheußliche Missbildung sorgfältig vom weltweiten Spektakel verborgen werden muß, das so tut, als nähme es das demokratisch-bürgerlich ausgestattete Schaufenster für ernst.

Die Militärs mußten die Wahlen, deren Nichtigkeit sie im vorhinein verkündet hatten, aufrechterhalten, nicht um die Wirklichkeit der bürokratischen Macht den anderen Staaten zu verheimlichen, die sie bestens kannten, sondern vielmehr damit die Staaten den Arbeiterklassen aller Länder jene schändliche Wahrheit verheimlichen können, die zu deutlich das Wesen des überall und vor allem in Italien vorhandenen Status quo enthüllt: ihre gemeinsame Unterstützung der Bildung einer bürokratischen Macht in Europa, die sie die Bedrohung durch das Proletariat als hohe, aber unabdingbare Kosten des Betriebs der portugiesischen Arbeiter zu akzeptieren zwingt. Die letzte Lösung, nämlich mit Portugal ein Beispiel zu geben, ist nämlich noch sehr viel teurer und vor allem riskanter in einem Moment, wo Portugal bereits ein Beispiel für die Proletarier Europas ist.

Heute zeigt das Wahlergebnis, daß wenn die Macht geglaubt hat, auf diese Weise Zeit zu gewinnen, diese tatsächlich bestens von der Arbeiterklasse genutzt wurde, die sich die Zeit gab, um zu gewinnen. Die empfindliche Niederlage der Stalinisten, der diejenige der Rechten erst ihre ganze Bedeutung gibt, ist auch, über Cunhal hinaus, eine Erniedrigung für die MFA. Nach monatelanger Propaganda und Kontrolle der Nachrichtenmittel hat die PCP jetzt zweifellos weniger Anhänger als am 25. April 1974: ein Revolutionsjahr hat sie stärker geschwächt als ein halbes Jahrhundert der Repression. Doch dieser Einbruch kann niemandem zustatten kommen. Der Sieg der Sozialisten, der für die anderen gewiss beklagenswert ist, muß für sie völlig unbrauchbar bleiben, denn sie wissen genau, wie einer von ihnen erklärte, daß »nicht die Diktatur droht, sondern die Anarchie« (Le Monde vom 6./7. 4. 1975) Sie können deshalb nur nach dem Platz der Stalinisten bei der MFA trachten, und ihn nur erhalten, wenn sie tun, was die Stalinisten tun würden.

Die Arbeiter haben, indem sie für die Sozialisten gestimmt haben, in erster Linie gegen die Stalinisten gestimmt. Aber die List ihrer Vernunft bestand darin, damit zugleich das Ergebnis durchzusetzen, das die Aufgabe des Staates am meisten komplizierte und das, indem es seine Widersprüche bis zum äußersten zuspitzte und eine neue Phase politischer Kämpfe und Manöver eröffnete, ihnen einen neuen Aufschub für die Fortsetzung ihrer autonomen Organisation auf dem sozialen Boden gewährt. Denn der stattfindende Kampf kann nicht mit einem gewöhnlichen Krieg zwischen gegensätzlichen Kräften gleicher Art verglichen werden: wenn die Macht bereits alle ihre Kräfte aufbieten musste und lediglich sehen kann, wie sie sich mit der Zeit abnutzen, ähneln die Kräfte des Proletariats einer sich während der Schlacht sammelnden Armee: sie müssen wachsen durch den Kampf selbst.

Indessen muß, wie in jedem Krieg, wenn der eine Interesse hat abzuwarten, der andere Interesse haben zu handeln und die Entscheidung voranzutreiben. Für alle besitzenden Klassen der Welt ist die portugiesische Revolution ein Ärgernis und ein Greuel, die schon zu lange gedauert haben: Europa zittert und an erster Stelle Spanien, wo Franco darauf angewiesen ist, Costa Gomes zum 25. April zu beglückwünschen, und wo die anderen, verzweifelt darüber, daß sie selbst einen 25. April inszenieren könnten, mit Entsetzen den Verlauf dieses Alptraums beobachten und mehr als alles andere fürchten, nicht die einzigen zu sein, die aus dem Schlaf durch einfache Schlussfolgerung gerissen wurden. Denn schon ist der Kampf der spanischen Arbeiter infolge der geschichtlichen Initiative ihrer portugiesischen Kameraden in eine neue Phase getreten, und alles weist darauf hin, daß eine entscheidende Schlacht in Lissabon wie ein elektrischer Funke auf die Massen überspringen würde und ihre großen Erinnerungen und revolutionären Eigenschaften weckt.

Der stattfindende Kampf ist die zrweite Offensive der revolutionären Epoche, die 1968 begonnen hat, und so wie die erste alle Illusionen der vorangegangenen Epoche lächerlich gemacht hat, alle Illusionen über die Stabilität der bestehenden Ordnung, macht diese alle Illusionen über die nachfolgende Instabilität lächerlich, alle Illusionen über die Revolution. Die portugiesischen Proletarier haben den Lauf der modernen Geschichte beschleunigt, sie können ihn noch stärker beschleunigen und sogar siegen. Aber wie immer auch ihr Kampf ausgehen wird, das Weltproletariat hat einen neuen Ausgangspunkt von weltgeschichtlicher Bedeutung erhalten.

Paris, 27. April 1975

NACHWORT ZUR SPANISCHEN UND DEUTSCHEN AUSGABE

Drei Monate nach den Wahlen dreht sich immer noch ein luftiges Gebilde von Autoritätsresten und Ordnungsgelüsten, das in Portugal den Staat ersetzt, zwischen der illusorischen Hoffnung, einen Status quo ante herzustellen, den es in Wahrheit niemals gegeben hat, da die soziale Revolution, die die Militärs ganz gegen ihren Willen ausgelöst hatten, nacheinander alle Kompromisse des politischen Gipfels zunichte machte, und der immer wieder proklamierten Absicht, endlich das bürokratische Programm durchzuführen, das die revolutionären Bedingungen notwendig gemacht haben, der in der einen Richtung erzielte Fortschritt trifft sogleich auf unüberwindbare Schwierigkeiten, die ihn in die andere Richtung zurückstoßen und führt so zu einem ständigen Schwanken zwischen dem, was nicht mehr und dem, was immer weniger möglich ist. Und während die Wirklichkeit der Macht immer mehr entschwindet, verringert das ideologische Überangebot, das ihren Anschein erhalten soll (wie etwa durch das Projekt auf dem Verordnungswege Räte zu »schaffen«, was nur ein belustigender Versuch ist, deren erschreckende Wirklichkeit auszutreiben) jedesmal mehr den noch vorhandenen Spielraum und macht bereits hassenswert, was nicht einmal aus eigener Kraft existieren kann: den totalitären bürokratischen Staat.

Das von der schnellen Verschiebung des konterrevolutionären Schwerpunktes im Inneren der staatlichen Kräfte bewirkte gestörte Gleichgewicht führt jetzt zu einem Zusammenbruch, der durch keine Flucht nach – vorn mehr verschleiert werden kann: die völlige Führungsunfähigkeit, die sich pompös »Direktorium« nennt, ist der Gipfel eines Sumpfes, von wo aus der Prahlhans Carvalho mit gutem Recht die Rolle des starken Mannes für sich beanspruchen kann, da er am schamlosesten den haarsträubendsten Opportunismus zur Schau trägt.

Daß für die Sozialisten der Wahlsieg »völlig unbrauchbar bleiben muß«, wie wir hier gesagt haben, konnte man an der Affäre Republica sehen, wo der Handstreich der Stalinisten, kostümiert diesmal in Anhänger der Selbstverwaltung, um einen Artikel gegen die Intersyndikale zu verhindern, Soares lediglich die Gelegenheit bot, seine wortgewaltige Ohnmacht zu beweisen: nach seinem Scheinultimatum musste er schleunigst seine Offensive einstellen, (wobei er nur so getan hatte, als wolle er sie wirklich einleiten) da sie Unterstützung hätte finden können, weil die streikenden Arbeiter von Marinha-Grande zum Beispiel mit einem Marsch auf Lissabon drohten (Le Monde vom 23. Mai 1975).

Die Militärmacht hat deshalb von den Kräften um Soares nicht viel zu befürchten, er hat sich fortwährend bemüht, sie zurückzuhalten und sie so zu reduzieren. Die Militärs haben dagegen alles von der Schwäche- ihrer stalinistischen Verbündeten zu befürchten, die seit den bereits katastrophal erscheinenden Wahlen stetig rapide gewachsen war. Denn die Arbeiter, die im Mai die Inkonsistenz des Antistalinismus a la Soares kennengelernt hatten (der deshalb jetzt für seine verspäteten großen Manöver nur noch die übriggebliebene Bourgeoisie, Grundbesitzer etc., d. h. alles, was sich damit zufrieden geben muß, hinter sich hat), folgen selbstverständlich aus eben demselben Grund, aus dem sie ihn seinem Schicksal überlassen, auch den Stalinisten nicht, die sie gegen diesen neuen »rechten Feind« mobilisieren möchten, der so phantastisch und irreal ist wie die vorangegangenen, um die Kontrolle über sie zurückzugewinnen. So waren die Sozialisten am 19. Juli in Porto angesichts der völligen Auflösung der Stalinisten, die ihnen den Zugang zur Stadt verbieten wollten, in ihrer Not gezwungen, sich auf die von den Fabrik- und Stadtteilkommissionen organisierte autonome Demonstration zu stützen, von der sie aber klar abgewiesen wurden; und am nächsten Tag mußten sie deshalb in Lissabon beschleunigt ihren Rückzug antreten.

Das Schattentheater politischer Kämpfe, in dessen Mittelpunkt ein Duell von Ausweichmanövern zwischen Sozialisten und Stalinisten Stattfindet, zeichnet sich deutlich erst im Lichte der einzigen Frage ab, die sich allen stellt: was tun gegen die proletarische Subversion, die sich immer weiter quantitativ ausdehnt und qualitativ vertieft? Die einen wollen Zeit gewinnen, aber sie haben keine, die anderen wollen die Repression, aber ihnen fehlen die Mittel. In diesem Kampf muß jeder zuerst daran denken, sich selbst zu schützen, anstatt den anderen anzugreifen, die verfügbaren Kräfte kann jeder nur zur gegenseitigen Neutralisierung benutzen (Soares all das, was weder revolutionär noch stalinistisch oder ultralinksstalinoid ist, Cunhal den größten Teil der Militärhierarchie und all das, was ihr in der Truppe noch Folge leistet), denn ihr entscheidender Einsatz würde den sozialen Krieg sofort in einen Bürgerkrieg verwandeln, in dem sie alle beseitigt würden, aufgerieben vom Direktangriff der antagonistischen Klassen: Soares von der Rechten, Cunhal und die Generäle von den revolutionären Arbeitern und Soldaten. Was ihre belustigenden monatelangen Wechselbader zwischen Drohungen und Beschwichtigungen erklärt.

Die Folgerungen der hier vorgelegten Analyse wurden somit von den weiteren Entwicklungen im wesentlichen voll bestätigt: von der progressiven Auflösung einer Staatsgewalt, die sich nicht einmal jemals wirklich konstituiert hatte und der es nicht gelingt, aktiv zu werden, was die Umstände sie zu sein zwingen; von dem Zerfall der Armee, die dafür die zentrale Garantie war, die oben von politischen Intrigen fraktioniert und unten von der Subversion unterspült wird; und vor allem von der immer deutlicheren, gegen alle Bürokraten gerichteten Bestätigung der Entwicklung der autonomen Organisation der Arbeiter.2

Bei dem extrem langsamen Gang des portugiesischen Prozesses als Folge der großen Schwäche aller beteiligten Parteien ist diejenige, die noch die des Proletariats ist, auch bereits seine Stärke, nur im Rhythmus seiner Selbstorganisation voranzugehen, ohne sich von irgendeiner Manipulation antreiben zu lassen, ohne daß irgendeine Ideologie seine totale Opposition gegen das bestehende in einen partiellen Kampf umzuwandeln vermag. Den definitiven und unanfechtbaren Beweis der modernen Unmöglichkeit eines irgendwie gearteten Bolschewismus hat, falls es überhaupt noch erforderlich war, die portugiesische Revolution meisterhaft erbracht, zwischen den grotesken Ansprüchen der linksradikalen Missgebilde, die die Bewegung der Räte auf ihr miserables Niveau reduzieren, wenn sie in ihr »die Keimzelle einer wirklich revolutionären Partei, die die Avantgarde der Klasse beim Aufbau des Sozialismus sein wird« erkennen, und den Phantasien eines Rätesystems ä la Carvalho, das als Spiegelbild die Wahrheit jenes Kaulquappen-Leninismus zeigt, wenn es unverzüglich die Räte zugunsten des bestehenden Staates legalisieren will, der dabei die einzige wirkliche Keimzelle ist.

Die irreale Verworrenheit all der Reden über die -direkte Demokratie«, die »direkte Verbindung Volk/MFA« etc. sowie die dagegen sehr realen Infiltrationsversuche der Stalinisten demonstrieren einfach die Tatsache, daß die Macht und ihre Agenten künftig auf dem Boden zu kämpfen gezwungen sind, den das Proletariat bestimmt hat, auf dem Boden der Räte. Schon müssen sich die Bürokraten, die bei Republica eine Arbeiterautonomie nach ihrem Geschmack hatten, die ihnen zynisch ihre Operation in einen beliebigen »Arbeitskonflikt« zu verwandeln gestartete, über die politische Absichten entrüsten, die sie jetzt in den Streiks entdeckten, wie z B. jener stalinistische Minister für Transport und Verkehr, der am 29. Juni die Arbeiter denunzierte, weil sie »den kommunistischen Minister angegriffen, um die Partei zu treffen, der er angehört« (Le Monde vom 6./7. Juli). Und die Militärs können ruhig und in der besten bürokratischen Tradition ihre Prognosen über die Einführung des Sozialismus in zehn Jahren kundtun: die Geschichte rechnet jetzt nach Tagen in Portugal.

Die Bewegung der portugiesischen Proletarier ist an dem Punkt angelangt, wo sie sich alle Probleme der modernen Revolution stellen kann und muß, denn sie ist dabei, die objektiven Voraussetzungen zu schaffen, unter denen sie sich so stellen, wie sie gelöst werden können und müssen; keine a priori gegebene formelle Definition der Räte, wie immer auch ihre Ziele und ihre Vorsichtsmaßregeln sein mögen, kann ihre revolutionäre Existenz gegen alle Trennungen garantieren, sondern allein die praktische Konstruktion der direkten Kommunikation in den Fabriken und zwischen ihnen, die die unmittelbaren Notwendigkeiten dieser revolutionären Existenz in ihrem Element sichtbar macht und das darin enthaltene totale Projekt der verwirklichten Demokratie zum Vorschein bringt. Was jetzt entscheidet, das ist die Fähigkeit der Arbeiterversammlungen, die Selbstverwaltung ihres Dialoges zu organisieren gegen alle Infiltrationen, Manipulationen und Verfälschungen, d. h. in erster Linie gegen die Stalinisten (was die Linksradikalen, wie rätefreundlich sie auch werden mögen, stets nur erschweren können, weil sie es vorziehen, die Bedingungen der Unterwerfung unter eine äußere Führung zu erhalten). Und es geht auch um die Organisation autonomer Verbindungen zwischen diesen Fabrikversammlungen und den Soldatenräten, die die Stalinisten leichter isolieren und manipulieren können.

Die revolutionäre Organisation des portugiesischen Proletariats ist schon stark genug, um alle seine Feinde in Schach zu halten. Sie muß jetzt alles daransetzen, um die einzige Macht zu werden, alles aufzulösen, was außer ihr ist. Und wird Europa aus den Angeln springen!

Paris, 3. August 1975

ID NR. 91

23. 8. 75

Ausgearbeitet von einer Gruppe COPCON-Offiziere

I. Die aktuelle Situation

1. Die Situation, in die das Land infolge der Unfähigkeit aller Machtorgane, die konkreten Probleme auf allen ebenen zu lösen, geraten ist, hat eine allgemeine Wirtschaftskrise hervorgerufen. Sie ist verbunden mit einer unvermeidlichen Verschärfung des Ungleichgewichtes zwischen den städtischen und den ländlichen Zonen sowie zwischen der Industriezone von Lissabon und anderen weniger entwickelten Industriezonen. Der betonte Dirigismus und die Kontrollversuche des Staatsapparates, wie sie von den Parteien – vor allem der PC – praktiziert werden, haben einige Militärs, die sich ihrer Verantwortung bewußt sind, zur Veröffentlichung eines Dokuments (Sog. Lo-antunes-Dokument, d. Übers.) bewogen, das die gegenwärtige Situation klären will. Daraus resultierte jedoch ziemliche Verwirrung, weil in diesem Dokument eine Reihe von eindeutigen Doppeldeutigkeiten enthalten sind.

2. Um demgegenüber zur Klärung der Situation beizutragen, wollen wir dem Land unsere Position darstellen, weil wir der Meinung sind, daß die MFA ihre bisher begangenen Irrtümer erkennen und deren Gründe deutlich und klar aufdecken muß.

3. Aus der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage resultieren für die breiten Volksmassen soziale und politische Probleme. Tatsache davon ist der Mangel einer Definition einer objektiven politischen Theorie und eines konsequenten Regierungsprogramms. Man hat bisher kein Bündel an wirtschaftlichen Maßnahmen gefunden, das in der Lage gewesen wäre, die durch, die Audkösung der bestehenden kapitalistischen Strukturen geschaffener: Mängel auszugleichen. Und man hat alle Abhängigkeiten vom Imperialismus mit ihren Konsequenzen aufrechterhalten, wie Schließungen von Fabriken, Krisenflucht und politische Pressionen gegenüber unserer Souveränität.

4. Die Arbeiter der Städte und des Landes, ebenso die breiten Sektoren von Angestellten der Dienstleistungsbetriebe, die von ihren Massenorganisationen und einer rechen Kampfestradition unterstützt werden, haben ihre wirtschaftliche Lage wirksam gegen die Steigung der Lebenskosten verteidigt, obwohl gerade sie am meisten von der steigenden Arbeitslosigkeit betroffen ist.

5. Zwar sind viele neue Organe geschaffen und Unterstützungspläne verabschiedet worden, die den kleinen und mittleren Händlern und Industriellen zugute kommen sollten, aber man muß die völlige Unwirksamkeit dieser Maßnahmen feststellen, weil sich – im Gegenteil – aufgrund von Steuererhöhungen und anderen lasten ihre Situation beträchtlich verschlechtert hat.

6. Die kleinen und mittleren Bauern im Norden und im Zentrum des Landes haben erleben müssen, wie sich ihre Situation seit dem 25. April konstant verschlechterte, weil die Lebenshaltungskosten und die Preise für die im Ackerbau notwendigen Materialien stiegen, und weil die Schwierigkeiten im Absatz und Handel ihrer Produkte wuchsen. Man organisierte einen internen Markt durch Beseitigung der Spekulation der Zwischenhändler bzw. durch Schaffung einer Verteilungskette, die die Zirkulation zwischen Produzent und Konsument erleichtert hätte – mit Vorteilen für beide. Es sind ohne Zweifel die kleinen und mittleren Bauern, die offensichtlich unter der Wirtschaftsmisere leiden.

7. Materielle und menschliche Unterstützung für die Provinz, die wenigstens die drängendsten Notwendigkeiten der Bevölkerung hätten befriedigen können, kamen nicht dorthin.

8. Wir haben zwar unter der Landbevölkerung eine Aufklärungs- und kulturelle Dynamisierungskampagne gemacht, aber weil eine adäquate Vorbereitung fehlte, berücksichtigten wir oft nicht die sozio-kulturellen Eigenarten der Gegenden, in denen sie stattfanden. Sie verletzten sogar in einigen Fällen die Gewohnheiten der Leute. Diese Kampagnen, die von einem Verbalismus unterstützt waren, der nicht auf seine Zielgruppe einging, waren in der Mehrheit schädlich, denn sie waren von keinerlei Maßnahmen begleitet, die dem Volk hätten klarmachen können, daß das Ziel eine reale Verbesserung ihrer Lebensbedingungen sei.

9. Man stelle ein Klima, von Mutlosigkeit und Misstrauen in der Bevölkerung fest. Sie ist nicht für die Revolution motiviert. Dafür gibt es folgende Gründe:

a) Die faschistischem Verwaltungen in den kleinen Orten wurden in der Mehrheit durch Leute der kleinen und mittleren lokalen Bourgeoisie ersetzt, die der PC und dem MDP/CDE angehören und die unfähig sind, die wichtigsten Probleme zu lösen.

b) Die Zuteilung von Mitteln für die »Liga der kleinen und mittleren Bauern« -deren Schaffung einem alten Streben dieser Klassen völlig entgegensteht – wurde nur nach dem Kriterium des Favoritentums gegenüber der politischen Linie praktiziert, die in diesen Ligen dominierten.

c) die Liquidationskommissionen der alten Ackerbaugremien haben bis heute nichts geleistet; was die Zuteilung von Mitteln betrifft, so sind sie nach mit den »Ligen der kleinen und mittleren Bauern« identischen Kriterien verfahren.

Die Feststellung dieser Realität und die daraus folgende Unzufriedenheit hat die Reaktion für sich nutzbar gemacht, indem sie diese höchst gerechtfertigte Unzufriedenheit manipulierte und instrumentalisierte; sie hat eine Kette von Gewalttaten entfesselt, und die Bevölkerung in offene Opposition zur MFA gebracht, indem sie die MFA mit der politischen Linie identifizierte, die für diese Situation verantwortlich war

10. Die Wahlen haben unter den Bedingungen, unter denen sie stattfanden, zur Verwirrung des Volkes beigetragen: Verwirrung gegenüber den Instrumenten, die für die Kontrolle des Staatsapparates und der Macht zu gebrauchen sind. Die Gründe dafür sind:

— die bürgerliche Struktur die die portugiesische Gesellschaft bestimmt und organisiert, erlaubt nicht, den breiten Massen revolutionäres Bewußtsein zu vermitteln;

— in einer bürgerlichen Struktur kann bei allgemeinen Wahlen nur ein Ergebnis herauskommen: Die Bourgeoisie;

— in einer bürgerlichen Struktur sind es die bürgerlichen und reformistischen Parteien, die die finanziellen Mittel haben, um mit ihrer Stimme das ganze Land zu erreichen;

— in einer bürgerlichen Struktur gibt es keinen Versuch, überkonkrete Probleme zu debattieren und sie zu lösen; es gibt nur demagogische Politik, die mit Wortspielen arbeitet, um das Volk zu verwirren und zu vergiften, das nach 48 Jahren Faschismus noch nicht in der Lage ist, dieses Wortgeklingel zu differenzieren.

Man muß der MFA ein hohes Maß an Verantwortung zuerkennen, daß sie aus den Wahlen eine Ehrensache gemacht hat, die von den daran interessierten Kräften ausgeschlachtet wurde.

11. Die Ineffektivität der vier provisorischen Regierungen ist nicht allein eine Frucht des Dirigismus, den vor allem die PC anwenden wollte, indem sie den Staatsapparat und die Massenkommunikationsmittel infiltrierte, denn auch die PS, die PPD und der MDP/CDE, die darin vertreten waren, sind dafür verantwortlich und wollen sich heute daraus wegstehlen. Von den Parteien rechts von der PS, eingeschlossen die Parteispitze der PS, kann man nichts anderes erwarten, als den Versuch, den Lauf des revolutionären Prozesses umzudrehen. Dadurch sollen die Privilegien der Großbourgeosie und ihre Ausbeutung der Arbeiter garantiert werden.

12. Indem die MFA darauf insistiert, alle Widersprüche mit Hilfe von Kompromisslösungen aufzuheben, die mit den bürgerlichen Parteien ausgehandelt und die von diesen als Schutzmantel für parteipolitische Machenschaften benutzt werden, ruft sie bei den Arbeitenden Misskredit der Militärs hervor.

II. Analyse vom »Dokument der neun« = »meloantunes-Dokument«

1. Die Lösung der gegenwärtigen Krise, für die die MFA in hohem Maße verantwortlich ist, wird nicht mit dem Anprangern der Rechten erreicht, wie es das Dokument vorschlägt. Ebensowenig wird die Aufrechterhaltung der Regierungskoalition einen Fortschritt im Aufbau des Sozialismus ermöglichen. Und auch durch die Globale Zurückweisung von Sozialdemokratie, Staatskapitalismus, Volksdemokratie und den Eroberungen der Arbeiterklassen wird nicht erreicht, daß letztere die Führung des Prozesses übernehmen und die schon erreichten Positionen sichern. Dieser Vorschlag wird zur Genesung der Rechten führen, wird ihr das Feld zur Zerstörung der Revolution öffnen, ganz im Gegensatz zu den demokratischen und patriotischen Absichten der Unterzeichner des Dokuments.

2. Die wirtschaftliche Perspektive – bestehend aus der Stärkung der Bindungen an EG und EFTA – wird die Unterwerfung des Landes unter eine schädliche Abhängigkeit in wirtschaftlicher, finanzieller und politischer Hinsicht verstärken, denn wer noch Illusionen gehabt hat, der hat sie jetzt unter den jüngsten Forderungen in Sachen »finanzielle Hilfe für Portugal« verloren. Eine neue Verstärkung der privaten Initiative auf dem Investitionssektor des ausländischen Finanzkapitals wird sich einfach in den Verlust der nationalen Unabhängigkeit wandeln. Um ein solches Desaster zu verbergen, reicht es nicht, daß man auch mit der 3. Welt und den rst-europäischen Ländern Handel treiben müsse, denn durch einer Öffnung der lote für den Imperialismus wird man gerade nicht die Dekolonialisierung der noch unter portugiesischer Verwaltung stehenden Territorien erreichen, die ebenfalls Opfer der imperialistischen Ausbeutung sind.

3. Eine überparteiliche Position ohne Abgrenzung gegenüber den Parteien der Rechten wird nicht die Glaubwürdigkeit dafür erwerben, daß sie den Sozialismus aufbauen will, d. h. eben kein bürgerlich-kapitalistische Demokratie – was objektiv eintreten würde. Wie kann sich ein Projekt links nennen, wenn es die Rolle der Massen unter den Tisch jubelt und die Aktion ihrer Avantgarde zurückweist? Wie kann man den Rhythmus der Verstaatlichungen »kritisieren«? Sollen die Produktionsmittel, die in Dienst des Volkes gestellt wurden, weiterhin in den Händen der Bourgeoisie bleiben? Wie kann man das Kazikentum ignorieren, die Rolle des Klassenkampfs, der es zerschlagen wird? Wie kann man zur Eintracht aufrufen, ohne zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten zu unterscheiden?

4. Auf diesen Punkt der Kritik bezieht sich ein wesentliches Element, das die Unterzeichner des Dokuments nicht vergessen haben. Es handelt sich um den Dreh- und Angelpunkt der gegenwärtigen Situation: das Anwachsen der faschistischen Gewalttaten. Konkrete Ereignisse beweisen, daß der Faschismus seine defensiven Vorsichtsmaßnahmen aufgegeben und mit Gewaltaktionen die Offensive angetreten hat. Historisch ist erwiesen, daß gemäßigte Politiker, die Gewaltaktionen des Faschitmut mit versöhnlichen Positionen begegneten, seine ersten Opfer wurden oder in anderen Fällen zu Unterdrückern der Massen, die sie befreien wollten.

III. Vorschläge

1. Ein revolutionäres Programm zur Lösung der Krise muß vor allem zur Verwirklichung der Allianz Volk/MFA übergehen, denn sie garantiert die Führung der Arbeiter bei der Lösung ihrer Probleme. Ohne diese Beteiligung ist der Sozialismus unmöglich. Denn man muß eine Struktur der Organisation der Volksmassen zugrunde legen, die auf dem Aufbau und der Anerkennung der Dorf-, Fabrik- und Stadtviertelräte beruht, die wiederum Organe sind,- mit denen die Arbeiter Entscheidungen zur Lösung ihrer eigenen Probleme fällen. Diese Machtorgane der Arbeiter müssen ein Instrument für wirtschaftliche Lösungen sein, für Sozialplanung (Schulen, Krankenhäuser, Wohnungen, Verkehr), sie müssen schließlich die wahren Organe der politischen Macht sein, die einzige Barriere, die sich siegreich der faschistischen und imperialistischen Aggression entgegenstellen kann.

2. Die wirtschaftlichen Lösungen für dieses Land müssen in eine Änderung der Strukturen übergehen, sie müssen eine Neuorganisation der Wirtschaft mit dem Ziel anstw-ben, der Landwirtschaft totale und effektive Hilfe zukommen zu lassen, so daß sie schnell eine weit höhere Menge an Lebensmitteln produzieren kann, deren Kauf im Ausland zur Zeit einer der Faktoren für unser Defizit in der Zahlungsbilanz ist. Dafür ist es notwendig, den Ackerbau zu planen, eine Agrar-Revolution zu machen in Übereinstimmung mit dem Willen der Doifvertammlungen und anderer Organe, die den Willen der kleinen und mittleren Bauern zusammenfassen. Im Süden werden sie geführt von den landarbeitern, die demokratisch wählen. Sie müssen finanzielle und technische Hilfe haben, die den Bauern die Rentabilität und die lebentbedingungen garantieren, die sich immer mehr den Arbeitern der Stadt annähern.

3. Man muß Organe schaffen, die eine effektive und sofortige Hilfe für die kleinen und mittleren Händler und Industriellen ermöglichen und mit denen zur gleichen Zeit die Bedingungen für den Assoziativismus und den Kooperativismus hergestellt werden.

4. Portugal muß mit der Abhängigkeit vom Imperialismus Schluß machen, denn diese Abhängigkeit ist der Grund für die aktuelle Wirtschaftskrise. Außerdem muß die finanzielle und technologische Abhängigkeit von den Imperialisten beendet werden, selbst wenn man deshalb Industriebetriebe auflösen oder umwandeln muß, weil sie in unserem Land aufgebaut wurden, um die billige Arbeitskraft der portugiesischen Arbeiter auszubeuten. Insofern muß auch die Unterwerfung unter EFTA und EG ein Ende haben, die eine Politik der Erpressung gegenüber Portugal praktizieren.

Um eine Wirtschaftspolitik von wahrhaft nationaler Unabhängigkeit zu machen, kann unser Land:

— mit den Ländern der 3. Welt Zusammenarbeiten, wobei die Kooperation mit den früheren portugiesischen Kolonien privilegiert sein kann: unter neuen Formen von Gleichheit und Brüderlichkeit;

— Handelsbeziehungen und Kooperationen mit allen Ländern der Welt aufrechterhalten bzw. aufbauen: auf der Basis von Gegenseitigkeit und gegenseitigem Vorteil. Unter diesen Bedingungen wird unser Land in einer Machtposition die Blockade des Imperialismus besiegen können. Vom Nutzen sind dessen innere Widersprüche – einer davon ist die öffentliche Meinung in diesen Ländern, und vor allem die Solidarität der Arbeiterklasse. Für die Völker der 3. Welt bedeutet unser revolutionärer Prozess eine große Hoffnung für die Einheit im Kampf.

5. Das Problem der hunderttausenden von Arbeitslosen muß durch einen Wirtschaftsplan im Sinn der Vollbeschäftigung gelöst werden. Dafür muss man vor allem Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und im Bauwesen schaffen. Wir haben ein Bewusstsein davon, daß die Umwandlung der Wirtschaft in diesem Rahmen den Anfang einer sozialistischen Planung darstellt, die Unabhängigkeit gegenüber dem Imperialismus. Die Politik der Vollbeschäftigung wird große Schwierigkeiten und große Opfer mit sich bringen, aber daran müssen alle teilhaben. Man kann nicht nur fordern, dass nur die Arbeiter sie ertragen. In diesem Sinne muss das Höchstgehalt auf nationaler Ebene gesenkt werden, man muss bestimmten Minderheiten der Bevölkerung Privilegien nehmen.

6. Für den Wohnungsbau muß eine richtige Politik definiert werden, die die großen Eigentümer, ihre Spekulation und Lebensweise frontal angreift. Sie muß sich für die kleinen Eigentümer einsetzen, damit sie mittels akzeptabler Erträge sich und ihre Familien am Leben halten können. In diesem Zusammenhang muß eine Mietzinsobergrenze festgelegt werden, bei der die Örtlichkeit, die Bauweise, die Zahl der Stockwerke zu berücksichtigen sind. Die Einwohner-Kommissionen haben bei der Erstellung der Kriterien eine entscheidende Aufgabe.

7. Im Rahmen des Gesundheitswesens muß die Medizin vergesellschaftet werden, um die ärztliche Versorgung in der Provinz sicherzustellen. Dazu dienen auch die technischen und personellen Ressourcen der Streitkräfte. Als ergänzende Maßnahme muß die pharmazeutische Industrie verstaatlicht werden. Eine Konsequenz muß die Ausschaltung einer hohen Anzahl von Medikamenten sein, die sich nur durch das Etikett voneinander unterscheiden. Dadurch werden große öffentliche Ausgaben beseitigt, die den Staatshaushalt belasten.

8. Im Rahmen des Erziehungswesens muß der gesamten Bevölkerung eine Basisausbildung garantiert werden; die Sekundärausbildung und die höhere Ausbildung müssen den Interessen der Arbeiter untergeordnet werden.

9. Um dieses Programm auf mittlere Sieht anwendbar zu machen, muß es diskutiert, korrigiert und genauer ausgeführt werden. Dazu ist die Zusammenarbeit aller Organe des Volkes und des Militärs notwendig. Folgende Sofortmaßnahmen müssen allerdings ergriffen werden:

— Senkung der Preise auf Düngemittel und Agrarprodukte auf eine Höhe, die für die kleinen und mittleren Bauern eine angemessene Bezahlung ihrer Arbeit bedeutet;

— Verwendung der Transportmittel der Streitkräfte für den Verkauf der Produkte;

— Senkung der Preise – und Garantie angemessener Preise für die kleinen und mittleren Bauern – beim Rindfleisch, beim Ziegen- und Schweinefleisch wie auch beim Geflügel;

— Beschränkung der Lebensmittelimporte, die durch einheimische Erzeugung ersetzt werden können:

— Repressive Behandlung der Liquidationskommissionen der alten Ackerbaugremien und der Ligas der kleinen und mittleren Bauern in dem Fall, daß sie bei der Zuteilung von Mitteln politische Diskriminierung anwenden:

— Technische und tierärztliche Hilfe für die kleinen und mittleren Bauern:

— Notmaßnahmen für die aus Angola Vertriebenen durch Integration in die Politik der Vollbeschäftigung- und Wohnungsbeschaffung: dafür sind Hotels zu requirieren und u. a. Notquartiere bereitzustellen;

— Maßnahmen für Kinder und Kranke, die unter unerträglichen Bedingungen leben;

— Planung für eine schnelle Neueröffnung und Umwandlung der Betriebe, die durch Sabotage von Kapitalisten, Reaktionären oder Aktionen des Imperialismus geschlossen sind;

— Schaffung von Bedingungen für die physische und moralische Sicherheit in dem Sinne, daß das Recht auf Eigentum bleibt, das . kein Instrument der Ausbeutung ist.

10. Die Massenkommunikationsmittel müssen diesem Programm dienen, indem sie die freie, offene und totale Diskussion ohne irgendwelche Einschränkungen vorantreiben. Dabei müssen sie jede Form von Manipulation beseitigen mit dem Ziel dem Interesse der Arbeiterklasse zu dienen, und im Bewusstsein, dass die existierenden Widersprüche nur aus dem Schoß des Volkes aufgehoben werden können.

11. Um die Durchführung dieses Programms zu garantieren, muß die dafür verantwortliche Exekutivgewalt festgelegt werden. Sie muß eine Übergangsgewalt sein. Diese Übergangsgewalt muß aus der MFA und allen politischen, wahrhaft revolutionären Organisationen gebildet werden, die die Macht für die Arbeiter beanspruchen und verteidigen. Als entscheidende Maßnahme zum Aufbau dieser Macht ist die Allianz Volk/MFA zu verwirklichen. Diese Macht wird die politische Führung der Übergangsphase bis zur Bildung einer nationalen Volksversammlung sein.

IV. Innere Organisation der Streitkräfte

1. Ein solcher Vorschlag mit revolutionärer Intention und auf Basis der Unterstürzung Volk/MFA würde, wenn er nur eine soziale Gruppe des Volkes außer acht ließe und nicht auf das einginge, was oberflächlich die innere Struktur der Streitkräfte ausmacht, einen schweren Irrtum begehen, dessen offensichtliche Widersprüche konterrevolutionär werden können.

2. Unter Berücksichtigung folgender Gedanken muß daher die innere Struktur der Streitkräfte unbedingt neu durchdacht werden:

a) organisatorische Form der Klasse

— Die Militärs müssen sich in Übereinstimmung mit ihrer Klassenzugehörigkeit organisieren, sie müssen ihre Klassenprobleme offen diskutieren, ihre Vertreter demokratisch wählen, die die Vermittler ihrer Beschlüsse sind;

— Ihre Beschlüsse müssen im kollektiven Leben der Einheit angewandt und diskutiert werden, um einen allgemeinen Konsens als unerläßliche Basis für Zusammenhalt und Disziplin zu erreichen;

b) Soziale Rechte

Für eine spürbare Erhöhung des Lebensniveaus der Rekruten müssen Sofortmaß-nahmen getroffen werden: vor allem eine Modernisierung der Einrichtungen, wesentliche Solderhöhung, Unterstützung und Subvention der Familienmitglieder der Soldaten;

c) Verstärkung der Disziplin

Die kulturelle Dynamisierung innerhalb der Einheiten muß verstärkt werden, Diskussionen und Analysen der anstehenden Probleme müssen ohne Beschränkung möglich sein, um den Zusammenhalt zu sichern. Dies wird erreicht durch eine von allen anerkannte und durch Aufklärung erreichte Disziplin. Nur sie wird die totale Hingabe aller Militärs an ihre patriotische Mission ermöglichen: Die unwiderrufliche Verteidigung der Interessen des portugiesischen Volkes.

Schlussfolgerung

Mit dem vorliegenden Projekt wird dem portugiesischen Volk der einzige gangbare und realistische Vorschlag für eine sozialistische Gesellschaft angeboten. Er ist eine klare Ablehnung von Faschismus, Sozialdemokratie und Staatskapitalismus: Ausbeutungsformen, die die wirkliche Emanzipation der Arbeiterklasse verneinen.

Es lebe die Einheit zwischen Arbeitern und Bauern!

Es lebe die unzerstörbare Allianz zwischen Arbeitern und revolutionären Streitkräften!

Es lebe die Allianz Volk/MFA!

Es lebe Portugal!

(Aus: Repüblica, 13. August 1975)

NEUES COPCON-DOKUMENT

Lissabon (PN), 20. November -18 progressive (Offiziere veröffentlichten am 20. 11. 75 bei der Demonstration in Belem eine Erklärung, die sie »Manifest an die Soldaten und Matrosen, an die Arbeiterklasse und das arbeitende Volk« nannten.

MANIFEST

i.

Der am 25. April 1974 begonnene Prozess ist an den entscheidenden Punkt gelangt, an den Augenblick der Wahrheit, an den Punkt des entscheidenden Schrittes zum Sozialismus. Sicher wurden der Bourgeoisie bisher schwere Schläge versetzt und sicher wurden wichtige Schritte, was die autonome Organisation der Arbeiterklasse und des arbeitenden Volkes angeht, gemacht. Die Nationalisierungen, die Einleitung der Agrarreform, die Erfahrungen der Arbeiter»kontrolle« und der Fortschritt im Poder Popular das sind die wichtigsten Errungenschaften der arbeitenden Massen in diesem Prozess. All das ist aber noch nicht die Zerstörung des Kapitalismus, ist auch noch nicht die Errichtung der Arbeitermacht.

So kommt es, daß die Bourgeoisie auf den Revolutionsrat, die VI. Regierung und die MFA rechnen kann. Und so kommt es, daß wir einer verzweifelten reaktionären Eskalation beiwohnen, all die Versuche der VI. Regierung, der Parteien, der Offizieren, die machtvolle Volksoffensive zu zerschlagen.

Was die Bourgeoisie in keinem Fall ertragen kann, das ist die unvergleichliche Bewegung unter den Soldaten, die sich autonom organisieren und sich der militärischen Hierarchie der falschen Demokraten verweigern und sich entschlossen auf die Seite des arbeitenden Volkes stellen. Die Bourgeoisie erträgt auch nicht die wachsende Kraft des Poder Populär, den die arbeitenden Massen im Norden und Süden unseres Landes errichten. Die Massen haben es verstanden, den bürgerlichen Weg der Wahlen, der falschen Mehrheiten, zu verweigern und ihre eigene Demokratie, den Embryo der revolutionären Demokratie, aufzubauen.

— eine schnelle Stärkung der Basisorgane des Poder Populär: Stadtteilkommissionen, Arbeiterkommissionen, Dorfräte und Soldaten- und Matrosenkommissionen;

— die sofortige Schaffung dieser Organe, wo sie noch nicht bestehen,

— die Koordinierung der Organe des Poder Populär in lokalen und regionalen Versammlungen.

All das muß Werk der Arbeiter selbst sein. Die Staatsmacht hat dabei die Aufgabe, dafür den Raum zu schaffen, in dem sie die Werktätigen unterstützt und ihnen die notwendigen Bedingungen bereitet. Diese Macht wird nur dann wahrhaft revolutionär sein, wenn sie sofort die Wirtschaft in den Dienst des arbeitenden Volkes stellt, die Arbeitslosigkeit und die Teuerung abstellt Das erfordert:

— Bedingungen zum Aufbau der Arbeiter»kontroile« über die Produktion. D. h. daß die ganze Wirtschaft (Fabriken, Büros, Banken, Handel usw.) direkt von den Arbeitern durch die Organe des Poder Populär kontrolliert werden;

— Bedingungen schaffen für die Agrarreform, die aufs ganze Land ausgebreitet werden muß. Dabei muß von folgenden Prinzipien ausgegangen werden:

a) direkte »Kontrolle« der Agrarreform durch die Landarbeiter mittels der Organe des Poder Populap vor allem durch die Dorfräte;

b) Enteignung der noch im Besitz der Großgrundbesitzer und Agrarkapitalisten befindlichen Ländereien;

c) kollektive Bewirtschaftung der enteigneten Ländereien, vor allem durch Landkooperativen;

d) absolute Respektierung des Grundbesitzes der armen Bauern und wirksame staatliche Unterstützung für die Mittel- und Kleinbauern;

e) sofortige Maßnahmen, die den Bauern Kredite, Maschinen und Düngemittel und alles andere, was für die Agrarreform notwendig ist, garantieren;

f) garantierte Abnahme der Agrarprodukte für die Klein- und Mittelbauern und die von den Arbeitern kontrollierten Güter zu ihrer Ernte entsprechenden Festpreisen; Eine Politik der nationalen Unabhängigkeit muß gesichert werden durch:

a) Bündnisfreiheit gegenüber jedem politisch-militärischen Block;

b) Aufbau einer starken Allianz mit den anti-imperialistischen Ländern;

c) Diversifikation der Handelsbeziehungen strikt nach dem Prinzip des gegenseitigen Nutzens;

d) Diversifikation der inländischen Produktion und Ankurbelung bei Produktion von Gütern bei denen wir vom Ausland abhängig sind und die wir produzieren könnten: vor allem Agrarprodukte.

Was die Regierung und die Rechtskräfte im Allgemeinen angeht, die auf Piraten-und Verzweiflungsakte verfallen, die das Land einen Bürgerkrieg oder eine militärische Intervention seitens des Imperialismus führen können, müssen die Werktätigen, die Soldaten und die Revolutionäre ihren eigenen Weg zur Machtergreifung gehen. Die tiefgreifende politisch-militärische Krise, die wir durchleben, macht deutlich, daß die sukzessiven Lösungen einer Klassenversöhnung nichts erreicht haben, als der Organisation der Rechten und der kapitalistischen Reaktion Tür und Tor zu öffnen. Nur die sozialistische Revolution kann die derzeitige Krise im Interesse der Massen lösen.

II.

Von dem Augenblick an, in dem im portugiesischen Prozess klar wurde, dass die Versuche der Bourgeoisie, die »Kontrolle« über die portugiesische Gesellschaft durch klassenversöhnlerische, nur scheinbar die arbeitenden Massen begünstigende Maßnahmen zu erringen, scheiterten, wurde für die Bourgeoisie immer drängender die Einrichtung eines Repressionsapparates, der die schwindende Massenunterstützung ersetzen konnte. Nachdem auch das angesichts der wachsenden Bewußtwerdung und Organisierung des Volkes – in und ohne Uniform – scheiterte, greift die Bourgeoisie jetzt zur Erpressung und versucht, das Land zu teilen. Sie öffnet so dem Kampf Arbeiter gegen die Arbeitern, dem Bürgerkrieg und der ausländischen Intervention die Tür. In ihrer Verzweiflung zögert die Bourgeoisie nicht, ihr Vaterland zu zerstören und es direkt imperialistischen Mächten zu unterwerfen.

Angesichts dieser Situation sind die Unterzeichner, die sich sehr wohl darüber im klaren sind, daß ihr einziger Platz der an der Seite der Arbeiter, Soldaten und Matrosen in ihrem Kampf für die Emanzipation, den Poder Popular den Sozialismus und die nationale Unabhängigkeit sein kann, der Auffassung, der einzige Ausweg für die portugiesische Revolution bestehe in der Bildung einer Regierung der revolutionären Einheit mit einem öffentlich, im Angesicht der Volksmassen erarbeiteten Aktionsprogramm, dessen wesentlicher Inhalt die Übertragung der Macht – so schnell wie möglich – auf die in einer Struktur mit einer nationalen Volksversammlung organisierten Arbeiter.

III.

Die revolutionäre Alternative zur Krise liegt in der entscheidenden Rolle der Volksmassen, der Arbeiterklasse und der Soldaten, sie liegt darin, die versöhnlerische Führung abzuwerfen und zu einer revolutionären politischen Führung zu kommen, die Ausdruck der Fähigkeit der Massen zum Aufbau des bewaffneten Armes, des Revolutionären Volksheeres, das zum endgültigen Siege führen wird.

Der Ausweg aus der Krise besteht weiter im Aufbau einer revolutionären Macht, wie sie in dem Programm der Revolutionären Einheit, basierend auf: dem COPCON-Dokument (ID 94) formuliert wird.

Die revolutionäre Natur dieser Macht zeigt sich allein in der Praxis. Damit die Nationale Volksversammlung zur Realität wird, ist erforderlich:

Dieser Weg muß der der autonomen Organisation der Arbeiter in Stadt und Land mittels des Aufbaus und der Stärkung des Poder Populär sein.

Aber der Poder Populär kann niemals eine wirkliche Macht sein, wenn er nicht bewaffnet ist. Allein die Arbeiter sind fähig, die Macht zu ergreifen und in Händen zu halten, wenn sie bewaffnet sind, wenn sie die organisierte Macht auf ihrer Seite haben.

Es ist die Verbindung von bewaffneten Arbeitern und Soldaten der Kasernen, aus der die breite Bewegung und die Avantgarde geboren wird, die der Bourgeoisie und dem Imperialismus die Stirn bieten kann. Nur die Bewaffnung der Arbeiter und ihre Organisierung mit den Soldaten, aus der das revolutionäre Heer entsteht, kann eine Organisierung der Bourgeoisie und die Gefahr einer ausländischen Intervention verhindern.

Für uns, die Offiziere, die dem revolutionären Projekt entsprechen möchten, liegt die einzige Garantie für eine wirkliche sozialistische Revolution allein darin, daß die Macht in den Händen der Arbeiter selber und nicht in denen irgendeiner Partei oder einer politischen Kraft liegt.

D-ie Macht muß von der Basis zur Basis gehen. Für uns, die Offiziere, die dem revolutionären Projekt entsprechen möchten, bilden Arbeiter und Soldaten die Avantgarde. Wir werden niemals Staatsstreiche zulassen, die, woher sie auch kommen mögen, von Offizieren auf Kosten der Arbeiter ausgeheckt wurden.

Wir werden niemals Kabinettsverschwörungen zulassen, sie haben nichts mit der Organisation der Arbeiter und Soldaten zu tun. Wir werden niemals Manöver von Politikern zulassen, die die Demonstration und Bewegungen der Arbeiter nutzen, um sie als Argument am Verhandlungstisch, für Mauschelpakte zu verwenden.

Und auf diese Bewegung und diese Avantgarde muß sich die neue revolutionäre Macht stützen, um ihre revolutionären Programme durchzusetzen. Wir stehen auf der Seite der bewaffneten Volksmacht, der Soldaten, der Revolutionäre, bis zum Sieg, bis zur Machtergreifung.

Es lebe die Sozialistische Revolution! Es lebe die bewaffnete Volksmacht! Revolutionäre Unteroffiziere und Offiziere, mit den Soldaten, den Arbeitern und den Bauern – vereint werden wir siegen!

Major Barroso, Cap. Sobral Costa, Ten-cor. Sequeira, Cap. Jorge Alves, Major Tome, Major Borrega, Cap. Cabral e Silva, Cap. Luz, Cap. Moreira da Luz, Major Queiros de Azevedo, Cap. Mendonca da Luz, Cap Nuno Ferreira, Cap. Duran Clemente, Ren. Matos Peteira, Cap. Matos Gomes, Ten. Mario Rodriguez. Cap. Santos Silva.

Gegen diese 18 wurde inzwischen Haftbefehl erlassen. Ein Teil ist verhärtet, der Rest ist untergetaucht.

(Aus: Portugal Nachrichten Nr. 13)

DAS URTEIL DES VOLKSTRIBUNALS

Lissabon (ID)

4. August

Zum ersten Mal in der Geschichte Portugals – seit das Volk sie am 25. April in die eigenen Hände nahm – trat am 25. Juli in Tomar (Mittelportugal) ein demokratisch gewähltes Volksgericht zusammen. Misshandelt wurde die Sache des Landarbeiters José Diogo, der vom gleichzeitig tagenden bürgerlichen Gericht gegen eine Kaution von umgerechnet 40.000,— Schilling freigelassen wurde (ID Nr. 91).

Jose hatte im Sommer des vergangenen Jahres in seinem Heimatort Castro Verde im südlichen Alenteja den Großgrundbesitzer Columbano im Affekt erstochen. Jose saß zehn Monate in Untersuchungshaft. Der República entnehmen wir die Urteilsschrift des Volksgerichts:

»Das Volkstribunal war vom anwesenden Volk demokratisch gewählt und im (bürgerlichen, d. Übers.) Gericht von Tomar gebildet worden. Es versammelte sich im Hof desselben, um Recht zu sprechen über den Landarbeiter José Diogo.

Das Volkstribunal fragte die Anwesenden, ob jemand die Verteidigung des Großgrundbesitzers Columbano übernehmen wolle; weil sich niemand meldete, wurde die Anklageschrift verlesen und zwei Zeugen traten auf: Arbeiter aus der Region Castro Verde, die die Unterdrückung und Ausbeutung durch Columbano schilderten, deren Opfer sie waren. Noch einmal fragte die Jury des Tribunals, ob jemand etwas zugunsten Columbanos zu sagen habe.

Niemand trat auf die Jury versammelte sich zur Beratung, sie war zusammengesetzt aus Arbeitern, Bauern und Angestellten, die auf einer Liste standen. Diese Jury stellte fest, daß es unter den außergewöhnlichen Umständen – der Verhandlungsort Tomar ist mehr als 300 km. vom Heimatort José´s entfernt – völlig gerechtfertigt und richtig ist, dieses Volkstribunal einzuberufen.

Die Jury erklärte allgemein, daß Volkstribunale aus Volksversammlungen heraus gebildet werden müßten, an denen das ganze Volk teilnehmen könne.

Daraufhin wurde der Großgrundbesitzer Columbano der Unterdrückung und Ausbeutung des Volks von Castro Verde überführt und man erklärte ihn – posthum – zum Feind des Volkes im Alentejo. Man erklärte weiterhin, daß Jose Diogo kein Verbrechen verübt habe, obwohl das Urteil klar sei, daß die Tat von Jose Diogo eine individuelle Tat gewesen sei, diese tat wiederum sei durch die Umstände erklärt, die das Tribunal gelesen und gehört habe. (Jose war von Columbano gekündigt worden, nachdem er gewerkschaftliche Forderungen wie Achtstundentag gestellt hatte, beim Versuch, durch ein persönliches Gespräch wieder zu Arbeit zu kommen, war folgendes passiert: Jose kam angesoffen hin, Columbano haute ihm eine herunter, weil er seine Mütze auf dem Kopf hatte, da stach José im Affekt zu.)

Schließlich beschloss das Tribunal, dieses Urteil an die Versammlung der MFA zu schicken, die am gleichen Tag stattfand.«

Dennoch ist José Diogo vor einer Verurteilung durch das bürgerliche Gericht, Anfang Oktober keineswegs sichen Die Vertagung war verkündet worden, weil Jose als Angeklagter nicht beim Prozess anwesend war. Schuld daran war die Gefängnisverwaltung von Leiria.

Dazu sagten seine Verteidiger: »Die Verteidigung ist durch die Entscheidung des Volkstribunals ihrer Pflicht entbunden, sie sieht ihre Aufgabe deshalb als beendet an, weil sie dieselbe Position einnimmt wie das Volkstribunal. Das Volk ist hier, damit seine Entscheidung ausgeführt wird, die Verteidigung wird bis zuletzt darum kämpfen, daß dieser Entscheidung gefolgt wird, und José nicht zum zweiten Mal vor Gericht erscheinen muss. Wenn die MFA auf der Seite des Volkes ist, wird sie diese Entscheidung anerkennen…«

Wenige Tage nach der ersten Verhandlung eines Volkstribunals hat die »Vereinigung der früheren politischen und antifaschistischen Gefangenen – AEPPA« ein Dokument über die Volksjustiz veröffentlicht:

»1. Mit dem Fortschritt des Kampfes gegen den Faschismus steht eine neue Parole auf der Tagesordnung: Volksjustiz gegen die bürgerliche Justiz! […] Volkstribunale müssen von Volksversammlungen des Stadtteils, des Ortes, des Kreises, der Region und der Nation beauftragt werden. Insofern war das Volkstribunal, das José Diogo freisprach, eine Ausnahme, weil es angesichts des skandalösen Unrechts gebildet wurde, daß die Haft von José, einem vom Faschismus Unterdrückten, zehn Monate dauerte. Daher muß, wie die Jury erklärte, der Freispruch noch von der Volksversammlung in Castro Verde oder von einem Organ, welches sie beauftragt, bestätigt werden. […]

2. […] Alle, die den Kampf gegen den Faschismus bis zur letzten Konsequenz führen wollen, wissen, auch aus den Erfahrungen in Frankreich, Italien und Deutschland, daß der bürgerliche Staat letztendlich ersetzt werden muß, von einem Staat, der dem Volke dient, indem das Volk die Führung hat. Zur Zeit befinden wir uns in einer Phase des Übergangs, in einer Phase des verschärften Kampfes zwischen dem Volk und seinen Feinden – und erkennen darin Situationen der Doppelmacht: auf der einen Seite die schwer angeschlagene Macht der Bourgeoisie, auf der anderen Seite die entstehende Volksmacht.

3. […] Die Entscheidungen der bürgerlichen Justiz auf dem Gebiet des Arbeitsrechts, des Eigentumsrechts, des Wohnungsrechts, des Kriminalrechts (und anderer Zweige) werden heute von den Volksmassen missachtet, indem sie Fabriken, Häuser und Land besetzen, indem sie Fabriken, Häuser und Land besetzen, indem sie gegen Räumungen Widerstand leisten, indem sie nicht auf kostspielige Scheidungsprozesse warten, indem sie Abtreiben, wenn es notwendig ist die bürgerlichen Gerichte haben heute, wie schon immer, die Legitimität recht zu sprechen unter Eigentümer, unter Bürgern – aber nicht im Volk. Dieses Recht erkennt das Volk nicht mehr an.

4. […] Die Entscheidung des Volkstribunals für José Diogo ist ein Beweis, daß die Revolution vorangeht.«

(Aus: Repüblica, 26. und 30. Juli 1975)

INTERVIEW MIT ROSA CAUTINHO

ID Nr. 75

13. 4. 1975

Zur Einschätzung der weiteren Entwicklung in Portugal ist unserer Meinung nach folgendes Interview der französischen Zeitung »Liberation« am 31. 3 (siehe Liberation Nr 14) mit dem einflussreichen Vertreter der Linksfraktion der MFA, Rosa Cau-tinho, bedeutsam. Die hysterische Reaktion der bürgerlichen Presse (siehe z. B. FAZ vom 9. 4., Vergleich mit Franco-Regime) bestätigt dies nur.

Rose Cautinho ist Mitglied der Junta seit dem 25 April 1974. Während seines Aufenthaltes als oberster Kommissar in Angola radikalisierte er sich durch den Kontakt mit der Befreiungsbewegung MPLA, der FRELIMO und der PAIGC. Dadurch eignete er: und eine Reihe anderer Kommissare sich politisches Wissen an, das kaum jemand innerhalb der MFA in der Hetze in Portugal sich erarbeiten konnte. Seine Rückkehr im Februar 75 brachte neue Aktivitäten in die Junta, indem er sie als hauptsächliches Instrument gegen reaktionäre Wirtschaftssabotage – und politische Kriminalität ausbaute. Er leitet zur Zeit die Untersuchung des Putschversuches vom 11. März. Er ist der wichtigste Vertreter einer Gruppe von Mitgliedern der MFA, die für einen Weg Portugals zum Sozialismus und für eine »eigene Ideologie« der MFA eintreten. Er ist als möglicher nächster Premierminister im Gespräch.

Liberation: Rosa Cautinho, was ist am 11. März passiert?

Rosa Cautinho: Es war ein Putschversuch, der schon seit November vorbereitet wurde. Die Vorbereitungen wurden aber beschleunigt, als die Spinolisten erfuhren, daß wir beschlossen haben, den Revolutionsrat zu bilden, und am- Abend nach den Wahlergebnissen, wie immer sie auch lauten mögen, die MFA zu institutionalisieren. Für sie war es also ein jetzt oder nie. […] Am 11. März mußten wir zwei Schlachten führen. Die erste war die einfacherer Es handelte sich darum, die militärische Situation unter Kontrolle zu bringen. Dazu brauchten wir nur zwei Stunden. Die andere war viel schwieriger: es handelte sich darum, zu vermeiden, daß alle Initiativen, die von der einen oder anderen Seite unternommen wurden, das Chaos erzeugten, das den Vorwand dann für die ausländische Intervention hergäbe.

Liberation: Nach 50 Jahren Faschismus bleibt ein Rest in allen Köpfen. Das Risiko scheint doch enorm, daß die Militärs, linke und linksextreme Aktivisten, sich zu einer autoritären Revolution hinreißen lassen. Was denken Sie darüber?

Rosa Cautinho: Natürlich gibt es diese Gefallt; dessen sind wir uns bewußt. Wir wollen das Land in dieser Hinsicht verändern, aber das braucht Zeit, denn man muß die Mentalitäten ändern. Manchmal eine ganze Generation. Aber die Portugiesen passen sich sehr schnell an. Wir haben schon einen Zeitraum von drei Jahren für das Wirtschaftsprogramm festgelegt und ich glaube, daß sich in einigen Jahren die Mentalitäten auf grundlegende Weise geändert haben werden. Heute gibt es schon in Portugal eine Art Freiheit die -man sonst im Rest der Welt nicht findet, wenigstens in den meisten Ländern. Das wird schon seine Früchte tragen.

Liberation: Ich habe Bankangestellte getroffen, die mir gesagt haben, daß die Nationalisation der Banken notwendig war, daß sich aber an ihren Arbeitsbedingungen nichts geändert habe.

Rosa Cautinho: Die Beziehungen zwischen den Bankangestellten können sich nicht von Heute auf Morgen ändern. Was sich geändert har ist ihre Motivation. Sie wissen jetzt das sie nicht mehr für den Profit von einer Handvoll von Familien arbeiten, sondern fürs Volk. […] Der Wunsch der Zusammenarbeit mit dem Staat ist offensichtlich. Das gab es vorher nicht. Diese Motivation ist grundlegend für das Land.

Liberation: Viele Revolutionen konnten die wirtschaftlichen Strukturen ändern, aber nicht die Beziehungen unter den Leuten. Riskiert nicht auch die portugiesische Revolution, in den wirtschaftlichen Veränderungen stecken zu bleiben?

Rosa Cautinho: Die fortschrittlichen Militärs sind nicht sehr zahlreich, aber sie haben den Weg geebnet. Jetzt liegt es am Volk, seinen eigenen Weg auszubauen. Freiheit erhält man nicht, bekommt man nicht geschenkt, sie muß erobert, verdient werden. Die Militärs waren der Auslöser. […] sie haben die Freiheit nicht geschaffen.

Liberation: Trotzdem sagt die MFA, in der Übergangszeit wird sie der Motor dieses Prozesses sein. Was bedeutet »Motor sein«?

Rosa Cautinho: Der Anstoß. Die Initiative wird öfters von der MFA kommen. Falls das Volk initiativ wird, bleibt die MFA Schiedsrichter. Aber wir wissen, daß das nicht ganz möglich ist, denn die Kampfe zwischen den Parteien ergeben einen Blockadeeffekt, so daß die MFA die die Richtung und die Initiative übernimmt, und Sachen macht, die getan werden müssen, selbst wenn keine Mehrheit dafür erworben wurde.

Liberation: Es gibt aber trotzdem, ich glaube immer mehr, Initiativen, die nicht von Ihnen kommen,, z. B. die wilde Schaffung von Volkskliniken (siehe ID Nr. 74). Was halten sie davon?

Rosa Cautinho: Ärzte, Rechtsanwälte, Freiberufler usw. usf. werden meistens nicht auf unserer Seite stehen […], da sie im alten Regime zu den Privilegierten gehörten. Natürlich besteht da das Risiko, daß diese Klasse nicht sehr mit uns zusammenarbeitet. Da kommt es darauf an, daß die Bewegung, mit Zustimmung des Volkes, ihre Gesetze durchsetzt. Sonst können wir in Portugal nie eine soziale Medizin auf die Beine stellen. Solche Beispiele wie die Volkskliniken unterstützen wir. Im Laufe des langen Prozesses werden noch eine bunte Vielfalt solcher Initiativen kommen, daß ist sehr gut, weil das Volk sein Geschick selbst in die Hand nimmt. Dabei ist es in diesem Fall wichtig, daß die MFA gegenwärtig bleibt, um den Willen des Volkes zu legalisieren.

***

Weiters spricht sich Rosa Cautinho, für Selbstverwaltungsexperimente, und Produktionskooperativen von Arbeitern aus. Auch einem Rätesystem wäre er nicht abgeneigt, glaubt aber nicht, daß die portugiesische Mentalität dahin führen werde.

Experimente in dieser Richtung würden unterstützt werden, denn »wir können keine Lösungen vorlegen«. Ohne Vorurteile sollten alle Ausdrücke von Spontanität der Bevölkerung unterstützt werden.

Liberation: Sie haben vorher einen sehr strengen Satz über die Parteien gesagt: »sie sind es, die den Prozess blockieren.«.

Rosa Cautinho: Meiner Meinung nach waren die Parteien sehr wichtig für einen Prozeß, den sie aber nicht aus sich heraus lenken können. Die Anstöße, die die MFA gibt, wäre z. B. nicht nötig, wenn das die Parteien täten.

Liberation: Was werfen Sie den Parteien vor?

Rosa Cautinho: Sie sind noch in der Aufbauphase. Aber sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, sich eine Wählerschaft zu schaffen. Ich hoffe doch sehr, daß nach den Wahlen sich ihr Verhalten ändert. Auf diese Weise kann es nicht funktionieren, das blockiert alles. Sie treffen Entscheidungen im Ministerrat, und nachher reden sie in der Öffentlichkeit so, als ob sie diese Entscheidungen missbilligten, wie z. B. die des Zivildienstes. […] Der Pakt mit den Parteien (die Wahlplattform) zielt genau darauf ab, in der Übergangszeit das Funktionieren der Machtorgane und die Rechte und Pflichten eines jeden Einzelnen sicherzustellen.

Liberation: Eine Vereinigung von zivilen Kräften, in der Leute verschiedener Richtungen Zusammenarbeiten, ein bisschen wie die MFA, nur in zivil, was halten Sie davon?

Rosa Cautinho: Das ist notwendig. Die Bildung einer politischen Partei, die alle Kräfte enthält, die bis jetzt in der MFA zusammengearbeitet haben, ist notwendig. Das könnte wirklich die entscheidende Partei sein, die Partei mit der die MFA Gedanken austauscht und die Situation analysieren könnte, und schließlich das zustande bringen, was wir den zukünftigen portugiesischen Sozialismus nennen. Sie braucht natürlich nicht alle Parteien der jetzigen Koalition umfassen, aber einige. Wir freuen uns darauf. […]

Liberation: Was bedeutet Sozialismus für Sie?

Rosa Cautinho: Der hauptsächliche Gesichtspunkt unseres Sozialismus wird sein: soziale Gerechtigkeit, Arbeit für alle, gerechte Entlohnung, Arbeit für das Volk und nicht für eine Minderheit, Sicherheit im Alter, im Gesundheitswesen, kurz, alles was man so die sozialistischen Ideen nennt. Die Grundrechte sollen garantiert sein, eingeschlossen das Recht dagegen zu sein. Was wir wollen, das ist Sozialismus ohne Schlips.

***

Rosa Cautinho bekennt, daß er noch andere sozialistische Länder wie Peru, Kuba, Jugoslawien und Algerien besuchen möchte, um zu lernen und sich politisch weiterzubilden, da er sich bisher nur mit strategischen und taktischen Problemen beschäftigt habe. Zum sowjetischen Modell befragt, meint er, dass man dies nicht »auf die portugiesische Psychologie an wenden könne“«Eine MFA-zivil-Partei, die zwischen Sozialisten und Kommunisten läge, sei Vorstellung vieler Mitglieder der MFA.

***

Liberation: Vor welchen Gefahren haben Sie die meiste Angst!

Rosa Cautinho: Die schlimmste Gefahr ist, die Wirtschaft nicht mehr unter Kontrolle zu bringen und nicht mehr die Opfer, die notwendig sind, tragen zu können. Wenn man einen solchen Schritt macht, wie wir gerade einen getan, haben, weiß man, daß man keine Hilfe von außen erwarten kann und sich ausschließlich auf die eigene Kraft verlassen muss.


1Mehr Infos zu LIP hier: LIP und die selbstverwaltete Konterrevolution.

2Deren Kraft jetzt nicht mehr nur zwischen den Zeilen in den Nachrichten erscheint durch das Gewicht ihrer Wirkung auf alles, was nicht sie selbst ist. So konnte man in Le Monde vom 19. Juni jene hier mit besonderem Vergnügen zitierten Zeilen aus Anlaß der am 18. in Lissabon von den revolutionären Räten der Arbeiter, Soldaten und Matrosen organisierten Demonstration, der sich 2000 Arbeiter der LISNAVE angeschlossen hatten, lesen: »Schon die Teilnahme von 2000 Arbeitern ein und desselben Betriebes, von der die kommunistische Partei entschieden abgeraten hatte, stimmt nachdenklich« (Schon!) »… in der Hauptstadt waren Parolen zu hören, die noch wenige Tage zuvor undenkbar schienen: Sofortige Auflösung der Verfassungsgebenden Versammlung<, >Volksregierung jetzt!«, und vor allem der an diesem Abend am häufigsten wiederholte Ruf: »Weg mit der Kanaille – die Macht denen, die arbeiten!«« Der Leser wird in Kenntnis der Sachlage selbst beurteilen, was undenkbar ist und was durchaus denkbar ist, wann, und von wem.

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