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Erinnert euch an Kronstadt
Wildcat (UK) gibt einen kurzen Überblick über die Geschichte der Festung Kronstadt von 1905 bis 1921 zum 70. Jahrestag des Aufstands (1991).
Der 70. Jahrestag der Niederschlagung des Kronstädter Aufstands fiel mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion zusammen, was uns zwei gute Gründe gab, die russische Revolution noch mal genauer anzuschauen. Dieser kurze Rückblick auf die Geschichte der Marinefestung im Finnischen Meerbusen gibt uns einen besonderen Blickwinkel auf die Revolution selbst: den Blickwinkel einiger ihrer kämpferischsten Teilnehmer.
Nach der Zerstörung der Flotte durch die Japaner im Russisch-Japanischen Krieg von 1904-1905 schloss sich Kronstadt dem allgemeinen Aufstand an, der das demoralisierte Land erfasste. Der erste Kronstädter Aufstand im Oktober 1905 war im Grunde eine große bewaffnete Ausschreitung, begleitet von liberalen politischen Forderungen. Die zaristische Autokratie konnte die Kontrolle nach zwei Tagen wiederherstellen. Obwohl die Mehrheit der 13.000 Matrosen und Soldaten von Kronstadt am Aufstand teilnahm, wurden nur 208 vor Gericht gestellt. Keiner wurde zum Tode verurteilt, nur einer zu lebenslanger Zwangsarbeit. Diese außergewöhnlich milde Behandlung war das Ergebnis der ausdrücklichen Solidarität der Arbeiterinnen und Arbeiter von St. Petersburg, die gegen die Kriegsgerichte streikten.
Der zweite Aufstand in Kronstadt fand im Juli 1906 statt. Die Sozialrevolutionäre und ein paar Mitglieder der bolschewistischen Partei überzeugten die übrigen Kronstädter, dass ihre Parteien in der Lage seien, eine landesweite Meuterei der Marine und anschließend eine Revolution zu organisieren. Der Aufstand war völlig erfolglos und wurde brutal niedergeschlagen.
Direkt nach dem Debakel der Meuterei von 1906 bekam der Kriegsminister einen Brief von 71 Matrosen und 136 Soldaten aus Kronstadt, die sich in einem Wald versammelt hatten und schworen, ihre hingerichteten Gefährten zu rächen. „… für jeden getöteten Kameraden werden wir drei Offiziere aufhängen und fünf weitere erschießen“ (I. Getzler, [24], S. 8).
Die revolutionäre Tradition Kronstadts hatte begonnen.
Politisch war Kronstadt ursprünglich bäuerlich geprägt. Land und Freiheit waren die wichtigsten Parolen. Nach der Demütigung durch die Japaner beschloss Russland, eine moderne Flotte aufzubauen. Ab 1906 bestand die russische Marine zunehmend aus Industriearbeitern, die in der Lage waren, moderne Kriegsschiffe zu bedienen und zu warten, was die elementaren Bestrebungen der Bauernschaft mit dem Klassenbewusstsein des Industrieproletariats verschmolz.
Der revolutionäre Geist lebte nach dem Fall Warschaus an die Deutschen am 4. August 1915, genau ein Jahr nach Beginn des Ersten Weltkriegs, wieder auf. Politisch war der Patriotismus noch immer auf dem Vormarsch, und die Kronstädter Matrosen vermischten antideutsche Gefühle mit ihren Forderungen nach besserer Verpflegung und humanerer Behandlung; viele ihrer Offiziere hatten deutsche Namen. Trotzdem waren die Kronstädter der übrigen Arbeiterklasse Europas, die damit beschäftigt war, sich gegenseitig umzubringen, um Längen voraus. Die Demonstrationen in Kronstadt im Sommer 1915 mündeten im Oktober in einer Meuterei. Auch das war ein Misserfolg.
Wie es meist der Fall ist, wenn die Disziplin innerhalb der Streitkräfte zusammenbricht, verlief die Revolution in Kronstadt im Februar 1917 schnell und gewaltsam. Die Matrosen sangen keine Hymnen mit ihren Offizieren und weigerten sich, ihnen zu antworten. Soldaten, die den Befehl erhielten, auf die Meuterer zu schießen, schlossen sich ihnen stattdessen an, und Kronstadt schloss sich den revolutionären Soldaten und Arbeiterinnen und Arbeitern an, die bereits dabei waren, das zaristische Regime in Petrograd zu zerstören. Sie stießen auf wenig nennenswerten Widerstand. Die Polizei floh, und die meisten Offiziere retteten sich schnell durch Kapitulation. Die Revolutionäre erschossen Admiral Viren, weitere fünfzig Offiziere und etwa dreißig Polizisten und Polizeispitzel ([24], S. 24).
Die Arbeiterklasse hatte nun die Macht in Kronstadt inne. Während die Arbeiterinnen und Arbeiter sowie die Soldaten im größten Teil des Landes einen unruhigen Waffenstillstand mit der Bourgeoisie tolerierten, weigerte sich Kronstadt, die Befehle der neuen Provisorischen Regierung anzuerkennen. Diese Auflehnung sollte in den nächsten vier Jahren seine größte Stärke sein. Ein Schlachtschiff würde Kronstadt nur verlassen, wenn die Sowjetmacht zustimmte.
Ungeachtet der Tatsache, dass die Provisorische Regierung aus konstitutionellen Demokraten, Menschewiki und Rechts-Sozialrevolutionärer (gerade noch) in der Lage war, den Krieg bis Oktober fortzusetzen, befand sich die Marinefestung, die die Zufahrt zur Hauptstadt sicherte, von Februar bis Oktober und, wie wir sehen werden, sogar noch nach der bolschewistischen Revolution in einem Zustand permanenter Meuterei. Kronstadt hatte sich praktisch von Russland abgespalten. Die Soldaten und Matrosen weigerten sich, die Autorität der Provisorischen Regierung anzuerkennen, und diese konnte nichts dagegen tun. Das war die Diktatur des Proletariats.
PARTEIEN IN KRONSTADT
Obwohl die vorwiegend bäuerliche Sozialistische Revolutionäre Partei bis Mai die Mehrheitspartei im Kronstädter Sowjet war, gehörten die Kronstädter Sozialrevolutionäre hauptsächlich dem linken Flügel der Partei an. Diese verfolgten die gleiche Kriegspolitik wie die Bolschewiki: Waffenstillstand an allen Fronten, Veröffentlichung der geheimen Verträge und keine Annexionen.
In Kronstadt gab es eine parteilose Gruppe unter der Führung von Anatoli Lamanow. Laut Getzler [24] „lehnte sie Parteifraktionen ab“ und „stand für reinen Sowjetismus“. Im August 1917 schloss sie sich der Union der Sozialrevolutionäre-Maximalisten an. Sie strebten eine sofortige agrarische und städtische soziale Revolution an und forderten die „Sozialisierung der Macht, des Landes und der Fabriken“ ([24] S. 135), die von einer Föderation von Sowjets auf der Grundlage direkter Wahlen und sofortiger Abberufbarkeit organisiert werden sollte, als ersten Schritt zum Sozialismus. Sie lehnten den Parlamentarismus grundsätzlich ab und waren gegen politische Parteien, wobei nicht klar ist, inwiefern sie selbst keine Partei bildeten. Nach Getzlers Darstellung waren sie Vorläufer der rätekommunistischen Strömung. Sie forderten die Arbeiterinnen und Arbeiter auf, die Fabriken zu besetzen, anstatt nur die Kontrolle über die Produktion auszuüben und Eigentumsverhältnisse und Betriebsführung unverändert zu lassen, wie es die Bolschewiki befürworteten.
Die Anarchistinnen und Anarchisten waren weniger einflussreich. Es gab Anarchosyndikalisten, die mit den Bolschewiki verbündet waren, und eine eher piratenähnliche Gruppe unter der Führung von Bleikhman, die mit Waffen und Munition bewaffnet bei Massenversammlungen auftrat und einen blutigen Krieges der Klassenrache forderte.
Der Kronstädter Sowjet war weniger parteidominiert als andere Sowjets, insbesondere der Petrograder Sowjet, der von März bis Oktober die mächtigste Institution des Landes war. Die Debatten in Kronstadt waren echte Debatten, in denen die Abgeordneten, sogar bis zu einem gewissen Grad die bolschewistischen, die Fragen nach ihren Vorzügen und nicht nach der Parteilinie entschieden. Dies steht im Gegensatz zu Petrograd, wo die eigentliche Arbeit des Sowjets von den Parteiführern ausgearbeitet worden war, so dass „die vom Redner eingebrachten Beschlüsse fast automatisch angenommen wurden“ (Liubovitch, zitiert in [24], S. 54).
Da keine politische Fraktion immer Recht hat, ist es sinnvoll, die Mitglieder Fragen auf der Grundlage der Argumente entscheiden zu lassen und nicht danach, welcher Partei der Redner angehört. Es besteht jedoch die Tendenz, dieses Argument zu weit zu treiben. Wenn Parteien kein Monopol auf die Wahrheit haben, dann haben es auch Sowjets nicht. Die sowjetische Organisationsform ist nicht von Natur aus besser geeignet, ein kommunistisches Programm hervorzubringen als eine politische oder jede andere Art von Organisation. Der Slogan von Kronstadt aus dem Jahr 1921 „Alle Macht den Sowjets und nicht den Parteien“ ist kein Erfolgsrezept: Er lässt die Frage der reaktionären Sowjets völlig außer Acht.
Die Menschewiki in Kronstadt standen ebenfalls ganz links und schlossen sich den menschewistischen Internationalisten an, die die Beteiligung der menschewistischen Hauptpartei an der Regierung und die Unterstützung des Krieges ablehnten.
An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass diese Fluktuation der Fraktionen nicht auf Kronstadt oder das Jahr 1917 beschränkt war. Verschiedene Teile von Parteien widersetzten sich häufig der offiziellen Linie in dieser oder jener Frage, und die Bolschewiki bildeten da keine Ausnahme. Als Lenin im April 1917 nach Russland zurückkehrte, musste er die Bolschewiki wegen Defensismus (Unterstützung Russlands im Krieg gegen Deutschland) ermahnen. Was [17] deutlich macht, vertrat keine einzelne Partei oder Fraktion das klare Programm der Revolution.
Die bolschewistische Partei spielte bei der Februarrevolution in Kronstadt sicherlich keine Rolle, da sie noch nicht existierte. Ihre Organisation war im September 1916 von der Geheimpolizei Ochrana vollständig zerschlagen worden. Bolschewistische Sympathisanten nahmen als Individuen oder im Bündnis mit den Sozialrevolutionären teil, hatten aber keine organisatorische Verbindung untereinander. So erhielten die Bolschewiki bei den ersten Wahlen zum Kronstädter Sowjet nur 11 Abgeordnete. Im Mai wurden sie mit 96 Delegierten zur größten Partei im Sowjet.
Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, wie sehr die Bolschewiki ihre erste Intervention in Kronstadt als organisierte Partei nach März vermasselt hatten, die Getzler als „aggressiv und schrill“ beschreibt und die von der Veröffentlichung eigennütziger Lügen in der Prawda begleitet war, wonach die Bolschewiki die Revolution in Kronstadt zusammengehalten hätten ([24], S. 42).
Die Bolschewiki gewannen die Oberhand, indem sie sagten, was die Matrosen und Soldaten hören wollten, und indem sie besser organisiert waren als die anderen Parteien. Sie sagten zum Beispiel, dass die bourgeois-demokratische Revolution gerade erst begonnen habe und die sozialistische Revolution nicht auf der Tagesordnung stehe, während Lenins Aprilthesen [15] argumentierten, dass die erstere abgeschlossen sei und die letztere kurz vor dem Beginn stehe.
Nachdem die Provisorische Regierung am 18. April ihre unerschütterliche Treue zu den Kriegszielen der Entente erklärt hatte, schwenkten die Bolschewiki in Kronstadt im Einklang mit Lenins und zunehmend auch der Parteiansicht scharf nach links. So konnten sie sich an die Spitze der militanten Massen stellen, als diese den Sowjet zu einem radikaleren Bruch mit der Regierung drängten. Zusammen mit dem linken Flügel der Anarchistinnen und Anarchisten wurden sie zu den konsequentesten Gegnern der Koalition des Petrograder Sowjets mit der Bourgeoisie.
Diese Position – alle Macht den Sowjets und Sturz der Regierung – ermöglichte es ihnen, die Sowjetwahlen im Mai zu gewinnen. Die Kronstädter Bolschewiki konnten zwischen den Sowjets unterscheiden und sagten, dass nur die radikaleren Sowjets die Macht übernehmen sollten, obwohl sie in der Praxis die Position der Sozialrevolutionäre unterstützten, die den Petrograder Sowjet trotz dessen Unterstützung für die Regierung anerkannten.
Die Anarchokommunisten gingen noch einen Schritt weiter: Sie weigerten sich, selbst die Autorität des Kronstädter Sowjets anzuerkennen. „Wir als Anarchokommunisten können eine Macht nur insoweit unterstützen, als sie unseren Willen ausführt“ ([24], S. 76).
Die Kronstädter als Ganzes brachten den Petrograder Sowjet in Verlegenheit, indem sie nur seine Autorität „in Staatsangelegenheiten“ anerkannten und ihn damit implizit aufforderten, die Provisorische Regierung nicht länger zu stützen. Dies löste eine Krise aus. Die Kronstädter Bolschewiki unterstützten die einseitige Unabhängigkeitserklärung gegenüber der Regierung, obwohl Lenin sie dafür rügte, dass sie nicht zuerst das Zentralkomitee konsultiert hatten: Für solche Verstöße gegen die Disziplin, warnte er, „werden wir schießen!“.
Der Krieg ging weiter. Aber es wurde für die Provisorische Regierung immer schwieriger, Männer für die Front zu mobilisieren. Anfang Juli, so Trotzki ([14], 2, S. 6), „lag die Offensive … in den letzten Zügen“. Die Junioffensive war gescheitert. Trotz verzweifelter Versuche, sie zu unterdrücken, ging die Agitation gegen den Krieg an der Front und im Hinterland weiter.
Es war ihre Antikriegspolitik – ein gerechter Frieden ohne Annexionen –, die den Bolschewiki am 23. Juni, als der Kronstädter Sowjet über die Offensive Kerenskis debattierte, den vollständigen Sieg bescherte. Die Linken Sozialrevolutionäre und Menschewiki-Internationalisten sowie die Maximalisten und Anarchistinnen und Anarchisten stimmten der Anti-Kriegsbotschaft der Bolschewiki zu, aber es waren die Bolschewiki, die sie am besten organisierten und propagierten.
DISZIPLIN
Die zentrale Bedeutung der Organisation – aber nicht der zentralisierten Parteidisziplin – zeigt sich in Getzlers Bericht darüber, wie Raskolnikow und die anderen Kronstädter Bolschewiki nicht nur die Teilnahme Kronstadts an den Julitagen sicherstellten, sondern auch deren Führung. Die beeindruckend benannten Petrograder Maschinengewehrschützen waren nach Kronstadt gekommen, um Unterstützung für eine massive bewaffnete Demonstration am 4. Juli zu bitten. Die Bolschewiki und ihre anarchistischen Verbündeten waren sich völlig im Klaren darüber, dass dies eine Kampagne zum Sturz der Regierung sein sollte.
Mit Techniken, die jedem bekannt sind, der heute in der Klassenkampf auf ihre Epigonen trifft, füllten die Bolschewiki eine nicht beschlussfähige Sitzung des Exekutivkomitees des Sowjets mit „etwa 30 nicht überprüften Vertretern bewaffneter Einheiten“ ([24], S. 113) und nutzten dann ihre Dominanz in dieser Sitzung, um die Bewaffnung und den Transport der Kronstädter nach Petrograd zu organisieren. Aber der schlaue Raskolnikow und seine Gefährten taten etwas, wozu die heutigen Leninisten niemals den Mut hätten. Er rief das Zentralkomitee der Bolschewiki an und sagte ihnen, er könne die Massen nicht zurückhalten, obwohl er es nicht einmal versucht hatte, sondern alles in seiner Macht Stehende getan hatte, um die Teilnahme Kronstadts an den Julitagen unter der Führung der Bolschewiki sicherzustellen. Das brachte das Zentralkomitee dazu, endlich zu handeln (siehe „Die Jagd auf den roten Oktober“). Als die 10.000 bis 12.000 bewaffneten Männer aus Kronstadt in Petrograd ankamen, führten die Bolschewiki sie direkt zum Hauptquartier im Smolny. Zuerst versuchten bolschewistische Redner, sie zu überreden, nach Hause zu gehen ([14], 2, S. 21). Als das nicht klappte, langweilten die Bolschewiki sie mit Reden und stellten sie hinter dem Banner des Zentralkomitees auf.
Diejenigen, die demokratische Lösungen für die Manöver der heutigen linken Parteien vorschlagen, sollten noch mal darüber nachdenken. Was an Raskolnikows Zieländerung am 3. und 4. Juli richtig oder falsch war, hat nichts damit zu tun, was daran demokratisch oder undemokratisch war. Dass eine Minderheit ihre konservativeren Gegner ausmanövriert, indem sie die Regeln beugt, um einen Schritt vorwärts in der Klassenkampf zu machen, ist eine gute Sache.
Es kommt auf den Inhalt der Tätigkeit einer Organisation an, nicht auf ihre Form. Zum Beispiel ist das Überfüllen von Versammlungen an sich nicht reaktionär, aber zu behaupten, dass die Teilnehmer legitim sind, weil sie gewählt wurden, ist es sehr wohl. Es kommt darauf an, was sie tun – umgehen sie ein Hindernis im Klassenkampf oder schaffen sie eines? Raskolnikows kreativer Umgang mit der Parteidisziplin – erst handeln, dann die Führung informieren – ist ein nützliches Gegenbeispiel für Leute, die eine militärische Hierarchie als Organisationsmodell wollen.
Das Gleiche gilt für das größere Beispiel des Oktoberaufstands. Dass das Militärrevolutionäre Komitee nicht auf die Zustimmung des Sowjetkongresses zum Angriff auf die provisorische Regierung gewartet hat, bevor es handelte, ist kein Fehler. Unsere Kritik richtet sich gegen das kapitalistische Programm der bolschewistischen Partei.
Die Julitage endeten mit einem Misserfolg. Die Kronstädter waren nicht alle Veteranen, und als jemand auf die Demonstration schoss, brach Panik aus. Ihr Mangel an Selbstvertrauen zeigt sich in dieser Episode und in ihrem Verhalten vor dem Taurischen Palais, dem Sitz des Petrograder Sowjet-Exekutivkomitees, wo Trotzki und die Bolschewiki den Sozialrevolutionären-Minister Tschernow vor dem Lynchmord durch die Kronstädter retten konnten. In einer Rede, die angesichts seiner kritischeren Einschätzung vier Jahre später ironisch klingt, sprach Trotzki die Matrosen als „Stolz und Ruhm der russischen Revolution“ an und überzeugte sie dann, „Genossen Tschernow“ freizulassen.
Hätte die Arbeiterklasse im Juli die Macht ergreifen können? Trotzki betrachtet in [14] 2 die Lage an der russisch-deutschen Front und zitiert einen repräsentativen Brief eines Soldaten. Der Soldat droht, die Provisorische Regierung mit dem Bajonett zu erstechen, sagt aber: „Wir verstehen nicht viel von Parteien.“ Laut Trotzki „meuterte die Armee ständig, war aber weit davon entfernt, einen Aufstand zu erheben, um die Macht an die bolschewistische Partei zu übergeben“ (S. 70). Er gibt dann zu, dass in vielen anderen Teilen des Landes die Sowjets bereit waren, die Macht zu übernehmen. Er fügt hinzu, dass unmittelbar nach der Niederschlagung der Juli-Demonstrationen Nachrichten von der Front kamen, dass die Juni-Offensive zusammengebrochen war. Dies hätte sicherlich einen Aufstand begünstigt, wenn man ihn versucht hätte. Schließlich verringerte die Ablehnung der Demonstrationen durch die Bolschewiki die Chance auf einen Aufstand erheblich. Trotzki erklärt offen, wie die Bolschewiki während des heißen Sommers 1917 als „Feuerlöscher“ fungierten (siehe „Die Jagd auf den roten Oktober“).
Er argumentiert, dass die Bolschewiki im Juli zur Zurückhaltung aufgerufen hätten, um nicht für das Scheitern der Kriegsoffensive verantwortlich gemacht zu werden. Aber er gibt zu, dass sie trotzdem dafür verantwortlich gemacht wurden. Die Offensive war bereits gescheitert, das war in der Hauptstadt bereits bekannt und wäre noch weiter bekannt geworden, wenn die Bolschewiki es publik gemacht hätten. Die Arbeiterklasse hatte jedes Interesse daran, die Kriegsanstrengungen zu untergraben und offen mit der demoralisierenden Wirkung ihrer unpatriotischen Aktion zu prahlen. Die Leichtigkeit, mit der die Arbeiterklasse Kornilows Putschversuch vereitelte, zeigt, wie viel Macht sie unmittelbar nach der Konterrevolution im Juli noch hatte.
Trotzki interessierte nur, ob die Arbeiterinnen und Arbeiter die Bolschewiki im Juli an die Macht hätten bringen können. Trotz der Schwächen auf der Seite des Proletariats war die Regierung schwächer. Die Klasse hätte die Provisorische Regierung zerschlagen können. Eines der Dinge, die sie daran hinderten, waren die Bolschewiki.
Trotz großer Rückschläge hatte das Proletariat zwischen Februar und Oktober die Macht, aber es hat es immer wieder versäumt, sie zu nutzen, um die Macht des Kapitals zu zerstören. Auch nach dem Oktober waren die Sowjets zusammen mit den Fabrikkomitees und bis zu einem gewissen Grad auch den Bauernkomitees die Macht im Land. Indem sie diese Macht an die reaktionäre Führung der Bolschewiki abgaben, untergruben sie ihre eigene Macht. Der Vertrag von Brest-Litowsk mit Deutschland im Jahr 1918 war sicherlich ein Fehler der Arbeiterklasse – die Sowjets ließen sich von Lenins Argumenten für einen Frieden mit dem Imperialismus überzeugen. Obwohl die Sowjets kein ideales Mittel zur Vertretung des Willens der Klasse waren, gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass bessere Formen einen deutlich anderen Inhalt gehabt hätten.
Die Julitage endeten zwar in einem Fiasko, aber nicht in einer Niederlage. Die Regierung konnte in Kronstadt nur eine milde Konterrevolution durchführen: Zwei der Anführer der Bolschewiki wurden verhaftet, rote Fahnen wurden eingeholt und die seit Februar in Kronstadt inhaftierten zaristischen Offiziere wurden übergeben. Als General Brusilow, der Oberbefehlshaber, vorschlug, Kronstadt zu entwaffnen und im Falle von Widerstand zu bombardieren, lehnte Kerenski ab, weil er wusste, dass er einfach nicht genug Leute hatte. Kronstadt war während der dunkelsten Stunde der Reaktion nach dem Juli immer noch in einem Zustand permanenter Meuterei. Der erste von der provisorischen Regierung ernannte Kommandant der Festung erwies sich als geistig verwirrt und wurde einfach ausgelacht, bis er abberufen wurde. Die Regierung ernannte daraufhin einen sympathischeren Kommandanten, einen linken Sozialrevolutionär, der die Sowjetmacht sofort akzeptierte. Am 17. Juli empfing Kronstadt den stellvertretenden Marineminister, Leutnant Lebedew, auf traditionelle Weise, der nur knapp einer Prügelstrafe entging.
Nach dem Juli erlitten die Bolschewiki in Kronstadt einen vorübergehenden Rückgang ihrer Popularität. Lenin hatte wegen der Vorherrschaft der Menschewiki im Petrograder Sowjet den Slogan „Alle Macht den Sowjets“ aufgegeben. Dieser Slogan wurde von der Union der SR-Maximalisten aufgegriffen. Lenin führte ihn jedoch wieder ein, als seine Partei die Mehrheit in den Sowjets erlangte.
Kronstadt spielte eine wichtige Rolle beim Aufstand vom 25. Oktober, stürmte den Winterpalast, verhaftete die provisorische Regierung und verteidigte Petrograd gegen den Versuch von Kerenski, wieder an die Macht zu kommen. Etwa 4.000 Kronstädter machten fast 40 % der Seestreitkräfte aus, die wiederum den Großteil der Truppen des Petrograder Sowjets an diesem Tag stellten. Die Bolschewiki belohnten ihre Loyalität im März 1921.
Die Verratskampagne begann unmittelbar nach dem Oktober. Die Kronstädter Bolschewiki halfen der Zentralregierung, die Macht der Arbeiterinnen und Arbeiter auf der Insel zu untergraben. Sie lehnten die Wahl eines Kommissars als „Verbindungsmann“ zu Petrograd ab und unterstützten die Sowjetverfassung vom Juni 1918, die die lokalen Sowjets den „entsprechenden höheren Organen der Sowjetmacht“, also dem kapitalistischen Staat, unterstellte. Die Bolschewiki hatten es leichter, die anderen Parteien in Russland zu unterdrücken als in Kronstadt. Kronstadt hatte eine „Untersuchungskommission“, die ursprünglich die Fälle der zaristischen Offiziere untersuchte. Bis 1918 bestand ihre Hauptaufgabe darin, die Trunkenheit zu bekämpfen. Die Bolschewiki wollten ihr viel mehr Polizeibefugnisse geben, unter dem Vorwand, dass sie „das Glücksspiel vollständig ausmerzen“ müsse (Crack war noch nicht erfunden). Die Maximalisten waren dagegen, weil im März die ganze Untersuchungskommission wegen Bestechung vom Sowjet-Exekutivkomitee verhaftet worden war. Korruption war eines der Hauptziele der „dritten Revolution“ von Kronstadt im März 1921.
Sozialisierung1 statt Nationalisierung
Kronstadt war eine kleine Stadt und eine Marinefestung mit verschiedenen Fabriken und Werkstätten. Wie die meisten militärischen Einrichtungen in Russland war auch diese Industrie staatlich und konnte daher leicht an die örtlichen Sowjets und dann an den sowjetischen Staat übertragen werden.
Kronstadt ging jedoch über die Einführung des Staatskapitalismus und dessen Bezeichnung als Sozialismus hinaus. Im Gegensatz zur bolschewistischen Regierung hatten die Kronstädter eine gewisse Vorstellung von der Sozialisierung der Ökonomie im Gegensatz zu ihrer Verstaatlichung. So sozialisierten sie beispielsweise 1918 den Wohnungsbau und verteilten die Wohnungen nach Bedarf.
Die Bolschewiki und Menschewiki bildeten eine Einheitsfront gegen die Abschaffung des Privateigentums an Wohnungen und dessen Ersatz durch von den Mietern gewählte Verwaltungskomitees. Die Bolschewiki, die auf Anweisung des Sowjetkommissariats handelten, versuchten mit verschiedenen Verzögerungstaktiken, eine Diskussion über das Thema und die Umsetzung der Sozialisierung in Kronstadt zu vermeiden, mit dem Argument, man solle warten, bis Lenin ein Dekret zu diesem Thema erlasse. Sie wurden von den Linken Sozialrevolutionären, Maximalisten und Anarchistinnen und Anarchisten überstimmt. Ein paar Bolschewiki, die für die Vergesellschaftung gestimmt hatten, wurden aus der Partei ausgeschlossen.
Die Wohnverhältnisse wurden neu geregelt, sodass alle ungefähr gleich viel Platz hatten, anstelle der enormen Ungleichheit, die vor 1918 herrschte. Die Bolschewiki verteidigten Privilegien gegen die ersten zaghaften Schritte in Richtung Kommunismus, in Kronstadt wie überall sonst auch.
Leider beschäftigt sich unsere Hauptquelle zu dieser Frage, Voline, ein führender Anarchist, nur mit den demokratischen Formen, die die Sozialisierung annahm. Hauskomitees schickten Delegierte zu Straßenkomitees, dann kamen die Bezirkskomitees, die Stadtteilkomitees und schließlich das Stadtkomitee ([11] S. 457). Auch die Miliz wurde demokratisch gewählt. Diese demokratischen, libertären Polizisten „funktionierten natürlich hervorragend“, ebenso wie alle anderen öffentlichen Dienste. Aber eines Tages kamen die bösen Bolschewiki, die die autonome Verwaltung unterwanderten und durch „eine mechanische, von Beamten kontrollierte staatsdirigistische Organisation“ ersetzten ([11], S. 458). Dabei wird der zentrale Punkt übersehen, dass die von den Bolschewiki eingesetzte Polizei den Interessen des Kapitalismus diente, indem sie den Staat verteidigte, der sich der zaghaften kommunistischen Bewegung entgegenstellte.
Der Kronstädter Sowjet stand selbst unter ständigem Druck von Massenversammlungen, die meist auf dem Ankerplatz stattfanden. Am 25. Mai 1917 marschierte zum Beispiel eine große Menschenmenge, angestachelt von bolschewistischen und anarchistischen Rednern, zur Marinevollversammlung und zwang die Anführer des Sowjets, ihre Vereinbarung mit dem gemäßigteren Petrograder Sowjet aufzuheben. Die reaktionäreren Elemente wurden oft von der Menge angegriffen. Die Hagiographen Kronstadts neigen dazu, die weniger demokratischen Aspekte des Alltagslebens in der Festung herunterzuspielen. Wenn wir mehr wüssten, könnten wir das Gleichgewicht wiederherstellen.
Am 18. April 1918 verurteilte der Kronstädter Sowjet die Verhaftung von Anarchistinnen und Anarchisten durch den Moskauer Sowjet. Die Bolschewiki hatten Mühe, die Kontrolle zu behalten. Dies schien vorbei zu sein, als der 5. Sowjetkongress im Juli nach der Ermordung des deutschen Botschafters und dem Versuch der Linken Sozialrevolutionäre, Bauernaufstände zu organisieren, diese aus den Sowjets ausschloss. Die Linken Sozialrevolutionäre von Kronstadt wurden aus den Sowjets ausgeschlossen, wodurch die Bolschewiki eine solide Mehrheit erhielten. Die Menschewiki, deren Hände eher mit dem Blut von Arbeiterinnen und Arbeitern als mit dem von Diplomaten befleckt waren, durften sich bis Ende 1920 organisieren.
Im Verlauf des Bürgerkriegs wurde die Herrschaft der Kommunistischen Partei in Kronstadt immer repressiver, bürokratischer, paranoider und willkürlicher. Je schriller ihre Propaganda wurde, desto offensichtlicher wurde jedoch ihre Schwäche. Das Land versank im Chaos, und die Kommunisten gaben sich gegenseitig und allen anderen die Schuld. Zweifellos haben die Weißen und ausländischen Armeen dazu beigetragen, die Revolution zu beenden und die bolschewistische Diktatur zu stärken. Allerdings war die kommunistische Tradition in Kronstadt von den Bolschewiki unterdrückt worden, ihre Basis-Komitees durch Parteikomitees ersetzt und ihre Debatten durch theatralische Propaganda der Sowjetregierung ersetzt, bevor sie im Mai 1919 von Judenitschs Weißer Nordwestarmee an die Front des Bürgerkriegs gestellt wurde.
Die dritte Revolution von 1921 war nicht in erster Linie eine Reaktion auf die Bedingungen in Kronstadt. Sie war nicht hauptsächlich durch die Diktatur der Kommunistischen Partei in der Festung motiviert, trotz des opulenten Lebensstils, den die Apparatschiks in Kronstadt und Petrograd im Vergleich zu den relativen Entbehrungen der Matrosen und Soldaten offen genossen. Kronstadt war seit Beginn des Bürgerkriegs im Vergleich zum Rest Russlands, wo Millionen Menschen hungerten, ein Ferienlager. Auf dem Land war für viele Menschen der einzige Ausweg, korrupte Funktionäre der Kommunistischen Partei zu werden. Kronstädter, die auf Urlaub waren, konnten den Kontrast zwischen den Idealen des Sozialismus und der Realität nicht übersehen. Der Soldat Egorov beschrieb, wie die Kommunisten „über uns herrschten, wie es zuvor nur den Dorfpolizisten zu Zeiten des Zaren erlaubt war“, „das Brot nicht denen wegnahmen, denen sie es hätten wegnehmen sollen, sondern nur denen, die nicht ihre Freunde waren“, „in den Zug stiegen und unter dem Vorwand der ‚Requisition‘ jeden beraubten, was ihnen gefiel, aber die Spekulanten verschonten – diese Tatsache war offensichtlich“.
„Eine Analyse von 211 Beschwerden, die bis Ende 1920 beim Beschwerdebüro des Politotdel [Politisches Komitee] der Baltischen Flotte eingegangen waren, viele davon von Besatzungsmitgliedern der „Petropawlowsk“, der „Sewastopol“ und des Minenlegers „Narowa“, hat gezeigt, dass die Missbräuche der Provinzbehörden, die Ungerechtigkeit der Zwangseinkämmungen von Getreide und die illegalen Beschlagnahmungen den Hauptgrund für die Unzufriedenheit bildeten.“ ([24], S. 209).
Die Bedingungen auf dem Land schürten die Unzufriedenheit der Kronstädter, aber erst der Kontakt zum Industrieproletariat von Petrograd löste den Aufstand aus.
Fraktionskämpfe innerhalb der Kommunistischen Partei führten Anfang 1921 zum Zusammenbruch ihrer vermeintlich eisernen Disziplin in Kronstadt. Ein Drittel der Parteiarbeiterinnen und -arbeiter auf der Insel verließ die Insel im Laufe des Jahres 1920 ([24], S. 211). Im Februar 1921 begannen, zeitgleich mit Streiks gegen die Sparmaßnahmen in Petrograd, nicht genehmigte Versammlungen von Matrosen. Die Regierung verhängte das Kriegsrecht und nahm Massenverhaftungen vor. Die Kronstädter schickten trotz der Drohungen der Kommissare eine Delegation. Die meisten Arbeiterinnen und Arbeiter waren zu sehr von der Tscheka terrorisiert, um zu sprechen. Einer tat es und berichtete der Delegation von der Hungersnot und der Repression, unter denen die Arbeiterinnen und Arbeiter zu leiden hatten, und von der Forderung nach neuen Sowjets. Diese Forderung wurde von den Menschewiki unterstützt. Die Partei, die den Krieg und die Provisorische Regierung unterstützt hatte, forderte nun Neuwahlen zu den Sowjets, um den Staat in die Hände der Werktätigen zu bringen und die „Arbeiterdemokratie“ wirklich zu verwirklichen ([24], S. 213). Reaktionäre Parteien unterstützen in jedem Kampf gegen den Kapitalismus immer einige Forderungen der Arbeiter, um nicht völlig diskreditiert zu werden. Die Kronstädter kehrten zum Schlachtschiff Petropawlowsk zurück und verabschiedeten 15 Resolutionen:
„1. Angesichts der Tatsache, dass die gegenwärtigen Sowjets nicht den Willen der Arbeiter und Bauern zum Ausdruck bringen, müssen unverzüglich Neuwahlen in geheimer Abstimmung stattfinden, mit freier Vorwahlpropaganda für alle Arbeiter und Bauern vor den Wahlen;
2. Rede- und Pressefreiheit für Arbeiter, Bauern, Anarchisten sowie linke sozialistische Parteien;
3. Versammlungsfreiheit für Gewerkschaften/Syndikate und bäuerliche Assoziationen;
4. Einberufung einer parteiunabhängigen Konferenz der Arbeiter, Soldaten und Matrosen von Petrograd, Kronstadt und der Provinz Petrograd bis spätestens 10. März 1921;
5. die Freilassung aller politischen Gefangenen der sozialistischen Parteien sowie aller Arbeiter, Bauern, Soldaten und Matrosen der Roten Armee, die im Zusammenhang mit der Arbeiter- und Bauernbewegung inhaftiert sind;
6. die Wahl einer Kommission zur Überprüfung der Fälle derjenigen, die in Gefängnissen und Konzentrationslagern festgehalten werden;
7. die Abschaffung aller politischen Abteilungen, weil keine Partei besondere Privilegien bei der Verbreitung ihrer Ideen haben und dafür Geld vom Staat bekommen sollte; stattdessen sollen lokal finanzierte Kommissionen für Kultur und Bildung eingerichtet werden, die vom Staat bezahlt werden;
8. dass alle Straßensperren [zur Verhinderung von Lebensmittelsmuggel] sofort entfernt werden;
9. die Angleichung der Rationen aller Arbeiter, mit Ausnahme derjenigen, die in gesundheitsschädlichen Berufen arbeiten;
10. die Abschaffung der kommunistischen Kampfgruppen in allen militärischen Einheiten sowie der verschiedenen kommunistischen Wachmannschaften, die in Fabriken und Betrieben Dienst tun; sollten solche Wachmannschaften oder Kampfgruppen erforderlich sein, können sie aus den Kompanien der militärischen Einheiten und nach dem Ermessen der Arbeiter in Fabriken und Betrieben ausgewählt werden;
11. dass die Bauern das Recht und die Freiheit erhalten, mit dem gesamten Land nach eigenem Gutdünken zu verfahren, sowie das Recht, Vieh zu halten, das sie selbst, d. h. ohne Lohnarbeiter, zu versorgen und zu verwalten haben;
12. Wir bitten alle Militäreinheiten sowie die Gefährten, die Kursanten (Militärakademiker), unseren Beschluss zu unterstützen.
13. Wir fordern, dass alle Beschlüsse in der Presse weit verbreitet werden.
14. Wir fordern die Ernennung eines Wanderbüros zur Kontrolle.
15. Wir fordern, dass die freie handwerkliche Produktion in Eigenarbeit erlaubt wird.“ ([24], S. 213–214).
Einige dieser Forderungen hätten, wenn sie erfüllt worden wären, dem Proletariat geholfen. Diejenigen, die nicht erfüllt worden wären, hätten die Situation kaum verschlimmert. Eine breitere Bewegung der Klasse hätte damals den Kapitalismus nicht gestürzt, aber sie hätte ihn geschwächt und das wackelige leninistische Regime demoralisiert, was es der Partei erschwert hätte, ihre blutbefleckte Fahne über den Leichen der Revolution zu hissen. Es gibt immer einen Klassenkampf, und es lohnt sich immer, ihn zu führen. Dies widerlegt diejenigen, die versuchen, eine neutrale Position zum Klassenkrieg in Kronstadt einzunehmen, mit der Begründung, dass der Aufstand nicht hätte erfolgreich sein können. Dazu gehören die meisten linkskommunistischen Gruppen, zum Beispiel die Internationalistische Kommunistische Partei [4].
EIN SCHRECKLICHES MISSVERSTÄNDNIS?
Die PCInt. (Internationalistische Kommunistische Partei) hat erkannt, dass in Russland etwas nicht stimmte. „In den Fabriken kehrten die verhassten Methoden des Taylorismus zurück, um Effizienz und Produktion zu steigern.“ Damit sind Zeit- und Bewegungsstudien gemeint. Aber diese Methoden wurden nicht von selbst eingeführt, sondern der Arbeiterklasse von der bolschewistischen Regierung aufgezwungen. Der Hauptbefürworter des Taylorismus war der Regierungschef, der Held der PCInt., Lenin. In einem ähnlichen Wortspiel sagen sie, dass nach 1917 in der Baltischen Flotte „eine hierarchische Ordnung wiederhergestellt“ wurde, „die den revolutionären Geist zunichte machte, den die Bolschewiki eingeführt hatten“. Wie aus unserem Bericht hervorgeht, hatten die Bolschewiki nichts mit dem revolutionären Geist der Flotte zu tun, außer der Einführung der hierarchischen Ordnung, die ihn „zunichte machte“.
Man müsste schon sehr athletisch sein, um sich bei einem so eindeutigen Kampf von Klasse gegen Klasse auf die Zaunlatte zu setzen, und die PCInt schafft das nicht ganz. Zuerst versuchen sie, die Nachwirkungen der Revolte zu nutzen, um die Rebellen zu diffamieren. Die Anführer, so sagen sie,
„obwohl sie sich in ihren Reden links von der Kommunistischen Partei positionierten, nach der Niederschlagung der Revolte nach Finnland flohen und sich in die Arme der Konterrevolution warfen (oder besser gesagt: zurückwarfen), mit der sie Ideen und Positionen teilten“.
Aber die Kommunistische Partei teilte nicht nur Ideen und Positionen mit der Konterrevolution, sie war ihr wichtigstes Instrument. Dass die Überlebenden nach Finnland flohen, ist kaum überraschend: Sie konnten nirgendwo anders hin. Zur Verteidigung ihrer versuchten Neutralität beruft sich die PCInt. auf die Komplexität der Situation: Die Aufständischen hätten verschiedene verwirrte Ideen gehabt. Aber welche proletarische Bewegung hat das nicht? Das Kronstädter Programm enthält verschiedene Verwirrungen, wie zum Beispiel den Glauben an die Demokratie, aber wenn Tausende von Arbeiterinnen und Arbeitern die Waffen gegen einen korrupten Polizeistaat erheben, der Streikende ins Gefängnis wirft, Soldaten dezimiert und Revolutionäre ins Exil schickt, dann ist das Klassenkrieg. An keiner Stelle ihrer Analyse von Kronstadt verwenden diese Marxisten-Leninisten die Klasse als Kategorie. Dennoch werfen sie den Anarchistinnen und Anarchisten genau diesen Fehler vor: „… soziale Konflikte werden nicht als Streit zwischen Klassen gesehen, sondern als Streit zwischen zwei gegensätzlichen Tendenzen: Autorität auf der einen Seite und Freiheit auf der anderen.“
Die Bolschewiki haben die anarchistischen Gruppen in Moskau im April 1918 nicht wegen ihrer idealistischen Geschichtsauffassung unterdrückt, sondern wegen ihrer Opposition gegen den Kapitalismus. Die Anarchistinnen und Anarchisten und die SR-Maximalisten sahen in der Revolte von Kronstadt ganz klar einen Kampf des Proletariats gegen das Kapital.
An einer Stelle ihres gescheiterten Versuchs, sich neutral zu verhalten, versucht die PCInt., sich auf beide Seiten zu stellen. Sie gibt zu, dass der Aufstand revolutionär war, behauptet dann aber, die Bolschewiki hätten den Aufstand als „bloße Verschwörung von Entente-Spionen“ betrachtet (S. 33). Lenin wusste, dass die Kronstädter weder für die Bolschewiki noch für die Konterrevolution waren, sondern „von geschickten internationalen Zentren der Konterrevolution ausgenutzt“ wurden. Schließlich wird Victor Serge zitiert: „Das aufständische Kronstadt war nicht konterrevolutionär, aber sein Sieg hätte unweigerlich zur Konterrevolution geführt.“ Zusammenfassend argumentieren die Italiener, dass der Kronstädter Aufstand revolutionär, konterrevolutionär und weder noch war. Wir hoffen, dass niemand denkt, wir hätten diesen Artikel absichtlich ausgewählt, um unsere eigene Analyse klarer erscheinen zu lassen.
Sie können sich nicht ewig im Niemandsland verstecken.
„Die russischen Emigranten, indirekt unterstützt von den imperialistischen Kräften der Entente, schmiedeten Pläne. Auch die Provokateure innerhalb der Revolte schmiedeten Pläne und Intrigen. Angesichts dieser beiden letzten Punkte war die Repression der Revolte – auch wenn sie ein Kapitel tiefer Qualen in der Arbeiterbewegung aufschlug – mehr als gerechtfertigt.“ ([4], S. 35).
Wir stehen lieber auf der Seite der Trotzkisten, die wenigstens ehrlich sind, wenn es darum geht, Partei zu ergreifen.
Zurück zur Realität. Kalinin, Vorsitzender des Allrussischen Zentralen Exekutivkomitees der Sowjets, sprach auf der Massenversammlung, die die Kommunistische Partei am 1. März in Kronstadt einberufen hatte. Kalinin bat die Matrosen, Soldaten und Zivilisten inständig, der Volksregierung eine Chance zu geben, die Ökonomie wieder aufzubauen, und nicht auf die Menschewiki, die Weißen Garden und andere Feinde der Revolution zu hören. Wie Ceausescu 1989 wurde er von der Tribüne gebuht. Der Aufstand hatte begonnen.
Für die Parteifunktionäre war es zu spät, um noch den „Stolz und Ruhm der russischen Revolution“ anzupreisen. Es wurden neue Sowjetwahlen abgehalten, und kein einziger Kommunist gewann. Die Petropawlowsker Resolutionen wurden zum Manifest von Kronstadt. Die hochrangigen Militärkommandanten, darunter einige alte zaristische Offiziere, die von der Kommunistischen Partei mit der Verantwortung für Kronstadt betraut worden waren, erklärten sich bereit, als Spezialisten unter dem Befehl des Provisorischen Revolutionskomitees und unter der strengen Kontrolle der gewählten Komitees der einfachen Soldaten zu dienen. Während Lenin sich den Luxus erlaubte, zu behaupten, die Kronstädter wollten nur „die Politik der Bolschewiki korrigieren“, obwohl sie damit objektiv auf der Seite der Weißen Garde standen, sagte Trotzki als Chef der Roten Armee einfach, die Kronstädter würden von zaristischen Generälen der Weißen Garde kontrolliert. Das ist aus zwei Gründen eine Lüge. Erstens waren die ehemaligen zaristischen Offiziere keine Weißen, und zweitens wurden sie von den Kronstädtern kontrolliert, nicht umgekehrt. Als Trotzki im März 1918 die ehemaligen zaristischen Offiziere mit der Führung betraute, hatte er die Kontrolle durch Matrosen und Soldaten per Dekret abgeschafft.
Die Reaktion der Kommunisten auf die dritte Revolution ist bekannt. Das rote Kronstadt wurde zu einer Konterrevolution der Weißen Garde, der Schwarzhunderter, der Rechten und der Linken Sozialrevolutionäre. Kronstadt wurde militärisch isoliert, um Verbindungen zum Festland zu unterbinden. Die Angst der Kommunisten vor der Solidarität der Petropawlowsker mit Petrograd zeigte sich auch in ihren plötzlichen Zugeständnissen an Letztere, die Lebensmittel und Kleidung erhielten. Die Rote Armee bereitete sich darauf vor, die Kronstädter Revolutionäre „wie Rebhühner“ zu erschießen, und auf dem 10. Parteitag forderten Delegierte, darunter Kollontais Arbeiteropposition und die Linkskommunisten, lautstark die Niederschlagung der Revolte und meldeten sich freiwillig dafür.
Die Politik der SR-Maximalisten gewann in Kronstadt rasch wieder die Oberhand: „Alle Macht den Sowjets und nicht den Parteien“ lautete die Parole, die vom Radio Petropawlowsk ausgestrahlt wurde. „An alle … An alle … An alle … Unsere Sache ist gerecht: Wir stehen für die Macht der Sowjets und nicht der Parteien.“ Sie traten für die Legalisierung nur „linker sozialistischer Parteien“ ein. Sie lehnten rechte Kräfte ab, ebenso wie die Unterstützung russischer Emigrantenzeitungen, die die kommunistischen Lügen verstärkten, indem sie behaupteten, der Ex-Zaren-General Koslowski habe das Sagen. Als Tschernow (der im Juli 1917 zusammengeschlagene Anführer der rechten Sozialrevolutionäre) den Kronstädtern militärische Hilfe versprach, wenn sie eine Konstituierende Versammlung mit ihm als Vorsitzenden unterstützen würden, wurde dies von einer großen Mehrheit abgelehnt.
Ironischerweise hätte Koslowskys militärischer Rat viele Kronstädter retten können, aber sie weigerten sich, das Versorgungsdepot in Oranienbaum anzugreifen, verließen sich auf eine Politik der „passiven Verteidigung“ und warteten auf eine sowjetische Revolution auf dem Festland. Aber die Arbeiterklasse als Ganzes war zu demoralisiert, um zu kämpfen. Anstatt einer Delegation von Arbeiterinnen und Arbeitern erwachte Kronstadt am 17. März zu einer Delegation des 10. Parteitags, begleitet von 45.000 bis 50.000 Soldaten, die über das Eis vorrückten. Während 1905 die Kronstädter von den Arbeiterinnen und Arbeitern Petrograds gerettet wurden, hatte die Konterrevolution 1921 ihren Tribut gefordert, und die blutige Niederschlagung der Meuterei war völlig erfolgreich. Die letzten Funken der russischen Revolution waren ausgelöscht. Der Kapitalismus hatte endlich das Regime gefunden, das er brauchte. Erst jetzt hatte die leninistische Konterrevolution ihren Zweck erfüllt.
Ein Viertel der Delegierten des Parteitags (279) sowie 2.758 zusätzliche Parteivolontäre stärkten die Entschlossenheit der Bataillone der Roten Armee. Sie erkannten, dass die einfachen Soldaten der Roten Armee im Kampf gegen die Rote Kronstadt unzuverlässig waren; viele mussten „mit vorgehaltener Waffe auf das Eis getrieben werden“ ([24], S. 243). Die Kommunistische Partei erlitt Verluste von bis zu 80 % an Toten und Verwundeten, mehr als die Zahl der Kronstädter, die in der Schlacht vom 17. bis 18. März getötet oder anschließend hingerichtet wurden. Nun hat das System, für das sie starben, selbst eine tödliche Erfahrung gemacht.
QUELLEN
[1] From the Bourgeois to the Proletarian Revolution, Otto Rühle, Revolutionary Perspectives, 1974 (A.d.Ü., Originaltitel Von der bürgerlichen zur proletarischen Revolution, Otto Rühle)
[2] 1789 and All That, Wildcat Nr. 13, London, 1989.
[3] Notes on Class Struggle in the USSR, Red Menace, London, 1989.
[4] Kronstadt 1921: An Analysis of a Popular Uprising in Russia at the Time of Lenin, Revolutionary Perspectives no. 23, 1986.
[5] The Petrograd Workers and the Soviet Seizure of Power, D. Mandel, MacMillan 1984.
[6] The Bolsheviks and Workers‘ Control, M. Brinton, Solidarity, London, 1970. (A.d.Ü., auf Deutsch, Die Bolschewiki und die Arbeiterkontrolle)
[7] Factory Committees and the Dictatorship of the Proletariat, C. Goodey, Critique no. 3, Glasgow, 1973.
[8] Can the Bolsheviks Retain State Power?, V.I. Lenin, Selected Works, 4, Progress Publishers, Moscow, 1950.
[9] „Left-Wing“ Communism, an Infantile Disorder, V.I. Lenin, Progress Publishers, Moscow, 1950. (A.d.Ü., auf Deutsch, Wladimir Iljitsch Lenin Der „Linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus)
[10] The Bolshevik Revolution, 2, E.H. Carr, Penguin, London, 1966.
[11] The Unknown Revolution, Voline, Black Rose Books, Montreal, 1975. (A.d.Ü., auf Deutsch, Die unbekannte Revolution)
[12] The Russian Enigma, A. Ciliga, Ink Links, London, 1979.
[13] History of the Makhnovist Movement 1918-1921, P. Arshinov, Black & Red, Detroit, 1974. (A.d.Ü., auf Deutsch, Die Geschichte der Machno-Bewegung)
[14] The History of the Russian Revolution, L. Trotsky, Pathfinder, New York, 1980 [3 vols. in one].
[15] The April Theses, V.I. Lenin, Progress Publishers, Moscow, 1951. (A.d.Ü., auf Deutsch, Lenin, Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution (Aprilthesen) )
[16] The State and Revolution, V.I. Lenin, Foreign Languages Press, Peking, 1976. (A.d.Ü., auf Deutsch, Lenin, Staat und Revolution)
[17] Clarity and Unity in the Russian Revolution, Communist Bulletin no. 10, Aberdeen, 1987.
[18] A Documentary History of Communism, 1, ed. R.V. Daniels, Tauris & Co., London, 1985.
[19] Theses of the Left Communists, N. Bukharin et. al., Critique, Glasgow, 1977.
[20] The Russian Revolution, 1, W.H. Chamberlain, Grosset and Dunlap, New York.
[21] The Workers‘ Opposition, A. Kollontai, Solidarity, London.
[22] The Conscience of the Revolution, R.V. Daniels, Harvard University Press, 1960.
[23] Open Letter to Comrade Lenin, H. Gorter, Wildcat, London, 1989.
[24] Kronstadt 1917-1921 – the Fate of a Soviet Democracy, I. Getzler, Cambridge University Press, 1983.
1A.d.Ü., oder/und auch als Vergesellschaftung zu verstehen.