Auf Indymedia gefunden,
Brief eines Gefangenen in Hamburg
Das Geräusch von Schlüsseln und Metall
Das Geräusch von klappernden Schlüsseln, aneinander schlagenden Metallscharnieren, einrastenden Schlössern und Türen begleitet vom ersten Moment des Weckens um 6.45h, bis spät in die Nacht, wenn die Schließer*innen ihre Runden auf dem stadionhellen Hof drehen. Es ist ein so allgegenwärtiges Geräusch hier, dass man schnell das Gefühl bekommt, ein Industrial-Soundtrack würde auf Dauerschleife im Hintergrund laufen und von Zeit zu Zeit leiser oder lauter gedreht werden. Wenn Gefangene hier arbeiten, bekommen sie irgendwann „sogar“ den Schlüssel für die Zelle. Ein an Zynismus kaum zu übertreffender Schachzug zur Befriedung. Wie viele andere dieser Züge im Kreislauf von Zuckerbrot und Peitsche, funktioniert er leider sehr gut. Es fängt schon mit den kleinen Dingen an. Wenn z.B. die Zelle nicht mehr Zelle sondern „Haftraum“ genannt wird oder wie auf manchen auszufüllenden Formularen „Arbeitsplatz“. Diese Logik zieht sich hier konsequent durch. So sind die üblichen Sanktionen neben der Arrestzelle und feindseliger Behandlung, hauptsächlich die Einstreichung von z.B. „Arbeiten dürfen“, „Einkaufen dürfen“ oder sich für einen hohen Preis einen „Fernseher mit Sender-Abo mieten zu dürfen“. Ich verstehe, dass viele Gefangene arbeiten wollen, weil es eine Möglichkeit ist aus der Zelle zu kommen oder den zum überleben notwendigen Einkauf zu finanzieren. Doch halte ich es für wichtig, die Grenzen zwischen Gefangenen und Menschenwärter*innen nicht verschwimmen zu lassen. Ich finde es falsch, wenn Schließer*innen aktiv an sog. „Freizeit-Aktivitäten“ teilnehmen. Genauso werde ich keine persönlichen Gespräche mit ihnen führen, nur weil ich permanent gezwungen bin Räume mit ihnen zu teilen. Ich bin nicht freiwillig hier und werde von ihnen tagtäglich aufs neue eingesperrt. Viel zu oft höre ich hier: „die machen ja auch nur ihren Job“. Es kann hier keine Augenhöhe geben und ich muss mir eine nicht feindselige Behandlung hier nicht erarbeiten, Natürlich ist es zu anstrengend und zum Teil auch gefährlich permanent den offenen Konflikt mit den Beamt*innen zu suchen. Aber es ist möglich, die Kommunikation auf die technischen Notwendigkeiten, die hier zum Überleben nötig sind, zu beschränken. Wie überall wird Verantwortung hier wegdelegiert, dabei ist an einem Ort wie dem Gefängnis die permanente Ausübung von Herrschaft über andere Menschen sehr deutlich sichtbar. Wenn wiedereinmal ein*e Gefangene*r von einer*m Wärter*in angeschrien wird, weil er*sie eine ganz alltägliche Frage stellen muss um sein*ihr (Über-)Leben hier zu bestreiten. Wenn wieder einmal ein Mensch nachfragen muss, weil er*sie sprachlich nicht die Möglichkeit hat die Befehle, die grundsätzlich nur auf deutsch, selten auf einer Art Fantasie-Englisch gegeben werden, zu verstehen. Wenn dann die Menschenwärter*innen agressiv und rassistisch werden, um über ihr eigenes Unwissen hinweg zu täuschen. Wenn die Gefangenen einmal am Tag auf einen Hof geleitet werden um dort für eine Stunde im Kreis zu laufen und danach wieder für 23 Stunden in ihre Zelle gesperrt zu werden. All die vollkommen normalen und lebenswichtigen Dinge wie z.B. geistige Stimulation, Bilder sehen, etwas lesen können, ein Gespräch mit einem anderen Menschen führen oder auch nur das Erhalten von Informationen und Nachrichten aus der Welt außerhalb der Mauern, für diejenigen ohne Uhr, das erhalten der aktuellen Uhrzeit, wird als Privileg, für das der*die Gefangene dankbar sein soll, dargestellt und gehandhabt.
Es gibt keine Rechtfertigung für den Knast, denn auch die, die für Taten hier sitzen, die mit einem freien Leben nicht vereinbar sind, ändern sich hier nicht. Jeder Mensch, der an dieser Maschine mitarbeitet, sei es als Techniker*in, Ärzt*in oder Sozialarbeiter*in, trägt seinen Teil zum Funktionieren des Ganzen bei, schließt mit eigener Hand, das Schloss hinter sich zu.
Ein Gefangener, Hamburg, Juli 2019