Ermittlungen eingestellt

Von der Soligruppe für Gefangene

Veröffentlich am 20. November 2016 in der Ausgabe Nummer 403 der Gefangenen Info

Ermittlungen eingestellt

Dieser Text ist eine Zusammenfassung über das §129 StGB Verfahren und das Brandanschlagsverfahren in Dresden. Hier werden die Ermittlungsmethoden speziell auf den Fall des Brandanschlages auf Die Bundeswehr tiefgründig geschildert.
Am 14. April 2009 erfolgte der bis jetzt größte und teuerste Angriff auf Bundeswehrinfrastruktur in Deutschland seit dem Bestehen der BRD. Dabei brannten in der Alberstadtkaserne in Dresden 40 Militärfahrzeuge ab, in dem ein Sachschaden von 3 Millionen Euro entstanden sein soll.

Darauf folgten mehrere Ermittlungen und Razzien in Sachsen und Brandenburg.
Einen Monat nach der Nacht des Geschehens durchsuchten die Cops das erste Mal die Wohnung eines in diesem Zusammenhang beschuldigten. Dieser hatte sich verdächtig gemacht, indem er die Feuerwehr rief, als er einen Brandgeruch in seiner Wohnung feststellte. Er wurde beschuldigt, Beteiligter des Brandanschlages auf die Albertstadtkaserne zu sein, er wurde ED (Erkennungsdienstliche Behandlung) behandelt und musste seine DNA abgeben. Als Grund wurde angegeben, dass er sich auch im Alternativen Zentrum die „Conni“ aufhalten würde, was laut den Cops ein Szenetreffpunkt für Linke sei. Die Cops packten daraufhin die volle Palette an Ermittlungsmethoden aus. Zum Beispiel wurde der Deutsche Wetterdienst angefragt ob der Geruch in 1,7 km Entfernung überhaupt mitbekommen werden konnte. Es wurde ein psychologisches Gutachten vom BKA erstellt anhand des Anrufes der bei der Rettungsstelle einging. Nach langen Ermittlungen gegen die Person, wurde das Verfahren gegen ihn schlussendlich eingestellt. Es folgte eine trügerische Ruhephase, in der allerdings im Hintergrund „weiter ermittelt“ wurde.
Am 15. März und 19. April im Jahr 2012 wurde in Finsterwalde die Wohnung der Eltern von zwei AnarchistInnen durchsucht. Die Durchsuchungsbeschlüsse waren identisch, bis auf die Ergänzung, dass eben erneut durchsucht werden müsse. Mündlich wurde den Eltern mitgeteilt, dass ein Telefonat ausschlaggebend gewesen sei, da sich ein Elternteil am Telefon in etwa so äußerte:
„Bei der letzten Durchsuchung haben sie nicht das gefunden wonach sie gesucht haben.“
Die Cops drohten den Eltern, die Wohnung komplett auseinander zunehmen, was auch geschah. Sie bestellten eine Umzugsfirma, die alles in Kartons verpackte und anfing Möbel zu demontieren. Außerdem wurde probiert, die Eltern gegeneinander auszuspielen, einzuschüchtern und mit Knast zu drohen, wenn sie nicht sagen würden wo sich die Beweismittel befinden. Sie haben sich jedoch nicht darauf eingelassen, was den Cops wohl die Motivation nahm. Daraufhin wurde die Durchsuchung beendet.
Eine der beiden des Anschlages auf den Bundeswehrfuhrpark beschuldigten Personen aus Finsterwalde war auch beschuldigt im sog. „Antifasportgruppenverfahren“ nach §129 StGB in Dresden, weshalb wir nochmal einen kleinen Exkurs zurück in der Zeitleiste unternehmen müssen.
Am Abend des 19. Februars 2011 stürmten etwa 120 Cops mit Hilfe des SEK das „Haus der Begegnung“, in dem anlässlich des an diesem Tag stattgefundenen Nazigroßaufmarschversuchs ein Pressezentrum des Bündnis „Dresden Nazifrei“ eingerichtet wurde. Teilweise widerrechtlich miteinbezogen in die Durchsuchung wurden auch die Vereinsräume des „Roten Baum e.V.“, eine Anwaltskanzlei, eine Privatwohnung und ein Parteibüro der Dresdener „Linken“. Es gab mehrere verletzte Personen. Es wurden Kettensägen eingesetzt um die Türen zu öffnen, weshalb ein hoher Schaden entstand. Begründet wurde die Durchsuchung damit, dass durch Kräfte der Ermittlungsgruppe „Terrasse“ seit den Morgenstunden ein Funktelefonanschluss überwacht wurde, welches die Lenkzentrale für die Organisation sei, von der teilweise schwerwiegende Straftaten (Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung) im Zuge des Demonstrationsgeschehens in Dresden ausgegangen sein sollen.
Der Hinweis, welche Nummer zu überwachen sei, kam durch ein sog. Behördenzeugnis vom Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen. Dadurch wird ersichtlich inwieweit die Razzien vom 19.02.2011 vom VS forciert wurden.
Die Durchsuchung wurde von der Richterin Kessler zunächst nur mündlich genehmigt.
Alle Personen, die sich in dem Gebäudekomplex aufhielten, egal ob sie im Pressezentrum arbeiteten oder sich bei den dort eingerichteten DemosanitäterInnen einen Tee holten, wurden mit dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung, Sachbeschädigung und des besonders schwerem Landfriedensbruch im Kontext einer „kriminellen Vereinigung“ konfrontiert und auf die Wache zur ED-Behandlung transportiert.
Was an diesem Tag noch bekannt wurde, ist, dass das Wohnprojekt „Praxis“ in Dresden Löbtau mit auf der Durchsuchungsliste der Staatsanwaltschaft stand, die Behörden jedoch davon absahen, da ca. 250 Neonazis am Mittag das Projekt mit Steinen angriffen. Das hätte negative Presse bedeuten können und so ist die Razzia nicht zustande gekommen.
Gegen alle 21 Personen die im Zuge der Razzia am 19.02.2011 von Repression betroffen waren, wurde das Verfahren nach §129 im Juli 2012 eingestellt.
Am 12. April 2011 ab ca. 4:00 Uhr durchsuchten dann nach eigenen Angaben 400 Cops medienwirksam 22 Wohnungen und Arbeitsräume von 14 Beschuldigten. Diese breit angelegte Aktion betraf Genoss*innen in Dresden, Leipzig, Machern, Grimma, Niesky, Senftenberg und Finsterwalde.
Durch die Beschlüsse wurde sichtbar, dass es neben den Demonstrationsgeschehen am 19.02.2011 auch um Körperverletzungen an Nazis und um eine gewisse Ebene von Alltagsmilitanz ging. So wurden bei den Razzien, schwarze Klamotten, politische Symbole, „Pläne“ und „Anweisungen“, „waffentaugliche“ Gegenstände, Broschüren, Bücher, Flyer, Plakate und Computer sowie sämtliche greifbare Speichermedien (Festplatten, CDs, USB usw.) beschlagnahmt. Alle anwesenden Beschuldigten mussten zusätzlich zur ED-Behandlung ihre DNA abgeben, wofür auch richterliche Beschlüsse vorlagen. In den frühen Morgenstunden des 3. Mai 2011 startete das LKA und der extra anwesende Staatsanwalt Wagner eine neue Razzia. Mit Hilfe der BFE (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit) wurde das Wohnprojekt „Praxis“ in Dresden etwa 5 Stunden lang durchsucht. Das Wohnprojekt sollte eigentlich schon am 12. April mit durchsucht werden, jedoch wurde bei einer Observation einen Abend zuvor ein „reges Treiben“ (sic) im Haus festgestellt, worin sie die Absicht hinein interpretierten, dass es sich um die Beseitigung von Beweismitteln handle. Daraufhin suchten die Cops einen Maulwurf in den eigenen Reihen, so die Presse. Die Dresdener BFE führte zur „Eigensicherung“ Schilder und HK-5 Maschinenpistolen mit, mit denen sie versuchten , die angetroffenen Menschen einzuschüchtern, indem sie z.B. drohten, Haustiere zu erschießen.
Auf dem Grundstück und im Haus gefundene Steine, die von den Neonazis am 19.02.2011 in Richtung Praxis geworfen wurden, erklärte das LKA in der Presse zu extra gesammelten Wurfgeschossen, die von den BewohnerInnen im Haus verteilt worden wären. Ziemlich schnell wurde klar, dass die Aktenzeichen übereinstimmend waren zu den Razzien am 12. April 2011.
Am 22. September 2014 wurde gegen alle 22 Personen das Verfahren nach §129 in Dresden eingestellt.
Nun kommen wir zurück zum Ermittlungsverfahren in Bezug auf den Anschlag auf den Bundeswehrfuhrpark am 14. April 2009.
Nachdem die Beschuldigten endlich Zugang zu den Akten hatten, konnte damit angefangen werden, diese auszuwerten. Das ergab natürlich einen Einblick in die Ermittlungsmethoden der Cops.
Dort konnten sie ihrer Phantasie mal richtig freien Lauf lassen. Die sächsischen Behörden, allen voran die Richter*innen des Amtsgerichtes, die sowieso alles unterschreiben was sie auf den Tisch bekommen.
Es wurden insgesamt 1,2 Millionen Datensätze in EFAS (Fallbearbeitungssoftware- und Analysesystem der sächsischen Cops) und 234 Verbindungsdatensätze gespeichert.
Es wurden mindestens 4 Monate lang Handy‘s, Festnetzanschluss, E-mail‘s und Internet von den Beschuldigten und deren Familien überwacht. Dazu stellten die Cops Anfragen an die Bundesnetzagentur, um festzustellen, wem welches Telefon bzw. Handy gehört.
Die Wohnungen von zwei Personen wurden mindestens 5 Monate lang observiert. Nach den Hausdurchsuchungen haben die Observationen massiv zugenommen, bei den Eltern der Beschuldigten wurde z.B. eine Kamera vor der Wohnung installiert, die erst nach der Einstellung des Verfahrens wieder entfernt wurde.
Die Beschlüsse waren für einen Monat gültig und wurden immer wieder verlängert; ähnlich war das auch bei der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ).
Bei einem Zeugen der in der Nacht von den Cops beim Prisnitzgrund aufgegriffen wurde, wurde das Heftchen „Was tun wenns Brennt“ von der Roten Hilfe gefunden. Dazu wurde ausführlich recherchiert, aus diesem Grund wurde er Beschuldigter.
Außerdem haben die Cops Auskünfte über Konten bei den entsprechenden Banken der Beschuldigten beschafft.
Bei den Ermittlungsvorgängen ist ersichtlich wie viele Behörden an diesem Fall zusammengearbeitet haben. Anscheinend wurde das Trennungsgebot (von Geheimdienst und Polizeibehörden) missachtet.
Bekannt ist dass der MAD (Militärische Abschirmdienst) ausschließlich gegen Bundeswehrangehörige, externe Firmen und den Wachschutz ermittelt hat. Das gesamte Bildmaterial von Schaulustigen und Tankstellen wurden beschlagnahmt. Das LKA Berlin hat bei der Funkzellenauswertung mitgeholfen. Es wurde nach Zusammenhängen mit anderen Brandanschlägen in Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein gesucht. Diese „Arbeit“ hat das BKA übernommen. Sämtliche Halter von Autos wurden ermittelt. Es gab Geschwindigkeitskontrollen bei Taxen, ÖPNV (Öffentlicher Personennahverkehr) und Sicherheitsfirmen.
Das BKA Meckenheim hat eine ausführliche Internetrecherche betrieben. Insgesamt wurden 3280 Personen ermittelt, die als ZeugInnen in Frage kommen, darunter Spaziergänger*innen und Sportler*innen. Das BekennerInnenschreiben „Initiative für ein neues Blaues Wunder“ das an unterschiedliche Medien per Post gesendet wurde, wurde von einem Gutachter des BKA analysiert. Es ergaben sich insgesamt 95 Unterspuren, jedoch nicht ein positiver Treffer. Bei der USBV (Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung) konnten auch Spuren gefunden werden.
Von acht Brandsätzen wurden sieben erfolgreich gezündet. An einem Brandsatz konnten drei unterschiedliche männliche DNA Spuren und zwei Fingerabdrücke gefunden werden. Eine weibliche DNA wurde an einem Zaun sichergestellt. Des weiteren konnte in dem am Tatort angrenzenden Wald eine DNA in Arbeitshandschuhen festgestellt werden. Zeugen hatten ein Auto mit Berliner Kennzeichen gesehen, woraufhin es eine Anfrage an das Kraftfahrtbundesamt gab. Von 1900 Autos kamen 325 in Frage, daraufhin gab es 43 Alibiüberprüfungen – jedoch gab es auch dort keine Ergebnisse. Bauanleitungen von den Zeitschriften „Radikal“ Nr. 157 und der „Interim“ wurden überprüft und vor allem wurde sich mit dem Artikel „Nobelkarrossentod“ auseinandergesetzt.
Vor ein paar Jahren wurde eine Person festgenommen, die aussagte, sie hasse das deutsche Militär und hätte deshalb die Offiziersschule des Heeres angezündet. Nach längeren Ermittlungen wurde den Behörden bewusst, dass es keinen Zusammenhang gibt und die Person als Täter ausgeschlossen werden kann.
Es kamen Brandmittelspührhunde und Bergungstechnik zum Einsatz. Auch Interpol wurde auf Vergleichs-DNA angefragt und es gab einen positiven Treffer. Jedoch ist aus den Akten nicht ersichtlich, ob es sich um eine weibliche oder männliche DNA handele oder in welchem Zusammenhang diese schon mal festgestellt worden wäre.
Des weiteren sind sämtlich Besucherlisten vom Hauptstaatsarchiv kontrolliert worden. Im November 2012 gab es zwei Aufforderungen DNA abzugeben, da diese Personen engen Kontakt zu den Beschuldigten in Finsterwalde hätten. Jedoch bekam das LKA nur einen richterlichen Beschluss für eine Person, von der die DNA in einem Krankenhaus Zwangsweise von einem Arzt abgenommen wurde.
Im Zusammenhang mit diesem Ermittlungsverfahren wurde die „Ermittlungsgruppe Albertstadt“ vom LKA Sachsen gegründet. Besetzt wurde diese Ermittlungsgruppe mit denselben Cops, die für das sog. „Sportgruppenverfahren“ nach §129 StGB zuständig waren.
Nach jahrelangen Ermittlungen wurden die Verfahren gegen vier Beschuldigte im Oktober 2015 schließlich eingestellt. Die Behörden probierten in diesen Jahren, die Linke Szene in Dresden und Umland mit Repression zu überschütten. Sie schnüffelten herum, probierten Freund*innen und Familien gegeneinander auszuspielen, observierten Betroffene und deren Umfeld, hörten jahrelang Telefone ab – sie legten die gesamte Szene lahm. Der Repressionsdruck gegen die GenossInnen vor Ort erschwert den Widerstand gegen die gesellschaftlichen Zustände erheblich, was Widerstand mit sich bringt. Nichts desto trotz muss man sich bewusst werden, dass die Repression alle treffen kann, ob man sich dem Staat entgegenstellt oder nicht – ob auf Demonstrationen, politischen Veranstaltungen, im Kampf gegen Faschismus, Diebstähle, Schwarzfahren und all das was Ausbeutung und Herrschaft hervorruft.

Revolutionäre Ideen sollten durch die Praxis überprüft werden.
Für das Ende der Herrschaft des Menschen durch den Menschen.
Für die Anarchie

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