(Kronstadt Journal I) Hundert Jahre Aufstand von Kronstadt

(Kronstadt Journal I) Hundert Jahre Aufstand von Kronstadt

Heute vor 100 Jahren, also am 01.03.1921, begann der Aufstand der Kronstädter Matrosen in der noch jungen Sowjetunion, dieser dauerte bis zum 18.03.1921 (was für ein Zufall, der Tag der politischen Gefangenen, oder der Pariser Kommune) und wir versuchen jeden Tag einen Artikel zu dem jeweiligen Tag zu veröffentlichen. Am 18.03.2021, falls es klappt, beenden wir diese Reihe mit der Veröffentlichung eines Berichtes, lasst euch überraschen.

Kronstadt Journal I

Im November 1920 war die wirtschaftliche Lage in Russland nach sieben Jahren Krieg katastrophal. Nachdem die kommunistische Partei mit Unterstützung der Kronstädter Matrosen die Weiße Armee niedergeschlagen hatte, gerieten die Bolschewisten aufgrund der im Namen des Kriegskommunismus durchgeführten Nahrungsmittelrequisitionen auf dem Land und der brutalen Unterdrückung der Opposition zunehmend in Erklärungsnot. Die meisten Matrosen erfuhren erst nach ihrer Rückkehr im Zuge der Demobilisierung von den schlechten Bedingungen. In zahlreichen Aufständen, die vor allem von Bauern getragen wurden, entlud sich die Unzufriedenheit mit der bolschewistischen Zentralregierung. So kam es nach einem Bericht der Tscheka (sowjetische Geheimpolizei) allein im Februar 1921 zu 118 Bauernaufständen in verschiedenen Teilen des Landes. Massenaustritte aus der Partei folgten. Allein in dem als Hochburg der Revolution geltenden Kronstadt, aufgrund seiner Rolle in den Juli-Tagen 1917 und bei der Bekämpfung der Weißen Armee, traten im Januar 1921 5000 Matrosen der Baltischen Flotte aus der Partei aus.

Am 24. Februar 1921 gab es in Petrograd, das an der Kronstädter Bucht liegt, in den Patronny-Munitionswerken, den Trubotschny- und Baltiywerken und der Fabrik Lafreme Arbeiterstreiks aus Protest gegen die autokratischen Methoden der bolschewistischen Regierung. Die Regierung entsandte noch am selben Tag die Kursanti, Studierende der Militärakademie, um die versammelten Arbeiter und Arbeiterinnen zu zerstreuen. Am folgenden Tag, den 25. Februar schlossen sich die Arbeiter und Arbeiterinnen der Admiralitätswerkstätten und der Galernaja-Docks dem Protest an. Bewaffnete Einheiten der Regierung verhinderten eine versuchte Straßendemonstration. Daraufhin beschloss die Versammlung der Petrograder Sowjets am 26. Februar die Schließung der Trubotschny-Fabrik und sperrte die Streikenden aus. Zahlreiche Verhaftungen und die Unterdrückung mehrerer Arbeiterorganisationen waren die Folge, dennoch wurden in den folgenden Tagen in den Straßen von Petrograd vermehrt die Proklamationen der Streikenden plakatiert, während die Bolschewisten begannen große Mengen Militär in Petrograd zusammenzuziehen.

Unterdessen hatte sich unter den Kronstädter Matrosen eine Sympathiebewegung mit den Streikenden in Petrograd gebildet. Die Besatzung des Kriegsschiffes Petropawlowsk nahm am 28. Februar eine Resolution an, in der unter anderem die freie Neuwahl des Kronstädter Sowjets gefordert wurde, der auch die Matrosen des Schiffes Sewastopol zustimmten. Beide Schiffe waren 1917 Hauptstützen der Bolschewisten gewesen. Ein Matrosenkomitee wurde nach Petrograd entsandt um über die dortige Lage zu berichten.

1. März

Auf dem Jakornyplatz in Kronstadt wird eine öffentliche Versammlung mit 16.000 Teilnehmer und Teilnehmerinnen abgehalten, auf der das entsandte Matrosenkomitee seinen Bericht zur Lage in Petrograd abgeben soll. Kalinin, Präsident der sozialistischen Föderativrepublik und Kusmin, Komissar der Ostseeflotte, sind anwesend und sprechen ebenfalls zur Versammlung. Der Vorsitzende des Exekutivkomitees der Kronstädter Sowjets präsidiert. Nachdem das Matrosenkomitee Bericht erstattet hat, spricht die Versammlung unverhohlen ihre Entrüstung über die Methoden der Bolschewisten aus und die Resolution vom 28. Februar wird vorgelegt. Trotz der Widerworte von Kalinin und Kusmin wird folgende Resolution verabschiedet und einstimmig angenommen:

Resolution der allgemeinen Versammlung der Mannschaften des ersten und zweiten Geschwaders der Ostseeflotte, abgehalten am 1. März 1921.

Nach Anhörung des Berichts der von der allgemeinen Versammlung der Schiffsmannschaften nach Petrograd zur Untersuchung der dortigen Lage geschickten Vertreter wird beschlossen:

1. Angesichts der Tatsache, daß die gegenwärtigen Sowjets den Willen der Arbeiter und Bauern nicht ausdrücken, sofort neue Wahlen mit geheimer Abstimmung abzuhalten, wobei die vorherige Wahlkampagne volle Agitationsfreiheit unter den Arbeitern und Bauern haben muß.
2. Rede- und Pressefreiheit einzuführen für Arbeiter und Bauern, Anarchisten und linksstehende sozialistische Parteien.
3. Versammlungsfreiheit für Arbeitergesellschaften und Bauernorganisationen zu sichern.
4. Eine parteilose Konferenz der Arbeiter, Soldaten der Roten Armee und Matrosen von Petrograd, Kronstadt und der Petrograder Provinz für nicht später als den 10. März 1921 einzuberufen.
5. Alle politischen Gefangenen der sozialistischen Parteien und alle in Verbindung mit Arbeiter- und Bauernbewegungen eingesperrten Arbeiter, Bauern, Soldaten und Matrosen zu befreien.
6. Eine Kommission zu wählen zur Revision der Fälle der in Gefängnissen und Konzentrationslagern Befindlichen.
7. Alle politotdell (politischen Büros) abzuschaffen, weil keine Partei spezielle Privilegien zur Propagierung ihrer Ideen besitzen oder zu solchen Zwecken finanzielle Regierungshilfe erhalten soll. An deren Stelle sollten erzieherische und kulturelle Kommissionen errichtet werden, lokal gewählt und von der Regierung finanziert.
8. Sofort alle sagryadltelniye otryadi1 abzuschaffen.
9. Die Rationen aller Arbeitenden gleichzumachen, mit Ausnahme der in gesundheitsschädlichen Beschäftigungen Tätigen.
10. Die kommunistischen Kampfabteilungen in allen Zweigen der Armee und die Kommunistischen Wachen, die in Werken und Fabriken Dienst tun, abzuschaffen. Sollten solche Wachen oder militärische Abteilungen sich als notwendig herausstellen, sind sie in der Armee aus der Mannschaft zu ernennen und in den Fabriken nach der Wahl der Arbeiter.
11. Den Bauern volle Aktionsfreiheit in bezug auf ihr Land zugeben, ebenso das Recht, Vieh zu halten, unter der Bedingung, daß sie mit ihren eigenen Mitteln auskommen, das heißt ohne gedungene Arbeitskräfte zu verwenden.
12. Alle Zweige der Armee und unsere Kameraden, die militärischen Kursanti zu ersuchen, unseren Beschlüssen beizutreten.
13. Zu verlangen, daß die Presse unsere Beschlüsse in vollstem Umfang an die Öffentlichkeit bringt.
14. Eine Reisende Kontrollkommission zu ernennen.
15.Freie Kustar-Produktion (individuelle in kleinem Maßstab) durch individuelle Arbeit zu erlauben.

Resolution einstimmig von der Brigadeversammlung angenommen bei Stimmenthaltung von zwei Personen.

Petritschenko, Vorsitzender der Brigadeversammlung. Perepelkin, Sekretär.

Resolution von der Kronstädter Garnison mit überwiegender Majorität angenommen.

Wasslljew, Vorsitzender.

Mit Genossen Kalinin zusammen stimmt Wassiljew gegen die Resolution.

Es wird beschlossen, ein Komitee von 30 Mitgliedern nach Petrograd zu schicken, um den Arbeitern und Arbeiterinnen und der dortigen Garnison die Forderungen von Kronstadt bekannt zu machen und um die Entsendung parteiloser Delegierter des Petrograders Proletariats nach Kronstadt zu ersuchen. Dieses Komitee wird bei seiner Ankunft in Petrograd von den Bolschewisten verhaftet, sein weiteres Schicksal ist unbekannt.

 

1Bewaffnete Gruppen, die von den Bolschewiki organisiert sind zur Unterdrückung des Handels und zur Konfiskation von Lebensmitteln und anderen Produkten. Die Verantwortungslosigkeit und Willkür ihres Vorgehens waren im ganzen Land sprichwörtlich. Die Regierung schaffte sie in der Petrograder Provinz am Vorabend ihres Angriffs gegen Kronstadt ab – ein Bestechungsversuch an dem Petrograder Proletariat. Alexander Berkman.

This entry was posted in Allgemein, Anarchistische/Revolutionäre Geschichte, Kronstadt 1921, Soligruppe für Gefangene, Texte. Bookmark the permalink.