Kronstadt Journal IV
04. März
Im Petrograder Sowjet findet eine Versammlung statt in der die Resolution verabschiedet wird, dass es sich beim Kronstädter Aufstand, um eine gegenrevolutionäre Erhebung gegen die Sowjetregierung handeln würde. So wurden die Aufständischen in Kronstadt für Vogelfrei erklärt.
„Das Verteidigungskomitee übernahm die systematische „Reinigung der Stadt“. Zahlreiche der Sympathie mit Kronstadt verdächtige Arbeiter, Soldaten und Matrosen wurden verhaftet. Alle Petersburger Matrosen und mehrere Regimenter der Armee, die als „politisch unzuverlässig“ angesehen wurden, wurden an entfernte Orte geschickt, während die in Petersburg lebenden Familien von Kronstädter Matrosen als Geiseln eingesperrt wurden. Das Verteidigungskomitee teilte sein Vorgehen Kronstadt mit durch eine über der Stadt am 4. März von einem Aeroplan ausgestreute Proklamation, welche erklärte: „Das Verteidigungskomitee erklärt, daß die Verhafteten als Geiseln gehalten werden für den Kommissär der Ostseeflotte, N. N. Kusmin, den Vorsitzenden des Kronstädter Sowjet, T. Wassiljew und andere Kommunisten. Wenn unsere festgehaltenen Genossen den geringsten Schaden leiden, werden -die Geiseln dies mit ihrem Leben bezahlen.“
„Wir wollen kein Blutvergießen. Kein einziger Kommunist wurde von uns erschossen“, war die Antwort Kronstadts.“ Alexander Berkman, die Kronstadt Rebellion
„Am 4. März würde sich der Petrograder Sowjet treffen und die allgemeine Wahrnehmung war, dass sich dabei das Schicksal Kronstadts entscheiden würde. Trotzki würde zu der Versammlung sprechen und ich hatte bisher keine Gelegenheit gehabt, ihn in Russland zu hören. Ich war neugierig darauf, an der Versammlung teilzunehmen. Ich hatte mir noch keine feste Meinung zu Kronstadt gebildet. Ich konnte nicht glauben, dass die Bolschewiki die Geschichte über General Koslowski als Anführer der Matrosen bewusst erfunden haben sollten. Ich erwartete, dass das Treffen des Sowjets die Angelegenheit aufklären würde.
Das Taurische Palais war überfüllt und ein Spezialkommando von Kursanti1 bewachte die Bühne. Die Stimmung war ziemlich angespannt. Alle warteten auf Trotzki. Aber als er um 10 Uhr noch nicht erschienen war, eröffnete Sinowjew die Versammlung. Er hatte noch keine Viertelstunde gesprochen, da war ich überzeugt, dass er die Geschichte von Koslowski selbst nicht glaubte. „Natürlich ist Koslowski alt und nicht in der Lage etwas zu tun“, sagte er, „aber die weißen Offiziere stehen hinter ihm und täuschen die Matrosen.“ Seit Tagen hatten die sowjetischen Zeitungen General Koslowski als die treibende Kraft des „Aufstands“ dargestellt. Kalinin, dem die Matrosen erlaubt hatten, Kronstadt unbehelligt zu verlassen, tobte wie ein Fischverkäufer. Er denunzierte die Matrosen als Konterrevolutionäre und sprach sich für ihre sofortige Unterwerfung aus. Mehrere andere Kommunisten folgten seinem Beispiel. Als die Versammlung zur Diskussion überging, verlangte ein Arbeiter der Petrograder Waffenfabrik das Wort. Er sprach mit großen Emotionen und erklärte furchtlos, die ständigen Unterbrechungen ignorierend, dass die Arbeiter von der Indifferenz der Regierung gegenüber ihren Beschwerden zum Streik gezwungen worden seien und die Kronstädter Matrosen, weit davon entfernt Konterrevolutionäre zu sein, der Revolution dienen würden. Er erinnerte Sinowjew daran, dass sich die bolschewistischen Autoritäten gegenüber den Arbeitern und Matrosen so verhielten, wie damals die Kerenski-Regierung gegenüber den Bolschewiki. „Damals wurdet ihr als Konterrevolutionäre und deutsche Agenten denunziert“, sagte er. „Wir, die Arbeiter und Matrosen, hielten zu euch und verhalfen euch zur Macht. Nun denunziert ihr uns und seid bereit uns mit Waffen anzugreifen. Denkt daran, dass ihr mit dem Feuer spielt.“ Daraufhin sprach ein Matrose. Er bezog sich auf die glorreiche revolutionäre Vergangenheit Kronstadts, appellierte an die Kommunisten, sich nicht an einem Geschwistermord zu beteiligen und verlas die Resolution von Kronstadt, um die friedfertige Einstellung der Matrosen zu beweisen. Aber die Stimmen dieser Söhne des Volkes trafen auf taube Ohren. Der Petrograder Sowjet, dessen Gemüter von der bolschewistischen Demagogie erregt waren, verabschiedete die Resolution Sinowjews, die Kronstadt unter Androhung seiner Vernichtung befahl, sich zu ergeben. Die Kronstädter Matrosen waren immer die Ersten gewesen, die der Revolution gedient hatten. Sie hatten eine wichtige Rolle bei der Revolution von 1905 gespielt, sie waren 1917 in den ersten Reihen. Unter Kerenskis Regime riefen sie die Kommune von Kronstadt aus und begaben sich in Feindschaft zur Konstituierenden Versammlung. Sie waren die Vorhut der Oktoberrevolution gewesen. Im großen Kampf gegen Judenitsch leisteten die Matrosen die kampfstärkste Verteidigung von Petrograd und Trotzki lobte sie als „Stolz und Ruhm der Revolution.“ Doch nun hatten sie es gewagt, ihre Stimme gegen die neuen Herrscher Russlands zu erheben. Das war aus Sicht der Bolschewiki Hochverrat. Die Matrosen von Kronstadt waren verdammt. Petrograd war aufgebracht über die Entscheidung des Sowjets, sogar einige der Kommunisten, besonders die der französischen Sektion, empfanden Empörung. Aber keiner von ihnen hatte den Mut gegen das geplante Massaker zu protestieren, nicht einmal in Parteikreisen. Sobald die Resolution des Petrograder Sowjets bekannt wurde, versammelte sich eine Gruppe bekannter Literaten aus Petrograd, um sich darüber zu beraten, ob man denn nichts gegen das geplante Verbrechen unternehmen könne. Jemand schlug vor, dass man Gorki bitte, Kopf eines Komitees zu sein, dass gegen die sowjetischen Autoritäten protestieren solle. Man hoffte, dass er seinem glorreichen Landsmann Tolstoi nacheifern würde, der in seinem berühmten Brief an den Zaren seine Stimme gegen das furchtbare Massaker an den Arbeitern erhoben hatte. Auch nun wurde eine solche Stimme benötigt und man hielt Gorki für den richtigen Mann, um zu den jetzigen Zaren zu sprechen, sich zu besinnen. Aber die meisten Anwesenden bei der Versammlung verschmähten diese Idee. Gorki sei einer der Bolschewiki sagten sie, er würde nichts tun. Mensch hätte sich bereits früher mehrmals an ihn gewandt, aber er hätte es abgelehnt zu intervenieren.“ Emma Goldman, Meine zwei Jahre in Russland
1A.d.H., die Kursanti waren Studenten der Militärakademie.