(1905) Albert Libertad, Das patriotische Vieh

Gefunden auf der Seite der spanischsprachigen Anarchistischen Bibliothek, der erste Text von Albert Libertad den wir übersetzten und veröffentlichen richtet sich gegen das Militär, ein kurzer hervorragender Text.


(1905) Albert Libertad, Das patriotische Vieh

Auf in die Kaserne! Auf in die Kaserne! Komm, zwanzigjähriger Junge, Mechaniker oder Lehrer, Maurer oder Zeichner, streck dich auf dem Bett aus… auf dem Bett von Prokrustes.1 Du bist zu groß…. wir werden dich schrumpfen. Das ist die Kaserne… hier stellst du dich nicht schlau an, hier gibst du nicht an… alle sind gleich, alle Brüder… Brüder in was? In Dummheit und Gehorsam, natürlich.

Ah! Deine Individualität, dein Kopf, deine Art… Wir scheren uns einen Dreck um dich! Deine Gefühle, deine Vorlieben, deine Neigungen… Ab in die Gosse! Es ist für das Vaterland… wir sagen es dir! Du bist kein Mann mehr, du bist ein Lamm. Du bist in der Kaserne, um dem Vaterland zu dienen. Du nicht weißt, was es ist, umso schlimmer für dich. Andererseits musst du es aber auch nicht wissen. Das Einzige, was du tun musst, ist gehorchen. Augen nach rechts. Augen nach links. In Deckung gehen. Ruhe dich aus. Iss! Trink! Schlaf!

Ah! Und du sprichst von deiner Initiative, deinem Willen! Hier ist davon keine Rede; es gibt nichts als Disziplin. Was! Was willst du damit sagen? Dass man dir beigebracht hat, nachzudenken, zu argumentieren, dir ein Urteil über Menschen und Dinge zu bilden? Hier, um sie zu zerquetschen, um sie zu verblenden. Du hast, du darfst keine anderen Sorgen, keine anderen Urteile haben als die deiner Chefs.

Dass du nicht willst, dass du nicht anders kannst, als denen zu folgen, die du aus Erfahrung als kompetent erkannt hast? Mach hier keine Witze, Kleiner. Du hast ein mechanisches Mittel, um zu wissen, wem du gehorchen musst… Zähle die goldenen Fäden am Ärmel eines Dolmans.2

Auf in die Kaserne! Auf in die Kaserne!

Die Armee, habe ich in letzter Zeit gesagt, stellt sich nicht gegen den äußeren Feind; die Armee stellt sich nicht gegen den inneren Feind; die Armee stellt sich gegen uns selbst, unseren Willen, unser „Ich“. Die Armee ist die Rache der Masse gegen das Individuum, der Zahl gegen die Einheit.

Die Armee ist nicht die Schule des Verbrechens; die Armee ist nicht die Schule der Korruption, oder wenn sie es ist, ist das nicht der größte ihrer Fehler; die Armee ist die Schule der Apathie, die Schule der Entmannung.

Trotz der Familie, trotz der Schule, trotz der Werkstatt, bleibt in jedem Menschen etwas von seiner Persönlichkeit erhalten; von Zeit zu Zeit gibt es Bewegungen der Reaktion gegen das Mittel. Die Armee, deren Hauptquartier die Kaserne ist, vollendet dieses Werk der Auslöschung des Individuums.

Der Mann in seinen Zwanzigern besitzt jene großzügige Virilität, die ihn in die Lage versetzt, sich der Entwicklung einer Idee zu widmen. Er ist frei von den Fesseln der Gewohnheit, von den Unannehmlichkeiten des Zuhauses und von der Last der Jahre. Er kann seine Logik bis zur Rebellion treiben. Er hat den Saft in sich, der Knospen zum Platzen und Blumen zum Blühen bringt.

An einer Wegbiegung wird ihm die Falle des Vaterlandes, die Falle der Armee, die Mausefalle der Kaserne gestellt. So viele, dass alle Fähigkeiten blockiert sind. Kein Denken mehr. Kein Lesen mehr. Kein Schreiben mehr. Auf jeden Fall ist der Wille nicht mehr gefragt.

Von den Haarspitzen bis zu den Zehenspitzen gehört dein ganzer Körper der Armee. Du wählst nicht mehr die Frisur und das Schuhwerk, das dir gefällt. Du trägst keine lose oder eng anliegende Kleidung mehr. Du gehst nicht ins Bett, wenn du dich müde fühlst…. Es gibt einen Schuh, in gemeinsamen Öfen und die Zeit deiner Ruhe ist für Jahre festgelegt.

Was ist das alles? Eine Frage der Ausdauer!

Aber es gibt noch etwas Schlimmeres… Auf der Straße sprichst du nicht mehr mit wem du willst! Du betrittst nicht die Orte, die du magst! Du liest nicht die Zeitung, die dich interessiert! Auch deine Beziehungen, deine Treffen und deine Lektüre sind reglementiert! Und wenn du zufällig sexuelles Verlangen hast, gibt es das Soldatenbordell und das Offiziersbordell, genauso wie es verschiedene Orte gibt, an denen man sich betrinken kann.

Alles ist geregelt, alles ist vorherbestimmt. Das Individuum wird getötet. Die Initiative ist tot.

Die Kaserne ist der Stall für das patriotische Vieh. Aus ihr geht eine Herde hervor, die bereit ist, die Wahlherde zu bilden.

Die Armee ist das furchterregende Instrument, das von den Herrschenden gegen das Individuum errichtet wurde; die Kaserne ist die Kanalisierung der menschlichen Kräfte aller zum Nutzen einiger weniger. Man betritt sie als Mensch, wird Soldat und verlässt sie als Staatsbürger.


1Sohn von Poseidon und Vater von Sinis. Prokrustes war ein Dieb und Gastwirt. Er besaß ein Haus in den Hügeln von Attika, wo er einsamen Reisenden eine Unterkunft bot. Wenn der Gast groß war, legte er ihn auf ein kürzeres Bett und sägte die überstehenden Teile ab; war er klein, legte er ihn auf ein größeres Bett, wo er ihn festband und seine Knochen zerlegte, um seinen Körper zu strecken.

2Uniformjacke, die von den Husaren getragen wurde.

This entry was posted in Albert Libertad, Anarchistische/Revolutionäre Geschichte, Krieg, Texte. Bookmark the permalink.