(Jacques Camatte, Gianni Collu) Von der Organisation

Übersetzt aus dem Englischen ‚De l’organisation‘ unter Zuhilfenahme des französischen Originals, sowie der spanischen Version desselben Textes. In Zusammenarbeit mit Libri Felis Nigrae übersetzt und korrigiert.

In dem hier vorliegende Text von Jacques Camatte kritisiert er alle Organisation (in Form spezifischer Gruppen/Parteien, etc.), weil diese sich nur vom Proletariat trennen können, von diesem getrennt sind und daher nur darauf streben diesen zu lenken/anführen. Camatte nennt dies die Trennung der formellen von der historischen Partei, wobei letzte sich immer nur dann bildet (ganz nach Marx) wenn das Proletariat kämpft und dadurch über sich selbst Bewusstsein erlangt und daher sich zur revolutionären Kraft (sprich Partei) bildet. Dies habe eben nichts mit der früheren sozialdemokratischen Vorstellung der Partei zu tun (Kautsky, Bernstein,…) und seinen späteren bolschewistischen Nachahmern und Schülern zu tun (Lenin, Trotsky, Stalin, Mao, sprich sämtliche leninistische Avantgard-Parteien der Welt).

Aus dem Grund, und weil auch die kapitalistische Gesellschaft auf Konkurrenz und Wettbewerb basiert (Nation-Staat vs. Nation-Staat, Unternehmen vs. Unternehmen, Prolet vs. Prolet) und dadurch ‚Rackets‘ einen System-inhärente Funktion ausüben, teilen wir den Kern der Kritik von Camatte die nach der Autonomie der Praxis, weg vom Fetisch und der Mythologie der Organisation-Partei, des Proletariats setzt. Sprich handelt es sich (auch) um eine Kritik an der Formalität, die aber nicht in in anderen Fetischen und Mythologien zerfallen soll.

Soligruppe für den sozialen Krieg und für Gefangene


Franz. Original: De l’organisation; in „Invariance“, Anne V, serie II, no. 2, 1972

Englisch: On organization; in „This world we must leave, and other essays“, Autonomedia, 1995

Spanisch: Sobre la organización


Einleitende Worte

Jacques Camatte ist ein französischer Theoretiker, der lange Zeit in der (italienischen) bordigistischen Gruppe PCI aktiv war. Nach inhaltlichen Überwerfungen gründete er in Frankreich das Magazin Invariance, dessen langjähriger Herausgeber er ist. Invariance ist auch ein Ausdruck seiner theoretischen Entwicklung, war er eben lange Zeit Teil der bordigistischen Kommunisten in Italien und entwickelte dann über Ideen, die sich eher der Tendenz der Kommunisierung zurechnen lassen zu einem Kritiker der Zivilisation und eines Vordenkers der primitivistischen Kritik.

Die hier vorliegende Kritik an Organisationen nutzt das Konzept des Rackets zu einer Beschreibung des Bandencharakters von Gruppen und besonders politischen Organisationen. Der Begriff stammt ursprünglich aus der juristischen Fachsprache vor allem der USA, wo er benutzt wird um spezifische Formen der (bandenmäßigen) Erpressung zu beschreiben und auch für die Strafverfolgung zu definieren.

Die Verwendung des Begriffs in (marxistischen) Theorien ist nicht neu. Bereits Ende der 30er, Anfang der 40er verwendeten die Vertreter der Kritischen Theorie ausgehend von Felix Weil und besonders Max Horkheimer diesen Begriff um eine Gesellschaftstheorie des Rackets zu entwickeln. Im Gegensatz zu Camatte sollte hierbei der Begriff des Rackets als Ausgangspunkt einer vollumfänglichen Gesellschaftsanalyse dienen, die das Racket/ die Bande als Kernform menschlicher Gesellschaft sieht. Offensichtlich wurden diese Ansätze nie zu Ende entwickelt und die Rackettheorie der Kritischen Theorie blieb immer fragmentarisch auf einzelne kürzere Essays beschränkt, bzw. auf einige randständige Erwähnungen in ihren Arbeiten. In der späteren Schaffensphase der Frankfurter verlor der Begriff dann auch seine Relevanz.

Camattes Versuch einer Verwendung des Rackets als Beschreibung spezifischer Gruppendynamiken und damit als Ausgangspunkt einer konkreten Kritik eben jener, dadurch fällt aber ein wichtiger Aspekt unter den Tisch: der Konflikt der Banden untereinander. Das Racket verlangt absolute Unterordnung seiner Mitglieder und ermöglicht absolute Grausamkeit gegenüber den außerhalb der eigenen Bande stehenden Menschen. Genau dies ist auch eine Rechtfertigung des Staates: der Schutz seiner Bevölkerung gegenüber den anderen Rackets bzw. den Rackets und dem Verbrechen. Für eine diejenigen, die das Projekt der Überwindung des Bestehenden ernsthaft angehen wollen, das heißt das Bestehende zu verstehen um es kritisieren zu können, ist dieses Verhältnis des Staates als Racket, als Schutz vor dem Racket und der Gefahr des Rackets Thematiken, die unumgänglich sind. Dieser Text ist ein Anfang.

Fabian Hayek für Edition Provokation


(Jacques Camatte, Gianni Collu) Von der Organisation

Der folgende Brief den wir veröffentlichen (vom 04.09.69) führte zur Auflösung der Gruppe, die sich auf der Grundlage der in Invariance1 dargelegten Positionen zu bilden begonnen hatte. Dieser eröffnete eine wichtigen Debatte-Reflexion, die seither andauert und dessen Schlussfolgerungen bereits in der Nummer acht der Serie I von „Transition“ diskutiert wurden.

Einige der in den Briefen aufgeworfenen Punkte wurden zwar teilweise angegangen, andere wurden jedoch kaum behandelt. Deshalb ist es notwendig – angesichts der Wichtigkeit eine sauberere Zäsur mit der Vergangenheit zu vollziehen – den Brief jetzt zu veröffentlichen. Die Veröffentlichung soll es den Leser ermöglichen, die bisher geleistete Entwicklung der Arbeit zu würdigen und zu erkennen, was noch zu tun ist.

Da es sich gleichzeitig um eine Zäsur (und damit um eine Schlussfolgerung) und um einen Ausgangspunkt handelt, enthält der Brief eine gewisse Anzahl von Ungenauigkeiten, Keime möglicher Fehler. Wir werden die wichtigsten davon in einer Anmerkung aufführen. Da es uns damals, nachdem wir die Methode/Modus der Gruppe abgelehnt hatten, möglich war, „konkret“ zu skizzieren, wie man Revolutionär sein kann, hätte unsere Ablehnung der Splittergruppen2 als Rückkehr zu einem mehr oder weniger Stirnerschen Individualismus interpretiert werden können. Als ob die einzige Garantie von nun an die von den einzelnen Revolutionär gepflegte Subjektivität sein würde! Weit gefehlt. Es war notwendig, eine bestimmte Wahrnehmung der sozialen Realität und die damit verbundene Praxis öffentlich abzulehnen, da sie ein Ausgangspunkt für den Prozess der Racketisierung3 waren. Wenn wir uns also völlig aus der Bewegung der politischen Splittergruppen zurückzogen, dann nur um gleichzeitig mit jeden anderen Revolutionären, die eine analoge Zäsur vollzogen hatten, in Verbindung treten zu können. Wir wollten ein Konvergenzphänomen hervorheben. Jetzt gibt es eine direkte Produktion von Revolutionären, die den Punkt, an dem wir unsere Zäsur vollziehen mussten, fast direkt übertreffen. Es gibt also eine potenzielle „Vereinigung“, die in Frage käme, wenn wir die Zäsur mit dem politischen Standpunkt nicht bis in die Tiefen unseres individuellen Bewusstseins tragen würden. Da das Wesen der Politik im Wesentlichen Repräsentation ist, versucht jede Gruppe ständig ein eindrucksvolles Bild auf der gesellschaftlichen Leinwand zu projizieren. Die Gruppen erklären immer, wie sie sich selbst darstellen, um von bestimmten Leuten als die Avantgarde für die Vertretung der Anderen, der Klasse, anerkannt zu werden. Dies zeigt sich in dem berühmten „Was uns unterscheidet“ der verschiedenen Splittergruppen auf der Suche nach Anerkennung. Jede Abgrenzung ist eine Begrenzung und führt oft sehr schnell zu einer Reduzierung der Abgrenzung auf einige repräsentative Slogans für das racketeeristische Marketing. Jede politische Repräsentation ist ein Bildschirm und damit ein Hindernis für eine Verschmelzung der Kräfte. Sie kann sowohl auf der individuellen als auch auf der Gruppenebene stattfinden, wäre der Rückgriff auf die erste Ebene für uns eine Wiederholung der Vergangenheit.

Camatte, 1972

„Wir beide geben keinen Pfifferling für Popularität. Beweis z.B., im Widerwillen gegen allen Personenkultus, habe ich während der Zeit der Internationalen die zahlreichen Anerkennungsmanöver, womit ich von verschiednen Ländern aus molestiert ward, nie in den Bereich der Publizität dringen lassen und habe auch nie darauf geantwortet, außer hie und da durch Rüffel. Der erste Eintritt von Engels und mir in die geheime Kommunistengesellschaft geschah nur unter der Bedingung, daß alles aus den Statuten entfernt würde, was dem Autoritätsaberglauben förderlich.“ Marx an Wilhelm Blos – 10.11.1877, MEW 34, S. 308.

„Kann man im bürgerlichen Umgang oder Trade dem Schmutz entgehn? Nur ist er in letztrem an seinem naturwüchsigen Ort. […] Die ehrliche Niederträchtigkeit oder niederträchtige Ehrlichkeit zahlungsfähiger […] Moral steht mir keinen Deut höher als die irrespektable Niedertracht, von der weder die ersten christlichen Gemeinden, noch der Jakobinerklub, noch unser weiland „Bund“ sich ganz rein halten konnten. Nur gewöhnt man sich, im bürgerlichen Verkehr das Gefühl für die respektable Niedertracht oder niederträchtige Respektabilität zu verlieren.“ Marx an Ferdinand Freiligrath – 29.02.1860, MEW 30, S. 492.

Die Bildung des Kapitals in der materiellen Existenz und damit in der sozialen Gemeinschaft, geht einher mit dem Verschwinden des Kapitalisten als traditionelle Figur, der relativen und manchmal absoluten Verkleinerung des Proletariats und dem Wachstum neuer Mittelschichten. Jede menschliche Gemeinschaft, und sei sie noch so klein, ist durch die Existenzweise der materiellen Gemeinschaft bedingt. Die gegenwärtige Existenzweise ergibt sich aus der Tatsache, dass das Kapital nur dann in der Lage ist, sich selbst zu verwerten, also zu existieren und sich zu entwickeln, wenn ein Teilchen von ihm, zur gleichen Zeit, in der es sich veräußert, dem gesellschaftlichen Ganzen entgegentritt und sich in Beziehung zum Gesamten vergesellschafteten Äquivalent, dem Kapital, setzt. Es braucht diese Konfrontation (Konkurrenz, Wetteifer); es existiert nur durch Differenzierung. Von diesem Punkt aus bildet sich ein soziales Gefüge, das auf dem Wettbewerb rivalisierender „Organisationen“ (Rackets) beruht.

„Er reproduziert eine neue Finanzaristokratie, eine neue Sorte Parasiten in Gestalt von Projektenmachern, Gründern und bloß nominellen Direktoren; ein ganzes System des Schwindels und Betrugs mit Bezug auf Gründungen, Aktienausgabe u n d Aktienhandel. Es ist Privatproduktion ohne die Kontrolle des Privateigentums.“ Das Kapital, 3. Band, MEW 25, S. 454.

„Die Expropriation erstreckt sich hier von den unmittelbaren Produzenten auf die kleineren und mittleren Kapitalisten selbst. Diese Expropriation ist der Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktionsweise; ihre Durchführung ist ihr Ziel, und zwar in letzter Instanz die Expropriation aller einzelnen von den Produktionsmitteln, die mit der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion aufhören, Mittel der Privatproduktion und Produkte der Privatproduktion zu sein, und die nur noch Produktionsmittel in der Hand der assoziierten Produzenten, daher ihr gesellschaftliches Eigentum, sein können, wie sie ihr gesellschaftliches Produkt sind. Diese Expropriation stellt sich aber innerhalb des kapitalistischen Systems selbst in gegensätzlicher Gestalt dar, als Aneignung des gesellschaftlichen Eigentums durch wenige; u n d der Kredit gibt diesen wenigen immer mehr den Charakter reiner Glücksritter.“ Das Kapital, 3. Band, MEW 25, S.455 f.

Das Unternehmen als Sitz des Produktionsprozesses (Wertschöpfung) ist ein Ort, der die Bewegung des Kapitals bremst, es also fixiert. Es muss also diese Fixierung überwinden, diesen festen Charakter verlieren. So entsteht das eigentumslose Unternehmen, das noch eine mystifizierte Ertragsform des Mehrwerts zulässt. Hier ist das konstante Kapital gleich Null, sodass nur ein kleiner Kapitalvorschuss nötig ist, um das „Geschäft“ ins Rollen zu bringen. Schließlich gibt es sogar fiktive Unternehmen, dank derer sich die unkontrollierteste Spekulation entwickelt.

„Heute tritt das Kapital ständig in Form einer „Organisation“ auf.“ Hinter diesem Wort – in den glorreichen Tagen der Arbeitskämpfe gleichbedeutend mit Brüderlichkeit im offenen Kampf, heute aber nur noch eine heuchlerische Fiktion über das gemeinsame Interesse von Unternehmern, Verwaltern, Technikern, Hilfsarbeitern, Robotern und Aufpassern -, hinter den nichtssagenden und anti-mnemonischen Markenzeichen der Unternehmen, hinter den Begriffen „Elemente der Produktion“ und „Stimulierung des Staatseinkommens“ erfüllt das „Kapital“ noch immer seine alte, abstoßende Funktion; eine Funktion, die weit unwürdiger ist als die des Unternehmers, der zu Beginn der bürgerlichen Gesellschaft seine Intelligenz, seinen Mut und seinen wahren Pioniergeist persönlich eingebracht hat.

Die Organisation ist nicht nur der moderne entpersonalisierte Kapitalist, sondern auch der Kapitalist ohne Kapital, denn sie braucht kein Kapital…

Die Unternehmensorganisation hat ihren eigenen Plan. Es wird kein zuverlässiges Unternehmen mit Vermögenswerten gegründet, sondern eine „Firmenfront“ mit einem fiktiven Kapital4. Wenn etwas im Voraus gezahlt wird, dann nur, um die Sympathie der staatlichen Stellen zu gewinnen, die Angebote, Vorschläge und Verträge prüfen.

Dies offenbart die Falschheit der dummen Doktrin, dass die Staats- oder Parteibürokratie eine neue herrschende Klasse darstellt, die Proletarier und Kapitalisten gleichermaßen ausnimmt – eine lächerliche Hypothese, die aus marxistischer Sicht leicht zu verwerfen ist. Heute ist der „Spezialist“ ein Raubtier, der Bürokrat ein erbärmlicher Speichellecker.

Die Organisation unterscheidet sich von der Kommune der Arbeit (eine libertäre Illusion, die in keinem definierten Rahmen zu finden ist) dadurch, dass es in jeder Form statt Gleichheit der Leistung in einer gemeinsamen Arbeit eine Hierarchie der Funktionen und Leistungen gibt. Es kann nicht anders sein, wenn das Unternehmen auf dem Markt autonom ist und eine profitable Bilanz vorlegen muss.

Jüngste Berichte aus Rußland über die regionale Dezentralisierung und erweiterte Selbständigkeit einzelner Konzerne zeigen, daß die Tendenz zu einer explosionsartigen Ausweitung des Vertragssystems geht, bei dem sich der Staat in allen Wirtschaftsbereichen an Organisationen verdingt, die faktisch Geschäftsbanden sind, mit wechselnder und schwer faßbarer personeller Zusammensetzung. Dies ähnelt den verschiedenen gierigen Formen, die die moderne Bauindustrie in allen zeitgenössischen kapitalistischen Systemen kennzeichnen.“

A. Bordiga, „The Economic and Social Structure in Russia Today“ in Il programma comunista, no. 7, 1957. Edition de L’oubli 1975, pp. 230-31.

Der Staat vermietet sich nicht nur an Gangs, sondern wird selbst zu einer Gang (Racket). Trotzdem spielt er immer noch die Rolle des Vermittlers.

„Die absolute Monarchie, selbst schon Produkt der Entwicklung des bürgerlichen Reichtums zu einer mit den alten Feudalverhältnissen unverträglichen Stufe, bedarf entsprechend der gleichförmigen allgemeinen Macht, die sie fähig sein muß auf allen Punkten der Peripherie auszuüben, als des materiellen Hebels dieser Macht des allgemeinen Äquivalents, des Reichtums in seiner stets schlagfertigen Form, worin er durchaus unabhängig ist von besondren lokalen, natürlichen, individuellen Bezi[ehun]gen.“ Karl Marx, Urtext Fragment des Urtextes von „Zur Kritik der politischen Ökonomie“, II. Kapitel. [2. Das Geld als Zahlungsmittel]

Der Staat erschien in seiner reinen Form, mit der Macht des allgemeinen Äquivalents, in der Zeit des Wachstums des Wertgesetzes in der Periode der einfachen Warenproduktion. In der Phase der formellen Herrschaft des Kapitals, als das Kapital das Wertgesetz noch nicht beherrschte, war Staat ein Vermittler zwischen diesem und den Resten der anderen fortbestehenden Produktionsweisen und dem Proletariat selbst. Außerdem war in dieser Epoche das Kreditsystem noch unentwickelt und hatte noch nicht in großem Umfang fiktives Kapital hervorgebracht. Das Kapital brauchte noch einen starren Goldstandard. Mit dem Übergang zur realen Herrschaft schuf das Kapital sein eigenes allgemeines Äquivalent, das nicht mehr so starr sein konnte wie in der Periode der einfachen Zirkulation. Der Staat selbst musste seine Starrheit verlieren und zu einer Gang werden, die zwischen den verschiedenen Gangs und zwischen dem Gesamtkapital und den Einzelkapitalen vermittelt.

Die gleiche Art von Wandel können wir im politischen Bereich beobachten. Das Zentralkomitee einer Partei oder das Zentrum jeder Art von Gruppierung spielt dieselbe Rolle wie der Staat. Dem demokratischen Zentralismus gelang es nur, die für die formale Herrschaft charakteristische parlamentarische Form nachzuahmen. Und der organische Zentralismus, der lediglich in negativer Weise als Ablehnung der Demokratie und ihrer Form (Unterwerfung der Minderheit unter die Mehrheit, Abstimmungen, Kongresse usw.) bekräftigt wird, bleibt in Wirklichkeit nur in den moderneren Formen gefangen. Dies führt zu einer Mystifizierung der Organisation (wie beim Faschismus). So hat sich die PCI (Internationale Kommunistische Partei) zu einer Gang entwickelt.

Da das Proletariat vernichtet wurde, stößt diese Bewegung des Kapitals auf keinen wirklichen Widerstand in der Gesellschaft und kann sich daher umso effizienter selbst produzieren. Das wirkliche Sein des Proletariats wurde geleugnet, es existiert nur noch als Objekt des Kapitals. In ähnlicher Weise wurde die Theorie des Proletariats, der Marxismus, zerstört, indem sie zunächst durch Kautsky´s revisionistischen Werken und dann von Bernstein liquidiert wurde. Dies geschah auf endgültige Art und Weise, denn seither ist es keinem Angriff des Proletariats gelungen, den Marxismus wieder zu etablieren. Dies ist nur eine andere Art zu sagen, dass es dem Kapital gelungen ist, seine reale Herrschaft zu etablieren. Um dies zu erreichen, musste das Kapital die Bewegung, die es negiert, das Proletariat, absorbieren und eine Einheit herstellen, in der das Proletariat lediglich ein Objekt des Kapitals ist. Diese Einheit kann nur durch die Krise, wie sie von Marx beschrieben wurde, zerstört werden. Daraus folgt, dass alle Formen der politischen Organisation der Arbeiterklasse verschwunden sind. Stattdessen stehen sich Gangs in einem obszönen Wettbewerb gegenüber, regelrechte Rackets, die in dem, was sie anbieten, miteinander rivalisieren, aber in ihrem Wesen identisch sind.

Die Existenz der Gangs ergibt sich also aus der Tendenz des Kapitals, seine Widersprüche zu absorbieren, aus seiner Bewegung der Negation und aus seiner Reproduktion in einer fiktiven Form. Das Kapital negiert die Grundprinzipien, auf denen es sich aufbaut, oder neigt dazu, sie zu leugnen, aber in Wirklichkeit lässt es sie in einer fiktiven Form wieder aufleben. Das Sein der Gang ist ein deutlicher Ausdruck dieser Dualität:

– Der Anführer, der befiehlt (und seiner Clique) = Karikatur des traditionellen Individuums.

– Die kollektive Form = Karikatur der auf gemeinsamen Interessen beruhenden Gemeinschaft.

Eine Wiederaufsaugung der Bewegung der Negation wird in der Gang stattfinden, die die Verwirklichung der Erscheinung ist. Die Gang erfüllt auch eine andere Forderung des Kapitals: Sie ersetzt alle natürlichen oder menschlichen Voraussetzungen durch vom Kapital bestimmte Voraussetzungen.

In ihren Außenbeziehungen neigt die politische Gang dazu, die Existenz der Clique zu verschleiern, da sie verführen muss, um zu rekrutieren. Sie schmückt sich mit einem Schleier der Bescheidenheit, um ihre Macht zu vergrößern. Wenn sich die Clique an Außenstehende wendet (Zeitschriften, Zeitschriften und Flugblättern), meint sie, auf der Ebene der Masse sprechen zu müssen, um verstanden zu werden. Sie will sich daher mit Hilfe von unmittelbaren Daten als Vermittler etablieren. Da sie alle Menschen außerhalb (A.d.Ü., der Gang) für schwachsinnig hält, fühlt sie sich verpflichtet, Banalitäten und Blödsinn zu veröffentlichen, um sie erfolgreich zu verführen. Am Ende verführt sie sich selbst durch ihren eigenen Schwachsinn und wird so vom umgebenden Milieu aufgesogen. Aber eine andere Gang wird ihren Platz einnehmen, und ihr erstes theoretisches Wimmern wird darin bestehen, jede Missetat und jeden Fehler denen zuzuschreiben, die ihr vorausgegangen sind, und auf diese Weise nach einer neuen Sprache zu suchen, um wieder mit der großen Praxis der Verführung zu beginnen; um verführen zu können, muss sie anders als die anderen erscheinen.

Einmal in der Gang (oder irgendeiner Art von Unternehmen) ist das Individuum durch alle psychologischen Abhängigkeiten der kapitalistischen Gesellschaft an sie gebunden. Zeigt er irgendwelche Fähigkeiten, werden diese sofort ausgebeutet, ohne dass das Individuum eine Chance gehabt hätte, die von ihm akzeptierte „Theorie“ zu meistern. Im Gegenzug erhält er eine Position in der Clique, er wird zu einem Anführerchen5 ernannt. Wenn er seine Fähigkeiten nicht unter Beweis stellt, findet trotzdem ein Austausch statt: zwischen seiner Aufnahme in die Gang und seiner Pflicht, deren Position zu verbreiten. Selbst in den Gruppen, die sich den sozialen Gegebenheiten entziehen wollen, setzt sich der Bandenmechanismus aufgrund des unterschiedlichen theoretischen Entwicklungsstandes der Mitglieder der Gruppierung durch. Die Unfähigkeit, sich theoretischen Fragen eigenständig zu stellen, führt dazu, dass sich das Individuum hinter die Autorität eines anderen Mitglieds, das objektiv zum Anführer wird, oder hinter die Gruppeneinheit, die zur Gang wird, zurückzieht. In seinen Beziehungen zu Personen außerhalb der Gruppe nutzt das Individuum seine Zugehörigkeit, um andere auszuschließen und sich von ihnen abzugrenzen, und sei es nur, um sich – in letzter Konsequenz – vor der Feststellung seiner eigenen theoretischen Schwächen zu schützen. Dazugehören, um auszugrenzen, das ist die innere Dynamik der Gang, die auf einem – zugegebenen oder nicht zugegebenen – Gegensatz zwischen dem Äußeren und dem Inneren beruht. Selbst eine informelle Gruppe verkommt zu einem politischen Racket, dem klassischen Fall, dass die Theorie zur Ideologie wird.

Der Wunsch, einer Gang anzugehören, entspringt dem Wunsch, mit einer Gruppe identifiziert zu werden, die ein gewisses Prestige verkörpert, theoretisches Prestige für Intellektuelle und organisatorisches Prestige für sogenannte Praktiker. Auch die kommerzielle Logik fließt in die „theoretische“ Bildung ein. Mit einer wachsenden Masse an ideologischem Warenkapital, das es zu verwerten gilt, wird es notwendig, eine tiefe Motivation zu schaffen, damit die Menschen Waren kaufen. Die beste Motivation dafür ist: mehr lernen, mehr lesen, um oben zu sein, um sich von der Masse abzuheben. Prestige und Ausgrenzung sind die Zeichen des Wettbewerbs in all seinen Formen; so auch bei diesen Gangs, die sich ihrer Originalität, ihres Prestiges rühmen müssen, um aufzufallen. So entstehen der Kult um die Organisation und die Verherrlichung der Eigenheiten der Gang. Von da an geht es nicht mehr um die Verteidigung einer „Theorie“, sondern um die Bewahrung der Kontinuität einer Organisation (vgl. Die PCI und ihre Vergötterung der italienischen Linken).6

Der häufigste Fall hingegen ist, dass der theoretische Aneignung dazu dient, Manöver durchzuführen: zum Beispiel, um den Zugang zur Position des Anführers zu rechtfertigen oder um die Liquidierung des aktuellen Anführers zu ermöglichen.

Die Opposition zwischen Innen und Außen und die Bandenstruktur entwickeln den Geist des Wettbewerbs auf ein Höchstmaß. Angesichts der unterschiedlichen theoretischen Kenntnisse der Mitglieder wird die Aneignung von Theorien faktisch zu einem Element der politischen natürlichen Auslese, einem Euphemismus für Arbeitsteilung. Im zweiten Fall wird über die bestehende Gesellschaft theoretisiert; im ersten, unter dem Vorwand sie zu negieren, wird eine ungezügelte Konkurrenz gefördert, die in einer Hierarchisierung endet, die noch extremer ist als in der Gesellschaft im Allgemeinen; zumal sich die Innen-Außen-Opposition intern in der Spaltung zwischen dem Zentrum der Gang und der Masse der Militanten reproduziert.

Die politische Gang erreicht ihre Vollkommenheit in den Gruppen, die vorgeben, die bestehenden Gesellschaftsformen (wie den Kult des Individuums, des Anführers und der Demokratie) ablösen zu wollen. In der Praxis bedeutet die Anonymität – einfach als Anti-Individualismus verstanden – die hemmungslose Ausbeutung der Bandenmitglieder zum Profit der Führungsclique, die aus allem, was die Gang produziert, Prestige gewinnt. Die Affirmation der organische Zentralismus wird zur Verallgemeinerung der Heuchelei, denn die Gemeinheiten, die man in den Gruppen findet, die den demokratischen Zentralismus für sich beanspruchen, findet trotzdem statt, auch wenn man leugnet, dass sie stattfindet.

Was die scheinbare Einheit im Schoß der Gang aufrechterhält, ist die Erpressung mit Ausschluss. In der Tat, diejenigen, die sich nicht an die Normen halten, werden mit Verleumdungen ausgeschlossen; das Ergebnis ist dasselbe wenn sie es sind die rausgehen. Auf der anderen Seite, wirkt dies als psychologische Erpressung für diejenigen, die bleiben. Derselbe Prozess tritt in den verschiedenen Arten von Gangs auf unterschiedliche Weise auf.

In den Gangs für Geschäfte, der modernen Form des Unternehmens, wird das Individuum einfach entlassen und findet sich auf der Straße wieder.

In der straffälligenGangs (die die Wiedereingliederung der Revolte in die Gesellschaft in ihrer unmittelbaren Form, der Kriminalität, zum Ausdruck bringen, da das isolierte Individuum in die Gang eintritt, weil es nicht stark genug ist und ihm der Schutz fehlt) wird der Einzelne verprügelt oder getötet.

In der politischen Gang wird der Einzelne mit Verleumdungen ausgeschlossen, die nichts anderes als die Sublimierung des Meuchelmords sind. Die Verleumdung rechtfertigt seinen Ausschluss oder dient dazu, ihn zu zwingen, „aus freien Stücken“ auszutreten.

Es ist klar, dass die oben genannten Nuancen in der Realität in der einen oder anderen Art von Gang vorkommen können. So wie es Morde im Zusammenhang mit Geschäften gibt, so gibt es auch Abrechnungen, die zu Mord führen.

Daher ist der Kapitalismus also der Triumph der Organisation, und die Form, die sie annimmt, ist die Gang: dies ist der Triumph des Faschismus. In den Vereinigten Staaten ist das Racket auf allen Ebenen der Gesellschaft zu finden; in der UdSSR ist es dasselbe. Die Theorie des hierarchischen bürokratischen Kapitalismus ist im formalen Sinne eine Absurdität, da die Gang ein informeller Organismus ist.

Es existiert eine Alternative auf der theoretischen Ebene, die Verherrlichung der Disziplin, die Forderung nach der Reinheit des Militanten (vgl. die Gruppe „Rivoluzione comunista“, die 1964 mit der KPI in der Frage der Schaffung einer echten Elite von Militanten brach, die nichts anderes tun würde, als die Positionen des „Ultrabolschewismus“ wiederzubeleben, den Lukács als Alternative zur opportunistischen Massenpartei sah, zu der die KP Deutschlands innerhalb von zwei Jahren geworden war (vgl. „Methodisches zur Organisationsfrage“, in Geschichte und Klassenbewusstsein). Auch auf der Ebene des Sexuallebens ist die Alternative zur Auflösung der Sitten die Askese. Allerdings bewegt sich eine solche Alternative im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft. Sie ist nicht mit dem Wesen der Klasse und damit mit ihrer Zukunft verbunden. Da eine solche Vision von der Realität abstrahiert, entsteht zudem eine Kluft zwischen Theorie und Praxis.

All dies ist Ausdruck der zunehmenden Trennung des Individuums von der menschlichen Gemeinschaft, der Misere im Sinne von Marx. Die Bildung der Gang ist die Konstituierung einer illusorischen Gemeinschaft. Im Falle der deliktiven Bande ist sie das Ergebnis der Fixierung auf den Urinstinkt der Revolte in ihrer unmittelbaren Form. Die politische Gang hingegen will ihre illusorischen Gemeinschaft als Modell für die ganze Gesellschaft hochhalten. Dabei handelt es sich um utopisches Verhalten ohne jede reale Grundlage, denn die Utopisten bildeten Gemeinschaften – die alle mitsamt vom Kapital absorbiert wurden – von denen sie erwarteten, dass diese (A.d.Ü., die Gemeinschaften) die gesamte Menschheit einbeziehen würden und von dieser nachgeeifert werden würden. Daher ist dieser Satz aus der Eröffnungsrede der Ersten Internationale aktueller denn je: „Die Emanzipation der Arbeiter muss die Aufgabe der Arbeiter selbst sein.“

Entweder nimmt das Proletariat heute die kommunistische Gesellschaft vorweg und verwirklicht die Theorie, oder es bleibt, was die Gesellschaft bereits ist. Die Mai-Bewegung 1968 war der Beginn dieser Vorwegnahme: Daraus folgt, dass das Proletariat sich in keiner wie auch immer gearteten Organisation wiedererkennen kann, weil es bereits in anderen Formen unter ihnen leidet. Die Mai-Bewegung hat dies deutlich gezeigt.7

Da das Proletariat zerstört wurde, ist seine Seinsform in der unmittelbaren Wirklichkeit der Prozess des Kapitals selbst. Zu Marx‘ Zeiten bestand das Schicksal der Arbeiterparteien, die die Frucht der unmittelbaren Bewegung des Proletariats in der damaligen Gesellschaft waren, darin, sich in das Spiel der bourgeoisen parlamentarischen Regeln einzufügen. Heute, da die scheinbare Gemeinschaft, die sich im Himmel der Politik durch die Parlamente und ihre Parteien konstituiert, durch die Entwicklung des Kapitals aufgelöst wurde, sind die „Organisationen“, die behaupten, proletarisch zu sein, nicht mehr als bloße Gangs oder Cliquen, die dank der Vermittlung des Staates dieselbe Rolle spielen wie alle anderen Gruppen, die direkt im Dienst des Kapitals stehen. Es handelt sich um die Phase der Splittergruppen, in der diese Parteien und Gruppierungen im Gegensatz zu den Sekten zu Zeiten von Marx, die durch die Einheit der Arbeiterbewegung überwunden werden mussten, die Abwesenheit des Klassenkampfes zum Ausdruck bringen. Sie bestreiten die Überreste des Proletariats; sie theoretisieren die unmittelbare Realität des Proletariats und stellen sich gegen seine Bewegung. In diesem Sinne erfüllen sie die Forderungen der Eindämmung des Kapitals. Das Proletariat muss sie also nicht überwinden, wie im Falle der Sekten, sondern sie vernichten.

Die Kritik des Kapitals sollte daher eine Kritik des Rackets in all seinen Formen sein, des Kapitals als sozialer Organismus; das Kapital wird zum realen Leben des Individuums und seiner Seinsweise mit anderen (vgl. hierzu: Marcuse, Der eindimensionale Mensch und Galbraith, Der neue Industriestaat). Die Theorie, die das Racket kritisiert, kann ihn nicht reproduzieren. Also Ablehnung jeglichen Gruppenlebens (sonst Illusion der Gemeinschaft). Zu diesem Thema können wir die Kritik von Engels auf dem Kongress von Sonvillers wieder aufgreifen. Was er damals über die Internationale sagte, kann heutzutage an die Gruppe angewendet werden. Man kann es wie folgt zusammenfassen: Zu Marx‘ Zeiten konnte das Proletariat nicht so weit gehen, sich selbst zu negieren – in dem Sinne, dass es sich im Laufe der Revolution als die herrschende Klasse etablieren musste: 1848, 1871, 1917. Es gab eine endgültige Trennung zwischen der formalen Partei und der historischen Partei. Heute kann die Partei nur noch die historische Partei sein. Jede formelle Bewegung ist die Reproduktion dieser Gesellschaft, und das Proletariat steht im Wesentlichen außerhalb dieser Gesellschaft. Eine Gruppe kann auf keinen Fall vorgeben, die Gemeinschaft zu verwirklichen, ohne sich an die Stelle des Proletariats zu setzen, das allein dazu in der Lage ist. Daher die Einleitung einer Verzerrung, die theoretische Zweideutigkeit und praktische Heuchelei hervorruft.

Es reicht nicht aus, die Kritik des Kapitals zu entwickeln oder gar zu behaupten, dass es keine organisatorischen Zusammenhänge gibt; es ist notwendig, die Reproduktion der Gangstruktur zu vermeiden, da sie das spontane Produkt der Gesellschaft ist. Dies sollte die Grundlage der Kritik der italienischen Linken und unserer Existenzweise seit dem Zäsur mit der PCI sein.

Der Revolutionär darf sich nicht mit einer Gruppe identifizieren, sondern muss sich in einer Theorie wiedererkennen, die weder von einer Gruppe noch von einer Zeitschrift/Publikation abhängt, weil sie Ausdruck eines bestehenden Klassenkampfes ist. Das ist eigentlich der korrekte Begriff der Anonymität und nicht die Negation des Individuums (die die kapitalistische Gesellschaft selbst hervorbringt). Die Zustimmung ist also die zu einer Arbeit, die bereits im Gange ist und die weiterentwickelt werden muss. Aus diesem Grund sind theoretische Kenntnisse und der Wunsch nach theoretischer Entwicklung absolut notwendig, wenn sich das Professor-Schüler-Verhältnis – eine andere Form des Widerspruchs zwischen Geist und Materie, Anführer und Masse – nicht wiederholen und die Praxis der Gefolgschaft wiederbeleben soll. Außerdem muss sich der Wunsch nach theoretischer Entwicklung auf autonome und persönliche Weise verwirklichen und nicht durch eine Gruppe, die sich als eine Art Diaphragma zwischen dem Individuum und der Theorie aufstellt.

Es ist notwendig, auf Marx‘ Haltung nach 1851 gegenüber allen Gruppen zurückzukommen, um zu verstehen, wie der Bruch mit der Praxis der Gangs erfolgen muss::

– sich weigern, eine Gruppe, und sei es auch nur eine informelle, wiederzugründen (vgl. den Briefwechsel zwischen Marx und Engels, verschiedene Werke über die Revolution von 1848 und Pamphlete wie „Die großen Männer des Exils“, 1852).

– ein Netz von persönlichen Kontakten zu Personen unterhalten, die den höchsten Grad an theoretischem Wissen erreicht haben (oder dabei sind, dies zu tun): Antimitläufertum, Antipädagogik; die Partei in ihrem historischen Sinn ist keine Schule.8

Die Aktivität von Marx bestand immer darin, die wirkliche Bewegung, die zum Kommunismus führt, aufzuzeigen und die Errungenschaften des Proletariats in seinem Kampf gegen das Kapital zu verteidigen. Daher die Position von Marx im Jahr 1871, als er den „unmögliche Kommunismus“ in der Aktion der Pariser Kommune aufdeckte oder erklärte, dass die Erste Internationale weder das Kind einer Theorie noch einer Sekte war. Es ist notwendig, die gleiche Aktivität jetzt anzugehen. Diejenigen, die sich mit dem in dieser Publikation/Zeitschrift dargelegten Werk in Verbindung setzen wollen, um es weiterzuentwickeln und für eine detailliertere, präzisere und klarere Darstellung zu sorgen, sollten ihre Beziehungen in die Richtung lenken, die oben in der Diskussion des marxschen Werkes angegeben wurde. Wenn sie dies nicht tun, werden sie in die Praxis der Gang zurückfallen.

Daraus folgt, dass es auch notwendig ist, eine Kritik an der Konzeption des „Programms“ der italienischen kommunistischen Linken zu entwickeln. Dass dieser Begriff des „kommunistischen Programms“ nie ausreichend geklärt wurde, zeigt die Tatsache, dass an einem bestimmten Punkt die Martov-Lenin-Debatte im Herzen der Linken wieder aufflammte. Die Polemik war bereits das Ergebnis der Tatsache, dass die Marx’sche Konzeption der revolutionären Theorie zerstört worden war, und sie spiegelte eine vollständige Trennung zwischen den Konzepten von Theorie und Praxis wider. Für das Proletariat ist der Klassenkampf im Sinne von Marx gleichzeitig Produktion und Radikalisierung des Bewusstseins. Die Kritik des Kapitals ist Ausdruck eines Bewusstseins, das bereits durch den Klassenkampf hervorgebracht wurde und dessen Zukunft vorwegnimmt. Für Marx und Engels ist die proletarische Bewegung = Theorie = Kommunismus.

„Herr Heinzen bildet sich ein, der Kommunismus sei eine gewisse Doktrin, die von einem bestimmten theoretischen Prinzip als Kern ausgehe und daraus weitere Konsequenzen ziehe. Herr Heinzen irrt sich sehr. Der Kommunismus ist keine Doktrin, sondern eine Bewegung; er geht nicht von Prinzipien, sondern von Tatsachen aus. Die Kommunisten haben nicht diese oder jene hilosophie, sondern die ganze bisherige Geschichte und speziell ihre gegenwärtigen tatsächlichen Resultate in den zivilisierten Ländern zur Voraussetzung […] Der Kommunismus, soweit er theoretisch ist, ist der theoretische Ausdruck der Stellung des Proletariats in diesem Kampfe und die theoretische Zusammenfassung der Bedingungen der Befreiung des Proletariats.“ Die Kommunisten und Karl Heinzen, zweiter Artikel, MEW 4, S. 321 f.

Das Problem des Bewusstseins, das von außen kommt, gab es für Marx eigentlich nicht. Es gab keine Frage der Entwicklung von Militanten, des Aktivismus oder des Akademismus. Auch die Problematik der Selbsterziehung der Massen im Sinne der Rätekommunisten (falsche Jünger von R. Luxemburg und echte Jünger des pädagogischen Reformismus) stellte sich für Marx nicht. Rosas Luxemburgs Theorie der Klassenbewegung, die von Beginn des Kampfes an die Bedingungen für ihre Radikalisierung in sich selbst findet, kommt der Position von Marx am nächsten (vgl. ihre Position zur „Kreativität der Massen“, die zeigt, dass er das Proletariat über seine unmittelbare Existenz hinaus zu begreifen vermochte).

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die bourgeoise Form der Wahrnehmung und Vorstellung der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu überwinden und, wie Marx es tat, Hegels Nachweis des vermittelnden Charakters jeder Form von Unmittelbarkeit wieder aufzugreifen. Denn es ist charakteristisch für das „wissenschaftliche“ Denken, die unmittelbare Tatsache als den eigentlichen Gegenstand der Erkenntnis zu akzeptieren, ohne die ihr zugrunde liegende Vermittlung wahrzunehmen und zu begreifen. Auf der Grundlage einer solchen Gnoseologie wird in der kapitalistischen Gesellschaft der gesellschaftliche Schein zur Wirklichkeit und umgekehrt. Das wirkliche Wesen des Proletariats wird verborgen und die Klasse wird in ihrer scheinbaren Lebensform wahrgenommen. Daraus ergibt sich das Problem des Bewusstseins, das von außen kommt, und die Tatsache, dass, wenn das Proletariat sein wahres Wesen offenbart (1905-1917), alle verblüfft und entgeistert sind.

Die italienische kommunistische Linke hat trotz ihrer besseren theoretischen Fähigkeiten im Bereich des Proletariats 1950 keine endgültige Zäsur mit ihrer Vergangenheit (1919-1926) vollzogen. Ihre Kritik am Trotzkismus, am Rätekommunismus usw. führte nicht zu einer vollständigen Wiederherstellung der Marx’schen Vorstellungen von der Partei und vom Proletariat. Aus diesem Grund schwankten ihre offizielle Position und ihr tatsächliches Wesen zwischen einer programmatischen Auffassung als „marxistische Schule“ und einem kleinlichen Aktivismus trotzkistischer Prägung. Dieser zweite Aspekt wurde nach 1960 dominant, da eine Clique von Gangstern, die der Theorie und dem Proletariat völlig fremd waren, die „Schule“ in Besitz nahm, vor allem dank ihrer anhaltenden Zweideutigkeit bei einigen lebenswichtigen Problemen: der Gewerkschafts- und Syndikatsfrage und dem Begriff der „Avantgarde des Proletariats“, der in den Akten und in der offiziellen Diskussion eigentlich abgelehnt wurde, aber im offiziellen Kanon der Partei fortbestand. Damals wurde die Martow-Lenin-Debatte über die Frage der Organisation wiederbelebt, was zeigte, dass diese Strömung definitiv tot war, und zu ihrem Begräbnis dritter Klasse im Mai ’68 führte.

Es sei darauf hingewiesen, dass wir seit unserem Austritt aus der PCI versucht haben, die diskutierte Zweideutigkeit zu beseitigen, indem wir unser Bestes taten, um die positiven Aspekte der Linken aufzuzeigen. Dies führte nur dazu, dass wir die Linke kultivierten und zu ihrem extremsten Ausdruck wurden (vgl. Die Artikel von Invariance). Und das führte dazu, dass wir in eine Gruppenpraxis zurückfielen. Obwohl wir unsere Gruppe als „informell“ betrachteten, brachte sie die unvermeidliche Tendenz mit sich, sich an die Stelle des Proletariats zu setzen. Es geht nicht mehr darum, über die Anpassung im Herzen der Linken zu streiten, sondern anzuerkennen, dass, wenn es eine Anpassung gegeben hat, dies darauf zurückzuführen ist, dass die Theorie nicht von Anfang an eine integrale Theorie des Proletariats war. Daher reicht es nicht mehr aus, zu sagen, dass die Gründung der Partei 1943 verfrüht war; man muss sagen, dass sie eine Absurdität war. Dementsprechend ist es notwendig, mit unserer Vergangenheit zu brechen und zu der Position von Marx zurückzukehren.

Dieser Brief wurde nicht so sehr als eine endgültige und erschöpfende Behandlung des besprochenen Themas verfasst; er ist als eine Zäsur mit der Vergangenheit der „ganzen“ Gruppe gedacht. Die folgenden Unterschriften sollen diesen Bruch unterstreichen und bedeuten nicht, dass wir unsere frühere Position zum Thema Anonymität aufgegeben haben.

Jacques Camatte – Gianni Collu


1Invariance ist eine Zeitschrift, die 1968 unter anderem auf Initiative von Jacques Camatte gegründet wurde, kurz nachdem dieser 1966 mit der Internationalen Kommunistischen Partei gebrochen hatte. Hier kann man auf Französisch bis 1980, die Zeitschrift gibt es noch, lesen.

2A.d.Ü., im Original groupuscule gemeint sind kleine, radikale Gruppen, und/oder Splittergruppen.

3A.d.Ü., aus dem Englischen racket, siehe Einleitung.

4„Fiktiv“ kommt im italienischen Original von finto, was nicht dem Begriff „fiktiv“ im Kapital entspricht, ihm aber nahe kommt (Anmerkung des Übersetzers der englischen Fassung).

5A.d.Ü., die Körpergröße spielt hier gar keine Rolle, es geht nur darum die Figur des Anführers lächerlich darzustellen, aus dem Französischen cheffaillon.

6A.d.Ü., hierbei handelt es sich um die Internationale Kommunistische Partei (bordigistisch) Partito Comunista Internazionalista.

Amadeo Bordiga und die ihm nahestehenden Theoretiker wurden als die italienische kommunistische Linke bezeichnet. Genauer gesagt, bezieht sich „die italienische Linke“ auf die italienische linkskommunistische Tradition: die linke Opposition in der Sozialistischen Partei Italiens (1910/12, 1921), die Leitung der Kommunistischen Partei Italiens (1921-24), die linke Opposition in der Kommunistischen Partei Italiens (1924-26), die linkskommunistische Fraktion in Belgien und Frankreich (Bilan und Prometeo: 1926-43), den Wiederaufbau des italienischen Linkskommunismus (Battaglia Comunista, Prometeo 1944-52) und die Internationale Kommunistische Partei (il programma comunista: 1952-70; Bordiga starb 1970). (Anm. d. Übersetzers der englischen Fassung)

7A.d.Ü., gemeint ist die aus dem Jahr 1968.

8Von der Wiederaufnahme einer Haltung zu sprechen, die Marx zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner revolutionären Tätigkeit eingenommen hatte, entspringt dem tiefgreifenden Missverständnis, dass die Phase der formalen Herrschaft des Kapitals vollständig vorbei sei. Nun musste Marx nur noch in dieser Periode Stellung beziehen. Andererseits war sein theoretisches Verhalten in der Frage der Partei nicht so starr, wie der Brief vermuten lässt. Das inakzeptabelste an den obigen Aussagen ist jedoch, dass sie über den Umweg einer elitären Theorie der Entwicklung der revolutionären Bewegung den Weg für eine neue, von außen kommende Bewusstseinstheorie öffnen könnten.
Die Ablehnung jeglicher Organisation ist nicht einfach eine anti-organisatorische Position. Das Verbleiben in der Organisation wäre nur die Äußerung eines Verlangens nach Originalität, ein Versuch, sich von der Masse abzuheben und so eine gewisse Anzahl von Elementen anzuziehen… Von dort aus würde sich der Prozess der Racketisierung wieder entfalten.
Unsere Position zur Auflösung der Gruppen ergibt sich zum einen aus dem Studium der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise und zum anderen aus unserer Charakterisierung der Mai-Bewegung. Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass das revolutionäre Phänomen im Gange ist und dass, wie immer – besonders in diesem Bereich – das Bewusstsein der Aktion folgt. Das bedeutet, dass die Revolutionäre in der großen Bewegung der Revolte gegen das Kapital ein bestimmtes Verhalten an den Tag legen werden – das nicht ein für alle Mal garantiert werden kann -, das mit dem entscheidenden und entschlossenen Kampf gegen das Kapital vereinbar ist.
Wir können den Inhalt einer solchen Organisation vorhersehen. Sie wird das Streben nach menschlicher Gemeinschaft mit der Bejahung des Individuums verbinden, was das charakteristische Merkmal der gegenwärtigen revolutionären Phase ist. Sie wird die Versöhnung des Menschen mit der Natur anstreben, denn die kommunistische Revolution ist auch ein Aufstand der letzteren gegen das Kapital; andererseits werden wir nur durch ein neues Verhältnis zur Natur überleben können und damit den zweiten Begriff der Alternative beschwören, vor der wir heute stehen: Kommunismus oder Vernichtung der menschlichen Gattung.
Um diese organisatorische Entwicklung besser zu verstehen, um das, was kommen wird, zu erleichtern und nicht zu behindern, ist es von nun an wichtig, alle alten Formen abzulehnen und ohne Vorurteile an der großen Bewegung unserer Befreiung teilzunehmen. Diese entwickelt sich auf globaler Ebene, und alles, was den revolutionären Wandel behindern könnte, muss beseitigt werden. Die revolutionäre Strömung wird sich unter den gegebenen Umständen und im Zuge konkreter Aktionen nicht nur passiv und spontan strukturieren, sondern die Anstrengung des Nachdenkens immer auf die Frage richten, wie das wahre Gemeinwesen und der soziale Mensch zu verwirklichen sind, was die Versöhnung des Menschen mit der Natur voraussetzt. (Anmerkung von 1972).

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