Über die Sabotage als eine der schönsten Künste

Aus dem Buch „Del Tiempo En Que Los Violentos Tenían Razón“ (Aus der Zeit als die Gewalttätigen Recht hatten), welches 2006 erschien, herausgebracht vom leider nicht mehr existierenden Verlagsprojekt „Editorial Klinamen“ und von der anarchistischen Publikation aus Asturien „Llar“. Die Übersetzung ist von uns.


Über die Sabotage als eine der schönsten Künste

Asturisches Institut für vergleichenden Vandalismus

Es ist nie schlecht, bestimmte Texte noch einmal zu lesen. Wir hoffen, dass du nicht nur nach dem „Neuesten“ suchst, sondern auch das aufnimmst, was du sicher auf verschiedenen Websites finden kannst, was wir aber für notwendig halten, von Zeit zu Zeit zu wiederholen. Dieser Text wurde in Llar Nr. 33 veröffentlicht.

1.

Wer wird die heftigen Wirbelstürme des Feuers neu entfachen, wenn nicht wir und diejenigen, die wir für Brüder halten? Kommt! Neue Freunde: Das wird uns gefallen. Wir werden niemals arbeiten, oh feurige Wogen!“ „Lass diese Welt zerplatzen. Es ist der wahre Weg. Vorwärts, vorwärts, vorwärts!“ A. Rimbaud (1854-1891)

Die Ausbreitung von Sabotage, die Zunahme ihrer Praxis, in mehr oder weniger großem Umfang über die gesamte Warenwelt ist eine vollendete Tatsache. Das Verbrennen von Geldautomaten, das Aufbrechen von Schlössern in den Produktions- und Vertriebszentren, das Einschlagen von Fenstern, das Verbrennen von Zeitarbeitsfirmen und Arbeitsämter, die Sabotage der Infrastrukturen des Kapitalismus (Hochgeschwindigkeitszüge, Staudämme, Autobahnen oder Baufirmen) … sind offensive Praktiken gegen die Kolonisierung unseres Lebens durch den Kapitalismus in seiner fortgeschrittensten Form – dem integrierten Spektakel. Sie werden von Menschen durchgeführt, die es satt haben, als Ware zu überleben (ihr Leben wird auf ökonomische Notwendigkeiten reduziert) und die enttäuscht sind von der falschen Opposition (mehr falsche und weniger Opposition jede Sekunde) – Parteien und Gewerkschaften/Syndikate, die unser Elend verwalten und uns in eine Produktionsweise einbinden wollen, die uns jede Beteiligung an den Entscheidungen verweigert, die uns direkt betreffen, und die dazu beiträgt, uns zu versklaven, indem sie jede Geste der Negation des Bestehenden verstümmelt.

Das Spektakel schreibt das Drehbuch und verteilt die Rollen: Arbeiter, Lehrer, Student, Hausfrau, Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Arbeitsloser, Polizist, Soldat, Künstler, Menschenfreund, Intellektueller… die meisten Menschen mit verschiedenen Rollen im Laufe von 24 Stunden, was ihre Existenz, wenn möglich, noch schrecklicher macht. Jeder hat sein neurotisch-schizoides Gerüst und wird auf die von der Macht ausgehenden Reize in der erwarteten Weise reagieren. Alle sozialen Aktivitäten sind dafür geplant, das Spektakel zu verstärken, indem sie den unaufhaltsamen Prozess der Zersetzung verlangsamen.

Da wir nicht das Gemurre der leidgeprüften Militanten irgendeiner Organisation hören wollen, sei angemerkt, dass wir nicht gegen die Organisation an sich sind, sondern gegen die Organisation als Selbstzweck, als Kristallisationspunkt irgendeiner Ideologie und als getrenntes Organ, das die Klasse repräsentiert. Wir sind für die autonome Selbstorganisation der Ausgebeuteten. Die Geschichte hat uns – und das ist etwas, das niemandem bewusst oder unbewusst entgeht – mit zwei klaren Beispielen gezeigt, dass die traditionellen Formen der Partei (Russische Revolution) und der Gewerkschaft/Syndikate (Spanische Revolution) nichts anderes waren als zwei Versuche, den Kapitalismus zu verwalten und nicht, ihn zu überwinden. Bei der Übernahme der Macht wurde diese nicht zerstört, sondern ausgeübt; einerseits ersetzt die bürokratische Klasse die Bourgeoisie und andererseits beteiligen sich die anarchosyndikalistischen Anführer an der bourgeoisen Macht, indem sie zur Selbstverwaltung von Ausbeutung und Entfremdung aufrufen, während die Basis in der Praxis versucht, die Produktionsverhältnisse und sozialen Beziehungen durch die direkte Verwaltung aller Aspekte ihres Lebens und nicht nur der Arbeit zu überwinden. Beiden Formen gemeinsam ist die Verherrlichung der Arbeit (die sich mit den Nationalsozialisten und allen politischen Formen des Kapitalismus deckt). Ihre quantitative Vision strebte eine Steigerung der Produktion an und vernachlässigte dabei die qualitative Steigerung des Lebens. Diese (praktische und theoretische) Niederlage der traditionellen Organisationen, die behaupten, uns zu vertreten, wurde von der Arbeiterklasse nicht aufgegriffen (und es scheint, als wüssten wir nur, wie man arbeitet). Wir haben immer noch keine Kontrolle über irgendeinen wesentlichen Aspekt unseres Lebens in einer Welt, die nicht nur ohne unsere Beteiligung (unter Ausschluss von uns), sondern gegen uns gemacht wird. Aber, Gefährt*innen, die Geschichte ist nicht zyklisch, sie ist ein akkumulativer Prozess und sie lastet bereits zu schwer auf unseren müden Körpern.

2.

Nie hatten die, die spotten, eine so trügerische Sprache“. Shakespeare. „Sommernachtstraum“

Der Widerspruch zwischen den Möglichkeiten der Produktionsmittel (die Nutzung einiger zum Vergnügen aller, da die meisten von ihnen nutzlos oder schädlich sind und zerstört werden sollten) und den Produktionsverhältnissen (Lohnsklaverei, Verdinglichung und Ausgrenzung in einer Klassengesellschaft) hat einen unüberwindbaren Wendepunkt erreicht. Für das Spektakel ist es wichtiger, das Wesen dieses Widerspruchs zu verfälschen, als die Produktion von Waren mit abnehmendem Gebrauchswert zu steigern. Diese unbewegliche Trägheit zwingt es, alle Mittel einzusetzen, um jede reale Bewegung der Opposition zu rekuperieren und die spektakuläre Kritik am Spektakel selbst zu dirigieren. Eine heuchlerische Selbstkritik, die von seiner Polizei des zersetzten Denkens (Pro-Situs, Kader, NGOs, Rekuperatoren, Künstler, Journalisten… allesamt politisch korrekt und „alles Locker-Stimmung“) geleitet wird. Diese Klobürsten der Moderne hoffen wie gute Priester, dass sie uns mit ihren Pflastern, dass die eigene Entwicklung des Systems uns händchenhaltend zu einer idealen Welt führen, die von ihrem falschen Gewissen und der Fäulnis ihres quadratischen Gehirns geplant wird; als ob sie uns jemals etwas geschenkt hätten. Ihre seit Jahrzehnten angeprangerte soziale Funktion hat sie mehr als eine Aggression, eine Schlägerei oder einen Mord gekostet, und wir sind sicher, dass dies keine bloßen Anekdoten sein werden. Sie täuschen und manipulieren uns, das dürfen wir nicht noch einen Tag länger zulassen, sie sind die Hüter des Schlüssels zu unseren höllischen Ketten. Sie unterhalten unsere Gedanken mit bedeutungslosen Debatten und zwingen uns ihre Meinung auf, indem sie so einfachen Fragen ausweichen, die sie vor Angst zittern lassen: Wie können wir besser leben, wer und was hindert uns? Fragen, die diese Berufslügner sofort entlarven würden. Die Kohärenz der Kritik und die Kritik der Inkohärenz werden bei dieser Aufgabe helfen.

3.

Ungerechtigkeit ist nicht anonym, sie hat einen Namen und eine Adresse“. Bertolt Brecht

Die situationistische Theorie als umfassende Kritik der Totalität der Überlebensbedingungen und des spektakulär-merkantilen Kapitalismus, der sie notwendig macht, ist durch die Tatsachen der Verfälschung verifiziert worden. Die Entfremdung kann nicht unter entfremdeten Formen bekämpft werden. Die Sabotage dieser Welt beginnt mit dem Bruch mit den Rollen, die uns das System auferlegt, mit der Sabotage unseres Todes im Leben und der Negation der uns zugewiesenen und für uns vorgesehenen Rolle. Wenn wir heute von Revolution sprechen, haben wir eine Leiche im Mund; man muss sich nur umschauen, um ein Dekor zu sehen, das uns ständig an die Niederlage erinnert. Sabotage ist daher eine Aktion, die sich gegen die Irrealität richtet, die uns unterdrückt. Eine Praxis, die der ideologischen Rekuperation nicht entgangen ist, indem sie in „Terrorismus“ (die Professionalisierung der Sabotage) umgewandelt wurde, was das System aufgrund seines zentralistischen, hierarchischen und militaristischen Charakters nur verstärkt hat. Heute geht es nicht mehr um die Gründung einer bewaffneten Organisation dieser Art, sondern um den diffusen Angriff kleiner, von einer höheren Struktur unkontrollierbarer Affinitätsgruppen, die sich vereinen und wieder trennen wie die Mondgezeiten. Gezeiten, die aus dem Bewusstsein heraus entstehen, wie schlimm die Dinge sind und wie viel schlimmer sie noch werden, wenn die Ereignisse sich entfalten.

Im 19. Jahrhundert gab es eine ähnliche Praxis, die den aufkommenden Kapitalismus in Schach hielt. Abgesehen von den Ludditenangriffen, den sogenannten „proletarischen Runden“, deren Mangel an starrer Struktur und maximale Flexibilität bei den Angriffen ihre Zurückdrängung und Rekuperation fast unmöglich machte, spielten dabei die, ebenfalls beginnenden, Gewerkschaften/Syndikate eine große Rolle. Eine Gruppe von Menschen versammelte sich, schlug zu und löste sich in der Masse auf, während sich im Inneren eine neue Gruppe bildete. Diese diffuse Sabotage macht es dem Feind sehr schwer, irgendjemanden aufzuhalten, was diesen Angriff zu einem Universum des Vergnügens für aufgeklärte Rowdys macht, deren Empfindungen unmöglich zu beschreiben oder mit der armen und banalen Sprache der Worte zu vermitteln sind.
Das Spiel der Subversion, dessen Regeln von denen geschrieben werden, die es spielen, wird zu einer wirksamen Waffe gegen den Kapitalismus in all seinen Formen. Es gibt mehr zu zerstören als zu bauen.

4.

Unsere Epoche muss keine poetischen Slogans schreiben, sondern sie ausführen.“ Situationistische Internationale.

Es ist erwiesen, dass kleine angreifende Gruppen mehr Schaden anrichten als große Organisationen, die sich auf den bewaffneten Kampf spezialisiert haben. Die Angry Brigade – die ihre Aktivitäten fortsetzte, als einige Leute verhaftet wurden und der britische Staat die Bewegung als aufgelöst betrachtete – ist ein Beispiel dafür. Für die Behörden ist es schwierig, kleine Gruppen zu festzunehmen oder auszuschalten, die sich mit Sicherheit nicht kennen und nur durch den Wunsch vereint sind, ein System zu zerstören, das sie am Leben hindert und sie zum Überleben und zur Ungewissheit verdammt. Es geht ihnen nicht um exhibitionistische Aktionen, um für irgendein Akronym oder eine Herkunftsmarke zu werben. Im Fall von Asturien, um genau zu sein, war Sabotage eine Klassenwaffe, die unzählige Male eingesetzt wurde, vor allem bei Arbeitskonflikten in Unternehmen. Duro Felguera, Hunosa, Naval, Ciata? Wir erfinden nichts, Sabotage war, ist und wird ein Mittel sein, um jedes Ziel zu erreichen; jede genervte Person, unabhängig von ihrer Ideologie, nutzt sie. Vom Büroangestellten, der Büromaterial stiehlt, über den Arbeiter, der die Maschine zerbricht, an der er angekettet ist, bis hin zum Einsatz von Goma-2 (A.d.Ü., Sprengstoff) wie den Entlassenen von Duro-Felguera. Heute ist das Beispiel das Verbrennen von Zeitarbeitsfirmen. Die Praxis der Sabotage wird auf spezifische und sehr lokal begrenzte Konflikte reduziert, ohne eine globale Perspektive und nur für Teillösungen, mit ökonomischen Forderungen, die innerhalb der von der kapitalistischen Logik vorgegebenen Grenzen bleiben. Das Gleiche gilt für den Fall der Zeitarbeitsfirmen, ein Angriff, der über die Zeitlichkeit eines Konflikts in einem Unternehmen hinausgeht, aber nicht die Lohnsklaverei in Frage stellt, sondern ihre extremste Form, nicht die Ausbeutung einer Klasse, sondern die Zeitarbeitsfirmen; wir befinden uns also in der gleichen Situation. Heute ist der Konflikt global und kann nicht durch Teilkämpfe gelöst werden, sondern durch einen umfassenden Kampf und eine blockweise Ablehnung dieser Gesellschaft. Wir müssen der Reduzierung unseres Lebens auf Waren und der Lohnarbeit, die uns umbringt, ein Ende setzen, und zwar nicht nur mit den Zeitarbeitsfirmen. Wir müssen der Klassengesellschaft ein Ende setzen und nicht nur dem Faschismus. Die Aufmerksamkeit auf Teilprobleme zu lenken, nützt nur den Gewohnten, denen, die unser Elend verwalten, und denen, die es eines Tages verwalten wollen, und beide sind Teil der Ziele, die von Revolutionären sabotiert werden müssen.

Die Praxis der diffusen Sabotage (uneingeschränkte Autonomie, maximale Flexibilität, Selbstorganisation, minimales Risiko) unter Gleichgesinnten eröffnet die Möglichkeit einer echten Kommunikation, die das Spektakuläre zerstört und die Apathie und Ohnmacht des ewigen revolutionären Monologs durchbricht. Beziehungen und die Möglichkeit, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, negieren die Rolle des Spektakulären. Sie sind ephemere Situationen, die durch ihre Vorbereitung und Entwicklung in ihrem Wesen die revolutionäre Situation in sich tragen, die keinen Schritt mehr zurücktreten und die Bedingungen des Überlebens unterdrücken wird. Sie fällt nicht in die unabänderliche entfremdende Hierarchisierung, die mit der Spezialisierung jeder bewaffneten Gruppe autoritären und militaristischen Charakters einhergeht, an die die Massen ihre Teilnahme an den Angriffen delegieren.

Die quantitative Zunahme dieser Praxis erfahren wir nicht von den propagandistischen Sprechern des Spektakels, sondern dadurch, dass wir durch den Schauplatz des Kapitalismus schlendern und uns im Treiben mit verbrannten Geldautomaten, Zeitarbeitsfirmen mit zerbrochenen Scheiben, Schlossern, die das Schloss eines Supermarktes auswechseln, wiederfinden… Anblicke, die uns ein mitschuldiges Lächeln entlocken und uns ermutigen, noch in derselben Nacht hinauszugehen, um mit dem Feuer zu spielen, damit bei anderen unbekannten, aber komplizenhaften Menschen ebenfalls ein Lächeln aus der Verbrüderung mit der Zerstörung entsteht. Es ist nicht die Anzahl, die zählt, sondern die Qualität der Gesten; Sabotage, Enteignungen, Kürzungen… sie geben uns einen Teil des Lebens zurück, das sie uns verweigern, aber wir wollen es ganz. Gefährt*innen, das Spiel gehört euch und wir ermutigen euch, es jeden Tag zu spielen. Spielt es mit euren Kollegen. Gegen die alte Welt in all ihren Gesichtern, um aus der Vorgeschichte herauszukommen, lasst uns die Angriffe verbreiten und vervielfachen.

FÜR DIE ABSCHAFFUNG DER KLASSENGESELLSCHAFT .stop .GEGEN DIE WARE UND DIE LOHNENARBEIT .stop. FÜR DIE ANARCHIE .stop. FÜR DEN KOMMUNISMUS .stop. STEINE UND FEUER!

This entry was posted in Klassenkrieg/Sozialer Krieg, Kritik am Reformismus, Kritik an der (radikalen) Linke des Kapitals, Kritik an der Postmoderne/Postmodernismus, Texte. Bookmark the permalink.